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ISBN Print: 9783525370032 — ISBN E-Book: 9783647370033© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen

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Kritische Studienzur Geschichtswissenschaft

Herausgegeben vonHelmut Berding, J�rgen Kocka, Paul Nolte,Hans-Peter Ullmann, Hans-Ulrich Wehler

Band 185

Vandenhoeck & Ruprecht

ISBN Print: 9783525370032 — ISBN E-Book: 9783647370033© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen

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Heinrich Hartmann

Organisation und Gesch�ft

Unternehmensorganisation in Frankreichund Deutschland 1890–1914

Vandenhoeck & Ruprecht

ISBN Print: 9783525370032 — ISBN E-Book: 9783647370033© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen

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Mit 11 Abbildungen, 17 Grafiken und 8 Tabellen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind

im Internet �ber http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-525-37003-2

Umschlagabbildung:Titelblatt der deutschen Zeitschrift »Organisation«, 1900.

Gedruckt mit Unterst�tzung der FAZIT-Stiftung, Frankfurt am Main,der Ernst-Reuter-Gesellschaft der Freunde, Fçrderer und Ehemaligen der Freien Universit�t

Berlin e.V. und der Schmçlders-Stiftung f�r Verhaltensforschung im Wirtschaftsleben, M�nchen.

� 2010 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen / www.v-r.de

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich gesch�tzt.Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen F�llen bedarf der vorherigen

schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seineTeile d�rfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages çffentlich zug�nglich gemacht

werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung f�r Lehr- und Unterrichtszwecke.Printed in Germany.

Lektorat: Textg�rtnerei – Bernd Degener, BremenDruck und Bindung: a Hubert & Co, Gçttingen

Gedruckt auf alterungsbest�ndigem Papier.

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Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Einleitung – Perspektiven und Methoden eines internationalenUnternehmensvergleiches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

I. Chemische Industrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451. Bayer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

1.1. Unternehmensentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481.2. Akteure und Praktiken der Unternehmensplanung . . . . 53

Unternehmer, Direktoren, leitende Angestellte (53) – Visionen,Projekte und Pl�ne – Theorie und Praxis organisatorischerEntw�rfe bei Bayer (61) – Den Raum schreiben – Ein Organi-gramm entlang des Rheins (66)

1.3. Hierarchien in der Organisationsgestaltung . . . . . . . . 69Die Tr�ger von Organisations- und Produktionswissen –Techniker, chemisches Personal und Werksmeister (69) –Funktionstr�ger Wissen (76) – Kommunizierte Organisation –Praktiken versus Regeln (84)

1.4. Organisation durchsetzen und Organisation anzweifeln . . 87Arbeiter und Handwerker bei Bayer (87) – Kulturangebote undBindungskraft als Lenkungsmechanismus (96) – Wege derDisziplinierung (101)

2. PCAC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1052.1. Unternehmensentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1052.2. Organisation durch unternehmerische Strategie – Akteure

und Strategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109Die Rolle des Unternehmers in permanenter Neudefini-tion (109) – Kapital und Unternehmenskontrolle (115) –Zwischen fehlenden Pl�nen und vorhandenen Visionen (118) –Der Aufbau eines Kommunikationsnetzes (122)

2.3. Autonome Zonen in der Produktionsgestaltung . . . . . . 125Der corps technique als Tr�ger von Wissensnetzwerken (125) –Arbeitsdelegation an Teamstrukturen (130)

2.4. Organisation oder Strukturen? Die unterenHierarchieebenen als stabilisierender Faktor . . . . . . . . 134Der corps interm�diaire – die Rolle der Contrema�tres (134) –Heterogene Arbeiterschaft als Determinante der Organisa-

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tion (137) – Personal disziplinieren und Personal binden (145) –Konvergenz unternehmerischer Interessen und lokalerR�ume (149) – Organisationslogiken (153)

3. Planung und Kontingenz – Determinanten und Optionenin der Organisation von chemischen Unternehmen . . . . . . . 156

II. Warenh�user . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1611. Franzçsische Warenh�user . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165

1.1. Vom Eckgesch�ft zum H�userblock – Der Aufstieg dergrands magasins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165

1.2. Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168Einsame Unternehmer und neue Verwaltungsformen (168) – Die„Corps Interm�diaires“ des Warenhauses – mittlere Hierarchie-stufen (171) – Im Herzen des operativen Gesch�fts – an derPeripherie der Organisation. Die Angestellten im Waren-haus (174) – Prek�re Arbeit gleich weibliche Arbeit?Die Konstruktion marginaler Verhandlungspositionen (181)

1.3. Die Vermittlung der Organisation . . . . . . . . . . . . . . 185Visionen planerischen Handelns (185) – Jenseits des Familien-unternehmens – Verwaltung der Grands Magasins (187) –Bildung oder Ausbildung: Von individueller Qualifikation zursystemischen Wissensverwaltung (191) – Der Raum des Unter-nehmens als çffentlicher Raum (194) – Hierarchische Kontrollenund Gruppenautonomie (196) – Disziplin und Bindung –unternehmerische Personalstrategien (200) – B�rgerliche Kulturals handlungsleitendes Ideal (203) – Kollektives Handeln alsKristallisation interaktiver Organisation (207)

2. Deutsche Warenh�user . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2132.1. Aus der Provinz nach Berlin und zur�ck – die

Entwicklung der deutschen Warenh�user . . . . . . . . . . 2132.2. Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217

Unternehmer, Familien und wenige leitende Angestellte (217) –Vielf�ltige Formen der mittleren Hierarchiestufen (223) –Angestellte im Warenhaus – Marginalisierung durch Aufstiegs-chancen (228) – Im Spannungsfeld zwischen Diskurs undunternehmerischer Praxis – weibliche Angestellte im Waren-haus (235)

2.3. Instrumente der Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . 243Visionen des planerischen Handelns und deren Wirkung (243) –Netzwerke als Grundlage der Kapitalisierung – Verwaltung undAufsicht der Warenh�user (245) – (249) – Bildung und Ausbil-dung: Wissen im Warenhaus (250) – Verkaufsr�ume und çffent-liche R�ume: das Warenhaus in seiner urbanen Umwelt (252)

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2.4. Hierarchien, Teams und Kontrollen . . . . . . . . . . . . . 256Die Entwicklung neuer, disziplinierender Diskurse und dieNotwendigkeit zur sozialen Bindung (260) – �berformungs-prozesse in der Unternehmenskultur – b�rgerliche Kultur alsinszeniertes Leitbild (263) – Kollektives Handeln und divergie-rende Interessen in den fr�hen Angestelltengewerkschaften (267)

3. Vorbilder und Divergenzen. Deutsche und franzçsischeWarenhausorganisation als komplexer Transfer . . . . . . . . . 271

III. Dynamische Wechselwirkungen zwischen Unternehmen,Gesellschaft, Wissenschaft und staatlicher Wirtschaftspolitik . . . 2751. Organisationswissenschaften – von der Evolutionsbiologie zur

technischen Institution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2762. Die Konstituierung der Organisationseinheiten –

Unternehmen, Branchen, kollektive Handlungsoptionen . . . . 2832.1. Grenzen der Unternehmen – Wahrnehmungsstile . . . . . 2842.2. Konstituierung von kollektiver Aktion und

Gewerkschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2903. Regulieren und normieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294

3.1. Reglementieren im Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . 2943.2. Normieren durch den Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . 298

4. Schulen und verschulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3034.1. Organisieren will gelernt sein – Anf�nge der Verschulung

und ihre Einfl�sse auf die Unternehmen . . . . . . . . . . 3044.2. Lernen aus der Praxis: Schulbildung im Verh�ltnis zur

Situation der Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . 3114.3. Taylor und Fayol – Br�che oder Kontinuit�ten

vorhandener Unternehmenspraktiken? . . . . . . . . . . . 315

Zusammenfassung und Ausblick: Zwischen Branchen und Nationen.Die unterschiedlichen Bezugsebenen des Unternehmensvergleiches . . 323

Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337Verwendete Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337Verwendete Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347

Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369

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Vorwort

Mit diesem Buch kommt eine lange Arbeitsphase an ihr Ende. �ber all dieJahre habe ich mich dabei immer wieder auf die Hilfe vieler Menschen ver-lassen kçnnen. Ihnen mçchte ich mit den folgenden Zeilen danken.

Hier ist zun�chst die Unterst�tzung meiner beiden Betreuer zu nennen, dievon deutscher und franzçsischer Seite immer den Fortgang der Arbeit imAuge behielten. Patrick Fridenson und J�rgen Kocka haben dabei nicht nurdarauf geachtet, dass fachliche Entscheidungen zum angemessenen Zeitpunktgef�llt wurden; ohne mich in meinen Gedanken einzuengen, haben sie durchkonstruktive Ratschl�ge immer wieder geholfen, Schwierigkeiten aus demWeg zu r�umen.

Nicht zuletzt ihrer wohlwollenden Betreuung ist es zu danken, dass dieFragen der Arbeit immer in einem inspirierenden institutionellen Rahmendiskutiert werden konnten. Den Kollegen und Freunden aus dem BerlinerKolleg f�r Vergleichende Geschichte Europas, den Seminaren an der Ecole desHautes Etudes en Sciences Sociales, der Forschungsgruppe Zivilgesellschaftam Wissenschaftszentrum Berlin, vor allem aber dem Centre Marc BlochBerlin zusammen mit seiner Direktorin Pascale Laborier sei hier besondersgedankt. Die offene Gespr�chsatmosph�re half, die mitunter schwierigenPhasen zu �berwinden. Dem Deutschen Akademischen Austauschdienst unddem Centre Marc Bloch gilt zudem f�r die finanzielle Unterst�tzung meinbesonderer Dank. F�r die Finanzierung der vorliegenden Publikation geb�hrtder Schmçldersstiftung, der Fazit-Stiftung und der Ernst-Reuter-Gesellschaftgroßer Dank.

Keine historische Arbeit ohne Quellenmaterial. Die Suche danach fandteilweise auf hçchst verschlungenen Pfaden statt. Nur einige Personen, die beidieser Suche behilflich waren, kçnnen hier persçnlich genannt werden: Zu-n�chst Hans-Hermann Pogarell und dieMitarbeiterinnen undMitarbeiter desBayer-Unternehmensarchivs, Florence Hachez-Leroy und ihre ehemaligenKollegen vom Institut pour l’histoire de l’aluminium, Herr Herning, der alsEinziger wusste, dass Karstadt doch ein Archiv besitzt, und Laurent Seig-neurin, der sich mit unerm�dlicher Kraft daf�r einsetzt, dass die Geschichteder chemischen Fabriken in Salindres nicht in Vergessenheit ger�t.

Von verschiedenen Seiten kamen gute Ratschl�ge zur Durchf�hrung derArbeit. Yves Lequin und Hartmut Kaelble haben sich sehr darum verdientgemacht, dass die Arbeit auf ihren Weg gefunden hat. Thomas Welskopp,Jakob Vogel und Petra Overath haben durch gute Hinweise geholfen, unnçtigeUmwege zu vermeiden.Mit außerordentlicher Sorgfalt undUmsicht hat BerndDegener das Endlektorat durchgef�hrt.

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Gerade die Schlussphase der Arbeit w�re kaum zu meistern gewesen, wennnicht viele Freunde wertvolle Unterst�tzung geleistet h�tten. Sie hatten immerein offenes Ohr f�r die Probleme „meiner“ Arbeit und eine kritische Feder f�rdie notwendigen Korrekturen. Um den Rahmen nicht zu sprengen, kann hiernur einigen ausdr�cklich gedankt werden: Sina Teigelkçtter, Thomas W�rtz,Susanne Dodillet und Sophie Sch�fer sei f�r die kritischen Anmerkungen undKorrekturen gedankt. Immer wenn guter Rat teuer war, waren Christoph vonUngern-Sternberg und Elise Julien da, um auszuhelfen. Sylvia Heinrichs hatmir geholfen, den Mut nicht zu verlieren.

Ohne die Unterst�tzung meiner Eltern w�re das Studium nicht mçglichgewesen. Sie haben mir auch vermittelt, dass die wichtigsten Erkenntnisseimmer dort sind, wo man es amwenigsten erwartet. Weit �ber jede materielleUnterst�tzung hinaus haben sie ihren Anteil an dieser Arbeit, die ihnen ge-widmet sein soll.

Berlin, im September 2009Heinrich Hartmann

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Einleitung – Perspektiven und Methoden einesinternationalen Unternehmensvergleiches

„Auf das Heranwachsen eines verantwortlichenIndustrievolkes, einer internationalen Industrie-Nation kommt alles an, die einmal eine echteund rechte europ�ische Wirtschaftsgesellschaftbilden kann, in der werden alle Gestaltungs-impulse liegen, und liegen keimhaft schon jetzt,nicht bloß zur technischen Durchf�hrung einerneuen Wirtschaftsorganisation, nicht nur zueiner durchgreifenden Hygienisierung dernaturalen Lebensbez�ge, sondern auch zurBegr�ndung neuer politischer Ordnungen.“

Thomas Mann, Doktor Faustus

„Quand l’effet produit n’est plus en rapportdirect ni en proportion �gale avec sa cause,la d�sorganisation commence.“

Honor� de Balzac, C�sar Birotteau

In einer seiner ersten Ausgaben verçffentlichte das UnternehmermagazinOrganisation 1899 einen Bericht �ber die Neuerungen „moderner“ Unter-nehmensorganisation. Ziel einer neuen Organisation von Fabriken m�sse esdemnach sein: „Eigent�mlichkeiten ihrer Arbeiter [zu] ber�cksichtigen undam meisten daf�r [zu] tun, deren Lebensbedingungen und Streben zu opti-mieren.“ Der Autor ließ sich dabei von Beispielen ausgew�hlter deutscher,allerdings anonymer, Industrieunternehmen inspirieren. Kenntnisse undErfahrungen der Arbeiter w�rden in diesen Betrieben kontinuierlich abge-fragt und in die Organisation mit eingebracht. Dabei werde sehr genau aufPartizipation und Gedankenaustausch zwischen allen Teilen der Belegschaftgeachtet und hierdurch

„zur Schaffung und Entwicklung eines allgemeinen Esprit de Corps‘ in jeder Abtei-lung […] unter Ber�cksichtigung der Qualit�t, Quantit�t und des Kostenpunktes dererledigten Arbeit, sowie der Gesundheit und P�nktlichkeit der Angestellten einesystematische Rangordnung geschaffen.“1

1 „Eine moderne Fabrikorganisation“, in: Organisation, Nr. 8/1899.

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Solche Bilder einer „modernen Unternehmensorganisation“ passen kaum zuunserer Vorstellung eines streng patriarchalen und hierarchisierten Produk-tionsbetriebs, der vermeintlich so pr�gend f�r die IndustrialisierungDeutschlands und Europas war. Vielmehr kçnnten sich die Ausf�hrungen desAutors, mit einigen stilistischen Anpassungen, in jedem beliebigen betriebs-wirtschaftlichen Organisationslehrbuch unserer Tage wiederfinden. Langevor den Verçffentlichungen des amerikanischen Vordenkers Frederick W.Taylor interpretierten diese �berlegungen den Betrieb als ein soziales Expe-rimentier- und Erfahrungsfeld der modernen Gesellschaften. Sie orientiertensich ihrerseits an ausf�hrlichen Diskussionen �ber den Stellenwert von Or-ganisation als Grundlage gesellschaftlicher Koh�renz. Ein neues Wissensfeldentstand, in demdieOrganisation von ProduktionundHandel nicht nur einenneuen Platz im wirtschaftlichen Produktionssystem einnahm, sondern auchzum Kristallisationspunkt des sozialen Eigenverst�ndnisses wirtschaftlicherAkteure und eines optimistischen Zukunftsdiskurses wurde.

Die Genese und die unterschiedlichen praktischen, diskursiven und insti-tutionellen Bezugssysteme von Organisationswissen und Organisations-handlungen nachzuzeichnen, ist das Ziel der vorliegenden Arbeit. Das neueWissensfeld der Organisationslehre verband praktisches Erfahrungswissenmit neuen wissenschaftlichen Ans�tzen. Kulturelle Annotationen standendamit in engem Dialog mit der Vorstellung von modernem wirtschaftlichenHandeln. Ein urspr�nglich eher medizinisch-biologistisch aufgeladenesKonzept von organischer Gliederung �bersetzte sich in einen çkonomisch-institutionellen Zusammenhang.2 Um diese Knotenfunktion der Unterneh-mensorganisation angemessen analysieren zu kçnnen, soll in dieser Arbeitder Begriff der „Organisation“ als eine Schnittmenge von normativ kulturellaufgeladenen Handlungen und wirtschaftlichen Strukturen aufgefasst wer-den.3 Der nationale Vergleich, aber auch der Vergleich verschiedener Unter-nehmen und Branchen ermçglicht es hier, sowohl nationale Besonderheitenals auch allgemeine Grundmuster eines solchen neuen Wissensfeldes zu ver-deutlichen.

Schon in den fr�hen wirtschaftswissenschaftlichen Untersuchungen derdeutschen Nationalçkonomen spielte die Darstellung von Unternehmen undihrer Entwicklung zu komplexen, b�rokratisierten Einheiten eine wichtigeRolle in der Analyse des zeitgençssischen wirtschaftlichen Wachstums.4 Ins-besondere Max Webers idealtypische Analogie zwischen der B�rokratisie-rung staatlicher Herrschaft und der Lenkung von Unternehmen5 wurde zurGrundlage einer Tradition unternehmenshistorischer und organisationsso-ziologischer Perspektiven, die bis heute eine paradigmatischeWirkung auf die

2 Zu dieser Bedeutungsverschiebung: Bçckenfçrde, S. 587 ff. und S. 608 f. ; Sarasin/Tanner, S. 30 ff.3 Luhmann, S. 16.4 Schmoller, Geschichtliche Entwicklung.5 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Teil 2, Kap. 9, Absch. 2, S. 551 ff.

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historische Analyse des Unternehmens haben.6 Betriebssoziologische undmikropolitische Erweiterungen der unternehmenshistorischen Untersu-chungen çffneten in den letzten 15 Jahren diese Perspektive in entscheiden-dem Maße,7 doch die B�rokratisierungsthese stellt nach wie vor einen wich-tigen Bezugspunkt dar.

Die Fragestellung der vorliegenden Arbeit versteht sich aus dieser Ent-wicklung der theoretischen Debatte in der deutschen Unternehmensge-schichte, die �ber lange Zeit zu den eher theoriefeindlichen Teildisziplinen derGeschichtswissenschaft gehçrte, sich aber in den letzten Jahren rasch denneueren Theoriediskussionen geçffnet hat.8 Gleichzeitig greift sie Fragen derfranzçsischen Forschung auf, die bislang weit weniger auf eine Analyse b�-rokratischer Herrschaftstechniken fixiert war und vielleicht gerade aus dieserTradition heraus von deutschen Unternehmenshistorikern in ihren Verglei-chen lange Zeit wenig beachtet worden ist. W�hrend gerade in den letztenJahren an Vergleichen deutscher Unternehmen mit englischen oder ameri-kanischen kein Mangel herrschte, beschr�nkte sich eine transnationale Un-ternehmensgeschichte in deutsch-franzçsischer Perspektive imWesentlichenauf die Rolle des Unternehmers oder die Anwendung des Taylorsystems.9

Ausgehend von Fallstudien aus Deutschland und Frankreich ist es das Ziel derArbeit, die Anf�nge unternehmerischer Reflexionsprozesse in beiden L�ndernin den Blick zu nehmen und hierdurch ihre Grundlagen zu historisieren.

Die Untersuchung vergleicht dabei zun�chst ausgew�hlte deutsche undfranzçsische Unternehmen, um eine Fixierung auf die nationalen Ebenen zuvermeiden. Sie stammen aus zwei unterschiedlichen Branchen, die f�r diebinnenkonjunkturell gest�tzte wirtschaftliche Entwicklung der Zweiten In-dustrialisierung10 zwischen den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts unddem Ersten Weltkrieg charakteristisch sind. Dies ist zum einen die Chemie-branche, zum anderen – als Fallstudie aus dem wachsenden Dienstleis-tungssektor – die entstehendeWarenhausbranche. Bewusst stehen damit zwei

6 Kocka, Industrielles Management; Kocka, Management; Welskopp, Der Betrieb, S. 125; Dorns-eifer S. 69–91.

7 In erster Linie durch den Bochumer Arbeitskreis f�r Kritische Unternehmens- und Industrie-geschichte. Beispielhaft: Lauschke/Welskopp, Mikropolitik; auch S�ss, Mikropolitik und Spiele,S. 116–136.

8 Nach einer Vielzahl von Beitr�gen zur theoretischen Grundausrichtung des Faches, versuchtenin letzter Zeit gleich zwei �berblicksdarstellungen verschiedene Theoriestr�nge in der Unter-nehmensgeschichte zusammenzuf�hren: Pierenkemper, Unternehmensgeschichte; Berghoff,Moderne Unternehmensgeschichte.

9 Levy-Leboyer, Le patronat; Fridenson, Unternehmenspolitik, S. 428–450; Cohen/Manfrass,Frankreich und Deutschland; Eck, Les entreprises franÅaises.

10 Der Begriff der Zweiten Industrialisierung wird heute mehrheitlich durch die ver�ndertenLeitsektoren und die technische und soziale Intensivierung der Produktion definiert. EtwaZiegler, Industrielle Revolution, S. 101 ff.; B�sch, S. 28 ff. ; Hahn, S. 51 ff. Zur Einordnung desdeutschen Falls in einen grçßeren Kontext;Kaelble, Mythos, S. 106–118; f�r Frankreich sprichtHubert Bonin f�r die Zeit von 1895–1914 von der „d�marrage de la seconde industrialisation“;Bonin, S. 24; auch Levy-Leboyer, Le patronat.

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Bereiche imMittelpunkt, die in technologischer undwirtschaftlicher Hinsichtkeine direkten Beziehungen zueinander hatten und damit Unterschiede wieGemeinsamkeiten deutlich hervortreten lassen.

Der Vergleich der hieraus resultierenden vier F�lle soll es ermçglichen, aufdrei verschiedenen Ebenen zu Ergebnissen zu kommen: 1. Er zeigt Gemein-samkeiten unterhalb einer rein nationalen Ebene auf, bietet also auch Zugriffauf Bereiche der Unternehmensorganisation, die von anderen Bezugsrahmenabhingen. 2. Er deutet auch auf nationale Charakteristika unternehmerischerHandlungen. 3. Durch das internationale Beziehungsnetz von Unternehmenwird implizit auch eine transnationale Ebene in den Blick ger�ckt, die aufgemeinsame Entwicklungen oder gegenseitige Abgrenzungsbem�hungenverweist.

Wenn es darum geht, die spezifischen Kapazit�ten von Unternehmen inihrem operativen Gesch�ft zu untersuchen, bietet die Untersuchung derProduktionsorganisation in bestimmten Kontexten, also in den Produkti-onsanlagen einzelner Unternehmen, hierzu den geeigneten Schl�ssel. Es solldadurch analysiert werden, wie Firmen çkonomische Zielsetzungen an einevorgefundene soziale Struktur anpassten und auf welchen Wegen sie wie-derum versuchten, diese soziokulturelle Umwelt in ihrem Sinne zu beein-flussen. Die Entwicklung einer b�rokratischen Verwaltung ist hierbei nur einElement im Katalog mçglicher Organisationsprozesse. Neuere Perspektivender soziologischen Forschung legen dar�ber hinaus einen breiteren Organi-sationsbegriff nahe. Gerade f�r die Einbeziehung des franzçsischen Fallsscheint eine solche Perspektive entscheidend zu sein. Hypothetisch ließe sichformulieren: Die h�ufig vermutete Dominanz des deutschen b�rokratischenModells der Unternehmensorganisation gegen�ber dem franzçsischen Fallkann erst dann gewinnbringend hinterfragt werden, wenn auch die theoreti-schen Bewertungsmaßst�be f�r eine wirtschaftliche Organisation mit in dieFragestellung einbezogen und im Sinne neuerer organisationssoziologischerFragestellungen erweitert werden. Dabei lassen sich auch auf epistemologi-scher Ebene durch einen ausgewogenen Vergleich R�ckschl�sse auf die Ent-wicklung der Organisationslehre und die damit verbundene Erschließungneuer Wissensfelder ziehen.11 Durch eine Perspektive, die die parallele Ent-wicklung von Institutionalisierungsprozessen neuer Wissensformen und dieVer�nderung von Organisationspraktiken in Produktionszusammenh�ngengemeinsam in den Blick nimmt, kann die Untersuchung die unterschiedlichenWissenstopographien und ihre Wechselwirkung mit lokalen unternehmeri-schen Praktiken beschreiben.12

Es gibt wohl kaum eine so gut ausgebaute Achse transnationaler Ge-schichtsschreibung wie diejenige zwischen Deutschland und Frankreich.

11 Zum Konzept der Wissensfelder, Bourdieu, S. 113–120.12 Zur Interaktion von Wissenschaft und Praxis: Geertz, S. 167–234; Turner ; Vogel, Wissens-

gesellschaft, S. 644 ff. und S. 650 f. ; auch Burke, S. 18 f.

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Beide L�nder sind in vielf�ltiger Form miteinander in Beziehung gesetztworden, ob im Sinne einer komparativen und kontrastierenden Feststellungvon �hnlichkeiten und Unterschieden oder durch eine Beschreibung derwechselseitigen Einfl�sse.13 Doch ist dieses grenz�berschreitende Interesse inden historischen Studien zu Deutschland und Frankreich nicht in allen Ge-bieten gleich stark. Gerade die wirtschaftliche Entwicklung standweit seltenerim Mittelpunkt eines solchen Vergleiches als etwa Fragen der politischenKultur.14 Aus der sozialhistorischen Tradition beider L�nder heraus entwi-ckelte sich zwar ein Vergleich der Unternehmer als der zentralen Akteure inUnternehmen15 und Gesellschaft,16 aber eine vergleichende Untersuchung inBereichen der Technik- und Unternehmensgeschichte blieb bis heute weit-gehend aus. Hierdurch sind f�r die Forschung in diesen Bereichen zahlreichePerspektiven ungenutzt geblieben; diese seien hier in zwei Punkten zusam-mengefasst:

1. Das besondere Interesse, das einem solchen Vergleich zukommt, bestehtzun�chst darin, dass beide F�lle außerhalb des angloamerikanischen Be-zugsrahmens liegen. Dabei gibt es keinen Grund, den Erfolg deutscher undfranzçsischer Modelle in Zweifel zu ziehen.17 Beide L�nder gehçrten zu denvier grçßten Industrienationen vor dem Weltkrieg. Um die Erfolgspfade derUnternehmen beider L�nder erkennen und angemessen darstellen zu kçnnen,w�re es nicht sinnvoll, sie mit amerikanischen oder britischen F�llen zu ver-gleichen. Allzu leicht w�rde dies nur zu einer Best�tigung einesOne-best-way-Schemas f�hren, das seit beinahe einem Jahrhundert die Diskussionen um dieOrganisation von Unternehmen begleitet.

2. Frankreich und Deutschland waren nicht nur politisch, sondern auchwirtschaftlich in besonderemMaße voneinander abh�ngig. Bei Einfuhren undAusfuhren belegte das Deutsche Reich f�r Frankreich den dritten, Frankreichf�r Deutschland den vierten Platz auf der Liste der wichtigsten Handels-partner.18 Was f�r die Volkswirtschaften vor dem Krieg ohnehin galt – eineweitgehende gegenseitige Abh�ngigkeit und Verflechtung –, traf in besonde-remMaße auf Wirtschaft und Unternehmen der beiden Nachbarn zu. Hierausergab sich eine aufmerksame wechselseitige Beobachtung der beiden L�nder.Dabei ging es nicht nur um die wirtschaftliche Leistungsf�higkeit einzelner

13 Als letzte umfassende Zusammenschau zu diesem Thema: Kaelble, Nachbarn; zur Frage desTransfers: Espagne/Werner ; Werner/Zimmermann.

14 Als �berblick: Kott/Nadau, S. 103–111.15 L�vy-Leboyer, Le patronat; daneben Homburg, Warenhausgr�nder ; auch Locke.16 Fçllmer, Verteidigung.17 Smith ; Caron, Histoire �conomique.18 Frankreich lag dabei hinter England und den USA, aber relativ gleich auf mit Handelspartnern

wie sterreich-Ungarn und Russland; Fischer, Deutschland 1850–1914, S. 412; auch AnhangNr. 4 zu: Statistisches Jahrbuch, Jg. 34/1913.

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Produktionen und Industrien, sondern auch um deren politische und insti-tutionelle Umrahmung.19

Die mçglichen Ertr�ge eines solchen Vergleiches bauen in mehrerenEtappen aufeinander auf: Zun�chst sch�rfen sie das Verst�ndnis f�r dieFunktionsweise der Unternehmen. Lassen sich �hnliche Organisationsele-mente in verschiedenen L�ndern und Branchen wiederfinden, oder muss zurFunktionsanalyse der Unternehmen vielmehr ein breiteres Verst�ndnisfunktionaler �quivalente herausgearbeitet werden? Auf diese Weise ist eswiederum mçglich, �bersetzbarkeiten und Lernf�higkeiten zu bestimmen.Konnten die Zeitgenossen in Deutschland und Frankreich �berhaupt von-einander lernen? Waren nicht die Determinanten, auf die sich die Organisa-tion der Unternehmen aufbaute, so unterschiedlich, dass unternehmerischeKonzepte singul�r bleiben mussten? Hierdurch kann die Arbeit dabei helfen,eine nach Paul Erker zentrale Leitfrage des unternehmenshistorischen Er-kenntnisinteresses zu beantworten: „die Frage nach nationalen Stilen versusBranchenspezifika.“20

Die methodischen Probleme, die jeder historische Vergleich ohnehin im-pliziert, versch�rfen sich zus�tzlich f�r das Untersuchungsobjekt „Unter-nehmen“. Die h�ufig schwierige Quellenlage verhindert den Zugang zu vielenunternehmensspezifischen Themenkomplexen, die oft nicht schriftlich do-kumentiert oder nicht archiviert wurden. Das Ausgangsproblem liegt also imRekonstruieren von Strukturen und Aktivit�ten des Unternehmens. F�r dieUnternehmensarchive existieren keinerlei einheitliche Sammlungskriterien.Die �berlieferung der eigenen Geschichte ist somit auch ein fr�her Akt derSelbstinszenierung des Unternehmens und verweist auf die Problematik vonEigendarstellung und Fremdwahrnehmung.21 F�r die Rekonstruktion be-stimmter Prozesse ist es notwendig, neben Unternehmens�berlieferungenzus�tzliches Quellenmaterial aus çffentlichen Archiven heranzuziehen, umdie Geschichtskonstruktion des Unternehmens kritisch zu �berpr�fen.22

Ein anderes Problem, das kennzeichnend f�r die Unternehmensgeschichteist, stellt grunds�tzlichere Fragen an die komparatistische Methode: DasProblem unterschiedlicher Grçßenmaßst�be im Vergleich verschiedenerUnternehmen, insbesondere, wenn es sich um einen internationalen Vergleichhandelt. Hier geht es nicht nur um differierende Umsatz- und Belegschafts-zahlen; auch die Beziehungsnetze des Unternehmens kçnnen auf verschie-denen Niveaus verankert sein. Die Fragen, woher ein Unternehmen seinPersonal bezieht, mit wem es Handel treibt oder �ber welche Wege es Einfluss

19 Verwiesen sei hierbei auf eine große Zahl franzçsischer Reiseberichte �ber die Wirtschaft inDeutschland, wichtigster Vertreter war Jules Huret.

20 Erker, Aufbruch, S. 327.21 Dartevelle/Eck, S. 55 ff. ; Pierenkemper, Angestellte, S. 178.22 Fridenson, Une n�cessaire compl�mentarit�, S. 50.

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auf politische Entscheidungen zu nehmen versucht, m�ssen je nach Unter-nehmen anders beantwortet werden.

Schon Marc Bloch hat in seiner fr�hen Schrift zum historischen Vergleicheurop�ischer Gesellschaften auf die Bedeutung der Grçße der Untersu-chungsobjekte f�r die zu erwartenden Ergebnisse hingewiesen. Die verglei-chende Studie, so Blochs Auffassung, sei eine abstrahierende Studie, diekenntnisreich auf einer Vielzahl von Einzelstudien aufbaue, deren zugrundeliegenden Schemata herausarbeite und diese in einen grçßeren Kontext stelle.Der Vergleich des Besonderen hat hier zun�chst nur Platz, wenn es als Mo-dalit�t der Regelm�ßigkeit gedacht werden kann.23 Haupt und Kocka betonendagegen, dass der quellengeschulte Blick des Historikers gerade zur Er-kenntnis des Besonderen tendiere, ja, dass eine vollst�ndig abstrahierende, anGesetzm�ßigkeiten orientierte Perspektive dem Sinn der Geschichtswissen-schaften widerspreche.24 Daraus resultieren f�r sie die Notwendigkeit undauch die Tendenz zur Verschiebung der Betrachtungsebenen im historischenVergleich. Dem nationalen Vergleich st�nden mehr und mehr lokale Unter-suchungen und Mikrostudien gegen�ber, eine Tatsache, die f�r die Wirt-schaftsgeschichte in noch grçßerem Maße gelte.25 Oft genug ist eine solcheMaßstabsverschiebung auchmit einer Verschiebung des Erkenntnisinteressesverbunden, das sich von einer abstrahierenden Strukturebene hin zu einerverstehenden Handlungsebene verlagert.26

Das Unternehmen l�sst sich schwerer in ein Raster von Mikro-, Meso- undMakroebene einordnen, das f�r die Beschreibung vieler historischer Unter-suchungsobjekte eine bedeutende Rolle spielt, auch wenn die einzelnenAnalysen jeweils eigenen Kriterien folgen.27 Die individuelle Handlungsebeneeinzelner Akteure ist in einem çkonomischen Kontext zwar konstitutiv, erstdurch die Handlungen der Akteure erlangt das Unternehmen schließlich seineçkonomische Bedeutung; allerdings steht es auch im Dialog mit gesell-schaftlichen Strukturen, wird durch diese bestimmt und ver�ndert. Das Un-ternehmen ist zwar wie kaum eine andere Entit�t in einem festen Raum – etwaeinemFabrikgel�nde – zu verorten; allerdings greift die Analyse zu kurz, wennsie anhand einer streng r�umlichen Festlegung des Objektes vorgeht. DasUnternehmen besteht nicht nur aus klar definierten Produktionshandlungen,sondern ist auch ein konstruiertes System, das sich durch st�ndig verschie-bende Grenzen und permanente Neuverhandlungen zwischen den Akteurendefiniert. Innen und Außen des unternehmerischen Systems gehen somitfließend ineinander �ber. Das Unternehmen wird auf diese Weise zum

23 Bloch, S. 37.24 Haupt/Kocka : Historischer Vergleich, S. 21 f.25 Ebd., S. 19.26 Hierzu auch Kaelble, Interdisziplin�re Debatten, S. 480 ff.27 Revel.

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Scharnier zwischen einer internen Handlungs- und einer externen Struktur-ebene.28

Die unterschiedlichen Bezugssysteme des Unternehmens sind nach ver-schiedenen Kriterien zu differenzieren. Zu nennen sind hier insbesondere:1. Der Bezugsrahmen f�r die Kapitalisierung des Unternehmens: Ein Unter-nehmen kann sich auf unterschiedliche Netzwerke zur Akquirierung desUnternehmenskapitals st�tzen. F�r die Unternehmen der Industrialisierungsind diese Netzwerke h�ufig – aber nicht immer – regional. 2. Die kommer-ziellen Netze, also die Produktm�rkte, auf denen das Unternehmen anbietet:In vielen Unternehmen, unter anderem auch in den hier untersuchten, diffe-renzierten sich diese kommerziellen Netze wiederum nach der Anzahl ange-botener Produkte. In der Regel erreicht ein Unternehmen in diesem Bereichseinen weitesten Wirkungsradius. 3. Die Arbeitsm�rkte, auf die es zur�ck-greift : Hierunter ist zun�chst das am Produktionsstandort vorhandene Ar-beitsangebot zu verstehen, das einen der klassischen Standortfaktoren dar-stellt.29 Daneben werben Unternehmen immer wieder in anderen RegionenArbeiter an und schaffen somit breite Migrationsstrçme. Was schon f�r dieRekrutierung der Arbeiter gilt, l�sst sich umso mehr f�r die Rekrutierung deshçher qualifizierten Personals best�tigen. 4. Das Engagement des Unterneh-mens zur Vertretung seiner eigenen Interessen: Hier geht es um die Koordi-nation von Interessenvertretungen, aber auch um die Aus�bung sozialerVerantwortung zur Stabilisierung des unternehmerischen Umfeldes. Ein sol-ches Engagement kann sich an lokalen ebenso wie an nationalen Maßst�benorientieren. 5. Schließlich die gesellschaftliche Wahrnehmung als entschei-dender Faktor in der Situierung des Unternehmens. Die ffentlichkeit wurde,so Wolbring, zu einer „Institution der Gesellschaft, die im Verlauf des 19.Jahrhunderts als Machtfaktor zunehmende Bedeutung gewann“, und erlangtauch f�r die Kommunikationsstrategien der Unternehmen eine enorme Be-deutung.30 Die Frage, wer �ber das Unternehmen spricht und ob solche Dis-kussionen auch in staatlich-politische Zusammenh�nge getragen werden,bestimmt in entscheidendemMaße die Bedeutung, die dem Unternehmen alskomplexer, gesellschaftlicher Institution zugeschrieben wird, und die Gren-zen, die dem unternehmerischen Handlungssystem gesetzt werden.

Das Unternehmen soll also in der Vermittlung und im Austausch zwischenverschiedenen gesellschaftlichen Ebenen angemessen dargestellt werden,31

statt bloß ein Teil eines nationalen Musters zu bilden. Auch in dieser metho-

28 Paulmann, S. 678 f.29 Schon in den ersten Lehrb�chern zur Fabrikorganisation sind diese �berlegungen zu den

Standortfaktoren ausformuliert: Balewski, S. 5 ff. ; kurze Zeit sp�ter folgte die mathematischeModellierung durch Alfred Weber; Weber, Standort.

30 Wolbring, S. 11.31 „Es ist das Prinzip der Variation, auf das es ankommt, nicht die Wahl eines bestimmten Grç-

ßenmaßstabes“, Revel, S. 19.

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dischen Perspektive kann die Unternehmensgeschichte mithelfen, umfas-sendere Fragestellungen weiterzuentwickeln.32

Damit solche heterogenen Objekte wie Unternehmen erfolgreich mitein-ander verglichen werden kçnnen, m�ssen also nicht nur Unterschiede undGemeinsamkeiten,33 sondern auch �bergreifende Untersuchungskategoriengesucht werden, durch die die Feststellung funktionaler �quivalente, �berspezifische Kontexte hinaus, mçglich wird.34 Diese Untersuchungskategoriensollen hier vor dem Hintergrund der Entwicklung der unternehmenshistori-schen Forschung kurz vorgestellt werden.

Bereits die nationalçkonomische Schule suchte nach ad�quaten Erkl�-rungsmustern f�r den Prozess der Industrialisierung in Europa und den USA.Die Entwicklung der Unternehmen in ihrem strukturell-organisatorischenAufbau bot dabei einen Angriffspunkt, um die Faktoren dieser Industriali-sierung zu analysieren.35 Neben der Funktion als Analysewerkzeug verdanktdie Unternehmensgeschichte ihre Entstehung auch der Tatsache, dass seit dem19. Jahrhundert anl�sslich von Firmenjubil�en immer h�ufiger Festschriftenverçffentlicht wurden.36 Ziel dieser Publikationen war und ist es unter ande-rem, durch das Erz�hlen der eigenen Erfolgsgeschichte eine gemeinsameIdentit�t im meist disparaten unternehmerischen Handlungsfeld zu schaf-fen.37 Solche Versatzst�cke von „Meistererz�hlungen“38 stellen damit h�ufigwichtige Kommunikationsakte der Unternehmensleitung dar und findenhier�ber bis heute Eingang in die aktuellen Forschungen zur Unterneh-mensgeschichte. Die Unternehmensgeschichtsschreibung steht also der Or-ganisationsforschung nicht neutral gegen�ber ; vielmehr bewegt sie sich ineinem semantischen Feld, das zu konstruieren sie selbst mitgeholfen hat. DieEntstehung der modernen Organisation der Unternehmen sowie ihre wis-senschaftliche Reflexion rekurrierte in einem gewissen Maße immer auf„storytelling“ als Zugangsmethode.

Doch gerade die wissenschaftliche Form von unternehmenshistorischenArbeiten, die aus diesen beiden Traditionslinien hervorging, unterlag immerwieder Konjunkturen und Paradigmenwechseln, war zeitweise sogar beinahevollst�ndig verschwunden. Eine der wichtigsten Kontinuit�ten, die trotz aller

32 Diebolt, S. 103 f. ; Fridenson, Organisations, S. 1467. Allerdings sind sich die Autoren bei denForderungen nach Unternehmensvergleichen nicht immer der impliziten methodischenSchwierigkeiten bewusst, so Spoerer.

33 Im Sinne von Marc Blochs Wechselspiel zwischen �hnlichkeiten und Unterschieden auf ver-schiedenen Ebenen, Bloch, S. 17.

34 Haupt/Kocka, Historischer Vergleich, S. 19.35 Jahn ;Kr�ger, S. 92 f. Als Beispiele: Schmoller,Grundriß, S. 190 ff. und S. 456 ff.; Sombart,Luxus,

S. 177 ff.36 Pierenkemper, Unternehmensgeschichte, S. 28 ff. und S. 82.37 Gabriel, S. 359.38 Hierf�r nur einige Beispiele: Historique de Salindres; Py 00/13/19953; Geschichte und Ent-

wicklung der Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co. Elberfeld in den ersten 50 Jahren, 1918;BAL 108–10.

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historiographischen Verwerfungen in den Debatten pr�sent blieb, war dieUntersuchung der Akteure, in erster Linie der Figur des Unternehmers39 – einePerspektive, die durch die sozialgeschichtliche Wende der sechziger undsiebziger Jahre des 20. Jahrhunderts eine neue Konjunktur erfuhr.40 Danebenwurden aber auch die Untersuchungen zu unternehmerischen Strukturenstark gemacht. Vor allem die wesentlich durch J�rgen Kocka41 angestoßenenund an Max Weber angelehnten Untersuchungen zur Analogie von unter-nehmerischer und staatlich-administrativer B�rokratie erlangten hier großeBedeutung. Diese Perspektive beh�lt bis heute eine herausragende Bedeutung,die sich, nicht zuletzt befçrdert durch die Arbeiten Alfred Chandlers,42 aufandere L�nder ausgedehnt hat.43 Aus dieser dialektischen Bewegung zwischender akteursfixierten Perspektive und der Untersuchung der Institution desUnternehmens als Kernelement der kapitalistischen und gesellschaftlichenEntwicklung ergab sich eine Grunddisposition der deutschen Unterneh-menshistoriographie bis in die allerj�ngste Zeit.

In der Kontinuit�t dieser Entwicklung bildete sich eine handlungstheore-tische Lesart der Interaktionen imUnternehmen heraus,44 in der es nicht mehrdarum ging, das Unternehmen als ein von der Spitze unilateral beherrschteshierarchisches Modell aufzufassen, in dem sich Entscheidungen mit gewissenReibungsverlusten in Handlungen �bertrugen. Vielmehr standen der Betriebund sein Charakter als mikropolitisch interaktives Aushandlungsfeld imVordergrund.45 Hierbei ging es darum, nicht mehr den Plan hinter einerHandlung zu suchen,46 sondern durch eine handlungstheoretische Perspek-tive das Verst�ndnis f�r die Konstruktion der Aktion selbst zu sch�rfen.47

Gerade spieltheoretische Ans�tze aus denWirtschaftswissenschaften konntenhier bislang nur auf konzeptioneller Ebene einen Beitrag leisten.48

Neben dieser Interaktionslogik trat die Unternehmensgeschichtsschrei-bung allerdings auch in den Dialog mit einer eher systemischen Lesart desUnternehmens, die hierarchische Strukturen,49 ob formeller oder informellerArt, in den Mittelpunkt der Untersuchung r�ckt. Dies gilt in besonderem

39 Fr�he Studien zum Unternehmertypus: Sombart, Kapitalismus, S. 6 ff. ; Schumpeter, Josef A.:Theorie; Schumpeter, konomie. Levy-Leboyer, Patronat franÅais, (1979).

40 Kaelble, Evolution, S. 15–36; Kocka, Unternehmer.41 Kocka, Unternehmensverwaltung; vor allem auch Kocka, Industrielles Management; Berger/

Offe, Rationalisierungsdilemma.42 Chandler, Visible Hand.43 Gardey, Dactylographe; Zunz.44 S�ss, Mikropolitik und Spiele; daneben die beiden konzeptionell wohl wichtigsten Einzel-

studien: Plumpe, Betriebliche Mitbestimmung; Welskopp, Arbeit und Macht.45 Lauschke/Welskopp, Mikropolitik. In �hnlicher Perspektive J�rgens.46 Etwa Fiedler, Entwicklung.47 Welskopp, Der Mensch.48 Crozier/Friedberg, Acteur ; S�ss, Mikropolitik und Spiele, S. 122 ff.49 Chandler, Visible Hand, S. 145 ff.; im Anschluss etwa Maurice/Sellier, besonders S. 518 ff.; Le-

febvre.

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Maße f�r die franzçsischen Ans�tze der Paternalismusforschung, die in denletzten Jahren traditionelle Vorstellungen hierarchischer Gliederungen er-heblich dekonstruiert haben.50

Aber auch die Austauschpfade zwischen der unternehmerischen Organi-sation und ihrer Umwelt r�ckten mehr und mehr in das Interesse der Histo-riker.51 Kommunikation52 und Kultur53 wurden zu Schlagwçrtern f�r neueUntersuchungsfelder, die in den achtziger und neunziger Jahren des vorigenJahrhunderts zahlreiche Forschungen inspirierten. Allerdings wurde auchdarauf hingewiesen, dass Kultur sich weder historisch noch soziologisch zueinem geschlossenen Forschungsfeld zusammenfassen l�sst.54 Widersprichtdieser wiederholt artikulierte Zweifel am Wert der Unternehmenskultur f�rdie Unternehmensgeschichte nicht einer kulturwissenschaftlich erweitertenPerspektive auf das Unternehmen? Eine solche Perspektive besch�ftigt sichmit den ungleich verteilten Machtressourcen in den Organisationen, und�berschreitet hierdurch die Grenzen des Unternehmens deutlich. Diese Arbeitwird versuchen, die unterschiedlichen unternehmenshistoriographischenEntwicklungslinien durch einen offenen Organisationsbegriff zu integrieren,der das Unternehmen als Ort versteht, an dem innerbetriebliche soziale Dy-namiken mit vielf�ltigen gesellschaftlichen Verh�ltnissen in Austausch treten.

Die historische Darstellung der Verwissenschaftlichung der betrieblichenVerwaltungslehre steht dagegen der Unternehmensgeschichte verh�ltnism�-ßig unvermittelt gegen�ber. Wissenschaftlichkeit und unternehmerischePraxis scheinen dabei meist nur als Anbieter und Nachfrager gedacht wordenzu sein. Im Sinne neuererAns�tze einerWissensgeschichte, die denDialog vonpraktischem und theoretischem Wissen unterstreicht und dabei die persçn-lichen Handlungsspielr�ume der Akteure betont, ist dieses Verh�ltnis nochkaum untersucht worden. Auch das Wechselverh�ltnis zwischen einer ent-stehenden Wissenschaft �ber das Unternehmen mit der Generierung vonneuenWissensformen imUnternehmen ist bislang von den Historikern kaum

50 Umfassend diskutiert etwa in der Nummer desMouvement Social Nr. 144/1988; die letzten sehrproduktiven Beitr�ge zum Thema Bourginat ; Vandecasteele-Schweitzer, Comment; Bourdelais,Repr�sentations; Lefebvre.

51 Inspiriert von der zunehmenden Aufmerksamkeit, die Kommunikationsprozesse erfahren,kommt der Schnittstellenanalyse eine immer grçßere Bedeutung zu.Minssen, Rationalisierung;Mintzberg ; F�r erste Anwendungen mit einem unternehmenshistorischen Hintergrund: Tacke,Systemrationalisierung; Murmann, Knowledge.

52 Yates. Wischermann. In j�ngster Zeit die Marketinggeschichte als Form der Kommunikationzwischen dem Unternehmen und seinem �ußeren; Berghoff, Marketinggeschichte. In dieserPerspektive der Redynamisierung der Unternehmensgeschichte als Versuch partieller Stabilit�tin einem Umfeld steter Ver�nderung Lamoreaux/Raff/Temin.

53 Alvesson/Berg ; Kieser, Organisational Culture; R�hli, S. 297 f. Zum anf�nglichen Interesse derunternehmenshistorischen F�cher, aber auch der Grenzen Petzina/Plumpe, vor allem S. 15;Schreyçgg, Unternehmenskulturdiskussion; Berghoff, Unternehmenskultur, S. 175 ff.; Kocka,Deutsche Unternehmenskultur.

54 Welskopp, Unternehmenskulturen; interessant auch die Perspektive als „nichtinstitutionelleVerhaltensweisen der Akteure“, Nieberding, Unternehmenskultur.

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ber�cksichtigt worden.55 Doch gerade f�r diese Arbeit, die die praktischenWissensbest�nde in den Unternehmen mit der Geschichte der theoretischenOrganisationsdiskurse zu verbinden sucht, sind auch die Studien zu ver-schiedenen betriebswirtschaftlichen Feldern56 wie auch zur sozialen Praxisbetriebswirtschaftlicher Ausbildung57 von Bedeutung.

Die Eckdaten der vorliegendenUntersuchung – 1890 und 1914 – sind h�ufigund in verschiedenen Zusammenh�ngen von Historikern als Grenzpunktegesellschaftlicher Dynamiken benutzt worden. Die Zeitspanne wurde in kul-tureller Perspektive immer wieder als tempor�re Einheit gesellschaftlicherErneuerung beschrieben.58 Und auch in der Geschichtsschreibung von Politikund politischer Kultur hat sich die Periodisierung fest etabliert.59 Doch nebendieser eher geistesgeschichtlichen Ann�herung bildet sie auch in wirt-schaftshistorischem Zusammenhang eine Einheit.60 Die auf SchumpetersAnalyse der Konjunktur- und Krisenperioden basierende Aufteilung in wel-lenfçrmige, gleichm�ßige Konjunkturbewegungen (sogenannten Kond-ratieffs) im nachrevolution�ren Europa61 belegt f�r die Periode zwischen 1895und 1913 eine Phase nachhaltigen Wirtschaftswachstums.62 Sowohl f�rDeutschland als auch f�r Frankreich ist damit die Periodisierung einer ge-schlossenen wirtschaftlichen Phase zwischen dem letzten Jahrzehnt des 19.Jahrhunderts und dem Ersten Weltkrieg zu einer klassischen Zeiteinteilunggeworden.63

Die volkswirtschaftliche Phase dieser „Zweiten Industrialisierung“ hattenachhaltige Ver�nderungen in den Unternehmen zur Folge; so ist diese Pe-riode die Zeit einer umfassenden Konsolidierung der unternehmensspezifi-schen Leitungs- und Besitzverh�ltnisse, aber auch die Phase, in der vieleUnternehmen ihre Produktion neu ordneten.64 Neue Unternehmen undBranchenwurden immer bedeutender. In Frankreichwaren dies in erster Liniedie Elektroindustrie, die Elektrochemie und weite Teile der Metallproduktionund des metallverarbeitenden Gewerbes sowie der Maschinenbau.65 Die tra-

55 Als Ausnahme: Cohen, Organiser, insb. S. 10 f.56 Als Beispiel die Arbeiten zu Henri Fayol: Peaucelle, Henri Fayol; Peaucelle, Inventeur ; Reid,

Gense. Besonders interessant auch die kaum bearbeitete Geschichte der Unternehmens-beratung: Weexsteen ; Kipping/Engewall, Management Consulting.

57 Etwa Franz ; Mantel ; Pierenkemper, Unternehmensgeschichte, S. 148 f.58 Etwa Frick/Mçlk ; Lindenfeld/Marchand ; Kafitz.59 Nur drei Beispiele unter vielen: Besslich ; Stçber ; McLean.60 Torp spricht etwa f�r die Zeitspanne von 1890 bis 1914 von einer „Belle Epoque der Welt-

wirtschaft“; Torp, S. 14.61 Schumpeter, Wellenbewegung.62 Wehler, Gesellschaftsgeschichte, S. 594 ff.63 Kellenbenz, Wirtschaftsgeschichte, S. 315 f. ; etwas abgewandelt bei Hentschel, S. 212 ff. ; Caron,

Croissance, S. 115 f.64 „The number of firms declined, the average size increased“; Blackbourn, Long, S. 321.65 Diese Branchenverzeichneten durchgehendWachstumsraten von �ber sechs Prozent j�hrlich in

den Jahren 1904 bis 1913 (Metallverarbeitendes Gewerbe 6,2%,Metallproduktion 6,8%, Chemie

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ditionellenWirtschaftszweige stagnierten dagegen in der gleichen Phase oderschrumpften sogar.66 In Deutschland waren strukturelle Ver�nderungen nochdeutlicher. W�hrend der Bevçlkerungsanteil, der in der Landwirtschaft be-sch�ftigt war, von �ber 50 % auf etwa ein Drittel zur�ckging,67 entwickeltensich neue Wirtschaftszweige wie der Maschinenbau, die chemische und dieelektronische Industrie. In beiden L�ndern stieg außerdem der Anteil der imDienstleistungssektor besch�ftigten Personen unabl�ssig. Durch dieseStrukturver�nderungen der Volkswirtschaft erhielten wirtschaftliche Neue-rungen eine bis dahin unbekannte çffentliche Aufmerksamkeit.

Der Begriff der Organisation entwickelte um die Jahrhundertwende auchim transdisziplin�ren Dialog eine ungeahnte Dynamik. Die Metapher desOrganismus, der mehr ist als die Anzahl seiner einzelnen Organe, gewann inder Biologie und der Medizin schon seit Darwin eine Eigendynamik, dieschnell in andere intellektuelle Kontexte wanderte. Ohne die Geistesgeschichtedes Organisationsbegriffes an dieser Stelle en d�tail ausf�hren zu wollen,bleibt festzuhalten, dass der Begriff seine wirtschaftlich-unternehmerischenZuschreibungen erst in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts erhielt.68

Damit deutet sich auf der Begriffsebene bereits an, dass kulturelle Faktoren,neue Formen der Verwissenschaftlichung undwirtschaftliche Interessen starkmiteinander verwoben sind.

Der Beginn der Untersuchung um 1890 beruht nicht allein auf externenDynamiken, auch in den hier untersuchten Fallstudien war das Ende des 19.Jahrhunderts Ausgangspunkt markanter Ver�nderungen. So begann in derchemischen Industrie eine Expansionsphase, die strategische Neuausrich-tungen und dadurch zahlreiche Restrukturierungsmaßnahmen in Bezug aufdie Technik, die Arbeitsbeziehungen sowie die Kapitalstrukturen auslçste.Viele Unternehmen des Dienstleistungssektors wurden dagegen erst in denJahren nach 1890 gegr�ndet. Das gilt vor allem f�r die Warenhausunterneh-men. Durch einen Umzug oder wesentliche Erweiterungen der Verkaufsh�u-ser transformierten sich zun�chst kleine Einzelhandelsunternehmen zu neuen

6,2% und in der mechanischen Industrie 8,0%); andere Sektoren, wie etwa die Auto-mobilindustrie zeigten zwar nochweit beeindruckendereWachstumsraten (in der Zeit von 1900bis 1914 etwa eine Vervierzigfachung von Umsatz und Belegschaft), allerdings war die absoluteHçhe noch so gering, dass dies zun�chst kaum ins Gewicht fiel; Caron, Histoire �conomique,S. 122 f.

66 Dies gilt insbesondere f�r die Landwirtschaft und die Textilindustrie, der relative Anteil an derErwerbsbevçlkerung ging hier deutlich zur�ck; Caron, Histoire �conomique, S. 123. Allerdingsweist der Autor darauf hin, dass der Anteil der Besch�ftigten in den zukunftstr�chtigen indu-striellen Sektoren bis 1914 trotz rasanter Steigerung relativ schwach geblieben ist. So lag er inder Phase 1905/13 bei nur 25%, w�hrend sowohl Land-, Forst- und Grundwirtschaft, also auchdie traditionellen Versorgungsindustrien (etwa Textil), weiterhin jeweils �ber 30% der Ar-beitsbevçlkerung besch�ftigten; Bonin, S. 29 f.

67 So gibt Erker f�r 1867 den Anteil der landwirtschaftlichen Arbeitsbevçlkerung mit etwa 51,5%an, f�r 1913 nur noch mit 34,5%; Erker, Dampflok, S. 88.

68 Vatin, Travail, S. 23 ff. ; Sarasin/Tanner, Physiologie, S. 30 ff.

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urbanen Großbetrieben und �nderten durch den gestiegenen Kapitalbedarfauch ihre Besitzstrukturen.69

Die Untersuchung endet mit dem Ersten Weltkrieg. Der Krieg ver�nderteeinige gesellschaftliche Determinanten sowie eine Vielzahl der direkt auf dieUnternehmen einwirkenden wirtschaftlichen Faktoren grundlegend. Dievollst�ndige Ver�nderung der Belegschaftsstrukturen,70 der Produktnachfra-ge sowie die kriegsbedingte Einf�hrung von Produktionspl�nen f�hrte zueinem radikalen Wandel der Organisation von Arbeit und Produktion in denuntersuchten Unternehmen. Die Analyse einer solch deutlichen externenDiskontinuit�t ist im Rahmen dieser Untersuchung nicht zu leisten und imSinne der oben beschriebenen Fragestellung auch von nachrangigem Inter-esse.

Der breite Ansatz der Arbeit, die umfassend die Organisation der Unterneh-men in den Blick nimmt, hat zur Folge, dass kaum eine Quellengattung ausdem Umfeld eines Unternehmens von vornherein aus der Untersuchungausgeschlossen werden kann. Personalakten, Aufsichtsratsbeschl�sse oderzuf�llige Zeugnisse der Kommunikation imUnternehmen sind ebensowichtigwie die bewusst tradierten Denkschriften der Unternehmer oder die Beob-achtungen außen stehender Zeitgenossen.

Da zudem die �berlieferten Quellen, je nach Unternehmen, hçchst unter-schiedlich sind, ist eine solch offene Perspektive �ußerst vorteilhaft, um eineBasis f�r die Untersuchung der Unternehmen zu legen. Viele Prozesse undStrukturen sind nur dann zu erkennen, wenn L�cken in ihrer Dokumentationdurch die Nutzung zus�tzlichen Quellenmaterials geschlossen werden kçn-nen. F�r die Untersuchungen in der Chemiebranche wurden mit den Far-benfabriken vorm. Friedr. Bayer AG und der Soci�t� des Produits chimiquesd’Alais et de la Camargue (PCAC) zwei Unternehmen gew�hlt, die durch ihr�berliefertes Quellenmaterial innerbetriebliche Organisationsprozesse ver-h�ltnism�ßig gut dokumentiert haben. Beide haben ihren Quellenbestanddurch institutionalisierte Archivstrukturen vollst�ndig zug�nglich gemacht.71

Aufgrund der angestrebten zentralisierten Struktur Bayers wurden in Lever-kusen zahlreiche Kommunikationsakte dokumentiert wie etwa Direktions-rundschreiben oder Verbesserungsvorschl�ge. Hinzu kommen vielf�ltigeFormen von Zeugnissen, die die soziale Situation und die Funktion der Ak-teure im Unternehmen beschreiben, etwa in Form von Personalakten. Bei

69 Diese formellen Entwicklungen werden im jeweils ersten Abschnitt der entsprechenden Fall-studien eingehend beschrieben.

70 Am besten belegt f�r den Fall von Krupp; Tenfelde, S. 56 ff.71 Im Falle von PCAC wird ein großer Teil dieser Archivalien seit 1986 vom Institut pour l’histoire

de l’aluminium verwaltet. Bei Bayer existiert ein eigenst�ndiges Unternehmensarchiv, das umdie Jahrhundertwende wohl auch im Rahmen einer statistischen und sozialen Erfassung desUnternehmens eingef�hrt worden war und �ber die notwendigen Ressourcen verf�gt, einenGroßteil des archivierten Materials nutzbar zu machen.

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PCAC ist besonders die Korrespondenz zwischen den einzelnen Produkti-onsst�tten und Verwaltungssitzen hervorzuheben, die eine wichtige Quelledarstellt. Darstellende Quellen, wie etwa unregelm�ßige Berichte �ber dieeinzelnen Werke und Material aus der Personalabteilung, wurden ebenfallsherangezogen. Neben statistischem Material und einer großen Anzahl inter-ner Kommunikationsakte sind es die Protokolle der Direktoriumssitzungen,respektive des conseil d’administration, die in beiden Unternehmen zug�ng-lich sind und die Entscheidungsstrukturen direkt miteinander vergleichbarmachen.

Im Falle der Warenh�user in Deutschland und Frankreich ist die Quellen-lage komplizierter. Neben wenigen Akten und einigen gesonderten Doku-menten, die meist unter „Marketing“-Aspekten ausgew�hlt wurden, existierenin den Unternehmen kaum zug�ngliche Archivbest�nde. In den franzçsischenH�usern gibt es zwar zum Teil umfangreiches Quellenmaterial, das von For-schern allerdings nicht mehr eingesehen werden kann.72 Einige deutscheWarenh�usern sind prinzipiell bereit, ihre Unternehmensarchive zu çffnen,durch die zahlreichen Fusionen und Umz�ge sowie durch die Kriege sindjedoch so gut wie keine Archivalien in denUnternehmen verblieben.73 Esmussfestgestellt werden, dass es keine hinreichende interne Dokumentation gibt,um hierauf eine breite Darstellung aufzubauen. In bedeutendem Maße wardaher auf Publikationen kritischer Zeitgenossen, Dokumentationen der Ver-gewerkschaftungsprozesse oder der polizeilichen Beobachtung der Unter-nehmer und Unternehmen zur�ckzugreifen. Was zun�chst als Schw�che derQuellenbasis ausgelegt werden kann, zeigt sich bei n�herer Betrachtung alsunverzichtbaresMittel in der Rekonstruktion interner Organisationsprozesse,sozialer Strukturen und kulturell vermittelter Disziplinierung, denn in einemçffentlich zug�nglichen Unternehmen wie dem Warenhaus kann die Hand-lungspraxis der Akteure noch weniger als anderswo vom Diskurs �ber dasUnternehmen getrennt werden.Diese spezifischeQuellensituation ist auch derGrund daf�r, die Warenhausbranche insgesamt zu analysieren, da einzelneUnternehmen keine hinreichend quellengest�tzte Analyse zulassen w�rden.

Im abschließenden Teil der Arbeit werden die jeweiligen staatlich-politi-schen und nationalen Rahmenbedingungen der Unternehmensorganisationim Mittelpunkt stehen. Die breite Perspektive dieses Kapitels macht es not-wendig, die Quellenauswahl in erster Linie auf gedrucktes Material zu be-schr�nken. Nur hierdurch ist es mçglich, die Vielzahl zu besprechenderProblembereiche zu erfassen. Das wird in erster Linie dadurch durchf�hrbar,dass in beiden L�ndern die jeweiligen Prozesse von einer breiten çffentlichen

72 Dies gilt vor allem f�r die große Sammlung des BonMarch�;Miller. In anderenH�usern, etwa inden Galeries Lafayette oder dem Printemps, ist die Situation deutlich besser, die Sammlungendagegen nur klein.

73 Dies gilt f�r den Karstadt-Quelle Konzern und f�r die Kaufhof AG. Obwohl Karstadt sukzessivedie Unternehmen Theodor Althoff, Hermann Tietz, Adolph Jandorf, A. Wertheim aufgekaufthat, ist kaum Quellenmaterial dieser Firmen vorhanden.

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Diskussion begleitet wurden. Diese brachte verschiedene Publikationsformenhervor. W�hrend sich in Deutschland aus den untersuchten Fallstudien eineverallgemeinernde Form der Unterrichtsliteratur zu diesen Fragestellungenentwickelte,74 kamen in Frankreich die Arbeiten zu den entsprechendenThemengebieten zum großen Teil aus den juristischen Fakult�ten. Ein großerTeil der zeitgençssischen Doktorarbeiten, der th�ses de droit, besch�ftigte sichmit den neuen Fragen, die sich aus der Reformulierung der Beziehungenzwischen dem Staat, den Unternehmern und den Arbeitern ergaben.

Ziel der jeweiligen Fallstudienkapitel ist es, zun�chst Aufbau und Funkti-onsweise der Unternehmen in ihren einzelnen Elementen und deren Zusam-menspiel zu verstehen. Zu diesem Zweck werden einzelne organisationsrele-vante Punkte analytisch voneinander getrennt. Erst hierdurch werden dieseunternehmensspezifischen Ergebnisse systematisch vergleichbar gemacht.Um die branchentypischen Eigenarten herausarbeiten zu kçnnen, wird dieUntersuchung von Chemieunternehmen und Warenh�usern voneinandergetrennt und erst in einem weiteren Schritt der nationale Vergleich betont.Diese Darstellungsform hilft, die Unternehmen zun�chst nach ihren eigenenMaßst�ben zu bewerten und nicht von vornherein nationale Pfade �berzu-betonen. Die jeweiligen Fallstudien werden wiederum durch einen Abschnitteingeleitet, der die wirtschaftliche Entwicklung der Unternehmen vor undw�hrend der untersuchten Periode vorstellt, um die teils sehr speziellenanalytischen Einzelstudien in eine grçßere Entwicklung einordnen zu kçn-nen.

Die erste Fallstudie behandelt das Unternehmen Bayer. Die Darstellungfasst jeweils bestimmte Formen der Organisationshandlung, ihre jeweiligenAkteure und Bezugssysteme zusammen. Dabei wird ein planerischer Bereichvon einem Bereich der praktischen Produktionsgestaltung und von einerAnalyse des betrieblichen Feldes als Durchsetzungs-, aber auch Wider-spruchsbereich f�r planerische und technische Entw�rfe getrennt. �hnlichgliedert sich der daran anschließende Abschnitt zu PCAC.

Das nachfolgende Kapitel der Arbeit untersucht die Warenh�user. Andersals im Fall der chemischen Unternehmen werden dabei die vielf�ltigen Ak-teursgruppen und ihre Handlungsdispositionen im urbanen Umfeld des Un-ternehmens darstellerisch getrennt von der Analyse der Organisationsin-strumente im Unternehmen. Vergleichende Zusammenfassungen schließenbeide Kapitel – die Untersuchungen zur chemischen Industrie und zu denWarenh�usern – ab.

Das abschließende Kapitel erweitert die Perspektive wieder und f�hrt sievon den einzelnen Unternehmen auf nationale Zusammenh�nge. EinzelneProblembereiche, die in der Untersuchung zu den Unternehmen eingef�hrtworden sind, werden hier in ihrer �bergeordneten Tragweite aufgegriffen.Dabei wird verdeutlicht, wie Staat, ffentlichkeit und Unternehmen diese

74 Als bestes Beispiel: Lilienthal.

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Probleme in einem konfliktuellen Aushandlungsprozess diskutierten. Dazum�ssen zun�chst Wahrnehmungsformen des Unternehmens oder konkur-rierender Organisationseinheiten bestimmt werden. Erst hier�ber ist einVerst�ndnis daf�r zu erlangen, auf welcher Ebene die Zeitgenossen das Pro-blem der Organisation wirtschaftlicher Produktion verorteten.

Neben dem staatlichen Bereich, der hier eine regulierende Rolle spielt,wurde �ber den Prozess zunehmender Organisation auch in der ffentlichkeitkritisch diskutiert. Diese ffentlichkeit hatte einerseits Einfluss auf die Ver-handlungspositionen innerbetrieblicher Akteure, indem etwa die soziale Rolleder Unternehmen hinterfragt wurde, andererseits determinierte sie hierdurchauch den wirtschaftlichen Aktionsradius der Unternehmen. Gerade in derkritischen Debatte in Bezug auf die Tendenz, in vielen Branchen Kartelle zubilden, oder auf die Interessenkoordination von Staat und Wirtschaft warensolche Prozesse von herausragender Bedeutung. Diese Fragen bilden dieGrundlage dieses abschließenden Kapitels. In ihm werden die Unternehmenund die jeweils unter- und �bergeordneten Organisationsebenen, also dieOrganisation produktiver Arbeit in kleineren Einheiten und die Organisationvon Branchen, im Organisationsdiskurs der beiden L�nder dargestellt.

Institutionelle Einrahmungsprozesse sollen in den beiden folgenden Teil-kapiteln im Mittelpunkt stehen. Die wohl deutlichste Form der Interventionbilden die Reglementierungsprozesse. Dabei ist zu fragen, wer im Unterneh-men die Arbeit reglementieren konnte und wie peu � peu der Staat ein In-teresse an diesenDynamiken entwickelte. Einewichtige Rolle spielen dabei dieDiskussionen um die Betriebsordnung oder r�glements int�rieurs. Hinzukommt der entstehende Themenkomplex der Arbeitsgesetzgebung, etwa inForm der beginnenden Tarifregulierung oder der Arbeitszeitbegrenzung.Allerdings zeigen die Beispiele der Diskussion um die Arbeitssicherheit oderdie Normierung betrieblicher Abl�ufe durch neue Formen b�rokratischenWissens, dass nicht alle Normierungs- und Regulierungsprozesse denWeg derstaatlichen Gesetzgebung gingen. In diesem zweiten Abschnitt wird also derProzess innerbetrieblicher Regulierung als ein Prozess nachgezeichnet, indem der Staat als mçglicher dritter Gespr�chspartner neben Unternehmernund Besch�ftigten vorkommen konnte, ohne dass es einen Zwang f�r einesolche Integration staatlicher Institutionen inunternehmerische Prozesse gab.

Im dritten Abschnitt des Schlusskapitels werden Lern- und Institutionali-sierungsprozesse beschrieben. Dabei ist zu problematisieren, ob und unterwelchen Abh�ngigkeiten sich ein eigenst�ndiges Wissensfeld des Organisa-tionswissens in den beiden L�ndern bildete. Zu diesem Zweck wird zun�chstder Einfluss ver�nderter Wissensnachfrage durch die Unternehmen be-schrieben. Hieran anschließend stehen neue staatliche Institutionalisie-rungsformen im Mittelpunkt. Hierdurch wird ein Perspektivwechsel vollzo-gen, der die Frage aufnimmt, wie die in beiden L�ndern entstehenden Han-delsschulen zu einer Befçrderung der Entwicklung neuer Felder des admi-nistrativenWissens gef�hrt haben. Dies ermçglicht eine Fokussierung auf die

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Wahrnehmung neuer Organisationsschulen, etwa der um die Jahrhundert-wende aufkommenden Ideen von Frederick W. Taylor und Henri Fayol.

Zum Organisationsbegriff

Die Organisationsforschung – aus der positivistischen Wissenschaftsan-schauung des fr�hen 20. Jahrhunderts entstanden – geriet im Verlaufe derletzten Jahrzehnte in eine ernsthafte Argumentations- und Legitimationskri-se. Schon mit den Hawthorne-Experimenten in den dreißiger Jahren des vo-rigen Jahrhunderts wurde deutlich, dass eine technodeterministische Visiondes Verh�ltnisses von System und Individuum, wie sie die fr�hen Manage-mentforschungen seit den Zeiten Frederick W. Taylors nahegelegt hatten,nicht aufrechtzuerhalten war.75 Da eine rein soziale Analyse das Unternehmenebenfalls nicht vollst�ndig beschreiben konnte, teilte sich die Forschung auf.Zum einen wendeten sich die Wissenschaftler der Analyse individuellerHandlungsmotivation und in der Folge der Soziologie der Arbeit zu. Zumanderen bildete sich die betriebswirtschaftliche Analyse der Unternehmens-organisation heraus, die weitgehend auf die Einbeziehung individueller Ak-teure verzichtete.76

Die schon seit vielen Jahren ge�ußerte Forderung nach einer historischenUnternehmensorganisationsforschung77 bekommt in dieser Perspektive einneues Gewicht, allerdings nicht, um die methodische Zersplitterung der Or-ganisationsforschung zu reproduzieren, sondern durch die historische Ana-lyse dazu beizutragen, verschiedene Perspektiven zusammenzubinden.78 Diessoll nicht den R�ckfall in eine positivistische Form der methodischen Ho-mogenisierung im Sinne einer histoire totale des Unternehmens bedeuten,sondern das Verst�ndnis f�r die verschiedenen Ebenen sch�rfen, auf denenOrganisationsprozesse vollzogen werden kçnnen. Dabei soll weder das Zu-sammenwirken und Ineinandergreifen verschiedener Elemente dieser Orga-nisation noch der genuin wirtschaftliche Charakter des Untersuchungsob-jektes aus den Augen verloren werden.79 Es geht somit um mehr, als nur dasbloße Zusammenstellen einer „mçglichst großen Zahl von einzelbetrieblichenInformationen.“80

75 Mehr zu dem Experiment, in dem zum ersten Mal die Interaktion zwischen Aufsehern undArbeitern mitgedacht wurde, in: Bernoux, Organisations, S. 71 ff.

76 Prost, S. 79 ff.77 Erker, Aufbruch, S. 324 ff.; S�ss, Mikropolitik und Spiele, S. 117 ff.; Tolliday/Zeitlin, S. 5 f. ;

Fridenson, Organisations (1989).78 Berlanstein, Big Business, S. XI.79 Siegenthaler.80 Hanf, S. 146.

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Dass sich die Bedeutung des Begriffes der Organisation gegen Ende des 19.Jahrhunderts grundlegend erweiterte und er unterschiedliche Wissens- undPraxisfelder miteinander verbindet, haben wir oben bereits angedeutet. Dochdie Grunddisposition des Begriffes macht es ebenfalls notwendig, ihn f�r denFortgang einer historischen Analyse genauer zu fassen und damit zu opera-tionalisieren. Ein so breiter Begriff kann dabei notwendigerweise nicht um-fassend hergeleitet werden. F�r diese Arbeit interessieren prim�r die Span-nungen, die sich aus ihm ergeben und die ihn mit der Unternehmensge-schichte verbinden. Aus dieser Perspektive entwickeln sich unserer Ansichtnach Fragen, die bei der Darstellung der Fallstudien besonders ber�cksichtigtwerden sollten. Sie werden gegen Ende des folgenden Abschnitts kurz erl�u-tert.

Der Austausch zwischen einer Organisationsforschung mit wirtschaftli-chem Hintergrund und den Geistes- und Sozialwissenschaften ist bis heuteselektiv geblieben. Gegenseitige Anleihen bleiben eindimensional.81 Dabeiteilen viele Studien aus denWirtschaftswissenschaftenund der Soziologie einegemeinsame Grunddisposition, die sich schon aus historisch gewachsenenAnsatzpunkten erkl�ren l�sst.

Als erster wichtiger Referenzpunkt steht auch in der soziologischen For-schung das Werk Max Webers, dessen Sichtweise des Unternehmens eng mitseiner Vision der Wirtschaft und des Wirtschaftens als Handlungsmodusverbunden ist.82 In dieser Perspektive ist Webers Erkl�rungsansatz wirt-schaftlichen Handelns richtungweisend f�r die weitere Diskussion gewesen;so nimmt er mit der Einf�hrung des Begriffes der Verf�gungsgewalt einKonzept vorweg, das erst mit den Anf�ngen der Institutionençkonomiezwanzig Jahre sp�ter langsam Eingang in die wirtschaftswissenschaftlicheForschung im engeren Sinne fand.83 Organisation als idealtypisches Lei-tungsinstrument einer b�rokratischen Herrschaft wird bei Weber im Span-nungsfeld von Handlungsoptionen und den Verf�gungsrechten �ber unter-nehmensrelevante Faktoren erkl�rt:

„Die beherrschende Stellung des jenem Herrschaftsgebilde [Organisation] zugehç-rigen Personenkreises gegen�ber den beherrschten ,Massen‘ ruht in ihrem Bestandeauf dem neuerdings sog. ,Vorteil der kleinen Zahl‘, d.h. auf der f�r die herrschende

81 Mc Kinley/Starkey ; Geiger/Schreyçgg ; Koch.82 „,Wirtschaft‘ soll ein autokephal, ,Wirtschaftsbetrieb‘ ein betriebsm�ßig geordnetes kon-

tinuierliches Wirtschaften heißen“; Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 1 II, § 1, S. 31.83 Coase. Als kurze Paraphrasierung dieses Ausgangsgedankens von Coase: „Die Beziehungen des

Personals innerhalb einer Organisation sind zu kompliziert, umdurch einen Preismechanismusvollst�ndig dezentralisiert zu werden. Wenn dem nicht so w�re, d�rfte nach Coases Argumentdie Firma nicht existieren.“ Rosen, S. 85; hierzu auch der Klassiker der Neuen In-stitutionençkonomie: Williamson, Economic Institutions. North’s emphatisches „Historymatters“ schlug dabei die Br�cke zur Unternehmensgeschichte North, Institutions, S. VII.Vonseiten der Unternehmenshistoriker wurden diese Anregungen zum Teil aufgegriffen Nie-berding/Wischermann ; Gorissen.

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