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ISBN Print: 9783525351222 — ISBN E-Book: 9783647351223 · 2016. 10. 18. · Analysen und Dokumente Band 47 Wissenschaftliche Reihe des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des

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  • ISBN Print: 9783525351222 — ISBN E-Book: 9783647351223© 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen

  • Analysen und Dokumente

    Band 47

    Wissenschaftliche Reihe des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen

    Deutschen Demokratischen Republik (BStU)

    Vandenhoeck & Ruprecht

    ISBN Print: 9783525351222 — ISBN E-Book: 9783647351223© 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen

  • Vandenhoeck & Ruprecht

    Georg Herbstritt

    Entzweite FreundeRumänien, die Securitate und

    die DDR-Staatssicherheit 1950 bis 1989

    ISBN Print: 9783525351222 — ISBN E-Book: 9783647351223© 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen

  • Mit 32 Abbildungen und 11 Tabellen

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind

    im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    ISSN 2197-1064SBN 978-3-647-35122-3

    Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de

    © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen /

    Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U. S. A. www.v-r.de

    Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen

    bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

    Umschlagabbildung:Flugblatt, das Mitte November 1988 in Ostberlin während Ceaușescus Staatsbesuch in der DDR verbreitet wurde. Das MfS sammelte in kürzester Zeit 51 Exemplare davon ein. Her-

    gestellt und verbreitet hatte das Flugblatt Jens Jarkowski, ein Ostberliner Fernmeldemonteur.Quelle: BStU, MfS, BV Berlin, Abt. XX, Nr. 3792, Bl. 145

    ISBN Print: 9783525351222 — ISBN E-Book: 9783647351223© 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen

  • Inhalt

    Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

    Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

    Fragestellung und Quellenbasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

    1. »Bruderorgane«: die Zusammenarbeit zwischen Stasi und Securitate . . . 25

    1.1 Anfänge: Die Securitate etabliert sich in Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . 25

    1.2 Die geheimdienstliche Zusammenarbeit gegen die rumänische Emigration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411.2.1 Die »Balkan-Akte« des MfS: eine Dokumentation

    der Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .411.2.2 Eine Reaktion auf den Ungarnaufstand 1956: MfS

    und Securitate bekämpfen die rumänische Emigra-tion intensiver . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

    1.2.3 Die Securitate sucht Spuren ehemals internierter Legionäre auf dem Gebiet der DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

    1.2.4 Die geplante Entführung des ehemaligen Legio-närskommandanten Ilie Gârneaţă aus München . . . . . . . 54

    1.2.5 Entführung oder Anwerbung und die Ratschläge des KGB: ein Westberliner Polizist im Visier von Securitate und MfS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

    1.2.5.1 Die Bearbeitung eines Westberliner Polizisten von 1955 bis 1959 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

    1.2.5.2 Die Securitate lässt das MfS im Unklaren: der ver-meintliche Überläufer Gheorghe Mandache alias Rudolf Baumann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

    1.3 Die »Rumänische Kolonie Berlin« und die gemeinsamen Menschenraubaktionen von Securitate und MfS in den 1950er-Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 661.3.1 Die »Rumänische Kolonie Berlin« im Visier von

    Securitate und MfS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66

    ISBN Print: 9783525351222 — ISBN E-Book: 9783647351223© 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen

  • Inhalt6

    1.3.2 Die Entführung des Emigranten Vergiliu Eftimie in Berlin, Herbst 1956 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71

    1.3.3 Theodor Bucur und Petre Tonegaru: Ein Informant wird entführt, ein Informant wird geschont, Früh-jahr 1953 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75

    1.3.4 Ungeklärte Entführungsfälle in Berlin 1950/51: Eugen Luca (alias Panaitescu) und Eugen Bisoc . . . . . . . . 84

    1.3.5 Ein Mitglied der »Rumänischen Kolonie« in DDR-Haft und als Händler zwischen West und Ost . . . . . . . . . 87

    1.3.6 »Gerda«: von der Hermannstädter Metzgerei-Ver-käuferin zum Securitate-Lockvogel in Berlin . . . . . . . . . . 88

    1.3.7 MfS-Informanten in der »Rumänischen Kolonie« . . . . . . 931.3.8 Eine Rufmordkampagne gegen den Vorsitzenden

    der »Rumänischen Kolonie« 1956/57 . . . . . . . . . . . . . . . . 971.3.9 »Gerda« und die Entführung des Legionärs Traian

    Puiu, Januar 1958 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 981.3.10 Von der Waffen-SS zur Securitate: »Gerhard« und

    »Gerda« und die Entführung des Emigranten Oliviu Beldeanu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99

    1.3.11 »Gerda« in den Fängen der amerikanischen Spionageabwehr, Herbst 1958 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

    1.4 Rumänische Emigranten werden in Berlin auch ohne MfS-Beteiligung entführt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110

    1.5 Zwischenbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113

    1.6 Rumäniendeutsche Verbände in Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114

    1.7 Der Kronstädter Schriftstellerprozess 1959 in den Akten des MfS 117

    1.8 Probleme, Spannungen und Grenzen in der geheimdienstlichen Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124

    2. Unterbrechung der Zusammenarbeit und Versuche der Wiederannä-herung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127

    2.1 1964 – Die Zusammenarbeit wird unterbrochen . . . . . . . . . . . . . 127

    2.2 Die rumänische Autonomiepolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1332.2.1 Die April-Deklaration 1964 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1342.2.2 Zum Rückzug der sowjetischen Truppen 1958 . . . . . . . . 138

    ISBN Print: 9783525351222 — ISBN E-Book: 9783647351223© 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen

  • Inhalt 7

    2.2.3 SED-Kritik an rumänischen Sonderpositionen, 1963 . . . 1432.2.4 Rumänische Alleingänge 1965 bis 1969 und zuneh-

    mende Differenzen zwischen Rumänien und der DDR . 1502.2.5 Eine Zwischenbilanz des MfS: die Lageanalyse zu

    Rumänien 1969 und Vergleiche mit Polen und Ungarn . 1602.2.6 Sowjetische Einmarschpläne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1652.2.7 Strategie: Rumänien trotz allem einbinden . . . . . . . . . . . 167

    2.3 Abgrenzung und Wiederannäherung zwischen Securitate und MfS, 1964 bis 1973 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1722.3.1 Wechselhaft: der Austausch geheimdienstlicher

    Informationen 1964 bis 1973 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1732.3.2 Unergiebig: die Zusammenarbeit im Bereich der

    operativen Technik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1782.3.3 Beständige Kontakte:

    eine Chronik der Zusammenarbeit aus Sicht der Securitate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181

    2.3.4 MfS-Maßnahmen gegen Rumänien, 1968 . . . . . . . . . . 1822.3.5 Spionageabwehr Ost:

    die Anti-KGB-Abteilung der Securitate, 1968/69 . . . . . . 1842.3.6 Die Securitate-Führung gibt sich kooperationsbe-

    reit: Einladungen an Erich Mielke und der Überra-schungsbesuch von Spionagechef Nicolae Doicaru in Ostberlin, 1971 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186

    2.3.7 Letzte Kooperationsangebote aus Bukarest, 1972 bis 1973 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194

    2.3.7.1 Das MfS wahrt Distanz gegenüber den Offerten der Securitate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194

    2.3.7.2 Noch einmal gemeinsam: Aktionen gegen westdeutsche Fluchthelfer, Septem-ber 1973 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196

    2.3.8 Multilaterale Aspekte: die Beziehungen der Securi-tate zu anderen sozialistischen Geheimdiensten . . . . . . . 201

    2.3.9 Zwischenbetrachtung: kein »Eiserner Vorhang«, aber kaum Kontakte und keine regulären Arbeitsbe-ziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207

    2.4 Die geheimdienstlichen Beziehungen in den 1970er- und 1980er-Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2092.4.1 Glückwunschtelegramme dokumentieren Distanz . . . . . 2092.4.2 Die geheimen Regierungsfernschreibverbindungen . . . . 2112.4.3 Staatsbesuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213

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  • Inhalt8

    2.4.4 Rüstungsimporte aus Rumänien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2152.4.5 Dienstreisen: nur wenige MfS-Mitarbeiter reisen

    nach Rumänien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2162.4.6 Ansprechpartner des MfS in der rumänischen Bot-

    schaft in Ostberlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2182.4.7 Zwischenbetrachtung: Die Securitate mutiert aus

    MfS-Perspektive zum Außenseiter . . . . . . . . . . . . . . . . . 2192.4.8 Ausdrückliche Belege für nicht mehr existierende

    Arbeitsbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2212.4.9 Außenseiter MfS: der geheimdienstliche Urlauber-

    austausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2262.4.10 Die sozialistischen Geheimdienste und der

    Top-Terrorist Carlos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2272.4.11 Fluchthilfe und Schmuggel:

    die (Parallel-)Vorgänge »Emigrant« und »Detectivul« . . . 233

    2.5 MfS-Chef Mielke berät sich mit der KGB-Führung . . . . . . . . . . . 238

    2.6 Die politische Wiederannäherung Rumäniens und der DDR in den 1980er-Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244

    2.7 Die Zusammenarbeit anderer Sicherheitsbehörden Rumäniens und der DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248

    3. Ein feindliches Bruderland: Das MfS in Rumänien seit 1968 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253

    3.1 Die DDR-Botschaft in Bukarest als Spionagestützpunkt des MfS seit 1968/69. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253

    3.2 Die deutsche Minderheit in Rumänien: Nutzen und Ärgernis für das MfS. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2693.2.1 Die deutsch-deutsche Konkurrenz in Rumänien . . . . . . .2693.2.2 Nützlich für das MfS:

    die Spitzenfunktionäre der deutschen Minderheit . . . . . 2773.2.3 Ein Ärgernis für das MfS: rumäniendeutsche

    Schriftsteller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2903.2.3.1 Junge Schriftsteller als »reaktionäre Gruppe«:

    Klausenburg (Cluj), 1972 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2903.2.3.2 Das MfS beargwöhnt Schriftstellerkontakte zwi-

    schen der DDR und Rumänien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299

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  • Inhalt 9

    3.2.3.3 Temeswar (Timișoara) 1982: die deutschsprachige Literaturszene im Banat aus einer MfS-Perspektive . . . . 304

    3.2.3.4 Zwischenbetrachtung: Das MfS beobachtet, greift in Rumänien aber nicht ein . 322

    3.3 DDR-Bürger in Rumänien: Touristen, Studenten, Flüchtlinge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3233.3.1 Tourismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3233.3.2 Studenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3343.3.3 Flucht über Rumänien in den Westen . . . . . . . . . . . . . . 3373.3.3.1 Die Folgen ausbleibender Kooperation:

    DDR-Flüchtlinge werden doppelt verurteilt, das MfS beklagt Überwachungslücken . . . . . . . . . . . . . . 340

    3.3.3.2 Doppelt verurteilte Flüchtlinge und die Argumente der DDR-Justiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347

    3.3.3.3 Die Überwachung funktioniert auch ohne direkte Beteiligung des MfS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352

    3.3.3.4 Hafterfahrungen und Misshandlung von Flüchtlingen . 3563.3.3.5 Flucht über Rumänien: statistische Übersicht . . . . . . . . . 3593.3.3.6 Fluchtwege und Fluchtmotive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3643.3.3.7 Das MfS kontrolliert die rumänische Grenzsicherung . . 3723.3.3.8 DDR-Flüchtlinge sterben an der rumänischen Grenze . . 3773.3.3.9 Exkurs:

    Flucht und Ausreise aus rumänischer Perspektive . . . . . 380

    4. Der wirtschaftliche Niedergang Rumäniens in den 1980er-Jahren und die Reaktionen des MfS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409

    4.1 1983 – Das MfS und seine Verbündeten sammeln verstärkt Informationen aus Rumänien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409

    4.2 IM-Berichte aus Rumänien: Alltagsinformationen und Kolportagen, Hungerrevolten und Putschversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413

    4.3 Opposition und Widerstand in Rumänien in den MfS-Akten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421

    4.4 HVA- und CIA-Analysen über Rumänien 1982/83 . . . . . . . . . . . 432

    4.5 Der rumänische Sonderweg aus einer sowjetischen Perspektive . . 434

    ISBN Print: 9783525351222 — ISBN E-Book: 9783647351223© 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen

  • Inhalt10

    4.6 Der Ostblock in der Krise: die monatlichen Lageberichte des MfS über Rumänien und andere verbündete Länder seit 1984 . . . . . . . 437

    4.7 Der Arbeiteraufstand in Kronstadt (Brașov) 1987 . . . . . . . . . . . . . 440

    4.8 Die Krise in Rumänien wirkt auf die DDR zurück . . . . . . . . . . . . 4424.8.1 Anti-Ceaușescu-Proteste in der DDR . . . . . . . . . . . . . . . .4424.8.2 Verbot rumänischer Zeitschriften in der DDR . . . . . . . . 4534.8.3 Das MfS bemüht sich, internationale kirchliche

    Proteste gegen das Ceaușescu-Regime zu unterbinden . . 454

    5. Im Visier des MfS: Rumänen in der DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457

    5.1 Rumänische Einrichtungen in der DDR werden überwacht . . . . . 457

    5.2 Händler und Reisende oder Schmuggler und Spione? . . . . . . . . . . 463

    5.3 Fluchtversuche von Rumänien über die DDR in den Westen . . . . 467

    5.4 Rumäniendeutsche wollen in die DDR übersiedeln . . . . . . . . . . . 471

    5.5 Rauschgiftschmuggel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473

    6. Nur eine Randerscheinung für das MfS? Emigranten und Ausgewan-derte aus Rumänien in den 1970er- und 1980er-Jahren und die »Westarbeit« der Securitate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475

    6.1 Über Jahrzehnte im Blick der Geheimdienste: der Emigrant Vasile C. Dumitrescu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476

    6.2 Die jüngere rumänische Emigration, 1970er- und 1980er-Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481

    6.3 Die Flucht des Securitate-Generals Ion Mihai Pacepa in den Westen, 1978 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483

    6.4 Rumäniendeutsche Landsmannschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484

    6.5 Von Temeswar (Timișoara) nach Berlin: das MfS und die ausgewanderten rumäniendeutschen Schriftsteller, 1986 bis 1989 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487

    ISBN Print: 9783525351222 — ISBN E-Book: 9783647351223© 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen

  • Inhalt 11

    6.6 Exkurs: die Westarbeit der Securitate in den Jahresberichten des Bundesamtes für Verfassungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495

    7. Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499

    Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505

    Dokumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507

    Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529

    Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533Quellen- und Dokumenteneditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533Lexika, Nachschlagewerke, Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536

    Organisationsstrukturen von Securitate und MfS und Anmerkungen zu übersetzten Begriffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557Zuständigkeiten der Securitate- und MfS-Abteilungen . . . . . . . . . 561

    Zur Schreibweise von Ortsnamen in Rumänien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565

    Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 567

    Decknamenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575

    Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577

    Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 579

    Angaben zum Autor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 580

    Quellen der Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 581

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  • Vorwort

    Im November 2005 stellten wir auf der Bukarester Buchmesse unser Buch »Stasi și Securitatea« (»Stasi und Securitate«) vor. Es ging ebenso wie das hier vorliegende Buch den wechselhaften Beziehungen der Staatssicherheitsdienste Rumäniens und der DDR nach, und es fragte ebenso nach den Folgen der geheimdienstlichen Tätigkeit für die betroffenen Menschen. Für unsere For-schungsarbeit standen uns zu jener Zeit aber nur Dokumente aus der Berliner Stasi-Unterlagen-Behörde zur Verfügung. In Rumänien existiert zwar seit 1999 eine vergleichbare Einrichtung: der Landesrat für das Studium der Securitate- Archive (CNSAS). Der Landesrat verfügte damals jedoch nicht selbst über die Securitate-Akten, denn diese verblieben bei den Nachfolgern der Securitate, dem Inlandsgeheimdienst SRI und dem Auslandsnachrichtendienst SIE. Ging beim Landesrat ein Antrag auf Akteneinsicht ein, fragte dieser bei den beiden Diensten nach, ob dort entsprechende Unterlagen vorhanden seien. Der rumä-nische Autor, Stejărel Olaru, beantragte im August 2002 beim CNSAS Einsicht in sämtliche Unterlagen, die gemeinsame Aktivitäten zwischen Securitate und Stasi in den Jahren 1948 bis 1989 dokumentieren. Die Antwort des CNSAS er-folgte immerhin schon nach zwei Monaten und war nicht überraschend. Der Inlandsgeheimdienst SRI ließ ausrichten, er habe keine Akten zu dieser Thema-tik gefunden, während sich der Auslandsnachrichtendienst SIE auf die Bemer-kung beschränkte, der Antrag überschreite den Rahmen des Aktenöffnungs-gesetzes von 1999.

    Da wir aufgrund dieser Mitteilungen ohne Dokumente aus dem Securitate- Archiv auskommen mussten, befanden wir uns in der für einen Forscher uner-freulichen und unbefriedigenden Situation, das Verhältnis zwischen Stasi und Securitate sowie deren Zusammenarbeit nur aus der deutschen Perspektive be-trachten zu können. Das bedeutete naturgemäß, dass wir damals nur ein lücken-haftes Bild zeichnen konnten. Einige Aspekte fehlten oder waren fehlerbehaftet. Somit blieb unsere Arbeit unvollständig.

    In dem Buch »Stasi și Securitatea« konnten wir gleichwohl zeigen, dass die beiden Staatssicherheitsdienste insbesondere bis 1964 selbstverständlich zusam-menarbeiteten. Wir formulierten mit unserem Buch deshalb auch den Appell, die Securitate-Akten zugänglich zu machen. 2006 kam tatsächlich Bewegung in diese Angelegenheit. Die Securitate-Unterlagen wurden zum größten Teil dem CNSAS übergeben, wo sie inzwischen regulär eingesehen werden können.

    Ursprünglich beabsichtigten wir, das Buch »Stasi și Securitatea« einfach ins Deutsche zu übertragen. Doch vor dem Hintergrund der faktischen Aktenöff-nung in Rumänien seit 2006 schien es uns geboten, das Thema noch einmal neu

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  • Vorwort14

    anzugehen und die nun zugänglichen Securitate-Akten mit einzubeziehen, was mit einiger Verzögerung dann auch geschehen ist. Das Ergebnis liegt mit diesem Buch vor. Die vorliegende Fassung hat der deutsche Autor, Georg Herbstritt, er-arbeitet. Von unserem Selbstverständnis her bleibt es trotzdem ein grenzüber-schreitendes Gemeinschaftsprojekt. Die Inspiration dazu kam aus Bukarest, und es ist getragen von der Idee, dass der Blick des jeweils anderen die eigene Perspektive erweitert.

    Stejărel Olaru, Georg Herbstritt

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  • Einleitung

    Am 15. Dezember 1989 protestierte in der westrumänischen Stadt Temeswar (Timișoara) eine kleine Gruppe von Menschen gegen die angedrohte Zwangs-versetzung des reformierten Pastors László Tőkés in ein nordsiebenbürgisches Dorf. Innerhalb weniger Tage erwuchs daraus ein landesweiter antikommu-nistischer Aufstand gegen die verhasste Ceaușescu-Diktatur. Am 22. Dezem-ber 1989 mussten Elena und Nicolae Ceaușescu aus Bukarest fliehen. Drei Tage später wurde das Diktatoren-Ehepaar hingerichtet. Berichte über viele Tausend Tote schockierten die Öffentlichkeit in Rumänien und in ganz Europa. Vor al-lem der rumänische Geheimdienst Securitate wurde in den Medien für die ge-meldeten Massaker verantwortlich gemacht. In der DDR kam es wie in ande-ren Ländern zu Sympathiekundgebungen für die Aufständischen in Rumänien. Gleichzeitig wurde in der DDR die eigene Geheimpolizei, das Ministerium für Staatssicherheit (»Stasi«) von vielen Menschen immer häufiger in einem Atem-zug mit der Securitate genannt.

    In dieser Situation sah sich das Ministerium für Staatssicherheit, das sich in-zwischen »Verfassungsschutz der DDR« nannte, veranlasst, sich in einer Presse-mitteilung am 23. Dezember 1989 in aller Form von der Securitate zu distan-zieren:

    Pressestelle des Verfassungsschutzes23.12.1989Im Namen der mit der Bildung des Auslandsnachrichtendienstes und des Verfas-sungsschutzes der DDR beauftragten Angehörigen gab am Abend ein Sprecher fol-gende Erklärung ab.Die Angehörigen beider im Aufbau befindlicher Dienste distanzieren sich auf das entschiedenste von den Verbrechen der gegen das rumänische Volk vorgehenden Einheiten des dortigen Geheimdienstes. Sie versichern dem rumänischen Volk und den auf seiner Seite kämpfenden bewaffneten Kräften ihre volle Solidarität. Mit ei-ner Spende aus dem Solidaritätsaufkommen von 500 Tausend Mark auf das Konto 444 werden sie sich an der Hilfeleistung für Rumänien beteiligen.Weder das ehemalige Ministerium für Staatssicherheit noch das aufgelöste Amt für Nationale Sicherheit haben jemals Beziehungen zum rumänischen Geheimdienst Securitate unterhalten. Sie haben mit diesem Organ niemals zusammengearbeitet.1

    1 BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 8407, Bl. 2. Diese Pressemitteilung wurde im »Neuen Deutsch-land«, der maßgeblichen Zeitung in der DDR, am 28.12.1989, S. 2, fast wörtlich so veröffent-licht. Bei der Kontonummer 444 handelte es sich um ein allgemein bekanntes Spendenkonto in der DDR, auf das jedermann zugunsten verschiedenster Hilfsprojekte einzahlen konnte. In den MfS-Finanzunterlagen ist für den Zeitraum vom 12. bis 16.1.1990 tatsächlich eine Über-

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  • Einleitung16

    Die DDR-Geheimpolizei hatte zu diesem Zeitpunkt genug eigene Probleme und konnte nicht daran interessiert sein, auch noch mit den Schreckensmeldun-gen über die Securitate in einen Zusammenhang gebracht zu werden. Ebenso musste sie sich seit Anfang Dezember 1989 gegen Gerüchte verwahren, sie würde geheime Unterlagen nach Rumänien ausfliegen.2

    weisung in Höhe von 500 000 Mark auf das Konto 444 zugunsten Rumäniens ausgewiesen. BStU, MfS, Abt. Finanzen, Nr. 682, Bl. 33 f. Bei wem der Betrag letztlich ankam, wäre noch zu untersuchen. Eine namentliche Auflistung einzelner MfS-Mitarbeiter, die damals Geld für Rumänien spendeten, in: BStU, MfS, HA II, Nr. 41989, Bl. 64 und HA III, Nr. 176, Bl. 19. Eine knappe, zuverlässige Übersicht über die damaligen Ereignisse in Rumänien und die spä-teren Deutungsmuster bietet Grosescu: Interpretationen der rumänischen Dezemberereignisse, S. 123–136. Während des Umsturzes in Rumänien kamen 1 104 Menschen ums Leben, und zwar wurden 162 Menschen bis zum Sturz Ceaușescus am 22.12.1989 getötet, 942 hingegen erst in den Tagen danach. Siehe ebenda, S. 128. Siehe auch die zuverlässige Chronologie von Ur-sprung: Die rumänische Revolution. – In der vorliegenden Studie werden die Eigenbezeichnung »MfS« und das umgangssprachliche Wort »Stasi« synonym benutzt. Der Begriff »Staatssicher-heitsdienst« wird verwendet, wenn der geheimpolizeiliche Charakter des MfS im Vordergrund steht, während der umfassendere, allgemeine Begriff »Geheimdienst« vor allem dann gebraucht wird, wenn es um allgemeinere Aspekte geht. »Nachrichtendienst« bzw. »Auslandsnachrichten-dienst« bezieht sich auf die Tätigkeit von Auslandsspionage.

    2 Anfang Dezember 1989 kursierte in der Öffentlichkeit eine Meldung, wonach Stasi-Ak-ten vom DDR-Flughafen Berlin-Schönefeld nach Rumänien ausgeflogen würden. Wie kam diese Meldung zustande? Eine mögliche, plausible Erklärung findet sich in der Erinnerung des Thüringer Theologen Ehrhart Neubert. Neubert gehörte 1989 in Ostberlin zu den Mitbegrün-dern des »Demokratischen Aufbruchs«. Dem Autor des vorliegenden Buches schrieb Ehrhart Neubert am 7. Oktober 2010 auf diese Frage Folgendes: »Lieber Herr Herbstritt, ja ich war der erste, der das ›Gerücht‹ öffentlich gemacht hat. Das ist auch bei Christoph Links in ›Chronik der Wende‹ (welche Ausgabe weiß ich nicht mehr) abgedruckt worden. Das Datum lässt sich dort nachlesen. Dem Gerücht lag Folgendes zugrunde. An einem Abend besuchte mich ein Herr in der Torstraße, der sich als Mitarbeiter der Interflug auf dem Flughafen Schönefeld vorstellte. Mir erschien dies glaubhaft, weil er viele Details zu erzählen hatte, die mit der Interflug und de-ren damaligen Zustand zu tun hatten. Er berichtete, dass vom Flughafen wiederholt einige Ma-schinen nach Rumänien gestartet seien. Diese Maschinen wären nicht ordentlich im üblichen Verfahren abgefertigt und registriert worden. Das Personal, das das Flugzeug mit verschiedenen Kisten und Kästen beladen hätte, wäre nicht das ihm teilweise bekannte Personal gewesen. Er vermutete, dass in der Fracht Akten gewesen wären, da offenbar eine Kiste (o. Ä.) aufgegangen sei und herausgefallenes Papier hastig wieder eingesammelt wurde. Auch hätte ihm ein Fahrer des Ladeguts gesagt, dass die Genossen Stasiakten wegbringen würden. Der Mann wollte auf keinen Fall mit Namen in der Öffentlichkeit genannt werden, weil er fürchtete, verfolgt zu wer-den. Er bat mich flehentlich um Diskretion. Ich kann mich an den aufgeregten Menschen gut erinnern, einen Namen weiß ich nicht mehr. Die Interflug hat offiziell die Angelegenheit nach meiner Veröffentlichung dementiert. Klar. Mir erschien dies damals glaubhaft, da uns bekannt war, dass das MfS sich über die Akten hermachte. Offenbar, so glaubte ich damals, gab es auch Erhaltenswertes, denn noch stand nicht fest, dass das MfS völlig aufgerieben werden würde usw. Immerhin herrschten in Rumänien noch die befreundeten Kommunisten. Außerdem hatte m.E.n. die Stasi an einer solchen Desinformation kein Interesse, da es die Leute nur noch mehr aufgebracht hätte. Außerdem wurden mir im Demokratischen Aufbruch viele solche Gerüchte zugetragen, die zum Teil auch stimmten. Heute bin ich mir nicht mehr so sicher wie damals.

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  • Einleitung 17

    Für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) stand die eigene Fortexistenz auf dem Spiel. Am 7. November 1989 musste Erich Mielke zurücktreten, der seit 1957 das Ministerium für Staatssicherheit als Minister geleitet hatte. Am 4. De-zember 1989 begannen DDR-Bürger damit, die Stasi-Bezirksverwaltungen zu besetzen und Akten zu beschlagnahmen. Das Ministerium für Staatssicherheit versuchte, durch Umbenennungen und Umstrukturierungen seine finstere Ver-gangenheit loszuwerden. Die letzte sozialistische DDR-Regierung beschloss am 14. Dezember, das MfS, das sich zu diesem Zeitpunkt »Amt für Nationale Si-cherheit« nannte, in einen Inlandsgeheimdienst und einen Auslandsnachrich-tendienst zu zerlegen und damit das westdeutsche Modell nachzuahmen. Der DDR-Inlandsgeheimdienst nannte sich fortan »Verfassungsschutz« und trug da-mit den gleichen Namen wie der westdeutsche Inlandsgeheimdienst, der indes mit der DDR-Geheimpolizei nicht zu vergleichen war. Es handelte sich also um einen Etikettenschwindel.

    In der Pressemitteilung vom 23. Dezember 1989 versteckte sich das MfS be-reits hinter dem vermeintlich besser klingenden Namen »Verfassungsschutz«. Doch nicht nur darin bestand die Desinformation. Geheuchelt war auch die Solidarität mit den Aufständischen, denn in der DDR gehörte das MfS nicht zu den Unterstützern der Demokratiebewegung und der friedlichen Revolution. Auch die Aussage, nie mit der Securitate zusammengearbeitet zu haben, ent-sprach nicht der Wahrheit. Es ist bemerkenswert, dass frühere MfS-Mitarbeiter in ihren Veröffentlichungen auch noch 20 Jahre nach dem Untergang der DDR an dieser Falschbehauptung festhielten.3

    Die damalige Pressemitteilung wurde auch im englischsprachigen Raum un-kritisch aufgegriffen und als vermeintlicher Beleg für die isolierte Stellung der Securitate weiterverbreitet.4 Ihr Inhalt war gleichwohl nicht gänzlich aus der Luft gegriffen, denn die Securitate befand sich seit Mitte der 1960er-Jahre tat-

    Aber nachprüfenswert (in Rumänien) wäre die Sache schon. Obgleich ich den rumänischen Organen absolut misstraue.« In die Öffentlichkeit gelangte das Gerücht konkret dadurch, dass Ehrhart Neubert noch am selben Abend, als er von den vermeintlichen Vorgängen am Flug-hafen Schönefeld erfuhr, ein Rundfunkinterview gab, in dem er darüber erzählte. Schriftliche Mitteilung Ehrhart Neuberts an den Verfasser vom 23.4.2015. – Neubert nimmt oben Bezug auf Bahrmann; Links: Chronik der Wende, S.113. Das Gerücht kam demnach am 4.12.1989 auf, allerdings schreiben Bahrmann/Links von Akten des Zentralkomitees der SED, die angeb-lich nach Rumänien ausgeflogen werden sollten, nicht von Stasi-Akten. Die [Ost-]»Berliner Zei-tung« berichtete am 5.12.1989 ebenfalls von Vermutungen, es würden SED-Akten nach Rumä-nien ausgeflogen. Die DDR-Tageszeitung »Neue Zeit«, S. 2, schrieb unspezifischer einfach von »Aktenmaterial und anderen Gütern«.

    3 So schreiben ehemalige führende MfS-Hauptamtliche in ihrem Standardwerk »Die Si-cherheit«: »Keine Zusammenarbeit gab es mit den Sicherheitsorganen Chinas, Rumäniens und Albaniens.« In: Grimmer u. a. (Hg.): Die Sicherheit, Bd. 1, S. 107. Dass. in: Großmann; Schwa-nitz (Hg.): Fragen an das MfS, S. 96.

    4 Burke: Romanian and Soviet Intelligence in the December Revolution, S. 27.

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  • Einleitung18

    sächlich in einer Sonderposition unter den osteuropäischen5 Geheimdiensten. Rumänien schlug damals einen politischen Sonderweg ein und scherte immer wieder aus dem östlichen Bündnissystem aus, indem es verstärkt mit westlichen und blockfreien Staaten kooperierte und sich dem sowjetischen Rivalen China annäherte. All das wirkte sich auch auf die Geheimdienste aus. Während die übrigen osteuropäischen Geheimdienste seit der Wende von den 1960er- zu den 1970er-Jahren begannen, ihre Zusammenarbeit zu intensivieren, blieb die Se-curitate nun meistens außen vor. Die rege Zusammenarbeit zwischen Stasi und Securitate in den 1950er- und frühen 1960er-Jahren reduzierte sich in der Fol-gezeit auf wenige und überwiegend formale Verbindungen. Aus der Perspektive des Ministeriums für Staatssicherheit mutierte Rumänien in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre vom zuverlässigen Verbündeten zu einem potenziell feindli-chen Bruderland. An die Stelle regulärer Zusammenarbeit beider Staatssicher-heitsdienste traten Distanzierung und gegenseitige Beobachtung.

    5 Mit »osteuropäisch« werden in diesem Buch die europäischen Länder innerhalb des so-wjetischen Machtbereichs bezeichnet. Es handelt sich um eine politische Zuordnung für die Zeit des Kalten Krieges.

    Abb. 1: Erstürmung der MfS-Zentrale in der Berliner Normannenstraße (hier: Haus 18) am 15.1.1990. Die Proteste richteten sich auch gegen die Securitate.

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  • Einleitung 19

    Fragestellung und Quellenbasis

    Das vorliegende Buch geht vor dem Hintergrund der skizzierten Entwicklung im Wesentlichen zwei Fragen nach. Zum einen erkundet es, wie sich die Bezie-hungen zwischen Stasi und Securitate in den rund vier Jahrzehnten ihrer Exis-tenz gestalteten: Wie entwickelte sich die Zusammenarbeit der beiden Staats-sicherheitsdienste, welche Ziele verfolgte sie, weshalb kam sie im Laufe der 1960er-Jahre weitgehend zum Erliegen, und wie kompensierte das MfS daraus resultierende Überwachungslücken? Zum anderen untersucht es, inwieweit sich das MfS mit Ereignissen und Entwicklungen in Rumänien sowie mit den Men-schen, die dort lebten, von dort stammten oder dorthin reisten, befasste: Je deut-licher sich die rumänische Autonomiepolitik in den 1960er-Jahren herausbil-dete, desto mehr begriff das MfS Rumänien als einen Problemfall und reagierte auf seine Weise darauf. Es baute inoffizielle Informationskanäle auf, verfasste Analysen und Berichte über die Lage im Land und versuchte auf seine Weise, die Auswirkungen des rumänischen Sonderweges einzudämmen.

    Somit zeichnen sich drei Phasen in den bilateralen Beziehungen ab. In den 1950er- und frühen 1960er-Jahren kooperierten beide Staatssicherheitsdienste wie selbstverständlich miteinander. Als die Rumänische Arbeiterpartei im April 1964 in einer öffentlichen Erklärung ihren Anspruch auf einen nationalen Son-derweg verkündete, vollzog die Securitate diesen Schritt mit und setzte die Zu-sammenarbeit mit den Verbündeten weitgehend aus. Die nun folgende zweite Phase von 1964 bis 1973 ist geprägt von Versuchen der Wiederannäherung und anhaltender Distanzierung. Nach 1973 ist in den bislang durchgesehenen Akten keine reguläre Zusammenarbeit mehr dokumentiert. Bereits Ende der 1960er-Jahre setzt eine dritte Phase ein, in der beide Geheimdienste auch Stellung ge-geneinander beziehen. Das findet seinen Ausdruck beispielsweise darin, dass die Securitate nun eine Abteilung einrichtet, die Aktivitäten der verbündeten sozia-listischen Geheimdienste abwehren soll, während das MfS eine verdeckte Spio-nageresidentur in Bukarest etabliert.

    Die Kapitel dieses Buches folgen dieser Entwicklung. Schildert das erste Ka-pitel die intensive Zusammenarbeit beider Staatssicherheitsdienste, so unter-sucht das zweite Kapitel Ursachen, Verlauf und Folgen der Distanzierung, wäh-rend die Kapitel drei bis sechs verschiedene Aspekte der erwähnten dritten Phase beleuchten.

    Um den genannten Fragen nachzugehen, wurden die überlieferten MfS-Ak-ten umfassend nach Rumänien-Bezügen durchgesehen. In den Securitate-Un-terlagen wurde insbesondere nach Dokumenten über die Beziehungen der Staatssicherheitsdienste beider Länder geforscht. Immer wieder beziehen sich die archivalischen Überlieferungen beider Seiten aufeinander, sie ergänzen sich und ergeben gemeinsam betrachtet ein stimmiges Bild. Dies gilt vor allem für die Zeit bis 1973.

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  • Einleitung20

    Neben der archivalischen Überlieferung von MfS und Securitate wurden wei-tere Aktenbestände herangezogen, um einzelne Sachverhalte genauer rekonst-ruieren zu können. Hierzu zählten insbesondere Unterlagen der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) und des Ministeriums für Auswärtige An-gelegenheiten der DDR sowie punktuell Akten aus den rumänischen National-archiven, den Archiven der Freien Universität Berlin und der Humboldt-Univer-sität zu Berlin und des Bundesnachrichtendienstes.

    In diesem Buch wird bewusst ein Schwerpunkt darauf gelegt, die genannte Aktenüberlieferung vorzustellen. Das Buch zeichnet sich daher durch einen do-kumentarischen Charakter aus und bietet eine Grundlage für künftige Analy-sen und vergleichende Arbeiten.

    Indem die archivalischen Dokumente im Mittelpunkt stehen, bietet dieses Buch nicht zuletzt eine Dokumentation der Beziehungen zweier Geheimdienste. Es erzählt aus jenen Geheimdienstakten, die für die beiden genannten Fragen von Bedeutung sind. Inhaltlich spannt es dadurch einen weiten Bogen, denn es geht fast alle Felder ab, auf denen die beiden Geheimdienste gemeinsam oder in Abgrenzung zueinander unterwegs waren. Die (ost-)deutsch-rumänischen Ver-flechtungen werden auf diese Weise aus der eigentümlichen Perspektive der Ge-heimdienste dargestellt. Dazu zählen die politische Geschichte jener Jahrzehnte, der rumänische Sonderweg und seine Bedeutung innerhalb des östlichen Bünd-nisses. Neben den Mitarbeitern und Zuträgern der Geheimdienste kommen fast von selbst auch jene Menschen in den Blick, gegen die die Geheimdienste vor-gingen: Menschen, die in gemeinsamen Aktionen von MfS und Securitate vom Westen in den Osten verschleppt wurden, die Opfer von Erpressung und Über-wachung wurden, die sich als mutige oder verzweifelte Bürger gegen Unterdrü-ckung wehrten, als Schriftsteller Freiräume behaupteten oder aus unterschiedli-chen Motiven heraus in den Westen zu fliehen versuchten.

    Eine Aktenüberlieferung auszubreiten verlangt zugleich, die Fehlstellen mit zu bedenken. Im MfS-Aktenbestand fehlen weitgehend die Unterlagen der Hauptverwaltung A (HV A), also der lange Jahre von Markus Wolf geleiteten Auslandsspionage-Abteilung. Diese Unterlagen beseitigte die HV A in der ersten Jahreshälfte 1990, nachdem ihr das Recht zugebilligt wurde, sich in Eigenregie aufzulösen.6 Die dadurch entstandenen Lücken, sowie einige weitere, werden in diesem Buch in ihrem jeweiligen Zusammenhang angesprochen.

    In Rumänien gibt es seit Ende 1999 eine der deutschen Stasi-Unterlagen- Behörde entsprechende Einrichtung, den »Landesrat für das Studium der Se-curitate-Archive« (Consiliul Naţional pentru Studierea Arhivelor Securităţii,

    6 Süß: Staatssicherheit am Ende, S.  739; die »Arbeitsgruppe Sicherheit« des »Zentralen Runden Tisches« hatte sich demnach in einer Beschlussempfehlung am 23.2.1990 dafür ausge-sprochen, dass die HV A sich selbst auflösen sollte, was dann auch umgesetzt wurde. Der Be-schluss ist abgedruckt in: Gill; Schröter: Das Ministerium für Staatssicherheit, S. 213 f.

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  • Einleitung 21

    CNSAS). Die Securitate-Akten gingen aber größtenteils erst 2006 in die Obhut des CNSAS über. Bis dahin verblieben sie bei den Nachfolgern der Securitate, also dem rumänischen Inlandsgeheimdienst und dem Auslandsnachrichten-dienst.7 Wie lückenhaft bzw. vollständig die Akten an den CNSAS übergeben wurden, lässt sich nicht feststellen. Für das vorliegende Buch wurde in den Jah-ren 2008 bis 2010 im Archiv des CNSAS recherchiert. Die Erschließung der Akten ist allerdings immer noch im Gange, mit interessanten Aktenfunden ist weiterhin zu rechnen.

    Die verzögerte Aktenöffnung brachte es mit sich, dass in Rumänien erst in den vergangenen zehn Jahren in größerer Zahl Quelleneditionen und aktenge-stützte Forschungsarbeiten über die Securitate erschienen sind. Die vorliegende Studie hat davon profitiert, wie dem Literaturverzeichnis zu entnehmen ist. Diese Publikationen sind wichtig, um der dominierenden Memoirenliteratur früherer Geheimdienstmitarbeiter fundierte Erkenntnisse gegenüberzustellen.

    Trotz einiger noch bestehender Unzulänglichkeiten ergeben die gesichteten und hier vorgestellten Unterlagen doch ein recht dichtes Bild des historischen Geschehens und lassen bestimmte Schlussfolgerungen zu. Das Buch geht daher über eine reine Dokumentation hinaus und analysiert zahlreiche Fragen.

    Während der Recherchen für dieses Buch wurden auch viele Gespräche geführt, etwa mit Menschen, deren Angehörige von den Entführungen der 1950er-Jahre betroffen waren, mit Menschen, die Fluchtversuche unternahmen, mit früheren Mitarbeitern beider deutschen Botschaften in Rumänien oder mit rumäniendeutschen Schriftstellern und Germanisten. Allen Gesprächspartnern sei an dieser Stelle gedankt. Ihre Erinnerungen haben geholfen, die damalige Zeit besser zu verstehen und einige Aktenüberlieferungen kritisch gegenzuprü-fen. Sofern in diesem Buch auf konkrete Informationen aus einem Gespräch Bezug genommen wird, wird in den Fußnoten darauf hingewiesen. Für die ru-mänischsprachige Vorläuferstudie »Stasi și Securitatea« hat der rumänische Au-tor Stejărel Olaru auch einige Securitate-Offiziere befragt, unter ihnen den frü-heren Oberst Ioan Rusan und den früheren Hauptmann Marian Romanescu.8 Die Gesprächsanfrage an einen früheren, fachkundigen MfS-Offizier im Feb-ruar 2014 blieb ohne Antwort.

    Die zentrale Stellung der Staatssicherheitsdienste in den sozialistischen Län-dern bringt es fast wie selbstverständlich mit sich, dass eine Geschichte ihrer Beziehungen zugleich auch eine Geschichte der zwischenstaatlichen Beziehun-

    7 Bormann: Die rechtliche Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit in Rumä-nien, S. 178–185. Siehe auch die kritische Analyse von Andreescu: Landesrat erweist sich als Mittel zur Verschleierung und nicht zur Enttarnung der Securitate; ders.: Über den institutio-nalisierten Misserfolg der Aufarbeitung.

    8 Olaru; Herbstritt: Stasi și Securitatea, S. 7. Rusan leitete ein Securitate-Referat, das für Spionageabwehr gegen das MfS zuständig war, Romanescu gehörte der Spezialeinheit für Ter-rorbekämpfung der Securitate (USLA, auch: U.M. 0620) an.

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  • Einleitung22

    gen beinhaltet. Wo es grenzüberschreitende Kontakte gab, waren auch die Ge-heimdienste nicht weit, um diese zu überwachen. Zugleich wirkten sich die gesamtstaatlichen Beziehungen mitunter auf das Verhältnis der beiden Staatssi-cherheitsdienste aus. Rumäniens erklärter Anspruch auf einen nationalen Son-derweg seit 1964 bewirkte unmittelbar auch eine Distanz zwischen den Geheim-diensten. Die schrittweise Entspannung zwischen den politischen Führungen in Ostberlin und Bukarest in den 1970er- und 1980er-Jahren führte hinge-gen nicht zu einer Re-Intensivierung der bilateralen Geheimdienstkontakte. Indem die vorliegende Studie auch den staatlichen und politischen Rahmen der Geheimdienstbeziehungen darstellt, erzählt sie zugleich eine Geschichte der deutsch-rumänischen Beziehungen während des Kalten Krieges. Die ost-deutsch-rumänischen Beziehungen – zu denen immer auch die westdeutschen Sonderbeziehungen zu beiden Ländern gehören – sind bislang kaum Gegen-stand größerer Abhandlungen gewesen. Hervorzuheben ist in diesem Zusam-menhang nur die 2010 erschienene, verlässliche Monografie des Potsdamer Historikers Peter Ulrich Weiß über die Kulturpolitik zwischen den beiden deut-schen Staaten und Rumänien in den Jahren 1950 bis 1972, die er mit einer de-tailreichen Darstellung der gesamtstaatlichen Beziehungen verknüpft.9

    Die Geschichte der Beziehungen zwischen MfS und Securitate werden in dem vorliegenden Buch aber nicht nur als bilaterale Angelegenheit gesehen, son-dern auch in das multilaterale Beziehungsgefüge der osteuropäischen Geheim-dienste eingeordnet. Nur wenn man danach fragt, wie das MfS mit anderen Ver-bündeten kooperierte, lassen sich die Besonderheiten in den Beziehungen zur Securitate erkennen. Und nur wenn man die Außenbeziehungen anderer sozi-alistischer Geheimdienste betrachtet, werden auch einige Sonderpositionen des MfS sichtbar. Deshalb werden hier auf der Grundlage von Sekundärliteratur auch Länder wie Polen, Ungarn und Bulgarien einbezogen. Von Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die gründlich recherchierten Arbeiten der Historiker Tytus Jaskułowski und Stefano Bottoni. Jaskułowski hat das Verhältnis der pol-nischen und der ostdeutschen Staatssicherheit anhand der archivalischen Über-lieferung beider Institutionen untersucht und dabei viele Konfliktfelder zwi-schen den beiden Verbündeten offengelegt.10 Stefano Bottoni hat die Akten der sozialistischen Geheimdienste Ungarns und Rumäniens ausgewertet und deren Beziehungen und spätere Gegnerschaft analysiert.11 Damit ermöglicht er einen direkten Vergleich zu den Beziehungen zwischen MfS und Securitate. Auf der Grundlage bulgarischer Dokumente hat Jordan Baev die Beziehungen zwischen

    9 Weiß: Kulturarbeit.10 Jaskułowski: Das Ministerium für Staatssicherheit und das Innenministerium der Volks-

    republik Polen. In diesem Beitrag fasst Jaskułowski einige Aspekte seiner polnischsprachigen Monografie »Przyjaźń, której nie było« zusammen.

    11 Bottoni: »Freundschaftliche Zusammenarbeit«; ders.: Zögernde Spione.

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  • Einleitung 23

    den Staatssicherheitsdiensten Rumäniens und Bulgariens knapp skizziert.12 Die Zusammenarbeit zwischen dem MfS und dem bulgarischem Geheimdienst ist Gegenstand einer Untersuchung von Christopher Nehring, die derzeit im Ent-stehen ist und die sich auf die einschlägige Archivüberlieferung in Berlin und Sofia stützt.13 Erst die Zusammenschau dieser Forschungsarbeiten macht deut-lich, dass jeder der sozialistischen Geheimdienste in gewissem Umfang eigene und nationale Interessen verfolgte und auch mit der rumänischen Abweichung zunächst unterschiedlich umging. Nicht zuletzt lässt sich hier ein Phänomen beobachten, das bisher nur für andere Zeiträume oder Regionen thematisiert wurde: dass Geheimdienste auch verbündeten Ländern misstrauen und sie nach-richtendienstlich bearbeiten.14 Es bleibt zu hoffen, dass Forschungsarbeiten über die sozialistischen Staatssicherheitsdienste die multilaterale Perspektive in grö-ßerem Maße als bisher berücksichtigen.

    Die Studien von Jaskułowski, Bottoni und Nehring führen ebenso wie die hier vorgelegte Arbeit die Geheimdienstakten aus jeweils zwei Ländern zusam-men, um bilaterale Geheimdienstbeziehungen umfassend zu analysieren.15 Sie gehen damit über bisherige Studien hinaus, die grenzüberschreitende Untersu-chungen entweder auf einzelne Themenfelder begrenzten,16 oder die sich auf die Aktenüberlieferung nur eines Landes stützten.17 Ebenso gehen sie weiter als ei-

    12 Baev: KGB v Bălgarija, S. 275–277. Ich danke Christopher Nehring, der diese Seiten aus dem Buch Baevs für mich übersetzte. Teile davon finden sich in deutscher Sprache in: Baev; Grozev: Bulgarien.

    13 Nehring: Die Zusammenarbeit der bulgarischen Staatssicherheit mit dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR; ders.: Die Zusammenarbeit der HV A mit der bulgarischen Auf-klärung (in Vorbereitung).

    14 Alexander (Hg.): Knowing your Friends.15 Möglicherweise gibt es noch andere, vergleichbare Studien, die dem Verfasser mangels

    entsprechender Sprachkenntnisse nicht bekannt geworden sind.16 Siehe bspw. Domnitz: Kooperation und Kontrolle; Slachta: Megfigyelt szabadság; Vilí-

    mek: Tschechoslowakische und DDR-Opposition. Domnitz untersucht die internationale Ko-operation der Staatssicherheitsdienste am Beispiel der MfS-Operativgruppen; Slachta erforscht die geheimdienstliche Zusammenarbeit am Beispiel der Überwachung des Tourismus; Vilímek konzentriert sich auf die grenzüberschreitende Verfolgung Oppositioneller. Thematisch breiter angelegt ist Vilímeks Übersichtsdarstellung »Unter scharfer Beobachtung«, in der er verschie-dene Felder der geheimdienstlichen Kooperation der Staatssicherheitsdienste der DDR und der ČSSR abgeht.

    17 In den 1990er-Jahren (und darüber hinaus) stützten sich seriöse Studien über die inter-nationale Zusammenarbeit der Staatssicherheitsdienste hauptsächlich auf MfS-Unterlagen, da die entsprechenden Archive anderer Länder noch nicht oder nur sehr eingeschränkt zugäng-lich waren. So beispielsweise die im Literaturverzeichnis genannten, immer noch lesenswerten Studien von Monika Tantzscher; ferner Borodziej; Kochanowski: Der DDR-Staatssicherheits-dienst; Dalos: Die Zusammenarbeit zwischen dem MfS der DDR und der Staatssicherheit der Volksrepublik Ungarn; Ehlert: Die Zusammenarbeit zwischen dem MfS und dem MdI Kubas; Marquardt: Die Zusammenarbeit zwischen MfS und KGB; ders.: Die Kooperation des MfS mit dem KGB und anderen Geheimdiensten. Die zwangsläufige Dominanz der MfS-Perspektive

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  • Einleitung24

    nige durchaus verdienstvolle Sammelbände, die zwar Studien über verschiedene osteuropäische Geheimdienste nebeneinander stellen, aber keine länderüber-greifenden Analysen vornehmen.18

    Unbestritten kam dem sowjetischen KGB die entscheidende Rolle bei der Ge-staltung der bi- und multilateralen Geheimdienstkooperation zu. Welche Strate-gien der KGB im Umgang mit der Securitate entwickelte und welche er seinen Verbündeten in dieser Frage nahelegte, erschließt sich aus der Aktenüberliefe-rung sowie der aktengestützten Literatur nur bruchstückhaft. Hier besteht noch erheblicher Forschungsbedarf.

    versucht insbesondere Jaskułowski: Das Ministerium für Staatssicherheit und das Innenminis-terium der Volksrepublik Polen, aufzubrechen.

    18 Kamiński; Persak; Gieseke: Handbuch der kommunistischen Geheimdienste; Grúňová (Hg.): NKVD/KGB Activities.

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  • 1. »Bruderorgane«: die Zusammenarbeit zwischen Stasi und Securitate

    1.1 Anfänge: Die Securitate etabliert sich in Berlin

    Das geteilte Berlin hatte in der Zeit des Kalten Krieges den zweifelhaften Ruf, eine »Hauptstadt der Agenten« zu sein. Insbesondere vor dem Bau der Mauer am 13. August 1961 war es in Berlin leicht möglich, unauffällig zwischen Ost und West hin- und herzupendeln. Rund zweieinhalb Millionen DDR-Bürger flohen bis 1961 in den Westen, und die meisten von ihnen benutzten die offene Grenze in Berlin, nachdem die DDR bereits im Jahre 1952 die Grenze nach Westdeutschland abgesperrt hatte. In diesen Flüchtlingsstrom schleusten die östlichen Geheimdienste ihre Agenten ein, die sich wie normale Flüchtlinge im Westen niederließen, um dann ihre geheimdienstliche Arbeit zu beginnen. Um-gekehrt nutzten die westlichen Geheimdienste von Berlin aus die Möglichkeit, Informationen über die Situation in der DDR zu sammeln.19 Begleitet wurde die Konfrontation der Geheimdienste von offenen politischen und propagandis-tischen Auseinandersetzungen.

    Als die Volksrepublik Rumänien und die DDR im Oktober 1949, wenige Tage nach der offiziellen Gründung der DDR, diplomatische Beziehungen auf-nahmen, eröffnete sich dem rumänischen Geheimdienst die Möglichkeit, unter dem Dach der diplomatischen Mission in Ostberlin Fuß zu fassen und sich so-mit an einem geheimdienstlich attraktiven Standort zu etablieren. Zumindest seit 1950, so belegen es Akten im Bukarester Securitate-Archiv, entfaltete die Se-curitate aus der rumänischen Botschaft heraus geheimdienstliche Aktivitäten in beiden Teilen Berlins und nach Westdeutschland hinein und erfuhr hierbei auch bald Unterstützung vonseiten des MfS. Die in Ostberlin stationierten Securita-te-Offiziere beschäftigten sich damals vor allem damit, rumänische und rumä-niendeutsche Emigranten in Westberlin und Westdeutschland zu verfolgen. Die Emigrantenverbände sollten mit Agenten unterwandert, ausspioniert und be-einflusst werden, um sie schließlich daran zu hindern, kritisch oder gar feind-lich gegen das kommunistische Regime in Rumänien aufzutreten. Gewiss be-fanden sich unter den Emigranten viele ehemalige oder noch aktive Legionäre, also Angehörige der faschistischen Bewegung Rumäniens. Aber die Aktionen der Securitate galten grundsätzlich allen Gegnern der neuen »volksdemokrati-

    19 Siehe exemplarisch Steury (Hg.): On the Front Lines of the Cold War; Bailey u. a.: Die unsichtbare Front.

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  • Die Zusammenarbeit zwischen Stasi und Securitate26

    schen Ordnung«. Die Securitate warb in Berlin lebende Emigranten aus Rumänien an, die ihre Landsleute aushorchten und mithalfen, Emigrantenverbände lahmzu-legen. Über Berlin versuchte die Securitate in den 1950er-Jahren auch, Agenten nach Westdeutschland einzuschleusen.

    Der westlichen Spionageabwehr blieb das nicht verborgen. Im April 1960 ließ die Bundesregierung eine ausführliche Dokumentation veröffentlichen, in der be-schrieben wurde, wie die DDR und ihre östlichen Verbündeten von Ostberlin aus die Bundesrepublik zu unterwandern und auszuspionieren versuchten. Der »sowje-tische Sektor Berlins«, wie Ostberlin im westlichen Sprachgebrauch auch genannt wurde, hatte sich nach den Erkenntnissen der Bundesregierung in den 1950er-Jah-ren zu einer der »größten Agentenzentralen der Welt« entwickelt.20 Die rumäni-sche Botschaft in der Parkstraße 23 im Ostberliner Bezirk Pankow, rund 1 000 Meter von der Grenze zu Westberlin entfernt gelegen, fungierte nach damali-gen, zutreffenden Erkenntnissen als Spionageresidentur für den rumänischen Geheimdienst, der von dort aus seine Aktivitäten gegen die Bundesrepublik Deutschland und andere westeuropäische Staaten steuerte. Der Bericht der Bun-desregierung erwähnte den rumänischen Agenten Petre Tonegaru, der schon 1949 angeworben worden und auftragsgemäß als angeblicher Flüchtling über Westberlin in die Bundesrepublik gegangen sei, um dort bis zu seiner Verhaf-tung 1956 Spionageaufträge auszuführen. Über ihn wird in einem der nachfol-genden Kapitel noch zu sprechen sein. Er wurde ebenso von der rumänischen Spionageresidentur in Ostberlin gesteuert wie der Rumäniendeutsche Johann Galter, der 1958 als Agent zum Einsatz kommen sollte. Von Ostberlin aus, so der Bericht weiter, wurde schließlich auch die rumänische Handelsvertretung in der Bundesrepublik in Frankfurt/M. für Geheimdienstzwecke gesteuert.21 Dort fungierte von Mai 1957 bis Anfang 1959 Ion Mihai Pacepa als Resident für die rumänische Auslandsspionage.22 In Absprache mit Pacepa kamen im Frühjahr und Sommer 1958 zwei hauptamtliche Securitate-Mitarbeiter, Ștefan Ciuciulin und Constantin Horobeţ, in die Bundesrepublik, um dort Agen-ten zu treffen und Spionageaufträge auszuführen. Ciuciulin hatte im Jahr zu-vor Johann Galter geheimdienstlich darauf vorbereitet, in die Bundesrepublik überzusiedeln und dort rumänische Exilkreise in Süddeutschland auszuspio-nieren. Horobeţ hatte die rumänischstämmige Ehefrau eines US-Armeeange-hörigen angeworben, der in der Bundesrepublik stationiert war. Sie sollte um-fassend über die US-Streitkräfte berichten, die in Rheinland-Pfalz stationiert

    20 Ost-Berlin. Agitations- und Zersetzungszentrale, S.  32. Einen kurzen, informativen Überblick über Berlin als Zentrum der Ost-West-Spionage unter besonderer Berücksichti-gung westlicher Geheimdienste sowie antikommunistischer Widerstandsorganisationen in den 1950er-Jahren bieten Engelmann; Fricke: »Konzentrierte Schläge«, S. 62–97.

    21 Ost-Berlin. Agitations- und Zersetzungszentrale, S. 48.22 Pacepa: Cartea neagră a Securităţii, Bd. 2, S.  38–54; ders.: Moștenirea Kremlinului,

    S. 164–179. Deletant: Rumänien, S. 367 f.

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  • Die Securitate etabliert sich in Berlin 27

    Abb. 2: In diesem Gebäude in der Parkstraße 23 in Berlin-Pankow residierte seit den 1950er-Jahren bis 1990 die rumänische Botschaft. Aufnahme ca. Mitte der 1970er-Jahre

    Abb. 3: Die Residenz des rumänischen Botschafters in Ostberlin, Pfeilstraße 23. Sie lag nur 500 Meter von der Botschaft entfernt.

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  • Die Zusammenarbeit zwischen Stasi und Securitate28

    waren. Ihre Zusammenarbeit mit der Securitate war jedoch nur eine scheinbare, da sie sich umgehend ihrem Ehemann offenbarte. Am 18. Juli 1958 wurde Ho-robeţ in Worms verhaftet, und fast zeitgleich auch Ciuciulin sowie einen Mo-nat später Johann Galter. Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe verurteilte Ho-robeţ am 5. Mai 1959 zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus, das Oberlandesgericht Karlsruhe verhängte gegen Ciuciulin am 21. Mai 1959 eine Gefängnisstrafe von einem Jahr und zehn Monaten.23 In diesem Zusammenhang wurden die ge-heimdienstlichen Aktivitäten zweier weiterer Mitarbeiter der rumänischen Han-delsvertretung bekannt, die aber nicht gefasst werden konnten, Ivan Bichel und Stefan Deutsch.24

    Pacepa überstand diese Ereignisse unbeschadet und stieg schließlich zum stellvertretenden Leiter der rumänischen Auslandsspionage und engen Vertrau-ten Nicolae Ceaușescus auf. 1978 setzte er sich als ranghöchster kommunis-tischer Geheimdienstmitarbeiter in die Bundesrepublik ab.25 In seinem 1999 erschienenen »Schwarzbuch der Securitate« weist Pacepa darauf hin, dass die Handelsvertretung in Frankfurt keinen diplomatischen Status besaß. Ihre Mit-arbeiter genossen daher keine diplomatische Immunität, und die Handelsvertre-tung verfügte deshalb nicht über eine chiffrierte Nachrichtenverbindung nach Bukarest. Wichtige Informationen und geheimdienstliches Material habe man aus diesem Grunde im Auto nach Ostberlin transportiert und dem dortigen Verbindungsoffizier in der rumänischen Botschaft übergeben, der sich darum gekümmert habe, die Dinge nach Bukarest weiterzuleiten.26 Pacepa erinnert außerdem an die damalige Unterordnung der rumänischen Auslandsspionage

    23 Die Urteile gegen Horobeţ und Ciuciulin sind vorhanden in: Bundesarchiv Koblenz, Bestand B 362/4687 (Horobeţ) und B 362/4688 (Ciuciulin). Das Urteil gegen Horobeţ ist zu-dem im Wortlaut veröffentlicht in: Herbstritt: Eine Handelsvertretung als Spionagestützpunkt, S. 102–112. Ciuciulin war auch in die Vorgänge um Helene Michel und Ferdinand Dorogi ein-bezogen, die an anderer Stelle noch beschrieben werden, und vermutlich auch in die um Petre Tonegaru und Theodor Bucur. Vgl. ACNSAS, fonds S.I.E., dosar nr. 1007, vol. 1, Bl. 20  f.; ACNSAS, fond S.I.E., dosar nr. 201, Bd. 1, vol. 90–97.

    24 Der Spiegel 15 (1961) 37 v. 6.9.1961, S. 17; Bergh: Köln 4713, S. 302. Pacepa erwähnt den Hauptmann Ivan Bichel als Mitarbeiter seiner Frankfurter Residentur. Pacepa: Cartea neagră a Securităţii, Bd. 2, S. 50.

    25 Ion Mihai Pacepa (* 1928), Chemiestudium, ab 1951 Securitate-Mitarbeiter, zunächst im Bereich Sabotageabwehr, 1956 in der Auslandsspionage, 1956 der Securitate-Residentur in Frankfurt/M. zugewiesen, trat diese Funktion erst 1957 an, 1959–1963 Leiter der Abteilung 3 (Deutschland, Österreich, nordische Länder) der Auslandsspionage, 1963 Oberst und Stellver-treter des DGIE-Chefs Doicaru, 1967 Generalmajor, 1972 Staatssekretär im Rat für Staatssi-cherheit und 1. Stellvertreter Doicarus, 1974 Generaloberst, 23./24.7.1978 Flucht in die Bun-desrepublik und von dort in die USA, am 17.8.1978 in Rumänien in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Die biografischen Daten folgen der Quellenedition von Ţăranu (Hg.): Ion Mihai Pacepa în dosarele Securităţii 1978–1980, S.  27  f., und Pacepa: Moștenirea Kremlinului, S. 162–164. Teilweise abweichend hiervon Deletant: Rumänien, S. 367 f.

    26 Pacepa: Cartea neagră a Securităţii, Bd. 2, S. 39.

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  • Die Securitate etabliert sich in Berlin 29

    unter die des KGB, was ihm damals aber auch die Möglichkeit eröffnete, wich-tige Dokumente auch mithilfe der in der Bundesrepublik stationierten KGB-Re-sidenten in den Osten zu schaffen.27 Diese Schilderungen erscheinen durchaus plausibel, während Pacepas Erinnerungen an vielen anderen Stellen irreführend und fehlerhaft sind.28

    Erst das deutsch-rumänische Handelsabkommen vom 17. Oktober 1963 wer-tete die Handelsvertretung zu einer halbdiplomatischen Einrichtung auf, indem es beispielsweise deren Leiter und drei seiner Stellvertreter diplomatische Im-munität zugestand und die Räumlichkeiten der Handelsvertretung für »unver-letzlich« erklärte.29 Als Rumänien und die Bundesrepublik Deutschland 1967 diplomatische Beziehungen aufnahmen, eröffnete sich der Securitate die Mög-lichkeit, in der Bundesrepublik unter dem Dach ihrer Botschaft eine »legal ab-gedeckte Residentur« zu errichten, was die Spionagetätigkeit erleichterte.

    Der Bericht der Bundesregierung aus dem Jahre 1960 nannte mehrere ru-mänische Geheimdienstmitarbeiter beim Namen.30 Als Leiter der rumänischen Spionageresidentur in Ostberlin in den Jahren 1956/57 wurde zutreffend Oberst Aurel Moiș angeführt, der noch 1957 zu einem der stellvertretenden Leiter des rumänischen Auslandsspionagedienstes aufstieg.31 Ihm folgte Pavel Sabău

    27 Pacepa: Moștenirea Kremlinului, S. 164–166. Pacepa erinnert daran, dass die Sowjet-union damals schon diplomatische Beziehungen mit der Bundesrepublik unterhielt und da-her in ihr dortiges Botschaftspersonal als Diplomaten getarnte Geheimdienstmitarbeiter ein-bauen konnte. Zutreffend charakterisiert Pacepa die damalige rumänische Auslandsspionage als »kleine Schwester« des KGB. Ebenda, S. 152.

    28 Pacepa ordnet Ciuciulin und Horobeţ falsche Vornamen zu, irrt sich in der Datierung und in den zeitgeschichtlichen Zusammenhängen. So schreibt er, er habe sich im Herbst 1958 mit Horobeţ und Ciuciulin in Frankfurt getroffen, was nicht sein kann, da beide schon im Juli 1958 verhaftet worden waren. Pacepa zufolge hatten die beiden die Aufgabe, Informationen über ballistische Raketen der USA zu beschaffen, wobei die Securitate diesen Spionageauftrag vom KGB erhalten habe. Er ordnet diese Aktion in das Umfeld der »Sputnik-Krise« und die – wie er schreibt – von Chruščëv am 18.11.1958 verkündete Blockade Westberlins ein. Pacepa: Cartea neagră a Securităţii, Bd. 2, S. 44 f., 47–51. Tatsächlich hatte Chruščëv keine Blockade Westberlins angeordnet oder verhängt, sondern in einer Rede am 10. November 1958 sowie in diplomatischen Noten an die Westmächte am 27.11.1958 ultimativ deren Abzug aus Westberlin gefordert und die Umwandlung Westberlins in eine freie Stadt verlangt. Die sowjetische Ber-lin-Blockade war ein Ereignis der Jahre 1948/49. Zutreffend ist, dass Ciuciulin und Horobeţ un-ter anderem Informationen über US-Raketen beschaffen sollten. – Zahlreiche weitere Beispiele für Pacepas fehlerhafte Darstellungen in: Herbstritt: Eine Handelsvertretung als Spionage-stützpunkt, S. 102–104, sowie in Anm. 1214.

    29 Zum Handelsabkommen vom 17.10.1963 siehe S. 144–147. Ein erstes »Handels- und Zahlungsabkommen« zwischen Rumänien und der Bundesrepublik wurde am 8.2.1954 in Wien abgeschlossen. Es war das erste Abkommen zwischen beiden Staaten überhaupt, konnte damals aber nicht als Staatsabkommen abgeschlossen werden.

    30 Ost-Berlin. Agitations- und Zersetzungszentrale, S. 48.31 Aurel Moiș (1918–1998) wurde kurz nach Kriegsende, wahrscheinlich 1946, Leiter des

    rumänischen Geheimdienstes Siguranţa in Temeswar. Mit Gründung der Securitate durch das Dekret Nr. 221 vom 28.8.1948 wurde er stellvertretender Leiter der Securitate-Regionalverwal-

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  • Die Zusammenarbeit zwischen Stasi und Securitate30

    nach, der schon 1956 nach Ostberlin kam und zuvor eine hohe Funktion in der rumänischen Auslandsspionage bekleidete. Beide fungierten offiziell als Bot-schaftsräte. Weitere schon damals bekannte Mitarbeiter waren demnach Ma-jor Alexandru Ionescu und Major Petre Niţu. Niţu war dem Bericht zufolge seit 1959 offiziell Mitarbeiter der rumänischen Handelsvertretung, die ihren Sitz in der Puschkinallee 39 im Ostberliner Bezirk Treptow hatte.

    Der Bericht der Bundesregierung legte aus naheliegenden Gründen nicht die Quellen offen, auf die er sich stützt und enthält einige kleinere Fehler bei Datie-rungen und der Schreibweise von Namen. Gleichwohl belegt er, dass die west-liche Spionageabwehr vor dem Mauerbau 1961 über gute Einblicke in die ge-heimdienstlichen Aktivitäten der östlichen Seite verfügte. Die Kenntnisse über Rumänien stammten unter anderem aus den damaligen Ermittlungen gegen die enttarnten Securitate-Offiziere Stefan Ciuiciulin und Constantin Horobeţ und den Securitate-Informanten32 Johann Galter und Petre Tonegaru. Die inzwi-schen zugänglichen Akten aus den Archiven von Stasi und Securitate bestätigen die damals im Westen veröffentlichten Erkenntnisse und erweitern sie erheblich.

    Ebenso wie die Securitate unterhielten die Geheimdienste anderer Ostblock-staaten Residenturen in Ostberlin.33 Über die bulgarische liegt inzwischen eine eigene Forschungsstudie vor. Demnach funktionierte die bulgarische Residen-

    tung Temeswar und 1953/54 deren Leiter. 1954 übernahm er die Leitung der Securitate-Regi-onalverwaltung Kronstadt. 1955 wechselte er unter der Legende eines Botschaftsrats zur Secu-ritate-Residentur nach Ostberlin und stieg 1957 zum stellvertretenden Leiter der rumänischen Auslandsspionage in Bukarest auf. 1962 erfolgte seine Entlassung aus der Auslandsspionage und seine Herabstufung vom Oberst zum Oberstleutnant. Vgl. insbes. den Dokumentenband: Securitatea: Structuri – cadre, obiective și metode, Bd. I, S. X, 10 f., 17, 213, sowie die kurzen biografischen Daten zu Moiș in: http://www.cnsas.ro/documente/cadrele_securitatii/MOIS_AUREL.pdf (Stand: 9.6.2016). Die Entsendung Moiș’ nach Ostberlin hatte möglicherweise den Zweck, den Konflikt mit seinem Rivalen und stellvertretenden Auslandsspionagechef Nicolae Doicaru zu entschärfen. Letztlich obsiegte Doicaru, der Ende 1959 zum Chef der Auslandsspi-onage aufstieg. Vgl. Olaru; Herbstritt: Stasi și Securitatea, S. 26 f. Vgl. auch die Niederschriften der zeugenschaftlichen Vernehmungen von Moiș durch die rumänische Militärstaatsanwalt-schaft am 19.8.1992 und 7.9.1993: Procuratura României, Procuratura Direcţia Procuraturilor Militare, dosar nr. 393/P/1992. Ich danke der Bukarester »Fundaţia Academia Civică« (Stiftung Bürgerakademie), die mir Einsicht in diese Niederschriften gewährte. – Marius Oprea betont, wie außerordentlich grausam Moiș Ende der 1940er-/Anfang der 1950er- Jahre Regimegegner verfolgte. Siehe Oprea: Banalitatea răului, S. 561 f.

    32 Der Begriff »Informant« wird in dieser Studie für jene Menschen gebraucht, von denen die Staatssicherheitsdienste mit einer gewissen Regelmäßigkeit Informationen erhielten. Häu-fig, aber nicht immer, war den Informanten bewusst, dass sie für einen Staatssicherheitsdienst arbeiteten.

    33 Ost-Berlin. Agitations- und Zersetzungszentrale, S. 32–49. Einige Hinweise auf die An-fänge der polnischen Operativgruppe in Ostberlin in: Domnitz: Kooperation und Kontrolle, S. 183. Ausführlich zu den Anfängen der polnisch-ostdeutschen Geheimdienstkontakte und der polnischen Operativgruppe in Ostberlin siehe Jaskułowski: Przyjaźń, której nie było, S. 52–100. Eine deutsche Übersetzung von Jaskułowskis Buch ist vorgesehen.

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  • Die Securitate etabliert sich in Berlin 31

    tur in den 1950er-Jahren wie die rumänische: Sie richtete sich in der bulgari-schen Botschaft in Ostberlin ein, wirkte nach Westberlin und Westdeutschland und leitete das bulgarische Handelsbüro in Frankfurt/M. an. In ihrer Wirkung war sie weniger effizient als die rumänische Residentur.34 Die Securitate-Nieder-lassung in Ostberlin firmiert in den MfS-Akten der 1950er- und 1960er-Jahre meistens als »Berliner Gruppe« der »Verwaltung für Nationale Sicherheit der Volksrepublik Rumänien« oder als »Rumänische Gruppe in Berlin«. Vereinzelt findet sich spätestens seit 1957 auch der Begriff »Operativgruppe« als Synonym für die geheimdienstlichen Residenturen der Verbündeten.35

    Das MfS richtete später seinerseits Vertretungen in mehreren sozialistischen Ländern ein, beginnend in den 1950er-Jahren in der Sowjetunion und ab den 1960er-Jahren bei weiteren Verbündeten, nicht jedoch in Rumänien. Im Sprach-gebrauch der DDR-Staatssicherheit handelte es sich ebenfalls um »Operativ-gruppen«. Ein wichtiges Merkmal dieser frühen Residenturen und der späteren Operativgruppen bestand darin, dass sie mit Zustimmung des jeweiligen Gast-landes etabliert wurden. Darin unterschieden sie sich grundsätzlich von den di-plomatischen Vertretungen der Ostblockstaaten in Westeuropa, die zwar eben-falls mit Geheimdienstpersonal durchsetzt waren, aber selbstverständlich ohne Einwilligung der westlichen Gastländer.

    Die Residenturen bzw. Operativgruppen verfügten nur über eng begrenzte Kompetenzen für eigene Aktivitäten, etwa bei der geheimdienstlichen Überwa-chung eigener Staatsbürger im jeweils anderen Land. Sie fungierten zudem als Verbindungsstelle zwischen den jeweiligen Geheimdiensten, über die Anfragen und Informationen ausgetauscht wurden.36

    Zu welchem Zweck kooperierte das MfS mit anderen sozialistischen Geheim-diensten? Allgemein formuliert, folgte das MfS einer Art von Sicherheitsdoktrin. Sie lief darauf hinaus, alles abzuwehren, was als Bedrohung für die DDR und die anderen sozialistischen Länder angesehen wurde. Diese Perspektive war al-

    34 Nehring: Die Residentur der bulgarischen Aufklärung.35 Vgl. exemplarisch Korrespondenz zwischen der DDR-Staatssicherheit und der »Rumä-

    nischen Gruppe« im Oktober und November 1955 in: BStU, MfS, AS, Nr. 76/56, Bd. D 13, Bl. 3, sowie BStU, MfS, AS 76/56, D 7, Bl. 5. Der Begriff »Operativgruppe« für die Securita-te-Residentur findet sich beispielsweise in einem Gesprächsvermerk der HA II/5a vom 4.7.1957.BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 3, Bd. 1b, Bl. 155; ferner in einer Aktennotiz des Leiters der MfS-Abteilung X, Willi Damm, vom 31.8.1958; BStU, MfS, AP 5638/70, Bl. 37; ebenso in ei-ner MfS-Aktennotiz vom 24.3.1961 betreffend »Besprechung des Gen. Minister mit dem Lei-ter der rumänischen Operativgruppe in Berlin«; BStU, MfS, AP 3526/76, Bl. 21. Die Kurzbe-zeichnung »Securitate« wird in MfS-Akten nicht benutzt.

    36 Zu den MfS-Operativgruppen siehe die umfassende Studie von Domnitz: Kooperation und Kontrolle; zum Begriff »Operativgruppe« ebenda, S. 19–22. Das MfS entsandte 1954 einen ersten Verbindungsoffizier nach Moskau, der dort in den folgenden Jahren eine Operativgruppe aufbaute. Weitere Operativgruppen stationierte das MfS in Bulgarien (1962), Ungarn (1964) und der Tschechoslowakei (1965); Polen ließ erst 1980 eine MfS-Operativgruppe im Land zu.

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  • Die Zusammenarbeit zwischen Stasi und Securitate32

    lerdings von einem ausgeprägten und aggressiven Feindbilddenken sowie ideo-logisch begründeten Verzerrungen geprägt. Das führte im MfS zu einer sche-matischen Wahrnehmung der Wirklichkeit und rechtfertigte auch offensive Handlungen gegen tatsächliche und vermeintliche Gegner. Dasselbe lässt sich über die Securitate sagen. Die Kooperation war für beide Seiten kein Selbst-zweck, sondern wurde nur dort praktiziert, wo sie auch für die eigenen Ziele vorteilhaft schien. Dabei konnte durchaus der Erfolg des Verbündeten auch für die eigene Position von Nutzen sein.37 Unterstützung gewährte man auch in der Erwartung, bei Bedarf selbst von einem Verbündeten unterstützt zu werden. Als beide Geheimdienste Anfang der 1950er-Jahre ihre Zusammenarbeit begannen, profitierte davon in erster Linie die rumänische Seite. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg organisierten sich in der Bundesrepublik rumänische und rumänien-deutsche Flüchtlinge und Emigranten in zahlreichen Vereinigungen, Verbän-den, Landsmannschaften. Sie lehnten durchweg das kommunistische Regime in Rumänien ab. Doch ob sie tatsächlich eine ernsthafte Bedrohung für dessen Machterhalt darstellten, ist fraglich. Die Securitate sah seit Beginn der 1950er-Jahre eine ihrer Hauptaufgaben jedoch darin, diese Gruppen lahmzulegen und als politische Faktoren auszuschalten. Da diese in Richtung Rumänien wirk-ten, waren die Sicherheitsinteressen der DDR nur indirekt berührt. Dennoch gab es aus MfS-Perspektive gute Gründe, die Securitate zu unterstützen. Denn der Erfolg eines Verbündeten trug immer auch zur Machtsicherung des gesam-ten sozialistischen Staatensystems bei. Das MfS war mit der Situation im geteil-ten Deutschland besser vertraut und hatte insofern einen Heimvorteil, von dem die Securitate gerne profitierte. Es unterstützte die Securitate-Residentur damals logistisch und technisch. Nur in Einzelfällen betrachtete das MfS rumänische oder rumäniendeutsche Verbände auch als unmittelbares Sicherheitsproblem für die DDR. Das galt beispielsweise für die »Rumänische Kolonie Berlin«.

    Die Securitate unterhielt Mitte der 1950er-Jahre Residenturen in zehn Län-dern der westlichen Welt.38 Auch die Residentur in Ostberlin zählte im Selbst-

    37 Einige solcher Prinzipien des Erfahrungsaustauschs und der Zusammenarbeit fasste Erich Mielke im November 1969 bei seinem Gespräch mit der KGB-Führung zusammen. BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5128, Bl. 73 f.

    38 Ministerul Afacerilor Interne, Direcţia I, 27.10.1955: Raport privind analiza muncii Di-recţiei I pe perioada de la 1 ianuarie-15 octombrie 1955 [Ministerium für Innere Angelegen-heiten, Hauptabteilung I: Bericht über die Analyse der Arbeit der Hauptabteilung I in der Zeit vom 1. Januar bis 15. Oktober 1955]; veröffentlicht in: Securitatea. Structuri – cadre, obiective și metode, Bd. I, S. 373–389. Der Bericht ist von Vasile Vâlcu unterzeichnet, der die Auslands-spionage vom 1.9.1952 bis 16.12.1955 leitete. Die Securitate unterhielt diesem Bericht zufolge 1955 je eine Residentur in Ägypten, Argentinien, Frankreich, Großbritannien, Israel, Italien, Österreich, den USA und je zwei Residenturen in Deutschland (Frankfurt/M. und Berlin) und der Türkei (Istanbul, Ankara). Die österreichische Residentur war mit sechs operativen Mit-arbeitern, einem Funker und einem Fahrer am stärksten besetzt. Weitere Residenturen sollten in Belgien, den Niederlanden, der Schweiz und Syrien eingerichtet werden. Ebenda, S. 385.

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  • Die Securitate etabliert sich in Berlin 33

    verständnis der Securitate dazu, weil ihr hauptsächliches Einsatzgebiet in West-berlin und Westdeutschland lag. Sie stellte aber insofern eine Ausnahme dar, als dass sie in einem verbündeten Land stationiert war. Von daher besaß sie eine Doppelfunktion: sie bildete einerseits eine Auslandsrepräsentanz, sicherte die di-rekte Kooperation mit dem MfS und agierte innerhalb dieses Rahmens auch in der DDR. Insofern entsprach sie den späteren MfS-Operativgruppen in einigen sozialistischen Ländern. Andererseits wirkte sie in ein westliches, gegnerisches Land hinein. In dieser Doppelfunktion widerspiegelt sich die Situation des ge-teilten Deutschlands. Die Ostberliner Residentur umfasste im Herbst 1955 drei operative Mitarbeiter, einen Funker und einen Fahrer. Ihre personelle Ausstat-tung entsprach somit dem Durchschnitt einer damaligen Securitate-Residentur. Die Residentur in Frankfurt/M. verfügte hingegen nur über zwei operative Mit-arbeiter und einen Fahrer.39

    Schriftliche Vereinbarungen über die Zusammenarbeit der beiden Geheim-dienste sind bislang nicht bekannt. Gesichert ist jedoch, dass es im Herbst 1955 zu einer grundsätzlichen Absprache zwischen beiden Seiten kam. Damals, vom 4. bis 11. Oktober 1955, hielt sich der rumänische Innenminister, Generaloberst Alexandru Drăghici, in der DDR auf. Ihm unterstand die Securitate. Den äu-ßeren Anlass seines Besuches bildeten die Feiern zum 6. Jahrestag der Grün-dung der DDR, an der eine offizielle rumänische Regierungsdelegation teil-nahm. Ihr gehörten neben Drăghici auch Petre Borilă, erster Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrats, Gheorghe Stoica, rumänischer Botschafter in der DDR und Maxim Berghianu, 1. Sekretär der Rumänischen Arbeiterpartei im Kreis Kronstadt (Brașov, damals Stalinstadt, Orașul Stalin) an. Unbemerkt von der Öffentlichkeit reisten auch mindestens vier hochrangige Securitate-Mitar-beiter nach Ostberlin, unter ihnen Drăghicis Stellvertreter Generalmajor Va-sile Vâlcu, der Leiter der Auslandsspionageabteilung der Securitate DIE, und Oberst Eugen Szabó, der die Spionageabwehr-Abteilung der Securitate leitete.40 Drăghici und seine Securitate-Begleiter führten Gespräche mit ihren Kollegen der DDR-Staatssicherheit und vereinbarten, auf welchen Gebieten man künftig zusammenarbeiten werde. Ein späterer Securitate-Bericht nennt als Inhalt der damaligen Vereinbarung die folgenden Punkte:

    39 Ebenda.40 Ein großer Festtag steht bevor. In: Neues Deutschland v. 5.10.1955, S. 1; Ausländische

    Regierungsdelegationen abgereist. In: Neues Deutschland v. 12.10.1955, S. 1. Während die Be-richte des »Neuen Deutschlands« den Aufenthalt der offiziellen rumänischen Regierungsdele-gation belegen, ist die Anwesenheit der genannten Securitate-Mitarbeiter nur in dem Verzeich-nis der überreichten Gastgeschenke der DDR-Staatssicherheit dokumentiert, wobei fast alle Namen falsch geschrieben wurden. Vgl. BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1501, Bl. 249, darin sind ne-ben Drăghici, Vâlcu, und Szabó noch der Securitate-Mitarbeiter Simion aufgelistet, der nicht näher identifiziert werden kann, da kein Vorname angegeben ist, sowie ein weiterer »Begleiter« ohne Namensnennung.

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  • Die Zusammenarbeit zwischen Stasi und Securitate34

    Gemeinsamer Kampf gegen die feindlichen Zentren in Westberlin und Westdeutsch-land; Möglichkeiten seitens der Organe des MdI [= Securitate], Bürger der DDR oder Personen mit Wohnsitz auf dem Gebiet der DDR zu nutzen; Modalitäten des Kamp-fes gegen Grenzübertritte feindlicher Agenturen sowie Maßnahmen im Hinblick auf die Entsendung eigener Agenturen; Probleme betreffend die Schaffung des ›Rumä-nischen Komitees für die Rückkehr in die Heimat‹; Austausch von Erfahrungen und Ergebnissen auf dem Gebiet der operativen Technik.41

    Drei Monate zuvor hatte die DDR-Staatssicherheit bereits bilaterale Koopera-tionsvereinbarungen ähnlichen Inhalts mit den Staatssicherheitsdiensten der Tschechoslowakei und Polens getroffen. Hierüber gibt es – im Gegensatz zum rumänischen Fall – jeweils ein schriftliches Protokoll, das von den Führun-gen der Staatssicherheitsdienste unterschrieben wurde und im Fall der ost-deutsch-tschechoslowakischen Vereinbarung die handschriftlich vermerkte Zustimmung von SED-Chef Walter Ulbricht trägt.42 Diesen bilateralen Ver-einbarungen war eine multilaterale Geheimdienstkonferenz vom 5. bis 7. März 1955 in Moskau vorangegangen, an der die Innenminister oder Geheimdienst-chefs aller Staaten des späteren Warschauer Pakts teilnahmen. Dort steckte der KGB den Rahmen für die künftige Zusammenarbeit der Staatssicherheits-dienste untereinander ab und benannte die Ziele und die verschiedenen Fel-der der Kooperation. Die Vereinbarung zwischen Securitate und DDR-Staats-sicherheit vom Oktober 1955 griff einige dieser Bereiche auf, die im März 1955 in Moskau vorgegeben wurden.43 Die beiden Staatssicherheitsdienste erfüllten

    41 Republica Socialistă România, Ministerul de Interne, Serviciul Relaţii și Protocol, Nr. 006877, 27.7.1973: Notă privind relaţiile cu Ministerul pentru Securitatea Statului din R.D. Germană [Sozialistische Republik Rumänien, Ministerium des Innern, Abteilung Beziehungen und Protokoll, Nr. 006877, 27.7.1973: Bericht über die Beziehungen mit dem Ministerium für Staatssicherheit der Deutschen D.R.]; ACNSAS, fond documentar, D 13362, vol. 7, Bl. 54–61, hier: 54. Abgedruckt im Anhang als Dokument 3, S. 520–527.

    42 Protokoll über die Vereinbarungen, die in der Besprechung vom 6. bis 7. Juli 1955 in Berlin zwischen dem Ministerium des Innern der Tschechoslowakischen Republik [...] und dem Staatssekretariat für Staatssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik [...] getrof-fen wurden, 7.7.1955; unterzeichnet von Stasi-Chef Ernst Wollweber und dem tschechoslowa-kischen Innenminister Rudolf Barák; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1861, Bl. 1–8. Protokoll über die Vereinbarungen, die in der Besprechung vom 20.6. bis 22.6.1955 in Berlin zwischen dem Komitee für Öffentliche Sicherheit der Volksrepublik Polen [...] und dem Staatssekretariat für Staatssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik [...] getroffen wurden, 22.6.1955; un-terzeichnet von den Stellvertretern von Stasi-Chef Wollweber, Erich Mielke und Markus Wolf, sowie von ihren polnischen Pendants, dem 1. stellvertretenden Leiter des Komitees für Öffent-liche Sicherheit, Antoni Alster, und dem Spionagechef und stellvertretenden Leiter des Komi-tees, Witold Sienkiewicz; IPN BU [Instytut Pamięci Narodowej, Biuro Udostępniania, dt.: Institut für Nationales Gedenken, Abteilung für die Freigabe [von Dokumenten]] 1583/161, Bl. 1–10. Ich danke Christian Domnitz, der mir das ostdeutsch-polnische Protokoll zugäng-lich gemacht hat.

    43 Im Archiv des MfS ist die Moskauer Konferenz offenbar nur bruchstückhaft dokumen-tiert, und zwar im »Protokoll der Dienstbesprechung vom 22. März 1955«. BStU, MfS, SdM,

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  • Die Securitate etabliert sich in Berlin 35

    insofern die Erwartungen des KGB. Zugleich konnten sie sich des Rückhalts ih-rer politischen Führungen sicher sein, die die bilateralen Beziehungen zu inten-sivieren begannen.44 Für das MfS war die Moskauer Konferenz zusätzlich noch von Bedeutung, weil es damals als formell gleichberechtigt in den Kreis der ost-europäischen Staatssicherheitsdienste aufgenommen wurde, wie der Historiker Jens Gieseke feststellt.45

    Nr. 1921, Bl. 104–111. Dieses Protokoll gibt einen zusammenfassenden Bericht von Stasi-Chef Ernst Wollweber über die Moskauer Konferenz und einige dort gefasste Beschlüsse wieder. Ich danke meinem Kollegen Roger Engelmann für seinen Hinweis auf dieses Dokument. Sehr viel umfassender ist die Konferenz in den bulgarischen Staatssicherheitsakten dokumentiert. Darü-ber schreibt in deutscher Sprache erstmals ausführlich Christopher Nehring in seiner Disserta-tion »Die Zusammenarbeit der HV A mit der bulgarischen Aufklärung«.

    44 Zur Entwicklung der Beziehungen zwischen Rumänien und der DDR 1957–1962 siehe Stanciu: Frăţia socialistă, S. 193–198, der hier den Staatsbesuch Dejs in der DDR vom 24. bis 28.4.1957 als einen Versuch schildert, die bilateralen Beziehungen anzuregen.

    45 Gieseke: Deutsche Demokratische Republik, S. 200. Gieseke stützt sich hier auf das lü-ckenhafte »Protokoll der Dienstbesprechung vom 22. März 1955« (wie Anm. 43), seine Schluss-folgerung ist dennoch schlüssig.

    Abb. 4: Der rumänische Innenminister Alexandru Drăghici (in Uniform) trifft am 4.10.1955 zu einem Besuch in der DDR ein. Neben ihm ZK-Sekretär Albert Norden, vorne links Delegationsleiter Petre Borilă.

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    Doch schon vor den Absprachen und Vereinbarungen des Jahres 1955 ar-beiteten die sozialistischen Geheimdienste zu gegebenen Anlässen wie selbst-verständlich zusammen. Das überrascht nicht, wenn man deren Entstehungs-geschichte und das politische System betrachtet, in das sie eingebunden waren. Die Sowjetunion führte in allen Ländern ihres Machtbereichs bald nach dem Zweiten Weltkrieg ihr eigenes, diktatorisches Herrschaftssystem ein. Die neuen Machthaber in den »Volksdemokratien« waren Iosif Stalin treu ergeben, seien es SED-Generalsekretär Walter Ulbricht in Ostberlin oder der Generalsekretär der Rumänischen Arbeiterpartei (RAP) Gheorghe Gheorghiu-Dej in Bukarest. Der XX. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) im Feb-ruar 1956 bildete dann eine »tiefe Zäsur in der Entwicklung des Weltkommu-nismus«, wie es der Kommunismusforscher Hermann Weber formuliert.46 Drei Jahre nach Stalins Tod im März 1953 rechnete sein Nachfolger Nikita Chruščëv in einer Geheimrede mit einigen Auswüchsen des Stalinismus ab. Chruščëv kündigte zudem an, dass der »Aufbau des Sozialismus« je nach nationalen Be-sonderheiten in den einzelnen Ländern unterschiedlich vorangehen könne. Der XX. Parteitag, so Hermann Weber, »wurde zum Ausgangspunkt eine