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Irene Schwarz Mein Weg nach Santiago und zu mir selbst

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Irene Schwarz

Mein Weg nach Santiagound zu mir selbst

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ISBN 978-3-940732-16-3

Bibliografische Information der Deutschen BibliothekDie Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet unter http://dnb.ddb.de abrufbar.

© 2014 Akademischer Verlag MünchenPaul-Heyse-Straße 2880336 MünchenFon 089/51 61 61 51Fax 089/51 61 61 [email protected]

Alle Rechte vorbehalten.

Lektorat: Simone Rath, MünchenGesamtherstellung: dm druckmedien gmbh, München

Titelbild: Panoramablick ins Tal des Río Sil vor El Acebo

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Mein Weg nach Santiago

und zu mir selbst

Irene Schwarz

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Sonntag, 7.4.2013 – Vor der Abreise ...........................................................................7

Montag, 8.4.2013 – Anreise mit dem Zug von zu Hause nach Bayonne ......................8

Dienstag, 9.4.2013 – Von St.-Jean-Pied-de-Port nach Valcarlos .................................11

Mittwoch, 10.4.2013 – Von Valcarlos nach Roncesvalles ..........................................16

Donnerstag, 11.4.2013 – Von Roncesvalles nach Zubiri ............................................19

Freitag, 12.4.2013 – Von Zubiri nach Villava ............................................................23

Samstag, 13.4.2013 – Von Villava nach Pamplona ....................................................26

Sonntag, 14.4.2013 – Von Pamplona nach Uterga .....................................................28

Montag, 15.4.2013 – Von Uterga nach Lorca ............................................................31

Dienstag, 16.4.2013 – Von Lorca nach Villamayor de Monjardín .............................33

Mittwoch, 17.4.2013 – Von Villamayor de Monjardín nach Torres del Rio...............36

Donnerstag, 18.4.2103 – Von Torres del Rio nach Logroño ......................................39

Freitag, 19.4.2013 – Von Logroño nach Ventosa .......................................................42

Samstag, 20.4.2013 – Von Ventosa nach Azofra ........................................................45

Sonntag, 21.4.2013 – Von Azofra nach Santo Domingo de la Calzada ......................49

Montag, 22.4.2013 – Von Santo Domingo de la Calzada nach Belorado ...................52

Dienstag, 23.4.2013 – Von Belorado nach Villafranca Montes de Oca ......................55

Mittwoch 24.4.2013 – Von Villafranca Montes de Oca nach Atapuerca ...................57

Donnerstag, 25.4.2013 – Von Atapuerca nach Burgos ...............................................59

Freitag, 26.4.2013 – Besichtigung und Ruhetag in Burgos .........................................63

Samstag, 27.4.2013 – Von Burgos über Tardajos nach Hontanas ..............................64

Sonntag, 28.4.2013 – Von Hontanas nach San Nicolás .............................................67

Montag, 29.4.2013 – Von San Nicolás nach Población de Campos ...........................73

Dienstag, 30.4.2013 – Población de Campos nach Carrión de los Condes ................76

Mittwoch, 1.5.2013 – Von Carrión de los Condes nach Ledigos ...............................78

Donnerstag, 2.5.2013 – Von Ledigos nach Sahagún ..................................................81

Freitag, 3.5.2013 – Von Sahagún nach El Burgo Ranero ...........................................83

Samstag, 4.5.2013 – Von El Burgo Ranero nach Mansilla de las Mulas ....................86

Inhaltsverzeichnis

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Sonntag, 5.5.2013 – Von Mansilla de las Mulas über Arcahueja nach León ................88

Montag, 6.5.2013 – Von León nach Villar de Mazarife .............................................89

Dienstag, 7.5.2013 – Von Villar de Mazarife nach Hospital de Órbigo .....................91

Mittwoch, 8.5.2013 – Von Hospital de Órbigo nach Murias de Rechivaldo ..............93

Donnerstag, 9.5.2013 – Von Murias de Rechivaldo nach Rabanal del Camino ..........96

Freitag, 10.5.2013 – Von Rabanal del Camino nach El Acebo ...................................98

Samstag, 11.5.2013 – Von El Acebo nach Ponferrada .............................................102

Sonntag, 12.5.2013 – Von Ponferrada nach Cacabelos ............................................106

Montag, 13.5.2013 – Von Cacabelos nach Trabadelo..............................................108

Dienstag, 14.5.2013 – Von Trabadelo nach La Faba................................................109

Mittwoch, 15.5.2013 – Von La Faba zum Alto do Poio ..........................................116

Donnerstag, 16.5.2013 – Vom Alto do Poio nach Triacastela ..................................119

Freitag, 17.5.2013 – Von Triacastela nach Sarria .....................................................122

Samstag, 18.5.2013 – Von Sarria nach Portomarin ..................................................124

Sonntag, 19.5.2013 – Von Portomarin nach Palas de Rei ........................................127

Montag, 20.5.2013 – Von Palas de Rei nach Melide ...............................................130

Dienstag, 21.5.2013 – Von Melide nach Arzúa ........................................................132

Mittwoch, 22.5.2013 – Von Arzúa nach Pedrouzo ..................................................134

Donnerstag, 23.5.2013 – Von Pedrouzo zum Monte do Gozo .................................136

Freitag, 24.5.2013 – Vom Monte do Gozo nach Santiago de Compostela ...............138

Samstag, 25.5.2013 – Santiago de Compostela........................................................143

Sonntag, 26.5.2013 – Von Santiago de Compostela bis zum Kap Finisterre .............146

Montag, 27.5.2013 – Finisterre ...............................................................................149

Dienstag, 28.5.2013 – Von Finisterre nach Santiago de Compostela ........................150

Mittwoch, 29.5.2013 – Von Santiago de Compostela nach Hause ...........................151

Nachwort ................................................................................................................152

Bildteil ............................................................................................zwischen 80 und 81

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Sonntag, 7.4.2013 Vor der Abreise

Heute ist kein Tag wie jeder andere. Es ist der letzte Tag vor unse-rem großen Abenteuer. Mein Mann und ich sitzen im Wohnzim-mer und lassen die letzten Wochen Revue passieren. Was heißt hier Wochen – monatelang planen wir schon den Jakobsweg, den wir gehen wollen. Wir kauften ein, vom Rucksack über den Schlafsack bis zur Funktionswäsche. Alles musste leicht sein, denn wir müssen es mehr als achthundert Kilometer weit und über alle Berge Nordspaniens bis Santiago de Compostela schlep-pen. Uns ist klar: Dieses Unterfangen ist verrückt, denn wir sind keine geübten Wanderer. Ich musste vor drei Wochen noch neue Wanderschuhe kaufen und meine Einlagen passten nicht richtig. Unsere Sprunggelenke machten noch bis vor Kurzem Probleme. Das kann ja heiter werden. Irgendwie haben wir den Eindruck, dass sich alles gegen uns verschworen hat und doch sind wir wild entschlossen, dieses Wagnis einzugehen. Außerdem ist die Fahrt gebucht – es gibt kein Zurück mehr.

Also stoßen wir mit dem letzten Rest Rotwein auf einen „Buen Camino“ an und hoffen, dass unser Wunsch in Erfüllung geht.

Gemeinsam lesen wir noch in dem kleinen Heftchen Aufbruch, das wir von der Paderborner Jakobusgesellschaft erhalten haben.

Morgen breche ich auf,zum Jakobsweg breche ich auf.

Alle wünschen mir Glück.Alle freuen sich mit mir,sie beneiden mich gar.

Nur Du, Herr, weißt mehr.

Du kennst meine Angst,die Angst vor der Fremde,die Angst vor dem Weg,die Angst zu versagen,

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die Angst, nie anzukommenan meinem Ziel.

Dabei bist Du doch der Weg,dabei bist Du ja mein Ziel,

dabei bist Du meine Freude,dabei bist Du all mein Trost!Endlich kann ich mich freuenund Du freust Dich mit mir.

Das trifft sehr gut unsere eigenen Empfindungen. Hoffentlich kön nen wir heute Nacht gut schlafen.

Montag, 8.4.2013 Anreise mit dem Zug von zu Hause nach Bayonne

Die letzten Stunden daheim sind angebrochen. Im Flur stehen die Rucksäcke, dick und prall und schwer. Doch nach dreimaligem Ein- und Auspacken und „das ist zu viel, das ist zu schwer“ und „das fehlt noch“ und nach x-maligem Abhaken auf der Liste, um ja nichts zu vergessen, haben wir beschlossen: Jetzt ist es gut.

Noch ein Kontrollgang durch das Haus, danach bleibt uns nichts weiter übrig als auf den Pfarrer zu warten, der uns versprochen hat, um 14 Uhr zu kommen. Pünktlich auf die Minute erscheint Herr Barth und gibt uns den Pilgersegen.

Gott, Du hast Deinen Knecht Abrahamauf allen Wegen unversehrt behütet.

Du hast die Söhne Israelsauf trockenem Pfad mitten durch das Meer geführt.

Durch den Stern hast Du den Weisen aus demMorgenland den Weg zu Christus gezeigt.

Geleite auch Irene und Günther

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auf ihrer Pilgerfahrt zum heiligen Jakobus.Lass sie Deine Gegenwart erfahren,

mehre ihren Glauben,stärke ihre Hoffnung und erneuere ihre Liebe.

Schütze sie vor allen Gefahrenund bewahre sie vor jedem Unfall.

Führe sie glücklich ans Ziel ihrer Fahrt und lass siewieder unversehrt nach Hause zurückkehren.

Gewähre ihnen schließlich, dass sie sicher das Zielihrer irdischen Pilgerfahrt erreichen und das ewige

Heil erlangen. Durch Christus unsern Herrn. Amen

Dieser Segensspruch berührt mich so, dass mir Tränen in die Au-gen steigen. Es ist mir etwas peinlich, doch Herr Barth geht dis-kret darüber hinweg, nimmt uns in die Arme, drückt uns und wünscht uns viel Glück.

Und dann wird es ernst. Unsere Tochter und die Enkel bringen uns an den Bahnhof. Ich habe den Eindruck, unsere Enkel wissen nicht so recht, was sie von all dem halten sollen, was Oma und Opa da vorhaben. Es ist ein eigenartiges Gefühl, für so lange Zeit wegzugehen, ohne zu wissen, was uns erwartet. Dann kommt der Zug und plötzlich geht alles sehr schnell – Umarmungen, Küsse und gute Wünsche. Wir wuchten die Rucksäcke in ein Abteil, ein letztes Winken und danach geht es los.

Im Zug nach Offenburg lasse ich den Rucksack auf dem Rücken, da die Fahrt sehr kurz ist. Anschließend sitzen wir in der S-Bahn nach Straßburg. Weiter geht es mit dem TGV bis Paris. Durch den Frühbucherbonus ist die erste Klasse sogar etwas günstiger für uns als die zweite, was wir natürlich gerne in Anspruch nehmen. Es ist schon eine kuriose Situation, wir beide in Pilgerkleidung, Wander-schuhen und mit Rucksack und alle anderen im feinen Anzug oder im schicken Kostüm, ausgestattet mit Laptop und Handy. Um diesen Gegensatz noch zu vergrößern, packen wir unsere belegten Brote aus, lassen es uns schmecken und amüsieren uns köstlich.

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In Paris angekommen, sind wir mächtig beeindruckt von dem Ge wirr der vielen Gänge der Metro, den Menschenmengen, die da entlang strömen und laufend, schiebend und drängelnd versu-chen, möglichst schnell an ihr Ziel zu kommen. Gott sei Dank haben wir genug Zeit bis zur Abfahrt unseres nächsten Zuges. Außerdem hat uns ein guter Bekannter, der ein Jahr in Paris lebte, netterweise den Weg in einen Metroplan eingezeichnet. So stei-gen wir jetzt ganz gelassen in die Bahn ein, als ob wir diese Fahr-gelegenheit jeden Tag nutzen würden. Es herrscht ein entsetz-liches Gedränge und eine beängstigende Enge in dem Abteil. Un-sere großen Rucksäcke machen es uns nicht gerade einfach, einen einigermaßen bequemen Stehplatz zu ergattern. Mir fallen sämt-liche Horrorgeschichten ein, die uns von Diebstählen in der Met-ro erzählt wurden. Fest umklammere ich meinen Rucksack und lasse meine Augen unaufhörlich nach rechts und links schweifen, doch nur gelangweilte oder freundliche Gesichter sind um uns herum zu sehen. Nichts passiert, wir kommen gesund und mit vollständigem Gepäck im Bahnhof d’Austerlitz an.

Jetzt heißt es erst einmal warten. Wir sitzen bei einer Tasse Kaffee, bestaunen die riesige Bahnhofshalle und beobachten die Men-schen, die hin und her eilen. Endlich fährt der Nachtzug ein, der uns nach Bayonne bringen soll. Wir suchen unser Schlafwagen-abteil auf und sind entsetzt über die Enge darin. Es besteht nur aus einem schmalen Gang, rechts und links davon sind jeweils drei Betten übereinander. Der Platz ist so begrenzt, dass immer nur eine Person stehen kann und die anderen entweder sitzen oder liegen müssen. Zwei nette junge Spanier, die mit uns diese Luxussuite teilen, zeigen uns stolz auf ihrer Kamera Fotos von ihrer Heimat. Danach kommt noch ein junges amerikanisches Paar, das mehrere schwere Koffer in die oberste Etage wuchtet.

Der Zug fährt los und jeder versucht, sich in seinem Bett so be-quem wie möglich einzurichten. Für mich ist an Schlaf überhaupt nicht zu denken. Der Zug rüttelt und schüttelt, er rattert und knattert und gibt Geräusche von sich, die beängstigend klingen. Ich rutsche einmal mit dem Kopf voraus in die eine Richtung und

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dann wieder zum Fußende hin in die andere. Die Stunden ziehen sich quälend in die Länge, und es ist eine Horrorvorstellung für mich, dass diese Fahrt eine ganze Nacht dauern soll. Ich stehe auf, schlüpfe in meine Wanderschuhe und gehe in den Flur. Doch der Blick aus dem Fenster zeigt nur finstere Nacht, man kann draußen nichts erkennen. Plötzlich legt sich der Zug in eine Kur-ve, ich verliere das Gleichgewicht und donnere mit voller Wucht an eine Wand. Super – jetzt bekomme ich einen riesigen blauen Fleck am Oberarm. Ich habe genug von meinem Ausflug, kehre in das Abteil zurück und lege mich wieder auf das Bett.

Meine Gedanken schweifen voraus auf den Jakobsweg. Was kommt da auf uns zu? Was werden wir erleben? Und vor allem: Schaffen wir diesen langen Weg?

Der Zug rumpelt und schüttelt und legt sich wieder in eine Kurve. Da – ein entsetzlicher Knall lässt mich im Bett hochfahren. Mein Herz hämmert wie wild. Was ist passiert? Auch die anderen sind alle wach. Schnell knipst jemand das Licht an und da sehen wir die Bescherung. Einer der schweren Koffer aus dem obersten Bett war ins Rutschen gekommen und abgestürzt. Alle sind sich einig, dass wir riesiges Glück hatten, denn wenn einer seinen Kopf hin-ausgestreckt hätte als es passierte, wäre ein schlimmes Unglück geschehen.

Dienstag, 9.4.2013 Von St.-Jean-Pied-de-Port nach Valcarlos

Endlich: Am Morgen sind wir in Bayonne. Und gleich erwartet uns die nächste Überraschung – Zugführerstreik, der gebuchte Zug nach St.-Jean-Pied-de-Port fährt nicht. Was jetzt? Wir stehen ratlos herum, doch da kommt auch schon Hilfe anmarschiert in Gestalt von weiteren Pilgern, die leicht zu erkennen sind an ihren Rucksäcken und suchenden Blicken. In der Bahnhofshalle treffen

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wir aufeinander und plötzlich ist die Lösung ganz einfach, wir nehmen zusammen ein Taxi. Und so fahren wir fünf Pilger aus Südkorea, Schweden, Holland und Deutschland friedlich vereint nach St.-Jean-Pied-de-Port.

Im Pilgerbüro ist der Empfang sehr herzlich. Es tut gut, so etwas gleich am Anfang zu erleben. Wir werden in eine Liste eingetra-gen und unsere Pilgerpässe mit dem Startdatum versehen. Dann wird uns eröffnet, dass die Route Napoléon wegen zu viel Schnee gesperrt ist. Wir erhalten eine Karte, in der für uns die Alternativ-route über die Pyrenäen eingezeichnet wird. Da diese sehr lang und anstrengend ist, geben sie uns den Rat, unbedingt unterwegs zu übernachten. Alle wünschen uns mit „Buen Camino“ einen guten Weg.

Jetzt geht es richtig los. Inzwischen hat es angefangen zu regnen, aber das stört uns nicht.

Ein unbeschreibliches Gefühl macht sich in uns breit, als wir durch das Jakobstor gehen – der Beginn unserer großen Pilgerreise.

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Ab jetzt gelten die 10 Ge(h)bote für Pilger:

1. Geh! Es gibt fürs Pilgern kein besseres Fort-bewegungsmittel als das Gehen.

2. Geh langsam! Setze dich nicht unter unnötigen sportli-chen Leistungsdruck. Du kommst doch immer nur bei dir selbst an.

3. Geh leicht! Reduziere dein Gepäck auf das Nötigste. Es ist ein gutes Gefühl, mit wenig auszu-kommen.

4. Geh einfach! Einfachheit begünstigt spirituelle Erfah-rungen.

5. Geh alleine! Du kannst besser in dich gehen und offe-ner auf andere(s) zugehen.

6. Geh dankbar! Alles – auch das Mühsame – hat seinen tiefen Sinn. Vielleicht erkennst du diesen erst später.

7. Geh lange! Auf die Schnelle wirst du nichts verstehen. Erst wenn du wochenlang unterwegs bist, wirst du dem Geheimnis des Jakobsweges auf die Spur kommen.

8. Geh achtsam! Wenn du bewusst gehst, lernst du den Weg so anzunehmen, wie er ist.

9. Geh weiter! Auch wenn Krisen dich an deinem wun-den Punkt treffen, geh weiter. Vertraue darauf: Es geht, wenn man geht.

10. Geh mit Gott! Es pilgert sich leichter, wenn du im Na-men Gottes gehst. Wenn Gott für dich fern ist, können die Ge(h)bote 1–9 dir helfen, ihn in dir wiederzuentdecken.

Quelle: Elisabeth Alferink: Auf den Spuren des Jakobus. Mein spiritueller Wegbegleiter. Katholisches Bibelwerk, Stuttgart 2007.

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In unserer Euphorie stört es uns auch nicht, dass wir ein langes Stück auf der Straße gehen müssen. Über eine kaum befahrene Seitenstraße wandern wir durch eine schöne Landschaft. Das herrliche Vogelgezwitscher lässt uns den leichten Regen, der im-mer mal wieder einsetzt, vergessen.

Die steilen Auf- und Abstiege und der schwere Rucksack, den wir wegen der Nässe nicht mal absetzen können, zeigen uns immer wieder überdeutlich, dass wir gerade dabei sind, von Null (ohne Training) auf Hundert die Pyrenäen zu überqueren. Nach ca. 14 Kilometern bin ich am Ende meiner Kräfte. Das letzte, sehr steile Stück quäle ich mich regelrecht nach oben, ich schaffe es kaum noch. Was soll das noch werden? Das ist doch erst der Anfang.

Endlich ist der Ort Valcarlos, in dem die Herberge sein soll, in Sicht. Die Spannung steigt. Ich, die noch vor einem Jahr behaup-tete, nie in einer Herberge zu übernachten, werde jetzt gleich die erste Erfahrung damit machen. Die Tür ist verschlossen. Was nun? Auf unser Klopfen und Rufen öffnen schließlich zwei Pilger aus Bayern, die uns erklären, dass wir uns zwei Betten aussuchen sollen, am späten Abend käme jemand zum Kassieren. Der Schlaf raum mit ca. 20 Betten ist erstaunlich sauber und auch die sanitären Anlagen können sich sehen lassen. Meine Sagrotantü-cher bleiben deshalb im Rucksack und ich gehe erst mal unter die Dusche.

Und jetzt? Wohin mit den feuchten Handtüchern, den regennas-sen Jacken und Hosen und den anderen Klamotten? Wir haben ja keine Ahnung. Alles ist neu für uns. Mangels anderweitigen Platzes hängen wir sie an die Pfosten und Querstangen der Bet-ten. Nun versuchen wir, unsere Rucksäcke etwas aufzuräumen. Mein Gott, dieses Rascheln und Knistern, das jetzt einsetzt, wird uns wohl auf dem ganzen Jakobsweg begleiten, denn wir haben den gesamten Inhalt unserer Rucksäcke in Plastiktüten verpackt, um ihn vor Feuchtigkeit zu schützen. Nach einigen Versuchen schaffen wir es, ein bisschen Ordnung in das Chaos zu bringen.

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Da geht die Tür auf und vier Neuankömmlinge treten herein. Die sympathischen jungen Leute kommen aus Italien und Australien. Wir begrüßen sie nur kurz, denn wir sind hungrig und wollen deshalb schnell ins Dorf, um unser erstes Pilgermenü einzuneh-men. Das passende Lokal ist nicht so schnell zu finden, denn die meisten haben geschlossen. Wo sind wir denn da hingeraten? Der Magen hängt uns inzwischen an den Knien.

Endlich: Eine Bar, die ihr Pilgermenü auf einer Tafel anpreist und die, welch ein Glück, offen hat. Das Angebot klingt vielverspre-chend. Das Essen für 10 Euro pro Person ist erstaunlich gut und wir dürfen zwischen drei Vorspeisen, drei Hauptgerichten und drei Desserts wählen. Dazu gibt es für beide zusammen eine Fla-sche Wein und Brot. Gestärkt, aber inzwischen todmüde, machen wir uns auf den Rückweg. Unterwegs besorgen wir uns noch ein Baguette für das Frühstück.

Als wir die Küche der Herberge betreten, trauen wir unseren Au-gen nicht. Da sitzen die beiden jungen Paare am Tisch und so unglaublich es klingt, der Italiener macht Musik auf einer klei-nen Gitarre, die er offensichtlich auf dem Weg mit sich trägt. Noch erstaunlicher ist, dass er virtuos klassischen Flamenco spielt. Sofort sind wir wieder hellwach, setzen uns dazu und ge-nießen diesen wunderschönen Abschluss unseres ersten Pilger-tages. Als sie erfahren, dass auch wir Gitarre spielen können, be-kommen wir sofort das Instrument in die Hand gedrückt. Und nun musizieren und singen wir im Wechsel mit den anderen. Als ich das Lied „The Rose“ anstimme, steht plötzlich der junge Aus-tralier hinter mir, schaut über meine Schultern auf das Liedblatt und singt mit. Es ist unbeschreiblich schön und ein toller Anfang unserer Pilgerreise.

Die erste Etappe haben wir geschafft. Mit dem Gedanken, dass es nicht nur ein großes Ziel gibt, sondern dass man jeden Tag irgend-wo ankommt, gehen wir zu später Stunde ins Bett.

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