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1 Jagd 2002 14. August 2002 Seit 1877 müssen die Bündner Jäger ein Jagdpatent lösen, wenn sie an der Hoch- oder Niederjagd teilnehmen wollen. Kostete ein Hochjagdpatent vor 125 Jahren 8 Franken, so bezahlt der Jäger heute 652 Franken dafür. Sei- nerzeit wurden hohe Prämien für Ab- schüsse von Bär, Adler, Geier, Wolf und Luchs ausbezahlt. Heute bemüht sich unsere Gesellschaft mit erheblichem Aufwand, diese Tierarten wieder anzu- siedeln. Graubünden kennt die Volks- jagd bereits seit 1526. Mit den Ilanzer Verträgen erhielten die Einwohner der Bündner Gerichtsgemeinden das Recht, unentgeltlich auf ihren Territo- rien zu jagen. Obwohl an Tagsatzungen verschiedentlich jagdliche Einschrän- kungen festgelegt wurden, führte die intensive Nutzung der Landschaft und eine weit gehend uneingeschränkte Jagd zu einem massiven Rückgang der Wildbestände und zu einem Ausster- ben von Steinbock, Wildschwein, Reh und Hirsch. Schwache Gämsbestände im Jahr 1877 1877 waren nur noch Gämsen als jagdbares Schalenwild vorhanden. Der Vergleich der mageren Gämsstrecken von 1877, 700 Gämsen, mit den Gämsstrecken von heute, mehr als 4000 Gämsen pro Hochjagd zeigt, dass es damals um die Gämsbestände schlecht bestellt war. Mitverantwortlich für den Rückgang der Wildbestände dürfte auch die Entwicklung der Waf- fentechnik gewesen sein. Viele Bünd- ner haben unter fremden Fahnen Dienst geleistet. Dadurch gelangten neue Waffen, aber auch Kenntnisse des Waffenschmiedens nach Graubünden. Diese treffsicheren Waffen wurden selbstverständlich auch für die Jagd ein- gesetzt. Patentjagd zur Rettung des Wildes Mit der Einführung der Patentjagd im Jahr 1877 ging es darum, die Wild- bestände wieder aufzubauen, die Jagd entsprechend einschneidend zu regulie- ren und zu kontrollieren und für den in Finanznöten steckenden Staat eine zusätzliche Einnahmequelle zu er- schliessen. Das Bündnervolk stimmte der Einführung der Patentjagd erst im vierten Anlauf zu. Einmal eingeführt wurde die Patentjagd durch die Bünd- ner Jäger dann vehement verteidigt. Die Jagdzeit auf Schalenwild wurde neu auf den September beschränkt. In drei grossen eidgenössischen Jagdbann- gebieten wurde die Jagd verboten. Eine der wichtigsten Massnahmen in dieser Phase war der konsequente Schutz der Mutter- und Jungtiere. In der Folge wanderten Reh und Hirsch wieder von Norden und Osten her in unseren Kanton ein. Ab 1950 wurden die gros- sen Wildbestände langsam zum Prob- lem. Land- und Forstwirtschaft klagten über massive Wildschäden. Grosse Wintersterben in strengen Wintern wiesen darauf hin, dass die Kapazitäts- grenze der Wildeinstände überschritten worden war. Hohe Wildbestände – konsequente Jagdplanung Hohe Wildbestände, infolge der Be- dürfnisse der Bevölkerung und des Tourismus, beschränkter und durch Verkehrswege zerschnittener Lebens- raum und Forderungen von Forst- und Landwirtschaft lassen sich nur mit einer professionellen Planung und kon- sequenten Umsetzung unter einen Hut bringen. Im Zentrum der wildbiolo- gisch fundierten Jagdplanung stehen die Bedürfnisse des Wildes. Ziel der Jagdplanung sind gesunde, ihrem Le- bensraum angepasste Wildbestände in einer möglichst natürlichen Zu- sammensetzung. Graubünden hat diese Zielsetzung unter weitestgehender Bei- behaltung der Bündner Patentjagd er- reicht. Die Jagdstrecke ist heute höher als je zuvor. * Georg Brosi ist Jagd- und Fischerei- inspektor des Kantons Graubünden Von Dr. Georg Brosi* 1877: Desolate Wildbe- stände erfordern eine ein- schneidende Regulation und Kontrolle der Jagd. Das Bündnervolk stimmt der Einführung der Patent- jagd zu. 2002: Grosse Wildbestände bedingen eine konsequente Jagd- planung und damit entsprechende Eingriffe in die Wildbestände. Jagd im Wandel der Zeit Ein Rückblick auf 125 Jahre Patentjagd im Kanton Graubünden Bündner Patentjagd Die Bündner Jagd hat Tradition 6000 Bündner und 60 Bündne- rinnen sind vom Jagdvirus angesteckt und versuchen alljährlich auf der Bündner Patentjagd ihr Jagdglück. Volksinitiativen in mehreren Kan- tonen versuchen die Jagd einzu- schränken oder gar zu verbieten. Bis- her ohne Erfolg. Trotzdem hat dieses zunehmende Unverständnis für die Jagd seine Ursachen. Viele Leute ken- nen die Natur heute nur noch aus dem Fernsehen. Kenntnisse der Vor- gänge in Wiese, Feld und Wald fehlen oft weit gehend. Graubündens Wild- bestände sind sehr hoch und müssen reguliert werden. Die Tatsache, dass sich die Bündner Schalenwildbe- stände (Hirsch, Reh, Gäms und Steinbock) alljährlich um mehr als 12 000 Tiere vermehren, ist kaum bekannt. Was würde beispielsweise mit einem nicht bejagten Hirschbe- stand geschehen? Mit der jährlichen Zunahme um einen Drittel würde der Hirschbestand bald einmal die Grenzen seiner Lebensraumkapazität erreichen. Oder einfacher ausge- drückt: zu viele Hirsche für den Eng- pass im Nahrungsangebot während der Wintermonate. Die Folge davon sind hohe Verbissschäden und hohe Fallwildverluste im Lauf eines stren- gen Winters. In den meisten Fällen heisst die Zielsetzung heute Stabilisa- tion der Wildbestände. Die jagdliche Nutzung der Wild- bestände macht aber auch Sinn. Aus grundsätzlichen Überlegungen ist es sinnvoll, Erzeugnisse unserer Natur zu nutzen. Hervorragende einheimi- sche Produkte, kurze Transporte, bio- logische Produktion, beispielshafte Tierhaltung, ich rede von Wild. Wenn nur das Erlegen der Tiere nicht wäre. Doch jedes Tier muss zuerst getötet werden, bevor man sein Fleisch essen kann. Aus tierschützeri- schen und jagdethischen Überlegun- gen werden hohe Anforderungen an die Jäger gestellt. Auch gestandene Jäger trainieren ihre Schiessfertigkeit, üben sich im Ansprechen des Wildes und leisten Hegearbeiten. Jagd erfor- dert Zeit, ist eine ganzjährige Aus- einandersetzung mit der Natur. Der Jäger hat sich dem Rhythmus der Natur anzupassen. Herbst – die Zeit der Jagd. Das Erlegen von Wild stellt den Höhepunkt im Jagdjahr dar. Dr. Georg Brosi, Jagd- und Fischereiinspektor, Chur Hinweis im «Bündner Tagblatt» vom Dienstag, 28. August 1877, zum erst- maligen Bezug der Jagdpatente. Vor 125 Jahren waren nur noch Gämsen als jagdbares Schalenwild vorhanden. Mit der Einführung der Patentjagd ging es unter anderem auch darum, die Wildbestände wieder aufzubauen. Im Bild: Hitsch Dürr (links) und Jack Müller im Jahr 1960 nach erfolgreicher Jagd vor der Jagdhütte. Bild Jack Müller «Ob Ihr, Getreue, liebe Mitbür- ger, dem in Beilage A enthalte- nen Vorschlag zu einem revidier- ten Jagdgesetz Eure Zustimmung ertheilen wollet oder nicht?» Erklärung der Regierung zur bevorstehenden Abstimmung, gesehen im «Bündner Tagblatt» vom Donnerstag, 9. August 1877. Impressum Herausgeber: Südostschweiz Presse AG Redaktion: Beilagenredaktion «Die Südost- schweiz»; Heidi Rauch Grafik: Barbara Fahrner Koordination: Hannes Jenny Inserate: Südostschweiz Publicitas AG Diese Beilage wird folgenden Publikationen beigelegt: Regionalausgabe Graubünden

Jagd im Wandel der Zeit - Graubünden...* Georg Brosi ist Jagd- und Fischerei-inspektor des Kantons Graubünden Von Dr. Georg Brosi* 1877: Desolate Wildbe-stände erfordern eine ein-schneidende

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Page 1: Jagd im Wandel der Zeit - Graubünden...* Georg Brosi ist Jagd- und Fischerei-inspektor des Kantons Graubünden Von Dr. Georg Brosi* 1877: Desolate Wildbe-stände erfordern eine ein-schneidende

1 Jagd 200214. August 2002

Seit 1877 müssen die Bündner Jägerein Jagdpatent lösen, wenn sie an derHoch- oder Niederjagd teilnehmenwollen. Kostete ein Hochjagdpatentvor 125 Jahren 8 Franken, so bezahltder Jäger heute 652 Franken dafür. Sei-nerzeit wurden hohe Prämien für Ab-schüsse von Bär, Adler, Geier, Wolf undLuchs ausbezahlt. Heute bemüht sichunsere Gesellschaft mit erheblichemAufwand, diese Tierarten wieder anzu-siedeln. Graubünden kennt die Volks-jagd bereits seit 1526. Mit den IlanzerVerträgen erhielten die Einwohner der

Bündner Gerichtsgemeinden dasRecht, unentgeltlich auf ihren Territo-rien zu jagen. Obwohl an Tagsatzungenverschiedentlich jagdliche Einschrän-kungen festgelegt wurden, führte dieintensive Nutzung der Landschaft undeine weit gehend uneingeschränkteJagd zu einem massiven Rückgang derWildbestände und zu einem Ausster-ben von Steinbock, Wildschwein, Rehund Hirsch.

Schwache Gämsbeständeim Jahr 1877

1877 waren nur noch Gämsen alsjagdbares Schalenwild vorhanden. DerVergleich der mageren Gämsstreckenvon 1877, 700 Gämsen, mit denGämsstrecken von heute, mehr als4000 Gämsen pro Hochjagd zeigt, dasses damals um die Gämsbeständeschlecht bestellt war. Mitverantwortlichfür den Rückgang der Wildbeständedürfte auch die Entwicklung der Waf-fentechnik gewesen sein. Viele Bünd-ner haben unter fremden FahnenDienst geleistet. Dadurch gelangtenneue Waffen, aber auch Kenntnisse desWaffenschmiedens nach Graubünden.Diese treffsicheren Waffen wurdenselbstverständlich auch für die Jagd ein-gesetzt.

Patentjagd zur Rettung des Wildes

Mit der Einführung der Patentjagdim Jahr 1877 ging es darum, die Wild-bestände wieder aufzubauen, die Jagdentsprechend einschneidend zu regulie-ren und zu kontrollieren und für denin Finanznöten steckenden Staat einezusätzliche Einnahmequelle zu er-schliessen. Das Bündnervolk stimmteder Einführung der Patentjagd erst im

vierten Anlauf zu. Einmal eingeführtwurde die Patentjagd durch die Bünd-ner Jäger dann vehement verteidigt.Die Jagdzeit auf Schalenwild wurdeneu auf den September beschränkt. Indrei grossen eidgenössischen Jagdbann-gebieten wurde die Jagd verboten. Eineder wichtigsten Massnahmen in dieserPhase war der konsequente Schutz derMutter- und Jungtiere. In der Folgewanderten Reh und Hirsch wieder vonNorden und Osten her in unserenKanton ein. Ab 1950 wurden die gros-sen Wildbestände langsam zum Prob-lem. Land- und Forstwirtschaft klagtenüber massive Wildschäden. GrosseWintersterben in strengen Winternwiesen darauf hin, dass die Kapazitäts-grenze der Wildeinstände überschrittenworden war.

Hohe Wildbestände – konsequente Jagdplanung

Hohe Wildbestände, infolge der Be-dürfnisse der Bevölkerung und desTourismus, beschränkter und durchVerkehrswege zerschnittener Lebens-raum und Forderungen von Forst- undLandwirtschaft lassen sich nur miteiner professionellen Planung und kon-sequenten Umsetzung unter einen Hutbringen. Im Zentrum der wildbiolo-gisch fundierten Jagdplanung stehendie Bedürfnisse des Wildes. Ziel derJagdplanung sind gesunde, ihrem Le-bensraum angepasste Wildbestände ineiner möglichst natürlichen Zu-sammensetzung. Graubünden hat dieseZielsetzung unter weitestgehender Bei-behaltung der Bündner Patentjagd er-reicht. Die Jagdstrecke ist heute höherals je zuvor.

* Georg Brosi ist Jagd- und Fischerei-inspektor des Kantons Graubünden

Von Dr. Georg Brosi*

1877: Desolate Wildbe-stände erfordern eine ein-

schneidende Regulationund Kontrolle der Jagd.

Das Bündnervolk stimmtder Einführung der Patent-

jagd zu. 2002: GrosseWildbestände bedingen eine konsequente Jagd-

planung und damit entsprechende Eingriffe in

die Wildbestände.

Jagd im Wandel der ZeitEin Rückblick auf 125 Jahre Patentjagd im Kanton GraubündenBündner Patentjagd

Die Bündner Jagd hat Tradition

6000 Bündner und 60 Bündne-rinnen sind vom Jagdvirus angestecktund versuchen alljährlich auf derBündner Patentjagd ihr Jagdglück.

Volksinitiativen in mehreren Kan-tonen versuchen die Jagd einzu-schränken oder gar zu verbieten. Bis-her ohne Erfolg. Trotzdem hat dieseszunehmende Unverständnis für dieJagd seine Ursachen. Viele Leute ken-nen die Natur heute nur noch ausdem Fernsehen. Kenntnisse der Vor-gänge in Wiese, Feld und Wald fehlenoft weit gehend. Graubündens Wild-bestände sind sehr hoch und müssenreguliert werden. Die Tatsache, dasssich die Bündner Schalenwildbe-stände (Hirsch, Reh, Gäms undSteinbock) alljährlich um mehr als12 000 Tiere vermehren, ist kaumbekannt. Was würde beispielsweisemit einem nicht bejagten Hirschbe-stand geschehen? Mit der jährlichenZunahme um einen Drittel würdeder Hirschbestand bald einmal dieGrenzen seiner Lebensraumkapazitäterreichen. Oder einfacher ausge-drückt: zu viele Hirsche für den Eng-pass im Nahrungsangebot währendder Wintermonate. Die Folge davonsind hohe Verbissschäden und hoheFallwildverluste im Lauf eines stren-gen Winters. In den meisten Fällenheisst die Zielsetzung heute Stabilisa-tion der Wildbestände.

Die jagdliche Nutzung der Wild-bestände macht aber auch Sinn. Ausgrundsätzlichen Überlegungen ist essinnvoll, Erzeugnisse unserer Naturzu nutzen. Hervorragende einheimi-sche Produkte, kurze Transporte, bio-logische Produktion, beispielshafteTierhaltung, ich rede von Wild.Wenn nur das Erlegen der Tierenicht wäre. Doch jedes Tier musszuerst getötet werden, bevor man seinFleisch essen kann. Aus tierschützeri-schen und jagdethischen Überlegun-gen werden hohe Anforderungen andie Jäger gestellt. Auch gestandeneJäger trainieren ihre Schiessfertigkeit,üben sich im Ansprechen des Wildesund leisten Hegearbeiten. Jagd erfor-dert Zeit, ist eine ganzjährige Aus-einandersetzung mit der Natur. DerJäger hat sich dem Rhythmus derNatur anzupassen. Herbst – die Zeitder Jagd. Das Erlegen von Wild stelltden Höhepunkt im Jagdjahr dar.

Dr. Georg Brosi, Jagd- und Fischereiinspektor, Chur

Hinweis im «Bündner Tagblatt» vomDienstag, 28. August 1877, zum erst-maligen Bezug der Jagdpatente.

Vor 125 Jahren waren nur noch Gämsen als jagdbares Schalenwild vorhanden. Mit der Einführung der Patentjagd ging es unteranderem auch darum, die Wildbestände wieder aufzubauen. Im Bild: Hitsch Dürr (links) und Jack Müller im Jahr 1960 nach erfolgreicher Jagd vor der Jagdhütte. Bild Jack Müller

«Ob Ihr, Getreue, liebe Mitbür-ger, dem in Beilage A enthalte-

nen Vorschlag zu einem revidier-ten Jagdgesetz Eure Zustimmung

ertheilen wollet oder nicht?» Erklärung der Regierung zur

bevorstehenden Abstimmung,gesehen im «Bündner Tagblatt»

vom Donnerstag, 9. August 1877.

ImpressumHerausgeber: Südostschweiz Presse AGRedaktion: Beilagenredaktion «Die Südost-schweiz»; Heidi RauchGrafik: Barbara FahrnerKoordination: Hannes JennyInserate: Südostschweiz Publicitas AG

Diese Beilage wird folgenden Publikationenbeigelegt:

Regionalausgabe Graubünden

Page 2: Jagd im Wandel der Zeit - Graubünden...* Georg Brosi ist Jagd- und Fischerei-inspektor des Kantons Graubünden Von Dr. Georg Brosi* 1877: Desolate Wildbe-stände erfordern eine ein-schneidende

Mit dem ersten Bundesgesetz überdie Jagd und den Vogelschutz vom Jahr1875 wurden die Kantone verpflichtet,die Jagd in Übereinstimmung mit demBundesgesetz zu regeln. Die Wahl desJagdsystems wurde den Kantonenüberlassen. Sie hatten die Wahl zwi-schen dem Patent- und dem Reviersys-tem. In der Junisession des bündneri-schen Grossen Rates vom Jahr 1876wurde über die Systemfrage debattiert.Die Anhänger der Revierjagd und die-jenigen der Patentjagd hielten sich fastdie Waage. In der Abstimmung spra-chen sich die Abgeordneten mit einemResultat von 44 zu 35 Stimmen für diePatentjagd aus. Damit wurde die Jagdim Jagdgesetz des Kantons Graubün-den vom Jahr 1877 nach dem Patent-system geregelt.

Patentjagd in Gefahr

Im Jahr 1910 prüfte eine Experten-kommission im Auftrag der BündnerRegierung die Jagdfrage unseres Kan-tons und kam unter anderem zu fol-gendem Schluss: «Nur die Jagdverpach-tung gestattet es dem Kanton, seinenReichtum an Wild zu Gunsten des Fis-kus voll auszunützen.»

Als Antwort auf diesen Expertenbe-richt und auf die mit der Teilrevisiondes Jagdgesetzes vom Jahr 1913 ver-bundene massive Patenttaxenerhöhungwurde im selben Jahr der BündnerKantonale Patentjäger-Verband BKPJVgegründet. Die nächsten Versuche, dasJagdsystem zu ändern, wurden in den

krisengeschüttelten Dreissigerjahrendes letzten Jahrhunderts unternom-men. Die Initiative ging damals vonGemeinden aus; zu Grunde lagen die-sen Anliegen finanzielle Erwägungen.

Paradebeispiel einer modernen Patentjagd

Heute ist die Patentjagd in der Be-völkerung des Kantons Graubündenfest verankert. Die Systemfrage ist inder Schweiz kein Thema mehr; in 16Kantonen wird nach dem Patent- undin 9 Kantonen nach dem Reviersystemgejagt. Auf höchster Ebene wird übereinen Zusammenschluss der Jäger ausden zwei Systemen in einem Einheits-verband diskutiert.

Eine moderne Jagd wird daran ge-messen, ob sie ihren gesetzlichen Auf-trag erfüllt, nämlich die Anpassung derWildbestände an deren Lebensraum.Gefragt sind Bejagungskonzepte, wel-che die Anliegen des Wildes in denVordergrund stellen und die eine nach-haltige Nutzung der Wildbestände ga-rantieren. Als Paradebeispiel gilt hier si-cher das Gämsbejagungskonzept unse-res Kantons. Die Strukturen unsererGämsbestände und die der Jagdstreckebei dieser Wildart müssen den Ver-gleich mit den Verhältnissen in der Re-vierjagd nicht scheuen. Mit demSchutz des beidseitigen Kronenhirscheswurde die Altersstruktur beim männ-lichen Hirschwild wesentlich verbes-sert. Bei der Bejagung des Steinwildeshat Graubünden Pionierarbeit geleistet.

Auch beim Niederwild garantiert dieheutige Jagdplanung eine nachhaltigeNutzung der Bestände.

Ist die Systemfrage kein Themamehr, so sind es vor allem die Idealeeiner freien Patentjagd, die immer wie-der einer Prüfung unterzogen werden.Dazu gehört zum Beispiel, dass maneinen fremden Jäger nicht als einenEindringling in das eigene Jagdgebiet,einen Jungjäger nicht als Konkurrentenansieht. Gibt es in einem Patentsystemüberhaupt fremde Jäger? Die Regiona-

lisierung der Jagdgebiete, mit denenheute gewisse Jägerkreise sympathisie-ren, sind mit einer freien Patentjagdnicht zu vereinbaren und wären einRückschritt in die Zeit vor der Grün-dung unseres Kantons. So bleibt aucheine moderne Patentjagd ein Balance-akt zwischen den persönlichen Ansprü-chen und dem Allgemeinwohl.

* Christian Riffel-Rieder ist Zentral-präsident des Bündner Kantonalen Patentjäger-Verbandes BKPJV.

Von Christian Riffel*

125 Jahre Patentjagd imKanton Graubünden – ein

Grund zum Feiern. Be-trachtet man jedoch dieGeschichte der Bündner

Jagd, so ist es nicht selbst-verständlich, dass heute in

Graubünden nach dem Pa-tentjagdsystem gejagt wird.

Im Zentrum steht das WildRevierjagd oder Patentjagd? Eine 125-jährige DiskussionBündner Patentjagd

Die moderne Jagd wird daran gemessen, ob sie ihren gesetzlichen Auftrag erfüllt,nämlich die Anpassung der Wildbestände an ihren Lebensraum, im Bild eine Gämse.

Bild Martin Merker

Ausstellungen im JubiläumsjahrDas Programm im Bündner Natur-Museum Chur und im Kulturhaus Rosengarten Grüsch

hr.- Das Amt für Jagd und FischereiGraubünden, das Bündner Natur-Mu-seum Chur und die Stiftung Rosengar-ten in Grüsch haben das 125-jährigeBestehen der Patentjagd im KantonGraubünden zum Anlass genommen,das Thema Jagd mit verschiedenenAusstellungen einem breiten Publikumbekannt zu machen.

Insbesondere auch Nichtjäger erhal-ten in der Hauptausstellung «Phäno-men Jagd» im Bündner Natur-MuseumChur Informationen über Landschaft,Mensch und Wild. Themen wie Wildund Umwelt, Jagd und Jäger, Jagdphi-losophie, Jagdplanung und Hege wer-den modulartig aufgegriffen, auf Tafelnbildlich dargestellt und mit kurzen, in-formativen Texten ergänzt.

Eine regionale Variante der Jubi-läumsausstellung gibt es ab kommen-den Samstag, 17. August, im Kultur-haus Rosengarten in Grüsch zu sehen.Bis Ende Oktober finden in Chur undGrüsch zudem diverse Rahmenveran-staltungen zum Thema Jagd statt (sieheKasten).

Noch bis zum 20. Oktobergibt es die Hauptaus-

stellung «Phänomen Jagd»im Bündner Natur-

Museum in Chur zu sehen.Nächsten Samstag öffnet

die regionale Variante der Jubiläumsausstellung

mit dem Titel «Jagd undWild im Prättigau» im

Kulturhaus RosengartenGrüsch ihre Türen.

Der aufmerksame Blick der drei Buben gilt vier Rehkitzen in der Sonderausstel-lung «Phänomen Jagd» im Bündner Natur-Museum Chur. Noch bis 20. Oktoberdauert die aus Anlass zum 125-jährigen Bestehen der Patentjagd im KantonGraubünden realisierte Hauptausstellung. Als Beispiel innerhalb der Jagdplanungzeigt sie das Rehkonzept. Mit ihm werden seit 1998 die damals durchwegs gutenbis hohen und teilweise auch überhöhten Rehbestände besser reguliert.

Bild Peter de Jong

Mitteilung im «Bündner Tagblatt» vomFreitag, 31. August 1877, zum bevor-

stehenden Jagdbeginn.

Rahmenprogramm

Bündner Natur-Museum Chur

3. 9.: «The great dance – a hunterstory», Film und Diskussion.

Ende Sept.: «Die Tochter des Jägers»Autorenlesung mit Lukas Hartmann.

20. 10.: Finissage der Ausstellung im Bündner Natur-Museum Chur.

Kulturhaus Rosengarten Grüsch

17. 8: Eröffnung der Ausstellung«Jagd und Wild im Prättigau».

29. 8.: «Geschichte der Jagd im Prätti-gau», Vortrag von Hannes Jenny.

18. 9.: «Bündner Jagd aus der Sicht eines Nichtjägers», Vortrag von Dr. Jürg Paul Müller.

16.10.: «Freiheit und Recht», Filmvor-führung mit Arnold Rauch.

30.10. «Aktuelle Aspekte zur Jagd imPrättigau», Jägerhock mit Dr. GeorgBrosi und Christian Riffel.

Info: Amt für Jagd und Fischerei7001 Chur, Tel. 081 257 38 92www.jagd-fischerei.gr.ch

2 Jagd 200214. August 2002

Page 3: Jagd im Wandel der Zeit - Graubünden...* Georg Brosi ist Jagd- und Fischerei-inspektor des Kantons Graubünden Von Dr. Georg Brosi* 1877: Desolate Wildbe-stände erfordern eine ein-schneidende

Die Räuber der NachtMarder sind anpassungsfähig und schwierig zu bejagen

Von Karin Hindenlang*

Marderartige Raubtieresind extrem anpassungs-fähig und besiedeln die

verschiedenartigsten Le-bensräume. In der Schweiz

und auch im KantonGraubünden leben sechs,

früher waren es gar siebenMarderarten. Insbesondere

Steinmarder und Dachssind nicht überall gern

gesehene Gäste und werdenauch regelmässig bejagt.

Marderartige Raubtiere – dazu gehö-ren in der Schweiz Dachs, Edel- undSteinmarder, Hermelin, Mauswiesel,Iltis und der inzwischen ausgestorbeneFischotter – sind ökologisch sehr an-passungsfähig und besiedeln die unter-schiedlichsten Lebensräume. Der Erd-marder Dachs verbringt sein halbesLeben unter der Erde in selbst gegrabe-nen Höhlen. Das Hermelin jagt aufund unter dem Erdboden in den Maus-gängen nach Wühlmäusen. Der Fisch-otter oder Wassermarder schwimmtäusserst agil und jagt Fische unter derWasseroberfläche. In die höchstenBaumkronen klettert der Edel- oderBaummarder und der Stein- oderHausmarder nisten sich gerne mittenin menschlichen Siedlungen in Dach-stöcken ein.

Dachse lieben Würmer und Mais

Das grösste einheimische marderar-tige Raubtier, der europäische Dachs,lebt vor allem in den vielfältig struktu-rierten Landschaften des Mittellandesund der Voralpen bis in Höhenlagenvon etwa 2000 m ü. M. Im KantonGraubünden sind dies vor allem dieTallagen unterhalb der Waldgrenzevom Rheintal bis ins Puschlav und dasMünstertal. Hier findet er in Wäldern,auf Wiesen, Äckern und in Obstgärtengenügend Nahrung. Leibspeise desDachses sind die besonders im Früh-jahr auf Wiesen und Weiden zahlrei-chen, eiweissreichen Regenwürmer,doch gräbt er auch gerne Käferlarvenund Jungmäuse aus. Ein frisch bewäs-serter Golf- oder Fussballplatz bietet inbequemster Lage verlockende Nahrung– die zurückbleibenden Grablöcherund Stichstellen sind meist nicht zuübersehen. Im Herbst tut sich derDachs an stärkereichen Früchten güt-lich, die er für den Aufbau des Winter-specks braucht. Er frisst heruntergefal-lenes Stein- und Kernobst oder knicktMaisstengel, um an die milchreifenKolben zu gelangen.

Die räumliche Verteilung der Nah-rung zu den verschiedenen Jahreszeitenbestimmt auch die soziale Organisationder Dachse: Je kleinräumiger verteiltund üppiger das Futterangebot ist,

desto kleiner sind die Streifgebiete dereinzelnen Dachse und desto grösserauch die Dachsgruppen, die einen ge-meinsamen Bau bewohnen. Ihre oftweit verzweigten Baue graben Dachsemehrheitlich in Laub- und Mischwäl-dern, aber auch an Waldrändern und inHecken. In höheren Lagen finden sichdie Dachsbaue auch unter Felsbrockenund unter einzeln stehenden Scheunen.

Dachsbaue werden oft über Genera-tionen ausgebaut und dienen gleichzei-tig als Schlaf-, Paarungs-, Wurf-, Auf-zucht- und Überwinterungsstätte.Ausserhalb der Baue zeugen weitereSpuren wie breite Wechsel, Kratz-bäume und Ansammlungen von Kot-gruben (Latrinen) von der Anwesenheitdes Dachses.

Es sind meist ihre Wohn- und Nah-rungsgewohnheiten, die die Marderimmer wieder ins Gespräch bringen.Manch ein Jäger wird von einem verär-gerten Hausbesitzer, der über Tage von

einem im Dachstock lärmenden Stein-marder an seinem Schlaf gehindertwurde, um Abhilfe gebeten oder vomBauern gerufen, dessen Maisfeld all-nächtlich von einer Dachsfamilie heim-gesucht wird.

Die Jagd auf Marder ist anspruchsvoll

Steinmarder werden meist auf demnächtlichen Ansitz erlegt oder mit Le-bendfallen gefangen, in die sich ab undzu auch das Büsi der Nachbarin verirrt.Bei der Ansitzjagd am Dachsbau zähltdie schnelle Reaktion, wenn die Dachseden Bau in der Abenddämmerung ver-lassen. Ob der am Bau geschosseneDachs auch der Übeltäter im nahe ge-legenen Maisfeld war, bleibt ungewiss.Zu hoffen ist, dass die geschossenenTiere verwertet werden. Eine schöneDachsschwarte ist heute noch beliebterSchmuck und Glücksbringer an der

Pferdekutsche und der abgekochteDachsschmalz hilft bei manchem rheu-matischen Leiden.

Im Kanton Graubünden werden seitAnfang der Neunzigerjahre und Ein-führung der Nachtjagd im Oktoberzwischen 150 und 400 Dachse sowie200 bis 450 Steinmarder geschossen.Hermelin, Mauswiesel und Iltis sindgeschützt. Weiter fallen 100 bis 200Dachse dem Strassen- und Schienen-verkehr zum Opfer. Es ist fast unmög-lich, den Einfluss dieser Verluste aufden Bestand der Tiere abzuschätzen, daBestandesschätzungen bei Mardernsehr aufwendig sind. RegelmässigeBaukontrollen und arbeitsintensiveSpurentaxationen können minimaleBestandeszahlen liefern.

* Karin Hindenlang ist Wildtier-biologin bei der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL in Birmens-dorf.

Der europäische Dachs ist das grösste, einheimische marderartige Raubtier. Er geht nachts allein auf Nahrungssuche, im Baulebt er meist in Familiengruppen. Bilder Felix Labhardt

Marderartige Raubtiere besiedeln die unterschiedlichsten Lebensräume: Der Iltis (links) hält sich gerne im Wald oder in anderen deckungsreichen Gebieten auf. Der Stein-marder als Kulturfolger dagegen bevorzugt die Nähe von Wohnsiedlungen.

Literaturtipp Wildbiologie

Zum Thema Marder sind in derArtikelserie Wildbiologie des In-fodiensts Wildbiologie & Ökolo-gie, Zürich, bereits mehrere Bei-träge erschienen. Die Artikelserieinformiert über unsere frei leben-den Tiere und deren Lebens-räume. Aktuelle Themen aus Wis-senschaft und Forschung werden– oft von den Fachleuten selbst –in einer einfachen, klar verständ-lichen Sprache vermittelt. In ver-schiedenen Rubriken werdenvielseitige Themenbereiche be-handelt, von den Grundlagen zurBiologie einzelner Tierarten überForschungsmethoden bis hin zuVerhalten und Ökologie.

Die vierteljährlich erscheinendenAusgaben beinhalten 2–3 aus-führliche, mehrseitige Beiträge.Ein Abo zum Preis von Fr. 43.–(Ausland: Fr. 50.–) oder einzelneBeiträge sind erhältlich bei: Info-dienst Wildbiologie & Ökologie,Strickhofstrasse 39, 8057 Zürich;Tel. 01 635 61 31, Fax 01 635 68 19,Internet: www.wild.unizh.ch

3Jagd 2002 14. August 2002

Page 4: Jagd im Wandel der Zeit - Graubünden...* Georg Brosi ist Jagd- und Fischerei-inspektor des Kantons Graubünden Von Dr. Georg Brosi* 1877: Desolate Wildbe-stände erfordern eine ein-schneidende

Der Jäger ist überzeugt, der Pilzsu-cher sei das wirkliche Problem (... so-fern er es nicht selber ist); für den Pilz-sucher ist es der Mountainbiker, wel-cher die Tiere stört, für denMountainbiker dagegen der Hundehal-ter, für den Hundehalter der OL-Läu-

fer, für den OL-Läufer der Stangensu-cher, für den Stangensucher derSonderjäger, für den Sonderjäger derGleitschirmflieger.

Fakten statt Beschuldigungen

Dieses Schwarz-Peter-Spiel kann nurdurch eine objektive Beurteilung aufGrund von Fakten beendet werden. Esmuss insbesondere unterschieden wer-den, ob eine Personengruppe eine an-dere Personengruppe oder wirklich eineTierart oder ein Ökosystem stört. Störtder Pilzsucher mich als Jäger oder störter die Hirsche?

In der Wildforschung beschäftigtsich die Störungsbiologie mit diesemProblem, das sich je nach Jahreszeit,Wildart, Geländestruktur, mensch-licher Tätigkeit und vor allem dessenAusführungsart unterschiedlich stellt.Bei der Lösung reicht das Spektrumvon allgemeinen Verhaltensregeln biszur Ausscheidung von Wintersperrzo-nen mit Betretungsverbot.

Wild ist nicht von Natur aus wild. Inder Störungsbiologie ist es allgemeinanerkannt, dass erst die Bejagung einerWildart oder andere negative Erleb-nisse, beispielsweise mit spazieren ge-führten Hunden, dazu führen, dass derMensch als Feind eingestuft wird.Diese Negativerfahrung wird dann aberdirekt an die Jungtiere weitergegeben.Am ehesten noch genetisch verankerteFeindbilder sind Flugobjekte mit Win-kelgeschwindigkeiten, die an einen na-türlichen Feind wie den Adler erinnern.

Zusammenarbeit statt Konfrontation

Daraus aber abzuleiten, dass miteiner Abschaffung der Jagd das Stö-rungsproblem gelöst wäre, ist grund-falsch. Andere Probleme wie Überbe-stände, Wintersterben, Wildschädenbzw. das Fehlen einer Lobby für die Be-dürfnisse des Wildes oder auch einKulturverlust wären die Folge.

Tätigkeiten des Menschen wirkensich vor allem dann negativ aus, wenn

sie für das Wild nicht berechenbarsind. Wanderer auf einem Fusswegdurch ein Wildschutzgebiet werdenvom Wild kaum zur Kenntnis genom-men, während Menschen, die beispiels-weise an einer Sportveranstaltungplötzlich in grosser Zahl und überallauftreten, zu panikartigen Fluchtenführen. Besonders negativ wirken sichStörungen im Winter und Frühlingaus, weil dann ein haushälterischerUmgang mit den Energiereserven zurÜberlebensfrage wird. Andere Artenwie das Auerhuhn sind vor allem amBalzplatz sehr störungsanfällig.

Die Lösung des Problems sind mög-lichst kurze Jagden, das Ausscheidenvon Wildschutzgebieten, die Bezeich-nung und Bekanntmachung von Wild-ruhezonen mit Wegegeboten zu be-stimmten Jahreszeiten sowie die Auf-klärung aller Naturnutzer.

* Hannes Jenny ist Wildbiologe beim Amt für Jagd und Fischerei Graubünden.

Von Hannes Jenny*

Wenn man sich mit demProblem der Störung desWildes beschäftigt, muss

man schnell erkennen, dassein Grundsatz gilt: Störentut immer der andere. Ge-nau in dieser Frage bringt

das Schwarz-Peter-Spielkeine Lösungen. Alle

Menschen, die sich in derNatur aufhalten, sollten in

ihrer Tätigkeit Rücksichtauf die Bedürfnisse des

Wildes nehmen.

Es stört immer der andereIn der Störungsbiologie werden Problemlösungen gesucht

Das Feindbild «Mensch» wird durch dieJagd gesetzt. Kurze Jagdzeiten, effizien-te, aber ruhige Jagden und ein gutesAngebot an Wildschutzgebieten tragenzur Problemlösung bei. Im Bild: vertrau-ter Steinbock im Schweizerischen Natio-nalpark. Bild August Möckli

Unberechenbare Störungenin der Notzeit (links) wirken

sich viel negativer aus als kanalisierte und deshalb

berechenbare im Sommer(rechts). Bilder swiss-image

Wildruhezonen sind ein gutes Mittel, um das

Störungsproblem zu ent-schärfen. Bild August Möckli

4Jagd 2002 14. August 2002

Page 5: Jagd im Wandel der Zeit - Graubünden...* Georg Brosi ist Jagd- und Fischerei-inspektor des Kantons Graubünden Von Dr. Georg Brosi* 1877: Desolate Wildbe-stände erfordern eine ein-schneidende

pd.- Was motiviert bestandene Män-ner oder auch junge Frauen, an einemlangen Winterabend das warme Bettmit einem kalten Stall oder einer Pass-hütte zu tauschen? Es ist die Faszina-tion des Jagens, des Eintauchens in dieNatur, in die umgebende ebenso wie indie eigene. Es gibt durchaus Jäger, wel-che die Passjagd den anderen Jagdenvorziehen würden, wenn sie sich ent-scheiden müssten.

Faszination Passjagd

Heimlich und so unauffällig als mög-lich nähert sich der Passjäger, je nachMondstand etwas früher oder später,wohl ausgerüstet mit warmen Kleidern,Flinte und Feldstecher seinem Passort.Bis zum 1. November musste er diesen,allenfalls zusammen mit maximal zweiweiteren, dem zuständigen Wildhüteroder Jagdaufseher melden.

Er beobachtet, wie im Dorf ein Lichtnach dem anderen auslöscht, wie derLärm auch auf den Strassen von Stundezu Stunde abnimmt und wie dieSchläge der Kirchenuhren die fort-schreitende und zerrinnende Zeit mah-nend in Erinnerung rufen. Zuversichtund Verzagen wechseln sich beim Pass-jäger ab. Trotz Konzentration tretenauch dösende Phasen auf oder solche,in denen er Probleme des Alltags verar-beitet.

Wenn das Glück will, schnürt plötz-lich ein Fuchs, nach allen Seiten si-chernd, geradewegs auf den Luderplatz

zu, sitzt eine Sprungweite vor demKöder ab, gähnt, zuckt mit der Rute(Schwanz), und urplötzlich sitzt erbeim Schmaus. Wenn der Jäger jetztdie Flinte gut zu führen weiss unddarob nicht den feinen Gehör- undGeruchssinn des Fuchses vergisst, ge-lingt es ihm den so lang ersehntenAlten zu erlegen.

Sagen und Mythen

Mangels anderem Wild war dieFuchsjagd schon vor 125 Jahren sehrbeliebt, und es rankten sich viele Er-zählungen um dieses faszinierende Tier.So schreibt Georg Luck im Jahr 1923in seinem Buch «Jägersagen und Jagd-geschichten», dass in Graubünden derNachtansitz auf Füchse in den Winter-monaten von alters her beinahe einVolksbrauch sei und dass kein anderesTier die Fantasie des Volkes so lebhaftbeschäftige wie der vielgewandte undlistenreiche Fuchs.

Auf zehn Seiten bringt er Beispielefür solche seltsamen Geschichten, indenen besonders häufig der Hexenglau-ben mit Jagdabenteuern, Jägerlateinund Jägersehnsüchten vermengt ist(siehe Kasten).

Die wenigen nachfolgend aufgeführ-ten Grundmuster der Geschichten wer-den in einer Vielzahl von Varianten er-zählt. Zum Beispiel wird ein angebun-dener Fuchs vom Jäger befreit underscheint diesem Jahre später in derFremde als bildschöne Frau. Oder einFuchs wird angeschossen, ohne imFeuer zu liegen; am anderen Tag hateine (unbeliebte) Frau des Dorfes ent-sprechende Verletzungen und stirbtdaran. Oder Pfiffe oder Rufe weckeneinen eingenickten Passjäger gerade zudem Zeitpunkt, als der Fuchs erscheint.Quellen: u.a. Bündner Jägerzeitungaus dem Jahr 1961.

Die Passjagd wird auchheute – trotz Abschaffung

der Abschussgebühren undtiefer Pelzpreise – von

vielen Jägern leidenschaft-lich ausgeübt. Über Jahr-

hunderte war sie eine Inspiration für Fantasie,

Romantik und gar Mystik.

Dem Fuchs auf der SpurDie Passjagd als Inspiration für Fantasie, Romantik und Mystik

«Der Schuochterjöri aus dem Prättigau»Dem Schuochterjöri, einem altenSchuhmacher in Fanas im Prätti-gau, soll beim Fuchspassen ein-mal Folgendes begegnet sein:Eines schönen Dezemberabendsging Jöri in die Gadenstatt, umdort von seinem Stall aus demFuchs aufzulauern. Lange war-tete er vergeblich und fing schonan einzunicken. Als er wiederaufschaute, sah er einen «wetter-lichen» Fuchs auf das Aas kom-men. Er bemerkte aber sogleich,dass der Fuchs nur drei Beinehatte. Trotzdem legte der Jägeran und schoss. Ein teufeligerKrach und ein Schrei, und Jöri lagmitten im Stall auf dem Rücken.Er hatte bloss noch den Kolbenseiner alten Vorderladerflinte inden Händen. Alles andere war

in Fetzen zerplatzt. Er ging nunhinaus, um nach dem Fuchs zuschauen. Auf der Suche spürte eraber keinen Fuchs, sondern einenMenschen im neuen Schnee auf.Ob dieser Wahrnehmung stan-den dem Jäger die Haare zuBerge und er lief nach Hause. Alser nun andern Morgens mit sei-ner «Schuochtertrugga» durchsDorf auf die Stör ging, traf er diealte Uschi, die als böse Schwätze-rin bekannt war, mit einemmächtigen «Verbund» am Kopfbeim Brunnen stehen. Er fragte:«Was het’s gän, Uschi?» Als eraber keine Antwort bekam, wus-ste er, was los war und machtesich aus dem Staub.

Quelle: Georg Luck, Jägersagenund Jagdgeschichten

Bündner Patentjagd

Einsamer Passjäger in einer Mondnacht auf dem Heimweg: Die Passjagd wird auch heute – trotz Abschaffung der Abschussge-bühren und tiefer Pelzpreise – von vielen Jägern leidenschaftlich ausgeübt. Bild Peter Vonow

Der Fuchs profitiert heute sehr stark von unserer Lebensweise. Die Jagd hilft mit,Probleme zu verhindern und Konflikte zu reduzieren. Bild pd

In Jägerfamilienentwickeln Kin-

der Interesse fürdie Jagdbeute.Beim Berühren

derselben istheute jedoch

mehr Vorsichtgeboten (Fuchs-

bandwurm). Bild Margreth Jenny

Das Angenehmemit dem Nütz-lichen verbin-

den: Im Gegen-satz zu den heu-

tigen tiefenPelzpreisen war

die Fuchsjagdfrüher eine ein-trägliche Ange-

legenheit. Bild Jack Müller

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