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J A P A N T R A D I T I O N U N D M O D E R N E

Japan 2019 1 - hs-karlsruhe.de · „When I design buildings, I think of the overall composition, much as the parts of a body would fit together. On top of that, I think about how

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Japan 2019 _ 1

JAPAN

TRADITION

UND

MODERNE

2 _ 2019 Japan

NaoshimaTeshima

Inujima

Um unsere Architekturlehre mit der Praxis zu verbinden, blicken wir auf vielfältige Weise in die Realität: Exkursionen bieten die Möglichkeit, Architektur im Kontext zu erleben und Auswirkungen von Ort, Kultur, Klima, Ökonomie oder Gesellschaft zu erkennen.

2018 wagten wir einen großen Schritt in ein fernes Land mit anderen Traditionen – achtzehn Studierende des Master-Studiengangs Architektur und vier ProfessorInnen der Hochschule nahmen im September an einer zweiwöchigen Studienexkursion nach Japan teil. Wir reisten für zwei Wochen von der Metropole Tokyo nach Okayama, auf die ländlichen Inseln Naoshima, Teshima und Inujima, in die Kaiserresidenz Kyoto und über den Kansai Airport bei Osaka zurück nach Europa. Architektur und Stadt zwischen Innovation und Tradition, historische Gartenanlagen und Holzbauten, die seit hunderten von Jahren im zwanzigjährigen Rhythmus wieder aufgebaut werden, betrachteten wir ebenso wie neuzeitliche Gebäude und Innenausbauten der japanischen Architekten Kenzo Tange, Tadao Ando, Ryue Nishizawa, Kengo Kuma, Hiroshi Sambuichi, der Architektin Kazuyo Sejima und anderer.

Stahl- und Holzbauten bildeten dabei wichtige Schwerpunkte: das Shibaura House von SANAA in Tokyo zeigte neben einer sichtbaren Stahlkonstruktionen neue Formen eines gemeinschaftlich organisierten Arbeitslebens. Wir verglichen in Tokyo historische und zeitgenössische Holzbauten wie den Senso-Ji Tempel und das Besucherzentrum von Kengo Kuma in Asakusa. Auf der Insel Naoshima

Exkursion nach JapanStudiengang Architektur

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NaoshimaTeshima

Inujima

besichtigten wir ein Gemeindezentrum von Hiroshi Sambuichi – unter einem an traditionelle Formen angelehnten großen Dach gruppierten sich eingestellte moderne Räume um eine Mitte mit Brunnen. Der Besuch der Kaiservillen Shugakuin und Katsura in der alten Kaiserstadt Kyoto und der überdimensionalen Holztempel in Nara – Toda-Ji, Kohfuku-Ji und Nigadsudo – machten deutlich, warum zu Beginn des 20. Jahrhunderts japanische Einflüsse die europäische Baukultur stark beeinflussten.

Der Besuch der „University of Tokyo“ im Studiengang Architektur bot Hintergrund für Gesehenes und gab Einblicke in zentrale Planungsfragen. Professor Dr. Toshio Otsuki und seine Doktoranden erläuterten die Stadtentwicklung Edos, thematisierten den Einfluss von Naturkatastrophen auf die Planung oder die Herausforderungen für die Quartiersplanung durch eine stark alternde Gesellschaft. Parallelen zwischen Japan und Deutschland wurden bei allen kulturellen Unterschieden offensichtlich.

Wir waren tief beeindruckt und berührt – von kulturellen Leistungen, von unvorstellbarer Schönheit, aber auch von der Zuverlässigkeit der öffentlichen Verkehrssysteme oder von vielen Freundlichkeiten. Manches haben wir aber auch nicht verstanden. Die Neugierde bleibt weiterhin groß.

Abbildungen

1 Reisestationen 2 Teehaus im Murin An Garten in Kyoto 3 Teezeremonie in Kyoto 4 Gruppenfoto vom Besuch der Universität von Tokyo

ein Beitrag von Studierenden des Wahlfaches Nachhaltige Stadt Text: Prof. Susanne Dürr Bilder: Studiengang Architektur

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BetonbautenTadao Ando und Ryue Nishizawa

„When I design buildings, I think of the overall composition, much as the parts of a body would fit together. On top of that, I think about how people will approach the building and experience that space.“ Tadao Ando

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Japan ist bekannt für seinen feinen Sichtbeton. Das für seine Härte bekannte Material wird in einer so hohen Qualität verarbeitet, dass der Beton am Ende nahezu weich erscheint. Die Besichtigungen verschiedener Betonbauten stellten daher Höhepunkte der Exkursion dar, wie zum Beispiel der Besuch der Bauten von Tadao Ando oder des Teshima Art Museum von Ryue Nishizawa.

Teshima Art MuseumNach einer wunderbaren Tour mit E-Bikes über bergauf und bergab führende, kleine Straßen der Insel Teshima öffnete sich der Blick auf das Meer und das Art Museum von Ryue Nishizawa. Eingebettet in eine Landschaft von Reisterrassen erinnerte uns der Anblick an die Momentaufnahme

Abbildungen

1 Teshima Art Museum 2+4 21_21 Design Sight Muse-um 3+5+6 Benesse House Museum

eines fallenden Wassertropfens, der gerade inmitten von Grün gelandet war. Das organische Gebäude besteht aus einer stützenfreien Betonschale mit zwei ovalen Öffnungen, die durchlässig sind für Wind, Licht und Klänge. Die Besucher erleben in diesem bis zu 4,5 Meter hohen Raum im Lauf des Tages durch sich veränderndes Licht und Wetter immer wieder neue Eindrücke. Auch die Kunst von Rei Naito – Wassertropfen entspringen dem Boden – ist Teil dieser Inszenierung, die Ruhe und Harmonie ausstrahlt.

21_21 Design Sight MuseumIn Tokyo besichtigte unsere Gruppe das 21_21 Design Sight Museum von Tadao Ando. Die außergewöhnliche Gebäudeform war zutiefst beeindruckend. Das Gebäude besitzt ein spezielles Dach aus Stahlplatten, das von dem Projekt „A Piece of Cloth“ des Designers Issey Miyake inspiriert ist. Beim Betreten des Gebäudes überraschte die Größe des Baus, die von Außen nicht zu erkennen ist, da der Großteil des zweigeschossigen Gebäudes eingegraben ist. Auch der eingesunkene,

natürlich belichtete Hof mit seinem markanten Grundriss ist bemerkenswert. Der Museumsbau war für uns damit genauso interessant wie die Exponate des Museums.

Benesse House MuseumAuf der Insel Naoshima besichtigten wir ein weiteres Bauwerk von Tadao Ando, das Benesse House Museum. Der Bau ist ein Gebäudekomplex aus Museum, Hotel und Architekturskulptur. Die außergewöhnliche Lage auf einem Hügel bietet einen wunderschönen Ausblick auf die Landschaft der Insel und das Meer. Die Kunstsammlung des Museums mit ortsspezifischen Installationen im Außenraum erstreckt sich bis in die angrenzende Landschaft. Tadao Andos Konzept der Koexistenz von Natur, Kunst und Architektur zeigt sich hier eindrucksvoll.

ein Beitrag von Truong An Le Text: Truong An Le Bild: Studiengang Architektur

„Architecture has very broad repercussions. It is not only a private issue but also a social one.“ Ryue Nishizawa

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StahlbautenShibaura House SANAA

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Das Shibaura House ist ein Bürogebäude im Herzen von Tokyo, welches das Credo maximaler Transparenz zur Schau stellt und einen neuen Weg in Hinblick auf die Art zu arbeiten und zu leben einschlägt. Das Gebäude fördert nicht nur die Interaktion zwischen seinen Nutzern, sondern auch mit dem lokalen Umfeld. Die dazu nötige Transparenz wird durch Glas geschaffen, das den Bau mit seiner Umgebung in Verbindung treten lässt sowie die Öffnung der Ebenen, die für jeden zugänglich sind. Die Stahl- und Glaskonstruktion von Kazuyo Sejima wird von Terrassen nach außen durchbrochen, alle Räume sind lichtdurchflutet. Christian J. Grothaus schrieb 2010 in der ARCH+ über SANAA: „Die Arbeiten von SANAA sind von einem roten Faden durchzogen, der sich in den Themen ‚fließende Räume, Wirkung von Licht, Spiel von Transparenz und Materialität‘ zeigt. Das Entscheidende dabei ist, dass die Architektur zu einer Art Medium wird, durch das die Menschen in der Welt sind. Es geht also um Kommunikation und Interaktion von Mensch zu Mensch, zu Ding und zu Ort – in der elementarsten Weise.“Die Helligkeit und Offenheit wird durch die ausschließlich weiße Farbgebung verstärkt. Mit dem Shibaura House ist so

Abbildungen

1 http://www.shibaurahouse.jp/en/about/concept_story/ 2-4 Innen- und Außenaufnahmen

ein Creative Workspace entstanden, der auf vielfältige Weise genutzt und bespielt werden kann. Arbeitsräume verschmelzen hier mit Pausen- und Freiräumen, Natur und Umgebung und ermöglichen so im Herzen Tokyos kreatives Arbeiten und ein offenes Miteinander.

ein Beitrag von Robin Koch Text: Robin Koch Bild: Studiengang Architektur

„Weiß als solches gibt es nicht. Was es gibt, ist eine Empfänglichkeit dafür, weiß zu empfin-den“ - Kenya Hara

Mit den Worten „EVERYBODY IS WELCOME TO BE YOUSELF“ werden die BesucherInnen des Shibaura House in Tokyo begrüßt. In diesem Satz drücken sich Konzept und Wirkung des Gebäudes aus.

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Japanische InnenräumeTraditionen, die bis heute anhalten

„Eine Einfachheit, welche die wahren Werte des Lebens herausstreicht und alles weg lässt, was uns an Überflüssigem, Irreführendem umgibt und das Erkennen des Wesentlichen verhindert.“ Minimalistische Architektur, Franko Bertoni

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Abbildungen

1 Kyoto Katsura Villa 2 Innenraum Kyoto Katsura Villa 3 Unterkunft der ProfessorInnen auf der Insel Teshima 4 Teehaus im Murin An Garten Kyoto

Die traditionelle japanische Architektur ist stark durch den Zen-Buddhismus beeinflußt. Innere Zufriedenheit und Glück, so die zentrale Lehre, erreicht der Mensch, indem er weltlichen Bedürfnissen nach materiellem Besitz entsagt. Diese Vorstellungen finden sich, auf die Architektur bezogen, im ausgeprägten Minimalismus japanischer Innenräume wieder. Japanische Teehäuser, aber auch in traditionellem Stil errichtete Wohngebäude sind im Inneren auf das Wesentliche reduziert. Die Proportion der Räume – und damit auch ihre Höhe – orientiert sich an dem sitzenden Menschen. Die Maßgrundlage der Räume sind Tatami-Matten, Reisstrohmatten in Standardmaßen. Selbst die konkrete Festlegung auf einzelne Raumfunktionen, wie wir es in der westlichen Innenarchi-tektur mit Wohn- und Schlafraum kennen, existiert nicht. Jeder Raum ist veränderbar und kann für verschiedene Zwecke genutzt werden. Eine solch flexible Raumgestal-tung ermöglichen verschiebbare Wände, so genannte „Fusuma“, die aus leichtem Holz konstruiert und mit Papier bespannt sind. Hinter diesen teils als Wandschrank ausgebauten Schiebewänden werden ebenso die Schlafmatten, Futons genannt, gelagert. Da sie auch als Außenwände fungieren können, verleihen sie der traditionellen Bauweise japanischer Gebäude zusätzlich eine einmalige Leichtigkeit. Außen- und Innenraum gehen eine beabsichtige Verbindung ein, deren

Ziel die Durchlässigkeit ist. Das spartanisch möblierte traditionelle japanische Haus gewährt so immer wieder überraschende Blicke in Gärten und Innenhöfe, durch welche die reale Grenzen zwischen Innen- und Außenraum verschwimmen. Die dennoch existierende Grenze wird durch die Schwelle zum Gebäude selbst repräsentiert. Sie zu überschreiten ist ein symbolischer Akt. Ihn muss man sich bewusst machen, denn es gilt vorher die Schuhe auszuziehen und damit Schlechtes, wie Schmutz und Krankheiten, nicht mit ins Haus hereinzutragen. Die Schwelle selbst sollte nicht betreten werden. Besucht man einen Tempel, soll dies sogar Unglück bringen. Gerade Rituale wie diese haben uns Einblicke in

die uns fremde japanische Kultur und ihre architektonischen Traditionen vermittelt. Die besonderen Reiseerfahrungen wurden bei einer traditionellen Teezeremonie noch gesteigert. Sie ist ein höchst meditativer Akt und hat eine klare Handlungsabfolge. Wir saßen auf den Fersen kniend auf Tatami Matten. „Seitsa“, auf Deutsch „richtiger Sitz“, wird diese Sitzweise genannt. In den Teehäusern erlebten wir, wie die Traditionen und die traditionelle Inneneinrichtung die Verhaltensweisen und das Alltagsleben der Japaner noch heute stark prägen.

ein Beitrag von Anne-Sophie Melder Text: Anne-Sophie Melder Bild: Studiengang Architektur

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Gärten in Japan

Die Tradition japanischer Gärten entstand im Zusammenhang mit dem Zen-Buddhismus. Die Zen-Mönche entwickelten mit dem traditionellen japanischen Garten eine Art Landschaftsarchitektur, die als Mikrokosmos den gesamten Kosmos repräsentiert und reflektiert.

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Wer beim Besuch eines japanischen Gartens damit rechnet, ein farbenfrohes Meer aus Blumen, exotischer Gewächse oder auch Nutzpflanzen zu sehen, wird zunächst enttäuscht sein. Im Gegensatz zu europäischen Gartenanlagen wird die japanische Gartenarchitektur von moosbewachsenen Steinen und Felsen, Kirsch- und Ahornbäumen, von Bonsais der Bandbreite der Farbe Grün, Strukturen der Pflanzen, Größe des Blattwerks, matten und glänzenden Oberflächen, Hell und Dunkel beherrscht.Die Tradition des japanischen Gartens ist ein wichtiger Bestandteil der Kultur des Landes und selbst inmitten von Großstädten wie Tokyo sind zahlreiche Gärten zu finden.

Abbildungen

1 Katsura Villa, Kyoto 2 Kokedera Garten, Kyoto 3 Kyu Asakura Haus, Tokyo 4 Shugakuin Imperial Villa, Kyoto 5 Kenrokuen, Kanazawa

Im historisch geprägten Kyoto befinden sich einige traditionell erbaute Villen, deren Gartenanlagen ebenfalls besucht werden können. Beim Besuch der verschiedenen japanischen Gärten hatten wir das Gefühl, in eine andere Welt einzutreten, die von Ruhe und Kontemplation bestimmt war.Ein besonderes Erlebnis in Kyoto war der Kokedera Garten, der von Zen-Mönchen gepflegt wird. Dieser Tempelgarten ist für seine über 120 verschiedenen Moosarten berühmt. Um Zutritt zu diesem Tempelgarten zu erhalten, ist die Teilnahme an einer einstündigen Zen-Zeremonie Voraussetzung. Für die Mönche bleibt damit der Garten ein spiritueller Ort. Schmale, verschlungene Steinpfade

führen entlang eines Baches durch den Garten. Kleinere, moosbewachsene Brücken aus Stein dienen zur Überquerung des Baches, der sich verborgen durch die Felsen schlängelt. Jedes Element des Gartens repräsentiert andere Aspekte des Universums, so auch der schmale Bach, der den Anschein erwecken soll, als fließe er in die Unendlichkeit.

ein Beitrag von Jessica Riedle Text: Jessica Riedle Bilder: Studiengang Architektur

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SMAKHist eine nicht kommerzielle Dokumentation des Studiengangs Architektur der Hochschule Karlsruhe - Technik und WirtschaftMoltkestraße 3076133 Karlsruhe

Diese Sonderausgabe „Japan“ ist eine Beilage der SMAKH 15.

RedaktionKatarina Schorb, Susanne Texter

LayoutSarah Heiß, Susanne Texter

TitelbildReiseimpressionen von TeilnehmerInnen der Exkursion

DruckKraft Premium GmbHIndustristraße 5-976275 Ettlingen

Auflage: 1500

MitarbeitRobin Koch, Anne-Sophie Melder, Jessica Riedle, An Le Truong und Sarah Nees

Wir bedanken uns recht herzlich bei der feco-feederle GmbH, derInformationsZentrum Beton GmbH und dem bauforumstahl e.V., die uns diese außergewöhnliche Exkursion ermöglicht haben.

Ebenfalls bedanken wir uns beiallen beteiligten Studierenden des Wahlfachs, die bis zum Schluss mit Eifer und Fleiß bei der Sache waren!

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