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45 myops 41 / 2021 Fake-Ethik Dies eben ist das Klägliche der Jurisprudenz, dass sie die Politik von sich aussondert. (Julius von Kirchmann, »Von der Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft«, 1848) Wirtschaftsinteressen und Wissenschaft »It’s a research gift« 1 – mit diesen Worten bezeichnete Christoph Lüdtge auf der Tagung »Data for Politics« am 11. Juni 2019 die Spende von 6,5 Millionen Euro von Facebook zur Unterstützung zum Auf- bau des von ihm geleiteten Instituts for Ethics in Artificial Intelli- gence an der TU München. Aus seiner Präsentation wird deutlich, dass die »opportunities« Künstlicher Intelligenz für Lüdtge im Vor- dergrund stehen. Das überrascht nicht, da Lüdtge ein Vertreter der »Ökonomischen Wirtschaftsethik« ist, der zufolge Ethik und Wirt- schaft zwei verschiedene Welten sind. Wirtschaftsethik müsse des- wegen »ökonomisch konstruiert« (und damit ist gemeint: nutzenma- ximierend) sein, um wirksam werden zu können. Ein Unternehmen werde sich mit anderen Worten nur dann ethisch »gut« verhalten, wenn es einen Gewinn davon hat. Ist das nicht möglich, soll allein der staatliche Ordnungsrahmen mit Gesetzen zuständig sein. Im Konflikt zwischen Ökonomie und Ethik plädiert er also für die Frei- heit der (ordo-)liberal verstandenen Ökonomie. Die werde dann schon das für das Wirtschaftssystem ethisch gerade eben noch zu verdauende Ergebnis wie von »unsichtbarer Hand« zu Tage fördern. Warum gibt Facebook dem Institut an der TU München so viel Geld, und warum lässt sich die TU München so viel Geld geben? Natürlich nicht, um die wissenschaftliche Forschung zu beeinflus- sen. Das ist klar. Und folgerichtig stellte Lüdtge auch im Tagesspiegel fest: »Bei unserem neuen Institut für Ethik in der KI an der TU Mün- chen etwa bestehen gegenüber dem Geldgeber Facebook keinerlei Auflagen oder Vorgaben. Es gibt keine vertraglichen Verpflichtungen, da nicht einmal ein Vertrag existiert: Das Geld ist ein Geschenk des Unternehmens für die Forschung.« 2 Na, wenn das so ist. Dann ist das It’s a research gift! Interessenkonflikte in der (Rechts-)Wissenschaft

It’s a research gift!

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Dies eben ist das Klägliche der Jurisprudenz, dass sie die Politik von sich aussondert.(Julius von Kirchmann, »Von der Werthlosigkeitder Jurisprudenz als Wissenschaft«, 1848)

Wirtschaftsinteressen und Wissenschaft»it’s a research gift«1 – mit diesen Worten bezeichnete Christoph

lüdtge auf der Tagung »Data for Politics« am 11. Juni 2019 die Spende von 6,5 millionen Euro von facebook zur Unterstützung zum Auf-bau des von ihm geleiteten instituts for Ethics in Artificial intelli-gence an der TU münchen. Aus seiner Präsentation wird deutlich, dass die »opportunities« Künstlicher intelligenz für lüdtge im Vor-dergrund stehen. Das überrascht nicht, da lüdtge ein Vertreter der »Ökonomischen Wirtschaftsethik« ist, der zufolge Ethik und Wirt-schaft zwei verschiedene Welten sind. Wirtschaftsethik müsse des-wegen »ökonomisch konstruiert« (und damit ist gemeint: nutzenma-ximierend) sein, um wirksam werden zu können. Ein Unternehmen werde sich mit anderen Worten nur dann ethisch »gut« verhalten, wenn es einen Gewinn davon hat. ist das nicht möglich, soll allein der staatliche Ordnungsrahmen mit Gesetzen zuständig sein. im Konflikt zwischen Ökonomie und Ethik plädiert er also für die frei-heit der (ordo-)liberal verstandenen Ökonomie. Die werde dann schon das für das Wirtschaftssystem ethisch gerade eben noch zu verdauende Ergebnis wie von »unsichtbarer hand« zu Tage fördern.

Warum gibt facebook dem institut an der TU münchen so viel Geld, und warum lässt sich die TU münchen so viel Geld geben? natürlich nicht, um die wissenschaftliche forschung zu beeinflus-sen. Das ist klar. Und folgerichtig stellte lüdtge auch im Tagesspiegel fest: »Bei unserem neuen institut für Ethik in der Ki an der TU mün-chen etwa bestehen gegenüber dem Geldgeber facebook keinerlei Auflagen oder Vorgaben. Es gibt keine vertraglichen Verpflichtungen, da nicht einmal ein Vertrag existiert: Das Geld ist ein Geschenk des Unternehmens für die forschung.«2 na, wenn das so ist. Dann ist das

It’s a research gift! Interessenkonflikte in der (Rechts-)Wissenschaft

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ja sogar noch sauberer als die lösung in Berlin an der humboldt- Universität, bei der Google als einer der hauptsponsoren mit ande-ren im Stifterrat die Aufsicht über das 2011 gegründete »Alexander von humboldt institut für internet und Gesellschaft« (hiiG) hat. Unterm Strich bleiben für die forscher aus münchen also nur »opportunities, no risks«. Und für facebook? Deutschland ist im hinblick auf Datenschutzrecht und Sensibilität für das Thema ein schwieriger markt. hier wurde ja quasi das Datenschutzrecht als Ge-setz erfunden: hessen, 1970. hessen vorn! Und dann noch: Volks-zählungsurteil!3 Dataprotection made in Germany war eine Welt-marke. nicht verwunderlich, dass auch die DSGVO von dem deut-schen Grünen-Abgeordneten Jan Philipp Albrecht mit mühsamem Anlauf über den schweren Boden von 4.000 Änderungsanträgen und unter heftigem lobbybeschuss, z. B. durch facebook, zum fliegen gebracht worden ist (auch wenn im Ergebnis einige flugfedern kon-kreter regulierung verloren gingen). Und ausgerechnet in diesem land und ausgerechnet für Ethik gibt facebook nun Geld aus für die förderung einer großen staatlichen Universität? Eben. Ausgerech-net. Das ist das große lobby-1×1. Dass herr lüdtge und die TU mün-chen hier eher anbieter- und technikaffin sind, ist ja nicht verboten und hat der »drittmittelstarken« TU münchen in den letzten Jahren wirklich nicht geschadet. nein. Und dennoch: warum braucht eine staatliche und gut ausgestattete Universität wie die TU münchen sol-che »Unterstützung«? Und wie wird herr lüdtge mit dem Geschenk umgehen? Wenn er, nachdem die 6,5 millionen über Ki und Ethik verforscht sind, nicht zum obersten Datenschützer und metrisie-rungsmahner geworden ist, darf einen das nicht überraschen. Auch wenn eigentlich die überraschung durch Ergebnisoffenheit an sich eine Bedingung der Wissenschaft sein sollte. Und auch facebook wird davon nicht überrascht sein. Denn anders als in W.C. fields be-rühmter film-Komödie von 1934 »it’s a gift«, in der der held der Geschichte für sein Geld keine blühende Orangenplantage gekauft hat, sondern ein unfruchtbares Stück land, hat sich facebook besser informiert. Caveat emptor – der Käufer muss auf der hut sein. Womit ausdrücklich nicht gesagt werden soll, dass herr lüdtge gekauft wor-den wäre. Aber überraschungen wären eben doch überraschend. Sehr überraschend wäre demgegenüber gewesen, wenn facebook z. B. die von max Schrems ins leben gerufene nichtregierungsorganisation für den Datenschutz (noyb) in Wien unterstützt hätte. Aber das ist ja abwegig.

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nicht überraschend nahm lüdtge in dem erwähnten Tagesspie-gelbeitrag dann auch umgehend Stellung gegen Thomas metzinger. Der saß als Professor für Theoretische Philosophie in der Experten-gruppe für den Entwurf einer EU-richtlinie zum Umgang mit Künst-licher intelligenz und war davon sehr enttäuscht, denn eine kritische haltung war hier gar nicht erwünscht. metzinger befürchtet vielmehr »Ethik-Waschmaschinen made in Europe« 4. Die industrie organi-siere und kultiviere ethische Debatten, »um sich Zeit zu kaufen, um die Öffentlichkeit abzulenken, um wirksame regulation und echte Politikgestaltung zu unterbinden oder zumindest zu verschleppen.« facebook habe dafür »in die TU münchen investiert – in ein institut, das Ki-Ethiker ausbilden soll.« Und auch Google habe dafür Philo-sophen engagieren wollen, z. B. in Person von luciano floridi, der zugleich wie metzinger mitglied der EU high-level Expert Group on Artificial intelligence ist, und hätte so »direkten Zugriff auf den Prozess bekommen, in dem die Gruppe (…) die politischen und die investitionsempfehlungen für die Europäische Union erarbeitet. Das wäre ein strategischer Triumph des amerikanischen Großkon-zerns gewesen. Weil die industrie viel schneller und effizienter ist als die Politik oder die Wissenschaft, besteht das risiko, dass wir nach ›fake news‹ jetzt auch ein Problem mit fake-Ethik bekommen. inklusive jeder menge nebelkerzen, hochbezahlter industriephiloso-phen, selbsterfundener Gütesiegel und nicht-validierter Zertifikate für ›Ethical Ai made in Europe‹«.

Das sah lüdtge natürlich anders. Und hätte das vermutlich auch ohne facebooks 6.500.000,– Euro nicht so gesehen. Alles andere wäre überraschend gewesen. Das war eben noch nie seine meinung, seine »Sicht der Dinge« auf Gut und Böse, nicht die für ihn überzeugende Abwägung auf der für ihn als bindend empfundenen Grundlage. Darum geht es doch schließlich in der Ethik. Und im recht. Deswe-gen: was soll’s? Wenn Verbraucherschutzorganisationen die Autoren dieses Beitrages mit Geld zur freien forschung versehen würden, würden die solcherart bewässerten »Plantagen der rechtswissen-schaft« vermutlich verbraucherschützende früchte tragen. Da muss man sich nur unsere Publikationen und Tätigkeiten ansehen. Das wäre ja sonst wohl sehr überraschend. Allerdings ist aus der richtung des Verbraucherschutzes oder sonstiger sozialen Organisationen weit und breit keine Schenkung von 6,5 millionen Euro in Sicht. Solche Summen bekommen selbst wirtschaftsnahe juristische lehrstühle für Bankrecht nicht von den Banken und Versicherungen. Allenfalls

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reicht es wie in nürnberg z. B. für einen Easy Credit hörsaal.5 Und vielleicht das ein oder andere wissenschaftliche juristische Gut-achten.

Jurisprudenz und Interessenkonflikte? Gibt es nicht!Juristen beschäftigen sich zwar mit vielen rechtsethischen fra-

gen. Geht es um eigene interessenkonflikte insbesondere im Bereich der Wissenschaft, gibt es aber nur ein überschaubar ausgeprägtes Problembewusstsein. Es gibt weder eine Diskussion unter Wissen-schaftlern noch einen Kodex oder eine form der Offenlegung von mög lichen interessenkonflikten. Während auf der politischen Ebene der Einfluss der Unternehmenslobby kritisiert wird und nichtregie-rungsorganisationen wie lobbyControl und Abgeordnetenwatch mehr Transparenz einfordern und selbst durch ihre Arbeit schaffen, schei-nen Juristen in Gerichten und Universitäten per se immun, was die Einflussnahme durch Unternehmen angeht.

Thematisiert wird mittlerweile die lobbyarbeit von Unterneh-men – insbesondere Banken –, wenn sie direkten Einfluss auf die Gesetzgebung nehmen durch juristische Beratung bis hin zur kosten-losen Bereitstellung von eigenen Unternehmensjuristen zur Aus-arbeitung von Gesetzen. mag auch die große Welle solch direkter Einflussnahme seit 2006 abgeebbt sein, als die regierung auf eine Bundestagsanfrage hin zugeben musste: »in den Bundesministerien und im Bundeskanzleramt sind für einen befristeten Zeitraum insge-samt 100 externe mitarbeiterinnen und mitarbeiter, die ganz oder teilweise von Unternehmen, Verbänden oder Gewerkschaften bezahlt wurden, in den letzten vier Jahren im Geschäftsbetrieb tätig gewesen bzw. sind aktuell eingesetzt.« 6 Aktuell sind hingegen die Vorwürfe wegen einer Einflussnahme des Bundesverbandes deutscher Banken bei der neuregulierung zur Verhinderung von Cum-Ex Geschäften,7 die für die »Beratungspraxis« dann doch noch scheunentorgroße lücken zur »Steueroptimierung« ließ.

mindestens genauso entscheidend ist jedoch die Einflussnahme der Unternehmen auf die rechtsprechung. Denn die Gerichte sind die, die im Einzelfall entscheiden, »was am Ende hinten rauskommt« (helmut Kohl). Sie bestimmen, welcher Vertrag Bestand hat, welcher Vertrag wirksam widerrufen wurde, welcher Bürger sein Verbraucher-recht verwirkt hat und welcher Seite man »Treu und Glauben« schenkt oder entzieht. Aber die Gerichte sind bekanntlich unab hängig. Aus Sicht des lobbyarbeiters ist das natürlich unerfreulich. Was könnte

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man also tun? Drohen für die Unternehmen negative Entscheidun-gen höherer Gerichte, insbesondere vom Bundesgerichtshof, könnte vielleicht ein wissenschaftlicher Aufsatz in einer fachzeitschrift hel-fen, die eigene rechtsauffassung als richtig zu unterstreichen. Der muss allerdings notwendig wissenschaftlich sein, also irgendwie auch neutral. Sonst glaubt das ja keiner. Und ein Aufsatz ist ja ganz schön, aber noch besser wären mehrere Stimmen aus der Wissenschaft, die die Position bestätigen. Denn die mehrheit von Stimmen wird nicht nur besser gehört, sondern wird wohl auch recht haben. Sind ja schließlich keine billigen Claqueure, sondern stammen aus der Wis-senschaft. Dann hat man die »herrschende meinung in der litera-tur«. Und an der muss das Gericht erst einmal vorbeikommen und sich abarbeiten. Ein frisches »Entgegen-der-ganz-überwiegenden-Auffassung-in-der-literatur« fällt auch einem richter am Bundesge-richtshof schwer. Wem es als lobbygruppe auf diesen Wegen gelingt, der herrschenden meinung rechtzeitig Gestalt zu geben, der kann den Diskurs bestimmen und sich Chancen eröffnen, die Gerichte und sogar einen Bundesgerichtshof zu beeinflussen.

Wie aber kommt man an einen über den Dingen stehenden wis-senschaftlichen Aufsatz? man könnte ihn durch seine hausjuristen schreiben lassen oder die im Prozess eingesetzte, renommierte An-waltskanzlei die Schriftsätze des Verfahrens noch einmal in Auf-satzform verbreiten lassen. Allenfalls stünde in der fußnote der fachzeitschrift noch ein freiwilliges »beruht auf einer Anregung aus der Praxis«. Besser als nichts, aber doch deutlich weniger als die Tat-sache: »wurde von Unternehmen XY bezahlt«. Wer sich die mühe macht und hier weiter recherchiert, wird oft fündig und kann die Autoren und ihre Auftraggeber einordnen. Allerdings ist der Wert dieser Artikel begrenzt, wenn es sich nur um x-beliebige Juristen handelt. Als masse und Beiwerk für die »herrschende meinung« frei-lich sind sie doch von großem Wert. Aber wenn wir uns weiter in die Seele eines lobbyisten einfühlen: wäre es nicht am besten, hierfür auch Aufsätze aus der hardcore-Wissenschaft, am besten aus der feder eines Universitätsprofessors, zu erlangen? Je renommierter, desto besser! Wie kommt man aber an einen solchen Aufsatz? Der wohl einfachste Weg dürfte der Auftrag eines Gutachtens zur Prü-fung einer rechtsfrage sein, aus der sich später der eine oder an- dere Aufsatz wie von selbst ergibt. Das gut bezahlte rechtsgutachten, das gegebenenfalls nur dann in Auftrag gegeben wird, wenn bereits ein weniger gut bezahltes Vorgutachten die gewünschte Position

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erkennen lässt, wird nie veröffentlicht. Sichtbar bleibt allein der Auf-satz eines anerkannten Professors in einer renommierten fachzeit-schrift, gerne vor einer anstehenden Entscheidung des BGh genau zu dieser rechtsfrage oder im geeigneten moment des Gesetzge-bungsverfahrens. ist der Professor etwas ehrpusselig (ob dies wohl die mehrzahl ist?) wird er vielleicht dazusetzen wollen: »Der Beitrag wurde angeregt durch eine Anfrage aus der Praxis«. Die formu-lierung: »hervorgegangen aus einer Auftragsarbeit für das Unter-nehmen XY mit einer Bezahlung von 30.000 Euro« allerdings findet man nie.

Der Anreiz für Professoren, derartige Gutachten anzunehmen, ist groß. Drittmittel sind nicht nur an Universitäten mittlerweile ak-zeptiert, sie sind auch eine messlatte für den Wert der Arbeit der Professoren, ihre »leistungsabhängige« Bezahlung nach der W-Besol-dung und ihre Stellung innerhalb der fakultät. mit dem Einwerben von Drittmitteln steigt das eigene renommee in- und außerhalb der eigenen Universität, und die Ausstattung des lehrstuhls verbessert sich in form von Sachmitteln und vielleicht sogar von Stellen für mitarbeiter (die dann die Gutachten und Artikel schreiben müssen und bei guter führung als Co-Autoren fungieren dürfen). Derartige Aufträge anzunehmen, ist daher nicht nur opportun, sondern im modernen Wissenschaftssystem (angewandte forschung!) geradezu erwünscht. Derartige Aufträge zu vergeben, gehört mithin zum klei-nen 1x1 der lobbyarbeit, und 30.000 Euro hier und da sind nun wirk-lich zu verschmerzen, wenn man etwa bedenkt, dass die BGh-Ent-scheidungen8 zu den Bearbeitungsentgelten bei Verbraucherkredi-ten im Jahr 2014 die Kreditinstitute 1 bis 2 milliarden Euro gekostet haben sollen. An dieser Stelle haben sich die Autoren gefragt, ob sie namen fallen lassen. naturgemäß sind die fakten dazu aber dünn gesät, und die üble nachrede gedeiht umso prächtiger und treibt die bunten Blumen der Vermutungen. Und ausgerechnet die zu erwäh-nen, die eine Auftragsfinanzierung eben gerade nicht komplett ver-schweigen, wäre sicher falsch. Also lassen wir es. Und reden dafür lieber noch über die Justiz.

Wie kommt man als lobby legal an die Gerichte ran? Auch hier ein bisschen nudging? Das große Stupsen mit dem kleinen Schubs ist doch gerade sehr beliebt. Und doch wohl nicht verboten? Denn woher kommt eigentlich die überzeugung des Gerichts, wenn schon das Ausmaß seines hungers vor und nach der mittagspause z. B. das Strafmaß beeinflussen kann,9 ganz zu schweigen von den sonstigen

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Einschränkungen, die uns die Verhaltensforschung zeigt.10 Könnte es nicht auch sein, dass richter durch Vortragshonorare beeinflusst sein könnten? Und durch ein gepflegtes Gespräch im gepflegten Vor-tragsarrangement? Bei »gepflegter« Gelegenheit? Wer wollte das glau-ben? Die deutsche richtereiche ist neutral. Klar ist aber immerhin, dass der einfache Bürger diese gepflegte Gelegenheit nicht hat. Der »Kontakt zur Praxis« bleibt damit für die Wissenschaft, wie für die rechtspflege einseitig. Während z. B. Banken, Versicherungen und Bausparkassen ihre Sicht darlegen und für Verständnis ihrer lage bitten können, bleibt der Blick auf die Welt derer verschlossen, die ihre raten für den Kredit nicht mehr bedienen konnten und nach anderthalb Stunden »Beratungsgespräch« doch den neuen, ungüns-tigen Vertrag unterschreiben, weil sie sonst nicht wissen, wie sie ihren lebensunterhalt bestreiten sollen. Am Ende stehen dann Ur-teile, in denen die Unternehmen Verträge nicht mehr einhalten müs-sen, aber der Verbraucher aus seinem haus vertrieben wird, weil er die raten für das Darlehen nicht mehr zahlen kann.11 Und so schleicht sich das Gefühl ein, die »wirklichen« Urteilsgründe nicht zu erfahren und sich am Bretterzaun dogmatischer herleitungen die nase platt zu drücken. Und damit bleibt für jeden ein löffelchen Ver-schwörungstheorie über. Und das ist Gift. Die mögliche Beeinflus-sung der Gerichte hatte schon 2017 der Präsident des Bundesverfas-sungsgerichts Andreas Voßkuhle thematisiert und rolf lamprecht immerhin im Amtsblatt der angewandten rechtswissenschaft (nJW) in die forderung gemünzt: »Die Geldnehmer in robe haben hier eine Bringschuld, sie müssen alle relevanten fakten offenlegen – die höhe der gezahlten Summen, die interessenlage des Veranstalters, das Thema des Vortrags, den Ort und das Ambiente der Veranstal-tung, die Zusammensetzung der Teilnehmer. Erst die Kenntnis aller Umstände ergibt einen Gesamteindruck – und erlaubt ein Urteil.«12 Passiert ist bei der geforderten Bringschuld bis jetzt beim BGh nichts. Jedenfalls lässt sich dazu nichts finden. Das Thema wurde anschei-nend durch kollektives Schweigen ausgesessen. Wie sollte man das auch lösen können?

Bringen die Ärzte die Medizin?in der medizin ist das Problem der Einflussnahme auf und durch

die Wissenschaft seit langem bekannt. Jeder denkt hier sofort an die hässliche Pharmaindustrie, die wissenschaftliche Studien »kauft« und damit die Verschreibung von medikamenten befördert und auch

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sonst Einfluss nimmt durch Studien, durch Vorträge, bei der Ent-wicklung von leitlinien, durch Veranstaltungen oder geldwerte lei-stungen jeder Art für Ärzte.13 Das institute of medicine (iOm) hat den interessenkonflikt beschrieben als »Gegebenheiten, die ein risiko dafür schaffen, dass professionelles Urteilsvermögen oder handeln, welches sich auf ein primäres interesse bezieht, durch ein sekundäres interesse unangemessen beeinflusst wird«.14 Und weiter: »Dabei ist ein interessenkonflikt ein Zustand und nicht ein Verhal-ten. Dieser Zustand tritt auf, wenn materielle oder soziale Vorteile in einer Spannung zu primären medizinisch-ethischen Zielen stehen. Wie sich der Konflikt auswirkt oder ob sich eine Person beeinflusst fühlt oder nicht, ist unerheblich für die frage, ob ein interessenkon-flikt vorliegt.«15 Anders als die ökonomische Wirtschaftsethik, die das Problem ins recht aussortiert, und anders als die rechtswissen-schaft, die in Zusammenarbeit mit ihren Verlagen das Thema tabui-siert, akzeptiert die Welt der medizin die schlichte möglichkeit der Einflussnahme, ohne dass damit ein Schuldvorwurf verbunden wird. So kann in der medizin die standardisierte Offenlegung möglicher interessenkonflikte als lösung angesehen werden.16 für die Juristen wohl eher unvorstellbar heißt es in § 15 Abs. 2 der (muster-)Berufs-ordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte: »in Publikationen von forschungsergebnissen sind die Beziehungen der Ärztin oder des Arztes zum Auftraggeber und dessen interessen of-fenzulegen.«

Diese Offenlegung erfolgt bei Vorträgen zu Beginn durch den Vortragenden z. B. auf einer folie:17

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Medizinische Vereinigungen erfassen interessenkonflikte ihrer Vor-standsmitglieder standardisiert mit formblättern und veröffentlichen diese auf ihrer homepage.18 Die Arbeitsgemeinschaft der Wissen-schaftlichen medizinischen fachgesellschaften e.V. hat für die Ent-wicklung von Leitlinien Standards für den Umgang mit interessen-konflikten erarbeitet. Danach sollen Koordinatoren von leitlinienpro-jekten »keine thematisch relevanten interessenkonflikte« aufweisen. Das abgestufte System sieht vor: »mitwirkende mit hohen interes-senkonflikten sollten nicht an Beratungen der leitliniengruppen teil-nehmen.« Deren Stellungnahme kann danach schriftlich erfolgen. Grundlage dafür sind interessenerklärungen der Beteiligten nach einer standardisierten form. Offenzulegen sind danach Berater-bzw. Gut-achtertätigkeiten, die mitarbeit in einem Wissenschaftlichen Beirat (advisory board), bezahlte Vortrags- / oder Schulungstätigkeit, be-zahlte Autoren- / oder Coautorenschaft, forschungsvorhaben / Durch-führung klinischer Studien, Eigentümerinteressen (Patent, Urheber-recht, Aktienbesitz) und indirekte interessen. 19 Die namen der jewei-ligen Kooperationspartner, der Zeitraum der Beziehung, das jeweilige Thema, der Bezug zur leitlinie sowie die Art der Zuwendung, die höhe der Zuwendung und der Empfänger sind dabei für die zurück-liegenden drei Jahre anzugeben.20 Bei medizinischen Fachzeitschrif-ten ist es für die Autoren üblich, eine Erklärung über interessenkon-flikte einzureichen. hier müssen auf einem entsprechenden formu-lar die persönlichen Beziehungen zu Unternehmen, eigene Patente, das halten von Aktien, Tantiemen, Berater- und Autorentätigkeiten, bei denen ein Bezug zum Thema besteht, ebenso offengelegt werden wie erhaltene Unterstützung bei der Abfassung des manuskripts und honorare für Gutachtertätigkeiten sowie andere geldwerten Vorteile.21 Auch immaterielle interessenkonflikte sind dabei anzusprechen so-wie der Arbeitgeber anzugeben. Veranstalter von medizinischen Fortbildungen haben vorab interessenkonflikte offenzulegen und dabei anzugeben, ob die Veranstaltung finanziell unterstützt wird. Gibt es Sponsoren bzw. Geldgeber, sind diese ebenso zu nennen wie der Unterstützungsbetrag in Euro und die eigenen Veranstaltungs-kosten. Die referenten haben anzugeben, welche honorare sie für die Vortragstätigkeit von Unternehmen erhalten und ob es weitere Kostenübernahmen wie reise- und übernachtungskosten sowie Ak-tien- oder finanzielle Beteiligungen oder forschungs- und Studien-gelder gab. Die Angaben erfolgen schriftlich unter Bestätigung der Vollständigkeit und richtigkeit.22 Transparenzregeln wurden zudem

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auch für die Pharmaindustrie selbst geschaffen. im Jahr 2010 etwa wurde in den USA der »Sunshine Act« beschlossen, demzufolge Phar-maunternehmen in den USA ihre konkrete Einflussnahme von medi-zinern offenlegen müssen, also an welche mediziner sie welche Zah-lungen geleistet haben. Solche ruppigen formen der Gesetzgebung schätzen wir in Europa ja gar nicht, und deswegen wurde eine freiwil-lige Selbstverpflichtung geschaffen, nach der die Pharmaindustrie »geldwerte leistungen« an Ärzte, Angehörige medizinischer fach-kreise sowie medizinische Organisationen und Einrichtungen jähr-lich veröffentlichen soll.23

Grund für die Offenlegung von interessenkonflikten in der medi-zin ist das Wissen um eine mögliche Beeinflussung, die sich wegen der vielfältigen Vernetzung und des Austauschs zwischen Wirtschaft und Wissenschaft ergeben kann. Transparenz soll dabei die möglich-keit schaffen, Verzerrungen wahrzunehmen und wissenschaftliche Beiträge besser einordnen zu können. Warum sollte das nicht auch für die rechtswissenschaft gelten? Weil uns allen seit 1848 mit Julius von Kirchmann selig die »Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wis-senschaft« doch sowieso ganz selbstverständlich wäre? Weil wir alle wissen, dass der Kaiser eigentlich keine Kleider anhat und ein juristi-sches Gutachten keine wissenschaftliche Wahrheit bedeutet, sondern nur lege artis argumentierte meinung? Es am Ende nur um die regel-gerechte rhetorische Verpackung des inhalts geht? Und der inhalt – nun ja – eben ein interessenkonflikt ist, den wir lösen, schaffen, ver-wirren, verkanten, verdrechseln und erledigen je nach Auftrag oder überzeugung? Dafür werden wir benötigt und beauftragt. häufig werden wir dafür bezahlt. Aber wenn wir eine neutrale rolle etwa als »Wissenschaftler« oder »richter« einnehmen, dann ist es notwendig darüber aufklären, wenn der interessenkonflikt wirtschaftlich unser eigener sein kann. Sonst verspielt die rechtswissenschaft aus An-maßung reiner Wissenschaftlichkeit oder aus Angst vor der eigenen Bedeutungslosigkeit als Wissenschaft am Ende alle, zumindest dis-kursive Bedeutung, die für unser rechtssystem eben doch nachvoll-ziehbar und sinnvoll ist.

Warum also nicht ganz praktisch nach dem Vorbild der medizin auf den drei Ebenen beginnen: Die Verlage sollten ihre Autoren nach möglichen interessenkonflikten fragen und diese offenlegen, die Au-toren sollten bei jeder form der Veröffentlichung von sich aus mög-liche Konflikte benennen, und die lobbyisten schließlich sollten dazu gezwungen werden, öffentlich Auskunft über ihre Aufträge zu

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geben. Oder ist unser Selbstbewusstsein als Wissenschaft wirklich so gering, dass wir das Wesen unseres handwerks tabuisieren und die Aureole wissenschaftlicher Wahrheit brauchen, um in der Welt auch außerhalb des rechts zu »sein« oder auch nur »zu gelten«? Vermut-lich ja. Und außerdem gäbe es sonst schlicht weniger Anlass, Geld, »Drittmittel« oder sonstige Vergünstigungen zu erhalten. Doch das sollte nicht die Gesellschaft durch intransparent beeinflusste Gesetz-gebungs- und Gerichtsverfahren ausbaden müssen.

UlriCh KrüGEr / AChim TiffE

Anmerkungen

1 https://ieai.mcts.tum.de/keynote-of-prof-lutge-concerning-ethics-of-ai-and-autono mous-decision-making/

2 https://background.tagesspiegel.de/ueber-ethik-waschmaschinen-und-andere-fabel wesen

3 BVerfG, Urteil vom 15.12.1983 – 1 Bvr 209, 269, 362, 420, 440, 484/83. 4 https://www.tagesspiegel.de/politik/eu-ethikrichtlinien-fuer-kuenstliche-intelligenz-

nehmt-der-industrie-die-ethik-weg/24195388.html 5 https://www.ihk-nuernberg.de/de/ihK-magazin-Wim/Wim-Archiv/Wim-Daten/2007-

03/Unternehmen-und-Personen/EasyCredit-hoersaal-an-der-Universitaet-eingeweiht. jsp

6 Antwort der regierung auf eine Kleine Anfrage vom Deutscher Bundestag BT-Ds. 16/3395, S. 1, inkl. liste der Unternehmen.

7 Entscheidende Passagen des Gesetzes, dass die Cum/Ex-Geschäfte ermöglichte, sol-len nach Susan Jörges von abgeortnetenwatch.de »aus lobbyschreiben des Bun- desverbandes deutscher Banken« übernommen worden sein. Quelle: https://www.abgeordnetenwatch.de/blog/lobbyismus/wie-sich-die-bankenlobby-ein-gesetz-zum-grossangelegten-steuerraub-schrieb.

8 BGh, Urteile vom 13.5.2014 – Xi Zr 170/13 und Xi Zr 405/12 sowie BGh-Urteile vom 28.10.2014 – Xi Zr 17/14 und Xi Zr 348/13.

9 Christian Weber: hungrige richter – hartes Urteil, Süddeutsche Zeitung vom 13.4.2011; Danziger, Shai; levav, Jonathan and Avnaim-Pessoa, liora: Extraneous factors in judicial decisions. Proc natl Acad Sci U S A. 2011 Apr 26; 108(17): abrufbar unter: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PmC3084045/

10 Enough, Birte; mussweiler, Thomas: Sentencing Under Uncertainty: Anchoring Effects in the Courtroom. Journal of Applied Social Psychology. Vol. 31, issue 7, p. 1535 – 1551.