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Januar – Februar 2011 www.kulturrat.de ISBN 978-3-934868-26-7 · ISSN 2191-5792 · B 58 662 Islam Kultur Politik Dossier zur politik unD kultur Abdulnasser Gharem: The Path ( Al Siraat) (2009). Prints aus dem Video Al Siraat. Gezeigt in der Ausstellung TASWIR. © Courtesy of Abdulnassear Gharem and Restored Behaviour Ltd. Zweifellos Editorial von Olaf Zimmermann „Dies ist die Schrift, an der nicht zu zweifeln ist“, so beginnt die zweite Sure nach dem obli- gatorischen „Im Namen des all-barmherzigen und all-gnädigen Gottes“ im Koran, der heiligen Schrift der Muslime. Mich hat dieses Buch schon lange interessiert, obwohl ich es wegen meiner mangelhaften Sprachkenntnisse nicht im ara- bischen Original lesen kann, sondern auf, wie viele Muslime sagen, absolut unvollkommene, weil entstellende, deutsche Übersetzungen angewiesen bin. Und trotzdem begeistert mich die besondere Sprache, die ich auch in den Übersetzungen zu spüren glaube. Wie bei weltlicher Lyrik oder den Psalmen aus dem Alten Testament lasse ich mir auch die Suren am liebsten von meinem iPod bei langen Zugfahrten vorlesen. Es eröffnet sich ein unvergleichlicher kultureller Kosmos. Wenn ich dann auf einer solchen Zugfahrt eine Tageszeitung aufschlage, finde ich mit großer Wahrscheinlichkeit mindestens einen Artikel über den Islam in enger Verbindung zu Terror und Menschenrechtsverletzungen. Kälter kann eine kalte Dusche kaum sein! N achdem sich die Redaktion von politik und kultur , der Zeitung des Deutschen Kultur- rates, vor einigen Jahren an das Thema „Die Kirchen, die unbekannte kulturpolitische Macht“ gewagt hatte und nach deutlichen positiven, wie auch manchen negativen Reaktionen die Diskussion über die kulturelle Rolle der beiden christlichen Kirchen in Deutschland, so glaube ich, befördert wurde, war das Thema Islam schon lange überfällig. Überfällig, weil in Deutschland fast vier Millionen Muslime leben und unsere Kultur mit prägen und weil wenige Begriffe so viele Emotionen auslösen wie die Worte: Islam und Muslim. Ich will nicht verschweigen, dass der Weg zu diesem Dossier ein steiniger war. Nicht weil wir keine Unterstützung erfahren hätten. Im Gegen- teil: Mein alter Freund Reinhard Baumgarten, der im Südwestrundfunk im Ressort Religion, Kirche und Gesellschaft arbeitet, und Aiman A. Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland waren unverzichtbare und inspirie- rende Ratgeber und Autoren. Auch die weiteren Autorinnen und Autoren dieses Dossiers mussten nicht zweimal gebeten werden. Und selbst die sonst so schwierig zu organisierende finanzielle Unterstützung war dank der Robert Bosch Stif- tung in erster Linie nicht ein Feilschen ums Geld, sondern eine spannende inhaltliche Debatte. Steinig war der Weg, weil im wahrsten Sinne des Wortes viele spitze Steine und tiefe Fahrrinnen beim Thema Islam vorhanden sind. Wir wollen in diesem Dossier die üblichen Fahrrinnen, die sich gerade in den letzten Monaten in den Medien und der Politik durch die „Sarrazin- Hysterie“ noch tiefer eingegraben haben, so oft wie möglich verlassen und ein möglichst weites und differenziertes Bild über den Islam, seine Kultur und Politik anbieten. Spitz sind die Steine, weil besonders die Strukturen von Moscheen, islamischen Vereinen und Verbänden manchmal schwer einzuschätzen sind. Die islamische Zivilgesellschaft ist eine un- bekannte Welt mitten unter uns. Aber es gibt viele Ansätze der Öffnung dieser Welt und des Interesses an dieser Welt. Der Tag der offenen Moscheen, der seit 2007 jährlich vom Koordi- nationsrat der Muslime in Deutschland durch- geführt wird, ist eine solche Möglichkeit, die von erfreulich vielen Bürgerinnen und Bürgern, die mehr wissen wollen, genutzt wird. Eine der wichtigsten Voraussetzungen für Integration, die Zu den Bildern Die Bilder des Dossiers „Islam · Kultur · Poli- tik“ basieren zum Teil auf der Ausstellung „TASWIR – Islamische Bildwelten und Moder- ne“, die vom 5. November 2009 bis zum 18. Januar 2010 im Martin-Gropius-Bau in Berlin gezeigt wurde. Ziel der Ausstellung war es, den Betrachtern eine aktuelle Sicht auf Aus- drucksformen islamisch geprägter Bildwelten zu vermitteln. Klassische Exponate islamischer Kunst wurden in einen Zusammenhang zu modernen und zeitgenössischen Positionen in Graphik, Zeichnung und Malerei, Fotografie, Video-Kunst, Installation, Klang und Skulptur gestellt. Konstruierte Grenzziehungen zwischen „Orient“ und Okzident“ galt es als Besucher zu überdenken und einen umfassenden Einblick in den Facettenreichtum islamischer Kunst aus Vergangenheit und Gegenwart zu erhalten. Wir danken Almut Sh. Bruckstein Çoruh, der Ku- ratorin der TASWIR-Ausstellung, für die tat- kräftige Unterstützung und die Bildberatung. Wir danken dem Direktor des Museums für Islamische Kunst in Berlin, Stefan Weber, für die freundliche Zurverfügungstellung von Ab- bildungen von Exponaten aus der Museums- sammlung. Die abgebildeten Werke aus dem Museum für Islamische Kunst Berlin stehen nicht im Zusammenhang zu den Abbildungen aus der Ausstellung TASWIR. nicht als bloße Anpassung der Minderheiten- an die Mehrheitsgesellschaft missverstanden wird, ist Unbekanntes bekannt zu machen. Natürlich spielt Integration für den Deutschen Kulturrat schon seit Jahren eine große Rolle. Wir haben vor rund einem Jahr einen Runden Tisch zusammen mit Migrantenorganisationen eingerichtet und debattieren intensiv Fragen der kulturellen Bildung. Wir geben dem Thema Inte- gration in unserer Zeitung politik und kultur durch eine eigene regelmäßige Beilage ein deutliches Gewicht und haben vor einigen Wochen in einem Workshop die provozierende Frage gestellt „Ist der Deutsche Kulturrat zu Deutsch?“. Aber wir haben bislang bei dem Thema Integration ver- sucht, religiöse Fragen weiträumig zu umschiffen. Obwohl Religion als Teil der Kultur natürlich bei allen Debatten der letzten Jahre mitschwingt, ist die deutliche Benennung des Islams als kul- turpolitische Größe in Deutschland eine neue Qualität. Schon bei dem Thema „Die Kirchen, die unbekannte kulturpolitische Macht“ wurde deutlich, dass es nicht ausreicht festzustellen, dass die beiden christlichen Kirchen wegen ihrer finanziellen Aufwendungen zu den zentralen kulturpolitischen Akteuren in Deutschland ge- hören. Es musste auch benannt werden, wie und in welchem Umfang die Wirkungen der beiden großen christlichen Kirchen auf das kulturelle Leben in Deutschland zu spüren sind. „Und jetzt kommt auch noch der Islam“, werden einige sagen. „Der Islam gehört zu Deutsch- land“, hatte Bundespräsident Christian Wulff am 3. Oktober 2010 in seiner Rede zum 20. Jah- restag der Deutschen Einheit gesagt und damit nicht nur in seiner Partei, der CDU, eine Welle der Empörung ausgelöst. Der Ruf nach einer Leitkultur, die auf dem christlich-jüdischen Erbe beruhen soll, wird wieder lauter. Und haben die Kritiker des Bundespräsidenten nicht recht: Deutlich unter 3.000 Moscheen dürfte es in Deutschland geben von denen sich die meisten versteckt in Hinterhöfen befinden. Nur wenige Minarette ragen bislang in den deutschen Him- mel und nur an wenigen Orten in Deutschland ruft der Muezzin die Gläubigen hörbar zum Gebet. Die über vier Millionen Muslime, die in Deutschland leben gehören zu Deutschland, aber auch der Islam? Dieses Dossier will diese Frage diskutieren. Ich für meine Person kann nur sagen: Zweifellos gehört der Islam zu Deutschland, aber lesen Sie selbst.... DER VERFASSER IST HERAUSGEBER VON POLITIK UND KULTUR UND GESCHäFTS- FÜHRER DES DEUTSCHEN KULTURRATES

Islam Kultur Politik · 2016. 7. 7. · Medien und der Politik durch die „Sarrazin-Hysterie“ noch tiefer eingegraben haben, so oft wie möglich verlassen und ein möglichst weites

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Page 1: Islam Kultur Politik · 2016. 7. 7. · Medien und der Politik durch die „Sarrazin-Hysterie“ noch tiefer eingegraben haben, so oft wie möglich verlassen und ein möglichst weites

Januar – Februar 2011 www.kulturrat.de ISBN 978-3-934868-26-7 · ISSN 2191-5792 · B 58 662

Islam Kultur PolitikDossier zur politik unD kultur

Abdulnasser Gharem: The Path ( Al Siraat) (2009). Prints aus dem Video Al Siraat. Gezeigt in der Ausstellung TASWIR. © Courtesy of Abdulnassear Gharem and Restored Behaviour Ltd.

ZweifellosEditorial von Olaf Zimmermann

„Dies ist die Schrift, an der nicht zu zweifeln ist“, so beginnt die zweite Sure nach dem obli-gatorischen „Im Namen des all-barmherzigen und all-gnädigen Gottes“ im Koran, der heiligen Schrift der Muslime. Mich hat dieses Buch schon lange interessiert, obwohl ich es wegen meiner mangelhaften Sprachkenntnisse nicht im ara-bischen Original lesen kann, sondern auf, wie viele Muslime sagen, absolut unvollkommene, weil entstellende, deutsche Übersetzungen angewiesen bin. Und trotzdem begeistert mich die besondere Sprache, die ich auch in den Übersetzungen zu spüren glaube. Wie bei weltlicher Lyrik oder den Psalmen aus dem Alten Testament lasse ich mir auch die Suren am liebsten von meinem iPod bei langen Zugfahrten vorlesen. Es eröffnet sich ein unvergleichlicher kultureller Kosmos.

Wenn ich dann auf einer solchen Zugfahrt eine Tageszeitung aufschlage, finde ich mit großer Wahrscheinlichkeit mindestens einen Artikel über den Islam in enger Verbindung zu Terror und Menschenrechtsverletzungen. Kälter kann eine kalte Dusche kaum sein!

Nachdem sich die Redaktion von politik und kultur, der Zeitung des Deutschen Kultur-

rates, vor einigen Jahren an das Thema „Die Kirchen, die unbekannte kulturpolitische Macht“ gewagt hatte und nach deutlichen positiven, wie auch manchen negativen Reaktionen die Diskussion über die kulturelle Rolle der beiden christlichen Kirchen in Deutschland, so glaube ich, befördert wurde, war das Thema Islam schon lange überfällig. Überfällig, weil in Deutschland fast vier Millionen Muslime leben und unsere Kultur mit prägen und weil wenige Begriffe so viele Emotionen auslösen wie die Worte: Islam und Muslim. Ich will nicht verschweigen, dass der Weg zu diesem Dossier ein steiniger war. Nicht weil wir keine Unterstützung erfahren hätten. Im Gegen-teil: Mein alter Freund Reinhard Baumgarten, der im Südwestrundfunk im Ressort Religion, Kirche und Gesellschaft arbeitet, und Aiman A. Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland waren unverzichtbare und inspirie-rende Ratgeber und Autoren. Auch die weiteren Autorinnen und Autoren dieses Dossiers mussten

nicht zweimal gebeten werden. Und selbst die sonst so schwierig zu organisierende finanzielle Unterstützung war dank der Robert Bosch Stif-tung in erster Linie nicht ein Feilschen ums Geld, sondern eine spannende inhaltliche Debatte. Steinig war der Weg, weil im wahrsten Sinne des Wortes viele spitze Steine und tiefe Fahrrinnen beim Thema Islam vorhanden sind. Wir wollen in diesem Dossier die üblichen Fahrrinnen, die sich gerade in den letzten Monaten in den Medien und der Politik durch die „Sarrazin-Hysterie“ noch tiefer eingegraben haben, so oft wie möglich verlassen und ein möglichst weites und differenziertes Bild über den Islam, seine Kultur und Politik anbieten. Spitz sind die Steine, weil besonders die Strukturen von Moscheen, islamischen Vereinen und Verbänden manchmal schwer einzuschätzen sind. Die islamische Zivilgesellschaft ist eine un-bekannte Welt mitten unter uns. Aber es gibt viele Ansätze der Öffnung dieser Welt und des Interesses an dieser Welt. Der Tag der offenen Moscheen, der seit 2007 jährlich vom Koordi-nationsrat der Muslime in Deutschland durch-geführt wird, ist eine solche Möglichkeit, die von erfreulich vielen Bürgerinnen und Bürgern, die mehr wissen wollen, genutzt wird. Eine der wichtigsten Voraussetzungen für Integration, die

Zu den BildernDie Bilder des Dossiers „Islam · Kultur · Poli-tik“ basieren zum Teil auf der Ausstellung „TASWIR – Islamische Bildwelten und Moder-ne“, die vom 5. November 2009 bis zum 18. Januar 2010 im Martin-Gropius-Bau in Berlin gezeigt wurde. Ziel der Ausstellung war es, den Betrachtern eine aktuelle Sicht auf Aus-drucksformen islamisch geprägter Bildwelten zu vermitteln. Klassische Exponate islamischer Kunst wurden in einen Zusammenhang zu modernen und zeitgenössischen Positionen in Graphik, Zeichnung und Malerei, Fotografie, Video-Kunst, Installation, Klang und Skulptur gestellt. Konstruierte Grenzziehungen zwischen „Orient“ und Okzident“ galt es als Besucher zu überdenken und einen umfassenden Einblick in den Facettenreichtum islamischer Kunst aus Vergangenheit und Gegenwart zu erhalten. Wir danken Almut Sh. Bruckstein Çoruh, der Ku-ratorin der TASWIR-Ausstellung, für die tat-kräftige Unterstützung und die Bildberatung.

Wir danken dem Direktor des Museums für Islamische Kunst in Berlin, Stefan Weber, für die freundliche Zurverfügungstellung von Ab-bildungen von Exponaten aus der Museums-sammlung. Die abgebildeten Werke aus dem Museum für Islamische Kunst Berlin stehen nicht im Zusammenhang zu den Abbildungen aus der Ausstellung TASWIR.

nicht als bloße Anpassung der Minderheiten- an die Mehrheitsgesellschaft missverstanden wird, ist Unbekanntes bekannt zu machen. Natürlich spielt Integration für den Deutschen Kulturrat schon seit Jahren eine große Rolle. Wir haben vor rund einem Jahr einen Runden Tisch zusammen mit Migrantenorganisationen eingerichtet und debattieren intensiv Fragen der kulturellen Bildung. Wir geben dem Thema Inte-gration in unserer Zeitung politik und kultur durch eine eigene regelmäßige Beilage ein deutliches Gewicht und haben vor einigen Wochen in einem Workshop die provozierende Frage gestellt „Ist der Deutsche Kulturrat zu Deutsch?“. Aber wir haben bislang bei dem Thema Integration ver-sucht, religiöse Fragen weiträumig zu umschiffen. Obwohl Religion als Teil der Kultur natürlich bei allen Debatten der letzten Jahre mitschwingt, ist die deutliche Benennung des Islams als kul-turpolitische Größe in Deutschland eine neue Qualität. Schon bei dem Thema „Die Kirchen, die unbekannte kulturpolitische Macht“ wurde deutlich, dass es nicht ausreicht festzustellen, dass die beiden christlichen Kirchen wegen ihrer finanziellen Aufwendungen zu den zentralen kulturpolitischen Akteuren in Deutschland ge-hören. Es musste auch benannt werden, wie und in welchem Umfang die Wirkungen der beiden

großen christlichen Kirchen auf das kulturelle Leben in Deutschland zu spüren sind. „Und jetzt kommt auch noch der Islam“, werden einige sagen. „Der Islam gehört zu Deutsch-land“, hatte Bundespräsident Christian Wulff am 3. Oktober 2010 in seiner Rede zum 20. Jah-restag der Deutschen Einheit gesagt und damit nicht nur in seiner Partei, der CDU, eine Welle der Empörung ausgelöst. Der Ruf nach einer Leitkultur, die auf dem christlich-jüdischen Erbe beruhen soll, wird wieder lauter. Und haben die Kritiker des Bundespräsidenten nicht recht: Deutlich unter 3.000 Moscheen dürfte es in Deutschland geben von denen sich die meisten versteckt in Hinterhöfen befinden. Nur wenige Minarette ragen bislang in den deutschen Him-mel und nur an wenigen Orten in Deutschland ruft der Muezzin die Gläubigen hörbar zum Gebet. Die über vier Millionen Muslime, die in Deutschland leben gehören zu Deutschland, aber auch der Islam?Dieses Dossier will diese Frage diskutieren. Ich für meine Person kann nur sagen: Zweifellos gehört der Islam zu Deutschland, aber lesen Sie selbst....

DER VERFASSER IST HERAUSGEBER VON POLITIK UND KULTUR UND GESCHäFTS-FÜHRER DES DEUTSCHEN KULTURRATES

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politik und kultur • JAN. – FEB. 2011 • SEITE 2Islam · Kultur · Politik • • • • • • • •

Parastou Forouhar: Rot ist mein Name, Grün ist mein Name (2008) [2]. Computergenerierte Farbzeichnungen. Gezeigt in der Ausstellung TASWIR. © Parastou Forouhar

Einladung zur konstruktiven AuseinandersetzungWas ein Dossier „Islam · Kultur · Politik“ leisten kann / Von Olaf HahnSchon im Jahr 2006 betonte der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble in einer Regierungserklärung: „Der Islam ist Teil Deutschlands und Europas. Der Islam ist Teil unserer Gegenwart und unserer Zukunft“. Diese Feststellung zeugt von Weitsicht und Realismus. Heute gehören fast vier Millionen Menschen in Deutschland konfessionell zum Islam. In zahlreichen Großstädten haben über die Hälfte der unter sechsjährigen Kinder einen Mig-rationshintergrund; viele von ihnen sind Muslime. Es liegt auf der Hand, dass diese Kinder in 20 bis 30 Jahren starken Einfluss auf die Gestaltung unseres Gemeinwesens ausüben werden, was zu Veränderungen in nahezu allen Bereichen des Lebens führen wird, auch in der Kultur. Es ist unabdinglich, diese Veränderungen zu thematisieren und fruchtbar zu machen, will man die Zukunft dieses Landes gestalten. An genau dieser Stelle setzt das vorliegende Dossier zu „Islam · Kultur · Politik“ des Deutschen Kulturrates an, indem es den Islam als kul-turpolitisch für Deutschland relevante Grö-ße ernst nimmt und aus unterschiedlichen Perspektiven ins Gespräch bringt.

Das Begrif fspaar Islam und Kultur wir ft zahlreiche Fragestellungen auf. Muslime

stehen, ebenso wie Christen und Juden, in einer vielschichtigen Kulturtradition, deren Entstehung natürlich durch die Religion, aber auch durch andere, sehr unterschiedliche historische Gegebenheiten bedingt ist. Unter Muslimen gibt es divergierende Sichtweisen über das genaue Verhältnis von Islam und Kultur – ist die Kultur, in der man lebt, im Wesentlichen Ergebnis des muslimischen Glaubens? Oder sind es andere Traditionslinien neben der Religion, die in der eigenen Kultur zentrale Prägungen hervorgebracht haben? Sicherlich sind es seit dem 19. Jahrhundert vor allem auch europäische Einflüsse, die die Sichtweise auf diese Frage in muslimischen Gesellschaften bis heute weiter prägen. Wie aber steht es mit dem Verständnis des Begriffspaares in einer Einwanderungsgesellschaft wie Deutschland, wo Muslime unterschiedlicher geographischer Herkunft leben und inzwischen in der dritten Generation Muslime geboren und aufgewachsen sind, denen Deutschland Heimat und Bezugspunkt ist? Dieses Dossier versucht, an dieser Stelle Denkanstöße zu geben. Als der Deutsche Kulturrat mit dem Anliegen um Unterstützung dieses ambitionierten Vorhabens auf die Robert Bosch Stiftung zukam, waren wir sofort interessiert. Uns war klar, dass die hier versammelten Texte gerade für die aktuelle Diskussion um die Integration insbesondere von Muslimen eine Chance darstellt. Denn das Dossier ermöglicht es dem Leser, sich auf der Grundla-ge eines breit verstandenen Kulturbegriffs mit unterschiedlichen Sichtweisen und Perspektiven auseinanderzusetzen. Es trägt somit zur dringend benötigten Versachlichung der aktuellen Debatte bei. Angesichts der großen Zahl in Deutschland le-bender Muslime kann in unserem Staat, in dem Religionen über den privaten Bereich hinaus öf-fentliche Aufgaben übernehmen, die Gestaltung des Zusammenlebens nicht ohne den Einbezug muslimischer Gruppierungen geschehen. Hier be-findet sich Deutschland auf einem guten Weg: Die allseits erkannte Notwendigkeit, Körperschaften des öffentlichen Rechts als Ansprechpartner des Staates zu konstituieren, zum Teil gut entwickelte Modelle zu islamischem Religionsunterricht in der Schule, die kürzlich beschlossene Einrichtung islamisch-theologischer Fakultäten an deutschen Hochschulen und die damit absehbare Ausbildung von Theologen, Lehrern und Imamen in Deutsch-land – all das sind bedeutende Etappen auf diesem Weg. In ihrer eigenen Fördertätigkeit im Kontext der Integrationsthematik ist es der Robert Bosch Stiftung ein wichtiges Anliegen, zu diesem Pro-zess der Beheimatung des Islams in Deutschland beizutragen, zu dem es keine Alternative gibt. So haben wir beispielsweise gemeinsam mit der Aka-demie der Diözese Rottenburg-Stuttgart im Projekt „Gesellschaft gemeinsam gestalten – Islamische Vereinigungen als Partner in Baden-Württemberg“ erstmals islamische Vereinigungen und deren weitgehend ungenutzte Integrationspotenziale in ihren kommunalen und religiösen Beziehungs-feldern in den Blick genommen. Dabei wurden systematisch die Situation der Muslime in diesem Bundesland sowie Erfahrungen der Integration auf kommunaler Ebene untersucht und beschrieben.

Islam · Kultur · PolitikEin Leitfaden durch das Dossier Islam / Von Gabriele Schulz und Stefanie Ernst

Unter dem gleichen Titel führt die Landesregie-rung Baden-Württembergs in Partnerschaft mit der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart und mit uns seit 2009 eine jährliche Konferenz durch, um diesen Beheimatungsprozess der isla-mischen Religion zu begleiten und zu bilanzieren. Diese und viele weitere Initiativen haben dazu beigetragen, dass sich zwischen muslimischen Vereinigungen, Kommunen, Kirchen und dem Land ein Klima des Vertrauens entwickelt hat.

Ein Dossier „Islam · Kultur · Politik“ kann nur am Anfang der Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Ausprägungen muslimischer Lebenswirklichkeit in Deutschland aus dem Blick-winkel der Kultur stehen. Es ist eine Einladung an die Öffentlichkeit, sich aktiv und konstruktiv in diese Auseinandersetzung einzubringen. Ganz besonders freut uns, dass es durch die Förderung der Robert Bosch Stiftung möglich ist, dieses Dossier auch in Moscheevereinen

zur Lektüre anzubieten. Eines unserer Anliegen wäre erfüllt, wenn das Dossier unter Muslimen als Zeichen von Respekt und Interesse aufge-nommen würde – wir hoffen, dass es auch hier auf aufgeschlossene Leser stößt und fruchtbare Diskussionen ermöglicht.

DER VERFASSER LEITET DEN PROGRAMMBE-REICH „GESELLSCHAFT UND KULTUR“ BEI DER ROBERT BOSCH STIFTUNG

Islam · Kultur · Politik, dieser Dreiklang ist die Überschrift dieses Dossier. Er soll die Beziehung zwischen der Religion Islam, der Kultur und der Politik aufzeigen und spie-gelt zugleich die verschiedenen Abschnitte dieses Dossiers wider. Am Anfang stand die Frage, wie sich dem Thema überhaupt genähert werden soll und welche Autoren in Frage kämen. Im Laufe der Zeit erwuchs das Erfordernis zu entscheiden, was wegfallen soll, was nicht aufgenommen werden kann und damit aufgeschoben, aber nicht aufge-hoben ist. Dieses Dossier soll ein „Apetizer“ sein, der Lust auf mehr macht. Lust mehr zu erfahren über den Islam, seine Vielfalt, die kulturellen Ausdrucksformen, über Muslime und die Islampolitik in Deutschland.

Auch wenn in Deutschland die meisten Musli-me Einwanderer sind, galt es immer wieder,

die Integrationsdebatte von der Diskussion um den Islam zu trennen. Im Mittelpunkt dieses Dossiers steht nicht die Integration von Muslimen in die deutsche, vornehmlich christlich geprägte Gesellschaft, sondern der Islam, seine religiöse und seine kulturelle Dimension.

Vielfalt des Islams

Unter der Überschrift „Vielfalt des Islams“ sind Beiträge versammelt, in denen vermittelt wird,

dass es „den“ Islam ebenso wenig gibt wie „das“ Christen- oder „das“ Judentum. Der Islam ist eine Religion, die in den verschiedenen Regionen der Erde sehr unterschiedliche Ausprägungen erfährt, die über die Unterscheidung in Sunniten, Schiiten und Aleviten weit hinausgehen. Hier wird zu Beginn aufgezeigt, wie groß die Gruppe der Muslime in Deutschland ist und aus welchen Herkunftsländern die Muslime stammen, um dem Leser eine erste Orientierung zu geben.

Judentum · Christentum · Islam

Geradezu leichtfertig wird in den gesellschaftli-chen Debatten vom christlich-jüdischen Erbe in Deutschland gesprochen und der Islam als Ge-gensatz hierzu begriffen. Im Abschnitt „Judentum · Christentum · Islam“ wird diese Diskussion gegen den Strich gebürstet. Es wird aufgezeigt, dass das Judentum und der Islam sehr viel mehr gemeinsam haben als das Judentum und das Christentum. Allein die Idee der Trinität, Kern der christlichen Botschaft, ist sowohl dem Judentum als auch dem Islam eine fremde Vorstellung, die an einen Ver-rat am Monotheismus grenzt. Eingegangen wird ebenso auf die Frage der Säkularisation im Islam. Innerhalb dieses Schwerpunktes wird ein erster Ausflug in die politische Diskussion gemacht, wenn es um die Islamfeindlichkeit in Deutschland geht oder auch um die Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus.

Bildung · Religion · Glaube

Im kommenden Jahr werden die ersten Studien-gänge für Islamische Studien eingerichtet. Hier sollen Imame und Lehrer für den islamischen Religionsunterricht ausgebildet werden. Es wird damit Anschluss gesucht an die Ausbildung evangelischer und katholischer Theologen, die an staatlichen Universitäten stattfindet. Religionsunterricht an Schulen ist immer auch Bekenntnisunterricht, das unterscheidet den Reli-gionsunterricht von Fächern wie Ethik, Werte und Normen oder auch Lebenskunde. Wie islamischer Religionsunterricht aussehen sollte, wird hier eben-so erörtert wie die Frage, welche Qualifikationen Imame in Deutschland benötigen, um ihrer Rolle in der islamischen Gemeinschaft gerecht zu werden.

Wissen über den Islam – Wissen des Islams

Sind die Islamischen Studien ein Frontalangriff auf die eingeführten Islamwissenschaften? Wird die Islamwissenschaft durch die Islamischen Studien überflüssig? Mitnichten. Der Abschnitt „Wissen über den Islam – Wissen des Islams“ schlägt den Bogen von der Betrachtung der Religion Islam hin zu den Künsten, zur Kultur und zur Philosophie. Es geht um den Kulturdialog in islamischen Ländern.

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politik und kultur • JAN. – FEB. 2011 • SEITE 3Islam · Kultur · Politik• • • • • • • •

Taysir Batniji: Voyage Impossible (2002-2009). Performance und Installation. TASWIR – Islamische Bildwelten und Moderne, Austellungsraum „Impossible Journey“ © Taysir Batniji & gallery Sfeir-Semler, Foto: Di Mackey

Um besondere künstlerische Ausdrucksweisen, aber auch um die Frage, wie sich der Islam und die Kunst in islamischen Ländern durch den Ko-lonialismus verändert haben.

Islam in den Medien

Hier geht es zum einen um die Darstellung des Islams in den Medien, besonders um die Frage, inwieweit der Islam mit Terror und Islamismus in Verbindung gebracht wird. Weiter werden

Fortsetzung von Seite 2

Islamische Vielfalt Von den Gesichtern des Islams / Von Reinhard Baumgarten

Sendungen und Online-Portale zum Islam vor-gestellt. Ferner kommen Muslime zu Wort, die selbst journalistisch tätig sind beziehungsweise Zeitschriften herausgeben. Die Literaturtipps zum Schluss sollen zum Weiterlesen anregen.

Zusammenleben in Deutschland

Das Zusammenleben in Deutschland steht im Mittelpunkt des letzten Abschnitts. Hier werden gesellschaftliche wie politische Debatten aufge-griffen. Es geht um die rechtliche Anerkennung der Zusammenschlüsse der Muslime, um eine

muslimische Zivilgesellschaft, um die Deutsche Islam Konferenz als einen Dialogversuch zwischen Staat und Muslimen. Gefragt wurden in diesem Zusammenhang Bundestags- und Landtagsabge-ordnete, inwieweit ihr muslimischer Glaube eine Rolle bei ihrer Arbeit spielt. Weiter in den Blick genommen werden Fragen nach der Beziehung von Scharia und Grundgesetz sowie die Sicht des Verfassungsschutzes auf muslimische Verbände und Organisationen. Mit einem Beitrag zur la-tenten Islamfeindlichkeit in Deutschland wird die Brücke zurück geschlagen zum Thema „Islam in den Medien“.

Der Islam ist weltweit die am schnellsten wachsende monotheistische Religion. Mit mehr als 1,4 Milliarden Anhängern bildet er nach dem Christentum die zweitgrößte Religionsgemeinschaft. Muslime leben heute in nennenswerter Zahl auch in Ländern und Regionen, wo noch vor wenigen Jahrzehn-ten niemand mit ihrer dauerhaften Präsenz rechnete: In der Europäischen Union mit ihren knapp 500 Millionen Einwohnern sind es zwischen 18 und 20 Millionen; in Frank-reich gibt es mehr als fünf Millionen und in Deutschland bis zu 4,3 Millionen Muslime. Nach Jahrzehnten unscheinbarer Existenz in Hinterhofmoscheen sind Muslime in den ver-gangenen Jahren mehr in Erscheinung und ins Bewusstsein der Mehrheitsgesellschaft getreten. Von muslimischen Extremisten ver-übte Terroranschläge in New York, Bali, Ma-drid, London, Casablanca, Istanbul und an zahlreichen anderen Orten der Welt haben viele Menschen hierzulande aufgeschreckt. Eine seit September 2001 häufig gestellte Frage lautet: „Warum hassen sie uns?“ Mit „sie“ sind nicht nur verblendete Terroristen gemeint, sondern Muslime allgemein, die aus einer Fülle von Gründen schnell unter Generalverdacht geraten. Dabei wird oft übersehen, dass die weitaus meisten Opfer terroristischer Anschläge religiös verbrämter Extremisten Muslime waren und sind, und dass Muslime mit großer Mehrheit den im Namen des Islams verübten Extremismus ablehnen.

Der zweite Grund dafür, warum der Islam in den vergangenen Jahren zu einem Dau-

erthema geworden ist, sind innergesellschaftliche Entwicklungen. Viele einst als Gastarbeiter nach Deutschland gekommene Muslime sind nicht in ihre Herkunftsländer zurückgekehrt. Sie haben hier Familien gegründet, Existenzen aufgebaut, Karriere gemacht und damit begonnen, ihr Gemeindeleben zu organisieren. Dazu gehören auch der Bau sichtbarer und mitunter repräsen-tativer Moscheen, die Einforderung von Verfas-sungsrechten sowie der Wunsch nach Lehrer- und Imamausbildung. Es hat ein halbes Jahrhundert muslimischer Zuwanderung nach Deutschland gebraucht, bis der CDU-Grande und damalige Bundesinnen-minister Wolfgang Schäuble zur Eröffnung der Deutschen Islam Konferenz (DIK) im September 2006 bemerkte: „Der Islam ist Teil Deutschlands.“ Niemand regte sich damals darüber auf. Erst als Bundespräsident Christian Wulff bei seiner Rede zum Tag der deutschen Einheit 2010 feststellte, auch der Islam gehöre zu Deutschland, bra-chen lautes Heulen und Zähneknirschen unter Politikern, Publizisten und einfachen Bürgern los. Warum tun sich viele Menschen mit dieser Feststellung hierzulande so schwer? Knapp die Hälfte der hier lebenden Muslime sind deutsche Staatsbürger. Sie haben die gleichen Rechte und Pflichten wie alle Bürger unseres Landes – ihr Glaube darf dabei keine Rolle spielen. Eine gefühlte und angenommene Fremdheit steht wie eine unsichtbare Mauer zwischen Nichtmuslimen und Muslimen. Zentrale Elemente dieser Mauer sind Unwissen von- und übereinander und sich daraus speisende Vorurteile. Der Islam kann ebenso wenig wie das Chris-tentum als ein monolithischer Block angesehen werden. Er ist ungemein vielfältig und facetten-reich. In 57 Ländern der Welt stellen Muslime eine Bevölkerungsmehrheit. In Dutzenden von Staaten bilden sie beachtliche Minderheiten. Die weitaus meisten Muslime leben heute außerhalb der einstigen nahöstlichen Stammlande. Sie sind in Indien, Pakistan, Bangladesch, Malaysia, China und vor allem Indonesien zu Hause. Der Islam hat ebenso wie das Christentum im Laufe der

Geschichte Brüche und Verwerfungen erlebt. Der Graben zwischen Sunniten (90 %) und Schiiten (10 %) ist wahrscheinlich mindestens so tief wie der Graben zwischen Katholiken und Protestan-ten. Und ebenso wie beim Christentum weist die Geschichte des Islams dunkle Seiten der Be-drängnis, der Unduldsamkeit und des Fanatismus auf. Es ist unsinnig, das im Namen der jeweiligen Religion begangene Unrecht gegeneinander aufrechnen zu wollen. Es ist auf der anderen Seite unlauter und unfair, 1.400 Jahre islamische Zivilisation durch die Brille kulturellen Überlegenheitsdünkels zu be-trachten. Kulturen entwickeln sich, sie werden nicht über Nacht geboren. Die Entstehung von Zivilisationen sind fließende Prozesse. Vor 4.000 Jahren waren die ägypter Träger der Hochkul-tur; vor 2.500 Jahren übernahmen Perser und Griechen; vor 2.000 Jahren folgten die Römer; vor 1400 Jahren Muslime – und jenseits unseres eurozentrischen Weltbildes erklommen Inder und Chinesen ungeahnte kulturelle Höhen. Ein wesentliches Merkmal von Hochkulturen besteht darin, dass sie auf Vorangegangenem gründen, geerbte Wissensschätze nutzen und das Rad der geistigen Schöpfung mit eigenen intellektuellen Leistungen weiterdrehen. Genau das geschieht während der islamischen Blütezeit zwischen dem 9. und 13. Jahrhundert. Von Wissenschaftlern muslimischer Reiche sind unendlich viele Impul-se in Mathematik und Medizin, in Chemie und Astronomie ausgegangen, ohne die der Aufstieg

Europas schlicht nicht möglich gewesen wäre. Die weltweit mehr als 1,4 Milliarden Muslime ste-hen heute vor großen Herausforderungen. Diese Herausforderungen sind aufgrund nationaler und regionaler Besonderheiten zwar sehr unterschied-lich. Doch in allen muslimischen Ländern gibt es eine erkennbare Grundthematik: Welche Aus-wirkungen haben Globalisierung und Moderne, die beide in enger Wechselwirkung miteinander stehen, auf die jeweiligen Gesellschaften? In Deutschland sind viele Menschen der Meinung, unser Land sei für beides gut gerüstet, weil wir als Reiseweltmeister rund um den Globus jetten und jedes sichtbare Nabelpiercing per se Auskunft über unsere moderne Grundhaltung gibt. Die Probleme der deutschen Mehrheitsgesellschaft mit den hiesigen Muslimen zeugen indessen davon, dass das Ausmaß der Globalisierung nur teilweise begriffen worden ist. Denn Globa-lisierung bedeutet nicht nur Flexibilität bei der Produktfertigung mit Blick auf die internationale Konkurrenz. Sie bedeutet auch Zuwanderung, weil der Arbeitsmarkt es verlangt, weil es durch moderne Technologien einen beispiellosen In-formationsfluss gibt und weil Grenzen für Waren und Menschen immer durchlässiger werden. „Wir riefen Arbeitskräfte und es kamen Men-schen.“ Von Max Frisch stammt diese zum geflü-gelten Wort gewordene Aussage. Die Menschen brachten ihre Religion, ihre Werte und ihre Tradi-tionen mit. Wie schwer sich unsere Gesellschaft mit dem neuen Teil Deutschlands, den Muslimen,

tut, haben die Debatten der vergangenen Mo-nate deutlich gezeigt. Das Potential der Neuen kann genutzt werden, wenn die Furcht vor dem Fremden der Lust auf Neues weicht. Viele Missverständnisse im Umgang mit Muslimen in westlichen Ländern basieren auf einer ange-nommen kulturellen Überlegenheit, die in den Vorwurf mündet, DER Islam kenne keine Aufklä-rung und habe deshalb Probleme mit Demokratie und Moderne. Westlicher Überlegenheitsdünkel hat viel mit einem an Ignoranz grenzenden Eu-rozentrismus zu tun, der kulturelle Leistungen anderer Zivilisationen möglichst klein hält, um „eigenes“ Wirken groß erscheinen zu lassen. Ein unvoreingenommener Blick in die Vergangenheit von Morgen- und Abendland könnte Erkenntnisse zu Tage fördern, die gegenseitigen Respekt und damit auch gegenseitiges Verständnis fördern. Der Islam hat viele Gesichter und Facetten: schöne und hässliche, faszinierende und abstoßende. Darin unterscheidet er sich nicht von anderen Religionen. Die Schönheit liegt bekanntermaßen im Auge des Betrachters. Dessen Herausforderung besteht darin, sich nicht zu Verklärung oder Dä-monisierung hinreißen zu lassen, sondern sich um Verstehen und Verständnis zu bemühen.

DER VERFASSER IST FACHREDAKTEUR IN DER REDAKTION RELIGION, KIRCHE UND GESELL-SCHAFT BEIM SÜDWESTRUNDFUNK UND HAT DAS ARD-PROJEKT „GESICHTER DES ISLAM“ KONZIPIERT

Dieses Dossier kann und soll erst der Anfang einer Beschäftigung mit dem Islam unter kul-turpolitischem Blickwinkel sein. Weder war es möglich, noch angestrebt, alle Fragen und The-men in diesem Dossier zu behandeln. Weitere Auseinandersetzungen sollen folgen.

GABRIELE SCHULZ IST STELLVERTRETENDE GESCHäFTSFÜHRERIN DES DEUTSCHEN KUL-TURRATES. STEFANIE ERNST IST REFERENTIN FÜR ÖFFENTLICHKEITSARBEIT DES DEUTSCHEN KULTURRATES

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politik und kultur•Jan.–Feb.2011•Seite4Islam · Kultur · Politik••••••••

Islam in Deutschland

ÜbervierMillionenmuslimischebürgerlebeninDeutschland,davonsindknappdieHälftedeutscheStaatsbürgerunddieHälftedavonhattürkischeWurzeln.KnappdieHälftedervierMillionenMuslimehierzulandebesuchtregelmäßig bis sporadisch die über 2.000Moscheen,welcheweitestgehendals soge-nannte Hinterhofmoscheen bekannt sind.bishersinddavonüber160durchMoscheenmitmuslimischerarchitekturersetztworden.

Aiman A. Mazyek

WasglaubenMuslime?GrundsätzeundZieledesislams/Vonaimana.Mazyek

Alle reden über den Islam, kaum einer fragt die Muslime selber nach ihrer Religion. Und wer das Wort Scharia meint aussprechen zu können, denkt, er wäre schon Experte. Dies beschreibt ungefähr die gegenwärtige Situation der hektischen Islamdebatte hier-zulande. Passend und beinah entlarvend, was Johann Wolfgang von Goethe bereits zu Anfang des 19. Jahrhunderts in seinem West-östlichen Divan dazu zu sagen pflegte:

„Närrisch, daß jeder in seinem Falle Seine besondere Meinung preist! Wenn Islam Gott ergeben heißt, Im Islam leben und sterben wir alle.“(Hamburger Ausgabe, Bd.2, S. 56)

Derislam–übersetztFriedenundHingabezuGott–gehtvondereinheitderMenschheitaus

undbetrachtetdieMenschenalseinegemeinsameGesellschaft(Gemeinschaft).DieMenschensindGeschöpfedeseinenSchöpfersundKindereinesgemeinsamenVaters und einer gemeinsamenMutter,adamundeva.erbetrachtetsichnichtalseinebesondereGesellschaftmitVorrechtenunterdenMenschen,sondernistverpflichtet,Gerechtig-keitundGüteallenMenschenentgegenzubringen.

Gottes Barmherzigkeit

JederMenschistfürseinetatenverantwortlich,für die er am Jüngsten tag Rechenschaft ab-legenmussundfürdieer letztendlichbestraftwird(Hölle)oderbelohntwird(Paradies).Dabeikann und soll derGläubige stets aufGottesbarmherzigkeit hoffen.Gott stellt seinebarm-herzigkeit gegenüber seinenGeschöpfen imKoranalsgrenzenlosdar.ineinemausspruchdesProphetensprichtGott:„MeinebarmherzigkeitüberwiegtmeinenZorn“.barmherzigkeitistimÜbrigendieeigenschaftGottes,dieimKorandiehäufigsteerwähnungfindet.Von112SurendesKoransbeginnen111mitdenWorten„imnamendesallerbarmersdesbarmherzigen.“.UnserbündnismitGottiststetsvonderHoffnunggetragen,dassunsereVergehenundVersäum-nissevombarmherzigenvergebenwerden.GottsagtemittelsseinesGesandtenMohammad:„OMensch,wennauchdeineMissetatenbiszudenWolkendesHimmelsreichten,undduMichumVergebungbittest, sovergebe ichdir.“ (Hadithkudsinachat-tirmisi).eindringlichruftGottdieMenschenimKoranauf:„VerliertnichtdieHoffnungaufGottesbarmher-zigkeit.Gewiss,GottvergibtalleSünden.eristjaderallvergebendeundbarmherzige.“ (Sure39:Vers53).

Toleranz und Achtung gegen-über Andersgläubigen

DerislambedeutetFriedenundderMuslimistangehalten,mitGott,seinenMitmenschenundsich selber in Frieden zu leben.Das tägliche„Salamu alaikum“ (übersetzt „Friede sei aufDir“)–dermuslimischeFriedensgruß–erziehtunszudieserHaltung.DieVerschiedenartigkeit undbunteVielfalt derMenschenistübrigenseinZeichenGottesundvonGottgewollt:„OhihrMenschen,WirhabeneuchvoneinemmännlichenundweiblichenWesener-schaffen,undWirhabeneuchzuVerbändenundStämmengemacht, damit ihr einander kennenlernt.DerangesehenstevoneuchbeiGott,dasistderGottesfürchtigstevoneuch.“(49:13)(4:1).DasistderGrundderVerschiedenheitderMenschen,damitsieeinanderkennenlernen.MaßstabundbewertungallerMenschenistnichtihreVolks-oderRassenzugehörigkeit, sonderndie Gottesfürchtigkeit, d.h. die tat und dieRechtschaffenheiteinesMenschenmachenihnzueinembesserenoderschlechterenMenschen.

DerislamgarantiertdieFreiheitderReligionsaus-übung,manifestiertindenKoranversen„esgibtkeinenZwang imGlauben“ (2:256)und„eucheure Religion undmirmeine Religion“(109:6).Daraus leitet der Zentralrat derMuslime inDeutschland in seiner im Jahre 2002heraus-gegebenen „islamischenCharta“ ab: „Daherakzeptierensie[dieMuslime:anm.d.Red.]auchdasRecht,dieReligionzuwechseln,eineandereodergarkeineReligionzuhaben.“DerGroßteilderislamischenGelehrtenundderMuslimeinDeutschlandallemalsindsichdarineinig,dasseskeineRivalitätzwischenKoranunddemGrundgesetzgibt –mankanneineguterMuslimseinund(deshalbgerade)einguterundloyaler Staatsbürger.Unmissverständlich heißtesanandererStelleinderCharta:„DasGebotdesislamischenRechts,diejeweiligeRechtsord-nunganzuerkennen,schließtdieanerkennungdesdeutschenehe-,erb-undProzessrechtsein.Die existenz verschiedener Religionsgemein-schaften ist ebenfalls vonGott gewollt, „dennwennallahgewollthätte,hätteereuch(Juden,Christen undMuslime) zu einer einzigenGe-meinschaftgemacht.Dochwillereuchprüfenindem,wasereuchhatzukommenlassen.SoeiltzudengutenDingenumdieWette.ZuGottwerdetihrallesamtzurückkehren,dannwirdereuchkundtun,worüberihruneinswaret.“alsabrahamitischeReligionenundträgergött-licherOffenbarungen, als „Leute der Schrift“müssenMuslimeJudenundChristenrespektie-renundanerkennen.ZudemsprichtderKoranvonallenProphetenundvorallemvonMosesundJesusmitgroßemRespekt.JesuswirdvondenMuslimenalsgroßartigerProphetmiteinergroßartigenMutter verehrt: „UndWir habenJesus,demSohnMarias,diedeutlichenZeichenzukommen lassen und ihnmit demGeist derHeiligkeitgestärkt.“(2:253).Der Koran verpflichtet dieMuslime,mit denandersgläubigendenDialogaufbesteartundWeisezuführen.„Undstreitetmitihnenaufdiebesteart.“(29:46).Hierist„streiten“imSinnevonStreitkulturgemeint.Durchdieerlaubniseinertisch- und ehegemeinschaftmitChristen undJudenwirddenMuslimendiegesellschaftlichePraktizierungermöglicht.DieGrundlage für einen zivilisiertenUmgangmiteinander ist uns durch unsere Religionengegeben.GeradebeidendreimonotheistischenWeltreligionenüberwiegendieGemeinsamkeiten.

Das Gottesbild

DerislamverkündeteinereineFormdesMono-theismus.GottistdereineGott;eristunteilbarundhatniemandnebensich.eristunvergleich-lichundnichtsistihmauchnurähnlich.nichtsgeschiehtohneSeinenWillen.er istdererste,derLetzte,derewige,derUnendliche,derall-mächtige,derallwissende. er istderSchöpferund erhalter allerDinge. er ist derGerechte,der allerbarmer, derGnädige, der Liebende,derGütige,dererhabene,derPreiswürdige,derWahrhaftige.Seineeigenschaftenundnamensindinden99namenimKoranbeschrieben.

Einheit der Religionen

DerislambetontdeneinheitlichenUrsprungallermonotheistischenReligionen.nachseinerLehresinddemmenschlichenGeist,trotzseinergroßenMöglichkeiten,bestimmteGrenzengesetzt,dieerwedermitdenexakten,nochmitempirischenWissenschaftenüberschreitenkann.SoliegtfürdenMenschendassichereWissenumdieletztenWahrheiten jenseits dieserGrenzen, und dieeinzigeQuelle,diedemMenschenfürdieerrei-chungdiesesWissensoffensteht,istdiegöttlicheOffenbarung,dieihmvonanbeginnderZeitzurVerfügungstand.DieProphetendeseinenGotteserschienenimVerlaufderGeschichteinjedemLand und bei jederGemeinschaft und über-brachtendenMenschendieWeisungenGottes.DieMenschheitwurdesoaufdieletzteundandieganzeWeltgerichtetebotschaftstufenweisevorbereitet.DieseletztegöttlicheOffenbarung,die durch den letzten ProphetenMuhammadüberbrachtwurde, berichtigt und ergänzt allevorherigenbotschaftenGottes.Diese letzte ist bis auf den heutigen tag denMenschenunverändertgeblieben.DerMuslimglaubtanallePropheten,vonadamüberabra-ham,Moses,JesusbishinzuMuhammadohneUnterschiedund verehrt sie alle.DieMuslimeglaubenanallegöttlichenOffenbarungen,vonderthoraüberdiePsalmenunddasevangelium

bishinzumKoran,derletztendieserOffenbarun-gen,dieunverfälschtgebliebenist,unddiealldasenthält,wasderMenschzueinemgottgewolltenLebenbenötigt.

Einheit Lebensweg

Der islam ist ein Lebensweg,der sichaufallebereichedesmenschlichenDaseinserstrecktundderingrundsätzlicherÜbereinstimmungmitdernatur,ihrenGesetzenundihrenanforderungensteht.islamistdasindiePraxisumgesetzteWis-senumdieexistenzGottes,dieWahrhaftigkeitSeiner Propheten,Seinerbücher, Seiner engelund des Lebens nach dem tode. einMuslimist derjenige, der dieGesetzeGottes in allenLebenssituationen befolgt, und die islamischeGesellschaftistdienachWissenumdenWillenGottesstrebendeGemeinschaft,inderjederein-zelnedirektundohneVermittlungeinesPriestersmitGottinVerbindungsteht.UndschließlichistdieislamischeGesellschaftdiejedemnichtmus-lim respektvolle toleranz entgegenbringendeGemeinschaftderGottgläubigen,denndasWortislamhat sowohl die bedeutungHingabeundUnterwerfungunterdenWillenGottes,alsauchdiebedeutungFrieden.

Vernunft und die Pflicht nach Wissen zur Pflicht

Der islambetrachtetdieVernunftalseinkenn-zeichnendesMerkmaldesMenschenundalseineGabeGottes.SieistderGrundfürdieVerantwort-lichkeitdesMenschenvorGottundgleichzeitigseinFührer inallenLebenssituationen.WeilderislamderVernunfteinensobedeutendenPlatzein-räumt,darfesfürmenschenverachtendeKulteundwillkürlichverhängteDogmenkeinenPlatzgeben.Der islammachtdasStrebennachWissenzurPflicht eines jedenMuslims. er geht sogar soweit, diewissenschaftlichearbeit zumGottes-dienstzuerheben.inständigemappellfordertder KorandenMenschendazu auf, dienaturzuerforschen,damiterdieexistenzGottesundSeine eigenschaften erkennt. imKoran findetderMuslimdieGrundlagenundRichtlinienfürein wissenschaftliches Forschen. Die einzigeeinschränkungaufdiesemGebietbestehtdarin,dassdieForschungselbstniezumZielwerdendarf, sondern immereinMittel zur erreichung

menschlichenFortschrittsundzurVervollkomm-nungderMoralbleibenmuss.

Ziele des Islams

DerislambefasstsichnichtnurmitdemewigenLe-benimJenseits,sondernerrichtetseinaugenmerkingleichemMaßeauchaufdasdiesseitigeLeben.SittlicheVollkommenheit,sozialerFortschritt,wirt-schaftlicheGerechtigkeit, zwischenmenschlicheLiebe und barmherzigkeit, politische VernunftundFriedesindZiele,diederislamzurerreichungwahrenmenschlichenGlücksindiesemLebenundimjenseitigenLebenzuverwirklichensucht.

Pflichten des Muslims und die fünf Säulen des Islams

ZurerstenSäuleimislamgehörtdie„Shahada“,dasGlaubensbezeugnisimislam:„Lailahaillahl-lahwamuhammadal-rasullalllah“–übersetztausdemarabischen:„esgibtkeinenGottaußerallahundMuhammad ist seinGesandter.DerislamschreibtdenGläubigendastäglicheGebetvor.DadurchwirdnebenderäußerenReinigungdurchWaschungauchdieReinigungderSeeleer-zielt.DieVermögensabgabe(Zakat)istnichtnureinFaktordessozialenSystemsdesislams,son-dernauchgleichzeitigeinMittelzurseelischenentlastung,dennsiesollalleinausdemGlaubenanGott gezahltwerden.Das vorgeschriebeneFastenimMonatRamadangibtdemGläubigennichtnureinMittelzurerlangungvonSelbstbe-herrschung, sondern erinnert ihn auch an dieHerabsendungdesheiligenKorans.DiePilger-fahrtnachMekkaschließlichlässtdenGläubigendieHinwendunganGott,dieOpferbereitschaftunddiebrüderschaftderMuslimeausallerWeltspüren.nebendiesenHauptpflichten,diedemGläubigenvorgeschriebensind,gehörennochzudenislamischenVorschriftenweitereGeboteundVerbote,diedemMenschendenWegzueinemglücklichenLebenindieserWeltundeinemgott-nahenewigenLebenimJenseitsweisen.SomitkannjedearbeitdesMenschenzumGottesdienstwerden, nämlich dann, wenn sie gemäß derprophetischentraditionundmitderaufrichtigenabsichtgegenüberGottdurchgeführtwird.

DeRVeRFaSSeRiStVORSitZenDeRDeSZen-tRaLRatSDeRMUSLiMeinDeUtSCHLanD

KalligrafiepersischerVersedesMogulprinzenDaraShikoh,Miniatur,indien1630-31(inv.-nr.i.4597,fol.8r)©MuseumfürislamischeKunst/StaatlicheMuseenzuberlin,Fotograf:Georgniedermeiser

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Herkunft,Glaubensrichtung,bildung,PartizipationVomeins-Werdenundvomeinssein/VonSonjaHaug

In der Diskussion um muslimische Zuwan-derer wird selten auf die Vielschichtigkeit des muslimischen Lebens in Deutschland eingegangen. Ein Blick auf die verfügba-ren Daten kann hier aufschlussreich sein und dient zudem der Versachlichung. Im Rahmen einer bundesweit repräsentativen Studie des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge wurden im Jahr 2008 im Auftrag der Deutschen Islam Konferenz 6.000 Haus-halte aus fünfzig muslimisch geprägten Herkunftsländern befragt.

Muslime in Deutschland kommen aus einer Vielzahl von Herkunftsländern

Dieergebnissebelegen,dasszumteilerheb-licheanteilederPersonenmitMigrationshin-

tergrundausdenuntersuchtenHerkunftsländernsichselbstnichtalsMuslimebetrachten.beispiels-weisegehörenfast40ProzentderMigrantenausdemirangarkeinerReligionsgemeinschaftan.ausanderenüberwiegendmuslimischgepräg-tenHerkunftsländernwie etwadem irak oderafrikanischenLändernsindverstärktangehörigereligiöserMinderheitenwieChristenzugewan-dert.ausder religiösenZusammensetzungderbevölkerung desHerkunftslandes kann dahernichtautomatischaufdieReligionderinDeutsch-landlebendenMigrantengeschlossenwerden.Hinsichtlich der regionalenHerkunft handeltes sich bei denMuslimen inDeutschland umeine sehr heterogene bevölkerung.Wie zuerwarten,dominiertdiegroßeGruppedertür-keistämmigen. So haben knapp2,6MillionenderinDeutschlandlebendenMuslimetürkischeWurzeln.ausdensüdosteuropäischenLändernbosnien-Herzegowina,bulgarienundalbanienstammen etwa 550.000 Personen. Die dritt-größte muslimische bevölkerungsgruppe inDeutschlandsind330.000MigrantenausdemnahenOsten,hauptsächlichausdemLibanon,demirak,ÄgyptenoderSyrien.ausnordafrikakommen280.000derinDeutschlandlebendenMuslime, dieMehrzahl davon ausMarokko.KleinereGruppen stammen aus Zentralasien,iran,Süd-/Südostasienunddemsonstigenafrika.einepauschalisierendebewertungdieserbevöl-kerungsgruppeistangesichtsihrerunterschiedli-chenHerkunftskontexte,Zuwanderungsmotive,aufenthaltsdauer und auch unterschiedlichemintegrationsstandnichtangemessen.

In Deutschland leben etwa vier Millionen Muslime

DieHochrechnung auf basis der direkten be-fragung ergab, dass inDeutschland etwa vierMillionenMuslimeleben.DamitistderislaminDeutschland die drittgrößte Religionsgemein-schaft,mitgroßemabstandzudenChristen–diekatholischeunddieprotestantischeKirchehabenjeweilsetwa24MillionenMitglieder.MuslimestelleneinenanteilvonrundfünfPro-zentderGesamtbevölkerung.DieinDeutschlandlebenden PersonenmitMigrationshintergrundumfassennach demMikrozensus 2007 insge-samt etwa 15Millionen. etwa ein Viertel vonihnenistmuslimischenGlaubens.DieMuslimeverteilen sich auf das gesamte bundesgebietmit Schwerpunkten in nordrhein-Westfalen,baden-Württembergundbayern.Rund45Pro-zentderinDeutschlandlebendenMuslimemitMigrationshintergrundsinddeutscheStaatsan-gehörige.Muslimeweisen eine relativ jungebevölkerungsstrukturauf,einViertelistimalterunter16Jahren.

Drei Viertel der Muslime in Deutschland sind Sunniten

DiegrößtekonfessionelleGruppebildenmit74ProzentdieSunniten.SiebenProzentderMuslimesindSchiiten,zumeistausdemiran,undsechsProzentsindanhängerspeziellerGlaubensrich-tungen,wieSufis,ibaditenoderahmadis.Dane-benlebeninDeutschland13Prozentaleviten–diesestammenfastausschließlichausdertürkei.Die überwiegendeMehrheit derMuslime istgläubig, insgesamt 86 Prozent schätzen sichselbstalsstarkoderehergläubigein.ReligiositätistinsbesonderebeitürkeistämmigenMuslimenundMuslimen afrikanischerHerkunft ausge-prägt.Dagegen ist sie bei iranischstämmigenMuslimenehergering.ZehnProzentsehensichals sehr stark gläubig, aber etwa ein Drittelalsgarnichtgläubig.Vergleichezwischenden

MuslimenunddenangehörigeneineranderenReligionzeigenaußerdem,dassstarkeReligio-sitätkeinebesonderheitderMuslimeist.beidenmeistenHerkunftsregionenunterscheiden sichMuslimeundangehörigeeineranderenReligioninbezugaufdieGläubigkeitnurgeringfügig.inderReligiositätspiegeltsichsomitunabhängigvon der Religionszugehörigkeit einaspekt derHerkunftskulturwieder.betrachtetmandie religiösealltagspraxis,wiedas beten, das begehen religiöser Feste, dieeinhaltung religiöser Speisevorschriften undFastengebote, bestehen unter denMuslimengroßeUnterschiedejenachHerkunftsregionundjenachGlaubensrichtung.ObwohldieReligiositätunddiereligiösePraxisbeiMuslimenstarkausgeprägtist,sindnur20ProzentMitgliedineinemreligiösenVereinodereinerGemeinde.auchdieinderDeutschenislamKonferenzvertretenenmuslimischenVerbändesindbeiMuslimenrelativunbekannt.nochge-ringeristderenVertretungsleistungausSichtderMuslime–wenigeralseinViertelfühlensichvoneinemderVerbändevertreten.

Nicht alle muslimischen Zuwanderer sind bildungsfern

Häufigwirddavonausgegangen,dassMuslimeinDeutschlandgenerellbildungsfernsind,eineannahme, die aufgrund desHintergrunds derZuwanderungausländlichgeprägtenRegionenwenigerentwickelterHerkunftsländerplausibelscheint.ZuwandererausmuslimischgeprägtenHerkunftsländern,wiez.b.ausdemiran,aberauchausdemnahenOsten,nordafrika,Zent-ralasienoderSüd-/Südostasien,weisenjedochhäufig ein hohes bildungsniveauauf. insofernstimmtdieaussagederbildungsfernenurbe-dingt und trifft nur auf einzelneGruppen zu,hierbeivorallemauftürkeistämmigeZuwandererundMigrantenausSüdosteuropa.Dies ist auf

die anwerbung niedrig qualifizierter arbeits-migrantenvor1973unddenFamiliennachzugzurückzuführen.DifferenziertmannachersterundzweiterZu-wanderergeneration zeigt sich bei allenHer-kunftsgruppen,dass inDeutschlandGeborene–diesogenanntezweiteZuwanderergeneration–deutlichhäufigeralsihreelterngenerationei-nenSchulabschlusserwirbt.nochimmerjedocherreichen 13 Prozent der zweitenGenerationkeinenSchulabschluss.beidenausdertürkeistammendenMännernderzweitenGenerationsindes15Prozent,beiausnordafrikastammen-denMigranten12Prozent.ein intergenerationaler bildungsaufstieg lässtsichauchdaranerkennen,dass48ProzentdermännlichenZuwanderereinenabschlusseinerweiterführenden Schule oder dieHochschul-reife aus demHerkunftslandmitbrachten, inderzweitenGenerationbereits64ProzentdiemittlereReifebzw.dasabiturerlangen.beieinerbetrachtungderGeschlechterunterschiedelässtsich insbesondere unter den türkeistämmigenFrauen ein bemerkenswerter bildungsaufstiegerkennen.Waren noch42 Prozent der türkei-stämmigenFrauendererstenGenerationohnejeglichenSchulabschlusszugewandert,soliegtdieseranteilinderzweitenGenerationbeiknapp14Prozent,21ProzenterreichendieHochschul-reife.beiMuslimenlässtsichsomitebensowieallgemeineintrendzuhöherenSchulerfolgenbeiMädchenimVergleichzuJungenbeobachten.

Muslime integrieren sich in deutschen Vereinen

Diesozialeintegrationhängtauchmitderbetei-ligunganzivilgesellschaftlichenOrganisationenzusammen, seien esMigrantenorganisationenoder herkömmliche Vereine. Vier Prozent derMuslimeengagierensichausschließlichineinemherkunftslandbezogenenVerein.Dagegensind

mehralsdieHälftederMuslimeüber16JahreMitgliedineinemdeutschenVerein,hierbei37ProzentausschließlichindeutschenVereinenund18Prozentindeutschenundherkunftslandbezo-genenVereinen.amhäufigsten ist dabei dieMitgliedschaft ineinemSportverein.28ProzentderMuslimesindineinemdeutschenundachtProzent ineinemherkunftsbezogenenSportverein.bedeutendsindweiterhin berufsbezogeneOrganisationenwieGewerkschaftenundberufsverbände.eineweite-reGruppevonOrganisationensindbildungs-undKulturvereine.ZehnProzentderMuslimesindineinemdeutschenbildungsvereinMitglied, fünfProzent in einemherkunftslandbezogenenbil-dungsverein.FastebensohochistdiePartizipationinKulturvereinen,wobei hierbei dieKultur desHerkunftslandesetwasstärkerimMittelpunktdesinteressessteht.achtProzentsindineinemher-kunftslandbezogenenKulturvereinMitglied,aberneunProzentineinemdeutschenKulturverein.DieMitgliedschaftineinembildungs-oderKul-turvereinnimmtsomitbeiMuslimeneinenrelativhohen Stellenwert ein.Hochgerechnet geben380.000Personenan,ineinemdeutschenbil-dungsvereinMitgliedzusein.376.000erklären,ineinemKulturvereinMitgliedzusein(doppelteMitgliedschaftenkönnendabeivorkommen).Die-sehohebeteiligunganVereinen,seiesimSportoderimbildungs-undKultursektor,kannalseinHinweisfüreinezunehmendesozialeintegrationderMuslimegewertetwerden.

DieVeRFaSSeRiniStPROFeSSORinFÜReMPiRiSCHeSOZiaLFORSCHUnGanDeRHOCHSCHULeReGenSbURGUnDLeitetebiS2009DaSFORSCHUnGSFeLDeMPiRi-SCHeSOZiaLFORSCHUnGDeSbUnDeSaM-teSFÜRMiGRatiOnUnDFLÜCHtLinGe

Die Studie kann unter www.bamf.de/forschung heruntergeladen oder bestellt werden.

ParastouForouhar:Rotistmeinname,Grünistmeinname(2008)[3].ComputergenerierteFarbzeichnungen.GezeigtinderausstellungtaSWiR.©ParastouForouhar

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Koran und Sunnah (Lebens-weise) des Propheten DerKorangiltalsheiligesvonGottgeoffen-bartesWort, welches als Rechtleitung,wiezuvor die thora und das evangelium, denMenschendient.ZuunterschiedlichenSitua-tionenineinemZeitraumvoninsgesamt23Jahren gelangten die über 6.000Verse alsWortGottes über den erzengelGabriel zuMuhammad.Wie zuvordie vorangegangenPropheten (z. b.Mosesmit der thora oderJesusmit dem evangelium) verstand sichMuhammadalsMedium für seineGemein-schaft.entscheidendfürdasVerständnisdesKoranssinddiekontextgebundenenGründederOffenbarungunddieanschließendeaus-legungderVerse durchMuhammads tatenundWorte.Letzteresbeinhaltetdie„Sunnah“,alsodas,wasderProphetgesagt,getanoderunterlassenhat. Schon zu seinen LebzeitenbefleißigtensichdieMuslime,alldiesesnie-derzuschreibenundspäterdanndurchdiesogenanntenHadith-Wissenschaften einerwissenschaftlichenKontrollezuunterziehen,inwieweitsiedenauthentischenWortendesProphetenentstammten.

Aiman A. Mazyek

Denkenlassen:DasislamischeDenken...DeutschlandkannderOrteinermodernentheologiewerden/VonKatajunamirpur

Viele islamische Denker und Intellektuelle teilen heute das Ansinnen, dass das isla-mische Denken einen Erneuerungsprozess durchmachen muss. Doch andererseits ver -hindern die politisch-gesellschaftlichen Rah-menbedingungen vielerorts in der is lami-schen Welt, dass Debatten über Reforman-sätze geführt werden können. Deutschland könnte theoretisch ein solcher Denkraum sein, den das islamische Denken dringend bedarf. Es bedarf einer freiheitlichen Um-gebung, um sich kreativ der gegenwärtigen Problemlage widmen zu können.

MohsenKadivarundMohammadShabestarisindzweiiranischeGeistliche,diesichum

einmodernesVerständnisvonReligionbemühen.beidehabennachWegengesucht,DemokratieundMenschenrechtemit denVorschriften desislams in einklang zu bringenoder zumindestauszusöhnen.Gleichzeitigstehensieexempla-rischdafür,mitwelchenSanktionenzurechnenist,werfüreinenmodernenZugangzurkorani-schenOffenbarungoderfüreinenneuansatzinderislamischenRechtswissenschafteintritt:Moh-senKadivar, der heute imUS-amerikanischenexil lebt,wurde für seine ideen inhaftiert undinzwischen für vogelfrei erklärt.MohammadMojtahed Shabestari wurde zwangsemeritiertundzumKetzererklärt.alsDenker,dieineinemreal existierenden islamistischen Staat lebten,magsich ihnendienotwendigkeitderReformstärkergestellthaben.ihrDenkenkönntejedochfürdieLösungdesProblems,dassichdenMus-limenheute stellt, deutlich nutzbarer gemachtwerden,wären sienichtder ständigenGefahrausgesetzt, für ihre ideenmit Leib und Lebenbezahlenzumüssen.Dabeiistihranliegennichteinmalneu:SchondieGründungsväterdes islamischenReformis-mus, Jamal ad-Din al-afghani, Muhammadabduh und Rashid Rida plädierten für eineinnereReformdes islams.DieRückständigkeitder islamischenWelt habe ihre Ursache ineinem statischen, inflexiblen islamverständnisundderblindennachahmungderaltvorderen.Deshalb forderten sie einemoderne,den ver-ändertenUmständenangepassteinterpretationdesKorans.DieseransatzhatimWesentlichenheutenochbestandunddasGleichegiltfürdiegrundsätzlicheFrage,diemittelsdiesesansatzesgelöstwerdensoll:WiekannderMuslimgleich-zeitigmodernundauthentischsein?UnddieseFragebetrifftdieinDeutschlandundeuropawiedie in islamischen Ländern lebendenMuslimegleichermaßen.Kadivars Hauptthese, die sicherlich der aus-sage Recht gibt, er sei ein post-islamistischerintellektueller,könntemanfolgendermaßenzu-sammenfassen:DieMenschenerwartetenzwar,dassihnendieReligiongenerellePrinzipienundWerteandieHandgebe,aberdiepraktischenangelegenheitengehörteneherindenbereichdersogenannten„menschlichenerfahrungen“,eineFormulierung,dieeinCodeseindürftefür„säkularenormen“.Deshalbwürden,soKadivar,in unterschiedlichen geschichtlichen Perioden

buthaynaali:We(nous/nahnu)(2006).installation.GezeigtinderausstellungtaSWiR.©buthaynaali

unterschiedliche politische und ökonomischeSystemebenötigt.KadivarsLösungfürdieFrage,wieMuslimeheutegleichzeitigreligiösseinunddieMenschenrechteakzeptierenkönnen,istdervonihmsogenannte„spirituelleislam“.DenspirituellenislamverstehteralsdiealternativezumRechtsislam,demesumdiebloßeDurchsetzungderrechtlichenVorschrif-teninderGesellschaftgeht.Derspirituelleislambesinnt sichdagegenaufdieZielederOffen-barungundbeziehtdiezeitlichenundörtlichenUmstände des Zeitalters ihrerHerabsendungmitein.erorientiertsichamGeistderReligionund verwirklicht die letztendlichen absichtendesislams.DaswirklicheKriteriumfürReligio-sitätistdemnach,theoretischundpraktischmitdenZielenderSendungineinklangzustehen.entscheidend ist die von Herzen kommendeFrömmigkeit,wieKadivar formuliert,undnichtdie aufrechterhaltung der äußeren zeit- undortsgebundenen Formen, die aus der Zeit derOffenbarungstammen.einweitererDenker,dermiteinembemerkens-wertenansatz des „islamischenneudenkens“aufwartet, ist Shabestari.Der 1936 geboreneShabestari hat sich nach einem traditionellenStudiumderRechtswissenschaftaufdiespeku-lative scholastischetheologie spezialisiert,derdie Rationalisierung der Glaubensprinzipiendesislamsobliegt.1970übernahmShabestaridie Leitung der iranischenMoschee inHam-burg.Hierentwickelteerseininteressefürdiemoderne protestantische theologie.nachdem

er 1978 nach iran zurückgekehrtwar, wurdeShabestari1980MitglieddesParlaments,ent-fremdete sichdemRegimeaber schnell. 1985wurdeeraufeinenLehrstuhl fürtheologieandieUniversitätteheranberufenundspezialisiertesichnebenderislamischenPhilosophieaufdasFach Vergleichende Religionswissenschaften.SeinenLehrstuhlmussteerallerdingsnacheinerSäuberungsaktionMahmudahmadinejads andenUniversitäten,derzahlreicheDozentenzumOpferfielen,imJahre2007aufgeben.KurznachseinerZwangsemeritierungistShabe-starimiteinerneuentheseandieÖffentlichkeitgetreten.Siebesagt,derKoranseikeineswegsdasWortGottes, sondern „eine prophetischeLesartderWelt“.KurzgesagtmeintShabestari:nichtnurdieexegetenderReligion,mitdenenersichzuvorjahrzehntelangalsHermeneutikerbeschäftigte,hättenbloßihreigenesVerständnisderOffenbarungformuliert;dasselbegiltauchfür den ProphetenMuhammad.Der Koran istkalâm-e nabavi, das prophetischeWort – alsonichtkalâm ollâh, dasWortGottes. er ist das„ergebnisderOffenbarung,nichtdieOffenba-rungselbst“.DerKoranist„einemonotheistischeLesartderWeltimLichtederOffenbarung“.DieseÜberlegungresultiert fürShabestariausseinerÜbertragungderSprechakttheorieLud-wigWittgensteins auf den Koran. Shabestarischlussfolgert daraus, dass der Sprecher desKoransnureinMenschgewesenseinkann:nureinMenschseiinderLage,andemSprachspiel,dasauchderKoranist,teilzunehmen;nurerist

indermenschlichenPraxisderSprachebehei-matet.Dietextwerdung ineinermenschlichenSpracheseiohneeinenmenschlichenSprechernichtmöglich,dennnureinMenschbeherrschedasSprachspiel.Diesethese,mitdersichShabestarigegendaszentraleDogmadesislamswendet,istsehran-greifbar.Denn es ist nicht umsonst einaxiomislamischenGlaubens,dassimKoranGottspricht.DerKorantextsagtdiessoeindeutigaus,undesgehtsodeutlichausihmhervor,dassdietheo-logen im islamnichteinmaldienotwendigkeitverspürthaben,dieVerbalinspirationalssolchezureflektieren–imGegensatzzumChristentum.ZahlreicheStellenimKoranbetonenausdrücklich,dassderKoranGottesWortist,undMuhammedderÜberbringerderOffenbarung.Der Punkt, auf den es ankommt, ist jedoch:Shabestaris these sollte in einer freiheitlichenDenkatmosphärediskutiertwerdenkönnen.Sieistdurchausgutbegründetundenthältzahlrei-che interessanteGedanken. Sie vom tisch zuwischen,indemmandenVerfasserderKetzereibeschuldigt,isteinesGlaubensnichtwürdig,dersich in seiner Vergangenheit sehrwohl gegenharteKritikverteidigenunddurchzusetzenver-mochte–mitargumentenundnicht,indemmandenKritikertotschlug.

DieVeRFaSSeRiniStaSSiStenZPROFeSSOR-inFÜRMODeRneiSLaMiSCHeWeLtMitSCHWeRPUnKtiRananDeRUniVeRSitÄtZÜRiCH

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alevitentumundaleviteninDeutschlandeineReligionsgemeinschaftmitdemStrebennachfreundschaftlichemDialog/VonismailKaplan

In Deutschland leben ca. 700.000 türkei-stämmige Aleviten. In der Türkei schätzt man die Zahl der Aleviten auf 25 Millionen, die türkischer, turkmenischer, kurdischer und arabischer Herkunft sind. Auch im Nord-Iran, Syrien, Irak, Bulgarien, Mazedo-nien, Kosovo leben Aleviten, die sich Alevi, Bektaschi, Ehl-i Hakk oder Kızılbaş nennen.

DasalevitentumbieteteineumfassendeSichtaufdieWelt,dieentstehungdesUniversums,

dieVervollkommnungdesMensch-Seins,diebe-ziehungenzwischenGottundMensch,Menschenuntereinander sowie zwischenMenschen undnatur.aufgrundderspezifischalevitischenWelt-sichtwirddasalevitentumalseineeigenständigeReligionsgemeinschaftbezeichnet.

Dasalevitentum· betontdas„eins-Sein“bzw.„eins-Werden“,d.h.essiehtimProzessdes„eins-Werdens“dasZieleinerinnigenVerbindungvonGottundMensch,dieals„eins“,einemausdruckderVollkommen-heit,aufgefasstwird;· hatalsZiel,dassderMenschaufderWeltver-sucht,durchseinbestrebendieVervollkomm-nungzuerreichen;· isteinGemeinschaftswegdahingehend,dassdieGemeinsamkeit der Gläubigen und ihreintreten füreinander betont werden. DasgemeinsameGebet im Cem-Haus und dieHerstellungdes„einvernehmens(rızalık)“unterdenteilnehmerinnenundteilnehmernbeidenCem-Gottesdienstenundimalltag,zieltaufdieReifung und letztlich Vervollkommnung allerMenscheninderGemeindeab.alevitenglaubenanGott(Hak)undGottesWort

(Hakkelamı/Gerçek).Dabeiwirdderausdruck„GottesWort“als ein sehr viel umfassendererbegriffgebraucht,alsesimallgemeinenSprach-gebrauchüblichist.erbeschränktsichnichtauf„Heiligetexte“.Sowiedie„HeiligeKraft“uni-versellistundinallemLebendenundbesondersinderSeeledesMenschenanteiligvorhandenistundwirkt,soumfasstnachalevitischerVor-stellung auch der begriff „GottesWort“ alles,wasMenschenimLaufederZeitanWissenunderkenntnis erreicht und angesammelt haben.auchdie„Heiligenbücher“werdenalseinbruch-teil dieserUnendlichkeit angesehen, der demmenschlichenGeistvonGottzugänglichgemachtwordenist.ausdieserÜberzeugungherausak-zeptierenalevitenalleheiligenbücherundehrensiemitdemSpruch:„allevierbücher(Psalmen,thora,bibelundKoran)sindGotteswort.“aleviten unterstützenwissenschaftliche akti-vitäten auch deshalb, weil wissenschaftlichearbeit–obnunimnaturwissenschaftlichenodergeisteswissenschaftlichenbereich–einenteildesGottesgeheimnisseslüftenkann.Siewünschen,dassdiewissenschaftlichenForschungenunddiesichdarausergebendenerrungenschaftendenMenschenunddernaturdienen.DiekollektivgeseheneVernunft derMenschheit ist ein teildergöttlichenWahrheit.DabeiistdasbishervonMenschenerworbeneundzueinerVielfaltvonanwendungenweiterentwickelteWissen dochnureinwinzigerausschnittausdemgöttlichenWissenundzugleichausdergöttlichenWahrheit.aleviten glauben an eine heilige Kraft desSchöpfers,dieaufdieMenschenals„Seele/can“übertragenwurde.FürdiealevitenfordertderGlaubeandieheiligeKraftimMenschenvonje-demMenscheneinaktivesbemühenumpersön-

licheVervollkommnungunddenDienstineineralevitischenGemeinde.FürdiealevitenwirddieteilhabederMenschenanderheiligenKraftalseineGabeGottesverstanden.ZudieserteilhabegehörtdannauchdieGabedesVerstandes(akıl),deresermöglicht,dassMenschenGottundseinenWillenerkennenkönnen.nachdiesemGlaubenwirdderMensch(gemeintisthierdieSeeledesMenschenalsdasWesentliche,dasseinePersön-lichkeitausmacht)alsWiderspiegelung(yansıma)Gottesbetrachtet.ausdieserÜberzeugungherauskönnenalevitendasGotteswortalsMenschenant-litzmalen – als ausdruck desGlaubens, dassGottsichseinenMenscheninseinemWortauchineinemmenschlichenantlitzzeigenwill.nachalevitischemVerständnishatjederMensch,seieralevit,Christ,SunnitoderSchiit,FrauoderMann,anteilanderheiligenKraft,besitztsomitalsoaucheigenschaftenGottes.GottwollteseineSchönheitdurchdieerschaffungdesMenschenzeigen.HierwirdauchalsausdruckderGerechtigkeitGottesbetont, dassGott keinenUnterschiedmacht inseinerZuwendungzudenMenschen.ausdieserÜberzeugung heraus glaubenaleviten daran,dassGottalleMenschengleichwertiggeschaffenhat.alevitenbetonendiesinfolgendemSpruch:„betrachtealleReligionsgemeinschaftenundalleethnienalsgleichwertig.“Die Ungerechtigkeiten auf derWelt könnennachalevitischerauffassungnichtalsvonGottvorbestimmtundgewollterklärtwerden.essindalleindieMenschen,dieimUmgangmiteinan-derUngerechtigkeiten undGewalt, die nachalevitischer auffassung gegen Gotteswillensind, produzieren. einGegensatz sowohl zursunnitischenalsauchzurschiitischenOrthodo-xiebestehtdarin,dassanatolischealevitendie

Scharia,dasislamischeRechtssystemfürreligiöseundweltlicheangelegenheit,nichtalsdasWortGottesakzeptierenunddaherablehnen.alevitischeGemeindeDeutschland (aabF) istderDachverbandderaleviten inDeutschland,der seit 1991besteht und in dem zurzeit 130alevitischeOrtsgemeinden organisiert sind.DieaabFhatihrenSitz inKöln.DieaabFhatdasHauptziel,diekulturelleidentitätsowiediereligiösen und philosophischenWerte der ineuropalebendenalevitenzubewahrenunddieentwicklungdieserWertezufördern.alsDach-verbandfördertdieaabFu.a.diesozialeundgesellschaftliche integration derMigrantinnenundMigranten in Deutschland unabhängigvonHerkunft und Religion.Daher tritt sie derFremdenfeindlichkeit, demRassismus unddenÜbergriffenaufFremdeentschiedenentgegen.SiestrebtmitdenVereinenundGesellschaftenfreundschaftlicheDialoge an, die sich umdieLösung gesellschaftlicher Probleme kümmern.auf der basis gegenseitiger toleranz fördertdie aabF das friedliche Zusammenleben vonMenschenverschiedenenGlaubensundKultur.DieaabFhatschon2005einenStatusalsReli-gionsgemeinschaftderalevitenerreicht.MitdereinführungdesalevitischenReligionsunterrichtsindenGrundschulenwirddieserStatusmitLebengefüllt. es gibtweiterhinwichtige Schritte undHerausforderungen für aleviten, um sich alseinegleichberechtigteReligionsgemeinschaftindieserGesellschaftmitRechtenundPflichtenzuentwickeln.

DeRVeRFaSSeRiStbiLDUnGSbeaUFtRaGteRDeRaLeVitiSCHenGeMeinDeDeUtSCH-LanD

Sufitum–diemystischeDimensiondesislamsasketen,einsiedler,DerwischeundHochschullehrer/VonReinhardbaumgarten

Indonesien ist mit rund 210 Millionen Mus-limen das bevölkerungsreichste islamische Land. Anders als in Syrien, dem Iran oder Nordafrika ist der Islam nicht mit beritte-nen Eroberern ins Land gekommen. Die Lehre aus dem fernen Arabien erreichte die indonesische Inselwelt etwa ab dem 13. Jahrhundert auf dem Seeweg durch Händler und vor allem durch Mystiker. Populär und zur Religion der Massen wurde der Islam ab Mitte des 15. Jahrhunderts mit dem Wirken der sogenannten Wali Songo – den Neun Heiligen. Die Wali Songo werden im Volks-glauben bis heute als Wohltäter, Wunder-heiler, Magier, Erleuchtete und Heilsbringer verehrt und verklärt.

SunanGunungJatiisteinerdieserWali Songo.DasGrabmaldes islamischenMystikers im

nordenderjavanesischenKüstenstadtCirebonist ein baukomplex von derGröße eines Fuß-ballfeldes.FrühamMorgenschonfahrenerstebussemitPilgernvor.SiestammenausSerang,bandung,SurabayaoderderHauptstadtJakarta.VielekommenauchvondennachbarinselnSu-matra,borneooderSulawesi,umamGrabdesWali zubeten.VondemZiarahgenanntenbesuchdes Schreins versprechen sich dieWallfahrerBarakah(Segen)undGhaffur(Vergebung).alleinimRaumCirebongibt esmehrals300PlätzederVerehrung,dievonPilgernallerGlaubens-richtungenaufgesuchtwerden.auf ganz Javasindesetlichetausend.ZumSchreinvonSunanGunungJatipilgernnichtnurMuslime.auchvielehinduistischeundbuddhistischeWallfahrerbetenanderletztenRuhestättedesWali.Viele javanesischeMystikerbedienten sich zurVerbreitung ihrer Lehre desWayang Kulit ge-nanntenStabpuppenspiels.Geschicktverstandensiees,altejavanesischeLegendenmitislamischerLehre,Geschichte undWerten zu verknüpfen.Die abbildungmenschlicherWesenwird vonorthodoxenMuslimenbisheutealsproblema-tisch angesehen.Deshalb bedienten sich dieSufimeistereinestricks:SieließenPuppenausLeder(Kulit)hintereinerbeleuchtetenLeinwandtanzen,sodassdavornurderenSchatten(Wa-yang) zu sehenwar.Massenhaft strömten dieMenschenzumWayangKulit,das ihnenSpaß,UnterhaltungundKurzweilbot.DiebezeichnungSufi leitetsichwahrscheinlichvondemarabischenWortsūfab,dasWollebe-deutet.alsSufiwerdeninderFrühzeitdesislams

jeneMenschenbezeichnet,diesichalsZeichenihrerspirituellenSucheinWollgewänderhüllen.essindasketenundeinsiedler.indereinsamkeitdesSinai,dersyrischenWüste,demiranischenund jemenitischenHochlandswidmen sie sichdemGottgedenken.SpäterwirdderbegriffSufiaufalljeneausgedehnt,diesich–alleinoderinGemeinschaft–mystischenÜbungenhingeben,umGott näher zu sein. in den vergangenenJahrhundertenhatesimchristlichenabendland

nichtanVersuchengemangelt,dasSufitumzuerklären.OftwarvoneinermorgenländischenSekte die Rede, vonMagiern und Zauberern,vonMenschen, die Schlangen beschwören,unbeschadetüberglühendeKohlenlaufenundsich Schwerter in den Leib bohren.DieWortefāqir undderwīsh tauchen in unserer Sprachehäufig als Synonyme für bettel- undWander-möncheauf,denenübernatürlicheFähigkeitennachgesagtwerden.

eine wunderbare beschreibung dessen, wasSufitumist,gibtim13.Jahrhundertdertürkisch-persischeMystiker JelāludīnRūmi:„einestagestrifft eineGruppeblinder auf einen elefanten.erstauntüberdieseswundersameWesenversu-chensie,eszubeschreiben.‚Dasisteinmächtigerthron‘,sagtderersteundumfassteinbeindeselefanten.‚nein‘,widersprichtderZweite,dersich

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FassadedesKalifenpalastMschatta,Kalkstein,beiamman/Jordanien743-44(inv.-nr.i.6163)©MuseumfürislamischeKunst/StaatlicheMuseenzuberlin,Fotograf:JohannesKramer

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amOhrdestieresfesthält,‚esisteingewaltigerFächer‘,undeinDritterruft:‚ihrirrt,dasisteinegewöhnlicheWasserpfeife‘undziehtamSchwanzdeselefanten.“.DieislamischeMystikistinihreräußerenerschei-nungundihreminnerenWesenextremvielfältigundumfangreich.DietraditionderSufisreichtvomProphetenMohammedbisinunseretage.Weltabgewandteasketenfindensichnebenlie-bestrunkenenDichtern,WanderderwischenebenHochschullehrern,MagiernebenHandwerkern,KaufleutenundRechtsgelehrten,PoetennebenKriegern.esgibteinekaumüberschaubareZahlanmystischenSystemenundSchulenundsehrunterschiedlicheSchwerpunktebeimFortschrei-tenaufdemgeistigenPfad.abersiehabenalledasselbeZiel:denMenschenaufseinemWegzuGottzuleiten.Dafürwurdenetwaseitdem10.Jahrhundert praktischeund theoretische Lehr-methodenausgearbeitet,diesichaufdenbātingenannten„innerenSinn“desKoransbeziehen.Die rascheausdehnungdes islamischenHerr-schaftsgebietsinderFrühzeitdesislamsfindetbeidenmeistenMuslimenbeifall–nichtzuletztwegenderreichenbeute.abereswerdenauchStimmenlaut,dievorderVerführungweltlicherReichtümer und irdischerMachtmit demKor-anwortwarnen:„alles,wasauferdenist,wirdvergehenaußerseinemangesicht.“

Sufitum

Hassanal-basriwareinerjenerfrühenMahner.erwarntediejungeislamischeGemeinschaftda-vor,inblankemMaterialismuszuertrinken.DerMeisterforderteseineSchülerauf,gottgefälligzulebenunddenGötzenReichtumundMachtzuentsagen:„OhMenschenkind,duwirstallei-nesterbenundmitdiralleinewirdabgerechnetwerden. Seimit dieserWelt, als ob du nie dagewesenwärest,undmitdem Jenseits,alsobduesnieverlassenhättest.“traditionell kennt der Sufiweg vier aufeinan-derfolgende Stufen: auslöschung der sinnli-chenWahrnehmung; aufgabe individuellereigenschaften; Sterben des egos; aufgehenins göttliche Prinzip.Wie lange einDerwischauf welcher Stufe verharrt, hängt von seinerspirituellenentwicklungab.ZumeistwerdendieMuridūngenanntenSchülervoneinemMurshid genanntenMeisterangeleitet.aufdemSufipfadsolltederGottsuchervierStationendurchschrei-ten:Schari’a (islamische Pflichtenlehre); Tarīqa (mystischerWeg);Haqīqa (Wahrheit);Ma’rifa (erkenntnis).Das Sufitum kennt keineswegs nurweltabge-wandteundentsagungsvolleGottsucher.imLaufder islamischenGeschichte haben sich immerwiedereinflussreichebruderschaftenherausge-bildet,dieübereinegroßeanhängerschaftunddamit auch über vielweltliche und teils auchmilitärischeMachtverfügten.DeroftmalsmitdenHerrschernverbandeltenreligiösenOrthodoxiewarensowohlderweltlicheeinflussalsauchvielealsbid’a(neuerung)diskreditiertenSufipraktiken

einDornimauge.Dieinnerislamischeausein-andersetzungzwischenOrthodoxieundMystikhatindenvergangenenJahrenwiederdeutlichanSchärfegewonnen. inafghanistanundvorallem inPakistansindzahlreicheSchreinevonSufi-Heiligen durch orthodoxe eiferer zerstörtworden,mystischeZeremonienwerdengestört,Derwischegetötet.DieSufi-bruderschaftenbefindensichweltweitseiteinigenJahrzehnteninspürbaremnieder-gang.DieHauptgründedafürliegenineinerfort-schreitendenSäkularisierungund–hervorgeru-fendurchmoderneUnterhaltungsmedien–aucheineProfanisierungislamischerGesellschaften.DiebruderschaftalsHortsozialenLebensundemotionalenerlebens istdurchmoderneMas-senunterhaltungersetztworden.Gleichzeitig lässt sich aber ein wachsendesinteresse an islamischerMystik in säkularenwestlichenGesellschaften feststellen. Seit den70er-JahrendesvergangenenJahrhundertshateseineFüllepopulärwissenschaftlicherbücherüberdasSufitumgegeben.Dertürkisch-persi-scheMystikerJelāludīnRūmierfreutsichdabeibesondererbeliebtheitundWertschätzung.einerLegendezufolgesollindenfrühenDezember-tagendesJahres1273dieerdeinundumdiemittelanatolischeStadtKonyagebebthaben.eswardieZeit,alsDschelaleddinRumiimSterbenlag.DieÜberlieferunggibtdenMeistermitdenWortenwieder:„Dieerdeisthungrig.baldwirdsieeinen fettenbrockenbekommenundRuhegeben.“KurzdaraufstarbRumiundKonyaver-

sankintiefetrauer.66JahrewarjenerMannaltgeworden,derschonzuLebzeitenalsGelehrter,Dichterfürst und Pol der Zeit über dieMaßenverehrtwordenwar.26.000VerseumfasstdasgrößtevonRumisWerken,dasMathnawi,dasinunseren tagen eine unerwartete Renaissanceerlebt.DieMystik desDschelaluddin Rumi istzeitlos und findet seit einem dreiviertel Jahr-tausend immerneueanhänger.Gewiss hängtdasmitMevlanaRumisunorthodoxerOffenheitzusammen.

Siehe, ich starb als Stein und stand als Pflanze aufStarb als Pflanz’ und nahm darauf als Tier den LaufStarb als Tier und war ein MenschWas fürcht ich dann,Da durch Sterben ich nie minder werden kann?Wieder, wenn ich wird’ als Mensch gestorben sein,Wird ein Engelfittich mir erworben sein.Und als Engel muss ich sei geopfert auch,Werden, was ich nicht begreif,Ein Gotteshauch.(Übers. Friedrich Rückert)

DeRVeRFaSSeR iSt FaCHReDaKteUR inDeRReDaKtiOnReLiGiOn,KiRCHeUnDGeSeLL-SCHaFtbeiMSÜDWeStRUnDFUnKUnDHatDaSaRD-PROJeKt „GeSiCHteRDeS iSLaM“KOnZiPieRt

JüdischesundchristlicheserbeimKoranDieOffenbarungenvorislamischerPropheten/VonStefanSchreiner

Tora, Evangelium und Koran – nach den Worten Ibn Taimiyyas (1263-1328) bilden sie „eine zusammenhängende Tradition“ (vgl. Sure 3,3–4), und der islamische Reformator Muhammad Abduh (1849-1905) ergänzte: „Die Tora, das Evangelium und der Koran sind nicht nur drei zusammenhängende Bücher, sondern in ihrer Abfolge vervoll-ständigt sich die göttliche Unterweisung der Menschen, und die wahre Religion enthüllt ihren Glanz durch die Jahrhunderte“.

Dass die bibel in die islamischeÜberliefe-runghineingehört,hattederProphetselber

erklärt. einemvonabūHuraira (um600-678)überliefertenHadith zufolge gefragt,was derislamischeGlaube beinhaltet, hatte er geant-wortet: „Glaube bedeutet, dass du anGott,Seineengel,SeineSchriften,SeineGesandtenund die begegnungmit ihm (beim JüngstenGericht)glaubst,unddassduandieauferste-hungglaubst.“Damitwiederholteer,waserdenGläubigenzuvorverkündethatte:„DerGesandte[Gottes]glaubtandas,waszuihmherabgesandtwordenistvonseinemHerrn,unddieGläubigenalleglaubenanGott,Seineengel,SeineSchrif-ten und SeineGesandten –wobeiwir keinenUnterschiedmachen zwischen einem SeinerGesandten[...]“(Sure2,285).UnddieGläubigenihrerseitsbekennen:„Sprecht:‘WirglaubenanGottund[andas],waszuunsherabgesandtwor-denist,und[andas],washerabgesandtwordenist zuabraham, ismael, isaak, JakobunddenStämmen[israels],und[andas],wasMoseundJesusvonihremHerrngegebenwordenist,und[andas],wasdenProphetengegebenwordenist,wobeiwir keinenUnterschied zwischeneinemvon ihnenmachen. iHMwendenwir uns zu’.“(Sure2,136).Deswegenistes„fürdenMuslimverpflichtend“,sagtMuhammadHamidullah,„nichtnurandenKoranzuglauben,sondernauchandiegesamtenOffenbarungendervorislamischenPropheten.“DassindnachdemKoran:(1)die„blätterabrahams“(Sure87,18–19);(2)die„toradesMose“bzw.dieMosegegebeneSchrift(Sure2,53;11,17;46,12);

(3)die„Psalmen“Davids(Sure4,163;17,55);(4)dieJohannes(demtäufer)gegebene„Schrift“(Sure19,12);

(5)unddas„evangelium“,dieSchrift,dieJesusgegebenwordenist(Sure5,46u.ö.).

inderSummealsodieSchriften,dieals„bücherderbibel“überliefertsind.MitanderenWorten:nach demKoran sind die Schriften der bibelebensoteilseinerVorgeschichte,wiederKoranteildernachgeschichtederbibelist.DasszwischenKoranundbibelsowiejüdischerund christlicher nachbiblischerÜberlieferungeineengeinhaltlichebeziehungbesteht,ables-barandenimKoranbegegnendenzahlreichenbiblischen und nachbiblischen Geschichten(Speyer,DiebiblischenerzählungenimQoran;

tottoli, biblical Prophets in theQur’an andMuslim Literature), kanndaher nicht nur nichtüberraschen, sondern ist ebenso geschichtlichwietheologischbegründet:a) theologisch durch die eben genannte ab-folge der Propheten (Sure 4,163; 5,44-49u. ö.), die nacheinander, „jeder Prophet anseinemOrtseinemVolkinseinerSprachezuseiner Zeit“ (16,368; 14,4; 21,25), die einebotschaftdeseinenGottesverkündethaben.inMuhammadsWirkenhat sie ihr „Siegel“erhalten (Sure 33,40), zugleich weist diedurchihnvermitteltebotschaftaufdenanfangzurück,indemsiezumeinendie„natürliche,schöpfungsmäßige Religion“ (Sure 30,30)undzumanderenderenerstegeschichtlicheVerwirklichung,die„Religionabrahams“wie-derherstellt(Sure4,125u.ö.);und

b)geschichtlichdurchdenKontextdesauftre-tens und der prophetischen VerkündigungMuhammads, an dessenGestaltung nichtzuletzt Juden(tum) undChristen(tum) ihrenanteil hatten (Reynolds, theQur’an in itsHistoricalContext).

WennauchüberdiereligiöseOrientierungunddasgeistigkulturelleniveauderjüdischenundchristlichenGemeindenimvorislamischenarabi-en,undinsbesondereüberdenStandihrertheo-logischenbildung,längstnichtsovielbekanntist,wie notwendigwäre, um schlüssigeaussagenzumachen, erscheint es dennoch unbestreit-bar,dassJudenundChristenmitihrenheiligenSchriftenundderenauslegungebensozurVer-breitungmonotheistischenGedankengutes inarabienbeigetragen–wobeisieimaltarabischenHanifentumeinenbundesgenossenhatten–so-wiedasihregeleistethaben,denbodenfürdieaufnahmeder durchMuhammad vermitteltenbotschaftzubereiten.Unübersehbaristzudemauch,dassdieentfaltungderindieserbotschaftenthaltenenLehrenvonihrenanfängenherinsoengemKontaktzujüdischenundchristlichenÜberlieferungenerfolgte,dassnichtnureinnichtunerheblicher teil ihrerwesentlichen Lehrbe-griffedarausübernommenwurde, sondernesschonimKoranheißt:„Sodu[Muhammad]imZweifelbistüberdas,wasWirdirherabsandten(imKoran),sofragediejenigen,welchedieSchriftvordirlasen(JudenundChristen).“(Sure10,94)Mit anderenWorten:Wie die biblisch-nachbi-blischeÜberlieferung dem Koran als dessenSubtext eine notwendige Verstehenshilfe ist,soistderKoranseinerseitsteilderRezeptions-undWirkungsgeschichte der bibel und leisteteinen beitrag zu ihrer auslegung(sgeschichte)(S.Schreiner,DerKoran;Reynolds,theQur’ananditsbiblicalSubtext).Dementsprechendha-ben denn auch jahrhundertelangmuslimischeGelehrte biblisch-nachbiblische, jüdische undchristlicheÜberlieferungeninihreauslegungendes Koran einbezogen (Karoui,Die Rezeptionder bibel in der frühislamischen Literatur ambeispiel der Hauptwerke von ibnQutayba).

Undnoch im15.Jahrhundertsahsichburhanad-Din ibrahimb.Umaral-biqa’i (1406-1480)veranlasst, einen traktat über die notwen-digkeit desGebrauchs der hebräischen bibelund desneuen testaments in der Koranaus-legung und zugleich deren Rechtfertigungzu verfassen (Saleh, in defense of the bible).WennauchdastrinitarischebekenntnisderChris-tennachmuslimischemVerständnisdenwahrenMonotheismus aufweicht und als tritheismusverstandenwordenist(Sure4,171;5,73)undal-leindiejüdischeauffassungvomMonotheismusdemmonotheistischen bekenntnis des islamsentspricht–weswegensichüberJahrhunderteJudenundMuslimevielnäherwaren,alsJuden

undChristenesjegewesensind–,waresebendasgemeinsamebiblischeerbe,dassderKoranmitblickaufJudenundChristengleichermaßenzuderFeststellunggelangt:„UnserGottundeuerGottisteiner(undderselbe),undiHMwendenwirunszu“(Sure29,45/5),unddamitverbietet,dassJuden,ChristenundMuslimeeinanderals„Ungläubige“ansehen;denn,soderKorankom-mentatorĞalāl ad-Dīnal-Mahallī (gest. 1459)zumzitiertenKoranvers:„SieallebefolgendeseinenundSelbenGottesWortundGebot“.

DeRVeRFaSSeRiStLeHRStUHLinHabeRFÜRReLiGiOnSWiSSenSCHaFtUnDJUDaiStiKanDeRUniVeRSitÄttÜbinGen

ParastouForouhar:Justaminute(seit2003).Computeranimation.GezeigtinderausstellungtaSWiR.©ParastouForouhar

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WeiblicheFigurinhöfischerKleidungundSchmuck,bemalterStuck,iranum1200,(inv.-nr.i.2658)©MuseumfürislamischeKunst/StaatlicheMuseenzuberlin,Fotograf:ingridGeske

GewaltigeHeucheleieinKommentarvonHeribertPrantl

So innig wie heute war die Beziehung zwi-schen Christen und Juden in Deutschland noch nie. Die neue Innigkeit ist nicht von Theologen und Pastoralklerikern aus-gerufen worden, sondern von Politikern. Im Jahr 72 nach der Reichspogromnacht haben sie etwas entdeckt, was es nicht gibt: eine christlich-jüdische Tradition, eine gemeinsame Kultur. Das ist ein bemerkens-werter Vorgang, weil die nun beschworene Gemeinsamkeit über Jahrhunderte hin die Gemeinsamkeit von Tätern und Opfern war.

Diechristliche-jüdischeGeschichtebestehtvorallem inderVerfolgung,Vertreibung

undVernichtungderJudenundinderVerket-zerungdes talmud.Undwoes gemeinsameWurzelngab,hatdieMehrheitsgesellschaftsieausgerissen.WennJudenanerkanntwurden,dannnach ihremÜbertritt zumChristentum.UnddiesesChristentumhatbisindiejüngsteVergangenheit nicht dieGemeinsamkeit derHeiligen Schrift, sondern den triumph desneuen über das alte testament gepredigt.

Die christlich-jüdischeGeschichte ist alsoeinebittere, furchtbareGeschichte. erst nachdemdienationalsozialisten sechsMillionen Judenerschlagen,erschossenundvergasthatten,be-gann(aufamerikanischenDruckhin)das,waschristlich-jüdische„Versöhnung“heißt.istdieGeschichtsvergessenheitdesGemeinsam-keitgeredeswomöglicheinneueraktderWie-dergutmachung,einephilosemitischeFiktionausschlechtemGewissen?HandeltessichumdenVersuch,nachträglichallesrichtigzumachen?eswäreschön,wennesnursowäre.beimRedenvonderchristlich-jüdischentraditionhandeltessichaberumeinegewaltigeHeuchelei.Diedeut-schePolitikdrücktdiealte,früherstigmatisierteMinderheitderJudenandiebrust,umdieneueMinderheit,dieMuslime,zustigmatisieren.DieJudenwerdenmissbraucht,umdieMuslimealsunverträglichzukennzeichnen.Zum72.Jahres-tagderReichspogromnachtwirdeineneueKa-tegorisierungderMinderheitenpropagiert(nichtnurvonscharfenislamkritikernwieGeertWildersundthiloSarrazin):inguteundschlechte,inklu-geunddummeMinderheiten.DieseSortierung

wirdnichtdadurchbesser,dassmuslimischeMi-lieusoftsehrantisemitischsind.WeilaberdieserantisemitismusvonderdeutschenMehrheitsge-sellschaftlangekaumbeachtetwurde,gibtesinjüdischenGemeindenSympathienfürdiege-sellschaftlicheausgrenzungdeutscherMuslime.JudensindinjüngererZeitimmerwiedergenö-tigtworden,Selbstverständlicheseinzuräumen:Dassman,ohnealsantisemitzugelten,israelkritisierendürfe.ÄhnlicheswirdnunvondenMuslimen verlangt: Sie sollen undmüssenerklären,dasssiesichvomterrorismusdistan-zieren.ausdruckeinesvertrauensvollenMitein-andersistdasnicht.esmussnichteineominösechristlich-jüdische tradition gegenMuslimeverteidigtwerden,sonderndieoffeneGesell-schaftgegenneueFormenderausgrenzung.

DeRVeRFaSSeR iSt ReSSORtLeiteR innen-POLitiKDeRSÜDDeUtSCHenZeitUnG

Der Beitrag erschien zuerst in der Süddeutschen Zeitung vom 09.11.2010.Wir danken für dieMöglichkeitdesnachdrucks.

Sindinterreligiösebewegungenpolitischrelevant?OffeneGesellschaft,religiöseVielfalt/VonReginaammichtQuinn

In New York City fanden zuletzt Proteste statt für und wider das, was fälschlicherwei-se „die Moschee am Ground Zero“ genannt wird, eigentlich aber ein muslimisches Ge-meindezentrum zwei große Straßenblocks entfernt von „Ground Zero“ ist. In unter-schiedlichen Umfragen für New York wurde deutlich, dass die Ablehnung des Projekts bei Menschen in der unmittelbaren Nach-barschaft – Manhatten – erheblich geringer ist als in den Vororten Queens und Staten Island.

Ähnlichesspieltsichderzeitineuropaab.beiderVolksabstimmungüberdasMinarettver-

botimnovember2009inderSchweizvotiertenvorallemdieMenschenderländlichenundal-pinenRegionenfürdasVerbot–dieMenschenindenkulturellundreligiösvielfältigenStädtensprachensichmehrheitlichgegendasVerbotaus.SounterschiedlichdieSituationensind,sodeut-lichist,dasseseinengemeinsamennennergibt:angst.esistangstvorderbedrohungdurcheinenradikalenundgewalttätigen islamismus;es istingleicherWeisedieangstvordemschlechthinFremden;esistdieangstvor„dentürken“,die,wiekürzlichzulesenwar,sichnichtintegrierenwollen,dieausbreitungderUnterschichtvoran-treibenundpauschalmitdem„islam“identifiziertwerden.Undesistdieangstdavor,dassdiekultu-relleidentitätinsWankengerätundneudefiniertwerdenmuss.ineuropazeigtsichdiesimmerwiederanderDis-kussion vongesellschaftlicheneinzelproblemenmitblickaufdasthemaReligion.inangstgelei-tetenDiskursenwirdsichtbar,dass–Stichworte:Kopftuchundburka–gesellschaftlicheProblemeamKörper von Frauen ausgehandeltwerden,diedortnichtentstehenundnichtgelöstwerdenkönnen.SomussetwaklarunterschiedenwerdenzwischenKopftuchundniqab.niqab,derGe-sichtsschleier,erschwertoderverhindertdirekteKommunikation.Damit ist er kein geeignetesbekleidungsstückfüreineoffeneGesellschaft,dieaufdemokratischeteilhabesetzt.VerboteaberscheinenhierwenigsinnvollzuseinundsteheninGefahr–geradeimHinblickaufdieFörderungderGleichstellungvonFrauen–einengegenteiligeneffektzuhaben.Die Frage nach konkreten Konflikten im Zu-sammenhangmit der religiösen Vielfalt einerGesellschaft lassen sichaberauchnach innenwenden:WiehältesdieMehrheitsgesellschaft,die inunterschiedlicher tiefe christlichgeprägtist,mitdenKreuzeninöffentlichenRäumen,dietrotzdesUrteilsdesbundesverfassungsgerichts(16.Mai1995)nachwievorKontroversenauslöst?KreuzeinöffentlichenRäumensindnicht–wieesinDiskussionenhäufiggeschieht–vergleichbarmit „Kopftüchern“ in öffentlichenRäumen. einGrundsymbolundeineausschließlichaufFrau-en bezogene bekleidungsvorschrift bewegensichnichtaufderselbenebene.DieFrageaberbleibt: SollenKreuzeaus öffentlichenRäumenentferntwerden?Hier könnteman theologischwiepolitischfragen:Warum?WarumumGotteswillen?Wir sollten rassistische,nationalistische,menschenverachtende Symbole aus unserenöffentlichenRäumenentfernenundeinstrengesaugedafürhaben,wosolcheSymbolesichinun-sereöffentlicheRäume–dieWerbungisthiereinbeispiel–einschleichen.WarumabererscheinenKreuzeaufdergleichenebenewie rassistischeodermenschenverachtende Symbole?Warumwerdensiealsbedrohlichwahrgenommen?DasisteineFrage,dieimpolitischenKontextentstehtunddiewirChristinnenundChristenzubeant-wortenhaben.DieweltanschaulicheneutralitätdesStaates inreligiösenFragenkanndieFormvonRestriktio-nenannehmen.ReligiöseSymbole sollendannausderÖffentlichkeitverschwinden.DieswürdenichtohneVerletzungenoderMachtkämpfege-schehen.Dieweltanschaulicheneutralität desStaatesinreligiösenFragenaberkannauchdurchgutverstandenePluralitätverkörpertwerden.DieKreuze,diewederdekorativnochnostalgischnochabgrenzendverstandenwerden,solltenbleiben.UndvielleichtbefindensiesichdannbaldinguterGesellschaftmitanderenGrundsymbolen,dieinanderenreligiösenSprachenvonLeidundbeen-digungdesLeids,vontodundLeben,vonSchuldunderlösungundletztlichvonderGeschwister-lichkeitderMenschensprechen.es istnichtdieaufgabedesStaateszuklären,welcheReligion„Recht“hat.esistaberaufgabedesStaates,RäumezueröffnenundStrategienzuentwickeln,beidenenklarwird,dassjederfrie-

dens-undfreiheitsliebendeMenscheinRechtaufReligionhat.KlareGrenzenergebensichdort,wokeinekulturelleoder religiöseVerhaltensweisegegenMenschenrechteverstoßendarf.ineinem religiös vielfältigenGemeinwesen istdieangemesseneFormvonReligionsbegegnungderDialog. ein solcher interreligiöserDialogbasiertgrundlegendaufdreiSchwerpunkten:aufVertrauen,Respektundengagement.VertrauenaufdaswechselseitigeWohlwollen;RespektvordenjeeigenenLebens-undGlaubenskontexten;gemeinsames engagement der Religionen fürFrieden,Gerechtigkeit unddie bewahrungderSchöpfung.Das klingt gut – aber gleichzeitig lebenwir ineiner konfliktgeladenenWelt, in der allzu vielnaivitätgefährlichist.Genauhierstehenwiraufder„Glaubensgrenze“:alleReligionensindinsichvielschichtig;undvielevonihnenhabenextremeSchichten. es gibt nationalistischeHindus undkriegerischeMuslime,esgibtfundamentalistischeJudenundantisemitistischeChristen.Geradedort,wo intolerante, kriegerischeoder fundamenta-listische Strömungen innerhalb von Religionenmächtigwerden,brauchenwirdieantwortunddieStrategiedesinterreligiösenDialogs.DieGefahrvonFundamentalismusistalsokeinargumentge-geninterreligiösenDialog,sonderndaswichtigsteargument dafür.Menschen im interreligiösenDialogerinnernunsandiegemeinsamebasisvonReligionen.Undsieerinnernunsdaran,dassRe-ligionenkeinHerrschaftsinstrumentseindürfen,sondernLebensformensinddieaufFriedenundGerechtigkeitzielen.SiesinddasGewissenihrerjeeigenenReligion.UnddamitbrauchtjedePolitikdiearbeitinterreli-giöserbewegungen.DasScheiternderReligions-dialogeistnichtnureineGefahrfürFriedenundSicherheitderGemeinwesen.esisthäufigaucheinScheiternderGrundideale,aufdenendieseGemeinwesenaufbauen.DieDiffamierungde-rer, die dasmuslimischeGemeindezentrum innewYorkbauenwollen,isteinangriffaufdenKernbestand amerikanischen Selbstverständ-nisses:Glaubens- undGewissensfreiheit. Fürunschristlicheeuropäergilt:nichtdiereligiöseVielfalt isteinangriffaufdasSelbstverständnisdes„christlichenabendlands“.DerangriffaufdasSelbstverständnisdes„christlichenabendlands“und derWiderspruch gegen Kernpunkte dereigenentraditionereignetsichdort,wo„diean-deren“aufgrundihresandersseinsmitMisstrauenbetrachtet,ausgegrenztoderverachtetwerden.

DieVeRFaSSeRiniStPROFeSSORinFÜRtHeOLOGiSCHeetHiKaMinteRFaKUL-tÄRenZentRUMFÜRetHiKinDenWiSSen-SCHaFten(iZeW)DeRUniVeRSitÄttÜbin-GenUnDLeitetDORtDenbeReiCH„etHiKUnDKULtUR“.Seit2010iStSieeHRenaMt-LiCHeStaatSRÄtinFÜRinteRKULtUReLLenUnDinteRReLiGiÖSenDiaLOGSOWieGeSeLLSCHaFtLiCHeWeRteentWiCKLUnGMitSitZiMStaatSMiniSteRiUMbaDen-WÜRtteMbeRG

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akzeptanzundWahrnehmungdesislamsZudenergebnisseneinerStudiederWestfälischenWilhelms-UniversitätMünster/VonDetlefPollack

Wie hoch ist die Akzeptanz religiöser Viel-falt in Deutschland? Diese Frage stand im Zentrum einer ländervergleichend ange-legten repräsentativen Studie, die vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Westfälischen Wilhelms-Universität Müns-ter im Sommer dieses Jahres, also noch vor der Sarrazin-Debatte, durchgeführt wurde. In einer repräsentativen Umfrage wurden dafür Bürger in Deutschland und in Ländern, in denen die Integrationsde-batte ebenfalls hohe Wellen schlägt, in Holland, Frankreich und Dänemark, und aus Gründen des Vergleichs auch in Por-tugal befragt.

aufdieFrage,obunser Landdurch fremdeKulturenbedrohtsei,antworteteninWest-

deutschlandzweiFünftel,dasssiediesglaubenwürden.DabeiistdasGefühlderbedrohunginWestdeutschland in etwa genauso stark aus-geprägtwieinDänemark,Frankreichunddenniederlanden;inOstdeutschlandliegtesetwasüberdemDurchschnitt.auchindereinschätzungderKonflikthaftigkeitdesReligiösenstimmendieWestdeutschenmitdenanderenWesteuropäernüberein.Über70ProzentderbefragteninWest-undOstdeutsch-land,inDänemarkunddenniederlandenhaltendiezunehmendeVielfaltvonreligiösenGruppeninderGesellschaftfüreineUrsachefürKonflik-te;inFrankreichsindfreilichlediglich59ProzentdieserMeinung.Wennesallerdingsdarumgehteinzuschätzen,obdiezunehmendeVielfaltreligiöserGruppeneine kulturelle bereicherung in unserer Ge-sellschaftdarstellt,dannsindnurwenigmehralsdieHälfte imWestenDeutschlandsbereit,dieseraussagezuzustimmen (imOstensogarknappunter50Prozent).indenanderenLän-dernmachterdagegenrund80Prozentaus.DieausdemZusammenlebenvonangehörigenunterschiedlicher ReligionsgemeinschaftenentstehendenSpannungenwerdenindenun-tersuchtenwesteuropäischenLändernähnlichgesehen. aber dieOffenheit gegenüber denfremdenReligionenundKulturenist inFrank-reich,Dänemark,HollandundübrigensauchinPortugalweitaushöher.GeradezudramatischsinddieUnterschiedezwi-schenDeutschlandunddenanderenwesteuro-päischenLändern,wennmannachderpersönli-chenHaltungderMenschenzudenMitgliedernunterschiedlicher religiöserGruppen fragt. inLändernwieFrankreich,denniederlandenundDänemark,diedurchöffentlichausgetrageneKonfliktemit dermuslimischenMinderheit indie Schlagzeilen geraten sind, hat eine klareMehrheiteinpositivesbildvondenMuslimen;inDeutschland,WestwieOst,dagegennureineMinderheit.indenaltenbundesländernhaben34ProzenteinepositiveMeinungvonMuslimen,indenneuen26Prozent.indenniederlanden,indenendieislamdebattedurchdieermordungdesFilmemacherstheovanGoghundaufgrundderislamkritischenÄußerungendesrechtspo-pulistischenPolitikersGeertWildersbesondersintensivgeführtwurde,habenetwadoppeltsoviele, nämlich 62 Prozent der befragten einepositiveHaltunggegenüberMuslimen.Dabei istdasbild,dasmansichvomislaminden untersuchten Ländernmacht, erstaun-lich ähnlich und erstaunlich negativ.Gefragtdanach,mit welchen eigenschaften sie denislamverbinden,sageninallenLändernetwa80 Prozent, dass sie beim Stichwort islamandiebenachteiligungderFraudenken.etwa70ProzentassoziierenFanatismusmitdemislam,etwa60ProzentGewaltbereitschaft,etwasmehrals50Prozentengstirnigkeit.HiersindsichdieWesteuropäerweitgehendeinig.DieausnahmeistFrankreich,wodasbildvomislamzwareben-fallsüberwiegenddurchnegativeassoziationenbestimmtist,dieKritikaberdeutlichgemäßigterausfällt.StelltmanindespositiveeigenschaftenwieFriedfertigkeit,toleranzoderachtungderMenschenrechte für die Kennzeichnung desislamszurWahl,danntrittwiederdieDifferenzzwischenDeutschlandunddenanderenwest-europäischenLändernzutage.toleranzwollendem islam in Deutschland weniger als fünfProzentzuschreiben,inDänemark,Frankreichunddenniederlandenabermehrals20Pro-zent.bezüglichdereinschätzungderachtungderMenschenrechte und der FriedfertigkeitdesislamsbewegensichdieUnterschiedeaufeinemvergleichbarenniveau.auchbezüglichsolcherMerkmalewietoleranz,Friedfertigkeit

oderachtungderMenschenrechtestoßenwirindenLändernaußerhalbDeutschlandsalsonichtauf einemehrheitlich positive einschätzung,aberdochaufeinsignifikantbesseresbildalsinDeutschland.Dennochwilldiebevölkerung inDeutschlandnichtchristlichen Religionsgemeinschaften dieanerkennung nicht verweigern. Man mussalleReligionen respektieren–dieseraussagestimmen inWestdeutschlandüber80Prozentder befragten zu, in den anderen Ländernetwa90Prozent.UndwenndieausländersichanunsereGesetzehalten,dannmeinensogarüber90Prozent,dassesaufihreReligionnichtankommt.UndauchdieGlaubensfreiheithalteninDeutschlandebensovielefürwichtigwieindenanderenLändern:über90Prozent.

MonaHatoum:+and–(1994-2004).installation.taSWiR–islamischebildweltenundModerne,austellungsraum„abdruckundberührung“(imVordergrund).©Courtesyha atelier–WerkstattfürPhilosophieundKunste.v.,Foto:DiMackey

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Möglicherweisehängtdie imVergleichzudenwesteuropäischennachbarn negativere ein-stellungzudenMuslimenunteranderemdamitzusammen,dassinDeutschlanddieöffentlicheDebatteüberKonflikteimZusammenlebenzwi-schenangehörigen unterschiedlicher Kulturennochnichtsointensivundlangegeführtwordenistwie dort. außerdem ist in unserer analysedeutlichgeworden,dassdiewichtigsteeinfluss-variablefürdieHaltunggegenüberdemislamderKontaktzuangehörigendieserReligionist.JehäufigermanMuslimetrifft,destowahrschein-licher ist es, dassman zu ihnen ein positivesVerhältnisentwickelt. imWestenDeutschlandsgebenetwa40Prozentan,zumindesteinwenigKontaktzuMuslimenzuhaben,imOstensogarnur16Prozent,inFrankreich,wowirunterallen

untersuchten Ländern das positivste islambildantreffen,dagegenüber60Prozent.Dabeigilt,dassdiebegegnungenmitMuslimen,wenn sie denn zustande kommen,mehrheit-lichpositivbewertetwerden.etwadreiViertelderWestdeutschenundimmerhinzweiDrittelder Ostdeutschen berichten, sie hätten diebegegnungenmit Muslimen als angenehmempfunden.DasProblemistnureben,dassdieKontakthäufigkeitinDeutschlanddeutlichunterdemniveauderanderenLändernliegt.

DeRVeRFaSSeRiStPROFeSSORFÜRReLiGiOnSSOZiOLOGieiMRaHMenDeSexZeLLenZCLUSteRSReLiGiOnUnDPOLitiKanDeRWeStFÄLiSCHenWiLHeLMS-UniVeRSitÄtMÜnSteR

Glaubenleben,wechseln,aufgebenKonversionenzumundausdemislam/VonJörnthielmann

Gelebte, gar sichtbare Religiosität ist heut-zutage in Deutschland eine Irritation für vie-le Menschen. Besonders deutlich wird dies bei Muslimen: bei solchen, die seit Geburt Muslime sind, ebenso wie bei solchen, die den Islam erst angenommen haben, also konvertiert sind. Ebenso irritierend – und in der Öffentlichkeit nahezu unbekannt – ist aber auch, dass auch Muslime ihren Glauben aufgeben, entweder ganz und gar oder durch einen Wechsel zu einer an-deren Religion. Bei den meisten Muslimen geschieht dies nicht so plakativ und laut, wie bei den Mitgliedern des „Zentralrats der Ex-Muslime“.

ichwerdeindiesemtextdreiPhänomeneanspre-chen:ZunächstdieRekonversionvonMuslimen,alsoborn-again-erscheinungen.Zweitenssollesum zwei Formen vonaufgabedes islamischenGlaubensgehen,diebeideunterislamischerPers-pektivealsapostasie,Glaubensabfall,thematisiertwerden:denWechselvomislamzueineranderenReligionunddiegenerelleaufgabedesGlaubens,alsoagnostizismusoderatheismus.MitdemPhänomenderKonversionistdasdersogenanntenRekonversionengverbunden.HiereignensichgeboreneMuslimedenislambewusstneuan,werdenalsozuborn-again-Muslimen.DenOrientierungsrahmen bildet die globale„umma“,dieweltweiteGemeinschaftderMus-lime.Der islamderborn-again-Muslime ist inderRegeleindekulturalisierter,dehistorisierterunddeethnisierterislam,dersichander„golde-nenislamischenFrühzeit“unddemVorbilddesProphetenMuhammadausrichtetundhistorischgewachsenereligiös-kulturelletraditionenundGewohnheitenaufgibt.DieseFormdesislamsist

auchfürmancheKonvertitenattraktiv,dieohneeigenemuslimisch-kulturellePrägungsichdenislamalsGlaubenspraxisaneignenmüssen.Derbezugaufdieprophetischetraditionkanndazu-führen,dassmuslimischeMänner–geradeauchKonvertiten–mitturbanenundPluderhosen,dieüberdemKnöchelenden,durchdeutscheFuß-gängerzonenlaufen,umeinbeispieljenseitsdesnotorischenKopftuchesodergardesGesichts-schleiers zuwählen.Durchdaspittoreskebildsolltemansichallerdingsnichttäuschenlassen.DiederartzumausdruckkommendeReligiositätist in der Regel hochmodern: individualisiert,schriftorientiert,vernunftbetont.DieZahlderRekonvertitenhatimletztenJahr-zehnt sicherlich zugenommen. ein zentralerGrunddafüristdieethnisierungdesislams.Dasmeint,dassMenschen,dieaugenscheinlichausderislamischenWeltstammen,vorallem,wennnichtgarausschließlich,alsMuslimeangespro-chenwerden,egal,obsieMuslimesindundwieesumihrenpersönlichenGlaubenbestelltist.Hinzu kommen intensive, oft auch islamopho-be,öffentlicheDebattenüberdenislam,wieindiesemJahranlässlichderthiloSarrazin-thesenundderRededesbundespräsidentenzumtagderdeutscheneinheit.beimanchenMuslimenführt dies zu einer bewussten identifikationmitdemislamundihrenMitmuslimenunddereigenenPositionalsMuslim,einPhänomen,dasich imanschlussanMaxFrischdas„andorra-Phänomen“nenne.nebendieserinitialzündungzur Glaubensintensivierung von außen trittnatürlich immerwieder auch die individuelleSinn-undGlaubenssuche,diezumStudiumdesislamsalleineundinGruppenundzuintensive-rerGlaubenspraxis, die sehr verschieden seinkann,führt.

eskommtallerdingsebensodazu,dassMuslimeihren angestammtenGlaubenaufgeben, dasssiesicheineranderenReligionzuwendenodergarnichtmehrglauben.Konversionenausdemislamheraus sowie dieGlaubensaufgabe vonMuslimen sind bislang kaumGegenstand derForschungundwerdenauchindermuslimischenGemeinschaftnichtoffenthematisiert.DasliegtsicherlichandemhohenGraddertabuisierungdesabfallsvomislaminmuslimischenGesell-schaften,derdarüberhinausnachklassischemislamischemRechtmitdemtodzubestrafenist.allerdingsistdieseStrafeimgesamten20.Jahr-hundertweltweitsogutwiegarnichtvollstrecktworden.DieZunahmederKonversionvonMusli-menvorallemzuevangelikalenGruppierungen,wiez.b.unteriranischenSchiitenineuropaunddenUSa, aber auch im iran selbst zu beob-achten, ist vonMenschenrechtsorganisationendokumentiert,aberbislangnichtwissenschaftlichuntersuchtworden.auch inDeutschlandwer-denMuslimeChristen und lassen sich taufen.DiebeidengroßenKirchen,aberauchdie fürMuslimewegenihrerintensivenReligiositätundsozialenWärmehäufig attraktiven FreikirchenunterschiedlichsterPrägunghängendiesjedochnichtandiegroßeGlocke,umdiesozialeein-bettung–gelegentlichauchdasLeben– ihrerneuenGlaubensschwesternund-brüderinihreFamilienundbekanntenkreisenichtzugefähr-den.DassPapstbenediktxVi.inderOsternacht2008denausÄgyptenstammendenMuslimundstellvertretendenChefredakteur des „Corrierede la Sera“,Magdiallam, vor denaugenderWelt taufte, istdieabsoluteausnahme.MagdiCristianoallam ist seit Juli 2009Mitglied des

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MiniaturmitnächtlicherJagdszenemitzweiMoghulprinzen,indien,spätes17.Jh.©MuseumfürislamischeKunst/SammlungedmunddeUnger

europäischenParlaments.Dasbekenntnis,atheistoderagnostikerzusein,führt in der Regel zur sozialen isolation odernötigtzumWegzugausdervertrautenUmge-bung und hat in vielen islamischen LänderngravierenderechtlicheFolgen.auchderVersuchneuerantwortenauftheologischeFragen–unddiekönnendurchausdiereicheislamischetradi-tionnutzen–beschertMuslimenheuteenormeProbleme,siehedenFalldesimSommer2010verstorbenenägyptischenProfessorsnasrHa-midabuZaid,derjahrelangindenniederlandenimexillebenmusste,nachdemseineehevomKassationshof,demhöchstenägyptischenZivil-gericht,aufantrageinerGruppevonanwältenwegen Glaubensabfalls zwangsgeschiedenwordenwar.DerberühmteKoranvers„esgibtkeinenZwanginderReligion“(laikrahafi-d-din,Sure2,256),

derfürunsereheutigenOhrenwieeineGrund-legung von Religionsfreiheit klingt und heutesoauch im interreligiösenDialogundbeiderDiskussionderFrage,obderislammiteinersä-kularenUmweltkoexistierenkann,benutztwird,istkritischzubefragen,oberdiesetoleranzundFreiheittatsächlichmeintundgarantiert.DieinPrincetonarbeitendedänischeHistorikerinundislamwissenschaftlerin Patricia Crone hat diewesentlichen exegetischen Positionen dazu inGeschichteundGegenwartzusammengetragenund beimxxx.DeutschenOrientalistentag inFreiburg2007(http://orient.ruf.uni-freiburg.de/dotpub/crone.pdf)vorgestelltunddiesverneint.DassMuslimeineuropaodernordamerikamitdenentsprechendenMenschenrechtsdiskursenunddendarausresultierendenPraktikenlebenunddurchmoderneMedieneineglobalisierteundvernetzteWelt entsteht, schafft innerhalbder islamischen „umma“,der islamischenGe-meinschaft,weltweit eine starkeDynamik der

Veränderung,intensiviertnochdurchdiemassi-vensozio-ökonomischenUmbrüchederheutigenZeit.MuslimesindzwarimmernochintensivermitihrerReligionverbundenalsderDurchschnittderChristen.aberdiereligiösePraxisschwächtsichauchinislamischenLändernab–unddieZahlderMuslime,diedefactoagnostikeroderatheistenwerdenoderzueineranderenReligionübertreten,nimmtzu.Soverwundertesnicht,dassder„ZentralratderMuslimeinDeutschland“,einerderbundesweitenZusammenschlüsse vonMuslimen in unseremLand,inseiner„islamischenCharta“vom20.Feb-ruar2002–nachdurchausheftigenDiskussioneninnerhalbdermuslimischenGemeinschaft undauch innermuslimischeKritik hervorrufend – inart.11festhält,dassjederMenschdasRechthat,seineReligionzuwechseln,eineandereReligionzuwählenodersichgarfürReligionslosigkeitzuentscheiden.andereVerbändehabensichdeminöffentlichenStellungnahmenangeschlossen.

Vielen–undgeradedenfrommen!–MuslimenistindenletztenJahrenimZusammenhangmitderintensivenDebatteumdieStellungdesislamsinDeutschlandklargeworden,dasssie,wennsiefürsichFreiheiteninderGlaubensausübungfor-dern,auchfürdieFreiheitenandererMenscheneintretenmüssen, selbstwenn dies bedeutet,Religionslosigkeit undGlaubenswechsel wegvom islamakzeptieren zumüssen.Das ist eindurchausschmerzlicherProzess,deraberauchals Chance begriffenwird, denwesentlichenGlaubenskerndesislamsneuzufassenundimLeben der gläubigenMuslime in denanfech-tungenund Schwierigkeiten der globalisiertenModernezuvertiefen.

DeRVeRFaSSeRiStiSLaMWiSSenSCHaFtLeRUnDGeSCHÄFtSFÜHReRDeSeRLanGeRZentRUMSFÜRiSLaMUnDReCHtineUROPaanDeRFRieDRiCH-aLexanDeR-UniVeRSitÄteRLanGen-nÜRnbeRG

aufklärungundislamGoethe,LessingundandereVordenker/VonReinhardbaumgarten

Närrisch, daß jeder in seinem Falleseine besondere Meinung preist!Wenn Islam Gott ergeben heißt,Im Islam leben und sterben wir alle.

So spricht Johann Wolfgang von Goethe in seinem Buch „Der West-Östliche Divan“ (Hamburger Ausgabe, Bd. 2, S. 56). Wir schrei ben das Jahr 1819. Der deutsche Dichterfürst ist damals 70 Jahre alt. Er kann auf eine einzigartige Karriere als politischer Beamter und Schriftsteller zurückblicken. Seine Gedichte, Dramen, erzählenden Wer-ke, seine naturkundlichen, autobiographi-schen und literaturtheo retischen Schriften haben ihn berühmt gemacht. Der Geheimrat von Goethe ist eine Instanz, ein lebendes Denkmal, eine kulturelle Autorität.

imislamlebenundsterbenwiralle.DassindstarkeWorte,abermandarf ihn ruhigbeimWort nehmen“, sagt KatharinaMommsen. eskommedabeiaberinbesonderemMaßeaufdasWortislamanundwelchebedeutungGoetheihmbeigemessenhabe,erläutertdie85-Jährige.bis1992warsieProfessorinfürGermanistikanderamerikanischenelite-UniversitätStanford.1956promoviertesieintübingenmitderDissertation„Goetheund1001nacht“.Seit60Jahrenbe-schäftigtsichKatharinaMommsenmitGoethesVerhältniszumislam.

Ob der Koran von Ewigkeit sei?Darnach frag‘ ich nicht! ...Dass er das Buch der Bücher seiGlaub‘ ich aus Moslemen-Pflicht.

„DerDichter“,sokokettiertGoethe1816,„lehntdenVerdachtnichtab,dasserselbsteinMusel-mannsei.“DreiJahrespätererscheint„DerWest-ÖstlicheDivan“. imSeptember1820 vermerktGoetheineinembriefanCarlFriedrichZelter:„Weiterkannichnichtssagen,alsdassichhiermichimislamzuhaltensuche.“WarGoetheMuslim?„nein“,sagtdieGoethe-kennerin KatharinaMommsen bestimmt. SiehatdieseFrageschonoftgehört.„GoethewarkeinMuslim.“Goethe habe den begriff islamalssichdemWillenGottesergebenverstanden.indiesemSinnehabeerauchseinVerhältniszuGottverstanden.GoethesVerhältniszumislamalsReligionseiambivalentgewesen.„aberwennSiedemnachgehen,wieeraufdiebibelreagierthat,dasistauchambivalent–undsoauffastjedeLehre.erwareinsehrbeweglicherGeistundließsichnichtindoktrinieren.“alsJugendlichernimmtGoetheinFrankfurtHeb-räischunterricht.DerevangelischeChristwilldieQuellenseinerReligionbesserverstehen.ÜberdasStudiumdesHebräischenkommtermitdemarabischeninberührung.Derjungschonbibel-festeGoetheentdecktüberdenSprachunterrichtdenKoranunddamiterwachtseininteresseanderKulturdesislams.GoetheisteinKindderaufklärung.esistdieepo-che,inderdasDenkenmitMittelnderVernunftvon althergebrachten und überholten Vorstel-lungenundideologienbefreitwerdensoll.DeraufgeklärteMenschsollnichtmehrschicksalhaftandieVorgabenderweltlichenundgeistlichenObrigkeitengekettetsein.ersollseinLebenundDenkenselbstbestimmen.Dieeuropäischeauf-klärungbrichtmitderüberkommenenchristlich-mittelalterlichenLebenshaltungundleiteteinengeistigenemanzipationsprozessein.DieSichtauf

dieeigeneKulturändertsich.DieSichtauffrem-deKulturenweitetsich.Muslime,sodererlangerislamwissenschaftlerHartmutbobzin,werdenmitanderenaugengesehen.„Dasinteressewendetsichabvondembestreben,denislamzuwider-legen.Mansiehtinihmeinealternative,diesehrstarkvonderVernunftgeprägtist.Lutherhattedasnochpolemischgewendet,erhattegesagt:imislamistjanureitelVernunft.“JahrhundertelangwerdenMuslimealsGegner,Konkurrentenundbedrohungwahrgenommen,von denen nichtsGutes zu erwarten ist. DieanhaltendeangstvordenMuslimenwecktdasinteresseanderenReligion.esgilt,denFeindzukennenundzustudieren.MitderReforma-tionsetzteineintensivierungdesStudiumsderantiislamischenLiteraturein,diedasMittelalterinreichemMaßehervorgebrachthat.1543wirdder400JahrezuvorvonRobertusKetenensisinsLateinischeübersetzteKoranaufVeranlassungLuthersbeibiblianderinbaselerstmalsgedruckt.ein halbes Jahrhundert später überträgt ihnSalomon Schweiger insDeutsche. ZahlreicheÜbersetzungeninandereeuropäischeSprachenfolgen–trotzkirchlicherVerbote.Dervielspra-chigeJohannWolfgangvonGoethehatdiezuseiner Zeit verfügbaren KoranübersetzungengelesenundkommtzufolgendemSchluss:„UndsowiederholtsichderKoranSurefürSure.[...]näherebestimmungendesGebotenenundVer-botenen,fabelhafteGeschichtenjüdischerundchristlicher Religion, amplifikationen aller art,grenzenlose tautologien undWiederholungenbildendenKörperdiesesheiligenbuches,das

uns, so oftwir auch darangehen, immer vonneuemanwidert,dannaberanzieht,inerstaunensetztundamendeVerehrungabnötigt.“(Goethe,„notenundabhandlungen“).GoetheistnichtdereinzigegroßeGeistseinerZeit, der sich um eine andere Sicht auf denislambemüht.auchJohannGottfriedHerder,FriedrichRückertundvorallemGottholdeph-raimLessingversuchen,dasüberJahrhundertegepflegtebildvomunkultivierten,irrgläubigenMuslimzukorrigieren.DahinterstecktnachMei-nungdestübingertheologenKarlJosefKuscheldieabsicht,denislamstrategischaufzuwerten.Der islam soll als eigenständigeReligionundnichtmehralsantichristlicheHäresieangesehenwerden.„Dasislambild,dasLessingzweifellosschon von seinem elternhausmitbekommenhat, ist bestimmt durch dieantiislamschriftenLuthers.“Dergesamtenmittelalterlichentheo-logiegiltderislamalsverdammungswürdigerirrglaube. Der Koranwird alsMachwerk desteufelsangesehen,Mohammedalstriebgesteu-erterLügenprophetgeschmäht,Muslimegelteneinerseits als Geißel und ZornesruteGotteswiderdieeigeneVerderbtheit,undandererseitsalsWerkzeugdesteufels,umdieChristenheitzuzerstören.ebensowieGoethebeziehtLessingseinWissenüberMuslime von einer sich langsam entwi-ckelndenOrientwissenschaft, die den islamunabhängig vom einfluss christlicher KlerikerundkulturellerÜberlegenheitsdünkelerforscht.UnterihnenistinLeipzigmitJohannJakobReiskeeingenialerarabist.inseinenSchriftenvertritt

Reiskediethese,dassdiekulturelleLeistungderislamischenWeltdenLeistungenderabendlän-dischenWeltinnichtsnachstehe.1734erscheintinLondoneineKoranübersetzungaufenglisch.VerfasseristderGelehrteGeorgeSale,der25JahreimOrientgelebthat.inseinereinführungschreibter:„DiegroßeLehredesKoransistdieeinheitGottes; diesewieder herzustellenwarderHauptzweckseiner(Mohammeds)Mission.alseineGrundwahrheitwurdedurch ihnwie-derbelebt,dassesniemalsmehralseinewahreReligiongegebenhatundniemalseineanderegebenwird.“.indenOhrenvielerchristlicherGeistlicherdesfrühen18.Jahrhundertssinddasungeheuer-licheWorte.Dasbuchdeserzfeindes–dievielgeschmähtetürkenbibel–wirdquasiaufeineStufemitderHeiligenSchriftderChristenge-stellt.FürdiebibelkundigenaufklärerGoetheundLessingistdasnichtverwunderlich.FürsiegibtesimKernnureineReligioninverschie-denen ausformungen. DiesenGedanken imchristlicheneuropaauszusprechen,bedeutetim18.Jahrhundert,sichdemVorwurfderKetzereiauszusetzen.DeraufklärerLessingmachtabertrotzheftigeranfeindungenchristlicherGeist-lichergenaudiese ideezumGrundgedankenseines berühmten bühnenstücksnathan derWeise. Die dreimonotheistischen ReligionenJudentum,Christentumund islamhabendengleichenUrsprungunddiegleichebotschaft:DenGlaubenaneinenGott.Siesindwiedrei

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aufklärungundislam

Anhänger des Islams beten zu Allah, dem Einen GottDerislamzähltweltweitmitetwa1,1Milliar-denGläubigenzurdrittgrößtenReligion(nachChristenundagnostikern).DieChristeninderarabischenWeltnennendeneinenGottauchallah,letztlichistesderselbeGott,denJuden,ChristenundMuslimepreisen.

Aiman A. Mazyek

islamischeStudiengängeinDeutschlandtübingen,Münster/OsnabrückalsVorreiter/VonannetteSchavan

Die Integration von Mitbürgerinnen und Mitbürgern mit Migrationshintergrund ist eine wichtige gesellschaftspolitische Aufga-be in Deutschland. Integration sichert den sozialen Zusammenhalt unserer Gesell-schaft und ist daher in unser aller Interesse. Zu einer gelingenden Integration trägt in besonderer Weise der gegenseitige Respekt vor unterschiedlichen religiösen Bekennt-nissen und Traditionen bei. Er ist geprägt von gegenseitigem Vertrauen und einem friedlichen Miteinander der verschiedenen Religionen und Kulturen.

DerWissenschaftsrat,derdiebundesregierunginangelegenheitenderWissenschaftberät,

hatinseinen„empfehlungenzurWeiterentwick-lung von theologien und religionsbezogenenWissenschaften“vomJanuar2010denaufbauvon islamischen Studien an staatlichenHoch-schulen in Deutschland vorgeschlagen. Dasbundesministerium für bildungund Forschung(bMbF)unterstütztdiesenVorschlag.DeutschlandistweltweitdasLandmitderlängstenundumfangreichstenerfahrungmitdertheologieals einerWissenschaft.Deshalb sinddie deut-schenUniversitäten besonders geeignet, auchmuslimischenReligionsgelehrtenundtheologendieMöglichkeitzurarbeitaneinertheologiezugeben,diedieSubstanzdesGlaubenswahrtundeine zeitgemäße interpretation gewährleistet.DieeinrichtungislamischerStudienandeutschenHochschulen schließt nicht nur eine wissen-schaftlicheLücke,indemsiedieChancezueinerhistorisch-kritischenMethodeimUmgangmitdemKoraneröffnet,sondernsieistauchteileinerzeit-gemäßenundüberzeugendenintegrationspolitik,dasiedurchdieausgebildetentheologenunteranderemaucheinensinnvollenbekenntnisorien-tiertenschulischenReligionsunterrichtermöglicht.inDeutschlandlebenschätzungsweiserundvierMillionenMuslime,dienachdemChristentumdiezweitgrößte Religionsgemeinschaft in unseremStaatbilden.VieledavonwünschenfürihreKin-derreligiösebildung,wiesiehierauchKindernimchristlichenReligionsunterrichttraditioneller-möglichtwird.DieKindersolltenvonLehrkräftenunterrichtetwerden,dieeineausbildunganeinerdeutschenHochschule nachdenhier üblichenhohen Standards und auf derGrundlage desGrundgesetzeserfahrenhaben.Religionsunter-

richtandenSchulenbieteteinewichtigekulturelleundtheologischeOrientierungshilfe,ervermitteltethikundMoralundfördertdieidentitätsfindungvonKindernund Jugendlichen. Religionsunter-richt unterstützt Kinder und Jugendlichedarin,den eigenenGlauben zu reflektieren und zuartikulieren.Und er fordert dazuauf, sichmitWertenauseinanderzusetzen–deneigenenwieauchdenWertenanderer.DashalteichineinerpluralenGesellschaft für eine entscheidendeVoraussetzung,umdennotwendigenDialogderKulturenzuführen.UmeineflächendeckendeeinführungislamischenReligionsunterrichtesinDeutschlandsicherstellenzukönnen,werdenschätzungsweiserund2.000Lehrkräfte benötigt. eine fundierteausbildungdieser Lehrkräfte ist ohne ein entsprechendesuniversitäresUmfeld, das auchanspruchsvolleislamischeStudienumfasst,nichtvorstellbar.Grundsätzlich liegt die entscheidung über dieeinrichtung vonZentren für islamischeStudienandeutschenHochschulenbeidenLändernundUniversitäten.DasbMbFsagtseineUnterstützungfür vielversprechende Standorte zu, verbindetdieseabergleichzeitigmithohenanforderungen.Diedreiwichtigstensind:· Die Länder undUniversitätenmüssen bereitsein,bereits inderaufbauphaseeinensubs-tantiellen finanziellen beitrag zu leisten unddieZentrennachauslaufenderflankierendenbMbF-FörderunginvollemUmfangzutragen.nursokönneninDeutschlandislamischeStudi-enentstehen,diedauerhaftleistungsfähigundinternationalkonkurrenzfähigsind.· Die Universitätenmüssen über ein wissen-schaftlichesUmfeldundFächerspektrumver-fügen,dasdieneuentstehendenislamischenStudien darin unterstützt, wissenschaftlicheQualitätsstandardseinzuhalten.alleindiein-tensiveKooperationmitanderenbenachbartenFächern,insbesonderedenchristlichentheolo-gien,derislamwissenschaftundderReligions-wissenschaftsowieeinerLehramtsausbildung,kanndiesgewährleisten.· SchließlichhabendieUniversitätenbeimauf-bauislamischerStudienverfassungsrechtlichebelange zu beachten: Zum einen genießenGlaubensgemeinschaften ein Selbstbestim-mungsrecht. Zumanderen haben Staat undGlaubensgemeinschaften in „gemeinsamenangelegenheiten“(resmixtae)wieuniversitärentheologienundschulischemReligionsunterrichtzusammenzuarbeiten.Die bedingungen dafür sind jedoch an denchristlichenKirchenausgerichtet.DieinterneOr-ganisationdesislamhingegenistmitkirchlichenStrukturennurschwervergleichbar.DerWissenschaftsrathatdeshalbvorgeschlagen,an denUniversitäten theologisch fachkundigebeiräte für islamische Studien einzurichten.Diesesollensicherstellen,dassdieandenUni-versitätengelehrtenislamischenStudienvondenStudierenden,denelternderSchulkinderunddermuslimischenGemeinschaftinsgesamtakzeptiert

werden.alldasmussselbstverständlichunterdenüblichenbedingungenderWissenschaftsfreiheitgeschehen.Dabei bieten die beiräte auch diegroßeChance,durchdieeinbeziehungauslän-discherexpertinnenundexperteninternationaleausstrahlungskraftfürdieislamischenStudieninDeutschlandzuerreichen.imHerbst 2010 ist es gelungen,mit tübingenundMünster/OsnabrückzweiStandortefürisla-mischeStudienauszuwählen,diezusammenmiteiner bMbF-FörderunghervorragendeVoraus-setzungenbieten,umdiehohenfachlichenundorganisatorischenHerausforderungen für dieetablierung islamischer Studien zubewältigen.Dort sollen zukünftig islamisch-theologischenachwuchswissenschaftlerinnen und nach-wuchswissenschaftler, inder Sozialarbeit tätigePersonen, Religionslehrerinnen und Religions-

lehrersowieReligionsgelehrteunteranderemfürMoscheenausgebildetwerden.imFrühjahr2011wirddieentscheidungüberdieFörderungweitererStandortefallen.Die überzeugenden erfahrungen, diewirmitdenchristlichentheologienandenHochschulengemacht haben, bieten ausmeiner Sicht einehervorragendeGrundlage für einen erfolgrei-chenaufbauislamischerStudienanstaatlichenHochschuleninunseremLand.

DieVeRFaSSeRiniStbUnDeSMiniSteRinFÜRbiLDUnGUnDFORSCHUnGSOWieMitGLieDDeSDeUtSCHenbUnDeStaGeS

Die Empfehlungen des Wissenschaftsrates finden sich unter: http://www.wissenschaftsrat.de/down-load/archiv/9678-10.pdf

Gefäß(aquamanile)inVogelformausbronze,iran8.Jh.(inv.-nr.i.5623)©MuseumfürislamischeKunst/StaatlicheMuseenzuberlin,Fotograf:JürgenLiepe

identisch gefertigte Ringe und unterscheidensich lediglich durch ihre unterschiedlichenträger.WerträgerdeserstenRingesundwerträgereinerKopieist,bleibtinLessingsRing-parabel offen, doch lässt er nathanweisenRatgeben:

Es strebe von euch um die Wette,Die Kraft des Steins in seinem Ring‘ an TagZu legen! komme dieser Kraft mit SanftmutMit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun,Mit innigster Ergebenheit in GottZu Hilf‘! Und wenn sich dann der Steine KräfteBei euern Kindes-Kindeskindern äußern:So lad‘ ich über tausend tausend JahreSie wiederum vor diesen Stuhl. Da wirdEin weisrer Mann auf diesem Stuhle sitzenAls ich; und sprechen.

SosprichtnathanderWeiseinLessingsRing-parabel über denWettstreit der Religionen.FolgendeWorte findensich imKoran inSure5,Vers44-48:„FürjedenvoneuchhabenwireineRichtungundeinenWegfestgelegt.UndwennGottgewollthätte,hätteereuchzueinereinzigenGemeinschaftgemacht.abererwilleuchprüfen,indem,wasereuchhatzukom-

Dichterfürst mit türkischen Genen DasGerücht,Goethe sei eigentlichMuslimgewesen,hältsichzähinarabischenLändern.aberfürdieseVermutunggibteskeinerleibe-weise.anderssiehtesbeiGoethesmöglichentürkischen Vorfahren aus. Der langjährigebrackenheimerDekanWerner-UlrichDeet-jenistüberzeugtdavon,herausgefundenzuhaben, dassGoethes Vorfahren auf einentürkischenHauptmannnamensSadokSelimzurückgehen,dereinPrinzderimmittelana-tolischenKonyaherrschendenSeldschuken-dynastiegewesenseinsoll.SadokSelimseigegenendedes13.JahrhundertsimHeiligenLand vonKreuzfahrerndesDeutschritteror-dens gefangen genommen und nach Süd-deutschlandgebrachtworden.DertürkischeOffizier,soderpromovierteKirchenhistorikerDeetjen,seinachbrackenheimindernähevonHeilbronngelangt,woersichtaufenließundeineFraunamensRebekkaDoblerehe-lichte.DasehepaarhattedenbrackenheimerQuellen zufolge sechs Kinder. Unter dennachkommenSadokSelimssollenzahlreichePersönlichkeitenvonRanggewesensein,unteranderemdie Familie von JohannWolfgangvonGoetheinFrankfurt.

Reinhard Baumgarten

men lassen.Soeilt zudengutenDingenumdieWette.ZuGottwerdetihrallesamtzurück-kehren.Dannwirdereuchkundtun,worüberihruneinswaret.“.LessingsRingparabelunddiezitiertenKoran-versehabendiegleichebotschaft:Religionensindverschieden,weilGottessowill;GläubigeallerReligionensollenumdasGutewetteifern;werglaubt,ergibtsichdemWillenGottes.Zwi-schenbeidentextenliegenknapp1150Jahre.Dazwischen liegen auchmuslimische erobe-rungen,christlicheKreuzzüge,spanischeRück-eroberung,türkenkriege,Kolonisation.bergevonLeichen,Strömevonblut.UnendlichesLeid,todundVerderbenimnamenderReligion,diejeweilsalsdieeinzigwahreangesehenwird.Der Judenathanweist in Lessings Stückmitseiner klugen Rede denMuslim Saladin aufdieGleichwertigkeitderdreimonotheistischenReligionen hin. Lessing wählt bewusst zweiVertreter der Jahrhunderte lang vonChristenverfemtenReligionenJudentumundislam,umseinenGleichheitsgedankenauszudrücken.Mitder Figur desmuslimischen Saladin würdigtLessing das,was von Luther noch abschätzigzurückgewiesenwurde:Glaube und Vernunftwidersprechen sichnicht – nicht im islamundnichtinanderenReligionen.Lessinghatgelebt,gedachtundgeschriebenimGeistedestrialogsderdreiabrahamitischenReligionen.GoethehatdenDialogzwischenMorgen-undabendlandgesucht–nichtausSchwärmerei,wieKatharina

Mommsennichtmüdewirdzubetonen,sondernausWissensdurst.Vieles vondem,wasDichterundDenker,Ge-lehrteundWissenschaftlerderaufklärungüberJudentumund islamgedacht undgeschriebenhaben, ist in dennachfolgendenepochen ver-gessen,umgedeutetund–vorallemzurKolonia-lisierungislamischerLänder–instrumentalisiertworden.GernewirdheutemitdemGefühlderÜberlegenheit auf die errungenschaften dereuropäischenaufklärungmit der bemerkungverwiesen,imislamlassedieseaufklärungnochaufsichwarten.Dabeibleibtvölligunberücksich-tigt,wieundwarumsichDenkerderaufklärungmitdemislambefassthaben.MancheVerseausGoethesWest-östlichemDivan erscheinenderGoethekennerinKatharinaMommsenheute imLichte des vermeintlichenZusammenpralls derKulturenwieprophetischeWeckrufe.

Sinnig zwischen beiden WeltenSich zu wiegenLass ich geltenDarum zwischen Ost und WestenSich bewegenSei’s zum Besten.

DeRVeRFaSSeR iSt FaCHReDaKteUR inDeRReDaKtiOnReLiGiOn,KiRCHeUnDGeSeLL-SCHaFtbeiMSÜDWeStRUnDFUnKUnDHatDaSaRD-PROJeKt „GeSiCHteRDeS iSLaM“KOnZiPieRt

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Vorbeter,SeelsorgerundtheologischeReferenzDienotwendigkeiteinerimamausbildunginDeutschland/VonRaufCeylan

einzelblattmitfeinerKalligraphieundMarginalbildernausderGedichtsammlungGolestan(Rosengarten)despersischenDichtersSa‘di,Herat/afghanistan(?),um1525-30(inv.-nr.1986.104v)©MuseumfürislamischeKunst/StaatlicheMuseenzuberlin,Fotograf:JürgenLiepe

Die Berufsgruppe Imam existiert offiziell nicht und wird daher auch nicht registriert. Wir wissen aber, dass in Deutschland ca. 2.500 islamische Einrichtungen existieren. Es kann davon ausgegangen werden, dass es sich bei mindestens 2.000 dieser Ein-richtungen um Moscheevereine handelt. Anhand der Zahl der Moscheevereine kann auf die Zahl der Imame geschlossen werden. Mit relativer Sicherheit können wir daher sagen, dass etwa 2.000 Imame in Deutschland tätig sind. Wenn man davon ausgeht, dass pro Moschee etwa 150-250 Muslime die Freitagsgebete besuchen – die Zahl kann steigen, wenn der Freitag auf einen Feiertag in Deutschland trifft oder in den Schulferien liegt – , dann erreichen die 2.000 Imame tausende Muslime allei-ne an einem Tag pro Woche. Wir können davon ausgehen, dass ca. 70 Prozent der Imame türkeistämmig sind. Ein Großteil der restlichen 30 Prozent verteilt sich auf Ex-Jugoslawien und Nordafrika. Über 90 Prozent der Imame in Deutschland stam-men nach wie vor aus dem Ausland. Nur die wenigsten sind in Deutschland sozialisiert.

imame sind die theologische Referenz, sindwichtigegesellschaftlichesowiepolitischeMul-tiplikatoren.MuslimischeKinderundJugendlicheerhaltenzudemihrereligiöseerziehungdurchdieimame inMoscheegemeinden. imameprägendie Religiosität und die religiöseOrientierungdieser jungenMenschen.Damit beeinflussensieauchdieZukunftdesislamsinDeutschland.DarüberhinausnehmendieimamezahlreicheandereaufgabenwiedieRolledesVorbeters,derseelsorgerischenbetreuungderGemeindeoderdieVermittlunginehe-undScheidungskonfliktenein.allerdingssindmitdemimportderoftnichtdeutschsprachigenimameausdemauslandvieleKonfliktevorprogrammiert:· langeOrientierungsphasenachdereinreiseinDeutschland,· teil-inklusionaufgrund temporärereraufent-haltsabsichten,· Kommunikationsproblememit den jüngerenGemeindemitgliedern,· keineaktiveteilnahmeaminterreligiösenDia-logaufgrundfehlenderSprachkompetenzen,· diePredigtenkorrelierennichtmitLebensrea-litätderMuslimeusw.Mankönntedie ListederDefiziteweiteraus-führen, allerdings reicht der Verweis darauf,dass der imam im Grunde in Deutschlandgesellschaftlichstummbleibt,diehiesigeGe-sellschaftnichtkenntundauch innerhalbderMoscheestrukturenmassive Kommunikations-problemeherrschen.Dadurchkannderimamseinebrückenfunktionnichtgänzlichausschöp-fen.Soübernimmtderimambeispielsweisedie(psychosoziale)beratungderGläubigen.eristfürdieHerstellungdersozialenaussöhnunginderGemeindesowiefürdieVermittlunginehe-undScheidungskonfliktenzuständig.Daandereaußerfamiliäre, professionelle institutionennicht aufgesuchtwerden, gehenmuslimischePaare inderGemeindeauf dieVermittlungs-bemühungendesimamsein.allerdingsistderimam alsMediator nicht pädagogisch quali-fiziert. er könnte in diesem Fall jedoch seinebrückenfunktionnutzen,umdieGemeindemit-gliederanprofessionelleStellenzuvermitteln.Das setzt voraus, dass er die professionellenHilfsstellenkennt,abervorallemVertrauenindiesenetzwerkehat.VordemHintergrunddergenanntenDefizitehatdasGoethe-institutankarabereits2002damitangefangen,imamendestürkischenamtesfürreligiöseangelegenheiten(Diyanet)indertürkeiSprachkurseanzubieten.ineinemmehrwöchigenSprachkurs lernendie imamedieGrundkennt-nisse der deutschen Sprache. Zusätzlich bietetdie Konrad-adenauer-Stiftung seit 2006 eineinwöchigesLandeskundeseminaran.DurchdieKooperationmitDiyanet versucht die Konrad-adenauer-Stiftungüberdiedirekteeinbindungder imame in bildungsmaßnahmen, relevanteMultiplikatoren in der integrationsarbeit sowieiminterreligiösenDialogzuerreichen.SiesinddeshalbbesonderswichtigeMultiplikatoren,weildieseautoritätensichkünftig imRahmen ihrerweiterenberuflichenVerwendunginDeutschlandundindertürkeiintensivmitdenthemenislam,integrationundDialogauseinandersetzenwer-den.DieVorbereitungsseminareindertürkeisindallerdingsnurkleineimpulse,damitdieimameinDeutschlanddiesesGrundwissenvertiefen,und

vorallemmit ihrerPraxis inVerbindungsetzenkönnen.inderRegelhabenaberdieimamekaumMöglichkeiteninDeutschlanddiesesWissenzuvertiefen,zumalsieindenerstenbeidenJahrenmit ihrereigenenOrientierungundintegrationsowiemitdemeinlebenindieneueGemeindebeschäftigtsind.VordiesemHintergrundhatdieUniversitätOsna-brück imWintersemester 2010/11mit einemzweisemestrigen universitärenWeiterbildungs-programmmitdemZielgestartet,dieimameunddasseelsorgerischebzw.religionspädagogischebetreuungspersonal in denmuslimischenGe-meindenindenSchwerpunktenLandeskundeundGemeindepädagogikzuschulen.DamitwerdennichtnuralleethnischenMoscheenerreicht,auchFrauensollenalsSeelsorgerinnenundPredige-rinneninvolviertwerden.GeradedieweiblichenKräfteindenMoscheenspielenzunehmendeinewichtigere Rolle in denMoscheevereinen undmöchtenauchaktivindenVorständentätigsein.Zwar bilden all dieseMaßnahmen wichtigeSchritte, allerdings bleiben sie nur die kleineLösungimeingliederungsprozessderMuslimeinDeutschland.DennGeistlichehabenauchindersäkularisiertenGesellschafteinenwichtigenStel-lenwert.egalobRabbiner,Pastoroderimam–siealleübeneinewichtigeFunktionaus.Sietrösten,gebenHoffnungundunterweisenzureligiösenthemen.Sienehmendamalswieheuteeinebrü-ckenfunktionein.imameinDeutschlandnehmendabeieinenochwichtigereRolleein,auchwegenderMigrationssituationderMuslime.Siewerdenbei religiösen, sozialenund kulturellen Fragenkonsultiert,weilsieVertrauenspersonensind,weilsiedenselbenreligiös-kulturellenHintergrundha-benwiediebetroffenenunddieMuslimedamitdieHoffnungverbinden,dasssiesiebesserverstehen.Diese Rolle hat auch derWissenschaftsrat er-kanntundimFrühjahrdiesesJahresdieerrich-tungvonzweibisdreiStandortenalsZentrenfürislamischeStudienempfohlen.einStandort istdieUniversitätOsnabrück,diebereits2011/12miteinemordentlichenStudiengangislamischetheologiebeginnenmöchte.Diesisteinhistori-scherSchritt,dajungeMuslimenachdemabiturdieMöglichkeiten habenwerden, islamischetheologie an einer deutschenHochschule zustudieren.DasinstitutfürislamischetheologieanderUniversitätOsnabrückverfolgtdabeidreizentraleZiele.erstensmüssenwirReligionsleh-rerinnen und Religionslehrer ausbilden, damitder islamische Religionsunterricht bundesweitflächendeckendeingeführtwerdenkann.Derzeitbesuchen etwa900.000muslimische Schüler-innen und Schüler das deutsche Schulwesenund nur ein bruchteil kommt in denGenuss,einen islamkunde-Unterrichtzubesuchen.Diewissenschaftlich-rationale Reflexion der eige-nenreligiösenSozialisationindenFamilienundMoscheegemeinden im Schulunterricht ist vonhöchsterbedeutungfürdenProzessderidenti-tätsfindungdieserjungenMenschen.DaszweiteZieldesinstitutsistdieausbildungvonimamen,damit indenhiesigenGemeinden inDeutsch-

land sozialisierteundgut qualifizierte religiöseautoritätenwirkenkönnen.ZugleichwirddamitdereinflussausländischerStaatenaufdiemusli-mischeCommunityinDeutschlandunterbunden.Schließlich–unddiesesZielwirdindenöffentli-chenDebattenvölligaußerachtgelassen–sollwissenschaftlichernachwuchsqualifiziertwerden,damit inDeutschland einewissenschaftlichesnetzwerkmuslimischertheologenentsteht,die

überdieneu-interpretationislamischerQuellendebattiertundneueimpulsesetzenkönnen.erstdann kann sich eine islamische theologie imeuropäischenKontextentfalten.

DeRVeRFaSSeRiStPROFeSSORFüRReLiGiOnSWiSSenSCHaFtMitDeMSCHWeR-PUnKtiSLaMiSCHeReLiGiOnSPäDaGOGiKanDeRUniVeRSitätOSnabRüCK

imamefürintegrationDreijährigeFortbildung:QualifizierungfürdasneueLebensumfeldDeutschland/VonangelaKayaMit der feierlichen Übergabe von Teilnah-mebestätigungen und Zertifikaten endeten Ende Oktober 2010 nach knapp einem Jahr die ersten beiden Fortbildungskurse für Imame und Religionsbeauftragte der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB) in Köln und Nürnberg.

als größter islamischer Dachverband inDeutschlandmitetwa800Gemeindenerzielt

dieDitibeinenichtzuunterschätzendeReichwei-te,auchwenndieeinzelnenGemeindenformalunabhängigvoneinanderagieren.DienäheundVerbundenheitzurtürkeisinddabeiunüberseh-barundergebensichausdertatsache,dassdieimame und Religionsbeauftragten direkt vomamtfürReligiöseangelegenheiteninankarafürihrendreibisfünfjährigeneinsatzinDeutschlandoderineinemanderenwesteuropäischenLandausgewähltwerden.trotzeinerzunehmendaufQualifikationundeigenmotivationausgerichte-tenauswahl stellt die hohe, rotationsbedingteFluktuation des geistlichen Personals für allebeteiligteneingroßesHindernis indererfolg-reichenUmsetzungdiesesProgrammsdar.Die

wachsendenaufgabenundHerausforderungensindfürdieimameinderKürzederZeiteinfachnichtadäquatzubewältigen.Der auftrag des bundesamts für Migrationund Flüchtlinge (baMF) zur erstellung einesKonzepts füreineerstebundesweite, zunächstauf drei Jahre angelegte Fortbildung für dieinDeutschlandsowichtigenDitib-imameundReligionsbeauftragten,derimFrühjahr2009andasGoethe-institut erging, kann nur als einelogische antwort auf diese unbefriedigendeSituationbewertetwerden.Für dasGoethe-institutwar diese anfrage inzweifacher Hinsicht von bedeutung, bot sichdochhierdieChance,Vorstellungenhinsichtlicheinesmöglichstumfassendenundzielgerichtetenintegrationsprozesseszuskizzieren.integrations-prozessemüssen–jenachZielgruppe–differen-ziertgeplantundbegleitetwerden.JegrößerdieprofessionelleHerausforderungist,dieimneuenLebensumfeldwartet, je schnellerdaseinlebendorterfolgenmuss,umsowichtigeristdieQualitätder integrationsbegleitendenMaßnahmen.DasgiltauchodervorallemfürdiemultiplikatorischwichtigenimameundReligionsbeauftragten.

DesWeiterenwaren gerade diese türkischenimameeinebereitsausderarbeitdesGoethe-institut ankaras vertraute Zielgruppe. Dennseit 2002werden dort jährlich 50 bis 60 vonihnen auf ihre entsendung nachDeutschlandvorbereitet.DabeierhaltensieersteeinblickeindieSpracheundKulturihresGastlandes.DiesevorbereitendenKurse in der türkeiwerden inengerabstimmungmit demamt für Religiöseangelegenheitensowiederdeutschenbotschaftdurchgeführtundergänztdurcheinlandeskund-lichesSeminar,fürdassichdieKonrad-adenau-er-Stiftungverantwortlichzeichnet.trotzdiesesvorintegrativenModulsindertürkeistelltesichsehrbaldheraus,dassesnichtaus-reicht,denwachsendenanforderungenandieimameinDeutschlandgerechtzuwerden:an-dersalsindertürkeisindsiehiernichtnurfürdiereligiösenbelangeihrerGemeindenzuständig,sonderninvielenFragendesalltäglichenLebensberatendtätig.DabeitreffensieaufGemeinden,derenLebensweltenvondenhiesigenRahmen-bedingungenundHerausforderungengeprägt

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sind.SiehabenesdarüberhinausinderletztenZeitaberauchmitMenschenzutun,diesichver-stärktimZentrumintegrationspolitscherDebattensehen,indenensiePositionenbeziehenmüssen.alsPrediger,Lehrer,beraterundSeelsorgersinddieimamegleichzeitigimmerauchzentraleran-sprechpartnerfürihrdeutschesUmfeld.SowaresnureinFragederZeit,bisvielerorts–vorallemaufkommunalerebene–angeregtwurde,Folgeprogrammeaufzulegen,dieandasindertürkeierlernteanknüpfensollten.DieanfragedesbundesamtesandasGoethe-institutmündete in eine intensive Phase derProgrammerstellung.Dennamtischsaßen–unddasistfürdasProjektvonbedeutung–alledreiPartner:nebendembundesamtunddemGoe-the-institut immerauchdietürkisch-islamischeUnion,alsodieDitib.Zielwares,Konsensüberdie inhaltedereinzelnenProgrammmodulezuerzielen.Dieser partnerschaftlicheansatz hatesdannauchermöglicht,denerstenProgramm-

imamefürintegration

abschnittineinemKlimadeseinverständnissesdurchzuführen.ObwohldasFortbildungsprogrammformalausdreiunterschiedlichenModulenbesteht,basiertesdochaufeinemintegralenansatz:DerSprach-kurs dient dem Spracherwerb, bereitet aberebensoaufdieSeminareundaußerunterrichtli-chenProjektevor.DieSeminarerekurrierenaufdenUnterricht,führenvoneherpraxisorientierenhin zu abstrakten inhalten.Die regelmäßigenevaluationstreffenhabendasZiel,daserreichtegemeinsamzureflektierenundknüpfenalsteildernetzwerkbildungandieProjektarbeitan.DermethodischeansatzbautaufPräsenzphasenauf,dievonindividuellerProjektarbeitundmultime-dialenLernformenflankiertwerden.imMittelpunktderFortbildungstehtimmerdasLebensumfeldunddiedamitverbundenenauf-gaben der imameund Religionsbeauftragten.DabeispielenFragennachdemFunktionierendes öffentlichen Lebens inDeutschland, denpolitischenSystemen,demaufbauvonbildungs-oderSozialversicherungssystemenebensoeineRolle wie die Stellung der unterschiedlichenReligionen und dieMöglichkeiten desDialogs

oder vonKooperationen.neben der jüngstenGeschichte, mit besonderem bezug zur Mi-grationsgeschichte hier ansässigerMuslime,konzentrierensichdieLerninhalteundProjektezunehmend auf die Herausforderungen, dieimRahmenderaktuellenintegrationsdebattenkontroversdiskutiertwerdenundfürdieesgilt,zukunftsfähigeLösungenzuformulieren.imamemitgutenDeutschkenntnissenkönnenfürdieMitgliederihrerGemeindeeinVorbildseinund türkischstämmigeMigrantinnen undMig-rantenanregen,offenerderdeutschenSpracheund Kultur zu begegnen.DieMittlerrolle, dievon den imamen auch aus ihrenGemeindenerwartetwerden,istohneSprach-undLandes-kundekenntnissekaumzubewältigen.neben einer deutlichen Verbesserung derSprachkenntnisse ist positiv zubewerten, dassesgelungenist,dasneueLebensumfelddurchdieeigeneWahrnehmungerlebbarwerdenzulassen.VorallemdieexkursionenundProjektehabenden imamenund Religionsbeauftragendeneindruckvermittelt,wasvonihnenerwartetwirdundwelchegroßeRollesiefürdieintegra-tionübernehmenkönnen.

DarüberhinaushabendieerstenbeidenKursegezeigt,dassdiesesFortbildungsprogrammeineMöglichkeitfüralleSeitenist,sicheinanderan-zunähernundVertrauenaufzubauen.DeutlichwurdedasbeidenvielenKontakten,diewäh-renddesKursesvermitteltwurdenundzumteilunmittelbarzuVereinbarungenführten.beeindruckend war die ungebrochen hoheMotivationund Leistungsbereitschaft der teil-nehmenden imameundReligionsbeauftragtenamtäglichen,vierstündigenSprachkursunddenlandeskundlichen Programmen – ungeachtetder parallel weiter bestehenden beruflichenbelastungen.nachdemerstenJahrbewertetdasGoethe-ins-titutdieFortbildung„integrationfürimame“alseinenwichtigenundnotwendigenbausteinbeidergegenwärtigenSuchenachPerspektivenfüreinekünftigeausbildungislamischertheologeninDeutschland.ausdiesemGrundkommtdemparalleleingesetzteninstrumentderevaluationeinebesonderebedeutungzu.

DieVeRFaSSeRiniStLeiteRinDeRReGiOnDeUtSCHLanDDeSGOetHe-inStitUtS

Signalhorn(Olifant)auselfenbeinmitfigürlichemDekor,UnteritalienoderSizilien11.-12.Jh.(inv.-nr.i.6580)©MuseumfürislamischeKunst/StaatlicheMuseenzuberlin,Foto:JürgenLiepe

SchwierigerWegWiekannislamischerReligionsunterrichtsinnvollgestaltetwerden?/VonHamidehMohagheghiSeit über zwanzig Jahren ist die Einfüh-rung des islamischen Religionsunterrichts in Deutschland ein kontrovers diskutiertes Thema. In Folge dessen werden in einigen Bundesländern jeweils unterschiedliche Modelle erprobt, bis ein konfessionsgebun-dener islamischer Religionsunterricht als Re-gelfach erteilt werden kann. Der Weg dahin erweist sich als schwierig, weil zum einen der deutsche Staat aufgrund seines Neutralitäts-gebots bei der Festlegung der Inhalte eines Religionsunterrichts auf Ansprechpartner aus der jeweiligen Glaubensgemeinschaft angewiesen ist und zum anderen die Aner-kennung des Islams als Religionsgemein-schaft sich als schwierig erweist.

DerislamischeReligionsunterrichtinDeutsch-landistmitHerausforderungenunderwar-

tungenverbunden.Zunennensind:dieVielfaltderMuslimeund ihrederzeitigenOrganisati-onsstrukturen,diedenstaatsrechtlichenanfor-derungenoffensichtlichnichtgenügen.WeiterdieWahrnehmungdesislamsinDeutschland.Unddarausfolgenddieerwartungandenis-lamischenReligionsunterricht,diediesesFachaufdas„Wundermittel“gegenextremismusundFanatismusundfüreinegelungeneinterpreta-tionreduziert.Gleichwohlsinddiegegenwärtigenpolitischen,gesellschaftlichenunduniversitärenbemühun-genalsSchrittezurVerwirklichungdereinfüh-rung des islamischen Religionsunterrichts zusehen,dieZeitundGedulderfordern.ReligionsunterrichtinderSchuleisteinangebot,dieSchülerinnenundSchülerzubefähigen,dievermitteltenGlaubenswerteunddasGlaubens-wissen zu reflektieren, Fragen zu stellen undeinGlaubensbewusstsein zu entwickeln, dasihnenermöglicht,inihremrealenLebensraumalsgläubigeundreligiöseMenschenlebenzukönnen.DerReligionsunterricht inderSchuleunterscheidetsichsoweitvonderGlaubensver-mittlungindenreligiösenRäumenwieKirchenundMoscheen,dievorallemdas„annehmen“und„Praktizieren“alsZielsetzt.Dieislamische„theologie“isteineerfahrungs-sowie „Konsenstheologie“, die auf die realenLebensumstände Rücksicht nimmt, sowohl inderGlaubenslehre als auch in der Praktizie-rungdesGlaubens.DiesführtezuvielfältigenGlaubensverständnissenundinterpretationen,die bereits seit den anfängen des islams zurentstehungderDenk-sowieRechtschulenge-führthaben.Zudemhabenregionalekulturellebesonderheiten die Religiosität geprägt. eineminuziöseDifferenzierungzwischenKulturundReligionistschwierigunddochnotwendig,wenndieMuslime aus unterschiedlichen KulturengemeinsameineReligionsgemeinschaftbildenwollenbzw.müssen.DieinDeutschlandlebendenMuslimesindmitneuenFragenkonfrontiertundsuchennachent-sprechenden theologischenDiskussionen undübereinstimmungen,daherbestehteingroßerbedarfantheologinnenundtheologen,diesichdiesemDiskurs stellenkönnen. inanbetrachtdernochfehlendenLehrstühlefürdieislamischetheologieundderneueingerichtetenLehrstühlefür islamische Religionspädagogik sowie dieunterschiedlichenerwartungenderMuslimean

theologieundReligionsunterricht,istderWegzurkonstruktivenadäquatentheologiefürdieMuslimeinDeutschlandlang.DiereligiöseerfahrungundauseinandersetzungmitdemGlaubensindwichtigeVoraussetzungenfürdaserwachsenwerdenderjungenMenschenund sind als erziehungsauftrag in den Schul-gesetzenderLänderverankert,dieingleichemMaßeauchfürdiemuslimischenKinderanzu-wendensind.DerislamischeReligionsunterrichtsollinnerhalbderRegelunterrichtstundenerteiltwerden und auch an fächerübergreifendenthemenundProjektenbeteiligtsein.DasZieldereinführungdes islamischenReli-gionsunterrichts kann nicht reduziert werdenaufdieabwendungvon fundamentalistischenUmtrieben und befähigung dermuslimischenKinder zur integration. an erster Stelle ist erderverfassungsrechtlicheanspruchdermusli-mischenbürgerinnenundbürger,diedauerhaftinDeutschlandlebenwerden.inderSchulekön-nendieSchülerinnenundSchülerkindergerechtdurch didaktischeMethoden dieGlaubensin-halteundGlaubensgrundlagenkennenlernensowiemitderPraxisvertrautwerden.DerislamischeReligionsunterrichtinderSchuleistkeineKonkurrenzundkeinersatzfürdenUn-terrichtinderMoschee.ersolleineZusammen-arbeitderSchulemitdenMoscheegemeindenentwickelnundeinemögliche interaktiveundpositivebefruchtungbewirken,indiesemSinne

kann der islamische Religionsunterricht aucheinebrückezwischenMoscheegemeindenundderSchulewerden.ebenfallssollderislamischeReligionsunterrichtzur akzeptanz derMuslime als bürger diesesLandes führen,diekonstruktivdieGesellschaftmitgestalten.WenndieKinderundJugendlicheninihrerOrientierungundWertevorstellungeinesolidebasiserhalten,werdensieeherzuMen-schenheranwachsen,dieandereninRespektundakzeptanzoffengegenüberstehen.DieFestigkeitindereigenentraditionunddiebereitschaftzurVerständigungmit anderen sind zweiMaximedesZusammenlebenszwischenReligionenundKulturen;diesekönneninderSchulegelernt,ge-übtunderfahrenwerden.DieSchulebieteteinerealeChance,dieVielfaltalsbereicherungundnichtalsbedrohungzuerleben.DerReligions-unterrichtinderSchulekannauchgelegentlichalsinterreligiöserUnterrichtmitderMitwirkungder jeweiligenLehrkräftegestaltetwerden,umdasKennenlernen,VerstehenundRespektiereneinzuprägen.DieKinderundJugendlichensindoffenundneugierigfürdas„Fremde“undsehendieVielfaltundUnterschiedenormalerweisenichtalsGefahr,sondernalsspannende„Unbekann-te“,dieentdecktwerdensoll.DiesesPotenzialzunutzenundzuentfalten,solltezumallgemeinenbildungsauftragderSchulegehören.DerReligionsunterrichthatmitderVermittlungderWertedieaufgabe,dieMenschenzuun-

terstützen,ihrerVerantwortungaufdieserWeltgerechtzuwerden.Diegegenseitigeanerken-nung und der Respekt vor unterschiedlichenLebensformenundReligionengehörenzudennotwendigenWertenindenheutigenpluralenGesellschaften.Wirddasbewusstseinderjun-genMenschenhierfürgefördert,kanneinLösenvom alleinigenWahrheitsanspruch und einHinwendenzudengemeinsamenWertenwieehrlichkeit, Verlässlichkeit,Mitmenschlichkeitund barmherzigkeit erreicht werden, die alleReligionenverbinden.DerkonfessionelleReligionsunterrichthatmei-neserachtensheutevielerleizuleisten:dieeige-nenWerte,Ritualeundtraditionenzubewahrenunddochbereitzusein,dieandereninihremandersseinanzuerkennenundzurespektieren,fürdiegemeinsamenGrundwerteeinzustehenunddochdieMöglichkeitoffenzulassen,sichindeneigenenRäumenzurückziehenzukönnen.eine eigene identität zu entwickeln, die festereligiöseGrundlagenhatundmitanderendieVerantwortung zu teilen, die derMensch fürdieSchöpfungträgt;alldiesgiltnatürlichauchfüreinenislamischenReligionsunterrichtinderSchule.

DieVeRFaSSeRiniStLeHRbeaUFtRaGteFüRiSLaMiSCHetHeOLOGieaMinStitUtFüReVanGeLiSCHetHeOLOGieDeRUni-VeRSitätPaDeRbORn

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allahunddieSchöpfungaufgabenundZieledesislamischenReligionsunterrichts/Voneva-Mariael-ShabassyDer islamische Religionsunterricht will aus der Sicht des Islams einen Beitrag zur grund- legenden Bildung leisten. Wie kein anderes Fach beschäftigt sich der Religionsunterricht mit existentiellen Fragen des Menschen nach dem Woher und Wohin, nach Sinn und Ziel menschlichen Seins. Im Zentrum eines islamischen Religionsunterrichts steht Allah in seiner Beziehung zum Menschen wie zur gesamten Schöpfung.

alleFragendesGlaubensundderGlaubens-praxis im engeren Sinne,wie auch solche

des täglichenLebens,sindaufdiesesZentrumhinausgerichtet.ZieldesUnterrichtsmusssein,den Schüler zu befähigen, aus demGlaubenherausundinVerantwortungseinemSchöpfergegenüberseineigenesunddasLebenderGe-meinschaft zugestalten,wobei ihmderKoranunddieSunnadesProphetenMuhammad(as)HilfeundRichtschnursind.Wissen und erkenntnis sind nach islamischemVerständniselementedesGlaubensunddemzu-folgeihreGrundlegungundFörderunganliegendesReligionsunterrichts.DarüberhinausmüssenaberWerteundVerhaltengrundgelegtwerden,die sich aus demGlauben herleiten und aufWissenundeinsichtbasieren.aufdieseWeisesollderReligionsunterrichtdenKindernHilfeundanregunggeben,wiesieihrLebengestaltenundbewältigenkönnen.nichtblindeübernahmeundimitationtraditio-nellerFormenderGlaubenspraxiskönnendasZielsein,sondernintellektuelleauseinanderset-zungmitGlaubensinhaltenundislamischertra-dition,dieeinemündigeGlaubensentscheidungsowie einsichtiges und eigenverantwortlichesHandelnermöglichen.nebendieserkognitivenGlaubensdimensionstehtimaffektivenbereichdieVermittlungvonGottvertrauenundoptimis-tischerWeltsichtimVordergrund.in einemmultikulturellen,mehrheitlich nicht-islamischenUmfeld ist die aktive, reflektierteauseinandersetzungmitderReligionnichtnurdiebasis fürein stabiles islamischesSelbstbe-wusstsein,sondernzugleichauchVoraussetzungfürVerständnisundRespektandersdenkendengegenüber: toleranz gegenüber den eigenenGlaubensbrüdernund -schwestern, die in sichschoneinbreitesSpektrumantraditionenundDenkweisen vertreten, wie auch gegenüberangehörigen anderer Religionen undWeltan-schauungen.eine islamischeGlaubenspraxis ohne und au-ßerhalbderGemeinschaftderMuslimeistnichtdenkbar.aufgabedesReligionsunterrichtsistesdaher, den Schülern dieWechselwirkung zwi-schenGemeinschaft und individuumbewusstzumachen,aufmerksamzumachenaufdiebe-deutungderzwischenmenschlichenbeziehungenfür die entwicklung des einzelnen, aber auchaufdasGelingenvonislamischerwieallgemeinmenschlicherGemeinschaftdurchdienutzungunterschiedlicher Fähigkeiten unddas Zusam-menwirkenihrerMitglieder.GrundlegendeaufgabeeinesislamischenReli-gionsunterrichtsistes,GlaubenundislamischeLebensweisemitderkonkretenLebenswirklich-keit und den Lebenserfahrungen der Schülerzusammenzuführen in einerWeise, dass sieeinanderwechselseitigerschließenunderklären.Dieses didaktische Prinzip der Korrelation sollverhindern,dassderislamalleinalstheoretischesRegelwerkvermitteltwird,ohnebezugundohnebedeutung für die konkrete Lebensgestaltungdes einzelnenwie auch derGemeinschaft imHierundJetzt.KonkreteGegenwartsbezüge, die im Licht derhistorisch-religiösenüberlieferung betrachtetund interpretiertwerden, erfahren ein umfas-senderes und tieferes Verständnis ebensowieGlaubensinhalte,dieausderLebenserfahrungdes einzelnen gesehen und auf sie bezogenwerden.aufdieseWeisegewinnendieSchülereinsichten, die über das empirisch Fass- undMessbarehinausDimensionendesGeistesunddesGlaubens erschließen und sie befähigenkönnen,ihrLebenselbstverantwortlichamislamauszurichten. Dabei sollen sie die VorgabendesKoransundder SunnaalsHilfeundnichtalsMaßregelung begreifen lernen. Sie sollenerkennen,dassdieteilweisesehrkonkreteaus-gestaltungderislamischenRegelnderSchwächedesMenschenentgegenkommtundRechtleitung,OrientierungundHaltgebenwill.Die Schüler sollen verstehen lernen, dass ins-besonderederKoranalsendgültigesWortGot-tes antworten auf die grundlegenden Fragen

menschlicher existenz gibt, gleichzeitig aberauffordert,beiderUmsetzungindiePraxisdenVerstandalsGottesGabezunutzen.VondererfahrungsweltderSchülerausgehendsollen Fragen nach SinnzusammenhängenangeregtundimRahmendesMöglichenbeant-wortetwerden.Die Schülerwerden angeregt,die sie umgebende Lebenswirklichkeit unterislamischenGesichtspunktenzubetrachtenundzuhinterfragen.in einermaterialistisch geprägtenWelt ist esbesondersangezeigt,aufdieexistenzundbe-deutungvonWertenhinzuweisen,ohnedieaufDauerjedermenschlicheZusammenhaltzerfällt.Wissenschaftliche erkenntnisse undnützlich-keitserwägungenkönneneinmoralisch-ethischesVerhalten durchaus unterstützen, gewinnenwirkliche Verbindlichkeit jedoch erst durchGottvertrauen,ehrfurchtunddieLiebezuGott.Hervorzuhebenistdiedirektebeziehungjedes

SençerVardarman:CityHorizon(2002)[links],istanbulbooks(2008)[rechts].Digitalprints.GezeigtinderausstellungtaSWiR.©SençerVardarman

einzelnenMenschenzuGottalsdaseigentlichVerbindendeallerMuslime.Hautfarbe,natio-nalitätundsozialerStatusspielensokeineRollemehr. Die Schüler sollen erkennen, dass diefreiwillige vertrauensvolle ergebung in allahsWillen – nichts anderes bedeutet ja „islam“ –demMenschenSchutzundHilfebietetbeiderGestaltungundbewältigungseinesLebens.DerMensch,dersich inallahsbarmherzigkeitundSchutzgeborgenweiß,wirdseinLebeneinerseitsernsthafter,andererseitsaberauchzuversichtli-cherundsinnerfülltergestaltenalseiner,demsichdieseGlaubensdimensionnichterschließt.Dietatsache,dassdiebotschaftvondereinheitGottesundderVerantwortlichkeitdesMenschenvon anbeginn bis heute bei allen Prophetender drei großenmonotheistischen Religionendiegleicheist,kannineinemchristlich-jüdischgeprägtenUmfeldgemeinschaftsbildendwirken.auchwennUnterschiedezwischendenReligio-

nennichtverwischtwerdensollten,istesdochebensowichtig,Gemeinsamkeiten sichtbar zumachenundzunutzen,umeinfriedlichesundkonstruktivesMiteinanderzufördern.besondersinandersgläubigerUmgebungbietetdieGemeinschaftStützeundHalt.tugendenwieFreundlichkeit,Großmut,Gerechtigkeitetc.kön-neninderunmittelbarenGemeinschafterfahrenundgeübtwerden.Diesogemachtenerfahrun-genförderndieerkenntnis,dassUngerechtigkeitund Unterdrückung beseitigt und bekämpftwerdenmüssen,wenn friedlichesMiteinandergelingensoll.ZielistletztlichdermündigeMus-lim, der aktiv und selbstverantwortlich an derGestaltungvonGesellschaftundStaatteilnimmt.

DieVeRFaSSeRinWaRGRUnDSCHULLeHReR-inUnDiStbeaUFtRaGteDeSZentRaLRatSDeRMUSLiMeFüRDeniSLaMiSCHenReLiGiOnSUnteRRiCHt

ReligionsunterrichtalskulturellebildungalevitischerReligionsunterrichtandenSchulen/VonismailKaplanAleviten in Deutschland haben mit der Einführung des alevitischen Religionsun-terrichts in einigen Bundesländern ein wichtiges gemeinsames Bildungsziel für ihre Kinder an den Schulen erreicht. Die überwiegende Mehrheit der alevitischen El-tern ist für die Vermittlung alevitischer Leh-re in den deutschen Schulen. Es gibt diese Möglichkeit erst seit 2002 in Berlin und seit 2006 in Mannheim und Schwenningen in Baden-Württemberg. Eltern beklagen sich, dass die fehlende religiöse Unterweisung in der Schule zu einer Entfremdung der Kinder von ihren Familien, vom alevitischen Glau-ben und von der alevitischen Kultur führt. Damit sich alevitische Kinder im Unterricht wiederfinden können, ist es notwendig, ihre eigenen Glaubensinhalte und Traditionen im Religionsunterricht zu vermitteln.

DerReligionsunterrichtandeutschenSchulenistverfassungsrechtlichgeregelt.art.7(2)

desGrundgesetzes lautet: „Die erziehungsbe-rechtigtenhabendasRecht,überdieteilnahmedes Kindes am Religionsunterricht zu bestim-men.“art.7(3)besagt:„DerReligionsunterrichtistindenöffentlichenSchulenmitausnahmederbekenntnisfreienSchulenordentlichesLehrfach.Unbeschadet des staatlichenaufsichtsrechteswirdderReligionsunterrichtinübereinstimmungmit den Grundsätzen der Religionsgemein-schaftenerteilt.KeinLehrerdarfgegenseinenWillen verpflichtetwerden, Religionsunterrichtzu erteilen.“ Unter den aleviten besteht einGlaubenskonsensunddiealevitischeGemeindeDeutschland(aabF)istalseineReligionsgemein-schaftimSinnedesart.7(3)tätig.Die bestrebungen, Kenntnisse des aleviten-tumsimUnterrichtzuvermitteln,gehenaufdie

Gründungsjahre der alevitischenGemeindeninDeutschlandzurück.imSeptember1991hatdas alevitische KulturzentrumHamburg eineUnterschriftenkampagnegestartet, um inhaltedesalevitentumsindenSchulenzuvermitteln.aufgrund dieser aktion und darauf folgenderVerhandlungen wurden 1998 verschiedenealevitischethemenimRahmendesinterreligiö-senReligionsunterrichtsindenLehrplanfürdieHamburgerGrundschulen aufgenommen. anHamburgerSchulenwerdenseit1998alevitischethemen,wie z.b. der alevitischeGottesdienstCem, dasMuharremfasten, derAşuretag, daseinverständnisRızalık, derHızır-İlyas-tag, dasSemah-RitualunddieRollederMusikbeialevitenim Rahmendes interreligiösen Religionsunter-richts fürallebehandelt (RahmenplanReligionfürdieGrundschule,amtfürSchule,13.11.2000).in berlin hat das Kulturzentrumanatolischeralevitenam17.05.2002dieZulassungfürdenalevitischenReligionsunterrichtandenGrund-schulenerhalten.DieanträgederalevitischenGemeindeDeutschlandvon2000und2001fürden alevitischen Religionsunterrichtwurden indenFlächenländernerstnachlangemVerfahrenentschieden.UmeinegemeinsameLösungfürden alevitischen Religionsunterricht zu finden,habendieKultusministeriender Ländernord-rhein-Westfalen, baden-Württemberg,HessenundbayernUrsulaSpuler-Stegemann (Univer-sitätMarburg)beauftragt.Siesollteineinemre-ligionswissenschaftlichenGutachtendieFragenklären,obdasalevitentumeineigenständigesbekenntnis oder ein zumMehrheitsislam be-kenntnisverwandterGlaubeistundobdieaabFeineeigeneReligionsgemeinschaftimSinnedesart.7(3)Grundgesetzist.Fürdieentscheidungder einführung des alevitischen Religionsun-terrichts war diesesGutachten einewichtige

Grundlage (GutachtenvonSpuler-Stegemann,Marburg2003).DasSchulministeriumnRWhatdazu ein zweites Rechtsgutachten von StefanMuckel(UniversitätKöln)erstellenlassen.DieseshatdasergebnisdeserstenGutachtensbestätigt,dassdiealevitischeGemeindeDeutschlandalseineReligionsgemeinschaftimSinnedesart.7(3)Grundgesetzanzusehenist (GutachtenvonMuckel,Köln2004).DiegenanntenbundesländerbildetenimOkto-ber2004eineländerübergreifendearbeitsgrup-pe,umdieeinführungdesalevitischenReligions-unterrichtszubegleiten.DasKultusministeriumbaden-Württemberg hatte schon beschlossen,den alevitischen Religionsunterricht ab Sep-tember2006imRahmeneinesModellversuchs„islamunterricht“ inMannheimundVillingen-Schwenningeneinzuführen.DieaabFunddiealevitischenOrtsgemeindenhabenimJahre2007dienötigeVorarbeitge-leistet und die Schulen demSchulministeriumgemeldet,dieübereinSchülerpotentialfürdenalevitischenUnterricht verfügen.DasMiniste-riumhatdievonderaabFgenanntenSchulenfestlegen lassen, ob Lerngruppen in den vonderaabFgenanntenSchulengebildetwerden.DanachwirdderalevitischeReligionsunterrichtimSchuljahr2010/2011insgesamtin18Schuleninnordrhein-Westfalenerteilt. inbayernwur-de auch im Schuljahr 2008/09der alevitischeReligionsunterricht eingeführt und er läuft imSchuljahr2010/11insgesamtinelfSchulen.DeralevitischenReligionsunterrichtwurdeinHessenimSchuljahr2009/2010eingeführtunderwirdimSchuljahr2010/11infünfSchulenerteilt.aabF hat in den bundesländern die LehreralevitischerHerkunft akquiriert, die die Lehr-

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Religionsunterrichtalskulturellebildungbefähigung in Deutschland erworben habenunddieimSchuldienstalsLehrertätigsind.DiealevitischenLehrkräfte,diedenalevitischenReli-gionsunterrichtindenGrundschulenimRahmenihrer Lehrertätigkeit erteilen,werden parallelzumUnterrichtfortgebildet.aufgabenundZieledesalevitischenReligions-unterrichts ergeben sichwesentlich aus demSelbstverständnisderalevitischenGlaubenslehre.DementsprechendsollderalevitischeReligionsun-terrichtdieSchülerinnenundSchülerindenZu-sammenhangzwischendemGlaubenundLebeneinführen.DanachhatderalevitischeReligionsun-terrichtindenöffentlichenSchulenverschiedeneaufgaben,z.b.„dieentwicklungeineralevitischenidentität in einer nicht-alevitischenUmwelt zu

unterstützen;dasalevitentuminseinerGeschichteundalltäglichenGegenwartinallenFacettenbe-wusstzumachen;eingutesZusammenlebenvonalevitinnenundalevitenundandersgläubigeninGleichberechtigung, FriedenundgegenseitigerachtungundZuwendung zu fördern.“(LehrplanalevitischerReligionsunterricht,S.8-9).indiesemSinnesollderUnterrichtdenKinderndieMöglichkeit bieten, Fragen, Problemeunderfahrungenzuartikulierenundzuerörternso-wieZugangzuneueneinsichtenundzuneuenGlaubenserfahrungenzugewinnen.Mitdener-fahrungenderalevitischenKinderimalltagkannundsollderReligionsunterrichtzumWegweiserwerden.DeralevitischeReligionsunterrichtsetztkonkreteakzente in denKlassen, die aus deralevitischen Lehre stammen.Hier sind einigebeispielezuerwähnen:· einvernehmen/rızalık:DieKlassefängtdieUn-terrichtsstundemiteinerVersöhnungsphaseunterdenKindernan.FallsStreitigkeitenunterKindern

vorhandensind,müssensieausgesprochenundausgeräumtwerden.Dann fängtdie Lehrkraftmit demeigentlichenUnterricht an. (analogzumCem-Gebet)(Kaplan,alevitentum,S.55f.)· Sitzordnung:Face to face/Gesicht zuGesicht:Kinder sollenwährend desUnterrichts eineRunde in der Klasse bilden (alevitische Sitz-ordnung).esgibt fürSchülerkeinebestimmteKleiderordnung.· Musik/saz:DasinstrumentSazspielteineher-vorragendeRolleimalevitischenGebet.DahersolldieLehrkraftalevitischeGesängeunddasinstrumentSazindenUnterrichtintegrieren.· Vielfalt bewahren:Die Lehrkraft soll imUn-terrichtmöglicheinterpretationennachalevi-tischemMotto„einZiel–vieleWege“geltenlassen, diedie Schüler nennen, umdieMei-nungs-undGlaubensfreiheitimUnterrichtzudemonstrieren(Kontroversitätsprinzip).nachdemGrundgesetz istdieSprachedesRe-ligionsunterrichtsDeutsch.Dasgiltauchfürden

alevitischenReligionsunterricht.ZumeinenmüssendieSchülerinnenundSchülerbislanghauptsäch-lichintürkischer,persischerundgegebenenfallskurdischer undarabischer Sprache formuliertebegriffe in deutscher Sprache umformulieren,zumanderenmüssensiealsangehörigederale-vitischenReligionsgemeinschaftinderLagesein,ihreReligionundihrenGlaubenimDiskursmitan-dersgläubigenindeutscherSprachezuvertreten.aabF hatmit der einführung des alevitischenReligionsunterrichtseineHerausforderungbzw.aufgabeübernommen,diekeinesfallseinfachist.es gibt weiterhin wichtige Schritte undHer-ausforderungen füraleviten, um sich als einegleichberechtigte Religionsgemeinschaft indieserGesellschaftmitRechtenundPflichtenzuentwickeln.

DeRVeRFaSSeRiStbiLDUnGSbeaUFtRaGteRDeRaLeVitiSCHenGeMeinDeDeUtSCH-LanD

transkulturellealternativezuden„islamischenStudien“DietransnationaleDimensionderislamwissenschaft/VonPatrickFrankeIm Oktober 2010 hat das Bundesministe-rium für Bildung und Forschung (BMBF) bekannt gegeben, dass es in Tübingen und Münster/Osnabrück den Aufbau von universitären Zentren für Islamische Stu-dien fördern wird. Für dieses Frühjahr ist die Auswahl weiterer Universitätsstand-orte geplant, an denen mit Bundesmitteln derartige Einrichtungen aufgebaut werden sollen. Grundlage der Entscheidung des BMBF sind die im Januar 2010 veröffent-lichten Empfehlungen des Wissenschafts-rats (WR), in denen Inhalt und Funktion des neuen Faches „Islamische Studien“ beschrieben sind.

Mit der islamwissenschaft existiert schonheute ein fest etabliertes Fach an den

deutschen Universitäten, das auf den islambezogen ist. Für außenstehende ist es nichtganz leicht, den Unterschied zwischen derislamwissenschaftunddemneuenFachzuer-kennen,zumalfürletztereseinnamegewähltwurde,derdemjenigendesaltenFacheszumVerwechseln ähnlich sieht. aufgrund dieserVerwechslungsgefahrsindauchvieleFachver-treterderislamwissenschaftundangrenzenderakademischerDisziplinenmitderbenennungdesneuenFachessehrunzufrieden.Siehabenin einer Stellungnahme, die von der Deut-schenMorgenländischen Gesellschaft endeOktober veröffentlicht wurde, die geplanteeinrichtungvon„islamischenStudien“zwaralswichtigenSchrittzurintegrationderMuslimeinDeutschlandbegrüßt,gleichzeitigabergegendiebenennungdesneuenFachesprotestiert,weilsiefürchten,dassdadurchdieGrenzenzurislamwissenschaftverwischtwerden.Wodurch unterscheiden sich dann aber diebeidenFächer?Undwarumistdenislamwis-senschaftlerndieabgrenzunggegenüberdemneuen Fach „islamische Studien“ sowichtig?einUnterschiedbestehtdarin,dassdasneueFach als bekenntnisorientierte, theologischeDisziplinnachdemModellderbereitsandenUniversitäten verankerten christlichen theo-logien konzipiert ist:Wie soll das neue FachprimärderausbildungvonReligionslehrernundgeistlichemPersonaldienen?Undwiesollhiereiner Religionsgemeinschaft das Recht gege-benwerden,anderinhaltlichenausgestaltungeinesFachesmitzuwirkenundbeiberufungs-verfahrendiereligiöseeignungderbewerberzuüberprüfen?Daesbisjetztnochkeinean-erkannte islamischeReligionsgemeinschaft inDeutschlandgibt,derdieseaufgabeübertragenwerdenkann, sollenandenjenigenUniversi-täten,dieeinZentrumfür islamischeStudieneinrichtenwollen, beiräte ins Leben gerufenwerden, in denen die deutschen islamischenMoscheeverbändedurchVertreterrepräsentiertsind.Das ist freilicheinganzanderesModellalsbeiderislamwissenschaft,denndieseDis-ziplin,diedenislamohnebekenntnisbindungausnicht-theologischerPerspektiveuntersuchtunddabeikeinenormativenZieleverfolgt,istwiealleanderenGeisteswissenschaftenbeiderausgestaltungihrerStudiengängeundderbe-setzungspolitiknichtandieVorgabenreligiöserGruppengebunden,sondernentscheidetalleinnachwissenschaftlichenKriterien.Denprotes-tierendenWissenschaftlernisteswichtig,dassdieseFreiheitzukünftignichtverlorengeht,unddeshalb fordern sie eine klarereabgrenzungderbeidenFächer.

einweitererUnterschiedist,dassdieislamwis-senschaft,andersalsdie„islamischenStudien“,nichtnurdenislamselbst,sonderndieislamischeWeltalsGanzeszumGegenstandhat.Wer inDeutschlanddasFachstudiert,erfährtnichtnuretwasüberdieislamischeReligionunddasisla-mischeRecht,sondernauchüberdievielfältigenVerflechtungenvonPolitik,GesellschaftundKul-turinGeschichteundGegenwartderislamischenLänder.andenmeistenStandortenmüssendieStudierenden der islamwissenschaft arabischundeinezweiteislam-Spracheerlernen.VieleStudierendedesFachesverbringenzudemwäh-rendihresStudiumsmehrereMonateineinemislamischenLand,umdorteinenSprachkurszubesuchen.Währendihresaufenthalteserlebensie die von der islamischen Kultur geprägtesoziale undmaterielleWeltmit all ihren spe-zifischennormenundWerten,Denk-undGe-fühlsmusternimalltag.aufdieseWeiseerhaltendie Studierenden gewissermaßen eine zweiteSozialisation.DieinterkulturelleKompetenz,diesieinnerhalbihresStudiumserwerben,qualifi-ziert sie für eine ganzeanzahl verschiedenerberuflichertätigkeitsfelderwieetwadieentwick-lungszusammenarbeit,bildungswerke,Medien,internationaleOrganisationen, interkulturelleMediationsaufgaben,nachrichtendienstesowieberatungsbedarfvonPolitikundGesellschaft.Die einführung eines zweiten auf den islambezogenen Faches an den deutschenUniver-sitätenstelltdieislamwissenschaftvordienot-wendigkeit,ihrProfilzuschärfen.Gegenwärtigist das Fach inDeutschlandnoch zu sehr aufdennahenOsten fokussiert. Diesmuss sichändern,wennsichdieislamwissenschaftnichtihrennamen streitigmachen lassenwill.Derislamische theologe bülent Ucar hat bereitsdieForderungerhoben,dieislamwissenschaftmöge sich doch bitte jetzt in „Orientwissen-schaft“ umbenennen. Soweit sich die islam-wissenschafttatsächlichaneinigenStandortenzueineraufdenVorderenOrientbezogenenRegionalwissenschaft entwickelt hat, die nurnocheinengeringenbezugzumislamaufweist,ist diese Forderungberechtigt.Grundsätzlichwird aber die islamwissenschaft nicht durchihren bezug zumOrient zusammengehalten,sonderndurchihrenbezugzumislamundzurislamischenWelt. Die Schaffung des neuenFacheszwingtzueinerbesinnungaufdiesenthematischen Kern des Faches. Vor diesemHintergrundmussaberdie islamwissenschaftden anderenGroßregionen der islamischenWelt noch erheblich mehr aufmerksamkeitschenken.insbesonderedieentwicklungenindenStaatenindonesien,Pakistan,bangladeschundindien,dieweltweitdiegrößteanzahlvonMuslimenaufweisen,müssenzukünftiginderislamwissenschafteinewesentlichgrößereRollespielen.Darüber hinausmuss aber auch derislam inderwestlichenMigrationnochmehrindenblickgenommenwerden.ihregrößteStärkebeweistdieislamwissenschaftdort,wosiedietransnationaleDimensionvonideen,institutionen,Phänomenen,bewegungenundnetzwerkeninderislamischenWeltaufzei-genkann.HierliegtauchihreigentlicherMehr-wertgegenüberdenanderen,aufbestimmteSprachräume ausgerichteten, orientwissen-schaftlichenDisziplinenwiearabistik,iranistikundturkologie.Wiewirkmächtigdietransnatio-nalenVernetzungenislamischenDenkenssind,lässtsichnichtnuranhistorischenPhänomenenstudieren,sondernauchandenislamistischen

bewegungenderGegenwart.nurwerdieüber-regionalen Zusammenhänge des islamischenDenkens im blick hat, kann die bedeutungvon entwicklungen auf lokaler ebene richtiginterpretieren, abschätzenundeinordnen. Jemehresderislamwissenschaftgelingt,solchetransnationalenZusammenhängeaufzudecken

undzuerschließen,destomehrkannsie ihreUnverzichtbarkeitalsKulturwissenschaftauchnachaußenhindeutlichmachen.

DeRVeRFaSSeRiStinHabeRDeSLeHRStUHLSFüRiSLaMWiSSenSCHaFtanDeRUniVeRSitätbaMbeRG

Sadeghtirafkan:Whispersoftheeast(2006-2007).Fotografie.GezeigtinderausstellungtaSWiR.©Sadeghtirafkan

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WegezudenKulturendesislamsDasMünchnerZentrumfürislamstudien/VonHansGeorgMajer

Der Islam prägt als Weltreligion das religiö-se, persönliche, soziale, kulturelle und oft auch das staatliche Leben von Muslimen in fast allen Regionen der Erde. Tief in seiner Frühzeit verwurzelt und in jeder Epoche aktuell und fromm auf sie bezogen, gehört der Islam zu den bestimmenden Kräften unserer Gegenwart. Aus anfänglich religiö-ser, politischer und kultureller Geschlossen-heit heraus entwickelte sich der Islam in einer Vielfalt von Richtungen, Staaten und Tendenzen. Dieser Reichtum an Erschei-nungsformen ist das Ergebnis lebendiger theologischer Ausdifferenzierung, mysti-scher Inspiration, politischer Bestrebungen und der Aufnahme und Verarbeitung eines vielfältigen, häufig regional spezifischen, kulturellen Erbes.

Derursprünglichreinreligiösebegriff islam(Hingabe anGott) wird heute durch ein

übermaßanVorurteilen undHalbwahrheiten,durchPolemikundapologetik,durchinformatio-nenundDesinformationenaufgeblähtzudemverschwommenen,dunklen,allesumgreifenden

begriff„derislam“,dervielerortsalsbeunruhi-gend, häufig sogar als bedrohlich empfundenwird.Dieses„derislam“reduzierteindifferen-zierteserscheinungsbildaufeinegriffigeKurz-formelundverdecktkomplizierteWirklichkeitenderVergangenheitundGegenwart,dieoftwenigmitdemislamzutunhabenundinganzande-re erklärungszusammenhänge gehören.Manstelle sicheinmal vor,welchgeistlos schlimmeVereinfachungeswäre,alldas,was jemals imbereichchristlicherLänder,StaatenundKulturengeschehen ist, geschieht undnoch geschehenwird, ebenso pauschal und schlichtmit dembegriff„Christentum“zufassen.tatsächlichaberistdurchdiebedrängendeak-tualität„derislam“deneuropäernimmernähergerückt.ReiseninislamischeLänderhabenzu-demaugengeöffnetundneugiergeweckt.DasProblembewusstseinistgewachsen,verlässlicheinformation tutnot. eine sachlicheauseinan-dersetzungmitderWeltderMuslime,dasKen-nenlernenihrerVielfalt,ihresreichenkulturellenerbes, ihrer Problemeund ihrer vielstimmigeneigenartisteineaufgabe,diesichiminteresseder unentrinnbar gemeinsamenZukunft stellt,

gerade auch denUniversitäten und anderenwissenschaftlicheneinrichtungen.VordiesemHintergrundentstanddieideeeines„MünchnerZentrumsfürislamstudien“ausderFeststellungheraus,dassmansichinMünchenzwar an vielen Stellen wissenschaftlichmitthemendesislamsundderislamischenLänderbeschäftigt,diesaberrechtpunktuellgeschiehtundöffentlichkaumsichtbarundwirksamwird.DasMünchnerZentrumfürislamstudien(MZiS)bündeltnundieinMünchenvorhandeneuniver-sitäreundaußeruniversitäre„islam“-KompetenzderislamwissenschaftlichenKernfächermitderKompetenz solcherDisziplinen, die innerhalbihreseigeneninteressenfeldeseinzelneaspektederWelt des islams erforschen. islamwissen-schaftlerwie arabisten, iranisten, turkologenundKunsthistorikerausderLudwig-Maximilians-Universität, der bayerischen Staatsbibliothekund demVölkerkundemuseum stehen für denKernbereich. Dazu kommenWissenschaftlerverschiedener institutionenaus den bereichenderPhilosophieundderReligionswissenschaft,

FaszinationMorgenlandGeschichtederDeutschenMorgenländischenGesellschaft/VonClausSchönigDie Deutsche Morgenländische Gesellschaft (DMG) wurde 1845 als Gemeinschaft von Wissenschaftlern gegründet, deren Inter-essen den Sprachen und Kulturen der mit „Orient“ bzw. „Morgenland“ nur vage umrissenen Gebiete galten.

bis heute schließt der Horizont der DMGdeswegenasien,Ozeanien undafrika ein

und greift in einzelnen Fällen auch auf dieRandgebiete europas über.Dabeiwar das in-teressederGründernichtnuraufdieKulturendieserRäumeinderunmittelbarenGegenwartbegrenzt. Vielmehr reichte esweit zurück, bisindievorchristlicheZeitundmachteauchdannnichthalt,wenn schriftlicheQuellen zu fehlenbegannen. besonders sprachwissenschaftlicharbeitendeMitgliederderDMGversuchtenmitHilfevonRekonstruktionenauchindieZeitvorden erstenQuellen der jeweils untersuchtenKulturen (soferndieseübereineSchriftlichkeitverfügten) vorzustoßen.anderebefassten sichmit dem,was daswichtigste KulturwerkzeugdesMenschen,dieSprachehervorbringt:textenämlich.texte, seiensieschriftlich fixiertodermündlichüberliefert,gebeninformationenüberallemöglichenaspekte desmenschlichen Le-bens,überdas,wasmangemeinhinalltagnennt,überWirtschaften,Denken und Fühlen, überreligiöse und ethischeVorstellungen etc. aberauchdiemateriellenaspektederKulturendiesesumfänglichen Raumes „Morgenland“ fandenschon frühbeachtung, sodassauchartefaktederunterschiedlichstenartaufihreWeise„zumSprechen“gebrachtwurden.SofindensichbisheuteinderDMGWissenschaftler,Studierendeoder einfach interessierte zusammen, die derFaszination erliegen, die davon ausgeht, dieKulturendieses riesigenRaumesaufgrundderMethodenderphilologisch-historischenWissen-schaftenodervergleichbarsoliderVerfahrenzuerschließen,umihreUrsprüngezuerforschen,ihreentwicklungendurchdieZeithindurch zuverstehen, ihre Verbindung zu anderen (auchder „abendländischen“) Kulturen aufzudeckenundihreGegenwartzuverstehen.VonanfanganstanddieSchaffungeineswissen-schaftlichenPublikationsorgansimVordergrunddesinteressesderDMG-Gründer.entsprechendebestrebungenführtendannschließlichzurbe-gründungder „Zeitschrift derDeutschenMor-genländischenGesellschaft“(ZDMG).Schonvonanfanganspiegeltensichdievielfältigeninteres-senderMitgliederderDMGandemsogenannten„Morgenland“indenzahlreichenundinihrerZeit(undmanchmalnochbisheute)grundlegendenaufsätzen undMiszellen sowie den auch undgeradewissenschaftsgeschichtlichinteressantenRezensionen.WiedieDMGinnerhalbkürzesterZeit zu einem internationalen Fachverbandwurde,soentwickeltesichihreZeitschriftschonsehr bald zu einem international anerkanntenFachorgandersogenannten„orientalistischen“Disziplinen,dasseinehoheReputationbisheutebewahrenkonnte.Schonseitihrenerstennum-mernbrauchtsichdieZDMGnichtdiegeradeindenvergangenenJahrenoftmalsgegenmanchein derDMG vertretenenDisziplinen (oft auchim Sinne eines solchenVorwürfen gegenüberzu offenen Zeitgeistes) erhobenen Vorwürfengefallenzulassen.einerderPunkte,aufdiedieDMGmitRechtstolzseinkann,istdiegutere-daktionellearbeitunddieaufmerksamkeit,mitdereingereichteaufsätzeetc.geprüftwerden,bevorsieindieZeitschriftaufgenommenwerden.SowerdenauchundgeradeälterenummernderZDMGimmerwiedernachgefragt.Das fürdieZDMGGesagtegiltauchfürdiedurchdieDMGherausgegebeneReihe„abhandlungenfürdieKundedesMorgenlandes“,inderbisheutewis-senschaftlicheMonographienundSammelbändepubliziertwerden.Die internationale Vernetzung der DMG, dieschondieimneunzehntenJahrhundertzahlrei-chenpolitischoderauchrassistischbegründetenGegensätzezwischeneinzelnennationenundbevölkerungsgruppen überbrückt hatte, über-standdenerstenWeltkriegohneSchaden.DiezumindestinteileneuropasfriedlicheZwischen-kriegszeitführtezueinerweiterenblütederDMGund ihrerwissenschaftlichenaktivitäten.DieslässtsichauchandenbeiträgeninderZDMGablesen,diedierasanteentwicklung,dievieleder sogenannten orientalistischenDisziplinennahmen, deutlich widerspiegeln. Die dannfolgendendunklen Jahredesnationalsozialis-musunddesZweitenWeltkriegsüberstanddieDMGmit ihren hohenwissenschaftlichen und

kollegialen Standards unbeschadet.DieDMGhattesichimmeralseinreinwissenschaftlicherFachverbandverstanden,dersichebendiesenStandards aufs höchste verpflichtet fühlte undseineHauptaufgabeinderFörderungderinihmorganisiertenDisziplinensah.einzelneMitgliederderDMGmögenzuverschiedenenZeitenundbisheutepolitischesengagementzeigen,womöglichmitdirektembezugzuihremForschungsobjekt,manchemögenauchindemeinenoderanderenKontextSchuldaufsichgeladenhaben.DieGe-sellschaftalsGanzesverfolgtesatzungsgemäßniemals politische Ziele. aus diesemGrundbeziehtdieDMGauchbewusstkeinepolitischePosition,mit einer ausnahme, auf die nochzurückzukommen seinwird. bis heute istmanhierderMeinung,dasssienuraufdieseWeiseihrer Rolle alswissenschaftlicher Fachverbandgerechtwerdenkann,einemFachverband,derein Forum fürwissenschaftlicheKontakte undaustauschschafft,ohnevorherigeweltanschau-liche,religiöseodersonstigeRechtfertigungzuverlangen. aufgrund dieserHaltung kam dieDMGalsGesellschaft auch durch dunkle undfinstereZeiten,ohneetwadurchbeteiligunganderSchaffungkolonialistischerideologienoderentsprechenderHilfestellung für irgendwelcheUnternehmungen dieser art, durchUnterstüt-zungoderteilnahmeannationalsozialistischenaktivitätenoderbeiträgezurkrausenideologieder„bewegung“Schadenzunehmen.SolltediesvonirgendeinerSeitebezweifeltwerden,istdieDMGgernebereit,diesbezüglicheUntersuchun-gendurchÖffnungihrerarchivezuunterstützenunderkenntnissepositiverwienegativerartinihrenFachorganenzupublizieren.So konnte dieDMGnach ihrerneugründungnachdemendedesZweitenWeltkriegsam4.Juni1948schonbaldwiederandasGeweseneanknüpfen.HierzugehörteaußerderHeraus-gabederZeitschriftundderwissenschaftlichenReihe auch die abhaltung des sogenannten„DeutschenOrientalistentags“.DieseOrientalis-tentagedienenalsnationaleswieinternationalesForum für Kontakte und austausch zwischenVertreternderorientalistischenDisziplinen,diessowohlinnerhalbdereinzeldisziplinenalsauchzwischen diesen.Weiterhin betreibt dieDMGauch eine Fachbibliothek, die inHalle/Saaleaufgestelltist.SiehatKatalogisierungsprojekteebensoinitiiertwiedieGründungweitererwis-senschaftlicher Fachorgane angestoßen oderermutigt. eineGründung derDMG sind auchdieOrient-institute in beirut und istanbul, dieaber nach 2000 in dieObhut der „StiftungDeutsche geisteswissenschaftliche institute imausland“ übergingen.auch an derGründungdesnepal-institutsinKathmanduwardieDMGwesentlich beteiligt. Zu denweiterenaktivitä-tenderDMG,vondenenvielehierungenanntbleiben müssen, gehören aktuell auch dieauslobung eines Forschungspreises fürnach-wuchswissenschaftler und die Vergabe vonReisestipendien(vorzugsweiseanDoktoranden).Wie erwähnt, übt die DMGweitestgehende

Gebetsnische(Mihrab)ausderbeyhekim-Moschee,Fayencenmosaik,Konya/anatolien13.Jh.(inv.-nr.i.7193)©MuseumfürislamischeKunst/StaatlicheMuseenzuberlin,Fotograf:Georgniedermeiser

politischeabstinenz.DochalsFachverbandderorientalistischenDisziplinen behält es sich dieDMG vor, kultur- undwissenschaftspolitischeentscheidungenzukommentieren.Diesgiltspe-zielldann,wennsolcheentscheidungeneinflussaufdasFunktionierenundWeiterbestehenderin derDMG vertretenen Fächer in ForschungundLehrehaben.Hierbeimachtsiejedochdieerfahrung,dassdiepolitischVerantwortlichen,sichzunehmendvondenvonihrenentscheidun-genbetroffenenentfernenundindolentgegenWiderspruchwerden.

SomitistdieDMGeinstwieheutederführendedeutscheFachverbandmitvieleninternationalenMitgliedernaus„abendland“und„Morgenland“,der–beiallerOffenheitgegenüberneuenundsolidenMethodenundForschungstendenzen–ephemerenmodischentendenzenentgegentrittund bewährte wissenschaftlicheGrundsätzebewahrt.

DeRVeRFaSSeRiStVORSitZenDeRDeRDeUtSCHenMORGenLänDSiSCHenGeSeLLSCHaFt

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politik und kultur•Jan.–Feb.2011•Seite18Islam · Kultur · Politik••••••••

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WegezudenKulturendesislams

der Komparatistik undMusikwissenschaft, derjüdischen Geschichte und Kultur, derWirt-schaftswissenschaften und der Geographie,derethnologieundPolitologie,derafrikanistikund der Sinologie. Die allianz-Gastprofessurfürislamstudienermöglichteinendirektenundkontinuierlichen, internationalen Dialog underweitertauchfachlichdasSpektrumvonMZiS.DieserKreisbeschloss,sichzunächstmiteinereigenenVorlesungsreihe an die Studierenden,besondersaberandieÖffentlichkeitzuwenden.entsprechendwirdauchgeworben.SeitvierzehnSemesternveranstaltetMZiSinzwi-scheninengerKooperationmitdem„institutfürdennahenundMittlerenOsten“,demFach„Ge-schichtederislamischenKunst“,der„GesellschaftderFreundeislamischerKunstundKultur“undder „Deutsch-türkischenGesellschaft bayern“VorlesungsreihenunterdemObertitel„Mosaik-

steine–Kulturendesislam“.SchondieVielzahlderbeteiligtenDisziplinen,diedurchauswärtigeGästeoftnocherweitertwird,spiegeltdasbe-strebenwider,durchwissenschaftlichverlässliche„Mosaiksteine“dieVielfaltundDifferenziertheitderKulturendesislamsaufzuzeigenundgegenjene einfalt zu setzen, die in der islamischenWelt lediglich einen blockhaft geschlossenen,aggressivenMonolithenzusehenundzufürch-ten gewohnt oder gewillt ist. interdisziplinäreZusammenarbeit ist dabei heute unerlässlich,willmandieislamischeWeltaufderbasisvonForschungbeleuchtenunddabeibeispielsweiseaucheinstperiphereRäumeinafrika,Süd-undZentralasiennichtaussparen.in den ersten beiden Semestern stellten sichdiebeteiligtenDisziplinendurchfachspezifischeVorträgederMitgliedervor.Seitherwechseltdiethematik jedes Semester. VorträgeMünchnerReferentenbildendiebasis,jenachRahmenthe-ma kommen auswärtige und ausländischeReferentendazu.KulturineinemweitenSinne,vonderalltagskulturbiszuMeisterwerkender

Kunst, steht imMittelpunkt. Rahmenthemen,die interdisziplinärmiteinzelthemenausgefülltwurden,warenbisher: „StädtischeKulturen inder islamischenWelt“,„bildundbilderverbot“,„Das buch“, „Familiäres Leben zwischen Reli-gion,Rechtundalltag“, „Frauen inKulturundGesellschaft der islamischenWelt“, „RitualeundZeremonien“,„abweichler,außenseiterundHäretiker“,sowie„Muslimeinasien,afrikaundeuropa“.Gelegentlichlegteeinbesondereran-lassdasRahmenthemanahe.aufdieFrankfurterbuchmesse2008mitdemGastlandtürkeiant-wortetedieVorlesungsreihe„ModernetürkischeLiteratur“.DieVorlesungsreihe„istanbul–impe-rialerHerrschersitz,Megapolis,Kulturhauptstadt2010“ nahmdas besondere ereignis direkt indentitelauf.Die aktuelle Vortragsreihe „Meisterwerke neubetrachtet“ reiht sichein indasMünchner Ju-biläum „ChangingViews. 100 Jahre nach derausstellungMeisterwerkemuhammedanischerKunstinMünchen“.DiesesJubiläumderfürdieKenntnisderislamischenKunstepochalenaus-

stellungwirddurchdreiaktuelleausstellungenund zahlreicheDiskussionen, Filme, Konzerte,Lesungen,Vorträgeundtanzvorstellungenge-feiert.indiesemFallebeschäftigensichsämtlicheMZiS-Vorträgemit Kunst, von der erörterungtheoretischer kunsthistorischer Fragen, überausstellungskonzeptebishinzurbetrachtungundneuinterpretationbesondererKunstwerke.DochschonindenfrüherenVortragsreihenstelltenjenachthematikdieKünsteoftsogarmehrerederMosaiksteine. architektur, Städtebau,Malerei,besonders dieMiniaturmalerei, bildhauerei,Literatur,Musik oder Film gehören in zahlrei-cheZusammenhänge,wirkenalsunmittelbareZeugnisseeinerKultur,veranschaulichen,kön-nenfaszinierenundstoßenbeimPublikumaufgroßesinteresse,sodasssiealseingangspfortenzahlreiche Pfade zu den Kulturen des islamsöffnenkönnen.

DeRVeRFaSSeRiStSPReCHeRDeSMünCHneRZentRUMSFüRiSLaM-StUDien

DatenflussimMittelalterDieLeistungenislamischerGelehrterneubewerten/VonReinhardbaumgarten

Eines der größten Probleme zum Verständnis der Vergangenheit und deren Bedeutung für die Gegenwart ist eine vorgefertigte Be-trachtung der Geschichte. Geschichte wird nur selten als ein permanenter Fluss, als anhaltender Prozess verstanden, sondern als eine Art Schauspiel in vielen Akten mit zugewiesenen Rollen. Am Anfang unserer europäischen Geschichte haben wir grie-chische Gelehrte und römische Helden. Nach Jahrhunderten kultureller Blüte, mi-litärischer Dominanz und zivilisatorischer Vorherrschaft verabschieden sich die antiken Heroen im fünften Jahrhundert in die Be-deutungslosigkeit. Ab dem 14. Jahrhundert werden sie in der europäischen Renaissance plötzlich „wiederentdeckt“. Dazwischen liegt das dunkle Mittelalter, mit eisenbewehrten Rittern, schlechter Hygiene, vorsintflutlicher Bildung und tiefem Schweigen.

Doch„dasMittelalterwarnichtdunkel“,gibtemilioGonzálezFerrínzubedenken.imMit-

telalterseigelehrtundgeforschtworden,betontderarabistundislamwissenschaftlervonderUni-versitätSevilla:„Manhat’snurnichtverstanden,weilarabischgesprochenwurde.“DasmoderneGeschichtsverständnis ist starkeurozentrisch.esignoriert oderminimiert diewissenschaftlichenLeistungenislamischerGelehrterundweistihnenbestenfallsdieRollevonübersetzernundbotenzu,dieeuropadasverschütteteantikeerbeüber-brachthaben.emilioGonzálezFerrínforderteinUmdenken.„WirmüssendieGeburtdereuropä-ischenKultur imMittelmeerraum,inandalusienverorten“,stelltder45-Jährigefest.als die arabischen Stämme im7. Jahrhundertnachägypten, Syrienund Persien vordrangen,schreibt der Freiburger islamwissenschaftlerUlrichRebstock, legten siedenGrundstein „füreinesdergewaltigstenSchöpfungswerke inderMenschheitsgeschichte.“.nichtweil sieeinVolkvonGenies, sondernweil sie intelligent genugwarena)zuerkennen,welchunschätzbarerWertihnenmit demWissen der antikenGriechen,RömerundPerserzugefallenwarundb)diesesWissenweiterentwickelnkonnten.FürdenarabistenFerrínstehtaußerFrage,dassal-andalus ein entscheidendesbindeglied zwi-schenderüberlegenenKultur desOrients undeuropawar, unddass dieserOrientwiederumeinbindegliedzumrömischenimperiumgewesenist.„Dahermüssenwirdenislamdefinierenalsnachfolgenden teil des römischen imperiums,nichtalsdessenZerstörung.“Dasmaurischean-dalusienhabeeuropainmehrfacherHinsichtalsbrückegedient:alsVerbindungzumgriechisch-römischen erbe sowie alsDatenautobahn, zurVermittlungderkulturellen,wissenschaftlichenundtechnologischenerrungenschaftenmuslimischerGelehrter.einesderinteressantestenbeispielederWeitergabewissenschaftlicher erkenntnissewardieexperimentelleWissenschaft.LaboratorienimislamischenOstenwieauchinal-andalusliefertender europäischen Renaissance eine Reihe vonbahnbrechendenerkenntnissenüberdasUniver-sum,dasSonnensystem,überPhysikundChemie,überMedizinundMathematik.alstoledoimJahr1085andieChristen fiel,wurden vollkommenfunktionstüchtige LaboratorienundKunsthand-werksstättenvorgefunden,indenenastrolabien,Fernrohreundteleskopehergestelltwurden,umdieSterneunderdbewegungenzumessen.

es sei unmöglich, über Leonardo da Vinci zusprechen,sagtemilioGonzálezFerrín,ohneanbestimmteaspektederPhysikzuerinnern,dieinCórdobauntersuchtwurden,undannamenwieabdasFirnas,derersteMensch,dermitkünstlichenFlügeln flogund schließlich indenGärten vonCórdobazerschellte.„DiearbeitenvonKeppler,tycho brahe oder Kopernikus sind undenkbarohneGelehrtewieazarquiel(arab.az-Zarqali)undal-battānīundderenabhandlungenüberastrono-mie,diespäterinsLateinischeübersetztwerden.DasistdasVerbindungsgliedzurastronomiedereuropäischenRenaissance.“inseinembuch„islamicScienceandtheMakingoftheeuropeanRenaissance“weistderchristlich-palästinensische islamwissenschaftlerGeorgeSalibaaufbeeindruckendeWeisenach,wiesehrKopernikus vondemmuslimischenastronomenibnal-Shāţirprofitierthat.al-ShāţirsSichtaufdasSonnensystemistidentischmitderSichtvonKo-pernikus–nureben200Jahreälter.alsVascodaGamazwischen1497und1499afrikaumsegelteundbisnachindiengelangte,hatteerarabischeSeekarten,einenarabischenLotsennamensibnMāğidsowiearabischeKompasseundastrolabienanbord.VielWissengelangteaufdemRückenvoneselnvonal-andalusnacheuropa.inmehrerenWellenvertriebendieneuenchristlichenHerrenJudenausdenerobertenehemalsmaurischenGebieten.UntermuslimischerHerrschafthattendiepolyglot-tenJudenalsübersetzerundGelehrtegearbeitet.ihrebücherundihrWissennahmensiebeiderVertreibungdurchdieneuenkatholischenHerrenmit.aufdieseWeisegelangteu.a.dasbuch„HayyibnYaqzān“vondemmuslimischenPhilosophenibntufailnacheuropa–essolltezurVorlagevon„RobinsonCrusoe“und„GulliversReisen“werden.nochgrößer sindVerdiensteund einfluss isla-mischerärzteaufdieentwicklungderMedizin.Die neuartigen auf Heilung ausgerichtetenMethodenvonar-Rāzī(lat.Rhazes)undibnSīnā(avicenna)erreichteneuropaüberdieDatenauto-bahnal-andalus. Fürden islamwissenschaftlerRebstockgehörtderbeitragderarabischenzureuropäischenMedizinzudenbedeutendstenWis-senstransfersderKulturgeschichte.eswarmehralsnureinnachbetendessen,wasHippokratesundGaleninantikerZeitvorgemachthatten.eswarderbeginnempirischerWissenschaft,dieaufZahlen,Daten,Faktenundgenauerbeobachtungberuhte.1279erschienabubakrar-Razisbuch„al-Hawi“unter dem lateinischen titel „LiberContinens“erstmals in europa. es sollte ein StandardwerkderMedizinfürdiekommendeJahrhundertewer-den.ar-RaziwareinMannderWissenschaft,dersichnacheigenembekundenwenigumReligionscherte.erwarkeineausnahme.Dasbesondereanal-andalus zur Zeit der größten kulturellenblüte seidieUnabhängigkeitdesDenkensundderMenschenvonreligiösenbindungengewe-sen,soderarabistFerrín.DieMenschen inal-andaluslebten,arbeiteten,lerntenundbetetenwiemaurischeandalusierundnichtwieMuslime,JudenoderChristen, betont Ferrín. „ichdenkedie tatsache,dassdieKultur sich ineineRich-tungentwickeltunddieReligiondabeizuHausebleibt, istentscheidendfürdenFortschritteinerZivilisation.“al-andalus könnedaher nicht alsLandderdreiReligionenoderderdreiKulturendefiniertwerden, sondernalsGeschichteeinereinzigenKulturmit dreimöglichenReligionen.

Dieislamischeblütezeitinal-andalusendetnichtabrupt,sondernschleichendundunmerklich.DereinsetzendekulturelleabstiegstehtimZusammen-hangmitdemerstarkeneinessichausbreitendenreligiösenDogmatismus.Der6.VersvonSure109„...eucheuerGlaubeundmirmeinGlaube”wirdmehrundmehrersetztdurchdiebetonungeinesorthodoxenDogmas,wonachder einzigwahreGlaubevorGottnurderislamseinkönne(Sure3,18).Dietheologieerstarrt.DieDeutungdesKo-ransundder Sunna genanntenüberlieferungdesProphetenwerden zunehmend institutionalisiertundvonkonservativenGeistlichenmonopolisiert.Das sogenannte „tordes ijthād” schließt sich –dasheißt,dasVerfahrenzurRechtsfindungdurch

Arabisch im deutschen Alltag

DassWörterwieislam,Koran,imamoderMo-schee aus demarabischen stammen, dürftenurwenigeMenschen überraschen. anderssiehtesaberbeiWörternaus,andiewirunsvonKindesbeinenangewöhnthaben.WarumruftderZauberersimsalabim?WiesoträgtderSheriffeineMützeundversteckt inseinerJa-ckenebenMarzipan,KaffeeundKandiszuckerauchIngwer, Zimt, Muskat, Safran, Kümmel undEstragon?WaswäreeinbardeohneLauteundeinPunkohneGitarre?UnserealltagsspracheistvollerWörterarabi-schenUrsprungs.Wirwissenesnurmeistensnicht.SchülerlernenChemieundAlgebraundsindoftwegendervielenZiffern schachmatt.Politiker reden über Tarif, Scheck, Chiffre, Admiral unddenZenith derMacht.Gehörenzur deutschen Leitkultur nicht auchAlkohol,

Zwetschgenschnaps,Talk,WatteundBenzin – dasallesklingtwieeingroßkalibriges,chiffrier-tesAmalgam.UnddasistSpracheletztlichauch:einAmalgam(griech.μαλακός,arab:’amalal-ğama’)–eineunumkehrbareVermischung.alldiesearabischenWörtersindnichtzufälligin unsrer Sprache heimisch geworden. SiestammenauseinerZeit,alsarabischdieLin-gua francaderWissenschaftunddesHandelswar. Siewurde in europäische alltagsspra-chenintegriertsowieheuteenglischeWörterübernommenwerden. Simsalabim leitet sichübrigensvonderBasmallahgenannteneröff-nungsformelab,mitder–außereiner–alleSu-rendesKoransbeginnen.Bismillah ir-Rahman ir-Rahimab:imnamenGottes,desGnädigen,desbarmherzigen.

Reinhard Baumgarten

unabhängigeneuinterpretationderbeidenQuel-lenKoranundSunnawirdnichtmehrwieinderFrühzeitdesislamsangewandt.JahrhundertelangwähnensichdieHerrscherdesmuslimischenMor-genlandesdemchristlichenabendlandüberlegen.erstdurchdenSchockderKolonialisierungdurcheuropäischeMächtewirddenMuslimenbewusst,dass sich die Verhältnisse zu ihrenUngunstenverschobenhaben.

DeRVeRFaSSeR iSt FaCHReDaKteUR inDeRReDaKtiOnReLiGiOn,KiRCHeUnDGeSeLL-SCHaFtbeiMSüDWeStRUnDFUnKUnDHatDaSaRD-PROJeKt „GeSiCHteRDeS iSLaM“KOnZiPieRt

RäucherkugelausMessing,gold-undsilbertauschiert,Syrien2.Hälfte13.Jh.(inv.-nr.i.5624)©MuseumfürislamischeKunst/StaatlicheMuseenzuberlin,Fotograf:Georgniedermeiser

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KulturellebegegnungimkolonialenKontextDernaheOstenundeuropa/VonVerenaKlemm

taSWiR–islamischebildweltenundModerne,ausstellungsraum„PicassoundQur’an“©Courtesyha atelierWerkstattfürPhilosophieundKunste.V.,Foto:DiMackey

Die Begegnung mit Europa im 19. Jahrhun-dert bewirkte in der arabisch-islamischen Welt einen vielfältigen kulturellen Aufbruch, der bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts währte. Er wird im Arabischen Nahda genannt, was „Aufstehen“ und „Aufschwung“ bedeutet. Aus arabischer Sicht waren die Europäer Kriegsherren und Kolonisatoren, gleichzeitig aber brachten sie reizvolle und inspirierende Ideen, Kon-zepte und Künste, deren Übernahme einen Abschied von Althergebrachtem und den Weg in eine bessere, neuartige Zukunft verhießen. Das ambivalente Wesen dieser zugleich hegemonialen als auch faszinie-renden europäischen Moderne forderte muslimisch und säkular gesinnte Araber gleichermaßen zu Reflexionen über ihre Chancen und Gefahren und der eigenen geistigen und sozialen Zugehörigkeit he-raus. Aussagekräftig offenbaren sich die Eigenarten und Verwerfungen der Nahda in ihren Texten: Sie sind geprägt durch offene oder verborgene Diskurse über das Selbst und das Andere, und sie verhandeln Tradition und Innovation, Authentizität und Fremdheit, Differenz und Allianz, Grenzzie-hungen und Grenzüberschreitungen.

natürlichgabesschonlangevordernahdaZeugen,dieunsausersterHandvonihren

begegnungenmitdeneuropäernberichten.Zuden ältesten Dokumenten gehörenwohl dieMemoirendesRittersUsāmaibnMunqidh,derim12.JahrhunderteinenteilseinesLebensamsyrischenFlussOrontesund später inDamas-kus eine gespannte, aber selbstverständlichenachbarschaftmit denKreuzfahrern lebt unddarüber in seinemWerk viele anekdoten zuberichtenweiß.Die fränkischen eindringlingesindfürihnbeeindruckendgeschickteKrieger.inZeitenderWaffenruheaußerhalbderSchlachtenundScharmützelgibtesgenugGelegenheit,ge-nüsslichihremerkwürdigenSitten,ihreräußerstprimitiveHeilkundeund ihrwenigmännlichesehrgefühlinderbeziehungzuihrenFrauenzustudieren. im stetenWechsel zwischenmilitä-rischemSiegundniederlage ist der Stolz desarabischen Ritters souveränundgefestigt, derneugierigeblickaufdenanderengehtniemalsmiteinemfragendenblickaufdaseigeneeinher.MuslimischeundchristlicheMilieussindpolitischund ökonomischmiteinander verbunden, diegeistigenWeltenunddieZugehörigkeitenhin-gegenklarundfraglosgetrennt.MarokkanischeDiplomatenberichtenausdem17.und18.Jahrhundertvonihrenbegegnungenmit„denChristen“inderenfernenLändern.imReiseberichtdesWezirsMuhammadal-Ghassānī nach Spanien (1690-1691) ist das islamischeandalusien als kulturelle erinnerung präsent.Verlust undDemütigung durch die christlicheReconquistaliegenjedochlangezurück,wohin-gegendieWiederauferstehungdesislamischenal-andalusnureinefrommeUtopieist–„mögeGott es denMuslimenwiedergeben“. in derrealen Zeit bewegt sich al-Ghassānīmit demSelbstverständniseinesengagiertenGesandtenundaufgeschlossenenethnographendurchdieLande.nebendemeinsatzfürseinepolitischeMission,dieVerhandlungenzurÜbergabemus-limischerGefangener ebensowie geraubterislamischer Handschriften gilt, interessierenihnMenschen und bräuche, Stadt und Land,architektur und agrikultur, Flora und Fauna.DerChristals„derFeind“isteineFloskel,ohneScheuundaufaugenhöhebegegneterseinemGegenüber. auch Muhammad ibn Uthmānal-Miknasī reiste 1779mit demoffenen blickeinesChronistenalsDiplomat imauftragdesmarokkanischenKönigs nach Spanien. in sei-nemberichtüberdieMissionwirdmitbitterkeitund Feindschaft der christlichen Reconquistagedacht, historische ZeugnissemuslimischerPräsenz werden betrauert. Unabhängig vonstetenVerfluchungender „Ungläubigen“wer-denihrekulturellenundtechnischenLeistungenbewundert.WenigeJahrespäterwirdernachMalta,neapelundSiziliengesandt,worübererebenfallseinenberichtverfasst. in ihmfindendie literarischen inszenierungen historischerVerletzungenundDemütigungenkeinenRaummehr.FürGhassānīundMiknasībegegnensichchristliche europäer undmuslimische arabertrotzderUnterschiedeihrerReligionenalsge-meinsamebewohnerdesMittelmeerraumsundGestalter seinerGeschichte undGegenwart.DieWahrnehmungihrer interaktionen,allian-

zenundKonflikteisthistorisch,nichtdoktrinärgeprägt(vgl.nabilMatar,alif26,2006).1798 schließlichwar der Historiker abd ar-Rahmān al-Jabartī augenzeuge der invasionnapoleonsinÄgyptenunddamitderhistorischenZeitenwende,diedenbeginndernahdaeinläu-tete. in seinerChronikbeschwört er einleitenddas eintreffen der französischen truppenmitreligiöserRhetorik inReimprosaalsendgültigenZusammenbruchdergewachsenenOrdnungundalsapokalyptischesGemetzelundGottesstrafe.DieseGesteistsymbolträchtigundsolltesichim19.Jahrhundertoftwiederholen:Der islamtrittalsdistinktiveGrößedeutlichhervor.DieReligionwirdabnunfürvieleMuslimezumOrtderRück-versicherungundzurMatrixderinterpretationdesFremdenundneuenauseuropa.SieistnichtmehrnurselbstverständlicheSphäreeinerspirituellenundkulturellenZugehörigkeit,sondernnimmtei-nengeradezuapotrophäischenCharakterzurab-wehrdesFremdenan.aufderanderenSeitestehtal-JabartīalsnüchternerChronistdenFranzosenwenigerfeindlichgegenüberalsdemzukünftigenKhedievenMuhammad alī, seiner SoldateskaunddenplünderndenbeduinenausdemKairoerUmland.erbewunderteinigeder französischenerrungenschaften,wiediemilitärischeDisziplin,dasKriegsrechtunddieinsLandgebrachtenbib-liothekenundLaboratorieninnapoleonsinstituted`Égypte. indemsichhieröffnendenSpektrumzwischender Flucht ins eigeneundderaufge-schlossenenbetrachtungdesanderenzeigensichbereitsdieanzeichenderoftwidersprüchlichengeistigenimpulse,welchedieDiskursedernahdacharakterisierensollten.MitRifa aal-tahtawisberichtmitdemSchmuck-titel„DieLäuterungdesGoldesineinerzusam-menfassendenDarstellung vonParis“, derüberdieerfahrungenunderlebnissewährendseinesfünfjährigenStudienaufenthaltes inParis (1826-31)handelt,isteinersterMeilensteindernahdaerreicht.DergeistlicheLeitervonMuhammad alīsersterStudienmissionwandertaufgeschlossenundwissbegierig durchs Fremdland, studiert Fran-zösischunddieKunstderÜbersetzung,besuchtCafésundtheater.DerSchlüsseltextisteinhyb-ridesDokumentderfrühenarabischenModerne,gestaltetalsMischformderGenresReisebericht,bildungsliteraturundDichtung,welchediepäda-gogischeessenzdesGesagtenenthält.GleichzeitigistdasWerkvonlehrreichenundbeispielhaften,insarabischeübersetztentextendurchdrungen,wiedenbriefendesOrientalistenDeSacyundParagraphenderfranzösischenVerfassung.trotzderÖffnungdesDenkens,dassichindereigentümlichen Form und intertextualität desMemoirenwerkswiderspiegelt, hat spätestens

in ihmdiearbeit der kulturellenaushandlungund auseinanderdividierung begonnen:Wersindwir,wersindsie,waskönnenwirvonihnenlernenundnehmenundwasnicht?eigenesundFremdessindnichtmehr–wieinunserenzuvorgenannten texten – selbstverständlich durchgeographische Regionen und religiös-sozialeZugehörigkeiten definiert, sondernwerden inderReflexionalsKategorienbegriffen,diedif-ferent, polarisiert und essentialistisch sind. indiesemgeistigenSpannungsfeldlassensichfüral-tahtawidurchausauchGemeinsamkeitenzwi-schenFranzosenundÄgypternentdecken–wiedenherausragendenStatusbeiderVölkerinderglobalenHierarchiederZivilisationen.VorallemaberbeobachteterdieUnterschiede:ausführlichbeschreibt er die spezifischen eigenschaftender Franzosen,würdigt sie oder verurteilt siemoralisch.erweistdabeieinebemerkenswerteGroßzügigkeitundtoleranzauf.DennochdürfensichseinemernstenRatzufolgedieÄgypterausderfaszinierendenZivilisationdesanderennurbedienen,wasmitdemislamunddermit ihmererbten identität vereinbar ist. insbesonderedietechnologischenFertigkeitenundmodernenWissenschaftensindhiergefragt.im fortschreitenden Jahrhundert kennzeichneteine Flut von texten die kulturelle ProduktionundPublizistikdernahda.nichtliterarischeundliterarischeSchreibweisenundFormenwerdengesprengt, umdasGesehene, erlebte und er-fahrenezubeschreibenundzuverarbeiten.DieLiteratur zeigt dabei kreative Rezeptionenundzukunftsweisende aufbrüche, wie den arabi-schenRoman,dasDrama,dieKurzgeschichte.innovative Ästhetikenwerden entwickelt undderRückgriffaufFormenundMotivederarabi-schenliterarischentraditionbringtschöpferischeneugestaltungen imSpiegeleinergeändertenZeithervor.indentextenundSubtextendernahdaisteuropaalsHerausforderer immer präsent und fordertneueDefinitionendesarabischenSelbstundsei-nerKultur.DabeigeschehenbisweilengroteskeUnterwerfungen:Der ägyptische JuristQāsimamīn,derdurchseinenappellfürdieentschlei-erungoftundgernealsVaterderbefreiungdermuslimischenFraugewürdigtwird,wiederholtinseinenSchriften„DiebefreiungderFrau“(1899)und „Die neue Frau“ (1900) die verächtlichenattackendesKolonisatorsaufdiedominierteKul-tur,mitdemZiel,diepatriarchalischeislamischeGesellschaftdurcheinepatriarchalischewestlichgeprägteGesellschaftzuersetzen(vgl.Leilaah-med,WomenandGenderinislam,1992).Das bedürfnis nach politischer und kulturellererneuerungspiegeltsichnichtnurwiebeiQāsim

amīninkompletterSelbstverleugnung,sonderninselbstbewusstenModellen,indenenderOrientjedochimmerausderDefensiveagierenmuss:DerreligiöseReformerMuhammadabduh(„epi-stelüberdieeinheitGottes“,1898)setztseinerDiagnose von der allgemeinen Schwäche derMuslimeeinModellzurRückbesinnungaufdiewahrenWurzelnderReligionundderReformderverkrusteten religiösen bildungsanstalten undinstitutionenentgegen.DagegenbeschwörtdersäkulareundaufgeklärteKritiker tahaHusaininseinembuch„DieZukunftderKulturinÄgyp-ten“(1938),dassdiegraduelleRückständigkeitÄgyptens durch bildung, Säkularität undDe-mokratieaufgehobenwerdenkann.erplädiertfür eine unauflösbare Verschmelzung seinesLandesmiteuropa,mitdemesseitderantikeeinengemeinsamenKulturraumbildet.DertextdesDokuments vexiert zwischen demWillenzurkomplettenanpassunganeuropaunddemWillenzurarabischenSelbstbehauptungundzurWiederherstellungdergeraubtenWürde.indergeistigenZerrissenheitdesautorszeigtsichdasDilemmadernahdainvollerKlarheit.Dienahdagingmitkomplexenökonomischen,sozialenundkulturellenUmgestaltungensowieeiner durchgreifendenModernisierungdesöf-fentlichenLebensinderarabischenWelteinher.SchonbaldwarenOstundWestuntrennbarineinemdrittenRaumaufeinanderbezogen,geistigineinanderverschlungenundinhybridenidenti-tätenvereint.Zudenspezifischenbewegungender arabischennahdagehörte aber auch dieFrage nach dem eigenen, die sich unter demgewaltigenDruckderkolonialenDiskurseundinterventionenstellte.SiebrachtevieleneuartigeantwortenundReaktionenhervor,dievoneinemfaszinierenden,indieZukunftweisendenkultu-rellenerwachendesnahenOstenszeugen.DiedefensiveFragenachdemeigenenstimulierteaberauchdieentstehung islamischer ideolo-gien, die sich auf die kulturelleDifferenz vonOst undWest berufen – hundert Jahre spätersolltensichradikaleislamistenaufsieberufen.Deraufgeschlosseneundwissbegierigeblick,mitdemvorkolonialeChronistendieandereKulturbetrachteten,weicht dann einer ahistorischenbetrachtungsweise,inderOstundWestaufim-merfremdundunvereinbarsind.DienahdawarsomitsowohlbegegnungalsauchtrennungundihreambivalenzprägtdasVerhältnisvoneuropaunddemnahenOstenbiszumheutigentag.

DieVeRFaSSeRiniStPROFeSSORinFÜRaRa-biStiKUnDORientaLiSCHePHiLOLOGieaMORientaLiSCHeninStitUtDeRUniVeRSitÄtLeiPZiG

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JederKulturdialoggehtvomSonderfallausKulturarbeitinLändernmitmuslimischerMehrheit/VonWenzelbilger

Seit Jahrzehnten fördert das Goethe-Institut in Nordafrika, dem Balkan, im Nahen Osten sowie in Süd- und Südostasien neben der deutschen Sprache auch die internationale kulturelle Zusammenarbeit. Religion spielt dabei manchmal, aber keineswegs immer eine Rolle. Gerade in der Integrationsde-batte der letzten Monate wurde oft über Unterschiede zwischen Muslimen und Nicht-muslimen in Deutschland gesprochen; in ei-ner globalisierten Welt spiegelt die Debatte aber auch geopolitische Konstellationen wider, mit denen das Goethe-Institut sich in seiner täglichen Arbeit auseinandersetzt.

angesichts derDiskussionen liegt die Fragenahe, ob sich Kulturarbeit in Ländernmit

muslimischerbevölkerungsmehrheitvonder inanderen teilen der erde unterscheidet. Dazuistzunächstzusagen,dasssichdiearbeitdesGoethe-institutsgrundsätzlichvonLandzuLandundStadtzuStadtunterscheidet,daimmerdiejeweiligenlokalenKontexteGrundlagederarbeitsindundseinmüssen;sowohlinLändern,inde-nenderislamhistorischodergegenwärtigeineRollegespielthatoderspielt,alsauchanderswo.DarüberhinausistdieislamischgeprägteWeltallesanderealseinhomogenermonolithischerblock.Das soumschriebene territorium reichtvonnordafrikaüberSüdosteuropabisnachin-donesien.Sprachen,KulturenundLebensweltensindhiersovielfältigundunterschiedlich,dassjedeStereotypenbildungindieirreführt.auchdiereligiöseZugehörigkeitspieltinganzunter-schiedlichemMaßeeineRolle.Gleichzeitighabender11.September2001unddiemilitärischeninterventioneninafghanistanundimiraksehrspezifischeauswirkungenaufdas Verhältnis zwischenmehrheitlichmuslimi-schenGesellschaften und dem sogenanntenWesten gehabt. auf beiden Seiten,wollenwirdiese polarisierende trennung in zweiWelteneinmal beibehalten, hat sich eineWahrneh-mungder gegenseitigen bedrohung verstärkt.es vergeht selten ein tag, an demnicht auchwirunsmitStereotypenkonfrontiertsehen,diezuweilenReligionszugehörigkeitmitFanatismusgleichsetzen.SowächstdasbedürfnisnachmehrWissenüber-einandersowienachgegenseitigemVerständnis,und gerade hier engagiert sich dasGoethe-institut. Dies geschieht in der Kulturarbeit, inFortbildungsseminaren, in den Sprachkursenunddenbibliotheken.eswerdenbegegnungs-programme in Form von Jugendparlamentenoder Zukunftswerkstätten veranstaltet, dieVertreternjungerbildungselitendenaustauschmit Gesprächspartnern anderer Kulturen er-möglichen.SofindenschonseiteinigenJahreninternationale Zukunftswerkstätten etwa inSarajevo statt, die sich an jungeGeistes- undSozialwissenschaftler richten; anderebeispielesind das euro-Mediterrane JugendparlamentoderJournalistenakademien.Seit2002führtdasGoethe-institutimauftragdesauswärtigenamtsauchProjekteimRahmendesSonderprogrammseuropäisch-islamischerKulturdialogdurch.Jugendstudien ermitteln Werte und idealemuslimischer Jugendlicher zwischen tradition,Moderneundalternativen kulturellenMusternin ein und demselben gesellschaftlichenUm-feldwie jüngst in Jakarta fürSüdostasien.DieGoethe-institute regen jungeMenschendurchVeröffentlichungenauchaufinteraktivenWebsi-teszurReflexionihrerpolitischenundkulturellenUmgebung sowie zumnachdenken über ihreeigenenPerspektivenunderwartungenandieWelt an.Mit der deutsch-arabischenWebsite„Li-lak“betreibtdasGoethe-institutinKairoeinesehrerfolgreicheinformations-undbegegnungs-plattform.JungeautorenausDeutschlandundderarabischenWeltbehandelnhierthemenwieSucht,GeschlechterrollenundReligion.begegnungundaustauschfindenaberauchinForm vonaustauschprogrammen für Künstlerstatt, z.b. von Schriftstellern ausDeutschlandunddemLibanonbzw.kürzlich ineinemgroßangelegtenProgrammmitdertürkei.2009lobtedasGoethe-institutKairo zumerstenMaldenDeutsch-arabischenÜbersetzerpreisfürbellet-ristikaus,derdieÜbersetzungdeutschsprachigerGegenwartsliteratur insarabische fördert undsiealsinstrumentderkulturellenVerständigungwürdigt.bei austausch undDialog kann es nie darumgehen,eineWeltsichtodereinePositiongeltendzumachen,bzw.diesebeimDialogpartnerindenLändern,indenendasGoethe-institutarbeitet,

durchzusetzen;vielmehrgehtesimmerumeineFörderung des gegenseitigen Verständnissesunddeskritischen,aberrespektvollenUmgangsselbstmitabweichendenund irritierendenPo-sitionen.eswärekontraproduktiv,bestimmteGrenzenindenGeschmacksgewohnheiten des jeweiligenGastlandes zu überschreiten,weilman damitauch demDialogangebot grundsätzlich offenGegenüberstehendenProblemebereitenkönnte.Wirwollenz.b.,dassmöglichstvieleStudierende,dievomGoethe-institutherausgegebeneKultur-zeitschriftFikrunwaFann/artandthoughtlesen;diesekämenmöglicherweiseinSchwierigkeiten,wenn auf dem titelblatt einer ausgabe zumthemaLiebezuvielHautzusehenwäre.Grund-sätzlichsindLiebeundSexualitätfürJugendlicheund jungeerwachsene,egalwelcherHerkunftund Religionszugehörigkeit,wichtige themen;siemüssenmit Sorgfalt zumGegenstand desDialogsgemachtwerden.auchDemokratie und autoritäre Führung,derdemographischeWandelundnatürlichdieFragedesreligiösenFundamentalismus,derdieGesell-schaften indenteilenderWelt, vondenenwirhier sprechen,mindestensgenausobeschäftigtwieuns,sindwichtigeinhalteunsererarbeitdort.

Lüsterfliese,umeinem(Herrscher?)PaargruppiertePersonen,Quarzfritte-KeramikmitfeinteiligerLüsterbemalung,Kaschan/iran,anfang13.Jahrhundert©MuseumfürislamischeKunst/SammlungedmunddeUnger,Foto:ingridGeske

GeradeästhetischeFormeneignen sichoft zuranregungdesnachdenkensüberzentraleFragendesmenschlichenZusammenlebens,daKunstFrei-räumeschafftundkonkreteProblemenichtexplizitansprechenmuss.tabusetwawerdensothemati-siert,ohneausdrücklichbenanntzuwerden.Zuunsererarbeit inLändernmitmuslimischerMehrheit gehört es auch,muslimisches LebeninDeutschlandinallseinenFacettenzuzeigen,denndiesträgtzurVermittlungderheterogenenkulturellenundgesellschaftlichenWirklichkeitinDeutschlandbei.Sospracheinimamausbay-erninSingapurimRahmenderFotoausstellung„MoscheeninDeutschland“vonWilfriedDechauüber denmuslimischenalltag inDeutschland.auchdeutscheexpertenmitmuslimischemHin-tergrundtragenzumbildeinerGesellschaftimWandelbei,dievonVielfaltprofitiert.in LändernmitDefiziten imbildungs- und in-formationswesen oder in der Zivilgesellschaftzählt auchdieUnterstützungbei der Professi-onalisierung in diesen bereichen und bei derHerausbildung vonnotwendigenStrukturen zudenaufgabendesGoethe-instituts. Sowurdez.b.inerbilimirakdiearbeitu.a.mitdiesemZielwiederaufgenommen.UndvorguteinemJahrwurde inGaza-Stadt einDialogpunktDeutsch

mit angegliederter bibliothek eröffnet. auchMedienüberdensonstimislamistischenUmfeldals tabuthemageltendenHolocaust kannmandort lesen. erhebliche behinderungen gab esaufgrundder strengen einfuhrbeschränkungendurchisrael.Diebücherkonntennurmitdiploma-tischemauto-KennzeichennachGazagebrachtwerden.DadieMenschendortseitdemGazakriegvonaußenabgeschnittensind,stelltderDialog-punkt einewichtige Verbindung zurWelt dar.DieGoethe-institutesindinLändernmitmuslimi-scherMehrheit,wieinanderenLändernauch,fürdenDialogoffen,undzwarsowohlfüreliten,re-gierungsnahoder-fern,alsauchfürandersden-kendeintellektuelleoderKünstler.DieislamischgeprägteWeltstellthierkeinenSonderfalldar.HierhabensichindenletztenJahrenaufgrundder historischen ereignisse besondere Frontenaufgetan und Stereotype eingestellt.Generellmuss aber jeder Kulturdialog vom SonderfallausgehenundsichaufdasjeweiligespezifischeGegenübereinstellen,seiesinLändernmitmus-limischenMehrheitenoderanderswo.

DeRVeRFaSSeRiStReFeRentiMbeReiCH31„WiSSenSCHaFtUnDZeitGeSCHeHen“DeSGOetHe-inStitUtS

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WoMuslimefremdsind,sindwiresauchPlädoyerfüreinatelierderkosmopolitischenWissenschaftenundKünsteinberlin/VonalmutSh.brucksteinÇoruh

In den deutschen Medien ist täglich von Inte-gration die Rede. Angesprochen sind damit „die Muslime“, oder gar „der Islam“, eine Religion, die dem christlichen Abendland „fremd“ gegenüber stehe, die „keine Auf-klärung kenne“, die also „gezähmt“ werden müsse, zum „Schutz unseres Rechtsstaates“, des Grundgesetzes, der Gleichstellung derGeschlechter, der freiheitlichen Werte unse -rer Gesellschaftsordnung, auch gerne Reli -gions-, Kunst- und Meinungsfreiheit. In der öffentlichen Rhetorik zeichnet sich eine be-unruhigende Polarisierung ab: den täglichen Talkshows mit Titeln wie „Angst vor dem Islam,“ „Wie viel Islam erträgt der Staat“, „Kopftuch und Koran: Hat Deutschland kapituliert?“ steht eine mediale Flut von öffentlichen Programmen gegenüber, deren einziger Sinn die kollektive Einübung in das lange versagte deutsche Nationalgefühl zu sein scheint und deren Suggestionskraft eine rasante Widerkehr des Verdrängten be-treibt: „Die Deutschen – Woher wir kommen“, „Was ist deutsch im 21. Jahrhundert?“, „Wir Deutschen“ in vielen Variationen.

DabeistehenJudenundMuslimeratloseinerneuenpolitischenikonographiegegenüber,

inderHitler seinenPlatzzunehmendbruchlosneben den sonstigen politischenGrößen deschristlichenabendlandeseinnimmt,undindersie–dieJudenundMuslime–sichzunehmendnichtmehr zurechtfinden, egalwie selbstver-ständlich sie deutsch sprechen,wie lange sieschondeutschebürgerrechtehaben,egal,wielange dieDeutschen ihrerseits schuldhaft be-teuerthaben,Fremden,Juden,anderenfortanoffenzubegegnen.ZumkulturellenFundamentunsererGesellschaft gehöre „dieDemut desStaates vor den religiösen Überzeugungenseinerbürger,auchundgeradeinZeiteneinerwachsendenreligiösenPluralität“,versichertunsdiebildungsministerin;umsoüberraschenderdieerklärung,wasdenndieseskulturelleFundament„imGrunde“sei:„Golgatha,dieakropolis,dasKapitol“,manmüssesie„alseinheitsehen.“(Zi-tiertimnamenvontheodorHeuss,inannetteSchavan, „Gottesbezug als Freiheitsimpuls“ inderFaZvom23.11.2010).

Orientale: Juden und Muslime

Diese einheit der christlich-graeco-römischenPsyche wurde schon im 19. Jahrhundert zurProjektionsflächeeinerpolitischenapologiedesvermeintlicheigenengegenüberdemvermeintlichFremden,wobeider Fremdeheutewiedamals„derOrientale“ist.Damals,wirerinnernuns,wa-renesJuden,diezukeinerintegrationfähigwa-ren,ihreHalakharückständigundmittelalterlich,ihreFrauenverschleiertodersittenlos,ihreSittenundGebräucheParallelgesellschaft,ihreLoyalitä-tenungeklärt,ihreFremdheitdurchassimilationundModernenurmaskiert.Heutemeintmanmit„Migranten“oder„bürgernmitMigrationshinter-grund“LeuteausdemOrient:türkenundaraber,aufvornehmereWeise,Perserundiraner.DabeiwirddiesenFremdeneinekonfessionelle/religiö-seidentitätübergestülpt,dieviele,vielleichtdiemeisten,garnichthaben,dieaberinDeutschlandseitjeherdieauseinandersetzungzwischendeneinzelnenGruppenderGesellschaft prägt: obProtestantengegenKatholiken,odergelungeneÖkumene,injedemFallesindkollektiveZugehö-rigkeitenhierzuLandekonfessionellgeprägt.Soverwundertesauchnicht,dasschristlichearaberodersäkularetürkischeMigrantenkinder,denenShariaoderSunnanichtsbedeuten,sichmitdemVorwurf„ShariaseiGewalt“auseinandersetzenmüssen,oderangriffeaufeineKleiderordnungabwehren,diemit islamischertraditionoftwe-nigzutunhat,miteinersichtbarenabgrenzunggegenausgrenzende Fremdenpolitik hingegenviel.Selbsternannteexpertendesislams,indenwenigstenFällendesarabischen,Persischenodersonst der Sprachen islamischerÜberlieferungmächtig, legen hierzulande öffentlichQur’anundShariaaus,wobei dieRadikalität undGe-waltsamkeitihrerauslegungenauferschreckendeWeise derauslegungderer gleicht, die sie als„islamisten“ bekämpfen. Problemederarmut,bildungsferner Sozialisation, Kriminalität undGewaltwerdenvonZuschreibungendes„islami-schen“sountrennbarüberlagert,dassallenochsokompetentvorgetrageneKritikdesschamlosenöffentlichenUmgangsmit islamischenQuellenvonSeitenmuslimischerintellektuellerwiehilfloseapologieaufverlorenemPostenwirkt.

Jüdische und muslimische kosmopolitische Traditionen alsichimJahr2001vonJerusalemnachberlinkam, traf ich denKölner islamwissenschaftlerund Schriftstellernavid Kermani. ZusammenhabenwirinberlineinmehrjährigesProjektzujüdischen und islamischen ideologiekritischenPositionen initiiert, das berührungspunkte undVerflechtungenzwischeneuropäischen,(judeo-)arabischen, rabbinischen, byzantinischen undpersischen traditionen herausarbeitenwollte,entgegen der politischen instrumentalisierungreligiöser traditionen durch nationalstaatlicheideologienderModerne.MiteinerGruppevonjüdischen und islamischenGelehrtenwolltenwirzeigen,wiekomplex,differenziert,vieldeutigjüdische und islamische traditionen sind,wiebeflügelnddiearabischenundjudeo-arabischenkritischen traditionen, undwie sehr es nottut,inderöffentlichenRedeüberislamundeuropazwischenreligiösertraditionundsozio-politischerRealitätzuunterscheiden.Während der Jahre 2002-2005 ist es uns ge-lungen, amWissenschaftskolleg zuberlin eineGruppe vonüberwiegend jüdischenundmus-limischenGegendenkern undmutigenGrenz-gängernausallerWeltzurgemeinsamenarbeitanden texteneinzuladen (sieheKasten).ÜberdieVerflechtungenrabbinischerundislamischerÜberlieferung,Halakha,FiqhundSharia,Qur’anundtannakh,SufismusundKabbala,sowiederjudeo-arabischenundscholastischenaufklärungdesMittelalters suchtenwir eine jüdische undarabischeKritik der politischen ideologienderModernezugewinnen.DreiJahrelanghabenwiranderSchaffungeinesOrtesdesWiderspruchs

derintellektuellenundGelehrtengegendieVer-flachungderöffentlichenDebattegearbeitet,eineneubewertungmittelalterlicher pluralistischerGesprächsräume versucht, und dabei an diedeutsch-jüdischeWissenschaftstraditiondes19.und20.Jahrhundertsangeknüpft.Manstellesichvor,esgäbeheuteinberlineinesolcheGruppevonkosmopolitischenGelehrten,dieeinLichtderWeitsicht,desdifferenziertenUrteils,derOrientie-rungindasöffentlicheGefechtüberShariaundGrundgesetzwürfen.

Scheitern an der Frage der Wahrheit

ein Jahr vordemerstentreffenderDeutschenislam Konferenzwurde das jüdisch-islamischeProjektmit seiner zeitgenössischenund trans-territorialen Lektüre klassischer texteaufgelöstundalsProjekteingestellt.StattdessensindseineDenkanstößeinProgrammeaufgenommenwor-den,diediegeopolitischeOrdnungterritorialerbe-zügewiederhergestellthaben,wieetwa„europaimnahenOsten–dernaheOstenineuropa“oder„traditionundKritikderModerne.Säkularismus,FundamentalismusundReligionausnah-östlicherPerspektive“.Hierwurdemöglicherweise eineChanceverspielt,denndieprogrammatischeZu-sammenarbeitjüdischerundislamischerGelehrterjenseitsgeopolitischerDefinitionenwäreheutesi-cherlichmehrdennjevonkonstruktiverpolitischerbedeutung.trotzdemgabesinunseremProjekteinegrundlegendeaporie.Siebestanddarin,dassalleDiskussionen kollektiv tradierter texteundÜberlieferungeninGefahrsind,ander„FragederWahrheit“zuscheitern.KollektivdefiniertetexteunterliegenselbstderLogikdesterritorialen,sie

werdenmit territorialer Leidenschaft verteidigt.Dabei findendieprinzipiell unbegrenztenaus-legungsmöglichkeiten traditioneller texte ihreGrenzeanderhysterischenDispositionihrerapo-logeten,diemitderGrenzedestextesdieGrenzederWahrheitverteidigen.andieserStellezeigtsichderVorzugeinerPlattform,dienichtnurtextarbeit,sonderneineöffentlichearbeitandenObjektenundartefaktenderWissenschaftenundKünsteentwickelt.einePlattform,diedieGrenzezwischenmusealer Repräsentation und Produktion, zwi-schenausstellungundlebendigerFortschreibungderkünstlerischenwiewissenschaftlichenarbeitauflöst.ObjektederbildendenunddarstellendenKünste laden zu Fragestellungenein, die terri-toriale politischewie religiöseZugehörigkeitenunterwandern.DiesenochsoephemereFreiheitvonderLogikdesterritorialengehtmitderUn-terbrechungeinher,diedieMaterialitätderDinge,ihreFarben,Stoffe,KlängeundGerüche,fürdielinearenOrdnungendesWissensbedeutet.WiegestaltetsichalsoeineagendadesWissensundder erfahrung, die nicht vonder linearenGeschichtsschreibungdereuropäischenModernebestimmtwird,sonderneineoffeneenzyklopädievonbildern,performativenGesten,KlängenundkünstlerischenwieliterarischenassoziationenzuröffentlichenDispositionstellt? inderdieDinge,diebisdatounverrückbar„eigen“oder„fremd“erschienen,wieMaxernstsagt,mit„akribischerGenauigkeit“ von ihrem angestammten Platzverrückt und inneueZusammenhängegestelltwerden?

Das TASWIR Projekt: Ein Mate-rialatas zu Moderne und Islam

im Jahr 2009-2010 hat im berlinerMartin-Gropius-baueineausstellungundWerkstattreihestattgefunden,diedentitel„taSWiR–islamischebildwelten undModerne“ trug: taSWiR aufarabisch, Persisch,Osmanisch-türkisch: „sichein bildmachen“, „repräsentieren“, „fotogra-

Teilnehmer der Gruppe am Wissenschaftskolleg zu Berlin

Am TASWIR Projekt beteiligte Künstler

eteladnan,Malihehafnan,taysirbatniji,Sid-neyCorbett,ParastouForouhar,WilliamFor-sythe,MonaHatoum,SusanHefuna,RebeccaHorn,aliKaaf,WolfgangLaib,naliniMalani,Marwan,WalidRaad,OliverSchnelleru.a.

teildieserGruppewarenaußernavidKermaniundalmutSh.brucksteinÇoruhdieKoranwis-senschaftlerin angelikaneuwirth, der kali-fornischetalmudforscherDanielboyarin,derägyptischeQur’an-undLiteraturwissenschaft-lernasrHamidabuZaid(s.a.),deriranischetheologeund liberalepolitischetheoretikerabdulkarimSoroush,deriranischePhilosophund shi’itische theologeMohammad Sha-bestari, die JerusalemerMusikwissenschaft-lerin Ruth HaCohen, der israelische post-zionistischeHistorikeramnonRaz-Krokotzkin,der palästinensische Kulturwissenschaftlerabdulrahim al-Shaikh, der südafrikanische

politischetheoretikerabdelkadertayobundvieleandere.nebendemProjektamWissen-schaftskollegwurdevonalmutSh.brucksteinÇoruhimJahr2001zwischenJerusalemundberlindieinstitutionha’ateliergegründet,eineinternationalePlattformfürPhilosophie,Wis-senschaftundKunst,dievorallemimRahmender bildenden und darstellenden Künste dieVisioneinerkritischenkosmopolitischenarbeitandenineuropagewaltsamverdrängtenjüdi-schenundislamischenQuellenavanciertundinverschiedenstenProjektenimmerwiederimöffentlichenRaumzurDispositionstellt.(www.ha-atelier.de)

HanafitischerRechtskodexmitRand-undinterlinearglossen.GezeigtinderausstellungtaSWiR.©Universitäts-undForschungsbibliothekerfurt/Gotha,ForschungsbibliothekGotha

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fieren“. in dieser ausstellung haben fünfzigzeitgenössischeKünstlerundeineGruppevonWissenschaftlern, Kuratoren undGelehrten,viele von ihnen aus dem jüdisch-islamischenProjekt,dieachsedereuropäischenModerneaufspielerischeWeisezuverschiebengesucht.KlassischeObjekte islamischer Kunstwurdenin ein Geflecht zitierter Gegenwartsbezügegestellt,undso–oftdurcheinüberraschendes„nachleben“antiker oder klassischer Formen–ausderlinearenmusealenGeschichtsschrei-bung herausgelöst und neu positioniert. DieGestederVermischungundpoetischenasso-ziationderDingeistdemOrdnungsprinzipdesbildatlasses des Hamburger KunsthistorikersabyWarburgverwandt.GemeinsammitPhiloso-phenundKulturwissenschaftlernhatteWarburginseinerHamburgerKulturwissenschaftlichenbibliothekeinassoziativesnebeneinandervonästhetischenundperformativenPathosformelnentwickelt,dieesihmerlaubten,zwischenOb-jektenverschiedensterHerkunftdiachroneundheterogene bezüge herzustellen, ohne dabeidiepräziseOrdnungseiner literarischenoderästhetischen Fragestellungen aus den augenzuverlieren.

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WoMuslimefremdsind

Plädoyer für eine zukünftige Neuordnung des Wissens eszeichnetsichhierdieaufgabeeinerzukünfti-genOrdnungderWissenschaftenundKünsteab,dieaußereuropäischetraditionenalskonstitutiveMomente einerModernemit einbezieht, dienichtnurwestlichgenanntwerdenkann.DieseagendaistmitdemabbauderausstellungtaS-WiR imMartin-Gropius-baunicht abgegolten.interessantwärees,wennetwadieeinrichtungderLehrstühleislamischertheologievoneinersäkularen,kritischeninvestigationkünstlerischerartefakten flankiert würde – wobeiman dieklassische innerislamische Kritik der visuellenRepräsentationetwaeinesal-Farabi(870-950)oderal-Ghazali (1058-1111) auf Prozesse dereuropäischenModerne in Philosophie, KunstundMalereihinbefragenkönnte.OdereswäredocheineHerausforderung,dieideedesberlinerUniversalmuseumsmiteinerexplizitenbefragungjüdischer,judeo-arabischerundislamischerMe-thodeneinera-linearenLektüredertexteundartefaktezuverbinden,nachdenenderKom-mentarderSchlüsselzumtextist:Rabbinischenundjudeo-arabischenÜberlieferungenzufolgeerzeugtdasSpäteredenblickaufsFrühere,vonder Zukunft her ordnet sich das Vergangene,zuerstwar die Zukunft, dann kommt die Ver-gangenheit.

eine Produktionsform des Kommentars, derdieFreiräumeseinerauslegungenindenLeer-stellen zwischendenbuchstaben,Worten undZeilensucht,wirdimöffentlichenRaumkeinen„WhiteCube“kreieren,sondernehereinLaby-rinthderinterpretationen,desKommentars,derfortlaufenden literarischen und künstlerischenProduktion.einesolcheProduktionsformwirdsichdenantithetischenGrundmustern von „fremd“und„eigen“nichtunterordnen, sonderneina-linearesVerweissystemerarbeiten,welchessichindenLückendereigenenMateriefortschreibt:Zwischen denDingen, zwischen denWorten,zwischendenZeiten, zwischendenMenschen.esistkeinbeliebigesVerweissystem,dashiervoraugensteht,sonderneines,wasinderStringenzder FragestellungenunterGelehrten –warumnichtauchKünstlern,Kuratoren,undPolitikern?–entsteht.WarumnutzenwirnichtdieOrdnungs-muster „außereuropäischer“ Kulturen,warumlernenwirnichtvondenMeisternderHaditheoderdenRabbineneinealternativenicht-lineareOrdnungderZeit,warumsetzenwirnichteinex-perimentierfeldmitkosmopolitischenjüdischenundislamischentraditioneninSzene,mitteninderHauptstadt,undsehen,wodietemporalen,topischenOrdnungsmustervontextenwieHadi-theundtalmudunshinführen?WarumsehenwirindentopischenOrdnungsmusterndiesertextenicht„architekturmodelle“fürdenUmgangmit

WissenschaftundKunst imöffentlichenRaum,wiedietaSWiRausstellungdies –wennauchnochsoanfänglich–versuchthat?FunktionierteeinsolchesProjektnurineinerStadt,indermanvor„islamischem“wenigerangsthat,wieetwain istanbul?Oderwie sähe der entwurf eineroffenen enzyklopädie derDinge aus, die ihreeigeneMaterialspurwie eine KommentarspurderRabbinenfortschreibt,inmittenderberlinerMuseums-Landschaft,mitObjektenderSamm-lungenals„heiligemtext“?„Heiligertext“willsagen:eintext,der jedereindeutigenLektüregegenüberwiderständigistundfürdieüberra-schendstenFacettenseinerMaterieoffen?

DieVeRFaSSeRiniStDieinitiatORinUnDDiReKtORinVOnHa’ateLieR–WeRKStattFÜRPHiLOSOPHieUnDKUnSt.SieKURa-tieRteDieaUSSteLLUnGUnDWeRKStatt-ReiHetaSWiR–iSLaMiSCHebiLDWeLtenUnDMODeRneiMMaRtin-GROPiUS-baU2009-2010,DieVOnDenbeRLineRFeStSPieLenaUSGetRaGenUnDDeRenWeRKStattReiHeVOnDeRRObeRtbOSCHStiFtUnGUnteRStÜtZtWURDe.1999-2006WaRSieDOZentin/PROFeSSORinFÜRJÜ-DiSCHePHiLOSOPHieinJeRUSaLeM,beRLinUnDFRanKFURt.ZURZeitiStSieFeLLOWaMKÄteHaMbURGeRKOLLeG„ReCHtaLSKULtUR“inbOnn

KollektivesGedächtnisundkulturellerSpeicherDieRolledesMuseumsfürislamischeKunstimPergamonmuseumimheutigenDiskurs/VonStefanWeber

Das Museum für Islamische Kunst im Per-gamonmuseum in Berlin gehört zu den bedeutendsten und ältesten Sammlungen von Kunst und Archäologie muslimisch geprägter Gesellschaften außerhalb der islamischen Welt. In Deutschland ist es einzig und durch die museologische Ver-bindung mit den alten Kulturen des Nahen Ostens (z.B. Babylon, Pergamon) weltweit beispiellos. Diese Sonderstellung besitzt es auch aufgrund beeindruckender archi-tektonischer Zeugnisse, wie der Palastfas-sade von Mschatta – dem größten Objekt islamischer Kunst in einem Museum. Durch den exponierten Standort auf der Museums-insel sowie dem wachsenden öffentlichen Interesse an dem Themenfeld Islam fanden letztes Jahr 538.000 Besucher den Weg in unser Haus – es gehört damit zu den Top-Ten Museen Berlins und den bestbesuchtesten Museen Deutschlands.

Dieüber100-jährigeGeschichtedesMuseumsisteinSpiegelbilddeutscherGeschichte,und

auchdieheutigeaufgabenstellungdesMuseumsergibt sich ganzwesentlich aus den aktuellengesellschaftlichen entwicklungenunseres Lan-des.einerseitskannesimbereichMigrationundkulturellebildungeineLeitfunktionwahrnehmen,indemesalsöffentlicherundsymbolischerRaumdeutscheMuslimeaneineklassischöffentlichebildungseinrichtungheranführt.DadurchwerdennichtnurpartizipatorischeProzessedesGemein-wesensgestärkt,sondernauchkulturhistorischeGrundlagenkollektiveridentitätsbildungange-boten.Die jüngste öffentlicheDiskussion umMigrationhatunserneutandiedringendeauf-gabederKulturvermittlungineinerMehrheits-gesellschafterinnert.inderauseinandersetzungmit dem islamallgemein – besonders bei derbewertungundanalysemodernerKrisen–aberauchinderbegegnungmitmuslimischenbürgerninDeutschlandsinddievereinfachendenWahr-nehmungsmuster von historisch gewachsenen,in ihrer sozialen, geographischen, ethnischenundsprachlichenausformungkomplexenmus-limischenGesellschaften höchst erschreckend.WiebeikaumeinemanderenKulturraum–dernebenbeihistorischkaumvoneuropazu tren-nenunddurchdiegegenseitigeDurchdringungauchheutenichtklarabzugrenzenist–werdenkomplizierte sozioökonomischeProzessedurch„Fachleute“indenabendlichentalkshowsdurchkultur-essentialistischeMusteraufderGrundlagevonReligionerklärt.Verallgemeinerungen,Ver-einfachungenundgrobeUnkenntnissindandertagesordnung.eineLimitierungderkollektivenidentität alsMuslim auf Religion bzw. auf einZerrbildvonReligionverschleiertdenblickaufsoziale,ökonomischeundmultiplekulturelleent-wicklungenundverstelltdieSichtaufeinreicheskulturelleserbe.KulturgeschichtlicheGrundlagenmuslimischerKulturenfehleninderöffentlichenDiskussionundWahrnehmung vollständig.alsDeutschlandskulturhistorischesKompetenzzen-trumimbereichislamistsomiteinedringende

aufgabedesMuseumsfürislamischeKunstdirektdefiniert:dieVermittlungeinesreichenkulturel-lenerbesunddieunpolitischeannäherungandie künstlerischen und kulturellen LeistungenmuslimischgeprägterGesellschaften.DasMuseumfürislamischeKunstistalskultu-rellerSpeicherauchkulturellesGedächtnis:DieabertausendObjekteindenDepotsdesMuse-umslegenZeugnisfürdiekulturellenerrungen-schaftenmuslimisch geprägterGesellschaftenab,dieheuteweitgehendinVergessenheitge-ratensind.essindbeispielederverschiedenstenKunstgattungen, einschließlich bedeutendsterarchitekturzeugnisse, die alle epochen islami-scherGeschichtevom7.biszum19.Jahrhundertumfassen.Höhepunkte sind die Steinfassadedes Kalifenschlosses Mschatta (Jordanien,740er Jahre), Stuckwände,Glas und KeramikausWohnungenundPalästenderKalifenstadtSamarra (irak,9. Jahrhundert),GebetsnischenausMoscheen (iran, türkei, 13. Jahrhundert)oderdasaleppo-Zimmermitseinerfeinbemal-tenWandtäfelung(Syrien,1600).DieseObjektezeichnen ein faszinierendes bild vergangenerWelten–Welten,dieerstaunlichvielmitunsundunsererVergangenheitzutunhaben.Dieislami-scheWelt,alseinerderwichtigstenKulturräumeüberhaupt,befindetsichnichtnurgeographischneben europa (bzw. durchmuslimischeHerr-schaftinSpanien,Sizilienunddembalkanauchineuropa),sondernistauchkulturgeschichtlichengmiteuropaverbunden–denktmanzumbei-spielandenHandelumdasMittelmeeroderauchjenekulturellenMischzonendesnahenOstensineuropaodereuropas imnahenOsten (z.b.Genueser in istanbul).UmsichderbedeutungmuslimischerKulturenbewusstzuwerden,mussmansichimmerwiedervergegenwärtigen,dassessichumeineRegionvongroßerausdehnungundVielfalt handelt. Sozialwarenmuslimischgeprägte Gesellschaftenmulti-ethnisch undmulti-konfessionell (praktisch alle christlichenKonfessionen, Juden, Parsen, buddhisten undHindus) und entwickelten damit einen – nichtimmer problemfreien – Pluralismus,wie er ineuropaerstim20.Jahrhundertmöglichwurde.Sowohl in den vielen Sparten künstlerischerProduktionalsauch imreligiösenbereichsinddieÄhnlichkeitenundParallelenmitderchristli-chenundjüdischenKulturaußerordentlichgroß.DieGrundlagenmuslimischgeprägterKulturenwurzelnebenfallsinspätantikentraditionen.Daserbeder klassischenWelt in Philosophie,Wis-senschaft,Städtebau,architekturundKunstwarfürdieentwicklungmuslimischerGesellschaftenentscheidend.Dies lässt sich exemplarisch andenObjektenimMuseumablesen:andalusischeKapitelleausreligiösenodersäkularenRäumenimCordobadesspäten10.JahrhundertssindengverwandtmitihrenantikenVorläufern.auchinHolzoderelfenbeingeschnitzteOrnamenteimKairodes11.Jahrhundertstragennochdaserbederantikeinsich.DerKunsthistorikeraloisRiegl(1858-1905),derdenbegriffSpätantikeprägte,begriffdie„arabeske“alsKulminationspunktderantikenOrnamentranke.Dieantikeundderalte

OrientlebtenalsoimnahenOstenfort.DiesetatsacheistimkulturellenGedächtnisheutigerGesellschaftennichtverankert–auchnichtbeiMuslimen.esgiltalso,ModellemusealerVermitt-lungzuentwickeln,umdieszuveranschaulichen.imSinneeinerglobalenGeschichtsschreibungdarfauchdieVernetzungmitanderenWeltregi-onennichtvergessenwerden.ObjekteausKunstundKunsthandwerkzeugenvondenSchnittmen-genhistorischererfahrungzwischenMittelmeer

undZentralasienundwidersprecheneinem insichgeschlossenenVerständnisdesislamischenKulturraums. Kunst, Kunsthandwerk,MeistersowieauftraggeberoderKäuferkennenkeinegeographischenundkonfessionellenGrenzen.Die feinentauschierarbeitendes13. Jahrhun-derts ausMosul,Damaskus oder Kairowarenmitmuslimischenund christlichenMotivenbei

blattauseinemGroßkoran,tinteundblattgoldaufPapier,Kairo,Ägypten,um1306-11(inv.-nr.i.84.779)©MuseumfürislamischeKunst/StaatlicheMuseenzuberlin,Foto:ingridGeske

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Fürsten,bischöfen,SultanenoderreichenPrivat-leutenallerKonfessionenbeliebt.Gegenendedes13.Jahrhundertsfandgeradezueine„Chine-sierung“islamischerKunststatt,indemDrachen,PhönixeundanderechinesischeFabelwesen,diefigurativenWeltenauftextilien,inderbuchkunst,KeramikoderanderenMedienbelebten.eine betrachtungmuslimisch geprägter Kul-turen als geschlossenes und lineares SystemwidersprichtderkulturellenDynamikenundista-historisch.auchdieauseinandersetzungdesnahenOstensmitderModerneim19.Jahrhun-dertdarfnichtalsentfremdung,sondernmussalslokaleausformungeneinesglobalenPhänomensverstandenwerden. Kultur findet nie in abge-schlossenenSystemenstatt–wiedieexponateunseresMuseumseindrucksvollbelegen.DaskünstlerischeundkulturelleerbemuslimischgeprägterGesellschaftenatmetdenGeisteinerstetigmit europa und anderenWeltregionenverbundenenGeschichte.FürunserMuseumistesChanceundaufgabezugleich,indievielfälti-genRegionenmuslimischerKultureneinzuführenundindemverengtenöffentlichenDiskursneueDenkräume zu schaffen.Differenzierung undnichtVereinfachungenistunsereaufgabe!

DeRVeRFaSSeRiStDiReKtORDeSMUSeUMSFÜRiSLaMiSCHeKUnSt,StaatLiCHeMUSeenZUbeRLin

DasepizentrumliegtamGolfandreasKolbimGesprächmitMichaelSchindhelm

Michael Schindhelm

MichaelSchindhelmwarseitMärz2007alsKulturmanagerinDubai(Vae)tätigundseitMärz2008KulturdirektorderDubaiCultureandartsauthority. Schindhelmgabdiesesamt imSommer2009auf,alsklarwurde,dassaufgrundderWeltwirtschaftskrisedasvon ihmgeplanteOpernhausundweitereKulturstättennichtrealisiertwerdenwürden.SeineerfahrungenausdieserZeitveröffent-lichteeralstagebuchübereinkühnesGe-sellschaftsexperimentunterdemtitel„DubaiSpeed“.2010gründeteerineinerKoopera-tionmitRemKoolhaasundaMO,demthinktankvonOMa(OfficeforMetropolitanarchi-tecture),dasPostgraduierten-institut„Strelka“inMoskau, eine Hochschule fürMedien,architekturundDesign.Fürpoltik und kultur unterhieltsichpuk-RedakteurandreasKolbmitSchindhelmüberdie„Herausforderungislam“sowiedas„epizentrum“Golfregion.

DieReDaKtiOn

Ist Kultur in Dubai ausschließlich ein Vehikel, um Immobilien zu verkaufen oder gehen von den kleineren Golfstaaten auch Impulse zur Modernisierung der Golfregion aus?

Andreas Kolb:istderislamnocheinekulturelltreibendeKraft?UndkannderislamdasauchfürDeutschlandsein?Michael Schindhelm: ich bin nicht wirklichzurückgekehrtnachDeutschland,undbetrachteDeutschlandzurzeitehervonaußen.tatsächlichgibtesheuteeinearterneuerungimislamunddas nicht nur in der arabischenWelt, sondernauchinderDiaspora,insbesondereimiranischenislam,undmiteinschränkungengiltdasauchfürdieKulturdesindischenislams,insbesondereinSüdindien. ich glaube, das epizentrumdieserentwicklung liegt inderGolfregion.MankanndasnichtmehraufDubaireduzieren.Zumbei-spiel kannmandas gut daranerkennen, dassdieüber-übernächsteFußball-WeltmeisterschaftnachKatarvergebenwurde.DasaufstrebendeFürstentumKatarverfolgtähnlichestrategischeZielewieDubai in den letzten20 Jahren. SiekennenvermutlichauchdieentwicklunginabuDhabi.Möglicherweise sind Sie auchüber diekulturpolitischen bestrebungen des SultanatsOmaninformiert,womanvielstärkeralsindenVereinigtenarabischenemiratenaufeinheimi-scheWerteundtraditionensetzt.insofernwürdeichsagen,esgibttatsächlicheineartepizentruminderGolfregion.Kolb: istdassogenanntemultikulturelleLebeninDubainichtehervergleichbarmitdemLebenineinemLuxushotelinSt.MoritzoderMünchen?alleKulturensinduntereinemDachhabenabernichtsmiteinanderzutun?Schindhelm: DubaiunterscheidetsichvonHotelsdieserartdadurch,dasssichdortetlicheMen-schennichtnurvorübergehendaufhalten,etwazurerholung,sonderndarinfürlängereZeitleben.ZudemistDubaiumgebenvonLändernwiedemiran,irak,afghanistan,Pakistan,Saudi-arabienoderdemJemen,densozusagen„schwärzesten“LändernderRegion,inpunctopolitischerinsta-bilitätundreligiösemFanatismus.inDubaiistesgelungen,eineverhältnismäßigoffeneundauf-geschlosseneGesellschaftaufzubauen.SicherlichimmernochmitKinderkrankheiten,aberdochimbemühen,diesezu„heilen“oderwenigstenszulindern.Derausländeranteilanderbevölkerungbeträgt90Prozent,zumgrößtenteilstammtdieserausländischebevölkerungsanteil aus indien. eslebenaberauchcirka20.000DeutscheständiginDubai.Hinduismus,Christentumoderbuddhismuskönnenungehindert ausgeübtwerden, es gibtdieentsprechendentempelundKirchen.esgibtKirchenchöre,diezumteilvorbereits20Jahrengegründetworden sind.Man kann tatsächlichvonetablierungundVermischungverschiedenerKultureninDubaisprechen.DubaiistnichtnurdieKarawansereioderdieShopping-Mallmit Lan-depiste,sondernesisteinGesellschaftsmodell.inDubaitreffensichtraditionellenomanden–die

KrönungsmantelRogersii.vonSizilienmitLebensbaummotiv(Palermo,1133/34).GezeigtinderausstellungtaSWiR.©KunsthstorischesMuseum,Wien

beduinen–undmoderneMenschen–jenealso,diesichwesentlichdurchMobilitätundFlexibilitätdefinierenbzw.derenMöglichkeitennutzen.inDubaimachendieseMenschen90Prozentderbevölkerungaus,abersiegibtesinwachsendemMaßeauchbeiuns.insofernkannmandenGolfalseinLaborfüreineneueFormderMigrationbetrachten.Kolb: Derchristlich-abendländischeKulturkreishatseitderaufklärungundvorallemindenver-gangenen100JahreneinestarkeSäkularisierungerfahren.SieselbstsindinderDDRaufgewach-sen,einemoffiziellweitgehendareligiösenLand.nunkommtmitden islamischeneinwandererneine neue Kultur nach Deutschland.WelcheauswirkungensehenSieaufKunstundKultur?Schindhelm: ichbinineisenachgeborenundaufgewachsenundbingeprägtdurchprotestanti-scheKulturundReligion.auchinunserersäkulari-siertenGesellschaftkommtderkulturelleKontextunsererreligiösenGeschichteinsSpiel,wennwirmitMenschenmitanderenreligiösenWerteninKontakttreten.DieheutigewestlicheWeltlässtsich nicht einfach nur über einen bestimmtenDemokratie-oderMenschenrechtsstandardoderein bestimmtesWirtschaftssystem definieren,sondernesgibtWerte,dieaufeinemreligiösenKontextbasieren,auchwennwirsieinzwischenalssolchegarnichtmehrwahrnehmen.Dieaus-einandersetzungmitdemanderenbewirkt,dasswir unswieder andie teils religiösenWurzelnunsererKulturerinnern.inDubaiwirdmanauch selbst ein Stückweitauf seine eigeneKultur, seine eigene identitätzurückverwiesen.Man repräsentiert freiwilligoderunfreiwilligdieabendländischeZivilisation.DubaistelltnichtinjederHinsichtdaserfolgsre-zeptdar,etwawasdiearbeitsbedingungenvielerdortbetrifft,oderauchdiepolitischenRechtefürdenGroßteilderdortLebenden.Dersogenannte„KriegderKulturen“ findetaber inDubainichtstatt,imGegenteil:SeitJahrzehntenlebendortunterschiedliche Kulturen friedlich zusammen.WennSie–wieich–vielinderarabischenWeltreisen,dannspürenSievonCasablancabisam-manoderDamaskus,dassdasSignalausDubaieindeutig verstandenwird als alternative zurMisere,indersichdiemeistenarabischenLänderheutebefinden.VieleMenschen,auchsolcheohnebesonderePri-vilegien,wollenandem„SystemDubai“partizi-pieren,weilsiesichvondiesemSystemeinerseitseinegewissesozialeundandererseitsaucheinegewisse politische Sicherheit versprechen.Dasmeineichmit„epizentrum“,weilesautomatischauswirkungenaufdieKulturhatunddamitauchaufdieKunst.Kolb: Handel bringtWandel – aber bringt erauchpolitischeunddamitkünstlerischeFreiheit?Schindhelm: aufeinemKongressinDubaimitintellektuellenundSchriftstellernaus demge-samtenarabischenRaumerklärten teilnehmerausKairoundMarokko,dassihrerÜberzeugungnachpolitischfreieMeinungsäußerunginnerhalbderarabischenWeltderzeitnurinderGolfregionvorstellbar sei. inKatar sind in dieserHinsichtschongroßeanstrengungengemachtworden.Der tV-Senderal Jazeera ist imGrundenachdemVorbild der bbC gestaltet worden –wie

übrigens auch vor 50 Jahren das FernseheninDeutschland. im Fernsehen vonDubai undKatar kritisieren heute unverschleierte FrauenvehementeMullahs ob deren ansichten; dieProgrammekönnenfastimgesamtenarabischenRaumempfangenwerden.Kolb: DieGolfregionalsPlattformfürDiskurseüberVeränderung?Schindhelm: indenkleinenFürstentümernimGolfmitihremgroßemWirtschaftspotentialundihrengroßenambitionengibtesdieFähigkeit,bestimmtewestlicheModelle vonDemokratieoder zumindestMeinungsöffnung zu adaptie-ren und diesemit inhalten zu füllen, diemitderen eigenen tradition,Geschichte und Reli-gionverbundensind.Dieseentwicklungdürfteunumkehrbar geworden sein.DieÖffnung istinzwischen sehrweit fortgeschritten, undmansieht,wiebereichevonihrerfasstwordensind,z.b.dieVerteidigungspolitik.MandenkeandiestrategischenbemühungenderUSaundderenVerbündeteninderGolfregion.außerdemsindOrtewieDubai,DohaoderabuDhabiinzwischeninvielerHinsichtStandorteinternationalerKultur-undUnterhaltungsindustriegeworden.MankannsiealsinselninmittendieserschwierigenRegionbetrachten,alseinexperimentierfelddafür,unterwelchenbedingungensichderislamweiterent-wickelnkannimeinklangmitdenerfordernissenderGlobalisierung.Kolb: GibtesnurdiesewestlicheFokussierung?Schindhelm: Wesentliche teile nicht nur derarabischen,sondernderislamischenKunstszeneinsgesamt,sindspeziellaufabuDhabiundKatarfokussiert.Hierdrücktsicheinneuentstandenesbewusstseindereraus,dieausdrücklichnichtmehrwestliche, sondern islamischeKunst sammeln,darunterauchKunstsammlerundGaleristenausdemiran,Saudi-arabienund indien.Zueinemgroßen teil stellen viele Künstler hier aus, diein ihrenHeimatländernweder ausstellennochverkaufenkönnen.Dasgiltinsbesonderefürdeniran.Manmusssichstetsvoraugenhalten,dassdieGrenzezumirangerade20KilometerLuftlinievonDubai entfernt verläuft. eine vergleichbareSituationmit der inDeutschlandwährenddesKaltenKrieges,auchwenndieLänderwirtschaft-lichkooperieren.Kolb: erzählenSiedochetwasüberihrenVer-such, den deutschenMarkenartikelMusik inDubaizuetablieren.WienimmtmanspeziellinDubaiwestlicheMusikwahr?Schindhelm: Vorläufig gibt eswenigMusik-verständnis inunseremSinnebeidenemiratis.beethovensMusik etwa wird von Vielen alsunangenehmempfunden.Vermutlich liegt dasamfehlendenkulturell-historischenKontext.au-ßerdemexistierteinevölligandereeinheimischeMusiktradition.DiesesDesinteresseistsichernichtgleichermaßenindergesamtenislamischenWeltzu konstatieren.Mehr interesse für klassischeMusikgibtesinSyrien,Ägyptenoderdertürkei.DochesgibtauchinDubaiundabuDhabiersteVersuche einermusikalischenausbildung undMusikschulenauf professionellemniveau.DasPrestigeeinermusikalischenausbildungwächstunddiebeherrschungeines instrumentsgilt inmanchenFamilienschonalsbestandteilgutbür-gerlicherbildung.Musikschulenwerdenoftvon

Palästinensernbetrieben,derenausbildungnochzuZeitendesKaltenKriegesinOsteuropaundUdSSRstattfand.Kolb: UndihrureigenstesMetier,dieOper?Schindhelm: DieOperistfreilichunverwüstlichundhatschonfrüh ihrenZugumdieWeltbe-gonnen,insofernsindz.b.auftrittevonPavarottiu.a.StarsinDubainichterstaunlich.Diesewurdenanfangsveranlasstvonwestlichenenthusiasten,die längereZeit inDubai lebten.HinzukamenspäterdieaspekteUnterhaltungundtourismus.Kolb: in ihrembuch „Dubai Speed“ schildernSie,wiediereinkommerzielleFinanzierungdesKulturbetriebs inDubai gescheitert ist.WelcheneuenWegezeichnensichab?Schindhelm: Die Zielvorgabe hieß fürmich:KultursollinabsehbarerZeitprofitabelsein.Je-desKulturprojektwurdeimGrundeinterpretiertalskommerziellesProjekt.DieeinzigeausnahmehiervonwarendiebereicheReligionundSozialesbzw.Charity.DasMissverständnis bestand darin, dass dieemiratisKulturalsMarketinginstrument fürdenimmobilienboommissverstanden haben.DassKulturstaatlicheUnterstützungbenötigt,vorallemamanfang,wareinfachnichtklarzumachen.DieWirtschaftskrisehatteheftigeauswirkungenaufdenKulturbereichinDubai.ManistnachderKrisenachdenklichergeworden,finanziellvorsich-tiger.insofernändertsichauchdasKulturverständ-nis.Manerkenntlangsam,dassgesellschaftlicherZusammenhaltauchkulturell bedingt ist.KulturwirdinderGolfregionnichtmehrnuralsMarke-tinginstrumentgesehen,sonderngesellschaftspoli-tisch.SiedientderSchaffungeinerLebensqualität,istidentitätsstiftend.einsehrmarkantesbeispielfür diesenWandel ist der gesellschaftskritischeDubai-Film„CityofLight“vonaliFaisalMostafabinabdullatif,dererstmalsdieverschiedenenbe-völkerungsgruppenalsProtagonistenzeigt.erhaterstmalseineSelbstreflexionbeiderbevölkerungausgelöst–dieeigentlicheaufgabederKunst.Kolb: VielenDankfürdasGespräch.

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DemUrsprungnachspürenStefanieernstimGesprächmitHamedeshrat

berühmterteppichmitabstrahierterDrachen-PhönixDarstellung,Wolle,türkei,Mitte15.Jahrhundert(inv.-nr.i.4)©MuseumfürislamischeKunst/StaatlicheMuseenzuberlin,Foto:Georgniedermeiser

Ist Migration und Islam überhaupt ein The-ma, das in einem Comic aufgegriffen werden kann? Mit dieser Frage im Kopf lief die Su-che nach einem entsprechend arbeitenden Comic zeichner in Deutschland an. Keine leichte Aufgabe. Glücklicherweise stießen wir auf Hamed Eshrat, dessen Comic „Kaiser-schnitt“ 2009 in Frankreich unter dem Titel „Tipping Point – Téhéran 1979“ veröffentlicht wurde. Eshrat ist 1979 im Iran geboren. In Folge der politischen Umbrüche im Rahmen der Islamischen Revolution musste die Fa-milie – der Vater war Anhänger des Schahs Mohammad Reza Pahlavi und Mitglied des iranischen Nachrichtendienstes SAVAK – ins Exil nach Deutschland fliehen. Eshrat ist in Deutschland aufgewachsen, studierte an der Kunsthochschule Weißensee Kommu-nikationsdesign. „Kaiserschnitt“ ist seine Abschlussarbeit, in der er sich intensiv mit seinem Herkunftsland auseinandersetzt. In „Kaiserschnitt“ werden jene neun Monate im Leben seiner Familie dargestellt, in denen seine Mutter mit ihm schwanger war. Eine Zeit, in der familiäre Freude untrennbar mit den politischen Geschehnissen im Iran verquickt wurde.

politik und kultur: DerComic ist eine sehrautobiographischearbeit.Was hat Sie zu derGeschichte, die Sie in „Kaiserschnitt“ erzählen,bewogen?.Hamed Eshrat:inersterLiniewollteichmeinemUrsprungnachspüren.bereitsalsKindhörteichmeineMutterhäufigüberdieerlebisseausderZeitderpolitischenUmwälzungimiransprechen.alsdieZeitmeinesDiplomsanderKunsthoch-schulenäherrückte,dachteichmir,eswärenuneinguteraugenblick,ummirdieZeitzunehmenundmichauchkünstlerischmitdemthemairanundHerkunftauseinanderzusetzen.ichwolltedieGeschichtemeinerFamilieerzählen.Da icheinZeichnerbin,hatsichderComicalsausdrucksformangeboten.ZeichnengehtmirgutvonderHand.puk: ihreMotivation basiert folglich auf derergründungihrerVergangenheit.Wardiekünst-lerischeauseinandersetzungmitdemthemairaneinwichtigerpersönlicherSchrittfürSie,umsichihrerHerkunft,ihrerWurzelnzuversichern?Eshrat: DieauseinandersetzungmitdemStoffwareinegroßebereicherungfürmich.WährendmeinerarbeithabeichnatürlichvielmehrDetailsderiranischenGeschichteundsomitübermeineGeschichte,dieGeschichtemeinerFamilieerfah-ren.DurchmeineRecherchensindereignisse,dieim familiärenUnterbewusstseinwaren,wiederintensivindenVordergrundgerückt.ichbindenDingensoganzandersaufdenGrundgekommenundkonntenachbeendigungmeinerarbeiteineneigenenbzw.neuenStandpunktinbezugaufdieGeschichtemeiner FamilieundderGeschichtedesiranseinnehmen.einpaarWortezumeinemMigrationshintergrund:Mit 20 Jahren bin ich ausmeinemelternhausausgezogen.ZuhausehabenwirimmerFarsige-sprochen.Vorallemdurchdiebekanntenmeinerelternhatte icheinpaar iranischeFreunde. ichhattealsoein iranischesUmfeld, daswir auchgepflegthaben.HinzukamenvieleFreundean-dererethnien.SpäterhatteichsehrvieledeutscheFreunde,kaummehriranische.WährendmeinerStudienzeit inberlinhatte ichdannkaumnochKontaktzuiranern,dasshatsichanderUniein-fachnichtergeben.puk: Wasverbirgthinterdemtitel„Kaiserschnitt“?Eshrat: DasWort„Kaiser“beziehtsichaufdenSchah,derbis1979dasiranischeStaatsoberhauptwar.„Kaiserschnitt“alsbegriffbeziehtsichfolglichaufdieislamischeRevolution,imZugedererderSchahalsRegierungsoberhauptgeschasstundvonRuhollahChomeiniabgelöstwurde.Undschließ-lichbeziehtsich„Kaiserschnitt“aufdenPartmeinerGeburtbzw.aufdieZeit,inderichimMutterleibheranwuchs.DerComicspieltjawährendderneunMonate,indenenmeineMuttermitmirschwangerwarundendetkurznachmeinerGeburt.puk: bedauerlich,dassderComicbislangnurinFrankreichveröffentlichtwurde.alleRechercheninComicläden und Spezialverlagen bezüglichdeutschsprachigerComics, die den islamodereineGeschichte,die ineinemislamischenLandspielt,zumthemanehmen,verliefenimSande.existiertinDeutschlandansoeinerthematikkeininteresse?Eshrat: „Kaiserschnitt“isttatsächlichbislangaus-schließlichinFrankreicherschienen.allerdingsgabesvorkurzemKontaktzueinerComiczeitung,dieüberlegt,obsie„Kaiserschnitt“alsSerieabdruckt.

näheresweißichabererstimFrühjahrnächstenJahres.DerdeutscheComicmarktistsehrklein.inFrankreich,belgienunddenniederlandenistderComicsehrvielverbreiteterundgenießteinenganzanderenStellenwert. besonders indepen-dentcomics,dieernsthaftesoderautobiographi-scheszuminhalthaben,habenesinDeutschlandsehrschwer.Siegeltenalsnicht-massentauglich.einweiterer Punkt ist, dassesdenComic „Per-sepolis“vonMarjaneSatrapigab,dashatvieleVerleger inDeutschlanderstmalabgeschreckt,etwasvordergründigÄhnlichesinihrProgrammaufzunehmen.UndschließlichvertretendieVer-legeroftmalsdieauffassung,dasseineandereartderÄsthetik,diesichvonderherkömmlichenabhebt,denKäufernichtinteressierenwürde.ichbeobachte allerdings genaudasGegenteil. inbezugauf „Kaiserschnitt“ erhalte ich sehr vieleinteressierteRückfragen.besondersbeiMenschen,diesichfürGeschichteinteressieren,zeigtsicheingroßesinteresseandiesenthemen.VieleGeis-teswissenschaftlernutzendenComicalsteilihrerRecherchenunderhalten so eineganzanderePerspektiveaufihrearbeit.puk: Siesprachen„Persepolis“bereitsan.StörtSiederVergleichzuderComiczeichnerinSatrapi,dieinihremberühmtenWerkihreKindheitimiran,ihrespätereZeitimauslandunddieRückkehrinihrHeimatlandbeschreibt?Eshrat: ichhabemichdarangewöhnt.Manchmalnervtesschon.aberesisteinetatsache.„Per-sepolis“isteinsehrguterComicundzudemsehrerfolgreich.außerdemhat er einenwesentlichgrößerenUmfang; er erschien inDeutschlandzweibändig.Vielleichtsollteichesalsehrebegrei-fen,dassmeinearbeitsohäufigmit„Persepolis“verglichenwird.puk: SindSiemitdemComicmarktimiranoderinislamischenLändernvertraut?Eshrat: SoweitichweißistderComikmarktimirannichtbesondersgroß.DieComicsgehenauchineineganzandereRichtung.aufderFrankfurterbuchmessevorzwei/drei JahrensahmanzwarComicsausdemarabischenSprachraum.DiesegingenaberstarkinRichtungKinderbuch.puk: KönntenSiesichvorstelleneinenanschluss-comicüberihreanfangsjahreinDeutschlandzuzeichnen?alseineartFortsetzungsgeschichte?Eshrat: DadieFertigstellungvon„Kaiserschnitt“nunzweiJahrezurück liegt,könnte ichmirdasmittlerweilewieder vorstellen. ich habe auchmeineMutterbereits gefragt, ob sie Lust hättenocheinmalanderStellederaufzeichnungen,anderwirdamalsaufgehörthatten,anzuschließen.einzweiterComicwürdedanninetwabisindieZeitreichen,inderichalsKleinkindaufdiebühnetretenwürde.Vorherwerdeichabereinanderesbuchmachenunddannschauichmal.puk: VielenDankfürdasGespräch.

GeschlosseneGesellschaft?StefanieernstimGesprächmitLoredananemes

Viele von uns kennen sie, die türkischen und arabischen Männercafés in deutschen Städten. Die meisten von uns aber nur als Zaungäste. Die Fotografin Loredana Nemes zeigt in der Ausstellung „beyond – Berliner Männerwelten“ vertraut Fremdes. Nemes´ Schwarz-Weiß-Fotos vermitteln dem Be-trachter typische Außenansichten der Cafés sowie schemenhafte Männergesichter hin-ter einer milchigen Fensterscheibe. Dann muss das Nachdenken, das Nachspüren bei jedem Einzelnen beginnen.

politik und kultur: WiekamenSieaufdieidee,türkischeMännercafészufotografieren?Loredana Nemes:Siesindteilmeinernach-barschaft.ichlebeinneukölln,arbeiteinKreuz-berg.ichfahretäglichzwischendenStadtteilenmitdemRadhinundher.Währenddessenbe-gegneichdiesenLokalen,versuchevonaußenhineinzusehen,abermeinblickwirdgestopptdurch Scheiben und Vorhänge. Das wecktemeine neugierde. ich wollte mehr darübererfahren.ZugleichwecktendieCafésKindheits-erinnerungeninmir.Mit12JahrenlebteicheinhalbesJahrimiranunderlebteindieserZeitdieGeschlechtertrennungundlernteeineandereKulturkennen,dieichalsextremfaszinierendempfand.Dieseerinnerungaufgreifendwollteich diese Räume, in denen sich damals auchmeinVateraufgehaltenhat–währendichmit

meinerMutter in der Frauenabteilungwar –tieferergründen.puk: trotz allerneugierde sind Siemit ihrerKameravordertürgeblieben.Nemes: Zuerstbliebichganzbewusstdraußen,umdasMysterium,washinterdenScheibenist,diesovielesverhüllen,aufrechtzuerhalten.Die-sesUngewissewollteichineinFototransportie-ren.DieaußenansichtistdieoriginäreSichtdesberliners,auchausdiesemGrundbinichnichtindieCaféshineingegangen.UndletztlichistdasauchderblickderFrau,denndieseRäumesindteestuben,KulturvereineoderCafésfürMännerundsomitistdieFrauausgeschlossen.erstspäterhabeichangeklopftundbewusstgewartet,bisjemandandietürkamundöffnete.puk: Da kommt eine Frau, postiert sich voreinemMännercafémitihremFotoapparatundknipst.WiereagiertendieMänneraufSie?Nemes: neugierde war auf beiden Seitenvorhanden. ichhabemiteinerassistentinzu-sammengearbeitet. So fiel esmir leichter, indieseMännerwelteneinzudringen.alsdiebil-derentstanden,waresnacht.icharbeitetemiteinergroßenPlattenkameraausden1960ern,musste unter ein schwarzes tuch kriechen.Dasmussseltsamgewirkthaben.DieMännerkamenausdenteestubenundfragten,wasichdatue.alsZeichendesWillkommensundderGastfreundschaft wurde tee herausgebracht.Manchmal servierteman uns ein Sandwich.

Dannkamdieeinladungnachinnen.ichfolgteihrstetsgerne,sobalddieaufnahmegeschafftwar.esfolgteeinzartes,zaghaftesbeschnup-pern.DannfolgtenFragen:Wielangelebstduin berlin?Was arbeitest du? Fotografierst duprofessionell?Wofür?puk: Wie kannman sich ihre arbeitsweisekonkret vorstellen?Wie lange dauert eineaufnahme?Nemes: Meistens einen abend.Wenn eineaufnahmeausbelichtungsgründenoderähnli-chemnichtentstehenkonnte,binichaneinemzweitenabendzurückgekehrt.Wenndieaußen-aufnahmegemachtwar, fragte ichmichnachdemerstenKontakt,obicheinenSchrittweitergehenundvielleichtsogareinPorträtvoneinemderMännermachenkann.auchbeidenPorträtswollteichdenaspektdertrennungdurchdieScheibeaufnehmen,umihnindasFotozuüber-tragen.FürmichsymbolisierendieseScheibenmitallihrenMustern,diedarinenthaltensind,dieMusterinunserenKöpfen.WennicheinenFremdenbetrachte,betrachteichihnoftdurchSchematas,durchKlischees,dieinmeinemKopfbereits verankert sind. aus diesemGrund istauchdieserZyklusfürmichkeinearbeitübertürkenoderMuslime,sonderneinearbeitüberdasFremdsein,überFremdheit,eineSimulationunseresblickesundsomiteinHinterfragendes

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KanneeinesWaschgeschirrs,gold-undsilbertauschiertesMessingauseinerderüberregionalrenommiertenWerkstättenausMosul/irak,3.Viertel13.Jh.(inv.-nr.i.6580)©MuseumfürislamischeKunst/StaatlicheMuseenzuberlin,Foto:JörgP.anders

betrachters,mitallem,wasersomitbringt,wenneraufdiesefremdenWeltenschaut.puk: istihnendasFremdedurchdiearbeiteinwenigvertrautergeworden?Nemes: Gewiss.auchwennesfürmichnachwievoreinmulmigesGefühlist,beisoeinemCaféanzuklopfenundreinzugehen,dennes isteinegeschlosseneWelt.DorteinzudringenbedarfMutundKraft.ichstandinderMitteeinesRaumesundgleichzeitigrichtetensichblickevon30Männernaufmich.Männer,dievielleichtvonmeineran-wesenheitüberrolltwarenodersichfragten,wasichüberhauptwill.DasistimerstenMomenteinesehrmerkwürdigeSituation.DannfolgtdieOffen-heit,dasLächeln,dieeinladungPlatzzunehmen.Meineintentionistzuzeigen,dassesGrenzenundMauernzwischendenKulturengibt.nurwennunsdasklarist,wennwirdietatsachebejahen,kön-nenwirdietrennungüberhauptangehen.Dennwennwirsienegieren,machenwirunsetwasvor.esgibt dieandersartigkeit. Sie ist bereichernd.indemeinheitlichmachenstecktimmeraucheinVerlust. Leider istmit der andersartigkeit,mitderFremdheit,auchhäufigangstverbunden.indemMoment,indemmaneinenSchrittmacht,umauseinemfremdenterritoriumeinvertrauteszumachen, indemmanesschafft,hinterdieseScheibezugucken,beginntman,dasindividuum,dasdurchdieScheibeverhülltist,auchzusehen.DannweichtdasSchemata,weichtdasMusterundentdecktwerdenkanndereinzelne.puk: Gabessoetwaswieeineindrücklichsteserlebniswährendderarbeit?Nemes: beeindruckendwarimallgemeinendasVertrauen,dasdieMännermirentgegengebrachthaben.esrührtmichnachwievor.Denndietat-sache,dasssiesichofthabengesichtslosabbildenlassen,dasssiemirvertrauthaben,obwohl ichmanchmalfastnurnochFratzenvonihnenübriggelassenhabe,hatmichsehrangerührt.GleichesgiltfürdieWeichheit,diesiegezeigthaben.Mein

GegenüberwarnichtderMachomann,sondernjemand,dermeinenanweisungenfolgteundfüreinbildstillhielt.puk: Kennen ihreModellediebilder deraus-stellung?Nemes: Vondenhiergezeigtenwarniemandaufdereröffnung.esistdefactoschwer,dasssichdieseWeltenmischen.ichhabevielenderPorträtiertenFotosgebracht.DieFotografiere-duziert.Schwarz-weißnochmehr.Dazukamendie Sichtschutzvorrichtungen vor denGesich-tern,dieeinegewissebefremdlichkeitauslösten.Vielewarenganzstill,einersagte„Kunsthalt“.ein anderermeinte, nachdem er sehr langeseinbildbetrachtethatte,damitmüsseererstmal klar kommen.Das fand ich sehr ehrlich,schließlichhabeichihnendieGesichtergeraubt.puk: Weilsiesichselbstvielleichtniesosehen.Nemes: Dergebrocheneblickkontakt,derin-dentitätsraub,derstattfindet,mitdemHinweis,dassdahinterdochjemandist,verunsichert.DiePorträtstragenalledieVornamenderMänner.Dasistsehrwichtig,denndienamensignalisie-ren:daisteinKemal,einÜnalodereinMehmet.Vielleichtlebterschonlangehier,vielleichtisterhiergeboren,vielleichtkämpfterundversuchtanzukommen.alldaskönntedahinterstecken,alldaswissenwirnicht.Wieauchimmer.esisteinLeben,dasdefinitivhierinberlinstattfindet.inmeinernachbarschaft. Hinter jeder dieserScheibenstehteinmirfremderMensch.puk: VielenDankfürdasGespräch.

Dieausstellung„beyond–berlinerMännerwel-ten“istvom19.november2010bis20.Februar2011imMuseumneuköllnzusehen.am21.Januar um19Uhrwird isabella Kroth aus„Halbmondwahrheiten“lesen.am20.Februarum16UhrwirdLoredananemeszurFinissageüber ihrearbeit sprechen.Zurarbeit ist einKatalogimHatjeCantzVerlagerschienen.

aufgeklärteislamophobieDasislambilddeutscherMedien/VonKaiHafez

Das Interesse deutscher Massenmedien am Islam erwachte während der iranischen Revolution von 1978/79. Die Islam-Bericht-erstattung in deutschen Massenmedien beschränkte sich vor diesem Ereignis weit-gehend auf Randerscheinungen, z.B. die jährlich wiederkehrende Berichterstattung über den Ramadan oder die Pilgerfahrt. Erst die Islamische Revolution des Ayatollah Khomeini im Iran änderte dies schlagar-tig und ließ den Islam zu einem weltweit beachteten Medienthema werden, was er bis heute ist. Mit dieser Entwicklung einher ging allerdings auch zwangsläufig eine starke Politisierung des Islambildes, und, was man als Hauptproblem der derzeitigen Situation betrachten kann, eine Verengung der Themenauswahl, die wie bei fast keinem anderen Thema mit Fragen der Gewalt in Verbindung gebracht wird. Ungefähr jeder zweite Artikel oder Beitrag über den Islam thematisiert diese Religion im Kontext kör-perlicher Gewalt.

Gewalt tritt in verschiedener Formauf, alsterrorismus,alsfamiliäreGewalt,alsGewalt

gegenFrauenoderalsethnischreligiöseGewalt,die dieDemokratie durchnichtakzeptanz desGesetzes gefährdet (Stichwort „Parallelgesell-schaften“). KeinWunder also, dass die demo-skopischenUmfragen,diewirhaben,aufeinewachsendeangstvordemislaminDeutschlandverweisen.imbereichderauslandsberichterstat-tung,alsoderberichterstattungüberdiesoge-nannte islamischeWelt, sinddienegativwertederberichterstattungdurchdieFokussierungaufGewaltkonfliktesohochwiesonstnurimbereichderKriegs-undKrisenberichterstattung.Diethe-sevom„Feindbildislam“istmeineserachtensmitdenMethodenderempirischenSozialforschunghinreichendbelegtworden.DasHauptproblemistdabeinichtdasberichtenüberGewaltundRe-pressionansich,sonderndievölligeFixierungaufdiesesengethemenspektrum.Problematischistalsoweniger,worüberberichtetwird,alsworübernichtberichtetwird.esgehtnichtdarum,realegesellschaftlicheMissstände zu verniedlichen,aber ich fordere zu einemnachdenken überdie Proportionendes islambildesauf.DieGe-waltfixierungdesmedialenislambildesistnichtnureinProblemdesboulevardsektors,sondernerfasstingleichemMaßeauchdieseriösenMe-dien.GanzimGegenteil,dieeherkurzfristigen

aufmerksamkeitsspannen des boulevards sindhäufiggeradezuangenehmimVergleichzuderpermanenten und seit Jahrzehnten bestehen-den Fixierunggroßer seriöserMedienauf dasFeindbildislam.DabeiistderislamimengerenSinnedertheo-logie,desreligiösenKultusundRituskaumiminteressedeutscherMassenmedien.Wennmansichdieberichterstattungüberdenislamindenletzten zweibisdrei Jahrzehntenanschaut, sokönntemanfastdeneindruckbekommen,derislamseikeineReligion,sonderneineFormderPolitikundderpolitischenideologiederGewalt.einfachetheologischetatbestände,wieetwadietatsache,dassJesusChristusimislamalsProphetundVorgängerMohammedsbetrachtetwird,sindinderdeutschenÖffentlichkeitundGesellschaftdenallermeistenMenschenunbekannt.Dieseseine beispiel allein zeigt das totale VersageneinersichaufklärerischgebendenÖffentlichkeitbei der Vermittlung nichtchristlicher religiöserinhalte.Hiergeht esdem islamübrigensnichtandersalsdemJudentum,dasebenfallsinseinerreli-giösenundkulturellenSubstanzweitauswenigerindenMedienpräsent ist,alsalsHintergrundderhistorischenaufarbeitungdesHolocaust.esist deswegennicht verwunderlich, dass ignatzbubis,derfrühereVorsitzendedesZentralratesderJudeninDeutschland,imJahr1999,kurzvorseinemtod,erkannte,dassdasheutigeislambildihninvielerleiHinsichtandasfrüherebilddesJudentums im19.und frühen20. Jahrhunderterinnert.DieMassenmedienleistenwenigbeiderVermittlunginterreligiöserbildung,dasiesichzusehralsSachverwalterengerundengsterpoliti-scherundsozialerKonfliktstoffeverstehen.DabeimachtdieGeschichtederJudeninDeutschlandeines klar: eine einseitige integrationsleistungeinerreligiösenMinderheitnütztnichts,wenndieMehrheitnichtebenfallslernbereitist.einweiteres ProblemderMedienberichterstat-tung ist die bildsprache, die neben dem textvon besonderer,möglicherweisewachsenderbedeutungineinerZeitzunehmenderbildmedienist. immerwiederkehrend sind etwa folgendeimpressionendesislams:Schleier,Massenfoto-grafienvorallemvonMekkaundvonDemons-trationen,Koran,KinderundKalaschnikows,diePrachtbauten des arabischenGolf, islamischeSchlachtrituale undGeiselprozessionen ausdemiran.DiesistkeinezufälligeZusammenstel-lung, sondern die vorgenannten bildelemente

entsprechen exakt den bildern, die der Sternjüngst ineinerSonderausgabeüberdenislamaneinanderreihte.SeitderiranischenRevolutionzeigtnichtnurdiesesbildmediumeinekonstantebilderwelt, es sind die grundlegend gleichenbilder,dieauchschondieberichterstattungüberdieiranischeRevolutionbeherrschtenunddieinihrerGesamtheittotaleFremdheitsuggerieren.Wie ein positiver Schockwirken da vereinzeltpublizierteFotoswie jüngst vonverschleiertenFrauenmitdeutscherFahnewährendderFuß-ballweltmeisterschaft. insgesamt aber ist diebildsprachederMediensymbolischüberfrachtetundohnedokumentarischenanspruch.Das deutscheMedienbild des islamswird voneliten und vonGegeneliten beherrscht. es istzumeinenbeklagenswert,weilderbürgeroderdie „schweigendeMehrheit“ außen vor bleibt.esistallerdingsnormalfüreinenJournalismus,der ansprechpartner braucht und auf aktiveGesellschaftskräfteangewiesenist,umeinenta-gesjournalismuszubetreiben,dernichtinjedemeinzelfall investigativen tiefgang haben kann.interessantistallerdingsdieZusammensetzungderakteure.indernah-undMittelostberichter-stattungdeutscherPrintmedienetwadominierenStaatsvertreter und ihreGegenspieler, die ra-dikalenislamisten.beiderFragedesislamsinDeutschlandundauchbeiderbewertung vonnah-undMittelostentwicklungenindeutschenMedien ist dasbildallerdingsdiverser.nebenkonservativenislamvertretern,deutschenislam-organisationen und fundamentalen islamkri-tikern,wiederHolländerinHirsliali, kommenauchvieleandereStimmenzuWort.VorallenDingenbeimthemaislaminDeutschlandhabenesdiedeutschenMedienalsodurchausgeschafft,innerhalbdernachwievor sehrbeschränktenGewalt-undRepressionsagendarelativvielak-teureinsbootzuholen.Dies entspricht einer relativ normalenGesell-schaftsentwicklung, die nachmehrerenGe-nerationen der einwanderung und durch dieDiversifizierung akademischer ausbildungenpartikulareÖffentlichkeiten erzeugt, die denMedienalsGesprächspartnerdienen.allerdingssindauchdiesehäufigtatsächlichsehraufgeklär-tenÖffentlichkeitsakteurevielfachgezwungen,sichdemeinseitigenGewalt-undRepressions-interesse derMedien thematisch zu beugen.DieSkandalisierungdesislambildeserfolgtalsoeherdurchdieartderthemensetzungalsdurchdieGesetzedes Polit-talks oderdurch falsche

experten.Die deutscheÖffentlichkeit hat sichhierausmeinerSichtindenletztenJahrzehntendiversifiziertundentwickelt.Diesschließtnichtaus,dass ineinzelfälleneinHangderMedienbesteht,radikalePositionen,z.b.radikaleislam-predigeroderauchislamkritiker,zubevorzugen,umkünstlichKontroversenzuerzeugen,dieeinenKulturkampfsuggerieren,dermöglicherweisediealltagsrealitätgarnichtadäquatwiderspiegelt.DeutscheMassenmedien sollten sich in jedemFall bemühen, ihre informationsquellen zuer-weitern.DerdeutscheJournalismusist,wasdenislambetrifft, inweitenteilennoch immerein„abschreibejournalismus“. Journalisten schrei-benvonnachrichtenagenturenodervoneinan-derab.VondenReportagenundberichteneinerdurchausbegrenztenanzahlvonauslandkorre-spondenten abgesehen, verfügt der deutscheJournalismus über viel zuwenig authentischeQuellen inder islamischenWelt,dieernebendemüblichenMaterialwestlichernachrichten-agenturenindietäglichearbeiteinbringt.OhneadäquateQuellenundGesprächspartneraberführenwirkulturelleSelbstgesprächeundsindmitverantwortlichfürdasentstehenvon„paral-lelenÖffentlichkeiten“.Damitwirunsnichtfalschverstehen:esgibtimdeutschen Journalismus viele guteartikel undeinzelne Radio- und Fernsehsendungen.auchvieleKritikerdesFeindbildesislamkommenzuWort.aberanderthematischenGrundstrukturundandernachhaltigenausrichtungderMedien-beachtungaufdenGewaltkomplexhatsich imLaufederletztenJahrzehnteweniggeändert.DasislambilddeutscherMedienähneltheuteeinerart„aufgeklärterislamophobie“.SolangeaberdieMenschentagtäglichmiteinemnegativbilddes islamskonfrontiertwerden,helfenappelleanRespektundtoleranzwenig,weildieagendades islamophobenDenkens alles überwiegt.MansolltedieWirkungvonMassenmediennichtüberschätzen,sieprägenebennichtdieidentitätdesMenschen,abersieprägenimhohemMaßedasbild,dassicheinMenschvoneinerFremd-gruppemacht,sodassvoneinerausbalancierungdesMedienbildessicherpositiveimpulsefürdensozialenFriedenzuerwartenwären.

DeRVeRFaSSeRiStinHabeRDeSLeHR-StUHLSKOMMUniKatiOnSWiSSenSCHaFtMitSCHWeRPUnKtVeRGLeiCHVOnMeDienSySteMenanDeRUniVeRSitÄteRFURt

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SeriöseundkompetentebrückezurislamischenWeltDasOnline-MagazinQantara.de/VonLoayMudhoon

Der epochale Bewusstseinsschock als Folge der verheerenden Terroranschläge vom 11. September 2001 führte dazu, dass deutsche und europäische Eliten die Notwendigkeit der Verbesserung und Vertiefung des Kul-turdialogs zwischen Europa und den isla-misch geprägten Ländern erkannt haben.

UndsostandimMittelpunktderbündelungdeutscherundeuropäischerKulturaktivitä-

ten das gemeinsameZiel, die Kulturarbeit als„dritteSäule“deraußenpolitik(Willybrandt)zufestigenundalseffektivesDialoginstrumentein-zusetzen.DahinterstecktsicherlichdieVorstel-lungvonKulturalsfriedensstiftenderMaßnahme.Sie soll angesichts derWarnungen vor einem„KampfderKulturen“Konfliktentschärfendundvorbeugendwirken.Und in der tat: Die terroranschläge des 11.September2001habenmerklichzueinerinten-sivierungdesKulturdialogszwischeneuropaundvielenislamischgeprägtenLändernbeigetragen.VorallemdieMobilitätvonpolitischenundge-sellschaftlichenentscheidungsträgern,aberauchMultiplikatorenwieJournalisten,KünstlernundWissenschaftlernistgestiegen,wasdazugeführthat,dasszahlreicheeuro-islamischenetzwerkeundKommunikationskanäleindenletztenJahrenentstandensind.ausdiesemGrunde ist esnaheliegend zube-haupten:Wäre der 11. September 2001nichtpassiert,hätteesdasOnline-Magazin„Qantara.de–DialogmitderislamischenWelt“wohlniegegeben.DennnachdenterroranschlägenvonnewYorkundWashingtonsuchtemanverzwei-felt nach erklärungenundHintergründen, dieoftmalsmedialanderOberflächeblieben.StattfundierteninformationenmachtenStereotypendie Runde, von einer „achse des bösen“, vomunvermeidlichen„KampfderKulturen“undsogar„islamo-Faschismus“warschondieRede.Schlag-zeilen,dienichtgeradezurVerständigungzwi-schendenVölkernbeitrugen–Populismusstattaufklärung.Dieseereignissemachtendeutlich,wiegroßdasWissensdefizitwar,dasdieislami-scheunddiewestlicheWeltvoneinanderhatten.Zudemwird tatsächlich in denmeistenMain-stream-Medien dieDebatte über „den islam“emotional überladenund kaum sachorientiertgeführt.OftmalswerdeauchnichtausreichendzwischendemislamalsReligionunddemisla-mismusalspolitischerideologieunterschieden.GeradeinderaktuellenDebatteüberintegrationwirdinderRegelethnisiertundpolarisiertstattinformiertunderklärt,allenvoranvonJourna-listendersogenanntenbürgerlichenLeitmedien.

Interkulturelles Medium für diskursive Deeskalation

aufinitiativedesdeutschenaußenministeriumswurdedaherdas„Qantara.de“-ProjektinsLeben

gerufen,einOnlineportal,dasdenDialogzwi-schenOrientundOkzidentinhintergründigerund reflektierterWeise fördern sollte – eininformationsportal jenseits desmedialen, ta-gesaktuellenMainstreams,aufdemMeinungenund Stimmen aus der westlichen Staatenge-meinschaft ebenso vertreten sein solltenwieausderislamischenWelt.GemeinsameGrün-dungsträgerdesProjektswarendieDeutscheWelle,diebundeszentralefürpolitischebildung,dasGoethe-institut und das institut für aus-landsbeziehungen.DasDialogangebotstarteteam13.März2003undwurdezunächstinenglisch,arabischundDeutsch angeboten. anfang 2007 kam einetürkischeundimJuli2009eine indonesischeSprachversionhinzu.DasarabischeWort„Qantara“bedeutetbrü-cke.DiesernameistzugleichProgrammundsoll deutlichmachen, dass das fünfsprachigeOnline-MagazininersterLiniezumDialogmitder islamischenWelt beitragenwill.Mit fun-diertenHintergrund- undDebattenbeiträgenzu Politik, Gesellschaft und Kultur aus demeuropäisch-islamischenKontextwillQantara.deVorurteileundWissenslückenüberdieanderenKulturenschließen.DabeivermeidetQantara.dejeglichenPaternalismusundmöchtekeinebestimmteSichtweisevorgeben,sondernstehtfüreineKulturderDeeskalation–das istdieHauptaufgabevonQantara.de.

Pluralität der Meinungen

DurchdieverschiedenenHintergründederau-torengelingtesQantara.de,GemeinsamkeitenundUnterschiedeaufzuzeigen.Dabeiwerden

auchstrittigethemen,wiedie„eU-tauglichkeit“der türkei oder dieModernisierungsdebatteinnerhalbdesislamsnichtausgespart.ergänztdurchinterviewsmitpolitischenPersönlichkei-ten,Dossiers zuaktuellenthemenundFoto-DokumentationenbietetdasFachportalsoeinvielschichtigesangebotaninformationenundPositionen.

Die Spreu vom Weizen trennen

DerislamwissenschaftlerMichaelKieferschreibtüberQantara.de:„Qantara.demussimdeutsch-sprachigen internet in seiner Sparte zu dentopadressen gezählt werden. DasWebportalbietetdurchweghochwertigeundausgewoge-neHintergrundinformationen undDebatten-beiträge zu allenwichtigen zeitgenössischenislamthemen. besonders zu empfehlen sinddieumfangreichenDossierszudenkontroversdiskutierten islamthemen: Kopftuch, FrauenimislamoderReformislam.besuchererhaltengeradehiereinenaktuellenundumfangreicheneinblick,deraufverzerrendeVerkürzungenundtendenziöseDarstellungenverzichtet.Qantara.deeignetsichvorallemalsRechercheinstrumentfürLehrerinnenundLehrer,dieHintergrundin-formationenfürdenFachunterrichtsuchen.“essindehrgeizigeZiele,diediesesmehrspra-chigeGemeinschaftsprojektauchbraucht,damitesöffentlicheGelderbekommt.inzwischenistQantara.deeinetopadresseimweltweitennetzundeineseriöseQuelle fürHintergrundinfor-mationzunahezuallenrelevantenislamthemenundhatsichalsunabhängiges,interkulturellesDialog- und Kontroverseportal etabliert. in

FachkreisenundbeiMultiplikatorenimeuropä-ischenwieimislamischenRaumgenießtQan-tara.dehohesansehenundwirdregegenutzt.Heute ist Qantara.de ein Projekt der Deut-schenWelle,andemauchdasGoethe-institut,das institut für auslandsbeziehungen unddie bundeszentrale für politische bildung alsPartner beteiligt sind. Über 130 autoren ausdem europäischen und islamischen Kultur-kreis liefern die redaktionellen beiträge fürdasOnline-Magazin. Zu den redaktionellenKooperationspartnern gehören die panarabi-sche tageszeitung „al Hayat“ das englischeOnline-Magazin„OpenDemocracy“sowiedasmehrsprachigeinternationaleMeinungsmaga-zin„ProjectSyndicate“.angesichtdertatsache,dasssowohlinnahezuallen islamischen Ländern als auch imWes-tenwenigWissen über den jeweils anderenherrscht, dafür aber umsomehr VorurteileundVoreingenommenheit,dürfteQantara.dezuderenabbauentscheidendbeitragen.DaswurdeauchvonderJuryderCivis-Medienstif-tunghonoriert,dieQantara.defürdenCivis-Medienpreis2010fürintegrationundkulturelleVielfaltineuropanominierte:„einernsthafterDialogmitder islamischenWelt – seriösundkompetent“,heißtesinderbegründung.

DeRVeRFaSSeRiStReDaKtiOnSLeiteRVOn„QantaRa.De–DiaLOGMitDeRiSLaMiSCHenWeLt“.aLSPOLitiK-UnDiSLaMWiSSenSCHaFtLeRLeHRteRZUDeManDeRUniVeRSitätKöLn

www.qantara.de

nafasKunstmagazinaktuelleKunstvomMaghrebüberdennahenOstenbisSüdostasien/VonGerhardHauptundPatbinder

Wer sich heutzutage über das aktuelle Kunstgeschehen im Nahen Osten und anderen islamisch geprägten Regionen informieren möchte, stößt unweigerlich auf das Online-Kunstmagazin Nafas. Es wird seit März 2003 vom Institut für Auslands-beziehungen (ifa) in Kooperation mit dem Webportal Universes in Universe herausge-geben. Nafas startete also lange vor dem Einsetzen des Medienhypes um diese Kunst und hat deren Entwicklung in den letzten acht Jahren kontinuierlich begleitet und dokumentiert.

Zumhohenbekanntheitsgradvonnafasträgterheblichbei,dasseskomplett inDeutsch,

englischundarabisch erscheint.DasMagazinerreichtsowohlwichtigeMultiplikatorendesin-ternationalenKunstgeschehensalsauchKünstler,Kunstexpertenund ein interessiertes Publikumin der arabischenWelt,wo es an zahlreichenSchulenundUniversitäten fürdenKunstunter-richt genutztwird.Dank der vielenabbildun-gen (derzeitüber5.400) istnafasbestensalsLehrmaterialgeeignet.SeineSeitenwerdenproJahrmehrals1,1Millionenmalvonca.250.000verschiedenenComputernausbesucht,über40ProzentderbesuchekommendirektausLändern

derislamischenWelt.Da innafas ein breites Spektruman themenund lokalenSzenenvertreten ist,werdenvieleinteressentengruppenangesprochen.DaszeigtschoneinblickaufdieStartseite,aufder jetztgeradedieseneuenbeiträgezufindensind:eineGruppenausstellunginbahrainzumKonzeptvonSpracheundzurGefahreinerMarginalisierungarabischerKulturinderGolfregion;eineausstel-lungund interventionen imöffentlichenRauminamman;dieVorinformationzumarabischenMuseumModernerKunst(Mathaf)inKatar,überdasnafasnacheinereinladungzurVorbesichti-gungendeDezember2010ausführlichberichtenwird;ReflexionenzueinemSymposiuminKairoüberarchiveundandereStrategiender[Re]ak-tivierungkulturellererinnerung;eineausstellungüberJerusalembeiderLiverpoolbiennaleunddie4.JerusalemShowinderStadtselbst;Sela-sarSunaryo–einerderwichtigstenKunsträumeindonesiens;einFestivalzeitgenössischerKunstin der altstadt von tunis; neue arbeiten vonFotografinnen und Fotografen im Jemen; ak-tuelleKunstausZentralasieninKirgisistan;eininterviewmit derGeneraldirektorin derCasaÁrabeinMadrid.alle innafas veröffentlichtenartikel (imDe-zember2010warenes360)undinformationen

bleibenineinemnachSektionenundLänderngeordnetenarchivpermanent zugänglich.au-ßerdemgibteseinenindexallerKünstlerinnenundKünstler,zudenenbeiträgeoderzumindestabbildungenmitdazugehörigenerläuterungenerscheinen. aus den Regionen, auf dienafasfokussiertist,sindesjetztüber1.150,immermitdirektenLinkszudenjeweiligenSeiten.DarüberhinausbieteteinKuratorenindexdenZugangzusämtlichen kuratorialen Projekten, über die innafasundUniversesinUniverseberichtetwurde.DasOnline-MagazinentstandaufinitiativederdamaligenLeiterinderabteilungKunstdesifa,UrsulaZeller,alseinbeitragzumeuropäisch-islamischenDialog,dernachdenanschlägenvom11.September2001neudefiniertundbe-lebtwurde.Dasiediebereitsseitanfang1997veröffentlichteWebsiteUniverses inUniverse(UiU)fürdievisuellenKünsteafrikas,asiensundLateinamerikasiminternationalenKunstkontextkannte,beauftragtedasifaderenHerausgeber,Pat binder undGerhardHaupt,mit der ent-wicklungeinesnachhaltigenKonzepts für einWebprojektzurKunstderislamischenWelt.SokonntenSynergieeffektesowohlfürdieinhaltedesneuenOnline-MagazinsalsauchfürdessenVerbreitungüberdasbereitsetablierteweltweitenetzwerk vonUiU genutzt werden, und das

neue Projekt wurde schnell zu einer Schalt-stellezwischen lokalenKunstszenen islamischgeprägter Länder und dem internationalenKunstbetrieb.Wiegutdiesfunktionierte,zeigtesichgleichamanfang.alsbinderundHauptimapril2003zurSharjahbiennaleeingeladenwaren, um diese im Rahmen der biennalen-SektionvonUiUzudokumentieren,konntensiedortdaszweiWochenzuvorgestarteteOnline-Magazin vorstellen,woraus enge Kontakte inderGolfregionentstanden.Gerade in den ersten Jahrenmusste immerwiedernachdrücklichbetontwerden,dassesindiesemMagazin(daszunächstuntereineman-derentitelerschien)nichtum„islamische“Kunstgeht, sondern um individuelle Positionen vonKunstschaffenden,dieausislamischgeprägtenLändernundRegionenstammenunddortihrekulturelleHeimatbzw.wesentlicheausgangs-undbezugspunkteihresSchaffenssehen,egalobsieMuslimesindodernicht.Dieserideeistdertitel„nafas“verpflichtet,dergeradedeshalbgewähltwurde,weildasWortetymologischengmitderexistenzdeseinzelnenverbundenistundsicheinigeseinerableitungenunmittelbaraufdaskreativeSchaffenübertra-

DickHiggins:„Symphonieno.48“,1969.FolgevondreimitFarbebesprühtennotenblättern:1st-3rdMovement:allegroVivace–andanteSpicatto–allegroGrandioso.GezeigtinderausstellungtaSWiR.©neuesMuseuminnürnberg(annetteKradisch)

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Fortsetzung von Seite 26

genlassen.außerdemhat„nafas“inarabisch,Farsi,Urdu,Malayoderindonesischannähernddiegleichebedeutung:atem,atemzug,Hauch.eineabwandlunggleichenUrsprungsistdastür-kische„nefes“.DasWorterscheintinvielfältigenKombinationenundnuancen.SokannnafasimSinnevon„einenlangenatemhaben“auftretenund auch eine erfrischende brise bezeichnen,etwas dasQualen lindert.Wenn jemand be-

stimmte tätigkeiten besonders gut verrichtet,z.b. hervorragend kocht, heißt es, er oder siehättenafas–talent,einebesondereart,einenpersönlichenStilaufdiesemGebiet.DieWurzeldesWortes ist nafs,was imarabischenSelbstoderSeelebedeutet.besonders interessiert die Herausgeber vonnafas,wieKünstlerinnenundKünstlermit ih-ren spezifischenMitteln auf gesellschaftlicheVerhältnisse und alltägliche Lebensumständereagieren,wiesiediesekritischreflektieren,wie

ästhetische und politisch-sozialeDimensionenineinander greifen,wie nach Kunst- undGe-sellschaftsmodellen gesuchtwird, die eigenenansprüchengerechtwerdenkönnten,undwelcheexperimentellen Kunstpraktiken dabei genutztundentwickeltwerden.DiebasisdesProjektsisteinedirekteZusammen-arbeitmit denakteuren des Kunstgeschehensselbst,umdasesinnafasgeht,sowiemitSpezia-listeninallerWelt.aufdieseWeiseentstandüberdasOnline-Magazinhinauseinriesigesnetzwerk

persönlicherKontakte.außerdemkooperiertna-fasimmerwiederauchdirektmitwichtigenKun-stinstitutionenwiez.b.derLondonertatebritainundtateModernbeimSymposiumContemporaryartintheMiddleeastanfang2009.

DieVeRFaSSeRVeRantWORtenDaSKOnZePtUnDDieReaLiSieRUnGDeSnaFaSKUnSt-MaGaZinS

http://universes-in-universe.org/deu/nafas

MedienmacherinmitMigrationshintergrundStefanieernstimGesprächmitSinebelMasrar

Sineb El Masrar ist Herausgeberin von „Ga-zelle: Das multikulturelle Frauenmagazin“. „Gazelle“ ist eigenfinanziert und erscheint seit 2006 zweimal jährlich in einer Auflage von 12.000 Exemplaren. El Masrar selbst ist in einem Dorf nahe Hannover geboren, ihre Eltern stammen aus Marokko. Vor kurzem erschien ihr erstes Buch, das den Titel „Mus-lim Girls“ trägt. puk sprach mit der jungen Herausgeberin und Autorin über Multikulti, Bedürfnisse von Frauen in Deutschland und über notwendige Veränderungen innerhalb der Medienlandschaft.

politik und kultur: FrauelMasrar, Siegeben„Gazelle“, einmultikulturelles Frauenmagazinheraus.ändernSiedennamen,jetztwoMultikultitotgesagtwird?Sineb El Masrar:Momentanarbeitenwir aneinemRelaunchdesMagazins.indiesemZusam-menhanghabenwirunsdieFrage,wiewirmitdemUntertitel zukünftig verfahren, tatsächlichauchselbstgestellt.LangfristigbetrachtetwerdenwirdenUntertitelwohlweglassenoderändern,wasabernichtalsReaktionaufdieaktuelleDe-battezuverstehenist.Vielmehrversuchenwir,die„Gazelle“durcheinenanderenUntertitelbesserimZeitschriftensortimentzupositionieren.Diedamaligeentscheidung,denbegriffmultikul-turellindenUntertitelaufzunehmen,wurdevonmir sehr bewusst getroffen.Mirwar klar, dassmultikulturellerstmalnichtmitKonsumfreudeineinklangzubringenzuseinwird.GleichzeitigisteinFrauenmagazinohneKonsumfreudebeidenLeserinnenabergarnichtdenkbar.DurchdiesenscheinbarenWiderspruchwollteichzeigen,dasseinFrauenmagazin,dassichmultikulturellnennt,sehrfacettenreichistundauchsehrästhetischseinkann.DerbegriffunddiedamitverbundeneWi-dersprüchlichkeithatmirdamalsdiegewünschteöffentlichkeitverschafft.Daswareinereinstrate-gischeentscheidungzuVerkaufszwecken.puk: ist die „Gazelle“ inerster LinieeineZeit-schriftfürMigrantinnen,odernochspezieller,fürMuslimGirls,wieSiesieinihremaktuellenbuchbeschreiben?El Masrar:UnsereGesellschaft umfasst vieleKulturen,istalsomultikulturell,unddie„Gazelle“bildetdieseLebensrealitätab.indiesemSinneist„Gazelle“eindeutschesFrauenmagazinfürdeut-scheFrauen.einteildieserFrauenbesitzteinenMigrationshintergrund.DieseZusammensetzungderGesellschaftspiegeltsichinderZusammen-setzungunsererRedaktionund inden inhaltenderHeftewider.Wir versuchen sehr vielfältigeundüberraschendetextezuliefern,diesichvondenanderen,weniger textorientierten Frauen-zeitschriftendeutlichabhebenundkönnensoaufdemMarktauchbestehen.„Gazelle“richtetsichanFrauen,dieeinenhohenanspruchanQualitäthaben,sehrgernelesenunddiemehrerwartenalsHochglanzbilder.puk: Zielgruppeistdaseine,dietatsächlichenLe-serschaftetwasanderes.erreichenSietatsächlicheinenbreitenKreisvonLeserinnen?El Masrar:WennSieunsereausgabendurch-blätternstellenSiefest,dasswirvieleislamischethemenaufgreifen,ohnedabeiein islamischesMagazinzusein.UnsereLeserinnenstammenausderganzenWeltbzw.stammenausganzunter-schiedlichenHerkunftsländernundKontinentenwienord-undSüdamerika,asien,Osteuropaoderafrika.DazukommteingroßesinteresseinnerhalbeineroriginärdeutschenLeserschaft.puk: einMagazinwiedie„Gazelle“existiertezuvornicht.SehenSieaufdemdeutschenZeitungsmarkteinengroßernachholbedarf?El Masrar:LangfristigmüssendieanderenMe-diennachziehen.aufgrundderdemografischenentwicklungwirdeinMigrationshintergrundimmergewichtigerwerden.Deshalbgibteseinenbedarfnachanderenblickwinkelnundanderenthemen.Wennmandiese real existierendeaber viel zuwenig berücksichtigte Käuferschicht langfristigbindenwill,mussmanauchaufihrebedürfnisse

eingehen.ausdiesemGrundemüssensichalleMedien – vondenMagazinen, überdas RadiobishinzumFernsehen–zukünftigöffnen,sowohlwas die Zusammensetzung der Redaktion alsauch die themenauswahl anbelangt. es klingthochtrabend,aberdie„Gazelle“istdenanderenMediendiesbezüglichumeiniges voraus. erstegrößereVeränderungenwerdenvonRegisseurenund SchauspielernmitMigrationshintergrundangestoßen,dieeinebessere,aufdieVielfaltderbevölkerung zugeschnitteneMedienlandschaftfordern.Siebringensich immerstärkereinundsetzenneue,kreativeakzente.DieMedienland-schaftwirdsichzudemausreinwirtschaftlichenGründenverändernmüssen.puk: Sie sprachen davon, dass sichMedienkünftigbreiteraufstellenmüssenunddiesauchtunwerden, um die interessen und belangevoneinerwachsendenZahl vonMenschenmitMigrationshintergrundzuberücksichtigen.Solltehierdievon ihnenprognostizierteVeränderungeintreten,verliertdie„Gazelle“allerdingsihrbis-herigesalleinstellungsmerkmal.besorgtSiedasnichtinsgeheim?El Masrar:Damache ichmirwenig Sorgen.SchließlichkonntenwireinegewisseLeserschaftbereitsfestanunsbinden.Zudemisteshierzu-landeimmerproblematisch,wenneinMediumeinanderes kopiert. Solche „nachgemachten“Ma-gazinehaltensichoftnichtlangeaufdemMarkt.bis„Gazelle“ingroßemMaßeKonkurrenzhabenwird,wirdnocheinigeZeitvergehen.besorgtbinichdaschoneherumdieWeiterfinanzierungdesMagazins.Wir sindmit der „Gazelle“ vielleichteinwenig zu frühauf denMarkt getreten.Wirfinanzierenunsüberanzeigen.Leidersindvieleanzeigenkundennochnicht flexibelgenug. ichgebe ihnen ein beispiel:WennHersteller vonHaarglättern in ihrenWerbeanzeigen blondeFrauenmit glattemHaar zeigen, statt braungelockteFrauen,danngehtdieseWerbungdocheindeutigandertatsächlichenZielgruppevorbei.Wozu sollte eine blondinemit glatten langenHaareneinGlätteisenbenötigen?beiWerbungfürepiliergeräteerkennenSiedagleicheMuster:Frauenmiteherdunkleremtypsuchtmanhiervergebens.Dapasstdochwasnicht.DieWerbungimauslandspiegeltdiegesellschaftlicheVielfaltübrigensvielstärkerwiederundistbedürfniso-rientierteralsinDeutschland.türkischsprachigeMedien zumbeispielwerden sehr vielwenigervonderzweitenunddrittenGenerationgekauft.esbestehtalsoeingroßerbedarfaneinemaufdierealexistierendeGesamtbevölkerungzugeschnit-tenenMedium.puk: Leistetdie„Gazelle“einenbeitragzur in-tegration?El Masrar: in einerausgabedes Jahres2007habenwireinenbeitragübereinevollverschleierteFrau inDeutschlandgebracht.alle redenüberdieseFrauen,aberniemandredetmitihnen.DurchdenartikelwolltenwirzuGesprächenanregen.Die Leser sollten durch das interviewmit derniqab-trägerinneueserfahrenundzumnach-denkenangeregtwerden.UnsereFragenzieltendaraufab, jedem reflektierten Leserdurchdasinterviewgenügendinformationenzubieten,umsicheineigenesbildmanchenzukönnenundbeieinersichbietendenMöglichkeitaufeinesolchver-schleierteFrauzuzugehenundmitihrinsGesprächkommenzukönnen.DennletztendlichistdaseineFrau,diewie jedeandereauch ihr Leben lebt.einige Leserdes interviewswaren irritiert, dasswirdieFraunichtverurteilthaben.aberweshalbsolltenwirdastun?eineneutraleberichterstattungbedeutetjanicht,dasswireineVollverschleierunggenerellbefürworten.SchließlichsehenauchvieleMuslimedenGanzkörperschleieräußerstkritisch.ZumalerkeintraditionellesKleidungsstückehe-maliger„Gastarbeiter“ist–alsonichttürkischodermaghrebinischist.ergehörtegarnichtzuderenKultur,sondernbreitetesichvonderarabischenHalbinsel aus.Häufiger sindesKonvertitinnen,diesichsoverhüllen.UnterschiedeinnerhalbdermuslimischenbevölkerunginDeutschlandwerden

aberhäufignegiert.inderaktuellenDebattewirdsehr vieles vereinfachtund verflachtdargestelltund durch aktuelle, pseudowissenschaftlich-populistischeWerke angeheizt.Die islamischeWeltansichgibtesdochgarnicht.Dasjedochzuerklären,isteinsehrmühsamesGeschäft.ähnlichverhältessichmitderKopftuchdebatte.KeinederFrauenbefördertdurchihrKopftuchdieislami-sierung.Dasanzunehmenistblödsinn.Dieeine

trägtesausreligiöserÜberzeugung,dieanderefindet es einfach chic und eine dritte trägt esvielleicht,umihremsozialenUmfeldzugefallen.UmislamisierunggehtesderMehrheitnicht.Wasmichirritiertundwütendmacht,ist,dassgeradediebürgerlicheSchicht,diebildunggenossenhat,sounreflektierteansichtenvertritt.Dabeisolltengeradesieesbesserwissen.puk: VielenDankfürdasGespräch.

MusikantinmitStabzitter,Miniatur,indienzweitesViertel17.Jh.(inv.-nr.i.4591vol.13)©MuseumfürislamischeKunst/StaatlicheMuseenzuberlin,Fotograf:Georgniedermeiser

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Kenntmansich,sobrauchtmankeineSchublademehrbrückenbauenzwischenParallelwelten–perMausklick/VonKübraYücel

Hansestadt Hamburg, Uni-Viertel. Tor zur Welt und Sonne satt. Ich genieße mein Eis und überquere gerade die Straße, als mir eine ältere Dame auf dem Fahrrad ent-gegenkommt. Sie trägt ein Polo-Shirt, hat ihren pinken Pullover über die Schultern geworfen und vorne lässig-reich zugekno-tet. Die weißen Perlenohrringe blitzen durch ihr perfekt frisiertes braunes Haar hervor. Ihre Augen funkeln als sie urplötzlich stehen bleibt. Sie setzt den Fuß ab und ruft „Schlei-ereule“, um dann eiligst weiterzuradeln.

Huch.Dasisteralso,derkleinealltagsrassis-mus.interessant.einbisschenerschrocken

bin ich.Warumhat sie das gesagt?Undwaskann ichtun, frage ichmich.DaswarvordreiJahren.KurznachdemVorfallbeschlossichmitdembloggenanzufangen.

Brückenbauen per Mausklick

niemandistfreivonVorurteilenundSchubladen–wirbrauchensie,umdieWeltzuverstehen.MitVorurteilenbesetztmanallerdingsnurdasFremdeundUnbekannte.DingeundMenschen,diemankaumodernur schlecht kennt.Deshalb:Kenntmansich,sobrauchtmankeineSchublademehr.Wirkennenunsabernicht.UndgebenunsauchnurwenigMühe,etwasdaranzuändern.DasistdasProblem.inDeutschland lebenwir in vielen parallelenLebenswelten.Man kannhierwunderbar auf-wachsenohneauchnureinentürkischenFreundgehabtzuhaben.Odereinendeutschennachbar.eslässtsichinberlinsamerikanischerexpat-SzeneproblemlosohneeinWortDeutschzusprechenleben.UndmankannsichdreißigJahreinKölnaufhaltenundHartziV-empfängertrotzdemnurausderZeitungkennen.allesohnevielgroßar-tigenaufwand.aufwandwärees,sichinandereLebensweltenzubegeben–sichindas„Fremde“zutrauen.Machtaberkeiner.DennerstenssindsichnurdieWe-nigstenbewusst,dasssieineinerParallelgesell-schaftleben.SchließlichmöchtejederOffenheitundWeltgewandheit suggerieren. tatsächlichbleibtesaberbeimSuggerieren.Undzweitenssindwirdochalleinsgeheimsehrfrohdarüber,dasswirnichtmiteinander–sondernnurneben-einander–auskommenmüssen.DasMiteinanderisteineHerausforderung.SiebirgtKonflikteundbedeutetmühsameKompromisse.SobleibtjederinseinerParallelgesellschaft.DasFremdebleibtfremd.WirkenneneinandernichtundsuchenauchnichtdiebegegnungunddieKonfrontation.esbietetsichkeineGelegenheitdieVorurteilezuentkräften.VorurteileundSchubla-denbleibenimrealenLebensowiesiesind.SiebleibenaufderStrecke,weildieMenschenaufderStreckebleiben.aberdasnetz(gemeint:dasinternet)istandersgestrickt.DakreuzensichdieWege der unterschiedlichstenMenschen; dortfindenbegegnungenunterschiedlichsterartstatt.Unddeshalbbloggeich.inmeinem blog (ein-fremdwoerterbuch.com)berichteichvonmeinemLebenalsMuslimininDeutschland,meinen interessen und themen,diemichbewegen. ichgewähreeineneinblickinmeineGedankenwelt.Malerzähleichvonderislamischen Fastenzeit,mal vonden LondonerKunstgalerien odermeiner Leidenschaft für

Kurzfilme. aber auch Politik, Feminismus undintegrationisteinthema.ausderMassederbefremdlichexotischenKopf-tuchträgerinnensollendamitindividuenwerden.DieKopftuchträgerinnensollenendlichauchalsFrauenundMenschenwahrgenommenwerden.Siesollensichtbarwerden.DamitbekommtdiegraueMasse einGesicht.Wir lerneneinanderkennen.brückenbauenperMausklick.So schafft das internet begegnungen, die imrealen Lebennie zustande gekommenwären.Mankanneintauchenindiemuslimisch-deutschebloggerweltmit ihrenmodernenDesignern,verrücktenKünstlern, lustigenComedy-Videos,nörgel-Forenundpoetischenblogs.einebunteWelt,diegesehenwerdenwill.abernichtgesehenwird.Manchemeinerbekann-tenerschrecken,wennsiedieseSzeneentdecken.„Oh,wasdieMuslimeallessomachen.Unddas,ohne,dassdieMehrheitsgesellschaftetwasdavonmitbekommt!“, sagte eine Journalistin zumir.„Dasmachtmirangst“fügtesiehinzu.Komisch.ichfindeesvielerschreckender,dassdieMehr-heitsgesellschaftdieseSzenenichtkenntundbisdatovollkommenignorierthat.ObwohlsienureinMausklickentferntist.MitderKolumne,die ichseitapril2010indertazführe,wurdeauchmeinblogeinembreiterenPublikumbekannt.Mitüberraschendvielpositi-verRückmeldung.beiMuslimenundMigrantendominiertedieFreude.„endlichsagtjemanddas,waswiralledenken.“erleichterungdarüber,dass

ihreStimmegehörtundernstgenommenwird.aufnicht-muslimischerSeitebedanktemansichüberden einblickunddieOffenheit. ein Leserschriebmir: „Danke dir. ich denke jetzt ganzandersüberKopftuchtragendeMusliminnen.“DochessindnichtlangealleReaktionenpositiv.nebenHassmails undMorddrohungen findetsichauchvielsubtilerRassismusgetarntalsReli-gionskritik.Dasnehmeichabernichternstundich seheauchnichtmeineaufgabedarin, derReligionskritik zuentgegnen. Sondern vielmehrdenRassismuszubenennenundzuthematisieren.besondersermüdendempfindeichesaber,wennmanmichzurausnahmemacht:

Ich bin keine Ausnahme

Kürzlichbegegnete ichganzzufälligJournalistundautorMatthiasMatussek amHamburgerbahnhof.natürlichsprachichihnan.Gemein-sam setztenwir uns in den Speisewagen desiCe.eswareineinteressanteUnterhaltungüberGott, das internet,Deutschland und dieWelt.Wirspaßtenundwitzeltenherum.Schönlustigundspannend.irgendwann kam der Punkt, an demwir dentanz umdenheißen brei aufgaben. „Sie sindaber schon eine ausnahme“, sagteMatussekundbeobachtetemichgespannt.eineReaktion,dieichsehrhäufigerhalte.Mitmeinemakzent-freienDeutsch,meinerOffenheitundmeinemauftretenseiicheineausnahme.DieRegelder

unterdrückten häuslichenmuslimischen Fraubestehealsonochimmer.Falsch.Ganz falsch. ich bin keineausnahme.es gibt unzähligemuslimische Frauen, die dasKopftuchtragen,erfolgreichstudierenundeman-zipiertsind.ichhabemuslimischeFreundinnen,dieärzte,anwälte,überzeugteFeministinnenundSoziologinnensind.Siehabenunterschiedlichsteinteressenundlebensieauchaus.eineFreundinerzähltemirkürzlichvonihrerGoth-Vergangen-heit.Wie vieleausnahmenbraucht es, umdieRegel zu überdenken?Wann kannmaneinendifferenziertenblickeinfordern?empirischgesehen,treffeerabertatsächlichdasersteMal auf eineKopftuchträgerinwiemich,sagteMatussek.Damager Recht haben.Dasmachtabernichtmich,sondernunserebegeg-nungzurausnahme.Wiedereinmal,eintrauri-gesZeugnisdervielenparallelenLebenswelteninDeutschland.Wenn sich keiner aus seinemHäuschentraut,hilftdanatürlichwedereinblog,nocheineKolumne.einkurzerblickindasLebendes„anderen“reichtnichtaus.WirmüssendabeiauchunsereGedankenreflektieren,unserWelt-bild immerwiederüberdenken.Wirmüssen imGegenüberinersterLinieeinenMenschensehenundihmauchsobegegnen.Vorbehaltlos.

DieVeRFaSSeRiniStbLOGGeRinUnDJOURnaLiStin.iHRetUCH-KOLUMneeRSCHeintJeDenZWeitenMittWOCHiMGeSeLLSCHaFtSteiLDeRtaZ

DasislamischeWortGabrieleSchulzimGesprächmitReinhardbaumgarten

Weiter auf Seite 29

Das Islamische Wort beim SWR-Hörfunk hat ein Alleinstellungsmerkmal in der deut-schen Hörfunklandschaft. politik und kultur sprach mit Reinhard Baumgarten und fragte nach, wie es zu der Idee kam und wie sich das Islamische Wort entwickelt hat.

politik und kultur:Seitwanngibtesdasisla-mischeWortimSWRundwieentstanddieidee?Reinhard Baumgarten: DasislamischeWortisterstmalsimapril2007veröffentlichtworden.Die ideedazuhatteder langjährige intendantdesSWR,PeterVoß,währendderthemenwoche„islamsonahsofremd“.imOktober2006hatsichderSWRinzahlreichenbeiträgeninFern-sehen,HörfunkundinternetmitvielenFacettendesislamsbeschäftigt.PeterVoßstelltedamalsineinerSWR1„Leute“Sendungfest,dasswirnicht

nurüberMuslimeredenundberichten,sonderndasssieimöffentlich-rechtlichenRundfunkaucheineeigeneStimmehabensollten,umüberihrenGlaubenzusprechen.puk: ist das islamischeWort eine Verkündi-gungssendung?Baumgarten: nein.Dazu fehltdie rechtlicheGrundlage.anspruchaufVerkündigungssendun-gen imöffentlich-rechtlichen Rundfunk habennurrechtlichanerkannteReligionsgemeinschaf-ten–alsoetwadiekatholischeundevangelischeKircheoderdiejüdischeGlaubensgemeinschaft.MuslimischeVerbändeoderVereine sindüberden Status eines e.V. bislang nicht hinausge-kommen.DiebeiträgefürdasislamischeWortsind journalistischeGlaubensbeiträge, derenredaktionelleVerantwortungbeimSWRliegen.bei Verkündigungssendungen sind die jewei-

ligen Religionsgemeinschaften für den inhaltverantwortlich.puk: WiewurdedieideefürdasislamischeWortdamalsaufgenommen?Baumgarten: es gab ein erstaunliches echo.namhaftePolitikerwieWolfgangbosbach,StefanMappusundMarkusSöderhabenunsallerhandandenKopfgeworfen.WirwolltenmitGebüh-rengeldern einenMoscheesender aufmachen,hieß es beispielsweise. es gab aber auch vielZustimmungvonPolitikernundMedien.puk: Werbestimmtdieautoren?Baumgarten: WirhabeneinenStammvonvierständigenautoren,dererweitertwerdenkann.DerSWRistdamalsanbekiralbogaundaimanMazyek herangetreten. Diese beiden saßenseit September ’06mit bundesinnenministerWolfgang Schäuble amVerhandlungstisch der

Deutschen islamKonferenz.WirwolltendamitderheftigenPolitikerscheltedenWindausdenSegelnnehmen,wasunsauchgutgelungenist.außerdemhabenwirmit eminaCorbo-MesicundHilal Sezgin zwei Frauen gewonnen, dieinhaltlichundformaleinewunderbareergän-zungsind.Wirhabenintensivmitdenautorenüber die ausrichtung des islamischenWortesgesprochen. Für alle vier war es von beginnanselbstverständlich,dassdie inhaltedes is-lamischenWortesuneingeschränktmitunsererfreiheitlich-demokratischen Grundordnungübereinstimmenmüssen.puk: WassinddiethemenimislamischenWort?Baumgarten: Die themenvielfalt ist ziemlichgroß. Das könnenGedanken zur bedeutung

Schriftband(tiraz)mitnennungdesherrschendenKalifen,feineSeidenwirkereiinLeinen,Shatta/Unterägypten,zwischen946und969(inv.-nr.i.5559)©MuseumfürislamischeKunst/StaatlicheMuseenzuberlin,Foto:ingridGeske

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politik und kultur•Jan.–Feb.2011•Seite29Islam · Kultur · Politik••••••••

vonJesusimislamsein,zurinterreligiösenbe-gegnung,zumtierschutzausislamischerSicht,zu angriffen aufMoscheen undwachsenderislamfeindlichkeit,integrationserfahrungenoderdieablehnung extremistischer ideen. autorenund Redakteur sprechen die themen jeweilsmiteinander ab. Sie können einen aktuellenbezughaben,siekönnensichaberaucheinerGlaubensfragewidmen.puk: anwenrichtetsichdasislamischeWort?Baumgarten: es richtet sichanMuslimeundnichtmuslime gleichermaßen. es bietetnicht-

Fortsetzung von Seite 28 muslimeneinegewisseislamischebinnensicht,wiethemenbehandeltundDiskussionengeführtwerden.Wirhabenauchschonerlebt,dassdiebeiträgealsVorlage fürFreitagspredigtendie-nen.Manchmalwerdensiealszuliberalabge-lehnt.UnsereautorenrepräsentierennichtdenislaminDeutschland,daswissensie.SiesindeinkleinerteileinergroßenVielfalt,dersichzuWortmeldetundgehörtwerdenkann.puk: Wiewerdendieautorenausgewählt?Gibtes einen Proporz der verschiedenenmuslimi-schenVerbändeoderderRichtungenimislam?Baumgarten: Wir haben gegenwärtig zweiautoren, die großen Verbänden angehören

undzwei,dieverbandsfreisind.WirhabenzweiMänner und zwei Frauen – einemit und eineohneKopftuch.alle vierautorengehörendersunnitischenRichtungdesislamsan.Wirdenkendaran,aucheinenschiitischenMuslimalsautorzu gewinnen. einen Verbandsproporz gibt esnicht,wird’sauchnichtgeben.puk: Gab es bei anderen Sendern ähnlichebestrebungenwiebeimSWRoderisteseinal-leinstellungsmerkmaldesSWR?Baumgarten: esgabinderaRDkeineähnli-chenbestrebungenwiebeimSWR,undmeinesWissens gibt’s die auchnicht.Der SWR leistetPionierarbeit.

puk: Sind die Sendungen in derMediathekzugänglich?Baumgarten: Diebeiträgesindalstext-undaudiodateizufindeniminternetunterwww.swr.de/islamisches-wort.puk: VielenDankfürdasGespräch.

GabRieLeSCHULZiStSteLLVeRtRetenDeGeSCHäFtSFÜHReRinDeSDeUtSCHenKULtURRateS.ReinHaRDbaUMGaRteniStFaCHReDaKteURinDeRReDaKtiOnReLiGi-On,KiRCHeUnDGeSeLLSCHaFtbeiMSÜD-WeStRUnDFUnKUnDHatDaSaRD-PROJeKt„GeSiCHteRDeSiSLaM“KOnZiPieRt

ForumamFreitageinePlattformfürMuslimeundnicht-MuslimeimZDF/Vonabdul-ahmadRashidundKamranSafiarian

Viele Menschen hierzulande reden mehr über Muslime als mit ihnen, doch niemand weiß genau, wie sie denken, wie sie fühlen und vor allem, wie ihr Leben in Deutschland aussieht. Das „Forum am Freitag“, eine Plattform für Muslime und Nichtmuslime im ZDF, gibt Muslimen in Deutschland die Ge-legenheit, aus erster Hand Informationen über ihren Glauben, ihre Kultur und Tra-ditionen sowie ihren Alltag in Deutschland zu vermitteln. Da die Literatur über Mus-lime in Deutschland überschaubar ist und auch die Islamwissenschaft sich bevorzugt mit ausgefallenen Themen wie der Mode im Bagdad des Mittelalters beschäftigt, anstatt über diese enorm wichtige Gruppe in der deutschen Gesellschaft zu forschen, schließt das „Forum am Freitag“ hier eine wichtige Lücke.

Wasistdas„ForumamFreitag“?es istdieersteSendungiminternetauftrittdesZDF

undimZDF-infokanal,inderMuslimesichselbstin das Programmeinbringen und auch selbstProgrammmachen.Dennwir,dieJournalistenKamran Safiarian und abdul-ahmad Rashid,sindmuslimischenGlaubensundModeratorenund Redakteure des „Forumam Freitag“.UmVertrauen in dermuslimischenGemeinschaftzu schaffen, haben sich die Verantwortlichenbeim ZDF bewusst entschieden, zwei Redak-teuremuslimischenGlaubens fürdieSendungzubeschäftigen.DennochsolldasForumeinehintergründige und kritischemoderierte Sen-dung, aber kein „Verkündigungsprogramm“sein.ZentralerbestandteilderSendung isteinGesprächmiteinemmuslimischenGastzueinembestimmtenthema.Diesesinterviewkanndann

aufderinternetseitewww.forumamfreitag.zdf.deabgerufenwerden.JedenFreitagmorgenwirddabeieinneuesGesprächaufderinternetseiteeingestellt.begleitendzuderSendunggibteseinWissensmodulundDiskussionsmöglichkeitenineinemmoderiertenForum.Soentstehtiminter-neteinlebendigerDialogunddieChancendesinternetswerdenauf dieseWeise bestmöglichgenutzt.LagendieKlickzahlenfürdasGesprächanfangsbei3.000KlicksproWoche,soklickenheutebiszu14.000UsereinGesprächan.SeitJuni2007sindsomitrundzweihundertinterviewsgesendetworden,miteinerVielzahlanthemenundeinergroßenZahlanGästen.allebeiträgesinddarüberhinausimarchivaufderinternet-seiteabrufbar.Dieausstrahlungdes„Forums“iminfo-Kanal,demSatellitenprogrammdesZDF,wirktdabeiunterstützendundmachtdieSen-dungeinemgrößerenFernsehpublikumbekannt.Für das Forum stellt sich immerwieder eineganzgrundsätzlicheFrage,diejaauchdieDeut-scheislamKonferenzbeschäftigt:WersinddieMuslime und gibt es überhaupt dieMuslime?Undwer spricht für dieMuslime? So sind alsGesprächsgästeVertreterdergroßenVerbändeebensowie nichtorganisierte Persönlichkeiteneingeladen. Sunniten, Schiiten, aleviten sindvertreten,Frauen,dieeinKopftuchtragenundsolche,diediesnichttun.Gesprächspartner,fürdie Religion ein öffentlichesanliegendarstelltund solche, die beispielsweise sagen: „Das istPrivatsache,ichdefinieremichzunächsteinmalalsFrauundMutter,dannalsGeschäftsfrauunderstdannkommtdieReligion.“aufdieseWeiseergibtsicheindifferenziertesbildvonMuslimen,dieunterschiedlicheMentalitätenundidentitätenhaben:inderReligion,aberauchimalltäglichenLeben.DiesePluralitätdarzustellenundvorallem

zuWorte kommen zu lassen, ist einwichtigesjournalistischesZiel,welchessichdas„ForumamFreitag“vorgenommenhat.Denn:dieMuslimegibtesnicht.Dasspiegeltsichauchimthemenspektrumwi-der.esreichtvon„integrationshemmnisislam?“über „Fasten im Ramadan“ und „burkaverbotinDeutschland?“bishinzu„DerislambrauchtKetzer!“.DabeikommensoprominenteMuslimewieHamed abdel-Samad,HamidehMohag-heghi, LamyaKadddor oder ezharCezairli zuWort.VieledieserthemenstrahlenindasZDF-Hauptprogrammaus,undimmeröfterwerdendieMacherdesForumsgebeten,beiträgefürdieverschiedenenSendungenzurealisieren.Dieer-fahrungsweltdesZDF-ProgrammswirddadurchbereichertunddiesebesondereKompetenz istganzkonkretimProgrammwiederauffindbar.SozumbeispielineinerhalbstündigenDokumenta-tionüberdieHadsch,diemuslimischePilgerfahrt,diediebeiden„ForumamFreitag“-RedakteureimDezember 2007 gemacht haben: als pil-gerndeJournalistendurftensieandennurfürMuslimezugänglichenheiligenOrtendesislamsdiedazugehörigenRitualemiterlebenundfilmen.Dennoch bleibt dieseswichtige und auch gutangenommeneangeboteinnischenprogramm.OftwirddieFragegestellt,anwensichdieSen-dungdenneigentlichrichte.UnddieFragestellergebengleichdieantwortmit:„aneuchMuslimewohlnicht,ihrkenntjaeureReligion.“einirrtum,dergernebegangenwird.eswirdvorausgesetzt,dassMuslimeihrenGlaubenmitderMuttermilchaufgenommenhätten.UnddasalleMuslimereli-giösseienundihrenGlaubenpraktizierten.Demistnicht so.VieleMuslimehaben rudimentäreKenntnisseüberdenislamundkennenbiswei-lennurdieeckdatenihrerReligion.auchfürsie

istdas„Forum“interessant.UndfürdiejenigenMuslime,die ihrenGlaubenbesserkennen, istdas Forumebenfalls eine bereicherung, dennesbeleuchtetthemenmeistvoneinemanderenblickwinkel.UndfürdiegroßeZahlderamchrist-lich-islamischenDialoginteressiertennichtmus-limestelltdas„ForumamFreitag“mittlerweileeinewichtigeinformationsquelledar.SiekönnenWochefürWochedieMeinungenundansichtenzu themen hören, die sie schon seit langeminteressierten,nachdemMotto:„Wassieschonimmerüberdenislamwissenwollten,abernichtzufragenwagten.“DiegroßeZahldereinträgeimDiskussionsforumspiegeltdasgroßeinteressebeidenUsernwider.DiekontroverseneinträgeundDiskussionsbeiträgezeigenaberauch,wiesehrsichdieMenschenandieserthematikreiben.eineandereFrage,diehäufigandiebeidenRe-dakteureherangetragenwird,lautet:„Warumläuftdas„ForumamFreitag“nur iminternetund im info-Kanal und nicht im Hauptpro-gramm?“.DadieMuslimeinDeutschlandkeineanerkannteReligionsgemeinschaftsind,habensie auch keinen Vertreter im Fernsehrat desZDF.Siekönnensomitauchnichtdie inhalteder Sendungenmitverantworten. Doch dasgenauwäredieVoraussetzungfüreineeige-ne Sendung. Das „Forum“ liegt somit in derredaktionellen Verantwortung der Redaktion„KircheundLeben“.Das„ForumamFreitag“–einweltweiteinzigartiges,rundumdieUhrabrufbares Programm, das denMuslimen inDeutschland eine Plattform bietet und somiteine wichtige Rolle bei der integration vonMuslimeninDeutschlandspielt.

DieVeRFaSSeRSinDReDaKteUReVOnFORUMaMFReitaG

bemalteHolzvertäfelungausdemempfangsaaleineschristlichenKaufmanns,aleppo/Syrien,datiert1600-01und1603(inv.-nr.i.2862)©MuseumfürislamischeKunst/StaatlicheMuseenzuberlin,Foto:Georgniedermeiser

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politik und kultur•Jan.–Feb.2011•Seite30Islam · Kultur · Politik••••••••

RechtlicheanerkennungdesislamsWederGleichberechtigungnochGleichbehandlunginSicht/Vonaimana.Mazyek

Islam – wie organisiert?

Der islam inDeutschland ist rechtlich nichtanerkannt und besitzt nicht den Status derKörperschaft desöffentlichen Rechtes,wieetwadieKirchen.DerZentralratderMuslimeinDeutschland(ZMD),derVerbandislamischerKulturzentren(ViKZ)undderislamratfürdiebundesrepublikDeutschland (iR)mit jeweilsüber300Moscheegemeindenunddietürkisch-islamischeUnionderanstaltfürReligion(Ditib)mitüber800GemeindenbietenseitJahrzehn-tenumfänglichreligiöseDienstleistungenundsozialebetreuungan,dieausschließlichausprivatenSpendenfinanziertwerden.

Aiman A. Mazyek

Die über 2.000 Moscheen in Deutschland – davon knapp 160 architektonisch als Mosche-en sichtbar – werden in der überwiegenden Zahl von vier Dachverbänden vertreten, nämlich von DITIB, VIKZ, Islamrat und Zen-tralrat. Die Moscheen tragen seit Jahrzehn-ten die Kosten ihrer sozialen und religiösen Betreuung alleine. Die vier muslimischen Dachverbände mit ihren angeschlossenen Reli gionsgemeinschaften haben sich zudem zum Koordinations rat der Muslime, kurz KRM, vor etwa drei Jahren zusammenge-schlossen und auf der Ländereben sind ihre Moscheen vielerorts in sogenannten Schura-Räten und muslimischen Landesverbänden organisiert.

DerZentralratderMuslime,wiedieanderenDachverbände, deckt jenen teil derMus-

limeab, der sich zumpraktizierenden teil dermuslimischenGemeinschaft zählt.Dabei ist esunerheblich,obderanteilnun20Prozentbeträgtwiedas innenministeriummeint,odersogar50Prozent,wieeinigewissenschaftlicheerhebungen(z.b.UntersuchungderderRhein-RuhrUniversitätvon2006)erklären.Faktist,dassindenMoscheenmuslimischesLebenstattfindet.esgibtnatürlichauchnocheinenbeträchtlichenanderenanteileinzelnernichtindenGemeindeneingebundenerMuslime.FürdiesesinddieFragennachReligi-onsunterrichtfürihreKinderoderz.b.dieFragenachmuslimischerSeelsorgeundnachLehrstüh-lenfürislamischetheologie,dieausbildungvonimameninDeutschlandodergarderVerzehrvonislamischgeschächtetemtierehervonmarginalerbedeutung.Unddoch findet fürdieMuslimeund ihreGe-meinden in unserem Lande so etwaswie einSubsidiaritätsprinzipodereineSolidaritätimreli-gionspolitischenSinnekaumstatt.Obgleich dieMoscheen den Kommunen undLändern sowohl finanziellwie auch strukturellviel arbeit abnehmen, verzichtet kaum eineislam-DebatteaufdieschonobligatorischePau-schalkritikandenMoscheen,ihrenimamenoderihrenStrukturen.DiesejahrelangeDebatte,diemeistdiefehlendetrennschärfevonextremismusundReligionver-missen ließ, fordertnun ihrentribut.Der islamwirdheuteinersterLinieimKontextderSicher-heitspolitik und als Politikumbetrachtet. aberReligionsverfassungsrechtundintegrationspolitikkannnicht imRahmenvonSicherheitsgesetzenverhandeltundumgesetztwerden.DochdiePolitikscheutsich,sowiesprichwörtlichderteufeldasWeihwasser,mit denMuslimen zusammendierechtlicheanerkennung,wiediese fürChristenundJudenselbstverständlichist,anzusteuern,Derinsbesonderebei Sonntagsredengerne zitierteSlogan„FördernundFordern“wirdsozurFarce.Hiernureinigebeispieledafür:Seitüber20JahrenbemühensichdieMuslimeumeinenReligionsun-terrichtnachart.7(3)Grundgesetzsowie,dassdiePolitiksiealsansprechpartnerernstnimmt,damitdienötigeverfassungsrechtlicheGrundlagedafürgeschaffenwird,dassislamunterrichtaufDeutschunterdeutscherSchulaufsichtendlichbundesweitangebotenwerdenkann.Diesgiltauchfürdenausbildungsgang von imamen an staatlichenUniversitäten.FürdiemeistenMuslimestehtdieLehreimVor-dergrundundnichtdiePolitik;deshalbhatauchderZentralratderMuslimebeispielsweiseinbezugaufdenausbildungswegfürimamedafürplädiert,dass diese ambestenhierzulandeausgebildetwerden.Dafürmüsstendierechtlichenundstruk-turellenVoraussetzungengeschaffenwerden.aufderDeutschenislamKonferenz(DiK)istdieChance verpasstworden, einen echtenDialog

mitlegitimiertenmuslimischenVertreternaufdereinenSeiteundVertreternderLänder(ReligionistlautGrundgesetzLändersache)aufderanderenSeiteherzustellen.DerinnenministerhättedabeiquasialsModeratordieeinhaltungeinerRoadmapfürdiestaatlicheanerkennungentwickelnkönnen.DieseChancewurdebislangnichtgenutzt.Statt-dessengibtesunzähligeeinwürfevondeutschenProminentenzumislamdievonderDialektikdes„ihr“und„Wir“durchzogenwaren.Darausent-standeineartÜberbietungswettbewerbpopulisti-scherthesenundtrotzanderslautendermuslimi-scherbekundungenwurdedieUnvereinbarkeitvon„deutschenLeitkultur“undmuslimischenLebensdetektivischlustvollnachzuweisenversucht.UndsoschweltderStreitweiter.bisweilenwirdzuabsonderlichenForderungengegriffen,umdemeigentlichenthemaausdemWegzugehen.Dazuzähltz.b.,dassmandochauchnichtorganisiertenMuslimeeinbeziehensollte,dennschließlichver-tretederKoordinierungsrat(Dtib,ViKZ,islamratundZentralrat)odereinesderinzwischengegrün-detenLandesvertretungen(Schura-Räte)zwardieüberwiegendeMehrheitderMoscheegemeinden,aberebennichtalleMuslime.DieForderungstellteinParadoxondar.Dennent-wederistmanorganisiertundentsendetVertreter

odermanistnichtorganisiertundkannfolglichkeineVertreterbestimmen.DasistdemokratischesPrinzip,welchesauchimKontextderMuslimezugeltenhat.UnddochhatPolitikundVerwaltunggeradedamitbishersoihreSchwierigkeit,einfachanzuerkennen,wasMuslimeanVertretungsstruk-turund-kulturzuMarktetragen.UndnichtseltenwirdmitZuhilfenahmedesVerfassungsschutzeseineGruppeeinfachzurPersonanonGrataer-klärtundsowirdsichdesthemasaufdieseWeiseentledigt.natürlichistdieausgestaltungdermuslimischenVertreterstruktur zumgegenwärtigenZeitpunktnochausbaufähig –werwillGegenteiligesbe-haupten–dasistaberletztlichSachederMuslimeselber.WederderStaat–wiebeispielsweisebeiderDiKgeschehen–wobestimmteeinzelpersonensozusagendochtatsächlichalsislamvertreterin-thronisiertwurden,nochandereStrukturensolltendenMuslimendabeiVorschreibungenmachen,noch können sie sich dieDialogpartner selberaussuchenoderzusammenstellen.UndsobleibenwirvoneinerGleichberechtigungoder garGleichbehandlung derMuslimemitihrenMoscheen und ReligionsgemeinschafteninDeutschland nochmeilenweit entfernt.DasempfindenauchzunehmendvieledeutscheMus-

lime,diehier integriert sind,hierarbeitenundihreSteuernzahlen.Diesgiltgeradeauchfürdieerste„Gastarbeiter-Generation“,dieebensoihrenanteilamWirtschaftsaufschwungvorallemindernachkriegszeitinDeutschlandhatundheutedieRentnergenerationbildet.WeilaberdasStaatskirchenrechtinDeutschlandnichtunumstrittenist,stehenwirvoreinemzu-sätzlichenDilemma:Wer verhindernwill, dassdasStaatskirchenrechtnunauchaufden islamhierzulandeangewandtwerden soll, behindertnicht nur dieMuslime darin, sich rechtlich zuetablieren, sondern delegitimiert vorhandenesVerfassungsrecht.WirdderislaminDeutschlandendlich rechtlich anerkannt, also sozusagenstaatsrechtlich integriert,wirdgeltendesStaats-kirchenrecht und Religionsverfassungsrechtstabilisiert. Und so plädieren nichtwenige indiesem Land für eineart Sonderstatus für dieMuslimeunterhalbdessen,wasunserReligions-verfassungsrechtvorsieht.aberfürdiesenfaulenKompromiss–schonalleinemitHinblickaufdieUnversehrtheitunseresGrundgesetzes–sinddieMuslimebishernichtbereit.

DeRVeRFaSSeRiStVORSitZenDeRDeSZen-tRaLRatSDeRMUSLiMeinDeUtSCHLanD

MuhammadspaltetdenMond(iran,16.Jh.).GezeigtinderausstellungtaSWiR.©SächsischeLandesbibliothek,Staats-undUniversitätsbibliothekDresden,Foto:RegineRichter

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politik und kultur•Jan.–Feb.2011•Seite31Islam · Kultur · Politik••••••••

DieDeutscheislamKonferenz2006bis2009Zusammensetzungundergebnisse/VonGabrieleHermani

In Deutschland leben rund vier Millionen Muslime. Dieser großen religiösen Gruppe den Dialog mit dem Staat zu ermöglichen, war eines der Hauptanliegen des damaligen Bundesinnenministers Wolfgang Schäuble, als er 2006 die Deutsche Islam Konferenz begründete. Dahinter stand die Annahme, dass sich durch die Religionszugehörigkeit zum Islam vielfältige gesellschaftliche, religiöse und politische Probleme ergeben hatten, für die Lösungen zu finden seien. Die erste Runde der Deutschen Islam Konfe-renz in den Jahren von 2006 bis 2009 steht zugleich für eine neue Integrationspolitik der CDU. Schäuble galt dabei als Vordenker und als derjenige, ohne den eine Akzep-tanz dieser neuen Inhalte und ihrer Politik innerhalb der Union nicht durchsetzbar gewesen wären.

Konstruktion, inhalte und ergebnisse derislamkonferenzdientenals instrument,um

fürdieseandergesellschaftlichenRealitätaus-gerichtete integrationspolitik, sowohl bei denMuslimenalsauchbeiderMehrheitsgesellschaftzuwerben.Dennnach„9/11“wurdedielangeZeitexistierendeindifferenzderdeutschenMehr-heitsgesellschaftgegenüberMuslimenundderislamischen Religion vonMisstrauen abgelöst.Jeder neue terroranschlag in europa, der alsislamistischwahrgenommenwurde, verstärktedieseeinstellung.islamkritischeStimmenwarn-ten,derislamineuropaverneinebeispielsweisedas Pluralismusgebot, toleranz, die trennungvon Staat undKirche, die anerkennung einerdemokratischenZivilgesellschaftundindividuelleMenschenrechte.Dasbildeinesfundamentalisti-schenislam,derdemokratiefeindlicheingestelltist,wurdeperpetuiert,genausowiedasbildeinereuropäisch-westlichen,aufgeklärten,modernenGesellschaft, die von einem unaufgeklärten,vormodernenislambedrohtwird.erstmals erwähnte Schäuble imMai 2006 ineinerRedeseinVorhaben,zueinerislamkonfe-renzeinzuladen.angesichtsdertatsache,dassMuslime teil der deutschenund europäischenGesellschaftsind,seiesangebracht,mitihnenineine„geregelte,institutionalisiertebeziehung“zutreten(Vgl.internationaleKoordinatendeut-scher Zuwanderungs- und integrationspolitik,Fachtagung„GlobaleMigrationambeginndes21. Jahrhunderts; eineWelt ohneGrenzen?“,30.Mai2006inberlin).DieFrankfurterallge-meineZeitungveröffentlichtezeitgleichmitderauftaktsitzung am27. September 2006 einenGrundsatzartikel Schäubles, in demer erwar-tungenandenDialogprozessformulierte:„WirsindkeinchristlichdominierterStaat […],aberdurchauseinStaat,dessentradition,WerteundRechtsverständnischristlicheWurzelnundtradi-tionslinienhabenundstetshabenwerden.WerinDeutschlandheimischwerdenwill,dermussdieseWurzelnrespektieren.erdarfnatürlichanseinemGlaubenundanvertrautentraditionenfesthalten,abersolltegleichzeitigdieRegeln,dieindiesemLandgelten,kennenundfürsichak-zeptieren.“(Vgl.WolfgangSchäuble:MuslimeinDeutschland,FaZvom27.September2006,S.9).Das1.PlenumderDeutschenislamKonferenztagteunterdemMotto:„MuslimeinDeutschland– deutscheMuslime“.Die teilnehmer setztensichdasZiel,ineinemlangfristigenDialogpro-zess, Handlungsempfehlungen und konkreteMaßnahmen zu entwickeln, um zu einer ver-bessertenreligions-undgesellschaftspolitischenintegration dermuslimischen bevölkerung inDeutschlandbeizutragen. imVerlaufderkom-menden vier Jahre sollte erörtertwerden,wiedieunterschiedlichenSittenundGebräuchedesislamsmit der deutschenVerfassungsordnungin einklang gebrachtwerden können, ob undwie der islam als „Religion ohne Kirche“ denOrganisationserfordernissendesdeutschenRe-ligionsverfassungsrechts gerechtwerden kannundwiedieübervieleJahrhunderteentwickeltedeutscheVerfassungs- und Rechtsordnung zurentwicklungeinesmodernen,deutschenislamsbeitragen kann. imMittelpunkt standen dasVerhältnis„StaatundReligion“sowiedasdamitverbundeneVerhältnis„Staatundbürger“.imerstenPlenumeinigtensichdieteilnehmerüberdasgrundsätzlicheVorgehen.Getagtwurdeaufzweiebenen:dreiarbeitsgruppenundeinGesprächskreiserarbeiteteninregelmäßigenSit-zungengemeinsamePositionen,empfehlungenundLösungsvorschlägezubestimmtenthemen,diesichdieteilnehmerselbstsetzen.DasPlenumwiederumdiskutiertedieseVorschlägeundgab

anregungenfürdieweitereFacharbeit.Dieer-gebnissederarbeitsgruppen-SitzungenwurdennurüberdasPlenumöffentlichgemacht.Dreißigteilnehmerinnenund teilnehmer des PlenumswarenderKernderDeutschenislamKonferenz.Siesetztensichzusammenaus15Vertreternvonbund,LändernundKommunensowie15Musli-men,darunterfünfVertretermuslimischerOrga-nisationenundzehnweiteresäkulareMuslime.DieseGewichtungwurdebewusstvorgenommen,dadieVertretungsfähigkeitderVerbändeuntereinbeziehungderMoscheenbesucherzudiesemZeitpunkt insgesamt auf etwa einDrittel derMuslimebeziffertwurde.imnovember2006begannenbeimbundesamtfürMigrationundFlüchtlinge(baMF)innürnbergdietagungenderdreiarbeitsgruppenunddesGesprächskreises.Dieanzahlderberufenenteil-nehmerindenarbeitsgruppenlagbeietwa25;imSicherheitsgesprächskreiswarenesetwa20.teilnehmerwarenimmermehrereVertreterdesStaatesanalogdesPlenumschlüsselsausbund,Land,Kommune,einVertretereinerderislami-schenOrganisationen,Vertreterder säkularenMuslime,Wissenschaftlerundeinzelpersonen.Die„KernfrageneinesgutenMiteinandersallerMenschen in Deutschland, unabhängig vonGlaubenoderWeltanschauung“unddie„Werte-ordnungdesGrundgesetzes“warenthemenderarbeitsgruppe,„DeutscheGesellschaftsordnungundWertekonsens“.Debattiertwurdehierbei-spielsweisederSchutzderGrundrechte,Gleich-berechtigungvonMannundFrau,SäkularitätalsOrdnungsprinzip,demokratischeWillensbildungund politische teilhabe vonMuslimen sowiejugendliche Selbstbestimmung und politischeWillensbildung sowieWertevermittlung in derFamilie. in dieser arbeitsgruppe arbeiten derMigrationsforscherKlausbade,navidKermani,Kenan Kolat, der islamwissenschaftler tilmannagel, die Zahnärztin ezharCezairli und dieSoziologenHartmutesserundneclaKelekmit.Diearbeitsgruppe2,„Religionsfragenimdeut-schen Verfassungsverständnis“, behandeltereligionspraktische Fragenwie die einführungislamischen Religionsunterrichts in deutscherSpracheunterstaatlicherKontrollederLänder,GleichberechtigungvonJungenundMädchen,KoedukationbeimSchwimmunterricht,Sexual-unterricht oder Klassenfahrten,Moscheebau,imamausbildungandeutschenLehrstühlensowiebestattungsvorschriften.inderarbeitsgruppe2arbeitetendieislamwissenschaftlerSvenKalisch,RotraudWielandtundChristineLangenfeldmit.Die arbeitsgruppe 3, „Wirtschaft undMedienals brücke“, diskutierte,welchen beitragWirt-schaftundMedienzurintegrationderMuslimeleisten können, initiierte integrationsförderndeWirtschafts-undMedienprojekteundbefasstesichmitthemenrundumbildung,ausbildungundarbeitsmarktsowiemitdemislambildindenMedien.teilnehmerwarenWissenschaftlerwieKaiHafez oder deutsch-türkische JournalistenwiederGeschäftsführerderihlas-MediengruppeKenanKubilay.DerGesprächskreis Sicherheit und islamismusbeschäftigte sichmit der bedrohungDeutsch-landsdurchislamistischebestrebungenundmitStrategien,wieMuslimeundSicherheitsbehördeninDeutschlandbesserzusammenarbeitenkön-nen.DazuwurdenbestehendeKooperationenzwischenPolizeiundMoscheevereinensowieeindasKonzept„VertrauensbildendeMaßnahmen“diskutiert.indiesemKreisarbeitetennebendenVertreternderislamischenVerbändedieislam-expertenderFriedrich-ebert-undderKonrad-adenauer-Stiftungsowiederbundeszentralefürpolitischebildungmit.Die arbeitsgruppen und der Gesprächskreishattensichdamitjeweilseineagendagegeben,anderentlangbiszumnächstenPlenum,am2.Mai2007,gearbeitetwerdensollte.Zielwar,demPlenumeinarbeitsprogrammfürdiekommendenvierJahrevorzulegen.nacheinerweiteren,drit-tenSitzungam13.März2008,fandam25.Juni2009dasviertePlenumderislamKonferenzinberlinstatt.nachdreiJahrenDialogkonntedieDeutsche islamKonferenz für sich verbuchen,substanzielleergebnisseaufdemWegzueinerbesserengesellschaftlichenundreligionsrecht-lichenintegrationderinDeutschlandlebendenMuslimeerzieltzuhaben.SoeinigtensichdieMitgliederderarbeitsgruppe1 auf die anerkennung und auf ein positivesbekenntnis zur deutschen Rechtsordnung undzurWerteordnungdesGrundgesetzes.Siever-ständigten sich auf einen integrationsbegriffals zweiseitigen Prozess, der anforderungen

anZuwandererundMehrheitsgesellschaftstelltundvondenZuwandererneinhöheresMaßananpassungabverlangt.MitderStudie„Muslimi-schesLebeninDeutschland“wurdezudemeineersterepräsentativeUntersuchungzumalltags-lebenvonMuslimen inDeutschlandvorgelegt,die anzahl,Glaubensrichtungen, Religiosität,religiösePraxisundStandder integrationzuminhalt hatte.Das positive bekenntnis der teil-nehmendenMuslimezurdeutschenVerfassungund ihrerWerte ohne einschränkung – etwaohne„Scharia-Vorbehalt“–unddieöffentlicheanerkennungderVorteiledessäkularen,denRe-ligionenpositivgegenüberstehendenneutralenStaatsdurchdieteilnehmendenMuslime,galtalsGrundlagefürdenweiterenDialoginderislamKonferenz.Zudemwurdedafürgeworben,dassSchulenzuOrtendertoleranzerziehungunddertoleranzeinübungwerdenunddassdieGleich-berechtigungvonMannundFraualszentraleselementderWerteordnungdesGrundgesetzesbeimuslimischenKindernundJugendlichenzubefördernist.DieMitgliederderarbeitsgruppe2klärtendieVoraussetzungenfürdieeinführungvonislami-schemReligionsunterricht inDeutschland, for-mulierteempfehlungenfürdenbauundbetriebvonMoscheen inDeutschland, verständigtensich über dieHandhabung vonmuslimischenbestattungenundeinigtensichüberwesentlichepraktischeFragestellungen füreinen „islam inder Schule“. Zudem formulierten sie empfeh-lungenzurkünftigenausbildungvonimameninDeutschlandunderörtertendieVoraussetzungenfürdieSchaffungislamisch-theologischerLehr-stühleinDeutschland.

Die arbeitsgruppe 3 verfasste empfehlungenfüreineverantwortungsvolle,vorurteilsfreieunddifferenzierteberichterstattungüberdenislamsowiefürdieverstärkteeinstellungvonMedien-schaffendenmitMigrationshintergrund.Darüberhinauswurdeein„Rundertisch“mitdeutschenundtürkischenJournalisteneingerichtet.imGesprächskreis „Sicherheit und islamismus“verständigten sichdieVertreterderSicherheits-behördenunddermuslimischenVerbände–mitausnahmedes islamrates –auf einbekenntniszurgemeinsamenVerantwortung,islamistischenbestrebungenineinemgesamtgesellschaftlichenSchulterschlussentgegenzuwirkensowieaufeinbekenntniszurabgrenzungvonislamistischenein-flüssenundzurnotwendigkeitdertransparenzderStrukturenundaktivitätenislamischerVerbände,insbesondereinderbildungsarbeit.ZudemwurdedieeinrichtungeinerClearingstellebeimbundes-amtfürMigrationundFlüchtlingebeschlossen.SchließlichwurdedemKabinetteinabschlussbe-richtzurDeutschenislamKonferenzvorgelegt,indemdienotwendigkeiteineskontinuierlichenDialog-ProzessesbeschriebenundeineFortset-zungderDeutschen islamKonferenzüberdieLegislaturperiodehinausempfohlenwird.

DieVeRFaSSeRiniStGeLeRnteJOURna-LiStinUnDWaRinDenJaHRen2006biS2009aLSSPReCHeRiniMbUnDeSinnen-MiniSteRiUMFÜRDieKOMMUniKatiOnDeRtHeMenRUnDUMDeniSLaMVeRant-WORtLiCH.MOMentanVeRantWORtetDiePOLitOLOGiniMbUnDeSMiniSteRiUMFÜRbiLDUnGUnDFORSCHUnGDenbeReiCHStRateGiSCHeKOMMUniKatiOn

Mitglieder des Plenums der Deutschen Islam Konferenz 2006-2009Staatliche Vertreterinnen und Vertreter1.Dr.UlrichRoppel,abteilungsleiter3–Sozial-,Gesundheits-,arbeitsmarkt-,infrastruktur-undGesellschaftspolitikimbundeskanzleramt

2.Georgboomgaarden,Staatssekretärimauswärtigenamt3.Dr.WolfgangSchäuble,bundesinnenminister,bundesministeriumdesinnern4.brigitteZypries,bundesjustizministerin,bundesministeriumderJustiz5.Franz-JosefLersch-Mense,Staatssekretär,bundesministeriumfürarbeitundSoziales6.Dr.HermannKues,ParlamentarischerStaatssekretär,bundesministeriumfürFamilie,Senioren,FrauenundJugend

7.Dr.Mariaböhmer,Staatsministerin,beauftragtefürMigration,Flüchtlingeundintegration8.ingeborgberggreen-Merkel,abteilungsleiterinKulturundMedien,beauftragtederbundesre-gierungfürKulturundMedien

9.Volkerbouffier,innenministerinHessen,innenministerkonferenz(iMK)10.Dr.ehrhartKörting,innensenatorinberlin,innenministerkonferenz(iMK),Vertretera-Länder11.annegretKramp-Karrenbauer,Ministerinfürbildung,Familie,FrauenundKulturdesSaarlandes,Kultusministerkonferenz(KMK)(Vorsitz)

12.Uteerdsiek-Rave,MinisterinfürbildungundFrauendesLandesSchleswig-Holstein,Kultusmi-nisterkonferenz(KMK),Vertretera-Länder

13.Christian Schramm, Präsident desDStGb,Oberbürgermeister der Stadt bautzen,DeutscherStädte-undGemeindebund

14.Dr.Stephanarticus,LeiterderHauptgeschäftsstelledesDeutschenStädtetags,DeutscherStäd-tetag

15.Dr.KayRuge,beigeordneterimDeutschenLandkreistag,DeutscherLandkreistag

Vertreterinnen und Vertreter muslimischer Organisationen1.bekiralboga,SprecherdesKoordinationsratesderMuslimeinDeutschland(KRM),Koordinie-rungsratderMuslime

2.aytenKilicarslan,StellvertretendeGeneralsekretärindertürkischislamischenUnionderanstaltfürReligione.V.,türkischislamischeUnionderanstaltfürReligione.V.(Ditib)

3.aimana.MazyekGeneralsekretär des Zentralrats derMuslime, Zentralrat derMuslime inDeutschlande.V.(ZMD)

4.MehmetYilmaz,VorsitzenderdesVerbandsderislamischenKulturzentren,Verbandderisla-mischenKulturzentrene.V.

5.aliertantoprak,GeneralsekretärderalevitischenGemeindeDeutschlande.V.,alevitischeGemeindeDeutschlande.V.

6.aliKizilkaya,VorsitzenderdesislamratesfürdiebundesrepublikDeutschlande.V.,islamratfürdiebundesrepublikDeutschlande.V.

Vertreterinnen und Vertreter der nicht-organisierten Muslime1.KenanKolat,bundesvorsitzender,türkischeGemeindeDeutschland2.nassirDjafari,Volkswirt,expertefürentwicklungspolitik,KfW3.Dr.neclaKelek,autorinundSoziologin4.badrMohammed,Generalsekretärdeseuropäischenintegrationszentrums5.nihatSorgec,GeschäftsführenderGesellschafter*6.HavvaYakkar,islamwissenschaftlerinundLehrerin7.Dr.ezharCezairli,VorsitzendeDeutsch-türkischerClub,ärztin8.Seyranates,Rechtsanwältin9.Dr.navidKermani,Orientalistundautor10.FeridunZaimoglu,autor

(*imPlenumhatsichseitGründungderislamKonferenzeinepersonelleVeränderungergeben:WalidnakschbandihatteseinenSitzfreigegeben.anseineStelleistnihatSorgecgetreten,dergeschäftsführenderGesellschafterdesbildungsWerkinKreuzbergGmbH(bWK)istundbereitsinderarbeitsgruppe3„WirtschaftundMedienalsbrücke“mitgearbeitethatte.beidenstaatlichenVertreternwechselndieteilnehmermitdemjeweiligenVorsitzinderinnenminister-beziehungs-weiseKultusministerkonferenzturnusmäßig.)

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Chantavedissian:alWatanalarabi(thearabnation)(2008).MischtechnikaufKarton.GezeigtinderausstellungtaSWiR.©CourtesyofRoseissaProjects

Scharia

Kommtausdemarabischenundheißtwörtlichübersetzt„DerbreiteWegzurtränke“undisteineartmuslimischerKatechismus,welchergöttliche unveränderliche Vorschriftenwie z.b.diefünfSäulenundinsbesondereDingedesGlaubens (z. b.wie einMuslime betetoderwiedieRitenderPilgerfahrtaussehen)beinhaltet.eingroßerteilderSchariabestehtaus veränderlichen Richtlinien, die dieGe-lehrtenimLaufederZeitdurchtheologischeGutachtenabgeleitethaben,welchedemnachdisponibel sind.Oftwird Scharia fälschlichmitdrakonischemStrafgerichtgleichgesetztoderKritikerschreibenfürihrepolemischenZuspitzungenderSchariadieRolleeinesanti-systemszurDemokratiezu.beidestrifftnichtzuundhatmitdereigentlichenbedeutungnichtsgemein.

Aiman A. Mazyek

SchariaundGrundgesetz:einWiderspruch?DieislamischeChartadesZentralratsderMuslimeinDeutschland/VonMathiasRohe

Viele werden die Titelfrage ohne weite-res bejahen. Aber stimmt das? Die wenig spektakuläre Antwort des Juristen und Is-lamwissenschaftlers muss lauten: Es kommt darauf an. Entgegen landläufigen Fehlver-ständnissen ist die Scharia alles andere als ein Gesetzbuch. In einem weiteren Sinne umfasst sie alle religiösen und rechtlichen Normen des Islams einschließlich der Leh-re über die Methoden ihrer Auffindung und Interpretation, also Ritualgebote oder Speisevorschriften ebenso wie Normen des Vertrags-, Wirtschafts-, Familien- oder Strafrechts. Ein unter Nichtmuslimen, aber auch manchen Muslimen verbreitetes enges Verständnis beschränkt sie auf Rechtsberei-che wie Familien- und Erbrecht, Strafrecht und Staatsrecht. Hier liegen denn auch die möglichen Konfliktbereiche, soweit nach traditionellen, zum Teil bis heute fortgeschriebenen Interpretationen eine Ungleichbehandlung der Geschlechter und Religionen sowie eine unter maßgeblichem Einfluss von Religionsgelehrten stehende Staatsorganisation vorgeschrieben wird.

Daranwirddeutlich,dassausSichtdesdeut-schenRechtszwischendeneinzelnenRege-

lungsbereichenunterschiedenwerdenmuss:Re-ligiösenormenderSchariawieRitualvorschriftengenießendenSchutzdergrundgesetzlichgaran-tiertenReligionsfreiheit.Rechtlichenormenkön-nenhingegennurdannzuranwendungkommen,wenndasdeutscheRechtselbstdiesermöglichtodersogarvorschreibt.DiesistderFallz.b.beiin-strumentenislamkonformenWirtschaftensoderbeiinternationalenLebensverhältnissenetwaimbereichdesFamilienrechts,soweitdasergebnisderanwendungsolcherVorschriftennichtdemgrundlegendendeutschenRechtskonsens(„ordrepublic“)widerspricht.einesdererstenDokumenteinDeutschlandzurPositionierungvonMuslimenindiesenFragenist die islamischeCharta des Zentralrats derMuslimeinDeutschland(ZMD)von2002.SieenthälttheologischewieauchstaatsbürgerlichorientiertePositionsbestimmungen;nurletzterekönnenhierangesprochenwerden.entgegender engen Formulierung in der Präambelrichtetsiesichinhaltlichandiedeutschenicht-muslimischeMehrheitsgesellschaft,aberauchandiehiesigenMuslime.DamitistzugleicheinVerständnisproblemangesprochen:MancheinderChartaaufgeführtenaussagensindnuraufderGrundlagesoliderislamwissenschaftlicherKenntnisseverständlich.Dasbetrifftgeradedie-jenigenPassagen,diesichmitdemVerhältniszurRechtsordnungdessäkularenStaatesbefas-sen(art.10bis13).SieenthaltenwichtigeundineinemPunkt sogarbahnbrechendeaussa-gen,knüpfenallerdingsaneinefürweiteKreiseunverständliche islamrechtliche terminologiean.DieherausgehobeneakzeptanzeinzelnerRechtsbereiche,wiederGrundlagendesdemo-kratischenRechtsstaatsoderdesFamilien-underbrechts,hatzurFrageveranlasst,wasdennfürdienichtgenanntenbereichegelte.Hierzumussmanwissen,dassgeradeindengenann-tenbereichendaseigentlicherechtskulturelleKonfliktpotential zwischen deutschem undtraditionellem islamischem Recht liegt; wennhierdasdeutscheRechtakzeptiertwird, sinddie damit verbundenen Probleme insgesamtbewältigt.

essentiell neu und überaus begrüßenswert istdie deutliche Formulierung allgemeiner Reli-gionsfreiheitunterbezugnahmeaufdiekorani-scheaussageinSure2,256,wonacheskeinenZwang in der Religion gibt. in der klassischenLiteratur herrschtUneinigkeit darüber, ob da-mit nur innerislamischer Pluralismus geschütztwird,oderobauchangehörigeandererReligi-onen gemeint sind,wie etwader bedeutendeKorankommentator ibnKathir es versteht.Dieaussageinart.11istklarformuliert;mehrfachenachfragenbeiRepräsentantendesZentralratsderMuslime (ZMD),auchdurchdenVerfasservorlaufenderFernsehkamera,habenergeben,dassdamitauchdermöglicheaustrittausdemislamgemeint sei. ebensoneuundvorbildlichist die offeneakzeptanz desnicht-Glaubens.Offen bleibt, ob die erläuterndeaussage desehemaligenVorsitzendendesZMDKöhler,dieChartaseieineDiskussionsgrundlageundkeintheologischesPapier(nachzulesenunterhttp://islam.de/16082.php),relativierendwirkensoll.immerhinwerdendortdieaussagenderChartadann aber dochwieder als die theologischeGrundüberzeugungdesZMDbezeichnet.ineinigenmuslimischenOrganisationeneuropashatdieChartaVorbildfunktiongewonnen.Derdamalige bayerische innenminister becksteinhat siealswichtigenSchritt inRichtung integ-rationbezeichnet.indertatspiegeltdieChartazugleich dieMigrationsgeschichte des islamsin Deutschland, wenn in art. 10 auf Visum,aufenthaltsgenehmigungundeinbürgerungalsGrundlagenderVerpflichtungaufdiedeutscheRechtsordnunggenanntwerden,nichtaberdieStaatsbürgerschaftalssolche.DieChartaistandererseitsnichtohneKritikgeblie-ben,dieteilweisesehrnüchtern-sachlich,teilsaberauchhöchst polemischundmit starkemWillenzumMissverständnisformuliertwurde.LetzteresgiltsicherlichauchfürdieKritikvoninnen:ahmadvonDenffer,führenderVertretereinerMitglieds-organisationdesZMD(islamischesZentrumMün-chen,iZ),hatdenVerfassernvorgeworfen,wiederMärchenwolf „Kreidegefressen zuhaben“.Das

bedientvorzüglichdieVorurteilevonislamhassern.insgesamtfügtsichdieCharta indengrößerenZusammenhanggegenwärtigerPositionierungvonMuslimenineuropäischensäkularenRechtsstaa-ten.Hiersindargumentativzweiunterschiedlicheansätzeerkennbar,diefreilichnichtimmerscharfvoneinanderzutrennensind.DerweitestreichendeansatzdefiniertMuslimeundmuslimischesLebenschlichtausdemjeweiligenLebenskontextheraus,alsoauseinerPositiondes„Dazugehörens“,derstrukturellenteilhabeanGesellschaftundStaat.Dieseransatzisthistorischnochvergleichsweiseneu;er findetVertretervorallemindenjenigenWeltregionen,indenenMuslimeschonlängeringrößerer Zahl, aber als zahlenmäßigeMinder-heit leben, indenenaberauchReligionsfreiheitfürMehrheitundMinderheitnacheinheitlichenrechtlichenMaßstäbengewährleistetwird.tradi-tionalistenwerdensichnichtmitihmanfreundenkönnen.SoistdieaussagedesbosnischenGroß-muftiCeric,erverstehedaselementareSchutzgut„din“ im islamnichtals „Religion“ (des islams),sondernalsGemeinwohlaller,wasz.b.aufdenhöhnischenWiderspruchdesVorstandsmitgliedsdeserwähnteniZMünchenal-Khalifagestoßenist.Sehrvielbreiteretabliertundseit vielen Jahr-hunderten entwickelt ist der ansatz, auf densichauchdieChartadesZMDstützt.erbesagt,dassMuslime, die sichauf nicht islamischbe-herrschtem territorium aufhalten,wegen derdort gewährleisteten Sicherheit die dortigenGesetzeauchausmuslimischerSichteinhaltenmüssen. Sollten sie der auffassung sein, dortihrenGlauben nicht hinreichend praktizierenzu können, sind sie gehalten, in ein islamischbeherrschtesLandauszuwandern, indemdiesgewährleistet ist.aufdiesesbegründungsmus-terstützt sichoffenbardieCharta.einsolcher– durchaus rechtsfreundlicher – ansatz dürftetraditionell orientiertenMuslimen besondersleicht zu vermitteln sein,unddiesdürfteaucheinederwesentlichenintentionenfürdieWahlderargumentationgewesensein.SelbstverständlichbedarfderGeltungsanspruchderdeutschenGesetzekeinerzusätzlichenre-

ligiösenbegründung.esdürfteaberstabilisie-rendzugunstendesRechtsstaatswirken,wennreligiöseMenschen zusätzlich auch aus derSichtihrerReligionRechtstreuebejahen.DamitwerdenGrundlagenzumindestfüreinfriedlichesnebeneinandergelegt.Offenmussbleiben,in-wieweitdertraditionelleansatzauchdorttragenkann,woeineaktivebejahungderwesentlichenRechtsgrundlagengefordertwerdenkann,wiebeiderÜbernahmeöffentlicherämteroderbeidereinbürgerung.Hiermageinepsychologischebarrierevorhandensein,wennmansichselbstineinerstrukturellen„auslandsposition“unddamitin einem religiösen ausnahmezustand sieht.Gegenwärtige Versuche, ein religiöses nor-mensystemfürmuslimischeMinderheiten(sog.„fiqh al-aqalliyat“) zu entwickeln, changierenzwischenabgrenzenderidentitätswahrungundentwicklungeinermuslimischenSelbstdefinitionals teil der umgebenden Gesellschaft. VordiesemHintergrund ist die etablierung einerauthentischenmuslimischennormenlehre imRahmendessäkularenRechtsstaatsaufakade-mischemniveaumehralswünschenswert,wiesie nun immehreren deutschenUniversitätenerfolgt,darunterauchanderjenigen,anwelcherderVerfasserlehrtundforscht.StofffürweitereDebattenkönnteetwadieFrageliefern,obeswirklichdenintentionendesislamsentspricht,esinDeutschlandlebendenMuslimennahezu-legen,diehiergeltendetestierfreiheitzunutzen,umdie traditionelleerbrechtlicheUngleichbe-handlung derGeschlechter in dieGegenwarthineinfortzuschreiben,inderFrauenwieMän-nergleichermaßenzumFamilienunterhaltinallseinenFormenbeizutragenpflegenunddeshalbkeine sachlichenGründe für ein angebliches„Kompensationsbedürfnis“zugunstenvonMän-nernersichtlichsind.

DeRVeRFaSSeRiStLeHRStUHLinHabeRFÜRbÜRGeRLiCHeSReCHt,inteRnatiOnaLeSPRiVatReCHtUnDReCHtSVeRGLeiCHUnGDeRUniVeRSitäteRLanGen-nÜRnbeRGSOWieRiCHteRaMOLGa.D.

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DerislamausSichtdesVerfassungsschutzeseinfriedlichesZusammenlebenbrauchtsachlicheauseinandersetzung/VonHeinzFromm

Auf den ersten Blick erstaunt es, dass der Präsident des Bundesamtes für Verfas-sungsschutz nach seiner Sicht auf den Islam gefragt wird. Es käme wohl niemand ohne weiteres auf die Idee, mich nach meiner amtlichen Sicht auf das Christentum oder Ju-dentum zu fragen. Der Grund für die aktuelle Bedeutung des Themas „Islam“ und dafür, dass in meiner Behörde die Kompetenz für damit zusammenhängende Fragen vermutet wird, liegt zum einen wahrscheinlich in der anhaltenden Gefahr durch den islamisti-schen Terrorismus und der umfänglichen Medienberichterstattung hierzu. Zum an-deren spielt der Islam auch in der aktuellen Integrationsdebatte eine Rolle. Vielfach wird dort der Islam mitverantwortlich gemacht für einen mangelhaften Integrationswillen oder unzureichende Integrationsfähigkeit eines Teils der Muslime. In beiden Fällen assoziieren die Menschen in Deutschland be-drohliches oder konfliktbehaftetes Verhalten mit „dem Islam“ oder davon abgeleiteten Begriffen. „Nicht jeder Muslim ist ein Ter-rorist, aber viele Terroristen sind Muslime“. Mit diesem Spruch nach den Anschlägen vom 11. September 2001 prägte sich in vie-len Köpfen ein Bild ein, das seit dieser Zeit im öffentlichen Diskurs immer wieder offen oder unterschwellig vorzufinden ist. Häufig vergessen wird dagegen die Tatsache, dass auch die meisten Opfer des islamistischen Terrorismus Muslime sind.

Zunächstistfestzustellen–ichbetonediesbeijedersichmirbietendenGelegenheit–dass

unserbeobachtungsauftragnichtderislamischenReligion gilt, sondern dem islamismus.DieseUnterscheidungistdieGrundlagefürunsertä-tigwerdenundaucheinfesterbestandteilunsereröffentlichkeitsarbeit.inderenRahmenveröffent-lichtderVerfassungsschutzgemäßdemauftrag„Verfassungsschutzdurchaufklärung“jährlichdenVerfassungsschutzberichtsowiebroschürenzumthemenbereich.auchdieWanderausstellung„DiemissbrauchteReligion– islamismus inDeutsch-land“dientderinformationundSensibilisierungder bevölkerung. bei dieserausstellunghabeninteressiertebesucherdieMöglichkeit,direktmitVerfassungsschützernüberden islamismusundislamistischenterrorismuszudiskutieren.Wiedieerfahrungzeigt,wirddiesesangebotbesondersauchvonmuslimischenMitbürgerngenutzt.beivielenpersönlichenbegegnungenmitPerso-nendesöffentlichenLebensoderauchmitMedien-vertreternhabeichdeneindruckgewonnen,dasswirdieerwähntetrennschärfezwischenReligionundextremismusganzgutindiedeutscheöffent-lichkeit transportiert unddort verankerthaben.UnserblickrichtetsichnichtaufdieReligionoderGläubigealseinhomogenesGanzes.Dieserblickaufdie„umma“–dieGemeinschaftallerGläubi-gen–wäreder,denislamistenhaben.Sogenannteislamgegner in europa teilen imÜbrigendieseSicht,indemsiedieidentitätderMuslimeaufihreReligionreduzieren.Darausleitensieverallgemei-nerndeeigenschaftenundbefürchtungengegen-überdiesemteilderbevölkerungoderMuslimeninsgesamtab.islamophobenutzensomitebensowieislamisteneineStrategiederausgrenzungundFeindbilderzeugung.Dievereinfachendebeschrei-bungeinesislams,derfüralleMuslimemehroderwenigerdasGleichebedeuteundüberdiesderenbestimmendesidentitätsmerkmalsei,wirdjedochderkomplexenLebenswirklichkeit, insbesonderederMuslimeineuropa,inkeinerWeisegerecht.ihreReligionspraxisistähnlichunterschiedlichwieinanderenReligionenundwirdselbstverständlichauchvonkulturellenundgesellschaftlichenFak-torenbeeinflusst.eine nüchterne und differenzierteDarstellungistinallenvomVerfassungsschutzbeobachtetenPhänomenbereichenwichtig,alsoauchimRechts-extremismusundimLinksextremismus,aberange-sichtsmancheröffentlicherÜberhitzungenscheintmirdasbeimthemaislamismusganzbesondersnotwendig. es ist unsere gesetzlicheaufgabe,tatsächlicheanhaltspunkte zu sammelnund zubewerten,diedieannahmebegründen,dasseineGruppierungsichgegendieverfassungsmäßigeOrdnungrichtet.Dabeisindsolcheanhaltspunkteimmer konkrete erkenntnisse zu ideologieundaktivitäten vonOrganisationen, PersonenundnetzwerkenundnichteinPauschalverdachtgegeneinebestimmteGruppevonMenschen.Zielvonislamistenistes,eineausschließlichaufihrerVorstellung vom islambasierendeGesell-schafts-undRechtsordnungzuerrichten.Sieste-

heninsoferninoffenemWiderspruchzuunsererfreiheitlichen demokratischenGrundordnung,derenGrundwertewiePluralismus,Volkssouve-ränität,GleichberechtigungundMeinungsfreiheitsienicht teilen, sondernbekämpfen. SalafistenbeispielsweiseorientierensichdoktrinäraneinemidealisiertenLeitbildderFrühzeitdesislams,dassieallerdingsmitallentechnischenMöglichkei-tenmoderner Kommunikation, insbesonderedesinternetsjugendgerechtinSzenesetzen.SielehnendieDemokratienderwestlichenWeltunddieihnenzugrundeliegendenWerteab,dasievonMenschen gemacht und nicht gottgewolltseien. Salafistischausgerichtete islamseminareförderninvielenFällenRadikalisierungsprozessevonJugendlichenbishinzumWunsch,selbstambewaffneten Jihad teilzunehmen, auchwennin diesen Seminaren selbst nicht zurGewaltaufgerufenwird.Der Salafismus liefert jedochideologischdieLegitimationfürdenJihadismus,derzurDurchsetzungseinerZieledieanwendungvonGewalt,auchmittelsterroristischeranschlä-ge,befürwortet.Um unseren aufgaben gerecht zu werden,benötigenwir umfassendesWissen über diepolitischen, gesellschaftlichenundhistorischen

Faktoren,diefürdieentstehungundentwicklungislamistischerStrukturenvonbedeutungsind.DieVerfassungsschutzbehördeninbundundLändernhabendaherindenvergangenenJahrenFach-wissenschaftler,insbesondereislamwissenschaft-lereingestellt,diediesenerweitertenblickwinkelmitbringen.andersalswirsehenislamistensichselbstnichtalsRandgruppeindermuslimischenGemeinschaft, sondern als derenavantgardeundteilsalsdieeinzigwahrenMuslime.Siehal-ten ihrVerständnisdes islams fürdiealleinigeWahrheitundbeanspruchendieDeutungshoheitfür„denislam“fürsich.insoferngehtesbeiderDebatteumislamundislamismusauchumeineauseinandersetzunginnerhalbdermuslimischenGemeinschaft.WirverfolgendaherebenfallsdieinnermuslimischenDiskurse sowohl innerhalbalsauchaußerhalbDeutschlands,umzusehen,inwiefern diese auf Prozesse in Deutschlandrückwirken.Darüberhinausbenutzenislamistenundislamistischeterroristennormativetextedesislams und bestimmte auslegungstraditionenundGelehrtenmeinungen, um ihre ideologi-schenGrundsätze zu legitimieren.Deshalb istdieKenntnisebendieserQuellenunverzichtbar.Hierzugehörtbeispielhaftdieanalysederbe-

deutungsvielfalt des begriffs „Jihad“, der einezivile und eine kriegerische Komponente hat.Gewaltbereiteislamistenverstehenihnvorrangigalsmilitanteaktionsformunddeklarierenihnzueiner vermeintlich „individuellen Pflicht“ einesjedenMuslims.Dieseauslegung ist prägenderbestandteilderideologiedesglobalenJihadundüberragtdasZieldererrichtungeinerislamisti-schenStaatsordnung.JihadistenglaubenmitdemJihad „den islam“ zu verwirklichenund ihn zueinerartendzeitlichemSiegzuführen.eswärezuwünschen,dassdasWissenumsol-cheZusammenhänge,Unterschiede,historischeundkulturelleFaktorenverstärkteingangindiebeschreibungder verschiedenenausprägungendes islams fände.Gleichzeitig ist jedoch immerzubeachten,dassjedeReligion,auchderislam,nichtalleinundnicht ingleichemMaße identi-tätsstiftend für alleangehörigeneiner Religionist – inDeutschland und anderswo.Daswäreein beitrag zur sachlichenauseinandersetzungiminteressedesfriedlichenZusammenlebensinunsererGesellschaft.

DeRVeRFaSSeRiStPRäSiDentDeSbUnDeS-aMteSFÜRVeRFaSSUnGSSCHUtZ

FeingearbeitetebergkristallflaschemitzweiPapageien,ägypten,1.Hälfte11.Jh.©MuseumfürislamischeKunst/SammlungedmunddeUnger,Foto:ingridGeske

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„WirbrauchenheutemehrDialogalsjezuvor“aimana.MazyekimGesprächmitaliDere,demStellvertretendenVorsitzendenderDitib

Mehr Partizipation wünschen sich viele Muslime in Deutschland. Dachverbände wie die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB) sind allein schon struk-turell bedingt jene Größen, die als Inter-essensvertreter zu den Islamkonferenzen der Bundesregierung geladen werden. Ali Dere ist seit 2010 stellvertretender Vorsit-zender der DITIB. Aiman A. Mazyek sprach mit dem promovierten islamischen Theolo-gen und ehemaligen Abteilungsleiter für Auslandsbeziehungen des Präsidiums für religiöse Angelegenheiten (Diyanet) über das Zusammenleben von Muslimen und Nichtmuslimen in Deutschland.

Aiman A. Mazyek:WelcheZieleundMaßnah-menwollenSieinihreramtszeitverwirklichen?Ali Dere:inmeineramtszeitalsbotschaftsratfürReligionsangelegenheitenmöchteichmitdemWissenunddererfahrung,dieichmitbringe,füreine qualitative hochwertige KommunikationzwischendenzuständigenStelleninDeutschlandundunserenVereinenundGemeindensorgen.alsislamischertheologe,derinDeutschlandpro-movierthat,werdeichimbereichderetablierungderislamischentheologieinDeutschlandversu-chen,sowohlmeinepersönlichenerfahrungenalsauchdiedertürkeimiteinzubringen.MeingrößterWunschwäre es, auf rationaler basisgemeinsam Lösungen für den Religionsdienstund die sonstigen bedürfnisse zu finden.DielangjährigeerfahrunginDeutschlandwirdmirhierbei sicherlicheinegroßeHilfe sein.Obesnundarumgeht, unsereDienste zu erweiternunddamitdenbestehendenbedürfnissenent-gegenzukommen, oder darum, auf neuartigebedürfnissezureagierenundfürdiesebedarfs-gerechteangebotezuentwickeln.einjederinderdeutschenGesellschaft,derenteilwirsind,solltedasbeitragen,zudemerodersieinderLageist,umunsereZukunftgemeinsambessergestaltenzukönnen.HerkunftundGlaubedürfendabeikeinProblemdarstellen,Vorurteileundängstesindaußenvorzulassen.Mazyek: Ursprünglich haben die türkei undDeutschlandüberverschiedeneanwerbeabkom-mensignalisiert,dassdiePräsenzdertürkeninDeutschlandnureineFragevonkurzerDauerseinsollte.eskambekanntlichanders.WiestelltsichdieDitib,diejamitdemPräsidiumfürRe-ligiöseangelegenheiten(Diyanet)indertürkeiverwobenist,diesenneuenHerausforderungen?Dere: DieZusammenarbeitderDitibalsDach-verbandmitdemPräsidiumfürReligiöseangele-genheiten,derDiyanet,beschränktsichaufdenbereichderreligiösenDienste.DieindenDitib-Ortsvereinenwirkenden Religionsbeauftragtensind berufserfahrene, studierte theologenderDiyanet.DiesesFachpersonalwirdaußerdemvonderDiyanet inZusammenarbeitmitdeutscheninstitutionenundeinrichtungenaufihrenDienstinDeutschlandvorbereitetundistdamitauchteilderZusammenarbeitmitDeutscheninstitutionenundeinrichtungen.natürlichmüssendiemuslimischenMigranteninDeutschlandihrreligiösesangebotundihrereligiösenDienste,insbesondereaberdiehierfürnötigen einrichtungen und institutionen nochweiterentwickeln.DieDiyanetistbestrebt, ihresinn-undniveauvolleZusammenarbeitmitvielenLänderneuropasundasiensauchmitDeutsch-landzuoptimierenundsomiteinenbeitragfürdasLandzuleisten.Ganzgleich,umwelchedertheologienessichhandelt:theologieistoffenfürneuerungen,gleichzeitigkommtsieaberauseinergewissentradition,dersietreubleibt.FürLänderwieDeutschland, inderdie islamischetheologie und islamische einrichtungen, dieReligionsdienstebieten,historischgesehennochamanfangstehen,istesdahernurratsam,wennnichtgarunumgänglich,vondenerfahrungenderDiyanetunddertheologiefakultätenindertürkei zu profitieren.DieGespräche und deraustauschunterhochrangigenVertreternbeiderLänderbekräftigendieseansichtnur.islamischetheologiemussetabliert,einrichtun-genundinstitutionenhierfürgegründetwerden.Diese institutionenunddie Lehre, die sie ver-treten,müssenaberuniversellausgerichtetundgrenzüberschreitendsein.MitanderenWorten:islamische theologiemuss aufWissenschaft-lichkeitgründen,umihreranerkennungwillentraditionellausgerichtetseinundfernabbleibenvonjedwederregionaleroderstaatlicherPolitik.Unddennochdürfenwirtrotzalldieseraspektenicht vergessen, dass die Lebensrealitäten vorOrt für unsere arbeit ausschlaggebend sind.

Die erwartungen, bedürfnisse undWünschedermuslimischenReligionsgemeinschaftenundGemeindenhabensichüberdieZeithinwegna-türlichverändert,diessowohlqualitativalsauchquantitativ. ZeitgemäßeGemeindearbeit, dieaufklärungs-, bildungs-, Jugend-, Frauen-undSeniorenarbeitmitallihrenzahlreichenFacetteneinschließt,gehörtebensodazu.Dasehrenamtwar und ist in dieser Lebensrealität auch eineentscheidendeSäulederGemeindearbeit,derenfortschreitende Professionalisierung auch zuunseremauftraggehört.nursokönnenwirdenveränderten erwartungen undanforderungenvoninnenundaußengerechtwerden.WährendfrüherderReligionsbeauftragtezurbetreuungderreligiösenbedürfnissealsausreichenderschien,gewinntheutezurerfüllungdererwartungenundanforderungenvonGemeindenundderMehr-heitsgesellschaftgleichermaßendiestrukturierteaufgabendefinitionund-verteilunganbedeutung.Mazyek: WiebegegnenSiedenaussagen,dassDitibnichtunabhängigsei?Dere: Ditibistsowohlrechtlich,alsauchfinanziellvollkommenunabhängig.alsjuristischePersonistjedeihrerentscheidungen,derenUmsetzungunddieentsprechendeVerantwortlichkeitaufsieselbstzurückzuführen.DiesgiltauchfürdasFinanzielle.LediglichimZusammenhangmitdenreligiösenDienstenisteineengeZusammenarbeitmitderDiyanetvorhanden.Diesistkeineabhängigkeit,sondernganzimGegenteilderVersuch,diefürdenMenschenbefreiendeFunktionderReligionmitHilfeeineranerkanntenReligionseinrichtungandieMenschenheranzutragen.Mazyek: Moscheen vonDitib sind oftOpfervonanschlägengewesen,zuletztwiederholtdieSehitlik-Moscheeinberlin.WieschätzenSiedieSituationein?Dere: ichkannmiraufkeinenFallvorstellen,dassdietäterreligiössindundRespektvorre-ligiösenWertenhaben.DieseMängelmüsseninderSchule,imReligionsunterrichtundinderFamiliebehobenundnachgeholtwerden.GanzgleichobessichhierbeiumeineMoschee,umeinanderesGotteshausoderaberumeinWohnhaushandelt,anschlägeaufdiesesindaufjedenFallundimselbenMaßezuverurteilen.Mazyek: MomentanlebenwiralleineinersehrangespanntenSituation.WasratenSieMuslimendiesbezüglich?Dere: DiebesagteVerschlechterungdesKli-masisteigentlichnichtaufeinenFaktoralleinzurückzuführen. Daher wäre es an dieserStelle angebracht, erst einmal die Faktorenvoneinanderzutrennenodersichzumindestgewahr zu werden. Sarrazin und ähnliche

GeisteshaltungensindeinFall fürsich.Siesa-gen uns etwas darüber,wie einigeMenschenFremdewahrnehmen,siesagenunsetwasüberihreakzeptanzgegenüberMultikulturalitätund-religiosität. Zumausdruck bringen sie damit,dass siedieMenschenaufgrunddiesereigen-schaftenunterteilenundzumanderenerklären.angesichtsdessensindesnichtnurdieMuslime,sonderndieganzeGesellschaftinDeutschland,die sich hier nochmehr einbringenmuss. essollte ein regelrechterWettlauf untereinanderstattfinden, um sich näher kennen zu lernen,sichzusolidarisierenunddasLandgemeinsamineinebessereZukunftzutragen.Das,wasunsallendieZukunftweisenwird,istSelbstvertrauen,VertrauenindenjeweilsanderensowiedieLiebezumMenschen.ängsteundVorurteilehingegensindnurhinderlich,haltendenMenschennurvongutenundsinnvollenHandlungenabundsindimendeffektniemandemnützlich.Wirmüssenesschaffen,dieseHindernissezuüberwinden.Mazyek: Wie beurteilen Sie, dass die zweiteDeutsche islamKonferenz ohne den islamrat

stattfand, weil dieser nicht gewünscht war?Dere: Wir haben bei jederGelegenheit zuraussprachegebracht,dasseinegrößtmöglicheteilnahme bzw. Vertretung der organisiertenMuslimeanderzweitenDeutschenislamKon-ferenz angebracht ist undebendieseakteuredererstenKonferenzebenfallsanderzweitenhätten teilnehmen sollen.WirbrauchenheutejedwedenDialogunddiesmehralsjezuvor.DasssichMuslimealsteilderdeutschenGesellschaftimDialogmitstaatlichen instanzenundhoch-rangigenVertreterndesStaatesbefinden,bildeteinwichtigesForum.DieseDialogforenmüssenjedochauchentsprechenddemSinnunddeminhalt des begriffs „Dialog“ gestaltetwerden.Dieauslegungdieseraussagewiederumdürfteklarsein.Mazyek: VielenDankfürdasGespräch.

aiMana.MaZYeKiStVORSitZenDeRDeSZentRaLSRatSDeRMUSLiMeinDeUtSCH-LanD.aLiDeReiStSteLLVeRtRetenDeRVORSitZenDeRDeRDitib

nutzenfüralleStarkeislamischeZivilgesellschaft/VonOlafZimmermann

Im Jahr 2002 legte die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ ihren Schlussbericht vor. Diese Enquete-Kommis-sion des Deutschen Bundestags war im Jahr 1999 eingesetzt worden, ihr ging eine Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion aus dem Jahr 1997 voraus, im Jahr 2000 fand das Internationale Jahr der Freiwilligen statt und in verschiedenen Studien wurde der zi-vilgesellschaftliche Sektor vermessen; nicht zu vergessen sind die Reformen des Stif-tungssteuer- und des Stiftungszivilrechts.

Dieobengenannteenquete-KommissionhatselbsteinigeGutachteninauftraggegeben

undnimmtfürsichinanspruchdasbürgerschaft-licheengagement inDeutschlandgründlich indenblickgenommenzuhaben.ihreHandlungs-empfehlungendienenteilweiseheutenochalsGrundlagefürentscheidungenzurFörderungdesbürgerschaftlichenengagementsinDeutschland.Dennocheinkritischerblick zurückzeigt,dassdaszivilgesellschaftlicheengagementdermus-limischenCommunitynichtberücksichtigtwurde.

Selbstverständlichwurde das engagement derKirchenbetrachtet,ebensoderchristlichenLai-enbewegungen.Demmuslimischenengagementwurde aber nur ein kleiner Verlegenheitsab-schnittgewidmet.ähnlich kritischmuss die arbeit der enquete-KommissiondesDeutschenbundestags„KulturinDeutschland“(2003bis2007)gesehenwerden.HierwurdesogarineinemeigenengroßenGut-achtenerstmalsdaskulturelleengagementderKirchenquantifiziert.DerSchwerpunktKulturundKircheinpolitik und kulturgehtnichtzuletztauchaufdieDebatteindieserenquete-Kommissionzurück.DaskulturelleengagementmuslimischerGemeinschaften spielt aber eigentlich keineRolle.Daichselbstbeidenenquete-KommissionendesDeutschenbundestagsangehörthabe,zeigeichnichtnuraufandere,sondernstellebesondersbeimirselbstfest,dassdaszivilgesellschaftlicheengagement vonMuslimen jeweils ein blinderFleckwar.Dahilft auchdasargumentwenig,dasssichvondenMuslimen,dieinDeutschland

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Haletenger:beirut(2005-2007).Videoinstallation,3:47Min.,Musik:Serdarateser.GezeigtinderausstellungtaSWiR.©Haletenger

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politik und kultur•Jan.–Feb.2011•Seite35Islam · Kultur · Politik••••••••

leben, nur ein (kleiner) teil tatsächlich inMo-schevereinenundanderenzivilgesellschaftlichenislamischenOrganisationenengagiert.GleicheslässtsichvondenChristensagen.auchhieren-gagiertsichnureinteilaktivineinerGemeinde.DennochhatdasWortderchristlichenKirchenGewicht.Unddasistrichtigundgutso.Undmanstellesicheinmalvor,derbundesinnenministerlädtzueinerChristenkonferenzein,zuderKir-chennureinenteilderDelegiertenentsendendürfenundderRestderPlätzeamKonferenz-tisch bliebe explizit kirchenfernen oder sogarkirchenfeindlichen Personen vorbehalten. einSturmderentrüstungwürdesicherhebenund,wieichmeine,zuRecht.beiderDeutschenislam

Fortsetzung von Seite 34 Konferenz ist ein solchesVorgehen Programmund daswirft Fragen nach der ernsthaftigkeitdesDialogangebotsauf.inderdeutschenGesellschaft,inderderislamdiedrittstärkstereligiöseKraftist,kannsichdererwähnteblindeFleckeigentlichnichtgeleistetwerden.Damitdaszivilgesellschaftlicheengage-mentvonMuslimeneinengrößerenStellenwertindengesellschaftlichenDebattenbekommt,sindallegefordert.DiemuslimischenOrganisationenselbst,indemsiesicheinmischenindiegesell-schaftlicheDiskussion,indemsiesicheinbringeningesamtgesellschaftlicheFragenwieesauchdiechristlichenKirchenmachen.VieleislamischeOrganisationenwerdendazuauseigenerfinan-ziellerKraftnichtimStandesein.essolltedaheroffendarübernachgedachtwerden,wieislami-

scheOrganisationenunterstütztwerdenkönnen,damitsieeinsolcheszivilgesellschaftlichesen-gagement leistenkönnen.DiesesengagementistebenmehralsSelbsthilfeundbeistand,esistauchdieermöglichungpolitischerPartizipation.Gefragt sind aber auch die anderen zivilge-sellschaftlichenOrganisationen. auchwir alsDeutscherKulturratmüssenunsfragenlassen,warumbislangKontaktezudenbeidengroßenchristlichenKircheneineSelbstverständlichkeitsind,diesezudenmuslimischenVerbändenabererst noch aufgebaut werdenmüssen. DiesesDossier ist ein erster anlauf zur Kommunika-tion. Zur Kommunikation nach innen, umdiebandbreitedesthemasislam·Kultur∙Politikzuzeigen.ZurKommunikationnachaußen,umzuverdeutlichen,dasswirdenaustauschmitder

muslimischen Zivilgesellschaft suchen. ich binfestdavonüberzeugt,dassdiebeseitigungderblindenFleckeneinenwichtigenbeitragzurge-sellschaftlichenintegrationleistenundzueinemMehr anMiteinander führenwird.Wir habeneinelementaresinteressedaran,dassicheinestarkeislamischeZivilgesellschaftinDeutschlandentwickelt.nursieistderGarantfüreinedemo-kratischeentwicklungdesislamsinDeutschland.

DeRVeRFaSSeRiStGeSCHäFtSFÜHReRDeSDeUtSCHenKULtURRateS.eRGeHöRteaLSSaCHVeRStänDiGeSMitGLieDDenenQUete-KOMMiSSiOnenDeSDeUtSCHenbUnDeStaGeS„ZUKUnFtDeSbÜRGeR-SCHaFtLiCHenenGaGeMentS“UnD„KUL-tURinDeUtSCHLanD“an

tagderoffenenMoscheeGesprächemitMuslimensindeffektiveralsGesprächeübersie/VonnurhanSoykan

Jedes Jahr öffnen bundesweit bis zu 1.000 Moscheen ihre Pforten zum „Tag der offenen Moschee“, kurz ToM genannt. Diese Aktion geht auf eine im Jahre 2007 gestartete Initiative des Zentralrats der Muslime in Deutschland zurück und entwickelte sich im Laufe der Jahre zum Selbstläufer. Hunderte Moscheen aller islamischen Verbände neh-men Jahr für Jahr daran teil. Der bewusst gewählte Zeitpunkt am Tag der Deutschen Einheit soll das Selbstverständnis der Mus-lime als Teil der deutschen Einheit und ihre Verbundenheit mit der Gesamtbevölkerung zum Ausdruck bringen.

Dertagwirdveranstaltetzurinformation,ei-gendarstellungundzumgegenseitigenKen-

nenlernen.öffnungundDialogsollenstattfinden.DieMenschensollensicheineigenesbildvomislamunddenMuslimenmachenundsichselbstihreMeinungbilden.MeistführtefehlendesWis-senüberMuslimezuVorurteilen,dieeingedeihli-chesMiteinanderinderGesellschafterschwerten.DieslagauchandenbeschränktenMöglichkeitenderMuslime,WissenweiterzugebenundFragenzubeantworten.Sprachlichebarrierenundfeh-lendebereitschaftderansprechpartnerkameninderVergangenheithinzu.DurchfähigeMoschee-führerwird heute dem informationsbedürfnisderbevölkerungGenügegetan.VieleMoscheensorgenauchfürdasleiblicheWohlihrerbesucherundbietenmusikalischeDarbietungenan,waszueinergemütlichenatmosphärebeiträgt.DadurchkönnenHemmschwellenabgebautwerden, davielebesuchermiteinemUnbehagenimbauchkommen.Vielesindmisstrauischundwollensichnurvergewissern,obihrenachbarndennegati-venStereotypenausdenMedientatsächlichent-sprechen.FürvielebesucheristesderersteKon-taktmitMuslimen.Manchesindenttäuscht,dasiesicheineMoscheeprächtigervorgestellthatten,mancheüberrascht,dasiedieGebäudekanntenundniefüreineMoscheegehaltenhätten.ZumerstenMalludderKoordinierungsratderMuslime(KRM)imJahr2007unterdemMotto„Moscheen–brückenfüreinegemeinsameZukunft“zudie-semtagein.DieviergrößtenislamischenDach-verbändeZentralratderMuslime,islamrat,DitibundderVereinislamischerKulturzentrenhabensich imMärz2007 zuder SpitzenorganisationKRM zusammengeschlossenund verdeutlichendie einheit derMuslime inDeutschland seitherauchindergemeinsamenOrganisationdestoM.nebenMoscheeführungenundinformationsver-anstaltungeneröffnetedertagderoffenenMo-schee2007auchdieMöglichkeit,eineneinblickindenFastentagderMuslimezugewinnen.erfandindemJahrimRamadan,imFastenmonatderMuslime statt.DerRamadanwarauchdasvorherrschendethemabeidenangebotenenVor-trägenundSeminaren.VieleGemeindennutztendieseMöglichkeit dazu, auchdasgemeinsameFastenbrechenindasProgrammaufzunehmen.Da sichder islamischeKalendernichtmit demhiesigenKalenderdeckt,fieldertoM2008aufdasRamadanfestamendedesRamadanmonats.DasMotto2008lautete„Moscheen–Ortederbesinnung und des Feierns“. Die broschürebehandelte die bedeutungund die Praxis vonmuslimischen Feiertagen, insbesondere desRamadanfestes.Dieser tagwurde zumanlassgenommen,dienachbarnundinteressiertenzumgemeinsamenFeierneinzuladenundsieandemFestderLiebeteilhabenzulassen.„Moscheen–einfesterteilderGesellschaft,60Jahrebundesrepu-blikunddieMuslime“wardasMotto2009.Zielwaresaufzuzeigen,dassMuslimeinDeutschlandangekommensindundsichalsteildiesesLandessehen.MuslimesindheuteinallenGesellschafts-

schichten anzutreffen, in allen altersgruppen.Vor dreißig Jahrenwaren sie einewesentlichhomogenereGruppe. Sie haben größtenteilsdenGedanken aufgegeben, in dieHerkunfts-länder zurückzukehren, ja sie lassen sichauchzunehmendinDeutschlandbeerdigen.SichtbaresZeichenderVerwurzelungundderidentifikationmitdiesemLandsindauchMoscheen,diesowohlalsGebetsstätten, als auch als bildungs- undbegegnungszentrendienen.inderbroschüre2009wurdeaufdieangeboteinMoscheen,derenPotenzialeundaufdaseh-renamtlicheengagementderMuslimeeingegan-gen,dieeinenwichtigenbeitragzurintegrationund zumGemeinwohl leisten. eswurde dazueingeladen, auchmal einen blick auf die oftunterschätztearbeit vonMoscheen zuwerfen.DieResonanzwarmäßig,eherrückgängig.2009waraberauchdasJahrderMinarettdebatte,diemedialsehrstarkaufbereitetwurde.interessantwar,dassdasinteressefürdasinnenlebenderMoscheenichteinenbruchteildesinteressesaufsich zog,wie dasMinarett, das eigentlich nur

Zubehörist.MitdemMotto„DerKoran–1.400Jahre,aktuellundmittenimLeben“wurdebeimdiesjährigentagderoffenenMoscheedas1.400.JahrseitdembeginnderOffenbarungdesKoransbedachtundgefeiert.DerKoordinierungsratderMuslimeinDeutschlandnahmdieseshistorischeereigniszumanlass,umein zentralesanliegendesKorans zumthemades tags der offenenMoschee zumachen. indiesemJahrwurde inderbroschürederbegriffder „Verantwortung“ auf der basis desKoranserläutert.anhandverschiedenerLebensbereichewurdegezeigt,wasMuslimeunterVerantwortungverstehenundwiesiediesinnerhalbderGesell-schaftumsetzenmöchten.insbesonderewurdege-schildert,worindieVerantwortungderMoscheeninnerhalbderGesellschaftbestehtundwiemandieserVerantwortunggerechtwerdenkann.DiesesMottowurdevondenMoscheegemeindenaufgegriffen und in Form von Seminaren undKoranrezitationenumgesetzt.DertagderoffenenMoscheewirdalspositiverbeitragderMuslimegesehen, der nicht aus einerDefensivhaltung

oderOpferrolleherausgeleistetwird, sondernaus aktuellemanlass.DieseGelegenheitwirdgenutzt,denislamauseineranderenPerspektivezuzeigen,alsesvorwiegendindenMedienge-schieht,nämlichausderderMuslimeselbst.DasMotto betrifft das aktuelle LebenderMuslimeundzeigt,wasfürsiewichtigistundwomitsiesichbeschäftigen,worübersiesichfreuen,wiesiefeiernundwassichfüreinGemeindelebenindenMoscheenabspielt.esgibtsehrvielkritischesMa-terialinbezugaufMuslime,abernursehrwenigauthentisches,wasvonMuslimenselbstherrührtundihrebegeisterungfürihrenGlaubenerklärt.DasisteingroßesManko,dasauchnichtdurchden toMaufgefangenwerden kann.Dennochsindsolcheaktioneneinguteranfangundbietenanstöße,dassGesprächeüberMuslimenie soeffektivseinkönnen,wieGesprächemitihnen.

DieVeRFaSSeRiniStGeneRaLSeKRetäRinDeSZentRaLRateSDeRMUSLiMeUnDMit-GLieDDeRtOMaRbeitSGRUPPeDeSKOOR-DinieRUnGSRateSDeRMUSLiMe

Kuppeldachauseinemturmderalhambra,Granada/Spanien,frühes14.Jh.(inv.-nr.i.5/78)©MuseumfürislamischeKunst/StaatlicheMuseenzuberlin,Foto:Georgniedermeiser

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politik und kultur•Jan.–Feb.2011•Seite36Islam · Kultur · Politik••••••••

Mürvet Öztürk

inseinerRedezumtagderDeutscheneinheit2010sagtebundespräsidentWulff,dassderislamunddieMuslimezuDeutschlandgehören.DieseansichunspektakuläreFeststellungschlugun-verständlicherWeisehoheWellen.StelltsichdieFrage:WassindinDeutschlandlebendeMuslimedennsonst,wennnichteinteilDeutschlands?WährendmeinesStudiumsderislamwissenschafthabeichdieVielfaltimislamundauchdiedermuslimischen Länder kennenlernen dürfen.Dasoft inDeutschlandvermittelteeinheitlichebilddesislamsistmirallerdingsnichtbegegnet.Wennwirvomislamsprechen,mussunterschie-denwerden, ob der islam als theologie undReligion gemeint ist, der islamals Kultur undtradition, oder der islam in seiner politischenauslegung.auchunterscheidensichz.b.Mus-lime imbalkan vondenenaufderarabischenHalbinseloderinindonesien.esistmireinan-liegeninDeutschlandeindifferenziertesbilddesislamszuforcieren.alsabgeordnetedesHessischenLandtagsge-hören selbstverständlichauchMuslime zudenMenschen,diesichtäglichmitihrenbelangen,Sorgen undnöten anmichwendenoder po-litische Fragenmitmir diskutieren.Der islamspielt insofern fürmeinepolitischearbeiteinekonkreteRolle,weilichmichfürdieeinführungeinesislamischenReligionsunterrichtsinHesseneinsetze. als integrationspolitische Sprecherinbetrachte ichdie institutionelle integrationdesislams inDeutschlandals einedergroßen in-tegrationspolitischenHerausforderungen dernächstenJahre.eineaufgabe,derichmichalsPolitikerinmitallerKraftwidme.DieVeRFaSSeRiniStSPReCHeRinFÜRin-teGRatiOn,MiGRatiOnUnDPetitiOnenDeRFRaKtiOnbÜnDniS90/DieGRÜneniMHeSSiSCHenLanDtaG

Serkan Tören

DieVerankerungdesislamsindiedeutscheGesell-schaftstellteinegroßebedeutungfürdiepolitischearbeitdar.inDeutschlandlebenderzeitetwavierMillionenMuslime,diessindetwa5%derGesamt-bevölkerung.DamitbildetderislaminDeutschlanddiezahlenmäßiggrößteKonfessionhinterdenzweigroßenchristlichenGlaubensgemeinschaftenderProtestantenundKatholiken.beiderintegrationvonMuslimen steht die Politik vor besonderenHerausforderungen. Folgerichtigwurde daherdieDeutscheislamKonferenzalsForumfürdenDialog zwischenStaat undMuslimenetabliert.Dieses ForumdientdemZiel, die institutionelleeingliederungdesislamsunddiegesellschaftlicheintegrationderMuslimeinDeutschlandzuverbes-sernsowiedengesellschaftlichenZusammenhaltinunseremLandzustärken.VondenvierMillio-nenMuslimen,diezurzeitinDeutschlandleben,werdeninZukunftmehrundmehrStaatsbürgerdiesesLandeswerden.SchonheutewerdenetwazweiMillionenMuslimemit deutscher Staats-angehörigkeit gezählt. Sie sind bürger diesesLandes,undgemäßdenbestimmungenderVer-fassungsindsieberechtigt,nachihremGlaubenzu leben.PraktischeFragenwiedieUmsetzungdes islamischenReligionsunterrichts, Lehr- undForschungsangeboteandeutschenHochschulenzur imam-ausbildung, der bau vonMoscheen,Geschlechtergerechtigkeitundeineidentitätsde-batteunterMuslimenwerdendiePolitikdaherinZukunftbeschäftigen.DerislamistinzwischenteilderLebenswirklichkeitinDeutschlandgeworden.esgiltnundierichtigenundzielführendenWeichenfürdieZukunftzustellen.DeRVeRFaSSeRiStabGeORDneteRDeRFDP-bUnDeStaGSFRaKtiOn

Omid Nouripour

es ist ineinemLandmiteinergeschätztenZahlvonvierMillionenbürgerinnenundbürgernmitmuslimischemHintergrund (ein vager undun-schönerbegriff)einwenigseltsam,dassichzudenwenigenabgeordnetendesDeutschenbundesta-gesgehöre,dieindenoffiziellenangabenüberihre PersonalsGlaube „muslimisch“anführen.DreierklärungenbietensichfürdiesenUmstandan:entwedersindMuslimesoschlechtintegriert,dasssieesnichtinsParlamentschaffen,oderesschaffennurdiejenigenunterihnen,diegarkeineMuslimemehrsind,dieihrenGlaubenalsogleich-

Welchebedeutunghatderislamfürihrepolitischearbeit?abgeordnetemuslimischenGlaubensgebenauskunft

islam-bashingeinKommentarvonaimana.MazyekEndlich hat unser Bundespräsident ausge-sprochen, was ohnehin Teil der Realität ist. Fast vier Mio. Muslime leben hierzulande – längst ist der Islam Teil Deutschlands. Hat nicht der ehemalige Innenminister Wolfgang Schäuble vor fast vier Jahren genau dasselbe gesagt und hat er nicht dafür – auch von den Konservativen – Beifall bekommen? Warum jetzt diese Aufregung über diesen Satz?

nunscheintdiegiftigeSaatvonjahrelangemislam-bashingselbsternannterislamexperten,Hasspredigerundislamkritikeraufgegangenzusein.inzwischenschürennichtnurRechtspopu-listenangstvorderangeblichenislamisierungunseresLandes.Undso schlägtuns spätestensnachdem11.September 2001Hass und islamfeindlichkeitentgegen. alltags-Diskriminierungen bei ar-beits- oderWohnungssuche nehmen zu.DieSituationistkeinZuckerschleckenfürdeutscheMuslime. alleine imMonatnovember 2010wurde die berliner Sehitlik-Moschee dreimalOpfereinesbrandanschlages,vomislamfeindli-chenMordanMarwael-SherbiniimDresdenerLandgerichtimletztenJahrganzzuschweigen.DieeigentlicheFrageistdoch:istDeutschlandbereit,seinendeutschenMuslimeneineChancezugeben,oderverweistes–wiedieSarrazin-thesenesdeutlichmachen–dieMuslimedirektaufdieanklagebank?DerbundespräsidenthatdasnichtgetanundhatdieVielfaltindereinheitDeutschlandsangemahnt.DamitkeineMissverständnisseentstehen:UnsMuslimenistesgenausozuwider,wenninei-nigenVierteln pseudo-muslimischeGangsterdurchdieStraßenlaufen,diesichinermange-lungvonidentitätenaufdastürkisch-arabischeodersogaraufdasislamischezurückziehen.esistaberfalsch,dasVerhaltenvonKriminellender Religion zuzuschreiben. es gibtmuslimi-scheGangster, aber es gibt kein islamischesGangstertum,weilder islamdiesalsStraftatverabscheut. Hier fehlt die trennschärfe in

der gegenwärtigen Diskussion. Hier werdenschichtspezifischeProblemeeinfachislamisiert.Zudem ist die integrationsdiskussion in teilenverlogen: es ist einfachunfair,wennmanMi-granten jahrelang entwicklungsmöglichkeitenvorenthält und ihnen dann die Folgen dieserverfehltenPolitikanlastet,selbstaber ineinenÜberbietungswettbewerbpopulistischerPhraseneintritt,wiediejüngsteaussagevonHorstSeeho-feresdeutlichmacht.Wersoverantwortungslosredet,musssichernsthaftfragen,oberwirklichdieProbleme–dieniemandbestreitet,dassessiegibt–lösenwill.ermusssichauchfragen,warumer ständignegativsbeispiele bemüht, anstattüberdielautdemjetzigeninnenministerthomasdeMaizière85%„integrationswilligen“einwan-dererundderenerfolgsgeschichtespricht?Undwennallesnichthilft,wirddieHistoriebe-müht:diechristlich-jüdischenWurzeln,exklusivedes islam.Die jüdischePhilosophinbrucksteinÇoruh spricht in diesem Zusammenhang voneiner„erfindungdereuropäischenModerneundeinLieblingskinddertraumatisiertenDeutschen“.DabeiwerdendiegriechischenWurzelneuropaseinfach ausgeblendet und auch, dass es diearaberwaren,diebeispielsweisedieSchriftenvonaristoteleserstgeborgenundinsarabischeübersetztundbeigebrachthaben.Großechrist-lichetheologenstudiertenzudemaverroesundavicennaundwiesierichtigheißenibnRushdundibnSina.DiegriechischenWissenschaften–alsmaßgeblicheserbeeuropas–wandertenalsovomGriechischenüberdasarabische insLateinische.Wirstehenalsoimabendlandauchaufmorgenländischenbeinen,werdiesverkennt,betreibtGeschichtsfälschungundübersiehtdie700-jährigen islamischeGeschichte Spaniens,dasbisheuteeuro-arabischeMalta,deneuro-päisch-muslimischen balkan, das vomOrientkulturell durchdrungene Sizilien und die über500-jährigeenklavedermuslimischentatareninPolen.esgibthiernureines,waswirklichhilft:augenauf,europaundzurückzuderOffenheitgegenüberanderenKulturen,dieeinenKonti-nentsostarkmacht.

einWert an sich, den europa für sich auchausgemachthat, istdieOffenheitgegenüberanderenKulturen.Wennwir dieseOffenheitverlieren,würdesoaucheinStückeuropaver-lorengehen.DieaktuelleDebatteumintegra-tioninDeutschlanddarfkeineabwehrschlachtgegendenislamwerden.ichplädierevielmehrfüreinenkonstruktivenWettstreitmitdenan-deren,diebesteLösungzusuchen.„nichtumdieWetteleben,sondernumdieWerteleben“,könnteeinesanderimbestenSinneeuropä-ischen tradition angelehntesCredo heißen.imUmgangmitneuenMinderheitenzeigtsichauchinwieweitdieWertetoleranzundFreiheitinderPraxiseingelöstwerden,oderauchnicht.Derislammitseiner1.400-jährigenGeschichtebelegtjanurallzudeutlich,dasserfriedlicheabsichtenhat,niemandkanndasleugnen.DerislamhatdieMöglichkeiten,vielGutesfürdieGesellschaftzuleisten,nichtnuralseinzelnerSteuerzahlerindiesemLand,sondernauchfüreine Vision einer besseren und gerechterenWelt zu arbeiten.DieMöglichkeitenwerdeninsbesonderedannentfaltet,wenndieReligionalsindividuellesangebotverstandenwird,deneigenenLebenslinieninFreiheitnachzugehen.FreiheitbedeutetimUmkehrschlussauchVer-antwortungzuerkennenundzuübernehmen.Diesheißtdannaber,unsereLebensartenundLeitlinienaufdengroßenMarktplatzzutragenunddortnichtverkommenzulassen.Sichein-zumischenundmuntermitzudiskutieren.einarabischesSprichwortbesagt: „Die Liebezum Vaterland kommt vomGlauben“. Derislam ist nicht nurdurch seineGeschichte ineuropa ein teil Deutschlands, sondern auchdurchseine realhier lebendenmuslimischenbürger.UndlängstistDeutschlandimHerzenvielerMuslimeundteilihresDenkens,dessensindwiralleZeuge,nicht zuletztbeiunsererFußballnationalmannschaft.

DeRVeRFaSSeRiStVORSitZenDeRDeSZentRaLRatSDeRMUSLiMeinDeUtSCHLanD

sam„überwunden“haben.Schließlichkönntemanvermuten,dassderislameinsolchesPolitikumist,dassniemandihnanführt,umnicht„inVerdachtzugeraten“.alledreisindhöchstunbefriedigend.ichhabezu„meiner“ReligionkeinanderesVer-hältnis,alses,sonehmeicheszumindestan,diemeistenChristenhierzulandezuihrerhaben:esgibteineVerbundenheitmittraditionen,diesehrengmitKindheitundFamilieverbundensind,aberderkonkreteGlaubeisteherloseandenjeweiligentheologischenGrundsätzenausgerichtet.in dieserHinsicht beeinflusst der islammeinpolitischesDenkenundHandelnalsonicht. ertutes sozusagennur in zweiterOrdnung,alsodadurch,dassernichtals„normal“gilt.Dadurcherklärenwireinenteilderidentitäthunderttau-senderbürgerinnenundbürgernzumPolitikum,zumProblem.UndwirbefördernandenRänderneinen politischen islam, der nicht in unsereminteresse liegen kann. es ist deshalb geboten,den islamendlich zu integrieren.Das istmein„politischerislam“!DeRVeRFaSSeRiStSiCHeRHeitSPOLitiSCHeRSPReCHeRDeRFRaKtiOnbÜnDniS90/DieGRÜneniMDeUtSCHenbUnDeStaG

Ekin Deligöz

Religionhatfürmeinepolitischearbeitzweierleibedeutung: Zum einen als politischerGestal-tungsauftragund zumanderenals persönlicheWertehaltunginentscheidungssituationen.ichgehöreeinerpragmatischenausrichtungdesislamsan,demalevitentumindertürkei.UnsereWertehaltungbasiertaufGeboten,die inVersegefasstvonGenerationzuGenerationweiterge-gebenwerden.DaswichtigsteGebotdarauslautet:„andersGläubigehabenKaba–MeineKabaistderMensch,sowohlKoranalsaucherlöseristderMenschunddieMenschheitselbst.“Fürmich istdie sozialeGerechtigkeitundsozi-ale teilhabeMaßstab jeglichenHandelns.DerMenschsteht imMittelpunktdesGlaubensund

derWegderMenschlichkeit istderwahreWegzumGlauben.DiepolitischeDimensiondesislamsspiegeltsichin der integrationsdebattewider.Deutschlandist ein einwanderungsland und ein teil diesereinwandererlebtdenislaminDeutschlandaus.FreieReligionsausübungisteineGrundlagederidentitätundinunsererVerfassunggarantiert.als Politikerin setze ichmich dafür ein, dassdieausübungdieser auch inDeutschlandge-währleistetwird.Gleichzeitigdürfenwir inderZivilgesellschaftnichtzulassen,dassderGlaubeinstrumentalisiert wird, umabschottung odergarGewaltzurechtfertigen.GeradebeiGewaltdürfenStaatundGesellschaftkeine religiösenMotive als Rechtfertigung akzeptieren. „DenndieWahrungderMenschenrechte ist einederzentralenMotivederpolitischenVerantwortung.“DieVeRFaSSeRiniStSteLLVeRtRetenDeFRaKtiOnSVORSitZenDebÜnDniS90/DieGRÜneniMDeUtSCHenbUnDeStaG

Ismail Tipi

als Landtagsabgeordneter für denWahlkreisOffenbach-Land fühle ichmich zuallererst alsHeusenstammer,alsDeutscher.ichwurdezwaram03. Januar1959 in izmir indertürkeige-boren, aber seit 1972unddamit seit über 30Jahren lebeundarbeite ich inDeutschland. inmeinerarbeitalsLandtagsabgeordneterkommtderislamnursehrseltenvor.alsLandtagsabge-ordnetervertreteichjasehrvieleMenschen,diealleihreneigenenGlaubenhaben,ihreigenesLeben und auch ihre eigenen Probleme. VondiesenMenschenwurde ich gewählt, nicht alsMuslim, sondern als deutscher Staatsbürger.Für ihreanliegen arbeite ich. ich halte daherzumbeispielwenigvonimmermehrneuenMo-scheen inDeutschland, dadiesedie trennungzwischenStaatundReligionzuoftaufweichen.icherinnerenurandiedamiteinhergehendenProblemeausdemSchulbereich.Hierbenötigen

wirverbindlicheRegelnüberdasZusammenlebenvonreligiösentraditionen.Sozialwichtigeaktivi-tätenwieKlassenfahrtenoderderSportunterrichtmüssenvonallen,unabhängig,welchekulturellentraditionen siemitbringen, akzeptiertwerden.WirerlebeneinestärkereFundamentalisierungder Religionsausübung, geradeauch im islam,deshalbmüssenwir unsmit streng religiösenPraktikenwiedemburka-undniqab-tragensehrkritischauseinandersetzen.DieReligiondarfkei-nebeherrschendeRolleineineroffenen,liberalenGesellschaftspielen.ichhalteeswiederStaats-gründerdermodernenundwestlichorientiertentürkei,MustafaKemalatatürk:StaatundReligionsindstriktzutrennen.DerislamistfürmichwiedieanderenReligioneneine reinePrivatsache.Daheristvorallemeinegelungeneintegrationwichtig.integration,dasbedeutetfürmichnicht,dassallegleichwerden,sonderndassalleZuwan-dererinunsereGesellschaftgleicheChancenaufbildungundWohlstandbesitzen.DazugehörenaberaucheingewissesMaßananpassungso-wiederRespektdereinwanderervorderKulturund der christlichen tradition inDeutschland.integration ist eine der SchlüsselaufgabenderPolitik.Vonentscheidenderbedeutungfüreineerfolgreiche soziale,wirtschaftliche, politischeundkulturelleintegrationistdiebeherrschungderdeutschenSprache.JederdernachDeutschlandimmigrierenundsichhiereinerfülltesLebenauf-bauenwill,istunswillkommen,wennersichmitdenWertenderbundesrepublikidentifiziert,dieRegelnunsererGesetzeunddesGrundgesetzesbefolgt und respektiert.Oftmalswird dasmit„Zwangsintegration“verwechselt.Dashalte ichandieserStellefürfalsch.Deutschlandhatüberdie Jahre sehr vieleMenschen aufgenommenunddiese zumeist erfolgreich integriert.DieseVerantwortung entspricht einem christlich ge-prägtenMenschenbildundsollteauchinanderenLändernalsVorbilddienen.DeRVeRFaSSeRiStabGeORDneteRDeRCDUiMHeSSiSCHenLanDtaG

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politik und kultur•Jan.–Feb.2011•Seite37Islam · Kultur · Politik••••••••

ilovemyprophetStefanieernstimGesprächmitMelihKesmen

MiniaturausdemKönigsbuch(Schahname)mitdemmystischenVogelSimurghausdemberühmtenManuskriptfürSchahtahmasp,iran,ca.1530(inv.-nr.i.6/82)©MuseumfürislamischeKunst/StaatlicheMuseenzuberlin,Foto:JürgenLiepe

Das junge Label „Styleislam“ kombiniert Streetstyle mit einer besonderen Note Orient. „Wir kommunizieren den Islam in der Sprache der Jugend, ohne dabei unsere Werte zu verlieren“, lautet die Selbstbe-schreibung. Welche Werte und Ansichten dahinter stehen, erläutert der Gründer von „Styleislam“, Melih Kesmen, im Interview.

politik und kultur:Styleislamisteinjungesdeut-schesModelabel.VerstehenSiesichalstypischenVertreterdes„Pop-islam“?Melih Kesmen:ichwürdemichunddasUnter-nehmennichtalsteildieserStrömungbegreifen.ichsehemichselbstalsMuslim,derineineeu-ropäischeRealitätreingeborenwurde,worinfürmichüberhauptkeinWiderspruchbesteht.ichbinstolzaufmeineeuropäisch-muslimischeidentität.Soziokulturell bin ich ein absoluterDeutscher.Unddamitbinichkeineausnahme.WirMuslimelebeneinevölligandereRealität,alsdie,dieindenMediendiskutiertwird.puk: StyleislamistteilderJugendkultur?Kesmen: Ja,wirbegreifenunsalsteilderStreet-culture.puk:: ihrUnternehmenistimnordrhein-westfä-lischenWittenangesiedelt.ManwürdeSiegeo-grafischeherinberlinvermuten.Kesmen: WarumwirunserenFirmensitzinWit-tenhaben,werdeichdesöfterengefragt.aus-schlaggebendistdienähezumRuhrgebiet,einerGesamtmetropolemiteinerganzeigenenurbanenKulturundeinemganzbestimmtenLebensgefühl.inWittenistmanmittenimPott.puk: WashatSiedazubewogen,diesesunge-wöhnlicheLabelzugründen?Kesmen: Seitdem11.Septemberhatsichsehrviel verändert.alsMuslim standmanplötzlichunterGeneralverdacht.Dashabe ichsehrstarkzu spüren bekommen.DenMenschen inmei-nemUmfeldgingesähnlich.Dieblicke,dieunsbegegneten,hattensichplötzlichverändert. ichundvieleandereMuslimefühltendaraufhineinegroßeOhnmacht.ereignisse,dieunsMuslimeindenMittelpunktrückten,mehrtensich.Golfkrieg,diverseanschlägeimnahenOstenundineuropa,terrorpräventivgesetze.alsdanndieMohammed-Karikaturen veröffentlichtwurden, empfand icheinengroßenDrang,derverzerrtenDarstellungderMuslimeeineartkreativenWiderstandent-gegenzustellen.Deshalbhabeichmireint-ShirtmitdemSpruch„ilovemyprophet“bedrucktundbin damit auf die Straßegegangen.DieMen-schenhabendiesesvonderGrundaussagesehrpositiveStatementwahrgenommenundsichüberdieVerbindungvonLiebeund islamGedankengemacht.einesolcheVerbindunghatbeiVieleneineperplexe,aberallesinallempositiveReaktionausgelöst.DieUnterhaltungen,diedurchmeint-Shirtangestoßenwurden,warentoll.puk: SiewurdenaufderStraßevonPassantenaufihrt-Shirtangesprochen?Kesmen: Ja,absolut.DamalslebteichinLondon.DortherrschteineganzandereGesprächsbereit-schaftalsinDeutschland.UndauchamheutigenFeedbackunsererKundenmerke ich, dass dieSprücheGesprächeüberdenGlaubenunddasZu-sammenlebenanstoßen.WährenddesRamadansz. b. ist dieHemmschwelle viel geringer, einenMenschenander bushaltestelle anzusprechen,wennereinRamadan-Shirtträgt.SokommendieMenschenmiteinander insGespräch.DaswarmeinZiel.ichwünschemireineStärkungdesaus-tauschsaufderStraße,denehrlichenaustauschvonMuslimenundnicht-MuslimenaufderStraße.puk: WerkauftModeundaccessoiresvonSty-leislam?Kesmen: UnsereKundensindzwischen18und24Jahren.UnsereProduktewerdenvonsehrvielenjungenFrauengekauft.etwa25ProzentunsererKundensindnicht-Muslime,was ichKlasse fin-de.Daranzeigtsichdoch,dassvieleMenschenbegriffen haben, dass es uns um universellebotschaftengeht.puk: SpürenSiedieauswirkungenderaktuelleninnenpolitischenLage?Kesmen: ichbingenausobetroffen,wiedie„bio-deutsche“79-jährigetanteHelma.DeutschlandistauchmeinLandundwennterrordrohungenexis-tieren,habeichgenaudasselbemulmigeGefühl,wiealleanderenauch.ManmussdenMenschenklarmachen,dassdas,wasvonterroristenundFanatikernals islamverkauftwird,allesanderealsislamist.MenschenkidnappenmeineReligionundtunDinge,fürdieichmichrechtfertigenmuss.puk: HatderRechtfertigungsdruckzugenommen?Kesmen: absolut.Meine eltern sind normaleGastarbeiter, von denenmanch einer sagen

würde,dassbeiihnendieintegrationgescheitertsei.alsGastarbeiterwardiebeherrschungderdeutschenSprache von sekundärerbedeutung.Wasdamaligearbeitgeberinteressierte,wareinbeschäftigter, der seinearbeit erledigte. Redenwarnicht vonbedeutungunddaserlernenderdeutschenSprachewurdesomitwedergefördert,nochgefordert.Siehabenzwardaraufgeachtet,dassicheinengutenWegeinschlage,abereinebesondere Förderunghabe ich nicht erhalten.Diesheißtnicht,dasssiemichnichtwohlbehüteterzogenhabenundmichnichtimmerinnerhalbihrerMöglichkeitenunterstützthaben.Siehabenihr bestesgegebenund ichhabemeinenWeggemacht. ich würdemir wünschen, dass diepositivenbeispieleder integration vielmehr indenVordergrundgerücktwerden,umsojungenMenschenausden sozialenbrennpunkteneinePerspektiveaufzuzeigen.DurchdieVerbreitungvonKlischeesundVorurteilenwirdderGrabeninderGesellschaftnur immergrößer. in letzterZeitwerde ich immeröfter vonStiftungenundämterneingeladen,umvorJugendlichenmeineLebensgeschichteunderfahrungenzuschildernund ihnenMut zumachen.Darunter sindauch

immer vielenicht-muslimische Jugendliche.DiePolitikmussbeimthemaMigration viel stärkeraufVorbildfunktionensetzen.identitätendürfenindiesemZusammenhangnichtgeleugnetwerden.ichhabemeine20Jahregebraucht,ummeineeigeneidentitätzufinden.puk: ÜbernehmenSieselbstdieseVorbildfunkti-on?engagierenSiesichinnerhalbihresUnterneh-menskonkretfürjungeMenschen?Kesmen: UnsereDeviselautet:JungeMenschenmussmanfördern.beiStyleislambildenwirbe-trieblichaus.VorzugsweiseMädchenmitKopftuchunddas nicht, umumgekehrten Rassismus zubetreiben, sondernweil gerade sie extrembe-nachteiligtwerden.puk: istStyleislamausdruckeinesneuen,auchkreativenSelbstbewusstseins jungerMuslime inDeutschland?Kesmen: Ja, denn es existiert eineGruppeeuropäischerMuslime,diekreativundselbstbe-wusst ist unddieetwasbewegt.Ganzegal,obwirWaschmaschinen,Schuheoderblumentöpfeproduzieren.Zukünftiggehtesdarum,dasssichJugendlichemitdentatenderhierlebendenMus-limestärkeralsbislangidentifizierenkönnen.Wir

müssendennachfolgendenGenerationenzeigen,dassalldasfunktionierenkann,ohnedieeigeneidentitätüberbordzuwerfen.puk: DieVerbindungvonModeundReligionstößtsicherlich auchaufWiderspruch.Wie nehmenSiediesespolarisierendeMomentvonStyleislamwahr?Kesmen: esgibtimmerwiederKritiker,dieunsvorwerfen,wirnutzendasWortislamimZusam-menhangmitMode, umden islam durch dieHintertürmehrheitsfähig zummachen. Seltsamparanoidanmutendeaussagensinddas.einigenChristenpasstesebennicht,dasswir JesusalsbrudervonMohammedbenennen.puk: UndwiereagierenkonservativeMuslimeaufdieknallbunten,gelegentlichauchprovozierendenLogosundSprüche?Kesmen: auchinmuslimischenKreisenmeintdereinoderandere,waswirmachenhättenichtsmitdemislamzutun.SchließlichhättederProphetsoetwasniemalsgetan.Über solcheaussagenkannichnurschmunzeln.eswirdimmerMenschengeben,diewollen,dasswirMuslimeausschließlichorientalischeFolklorebetreiben.puk: VielenDankfürdasGespräch.

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politik und kultur•Jan.–Feb.2011•Seite38Islam · Kultur · Politik••••••••

islamfeindlichkeitinDeutschlandausgrenzendeStrukturenernstnehmen/VonSabineSchiffer

Während nach dem Mord an der kopf-tuchtragenden Marwa El-Sherbini noch stark geleugnet wurde (www.1001-idee.eu), dass es Islamfeindlichkeit gibt, hat sich nach der Abstimmung in der Schweiz zum sogenannten Minarettverbot eine Debatte – über die Feuilletons deutscher Zeitungen hinaus – etabliert, die das Problem antiislamischer Ressentiments ernsthaft aufgreift. Damit spiegelt die öffentliche Debatte die Ergebnisse von Un-tersuchungen wider, die einen Anstieg is-lamfeindlicher Einstellungen belegen (z. B. Heitmeyer, EUMC, PewResearchCenter, FES). Da jedoch vielfach das Konzept Islamfeind-lichkeit diffus bleibt, wird hier zunächst eine Definition vorangestellt:

DieverallgemeinerndeZuweisung(negativ-)stereotyperFaktenundFiktionenauf„den

islam“oder„dieMuslime“oderdiejenigen,diemanspontandieserGruppezuordnet.islamfeindlichkeit stellt eineUnterform allge-

meinrassistischerHaltungenundPraktikendar(vgl.StuartHall,albertMemmi,etiennebalibar,birgitRommelspacher),dieteilweisespezifischeMuster aufweist, die sich auf tatsächlich odervermeintlichislamischesbeziehen.DiespezifischebenennungeinesantiislamischenRassismus begünstigt die tendenz, nicht dieVorurteilsträgerund-strukturenzufokussieren,sondern dasObjekt dieser Vorurteile. Dabeiwerden die betroffenen weniger als Opfer,sondernvielmehralsGestalterdesislambildeswahrgenommen–ohneetwaDiskurshoheit,Me-dienzugangetc.zureflektieren.SoergebensichimmerwiedertypischeDiskursverläufe,wiemansieauch imVerlaufdersog.Feuilletondebattebeobachten konnte: Die thematisierung vonislamfeindlichkeit wurde häufig als „islamde-batte“bezeichnet,wasbereitsvomeigentlichenGegenstandderDebatteablenktunddieFrageermöglicht,obdenndieDebattebeidenMusli-menankomme.im(falschen)FokusderDebat-tenführerwardemnach,dasssichdieinhalteandiebetroffenendesantimuslimischenRassismus

richtetenundnichtandieVorurteilsträger.entscheidendist–wiebeijedemRassismus–deraspektderVerallgemeinerung,der schnelldenangeblichen „islamkritiker“ entlarvt.WenneinVerbrechen passiert und dieses eventuell garnoch vomVerbrechermit islamischenbezügenbegründetwird,dannkannesdennochnichtalsein Phänomen „des islams“ diskutiertwerden.Gegenprobenmachen einen derartigen Fehl-bezugdeutlich:WederkönnendieMissbrauchs-fälle durch Kirchenvertreter als „christlicher“Missbrauchdiskutiertwerden,nochdereinsatzvonWasserwerfern gegenDemonstranten alsausdruckder „Demokratie“.Hierwirddeutlich,dassdieKritikandengenanntenentgleisungenund deren juristische Verfolgung keineswegsdelegitimiertwird,wennman vor Stigmatisie-rungenwarnt.MedienspielenbeiderverzerrtenWahrnehmungvonislamundMuslimeneinenichtunerheblicheRolle, hat doch in neuerer Zeit vor allem dieauslandsberichterstattung unser bild geprägt,wieKaiHafezinseinerHabilitationsschriftdar-

legt.MedienmachendemüssenstetsauseinerFülle anMaterialWeniges auswählenunddieverbleibendenStückedannanordnen.DiesundgewissetraditioneninauswahlundKombinationhabenüberdieJahrehinwegzueinemrelativverfestigtenbildvon„islamischem“geführt,wozualsKernmindestensRückständigkeit, (Frauen-)Unterdrückung undGewalt zählen.Hier sindwirbereitsmittenimStereotyp,dasauchindemausruf eines Zuhörers bei einer Veranstaltungzumausdruckkommt:„Wiesosinddenn9von10terroristenMuslime!?“.Statistikenwiedievoneuropolundanderebelegen,dassdieRelationfastumgekehrtist.DaaberdielupenartigenVer-größerungennurbestimmterelemente–untergleichzeitigerauslassunganderer–zueinerver-zerrtenWahrnehmungführenkönnen,dieganzeGruppenvonMenschenstigmatisiert,lässtdochdieFragenachderMedienverantwortungbrisantwerden.allerdings bilden die Konnotierungendiesesthemaskeineneinzelfall,wiemanetwa

DieSehnsuchtnachneuenidealenVonderPsychologiedesterrors/VonWolfgangSchmidbauer

Es ist jedem Religionspsychologen vertraut, dass sich in einem hierarchisch verfestigten, an die gegenwärtige gesellschaftliche Wirk-lichkeit angepassten Glauben periodisch Bewegungen entfalten, die sich zurück zu den Ursprüngen wünschen, Verfälschungen und Verderbtheiten der gegenwärtigen Praxis beklagen und mehr oder weniger erfolgreiche Reformen einleiten. Im Chris-tentum kennen wir die Reformation, die den Ursprung des Glaubens gegen die Amtskirche vertrat. Schon lange vorher hatten sich Ordensstifter wie Franz von As-sisi bemüht, zur Ursprünglichkeit der Lehre Christi zurückzufinden. Dostojewski hat in seiner Erzählung „Der Großinquisitor“, ei-nem Kapitel aus den Brüdern Karamasow, die Tragik dieses Konflikts dargestellt. Dort lässt ein hoher Vertreter der Amtskirche den wieder auf die Erde kommenden Heiland verhaften und spricht ihm das Recht ab, zu lehren. „Wir haben Deine Tat verbessert und sie auf das Wunder, das Geheimnis und die Autorität gegründet. Und die Menschen freuten sich, dass sie wieder geführt wurden wie eine Herde...“.

im islamwerden die entsprechenden bewe-gungenSalafismusgenannt,Reformbemühun-gen,diesichanderZeitderVorfahren(arab.:Salaf)orientierenundessichzumZielsetzen,Muhammads reine Lehrewiederherzustellen.theologischstehtdasKonzeptdereinzigartigkeitGottesimMittelpunkt,wiebereitsbeidenWah-habiteninSaudiarabien.Praktikenwieamulette,Gräberkult,Heiligenverehrungunddas FeiernvonMuhammadsGeburtstagwerdenstriktab-gelehnt,nichtunähnlichdenbewegungenderikonoklastenundPuritanerninderchristlichenGeschichte.ausderPerspektivevielerheutigerMuslimestehtdieWeltaufdemKopf.GotthatihnendurchdasSiegel der Propheten, durchMuhammad, denletztenMenschen,dereinegöttlicheOffenba-rungempfangenhat,einVersprechengegeben,andemsienichtzweifelndürfen.eswarnichtnurderreine,wiederhergestellteGlaubederUrvä-ter,denMuhammadkündete,sondernauchderweltlicheLohnfürdieGläubigen:Macht,erfolg,Herrschaft.einJahrtausendlangwurdediesesVersprechenerfüllt.DieReichenderarabischenKalifenundderosmanischenSultanegehörtenzudenMächtigstendererde.Seitdembeginnderneuzeit hingegen ist die bedeutung derislamischenWeltgeschrumpft.DaGottunmög-lichdafürverantwortlichseinkann,mussesamverunreinigten, geschwundenenGlauben derMuslimeliegen.Die anziehungskraft, welche die Vision einesgereinigten,gleichzeitiguraltenundganzneuenGlaubens für dasmenschliche (und vor allemdas jugendliche) Selbstgefühl hat, liegt in derVerbindung vonGrandiosität undaggression.Die Rückkehr zu einer ursprünglichen, von ei-ner entwertetenUmwelt verratenen religiösenOrientierungschaffteineDynamik,dieandasMotto„vielFeind,vielehr“erinnert,dasdiejunge

Generationschonimmerfaszinierthat.DieSuchenachdenUrsprüngenschaffteinenkleinengutenKernineinerWelt,mitdermansichingroßartigerVereinfachungjedetiefereauseinandersetzungersparenkann.JederHeranwachsendemussseinenPlatzinderRealitätfinden.ersollliebenundarbeitenlernen.DieZukunftlocktihnundbedrohtihnauch.erlebt ineiner seelisch instabilenWelt; seineel-ternverstehenwenigvonseinenträumen,vonseinenWünschennacheineranderenWeltalsder,diesieihmvorschlagen.DieSehnsuchtdesJugendlichenrichtetsichaufdaseigeneinnere.HeftigeUnsicherheitensinddieFolge,diesichsehrgesteigerthaben,seitimmermehrmedialeKanäledieWeltderJugendlichenerreichen.inbüchern und Filmen sindGefühle undÜber-zeugungen immerdeutlichund stark.Was ichaberinmirfinde,istunsicher,verschwommen,gemischt, vonZweifelndurchsetzt. ist,was ichempfinde,wirklichLiebe,Glaube?WofindeichHalt, dermich vor der Regression in kindlicheanlehnungsbedürfnisse bewahrt und großePerspektiveneröffnet?ausdieserDynamikgewinnenSalafismusundseineSteigerungzurislamistischenideologieihreanziehungskraftfürjungeMänner,dieentwederals Kinder vonMigranten nach ihrenWurzelnsuchen und sie bei ihren angepassten elternnicht finden oder aber von ihrer christlichenUrsprungsfamilie so enttäuscht sind, dass dieteilhabeaneinemneuenGlaubenmiteinfachenRegelnihneneineLösungihrerSelbstgefühlspro-blemeunddermitdiesen verknüpftenängsteundDepressionenverspricht.DasmännlicheSelbstgefühl ist empfindlicherundlabileralsdasweibliche.DaskleineMäd-chengewinntindenmeistenFällenschonfrüheinen belastbaren Kern, weil es sichmit derPerson identifizieren kann, die in aller Regeldie erste immenschlichen Leben ist:mit derMutter. Der kleine Junge identifiziert sichebenfallsmitderMutter,dochmusserdieseidentifizierungauchwiederaussichvertreiben,sieinsichbekämpfen,sieineineDesidentifi-zierungüberführen.DaheristseinSelbstgefühlweniger belastbar.Während die Frau lernt,auseinerunterlegenenPositiondasbeste zumachen,Kränkungenzuverarbeitenundsichdurch bündnisse und intrigen durchzusetzen,sindMännerungeübt,mitKränkungenfertigzuwerden.SiegeheneherzumGegenangriffüber,kränkenandere,verstrickensichinSchlägerei-en,umihrerOhnmachtundbedeutungsarmutauf keinen Fall zu begegnen. Diese psychi-scheDynamikwirktsichumsoheftigeraus,jeschwächer der Vater in derUrsprungsfamilierepräsentiertist.imaugust1999wurdeeindeutscherStaatsbür-ger,StevenSmyrek,vondembezirksgericht intelavivwegenUnterstützungderradikal-islami-schenHisbollahzuzehnJahrenHaftverurteilt.erhattegestanden,einenSelbstmordanschlaginisraelzuplanen.Der1994zumislamübergetre-teneDeutschewarende1997beidereinreisenachisraelfestgenommenworden.beiihmwa-reneineKameraundLandkartensichergestellt

worden.SmyrekgestandineinemerstenVerhör(undwiderriefspäter),erhabefürdieHisbollahbelebtePlätzeinisraelfotografierenwollen,diesichfüreinenanschlageigneten.SeineGeschichte ist die eines vielfältig ge-kränkten Jugendlichen. Seine eltern trenntensichfrüh,dieMutterheiratetespätereinenbri-tischenSoldaten,derseinenStiefsohnprügelteundineininternatabschob.Smyrekfandsichnach seiner bundeswehrzeitmit dem LebenaußerhalbderKasernenichtzurechtundwurdedrogenabhängig.nach einigen Jahrenwurdeer vonder Polizei aufgegriffenundwechseltedieRolle.ersagtealsKronzeugegegenseineHintermänner aus. So erhielt er einemildeStrafeund suchteeineneue Lösung für seineSelbstunsicherheit: er konvertierte 1994 zumislamundwurdebesonders fanatisch. indemfolgendenJahrsteigerteSmyrekseineRuhelo-sigkeitzuderidee,sichdembewaffnetenKampfgegenisraelanzuschließen.DieteilnahmeamDschihadwirdzumbeweis,dassereinwahrhaftGläubigerist–undgleichzeitigzueinemWeg,

alleSelbstzweifelundalleeigeneKränkbarkeitauszulöschen.Obtatsächlichgeplantwar,ihnalsSelbstmordattentäterzurekrutieren,wieSmyrekselbstbehauptet,oderobseineMutterRechthat,diedasallesfüraufschneidereiihresSohneshält,istnichtmehrzuklären.auch die Mitglieder der sogenannten Sau-erland-Gruppe stammen aus zerbrochenenFamilien;auffälligist–ähnlichwiebeiSmyrek–derMangelaneinerpositiverlebtenVater-beziehung.SoliegtdieHypothesenahe,dassdieattraktiondessalafitischenislamfürjungeMänner darin liegt, Defizite in demangebotmännlicher Vorbilder in derUrsprungsfamiliezukompensieren.

DeRVeRFaSSeRiStaLSaUtORUnDLeHR-anaLYtiKeRinDeRMÜnCHneRaRbeitSGe-MeinSCHaFtFÜRPSYCHOanaLYSetätiG.ZUDeMtHeMaeRSCHienVOniHM2009iMGÜteRSLOHeRVeRLaGSHaUS:„PSYCHOLO-GieDeSteRRORS.WaRUMJUnGeMänneRZUattentäteRnWeRDen“

arwaabouon:Ohnetitel(GenerationSeries),MotherandDaughter(2008).Digitalprintaufaluminium.GezeigtinderausstellungtaSWiR.©CourtesyofRoseissaProjects

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politik und kultur•Jan.–Feb.2011•Seite39Islam · Kultur · Politik••••••••

Islam · Kultur · Politikpuk-DossieriSbn978-3-934868-26-7iSSn2191-5792

erscheintalsDossierzurZeitungpolitik und kultur,herausgegebenvonOlafZimmermannundtheoGeißler

Deutscher KulturratChausseestraße103,10115berlintel:030/24728014,Fax:030/24721245www.kulturrat.de,e-Mail:[email protected]

Redaktion:OlafZimmermann(verantwortlich),GabrieleSchulz,Stefanieernst

Berater der Redaktion:Reinhardbaumgarten,aimana.Mazyek

Verlag:ConbrioVerlagsgesellschaftmbHbrunnstraße23,93053Regensburginternet:www.conbrio.dee-Mail:[email protected]

Herstellung, Layout:ConbrioVerlagsgesellschaftPetraPfaffenheuser

alle veröffentlichten beiträge sind urheber-rechtlichgeschützt.namentlichgekennzeich-netebeiträgegebennichtunbedingtdieMei-nungdesDeutschenKulturratese.V.wieder.

politik und kulturbemühtsichintensivumdienennungderbildautoren.nichtinallenFäl-lengelingtesuns,diebildautorenausfindigzumachen.WirfreuenunsdaherüberjedenHinweisundwerdennichtaufgeführtebildau-torenindernächstenerreichbarenausgabevonpolitik und kulturnennen.

GefördertausMittelndesbeauftragtenderbundesregierungfürKulturundMedienaufbeschlussdesDeutschenbundestagesundderRobertboschStiftung.

amverzerrtenbildderDDR,tibetsoderisraelsgutnachvollziehenkann.auchohneabsicht–abermitmangelnderSelbstreflexion–kannmitFaktenanderWahrheitvorbeiberichtetwerden.eineumfassendeMedienbildunginSchulen,dieWertaufdieReflexion vonMeinungsbildungs-prozessenlegt,würdehierabhilfeschaffenundeinerDemokratiegutzuGesichtstehen.inzwischenwurdeneinzelnethemenvonallge-meiner Relevanz – etwa Frauenunterdrückungbis hin zumMord – als „islamische“ themeneingeschränkt.Dies ignoriert dieMehrzahl derFrauenschicksaleweltweit, die Solidarität undGerechtigkeit verdienen.auchdie benachteili-gungvonFrauenineuropagibtesnachwievor,istteilweisegarwiederaufdemVormarsch(equalpay day,weniger Frauen in verantwortlichenPositionen,erhöhtesarmutsrisiko,Frauenhäuseretc.).teilweisefandderVerweisderallgemeinenFrauenproblematikaufdiemuslimischenFrauennurdadurchstatt,weiletwadasKopftuchalsbild-ökonomischesMitteleingesetztwirdundbildervonkopftuchtragenden Frauen inzwischen themenvonterrorismusbisintegrationschmücken–na-türlichmitdenentsprechendenÜbertragungense-mantischerMerkmaleaufsoaussehendeFrauen.am beispiel der „befreiungsbemühungen dermuslimischenFrau“wirdsomanchesDilemmadesislamfeindlichenDiskursesdeutlich:beiallerberechtigungundnotwendigkeitineinzelfällenOpfervonUnterdrückungzuunterstützen,habenwires inzwischenmiteinemtypischenDiskursdes„weißenFeminismus“zutun,woFrauen(undsogarMänner)der sogenanntenMehrheitsge-sellschaftvorgeben,wasemanzipiertundrichtigist.Daskönntedazuführen,dassauchFrauenineuropavorgeschriebenwird,wiesiesichzuklei-denhabenbzw.wiesiesichnichtkleidendürfen–währendvonFreiheitschwadroniertwird.Dienebensächlichkeit somancher Kleidungsfragemacht jedoch ein anderes SymptomaktuellerDebattensichtbar:VielfachwirdüberMarginalesgestritten,anstattdasgemeinsameProjektderZukunftindenblickzunehmen.UnddasindfürFrauenweltweitnochvieleDesideratainSachenChancengleichheitoffen.SymptomatischkönnendieSchrankenderDis-kriminierung,dieFrauenerfahren,aufandereMinderheiten(nachHenritajfel,„Gruppenkon-fliktundVorurteil“)ebensoangewandtwerden.DerfehlendeZugangzurMachtzeichnetnachtajfeljedeMinderheitaus,Frauen,Schwarze,…

–eigentlichdieMehrzahlderMenschheit.an-stattjedochdiestrukturellenbenachteilungenin ihrer Gänze anzugehen, gelingtmit demVerweisaufbestimmteSpezifikasehrgut,vom„Gemeinschaftsprojekt Zukunft“ abzulenkenund aufnebengleisen zu verweilen.Dazu istschnell ein geeignetesObjekt der empörunggefunden,dasirgendwie„anders“aussieht.ausderRassismusforschungbekannt,solltenwirunsvergegenwärtigen,dassjedesMitgliedeinerdiskriminiertenGruppeebenfallszueinemDis-kriminierendenineinemanderenKontextwerdenkann–unddasssowohldiesesFaktumalsauchanderenegativeeigenschafteneinzelnerausei-nerCommunityRassismusniemalsrechtfertigen

können.ÜbrigensistdieseinederzentralenLeh-renausdemantisemitismus:auchunterJudendarfesVerbrechergeben,esrechtfertigtniemalsantisemitismus.esdenbetroffenenvondiesemRessentiment zuzumuten, selbst das bild, dasüberihrKollektivherrscht,korrigierenzusollen,trägtbereitsantisemitischeZüge.aus der antisemitismusfoschung ist wenigerbekannt,dassderRückgriffauftextevonUr-schriften ein gängigesMittel war, um deren„Verschwörung“ zu „belegen“ (vgl. Schiffer/Wagner2009:antisemitismusundislamopho-bie). einwichtiges ergebnisdieser Forschungwie auch aus anti-rassistischer arbeit ist da-rüber hinaus, dasswir den Rassismus gegen

eineGruppenichtdurchaufklärungüberdieseGruppebekämpfenkönnen–sondernnurdurchDekonstruktionderrassistischenWeltbilderderdominantenGruppe.indenblickderDebattenmüsstenjedochnichtnurdieRassismusträgergeraten,sondernauchdasWissen,dassjedeGesellschaft ihre ausgrenzenden Strukturenhat, dieals solchesernst genommenwerdenmüssen.

DieVeRFaSSeRiniStLeiteRinDeSinStitUtSFÜRMeDienVeRantWORtUnG

Fortsetzung von Seite 38

JosephSemah:anintroductiontothePrincipleofRelativeexpression(1979).aufkleber(Olfarbe)auftextseitendesbabylonischentalmuds.GezeigtinderausstellungtaSWiR.©JosephSemah

LiteraturtippsDie Literaturliste (alphabetisch nach Nach-namen) versteht sich als Angebot für Inter-essierte. Wir erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern wollen einen ersten Überblick über die Literatur zum Islam und seiner Kultur geben. Zum Teil ergänzt die Literaturliste die Beiträge des Dossiers.

· Qasimamin:DiebefreiungderFrau.Würzburg,altenberge1992.· Katajunamirpur:Unterwegszueinemanderenislam.Herder2009· Ludwigammann:islam.Wasstimmt?Diewich-tigstenantworten.HerderSpektrum2007· Reinhardbaumgarten:Gesichterdesislam.be-gegnungmiteinerfaszinierendenKultur.theissVerlag2010.· bärbel beinhauer-Köhler/Claus Leggewie:MoscheeninDeutschland.ReligiöseHeimatundgesellschaftlicheHerausforderung.C.H.beckVerlag2009.· atefbotros(Hrsg.):DernaheOsten–einteileuropas? Reflektionen zu Raum-undKultur-konzeptionen immodernennahenOsten.Würzburg2006.· bundesamtfürMigrationundFlüchtlinge(Hrsg.):MuslimischesLebeninDeutschland.imauftragderDeutschenislamKonferenz.Forschungsbe-richt6.nürnberg2009.· Rauf Ceylan: islamische ReligionspädagogikinMoscheenundSchulen–einsozialwissen-schaftlicherVergleichderausgangslage,inhal-teundZieleunterbesondererberücksichtigungderauswirkungenaufdenintegrationsprozessdermuslimischen Kinder und Jugendlichen.VerlagDr.Kovac2008· RaufCeylan: Prediger des islam – imame inDeutschland.Wersiesind,wassiedenkenundwassiewollen.HerderVerlag2010.· DerKoran.neuübertragenvonHartmutbobzinunterMitarbeit vonKatharinabobzin. VerlagC.H.beck2010.· Der Koran.Übersetzt von Friedrich Rückert.Würzburg2001.· DieKirchen,dieunbekanntekulturpolitische

Macht –auspolitik+ kultur 2.Hg. v.OlafZimmermannundtheoGeißler.berlin2007.· KathrinDüsener:integrationdurchengagement?MigrantinnenundMigrantenaufderSuchenachinklusion.transkriptVerlag2010.· Hamedeshrats:tippingPointtéhéran1979.VerlageditionsSarbacane2009.· SinebelMasrar:MuslimGirls.Werwirsind,wiewirleben.eichbornVerlag2010.· JoachimGnilka: bibel und Koran:Was sieverbindet,was sie trennt. 6.auflage.Herderspektrum2007.· GabrieleHermani:DieDeutscheislamkonferenz2006bis2009.DerDialogprozessmitdenMus-limen inDeutschland imöffentlichenDiskurs.VerlagFinckenstein&Salmuth2010.· ismailKaplan:Dasalevitentum-eineGlaubens-undLebensgemeinschaftinDeutschland.Hrsg.vonderalevitischenGemeindeDeutschland.Köln2004.· SaidKaroui:DieRezeptionderbibelinderfrühis-lamischenLiteraturambeispielderHauptwerkevon ibnQutayba (gest. 276/889).Heidelberg1997.· Koran–DerHeiligeQur-an,arabisch-Deutsch.Übersetztv.HadhratM.M.ahmad.8.auflage2009.· Lehrplandesalevitischen Religionsunterricht.Grundschule Klasse 1 bis 4,Ministerium fürSchuleundWeiterbildungdesLandesnordrhein-Westfalen.Heft2013.RitterbachVerlag2008.· UsāmaibnMunqidh:einLebenimKampfgegenKreuzritterheere.ausdemarabischenübertra-genundbearbeitetvonGernotRotter.tübingen,basel1978.· Loredananemes:beyond.HatjeCantzVerlag2010.· ProjektgruppeJugendart:KanaKCultures.KulturundKreativitätjungerMigrantinnen.berlin:ar-chivderJugendkulturenVerlag2010.· GabrielSaidReynolds:theQur’aninitsHistoricalContext.London,newYork2009.· Walida.Saleh:indefenseofthebible.acriticaleditionandan introduction toal-biqa’i‘sbibletreatise.Leiden,boston2008.

· annemarieSchimmel:DieReligiondesislam:eineeinführung.11.auflage.Reclam2010.· bertramSchmitz:VondereinenReligiondesaltenisraelzudendreiReligionenJudentum,Christentumundislam.Kohlhammer2009.· StefanSchreiner:DerKoranalsauslegungderbibel–diebibelalsVerstehenshilfedesKorans.in:H.Schmid/a.Renz/b.Ucar(Hrsg.),„naheistdirdasWort...“.SchriftauslegunginChristentumundislam.Regensburg2010,S.167-183.· MartinSökefeld(Hrsg.):aleviteninDeutschland-identitätsprozesseeinerReligionsgemeinschaftinderDiaspora.transcriptVerlag2008.· HeinrichSpeyer:DiebiblischenerzählungenimQoran.Gräfenhainichen1933/repr.Hildesheim1988.· Ursula Spuler-Stegemann:Gutachten: ist diealevitischeGemeindeDeutschland e.V. eineReligionsgemeinschaft?Marburg2003.· Rifā aal-tahtawi:einMuslimentdeckteuropa.DieReiseeinesägyptersim19.JahrhundertnachParis.Hrsg.vonKarlStowasser.München1988.· taSWiR–islamischebildweltenundModerne.berlin:nicolai2009.· Robertotottoli:biblicalProphetsintheQur’anandMuslimLiterature.Richmond2002.· Women in islam–betweenOppressionand(Self-)empowerment.Hrsg. von der FriedrichebertStiftung2008.

Online-Angebote: · http://forumamfreitag.zdf.de· http://www.gazelle-magazin.de· www.iDaeV.de/service/vereine-junger-migranten· http://islam.de· http://www.swr.de/islam/gesichter-des-islam/-/id=7039402/1sbiha3/index.html· www.tagderoffenenmoschee.de· http://www.unimuenster.de/imperia/md/content/religion_und_politik/aktuel-les/2010/12_2010/studie_wahrnehmung_und_akzeptanz_religioeser_vielfalt.pdf· http://universes-in-universe.org(nafas)· www.qantara.de,http://zentralrat.de

Page 40: Islam Kultur Politik · 2016. 7. 7. · Medien und der Politik durch die „Sarrazin-Hysterie“ noch tiefer eingegraben haben, so oft wie möglich verlassen und ein möglichst weites

politik und kultur•Jan.–Feb.2011•Seite40Islam · Kultur · Politik••••••••

InhaltsverzeichniseDitORiaL

1 Zweifellos VOnOLaFZiMMeRMann

einFÜHRUnG

2 einladungzurkonstruktivenauseinan-dersetzung:WaseinDossier„islam·Kultur·Politik“leistenkann

VOnOLaFHaHn

iSLaM·KULtUR·POLitiK

2 einLeitfadendurchdasDossierislam VOnGabRieLeSCHULZUnD SteFanieeRnSt

iSLaMiSCHeVieLFaLt

3 islamischeVielfalt VondenGesichterndesislam VOnReinHaRDbaUMGaRten

4 WasglaubenMuslime? GrundsätzeundZieledesislams VOnaiMana.MaZYeK

5 Herkunft,Glaubensrichtung,bildung, Partizipation Vomeins-Werdenundvomeinssein VOnSOnJaHaUG

6 Denkenlassen:DasislamischeDenken... DeutschlandkannderOrteinermoder-

nentheologiewerden VOnKataJUnaMiRPUR

7 alevitentumundaleviteninDeutschland eineReligionsgemeinschaftmitdemStre-

bennachfreundschaftlichemDialog VOniSMaiLKaPLan

7 Sufitum–diemystischeDimension desislams asketen,einsiedler,DerwischeundHoch-

schullehrer VOnReinHaRDbaUMGaRten

JUDentUM·CHRiStentUM·iSLaM

8 JüdischesundchristlicheserbeimKoran DieOffenbarungenvorislamischer Propheten VOnSteFanSCHReineR

9 Sindinterreligiösebewegungenpolitischrelevant?

OffeneGesellschaft,religiöseVielfalt VOnReGinaaMMiCHtQUinn

9 GewaltigeHeuchelei einKOMMentaRVOnHeRibeRt

PRantL

10 akzeptanzundWahrnehmungdesislams ZudenergebnisseneinerStudieder

WestfälischenWilhelms-UniversitätMünster

VOnDetLeFPOLLaCK

10 Glaubenleben,wechseln,aufgeben Konversionenzumundausdemislam VOnJöRntHieLMann

11 aufklärungundislam Goethe,LessingundandereVordenker VOnReinHaRDbaUMGaRten

biLDUnG·ReLiGiOn·GLaUbe

12 islamischeStudiengängeinDeutschland tübingen,Münster/Osnabrückals Vorreiter VOnannetteSCHaVan

13 Vorbeter,SeelsorgerundtheologischeReferenz

DienotwendigkeiteinerimamausbildunginDeutschland

VOnRaUFCeYLan

13 imamefürintegration DreijährigeFortbildung:Qualifizierung

fürdasneueLebensumfeldDeutschland VOnanGeLaKaYa

14 SchwierigerWeg WiekannislamischerReligionsunterricht

sinnvollgestaltetwerden? VOnHaMiDeHMOHaGHeGHi

15 allahunddieSchöpfung aufgabenundZieledesislamischen Religionsunterrichts VOneVa-MaRiaeL-SHabaSSY

15 Religionsunterrichtalskulturellebildung alevitischerReligionsunterrichtanden

Schulen VOniSMaiLKaPLan

WiSSenÜbeRDeniSLaM–WiSSenDeSiSLaMS

16 transkulturellealternativezuden „islamischenStudien“ DietransnationaleDimensionder islamwissenschaft VOnPatRiCKFRanKe17 FaszinationMorgenland GeschichtederDeutschenMorgenländi-

schenGesellschaft VOnCLaUSSCHöniG

17 WegezudenKulturendesislams DasMünchnerZentrumfürislamstudien VOnHanSGeORGMaJeR

18 DatenflussimMittelalter DieLeistungenislamischerGelehrter neubewerten VOnReinHaRDbaUMGaRten

19 Kulturellebegegnungimkolonialen Kontext DernaheOstenundeuropa VOnVeRenaKLeMM

20 JederKulturdialoggehtvomSonderfallaus

KulturarbeitinLändernmitmuslimischerMehrheit

VOnWenZeLbiLGeR

21 WoMuslimefremdsind,sindwiresauch Plädoyerfüreinatelierderkosmo-politi-

schenWissenschaftenundKünste inberlin VOnaLMUtSH.bRUCKSteinÇORUH

22 KollektivesGedächtnisundkulturellerSpeicher

DieRolledesMuseumsfürislamischeKunstimPergamonmuseumimheutigenDiskurs

VOnSteFanWebeR

23 DasepizentrumliegtamGolf anDReaSKOLbiMGeSPRäCHMit MiCHaeLSCHinDHeLM

24 DemUrsprungnachspüren SteFanieeRnStiMGeSPRäCHMit HaMeDeSHRat

24 GeschlosseneGesellschaft? SteFanieeRnStiMGeSPRäCHMit

LOReDananeMeS

iSLaMinDenMeDien

25 aufgeklärteislamophobie DasislambilddeutscherMedien VOnKaiHaFeZ

26 Seriöseundkompetentebrückezur islamischenWelt DasOnline-MagazinQantara.de VOnLOaYMUDHOOn

26 nafasKunstmagazin aktuelleKunstvomMaghrebüber

dennahenOstenbisSüdostasien VOnGeRHaRDHaUPtUnD PatbinDeR

27 MedienmacherinmitMigrations- hintergrund SteFanieeRnStiMGeSPRäCHMit

SinebeLMaSRaR

28 Kenntmansich,sobrauchtmankeineSchublademehr

brückenbauenzwischenParallelwelten–perMausklick

VOnKÜbRaYÜCeL

28 DasislamischeWort GabRieLeSCHULZiMGeSPRäCHMit

ReinHaRDbaUMGaRten

29 ForumamFreitag einePlattformfürMuslimeund

nicht-MuslimeimZDF VOnabDUL-aHMaDRaSHiDUnD

KaMRanSaFiaRian

ZUSaMMenLebeninDeUtSCHLanD

30 Rechtlicheanerkennungdesislams WederGleichberechtigungnoch

GleichbehandlunginSicht VOnaiMana.MaZYeK

31 DieDeutscheislamKonferenz 2006bis2009 Zusammensetzungundergebnisse VOnGabRieLeHeRMani

32 SchariaundGrundgesetz:einWiderspruch?

DieislamischeChartadesZentralrats derMuslimeinDeutschland VOnMatHiaSROHe

33 DerislamausSichtdesVerfassungs-schutzes

einfriedlichesZusammenlebenbrauchtsachlicheauseinandersetzung

VOnHeinZFROMM

34 „WirbrauchenheutemehrDialogals jezuvor“ aiMana.MaZYeKiMGeSPRäCH MitaLiDeRe,DeMSteLLVeRtReten-

DenVORSitZenDenDeRDitib

34 nutzenfüralle StarkeislamischeZivilgesellschaft VOnOLaFZiMMeRMann

35 tagderoffenenMoschee GesprächemitMuslimensind effektiveralsGesprächeübersie VOnnURHanSOYKan

36 Welchebedeutunghatderislamfürihrepolitischearbeit?abgeordnetemuslimischenGlaubensgebenauskunft

36 islam-bashing einKOMMentaRVOnaiMan

a.MaZYeK

37 ilovemyprophet SteFanieeRnStiMGeSPRäCHMit

MeLiHKeSMen

38 DieSehnsuchtnachneuenidealen VonderPsychologiedesterrors VOnWOLFGanGSCHMiDbaUeR

38 islamfeindlichkeitinDeutschland ausgrenzendeStrukturenernst

nehmen VOnSabineSCHiFFeR

39 LiteRatURtiPPS

39 iMPReSSUM

islamischeVielfalt

Judentum·Christentum·islam

bildung·Religion·Glaube

Wissenüberdenislam–Wissendesislams

islamindenMedien

ZusammenlebeninDeutschland