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Der Muntjak 14 W as fällt Ihnen ein, wenn Sie an Jagen in Großbri- tannien denken? Sicher die reizvolle Pirsch auf den majestätischen Rothirsch in Schottland, die aufre- gende Blattjagd auf Rehwild in Mittelengland, vielleicht sogar die Jagd auf das heimliche Sikawild in der Region um Dorset, aber ganz sicher die Flintenjagd auf hochfliegende Fasanen und schnelle Tauben. Ja, die Insel hat jagdlich einiges zu bieten und so bin natürlich auch ich ihren Reizen erlegen. Aber nicht auf Rot-, Reh- oder Sikawild möchte ich weidwerken, nein, Eng- land ist inzwischen auch die Heimat einer der exotischsten Hirscharten überhaupt – des Muntjaks. Viel hört und liest man nicht über diese Wildart, aber seit ich Muntjaks im Nürnberger Zoo beobachtet hatte, reifte in mir der Wunsch, einmal diese skurrilen Hirsche zu bejagen, die Fangzähne haben wie Füchse, viel zu lange Stirnzapfen besitzen, dafür aber eher wenig Ge- weih. Muntjaks wurden in Südengland Ende des 19. Jahrhunderts in den Parkanlagen der Herrenhäuser ausgesetzt und haben sich seitdem stark vermehrt, so dass sie in England fast flächende- ckend bejagt werden können. Eine sehr starke Population hat sich im Nordosten von London, in Suffolk, herausgebildet, wo Muntjaks inzwischen fast das Rehwild zahlenmäßig erreicht haben. Die hier vorkommende Art, der Chinesische Muntjak (Muntiacus reevesi), ist ursprünglich in Südchina und Taiwan be- heimatet, wo sein Bestand nicht als gefährdet gilt. Ich recherchiere im Internet, finde einen Jagdanbieter in Buck- inghamshire und schreibe ihm eine E-Mail. Er antwortet prompt, ein kurzer Briefwechsel folgt und ich buche. Erstaun- licherweise benötigt man nicht einmal einen deutschen Jagd- schein, wenn man in England jagen will, wohl aber einen Eu- ropäischen Feuerwaffenpass, in den von der örtlichen Polizeibe- hörde eine Einfuhrgenehmigung für die eigene Waffe eingetra- gen wird. All das organisiert der Anbieter für mich, so dass mir eigentlich nur die Qual der Wahl des Kalibers bleibt. Muntjaks sind von der Statur her etwas kräftiger als Rehwild, aber auch etwas kleiner. Die einschlägige Literatur (viel gibt es da nicht) ist sich aber einig – Muntjaks sind trotz ihrer Größe sehr schuss- hart und daher fällt meine Wahl auf meine Steyr Mannlicher im Kaliber .30-06. Anfang November ist es dann endlich so weit: Da ich noch ein paar zusätzliche Urlaubstage eingeplant habe, nehme ich das Auto, schiffe in Calais ein und gehe in Dover wie- der an Land. Von dort führt mich mein Weg östlich an London vorbei nach Bury St. Edmunds, wo ich mich am nächsten Mor- gen mit meinem Guide Pete verabredet habe. Pünktlich um 6 Uhr früh bin ich am verabredeten Treffpunk, wo Pete mich schon erwartet. Entgegen allen Wettervorhersagen, aber nicht untypisch für England, nieselt es penetrant und es weht ein teil- weise sehr böiger Wind. Pete, der mich auf den ersten Blick ein wenig an den tapsigen Wally aus dem Film „Crocodile Dundee” erinnert, spendiert mir erst einmal einen starken Kaffee aus sei- ner Thermoskanne. Schnell sehe ich ein, dass Pirschjagd bei die- sem Wetter nicht Erfolg versprechend ist, und so setzen wir uns in einer kleinen Senke an einem Fluss an, in der der Wind etwas schwächer pfeift, in der Hoffnung, dass die Muntjaks diese schützende Senke aufsuchen. Doch nichts geschieht – wir sit- zen und warten, aber von einigen Fasanen abgesehen, die es in dieser Region mehr als reichlich gibt, haben wir keinen An- blick. Gegen 12:30 Uhr brechen wir ab, verabreden uns für 14 Uhr wieder und da das ungünstige Wetter sich hartnäckig hält, versuchen wir am Nachmittag unser Glück erneut beim Ansitz, diesmal an einer anderen Stelle. Aber auch jetzt das glei- che Bild: Bis die Nacht hereinbricht, haben wir keinen Anblick, nur im letzten Licht erscheint ein Dachs, der in England aber nicht bejagt werden darf. Etwas neidisch schaut Pete drein, als ich ihm auf dem Weg zum Auto erzähle, dass in Deutschland auch der Dachs eine Jagdzeit hat und bejagt werden darf. Am nächsten Morgen sieht die Welt viel freundlicher aus; zwar nieselt es ab und zu noch ein wenig, aber es ist absolut windstill, so dass wir endlich pirschen können. Muntjaks haben keine feste Brunftzeit, daher können sie das ganze Jahr über hervorragend geblattet werden. Pete verwendet einen herkömmlichen Reh- blatter und wie der wirkt, soll ich schon bald erfahren. Wir fah- ren mit dem Auto zu einem Revierteil, der wie für Muntjaks geschaffen zu sein scheint: Felder werden immer wieder unter- brochen von kleinen Wäldern und breiten Hecken – genau der richtige Lebensraum für diese kleinen Hirsche. Wir pirschen los, ich trage das Gewehr, Pete den Pirschstock. Für meine Begriffe etwas planlos pirschen wir langsam und leise einen kleinen Weg durch ein Waldstück entlang; Aber Pete ist ein sehr erfahrener „Stalker” und so vertraue ich einfach darauf, dass er weiß, was er da tut. Plötzlich bleibt Pete stehen, deutet nach links, wo sich eine kleine Schneise im Wald, welche von Brombeersträuchern zugewuchert ist, auftut, und baut mir das Dreibein auf. Ich lege an und harre der Dinge, die da kommen mögen. Pete blattet, ähnlich wie ich es im heimischen Revier auf den roten Bock tue, aber länger und häufiger. Nach einigen Minuten vernehmen wir hinter uns ein unauffälliges Rascheln. Langsam drehe ich mich um und da hat uns der kleine Muntjak, der urplötzlich in unse- rem Rücken aufgetaucht ist, schon entdeckt. Im Stile des ame- rikanischen Weißwedelhirsches geht er ab, den Wedel hoch FREMDE REVIERE Text & Fotos: Magnus Pelz

Jaegerin Nr 3 013 Layout J‰gerinhuntinmotion.com/wp-content/uploads/2013/10/08... · vorbei nach Bury St. Edmunds, wo ich mich am nächsten Mor-gen mit meinem Guide Pete verabredet

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Der Muntjak

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Was fällt Ihnen ein, wenn Sie an Jagen in Großbri-tannien denken? Sicher die reizvolle Pirsch auf denmajestätischen Rothirsch in Schottland, die aufre-

gende Blattjagd auf Rehwild in Mittelengland, vielleicht sogardie Jagd auf das heimliche Sikawild in der Region um Dorset,aber ganz sicher die Flintenjagd auf hochfliegende Fasanen undschnelle Tauben. Ja, die Insel hat jagdlich einiges zu bieten undso bin natürlich auch ich ihren Reizen erlegen. Aber nicht aufRot-, Reh- oder Sikawild möchte ich weidwerken, nein, Eng-land ist inzwischen auch die Heimat einer der exotischstenHirscharten überhaupt – des Muntjaks. Viel hört und liest mannicht über diese Wildart, aber seit ich Muntjaks im NürnbergerZoo beobachtet hatte, reifte in mir der Wunsch, einmal dieseskurrilen Hirsche zu bejagen, die Fangzähne haben wie Füchse,viel zu lange Stirnzapfen besitzen, dafür aber eher wenig Ge-weih.Muntjaks wurden in Südengland Ende des 19. Jahrhunderts inden Parkanlagen der Herrenhäuser ausgesetzt und haben sichseitdem stark vermehrt, so dass sie in England fast flächende-ckend bejagt werden können. Eine sehr starke Population hatsich im Nordosten von London, in Suffolk, herausgebildet, woMuntjaks inzwischen fast das Rehwild zahlenmäßig erreichthaben. Die hier vorkommende Art, der Chinesische Muntjak(Muntiacus reevesi), ist ursprünglich in Südchina und Taiwan be-heimatet, wo sein Bestand nicht als gefährdet gilt.Ich recherchiere im Internet, finde einen Jagdanbieter in Buck-inghamshire und schreibe ihm eine E-Mail. Er antwortetprompt, ein kurzer Briefwechsel folgt und ich buche. Erstaun-licherweise benötigt man nicht einmal einen deutschen Jagd-schein, wenn man in England jagen will, wohl aber einen Eu-ropäischen Feuerwaffenpass, in den von der örtlichen Polizeibe-hörde eine Einfuhrgenehmigung für die eigene Waffe eingetra-gen wird. All das organisiert der Anbieter für mich, so dass mireigentlich nur die Qual der Wahl des Kalibers bleibt. Muntjakssind von der Statur her etwas kräftiger als Rehwild, aber auchetwas kleiner. Die einschlägige Literatur (viel gibt es da nicht)ist sich aber einig – Muntjaks sind trotz ihrer Größe sehr schuss-hart und daher fällt meine Wahl auf meine Steyr Mannlicher imKaliber .30-06. Anfang November ist es dann endlich so weit:Da ich noch ein paar zusätzliche Urlaubstage eingeplant habe,nehme ich das Auto, schiffe in Calais ein und gehe in Dover wie-der an Land. Von dort führt mich mein Weg östlich an Londonvorbei nach Bury St. Edmunds, wo ich mich am nächsten Mor-gen mit meinem Guide Pete verabredet habe. Pünktlich um 6 Uhr früh bin ich am verabredeten Treffpunk, wo Pete mich

schon erwartet. Entgegen allen Wettervorhersagen, aber nichtuntypisch für England, nieselt es penetrant und es weht ein teil-weise sehr böiger Wind. Pete, der mich auf den ersten Blick einwenig an den tapsigen Wally aus dem Film „Crocodile Dundee”erinnert, spendiert mir erst einmal einen starken Kaffee aus sei-ner Thermoskanne. Schnell sehe ich ein, dass Pirschjagd bei die-sem Wetter nicht Erfolg versprechend ist, und so setzen wir unsin einer kleinen Senke an einem Fluss an, in der der Wind etwasschwächer pfeift, in der Hoffnung, dass die Muntjaks dieseschützende Senke aufsuchen. Doch nichts geschieht – wir sit-zen und warten, aber von einigen Fasanen abgesehen, die es indieser Region mehr als reichlich gibt, haben wir keinen An-blick. Gegen 12:30 Uhr brechen wir ab, verabreden uns für 14 Uhr wieder und da das ungünstige Wetter sich hartnäckighält, versuchen wir am Nachmittag unser Glück erneut beimAnsitz, diesmal an einer anderen Stelle. Aber auch jetzt das glei-che Bild: Bis die Nacht hereinbricht, haben wir keinen Anblick,nur im letzten Licht erscheint ein Dachs, der in England abernicht bejagt werden darf. Etwas neidisch schaut Pete drein, alsich ihm auf dem Weg zum Auto erzähle, dass in Deutschland auchder Dachs eine Jagdzeit hat und bejagt werden darf.Am nächsten Morgen sieht die Welt viel freundlicher aus; zwarnieselt es ab und zu noch ein wenig, aber es ist absolut windstill,so dass wir endlich pirschen können. Muntjaks haben keine festeBrunftzeit, daher können sie das ganze Jahr über hervorragendgeblattet werden. Pete verwendet einen herkömmlichen Reh-blatter und wie der wirkt, soll ich schon bald erfahren. Wir fah-ren mit dem Auto zu einem Revierteil, der wie für Muntjaksgeschaffen zu sein scheint: Felder werden immer wieder unter-brochen von kleinen Wäldern und breiten Hecken – genau derrichtige Lebensraum für diese kleinen Hirsche. Wir pirschen los,ich trage das Gewehr, Pete den Pirschstock. Für meine Begriffeetwas planlos pirschen wir langsam und leise einen kleinen Wegdurch ein Waldstück entlang; Aber Pete ist ein sehr erfahrener„Stalker” und so vertraue ich einfach darauf, dass er weiß, was erda tut. Plötzlich bleibt Pete stehen, deutet nach links, wo sicheine kleine Schneise im Wald, welche von Brombeersträuchernzugewuchert ist, auftut, und baut mir das Dreibein auf. Ich legean und harre der Dinge, die da kommen mögen. Pete blattet,ähnlich wie ich es im heimischen Revier auf den roten Bock tue,aber länger und häufiger. Nach einigen Minuten vernehmen wirhinter uns ein unauffälliges Rascheln. Langsam drehe ich michum und da hat uns der kleine Muntjak, der urplötzlich in unse-rem Rücken aufgetaucht ist, schon entdeckt. Im Stile des ame-rikanischen Weißwedelhirsches geht er ab, den Wedel hoch

FREMDE REVIERE Text & Fotos: Magnus Pelz

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erhoben, so dass man die weißeUnterseite noch weit durchden Wald verfolgen kann. DasKuriose aber daran ist: DieserHirsch bellt! Wie ein etwasheiserer Hund hört sich das anund es hallt laut durch denWald. Selbst nach etlichen Mi-nuten hören wir den kleinenWicht in großer Entfernungnoch bellen. Mir wird jetztaber klar, wie die Pirsch ab-läuft: Im günstigsten Fallsteckt der Hirsch im dichtenGebüsch, reagiert auf den Blatt-laut und erscheint auf der Bild-fläche. Das geht aber so schnell,dass man im Vorhinein erah-nen muss, aus welcher Rich-tung der Muntjak kommt, undsich schussbereit halten muss.Denn diese Kleinhirschartsteht eigentlich nie still, istständig in Bewegung und manbekommt nicht viel Zeit füreinen Schuss. Diesmal haben wir uns ver-schätzt, aber es ist gerade ein-mal 9 Uhr und wir haben nochZeit. Wir pirschen weiter denWeg entlang, einige Male ma-che ich mich noch schussbe-reit, aber wir bekommen kei-nen Muntjak mehr in Anblick.Wir brechen ab, fahren zu ei-nem anderen, einige Meilenentfernten Waldstück, welchesvon Feldern umgeben ist. Wirpirschen einen Weg direkt amWaldrand entlang, bis einkleiner Pfad in den Wald ab-biegt. Diesen gehen wir nuretwa 10 Meter, als Pete nachrechts deutet und mir erneutdas Dreibein aufbaut. Vor mirbefindet sich eine kleine Lich-tung, die wiederum von Büschen überzogen ist. Ich bin fertigund Pete blattet. Und völlig überraschend taucht keine 5 Se-kunden später genau aus der Richtung, in die ich ziele, einMuntjak auf und sichert zu uns herüber. Diese wenigen Sekun-den reichen mir, um ihn als Jährlingsbock anzusprechen, zu zie-len und, als das Absehen auf dem Stich ist, abzudrücken. ImSchuss springt er zur Seite, geht zu Boden, rappelt sich wiederauf und ist im Gebüsch verschwunden. Mein Puls rast und erstjetzt begreife ich richtig, was passiert ist, dass der Muntjak wirk-lich da war und ich tatsächlich geschossen habe. Ich muss michhinsetzen und durchschnaufen.

Ohnehin sollen wir dem Hirsch einige Minuten gönnen. Ich binsicher, dass ich gut abgekommen bin, aber dass er nochmal ab-gesprungen ist macht mich schon nervös – und auch ungeduldig.

Doch Pete zaubert aus seinemRucksack einen Kaffee, den ermir im Pappbecher serviertund so langsam beruhigt sichmein Puls. Nach 5 Minutenhabe ich ausgetrunken undwir gehen zum Anschuss, wowir reichlich Schweiß finden.Leicht lässt sich die Schweiß-fährte halten und schon nachnicht einmal 20 Metern steheich vor meinem ersten Munt-jak. Das Geweih misst aufbeiden Seiten nur je 2 cm,aber wegen der enorm langenStirnzapfen ragt es über dieLauscher hinaus. Ich bin faszi-niert von den Eckzähnen, dieso lang sind wie die unsererFüchse. Dazu verleihen die Se-kretdrüsen unter den Lichterndem Muntjak ein ungewöhn-liches Aussehen. Ich knie michzu meinem Hirsch, immernoch überwältigt vom Jagd-geschehen. Auf dem Weg insRevier habe ich Pete von dendeutschen Brüchen erzählt under überreicht mir jetzt tat-sächlich einen Erlegerbruchund murmelt etwas, das wohl„Weidmannsheil” bedeutensoll, denn auch das habe ichihm vorher „beigebracht”. Je-der Jäger kann sicher nach-vollziehen, welches Glücksge-fühl sich in diesem Momentbei mir breit macht. Ich habees getan – ich bin nach Eng-land gefahren und habe einenMuntjak gejagt.Am Abend gönne ich mir beimeinen Bekannten in MiltonKeynes einen guten SingleMalt und eine Zigarre auf die-sen exotischen Jagderfolg.

Kurzinfos Anreise: entweder mit dem Flugzeug (nach Stans-ted) oder mit der Fähre (im Normalfall Calais-Dover). Vorsicht:Linksverkehr! Waffenmitnahme möglich, Erlaubnis erteilt dieörtliche Polizei. Europäischer Feuerwaffenpass nötig, in den dieGenehmigung eingetragen wird. Jagdart: Gejagt wird entweder vom Ansitz aus oder – span-nender und vielversprechender – auf der Pirsch.Andere Wildarten: Rot-, Reh-, Sika- und Damwild, Chinesi-sches Wasserreh. Ausrüstung/Waffe: Keine besondere Ausrüstung nötig. Munt-jaks sind schusshart, daher empfehlen sich die 7-mm-Kaliber. DasSchießen vom Schießstock aus sollte vorher trainiert werden.

Kontakt: Bryan Nelson, [email protected] www.sportingagent.com

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FREMDE REVIERE

Guide Pete mit dem erlegten Muntjak - unten die Trophäe