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566 Naturwissenschaftliche Rundschau | 67. Jahrgang, Heft 11, 2014
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Eine zentrale Frage der molekularen Biologie beschäftigt
sich damit, wie die im Erbgut enthaltene Information
umgesetzt wird, d. h. wie der Genotyp eines Organis-
mus den Phänotyp bestimmt. Die genetische Information ist
im Zellkern in Form der DNA gespeichert. Die Abfolge der
Basen Adenin (A), Cytosin (C), Guanin (G) und Thymin (T)
bestimmt dabei die Abfolge der Aminosäuren in den Proteinen.
Die Basensequenz eines Gens wird zunächst in ein Botenmo-
lekül umgeschrieben (Transkription), das aus dem Zellkern
in das Cytoplasma zur Übersetzung in Proteine (Translation)
transportiert wird (Abb. 1). Doch das in diesem Zusammen-
hang lange Zeit gültige molekularbiologische Paradigma „Ein
Gen – ein Protein“ stellte sich als zu einfach heraus. Bestimmte
Bereiche des Gens, die Introns, tauchen gar nicht mehr in
dem Botenmolekül, der messenger RNA (mRNA), auf [1]. Aus
ihrem Vorläufermolekül, der prä-mRNA, werden diese Introns
herausgeschnitten, und die flankierenden Bereiche, die Exons,
die die Information für die Proteine tragen, zur reifen mRNA
zusammengefügt (Abb. 1). Dieser Prozess wird als Spleißen
bezeichnet. Auch hier stellte sich heraus, dass die Situation in
der Zelle viel komplexer ist, als es auf den ersten Blick schien. Es
werden nicht immer alle Introns aus einer prä-mRNA entfernt,
oder es können auch Exons zusammen mit den benachbarten
Ü B E R S I C H T
Jenseits des Genoms – Alternatives Spleißen erhöht die Vielfalt des Transkriptoms
Alternatives Spleißen ist ein molekularer Mechanismus der Zelle, mittels dessen aus einem ein-
zigen Gen die Baupläne für mehrere verschiedene Proteine generiert werden können. Dies ist mög-
lich, da die Information für die Proteine im Erbgut zerstückelt vorliegt: Die Sequenzbereiche der
Gene, die für Proteine codieren, die Exons, werden durch Introns unterbrochen. Diese werden vor
der Synthese der Proteine durch den Prozess des Spleißens aus der prä-messenger-RNA, dem Vor-
läufer der vollständig prozessierten messenger-RNA, entfernt. Beim alternativen Spleißen werden
verschiedene Exons und Introns variabel kombiniert. Damit können wesentlich mehr Proteine gebil-
det werden als Gene vorhanden sind. Entsprechend kommt das alternative Spleißen mit System
zum Einsatz. Bei Pflanzen werden unter Stressbedingungen, z.B. bei Kälte, Hitze und Befall mit pa-
thogenen Bakterien oder Viren, vermehrt alternative Spleißformen der messenger-RNA erzeugt.
Auch die Justierung der Inneren Uhr in Pflanzen wird durch alternative Spleißprozesse beeinflusst.
Man geht davon aus, dass Pflanzen dadurch ihre Genexpressionsmuster rasch an sich verändernde
Bedingungen anpassen können, was für Pflanzen als sessile Organismen von besonderer Bedeu-
tung ist. Bei der Modellpflanze Arabidopsis thaliana führt temperaturabhängiges alternatives Splei-
ßen eines Transkriptionsfaktors beispielsweise zu zwei unterschiedlichen Proteinvarianten, die bei
tieferen Temperaturen den Blühzeitpunkt verzögern und bei höheren Temperaturen den Blühbeginn
beschleunigen.
Tino Köster, Bielefeld, John WS Brown, Invergowrie
(Schottland), Dorothee Staiger, Bielefeld
Abb. 1. Schematische Darstellung der Expression eines Gens. Das in der DNA gespeicherte Erbgut wird durch die Transkription in die prä-mRNA umgeschrieben. Durch Spleißen werden die Introns entfernt und die Exons zusammengefügt. Anschließend wird die reife mRNA in Prote-in translatiert, dessen Aminosäureabfolge in der Polypeptidkette durch Kreise symbolisiert ist.
Naturwissenschaftliche Rundschau | 67. Jahrgang, Heft 11, 2014 567
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Köster, Brown, Staiger: Jenseits des Genoms – Alternatives Spleißen erhöht die Vielfalt des Transkriptoms
Introns entfernt werden. Die Verwirklichung unterschiedlicher
Exon-Intron-Kombinationen beim Spleißen ein und dersel-
ben prä-mRNA wird als alternatives Spleißen bezeichnet [2,3].
Dadurch können aus einem einzigen Gen die Bauanleitungen
für unterschiedliche Proteine generiert werden.
Das alternative Spleißen ist ein dynamischer Prozess: Die
Muster, nach denen die Wahl der Introns und Exons erfolgt,
variieren im Laufe der Entwicklung von Mensch, Tier und Pflan-
ze, können in einer Zelle anders sein als in der Nachbarzelle und
sehr stark von den Umweltbedingungen beeinflusst werden [4].
Im Folgenden geben wir zunächst eine kurze Einführung in
die molekularen Grundlagen des alternativen Spleißens und
gehen dann auf die Situation speziell bei Pflanzen ein.
Der Mechanismus des prä-mRNA-SpleißensWie weiß die Zelle, was ein Exon ist und was ein Intron?
Ein kurzes, hoch konserviertes Sequenzmotiv von wenigen
Nucleotiden, die sogenannte 5´Spleiß-Stelle, charakterisiert
das Ende eines Exons und den Beginn eines Introns (Abb. 2).
Ebenso befinden sich am Ende des Introns ein kurzes, kon-
serviertes Sequenzmotiv sowie ein Abschnitt
mit vielen C und U, der sogenannte Polypyri-
midintrakt.
Das Entfernen der Introns aus den prä-
mRNAs ist ein komplexer Prozess, an dem
jeweils mehrere Hundert Proteine beteiligt
sind. Essentiell für das Erkennen der Introns
sind aber kleine RNA-Moleküle, die Uridin-
reichen small nuclear RNAs (U snRNAs). Diese
etwa 70 Nucleotide langen U snRNAs liegen
in einem Komplex mit Proteinen vor und
bilden das sogenannte Spleißosom, das den
Spleißprozess katalysiert. Durch die Basen-
paarung der U snRNA mit den konservierten
Motiven der Spleiß-Stellen werden die Pro-
teinkomplexe an die Exon / Intron-Grenzen
gebracht und das Spleißen wird initiiert: Das
Intron wird herausgeschnitten, und die flan-
kierenden Exons werden miteinander verbun-
den, so dass die reife mRNA entsteht.
Alternatives SpleißenDer Spleiß-Prozess kann nach verschiedenem Muster ablau-
fen. Nicht immer werden alle Introns entfernt bzw. das Pro-
tein durch die komplette Abfolge der im Gen vorhandenen
Exons codiert. Beispielsweise können Exons zusammen mit den
benachbarten Introns aus der prä-mRNA herausgeschnitten
werden; dies wird als Exon skipping bezeichnet (Abb. 3 a). Durch
die Verwendung von alternativen 5´Spleiß-Stellen oder alterna-
tiven 3´Spleiß-Stellen können auch Teile der Exons verlorenge-
hen oder Teile von Introns in der mRNA verbleiben.
Als Folge des alternativen Spleißens können Proteine mit
unterschiedlichen funktionellen Domänen und damit unter-
schiedlicher Aktivität gebildet werden. Im Extremfall kann ein
verkürztes Protein entstehen, das mit dem regulären Protein
in Konkurrenz treten kann. Das soll am Beispiel eines Tran-
skriptionsfaktors erläutert werden; dessen Aufgabe ist es, die
Transkription anderer Gene zu steuern (Abb. 4). Mittels seiner
DNA-Bindedomäne bindet er an die Kontrollregion seines
Zielgens, den Promotor. Mit Hilfe seiner Aktivierungsdomäne
reguliert er daraufhin die Transkription des Gens. Wird die
mRNA für diesen Transkriptionsfaktor so gespleißt, dass das
resultierende Protein nur noch über die DNA-Bindedomäne,
nicht aber die Aktivierungsdomäne verfügt, kann der verkürzte
Transkriptionsfaktor die Bindungssequenzen im Promotor blo-
ckieren und die Expression des Gens verhindern – man spricht
von einem dominant negativen Inhibitor.
Die veränderte Zusammensetzung einer mRNA aus exo-
nischen und intronischen Bereichen als Folge von alterna-
tivem Spleißen kann aber auch direkt auf der Ebene der RNA
Konsequenzen haben. Verbleibt zum Beispiel ein Intron ganz
oder auch nur teilweise in der mRNA, kann dadurch das
Leseraster für die Translation an einem Stopcodon (nonsense
codon) in dem Intron enden, so dass nur noch ein verkürztes,
häufig nicht funktionelles Protein gebildet werden könnte. Die
Zelle hat dagegen einen Schutzmechanismus entwickelt. Sie
erkennt Stopcodons als vorzeitig, wenn danach nochmals eine
Abb. 2. Struktur von Exons und Introns im Transkript. Exons sind als schwarze Balken, das Intron ist als Linie dargestellt. Der Übergang des Exons zum Intron ist durch die 5´Spleiß-Stelle mit den hochkonser-vierten Basen GU gekennzeichnet, der Übergang vom Intron zum Exon ist durch die 3´Spleiß-Stelle mit den hochkonservierten Basen AG ge-kennzeichnet, vor denen eine pyrimidinreiche Region (Y = C oder U) liegt. Bindungsstellen für Spleiß-Faktoren (SF), die die Wahl alternativer Spleiß-Stellen beeinflussen, können sowohl im Exon als auch im Intron liegen.
Abb. 3. Konsequenzen von alternativem Spleißen. − a. Durch variablen Einschluss von Exon 2 oder Exon 4 entstehen Proteine mit unterschiedlicher Domänenstruktur. Exons sind als Balken, Introns als Linie dar-
gestellt. Die gestrichelte Linie verbindet die jeweils verwendeten Spleiß-Stellen. − b. Durch Verwendung einer alternativen 5´Spleiß-Stelle innerhalb des zweiten In-trons verbleibt ein Teil des Introns in der mRNA. Aufgrund des Stopcodons (symboli-siert durch das Stoppschild) wird das Tran-skript über den Nonsense mediated decay abgebaut, so dass die mRNA-Konzentration absinkt und das entsprechende Protein nicht gebildet wird.
568 Naturwissenschaftliche Rundschau | 67. Jahrgang, Heft 11, 2014
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Übersicht
Exon / Exon-Grenze auftritt, d. h. das Leseraster noch weiter
gehen könnte. Die entsprechenden mRNAs werden über den
sogenannten Nonsense mediated decay abgebaut (Abb. 3 b).
Die Regulation des alternativen Spleißens − der Spleiß-Code
Während die 5´Spleiß-Stellen und die 3´Spleiß-Stellen die
Grenzen der Introns festlegen, wird die Entscheidung, welche
Spleiß-Stellen einer prä-mRNA verwendet werden, an ande-
rer Stelle durch zusätzliche regulatorische Elemente getroffen.
Dafür binden regulatorische Proteine, die Spleiß-Faktoren (SF
in Abb. 2), an bestimmte Basensequenzen, die in den Exons
oder den Introns liegen können, und beeinflussen dadurch die
Wahl der Spleiß-Stellen. Basensequenzen, die die Verwendung
einer Spleiß-Stelle fördern, werden dabei als Spleiß-Enhancer
bezeichnet, und Sequenzen, die Spleißen an einer bestimmten
Stelle unterdrücken, werden als Spleiß-Silencer bezeichnet. Die
Kombination dieser Sequenzmotive auf der prä-mRNA und
die dazugehörigen Spleiß-Faktoren bezeichnet man als Spleiß-
Code.
Ein korrekter Ablauf des Spleißvorgangs am rechten Ort und
zur rechten Zeit ist von großer Bedeutung für den Organismus.
Das wird dadurch deutlich, dass zahlreiche Erbkrankheiten
beim Menschen auf aberrantes Spleißen zurückzuführen sind.
Bei der β-Thalassämie, die wegen eines zu geringen Gehalts
an dem roten Blutfarbstoff Hämoglobin zu Blutarmut führen
kann, kommt es durch Mutationen zu neuen Spleiß-Stellen
im β-Globin-Gen, wodurch ein Intron mit einem Stopcodon
in der mRNA verbleibt. Als Folge davon wird die mRNA durch
den erwähnten Nonsense mediated decay abgebaut und das
β-Globin nicht gebildet. Infolgedessen kann das Blut nicht
genug Sauerstoff binden [5].
Erste Experimente mit Pflanzen vor etwa zwei Jahrzehnten
zeigten, dass Gene mit Introns, die aus dem Tier in die Pflanze
gebracht wurden, nicht korrekt gespleißt werden. Danach hat
man den Mechanismus des Spleißens und das alternative Splei-
ßen bei Pflanzen systematisch untersucht. Die meisten Erkennt-
nisse stammen dabei aus der Modellpflanze der Pflanzenmo-
lekularbiologen, Arabidopsis thaliana, der Ackerschmalwand
(ein Kreuzblütler). Bis vor etwa 10 Jahren dachte man, dass
rund 1 % der Gene alternativ gespleißt werden [3]. Vor allem
durch die Fortschritte in der Hochdurchsatzsequenzierung von
RNA weiß man inzwischen, dass es mehr als 60 % sind [6]. Bei
dieser Technik werden alle RNAs, die in der Zelle vorliegen, in
die komplementäre DNA umgeschrieben, und dann wird die
Basenabfolge bestimmt. So können auch bisher unbekannte
Spleiß-Varianten dingfest gemacht werden. Insbesondere wenn
Pflanzen gestresst sind, d. h. wenn es sehr heiß ist oder sehr kalt
ist, wenn Böden zu salzhaltig sind oder wenn sie von Feinden
angegriffen werden, verändern sich die Spleiß-Muster von
vielen Genen [7]. Aber auch, wenn die Temperatur sich nur um
wenige Celsius-Grade ändert, verändern sich Spleiß-Muster [8].
Man nimmt an, dass sich Pflanzen dadurch schnell an die ver-
änderten Umweltbedingungen anpassen können, was bei ihrer
sessilen Lebensweise besonders notwendig ist.
Man weiß heute, dass die Sequenzen der Spleiß-Stellen bei
Tieren und Pflanzen ähnlich sind. Auch ähneln sich die Spleiß-
Faktoren. Der grundsätzliche Ablauf des Spleißens scheint also
ähnlich zu sein, aber bei der Erkennung der Introns dürften
zusätzliche Faktoren eine Rolle spielen, die es noch zu ent-
schlüsseln gilt. Z. B. sind Introns bei Pflanzen im Durchschnitt
wesentlich kürzer als Introns bei Tieren.
Physiologische Konsequenzen von fehlerhaftem Spleißen
Für eine Reihe von pflanzlichen Genen konnte man zei-
gen, dass alternative Spleißformen unterschiedliche Funktionen
haben. Ein Beispiel ist der Transkriptionsfaktor FLOWERING
LOCUS M (FLM), der an der zeitlichen Steuerung der Blü-
tenbildung beteiligt ist, einem wichtigen Ereignis im Leben
einer Pflanze, das letztendlich die Bildung von Samen einleitet.
Entsprechend wird der Blühzeitpunkt durch Faktoren wie die
Jahreszeit, die Lichtverhältnisse oder die Temperatur kontrol-
liert. Höhere Umgebungstemperaturen, z. B. 23 °C, führen dazu,
dass Arabidopsis früher anfängt zu blühen als beispielsweise bei
16 °C. Das liegt daran, dass in den Blättern bei höheren Tem-
peraturen das FLOWERING LOCUS T (FT)-Protein vermehrt
gebildet wird, das an die Sprossspitze transportiert wird und
dort die Blütenbildung initiiert. Kürzlich konnte gezeigt werden,
dass der Temperaturregler auf alternativem Spleißen von FLM
beruht, der wiederum die Bildung des FT-Proteins steuert [9]:
Bei kühleren Temperaturen wird die Transkription des FT-Gens
Abb. 4. Alternatives Spleißen der prä-mRNA eines Transkriptionsfak-tors führt zu einem dominant negativen Inhibitor. − a. Reguläres Splei-ßen führt zu einer mRNA, die für den intakten Transkriptionsfaktor co-diert. Dieser bindet an den Promoter des Zielgens und aktiviert dessen Transkription (Pfeil). − b. Alternatives Spleißen führt zum Verlust der Aktivierungsdomäne. Der Transkriptionsfaktor bindet an den Promotor des Zielgens, kann aber dessen Transkription nicht aktivieren. DBD = DNA-Bindedomäne, AD = Aktivierungsdomäne, schwarzer Bal-ken = Zielgen, schwarze Linie = Promotor des Zielgens, der schwarze Pfeil symbolisiert den Beginn der Transkription.
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Köster, Brown, Staiger: Jenseits des Genoms – Alternatives Spleißen erhöht die Vielfalt des Transkriptoms
verhindert, indem ein Komplex aus dem Transkriptionsfaktor
SHORT VEGETATIVE PHASE (SVP) und FLM den für die Ini-
tiation der Transkription von FT wichtigen Promotor blockiert
(Abb. 5 a). Genauer gesagt, liegt in dem Komplex FLM-β-Protein
vor, das durch eine Spleiß-Variante der FLM-mRNA codiert
wird. Steigt die Temperatur, wird vermehrt eine andere, alter-
native Spleiß-Form gebildet, die für das FLM-δ-Protein codiert.
Der Komplex aus FLM-δ und SVP kann nicht an den Promotor
des FT-Gens binden, so dass die Blockade aufgehoben wird und
das FT-Gen abgelesen werden kann (Abb. 5 b).
Für das Protein ZINC INDUCED FACILITATOR-LIKE 1
(ZIFL1), das am Membrantransport in der Zelle beteiligt ist,
konnten zwei Proteinvarianten gefunden werden, die aufgrund
von alternativem Spleißen des Gens unterschiedliche Adressie-
rungssignale für verschiedene Bereiche der Zelle besitzen: Die
in der Wurzel vorherrschende Proteinvariante ist in der Vaku-
olenmembran lokalisiert und am Transport des Pflanzenhor-
mons Auxin beteiligt. In den Schließzellen der Spaltöffnungen,
kleinen Poren an der Blattunterseite, die dem Gasaustausch mit
der Umgebung dienen, liegt eine andere Spleißform vor. Das
entsprechende Protein ist in der Zellmembran lokalisiert und
reguliert durch Ionentransport den Wassereinstrom und damit
das Öffnen und Schließen der Spaltöffnungen [10].
Ein weiterer wichtiger Faktor, der das Überleben der Pflanze
sichert, ist die Verteidigung der Pflanze gegen Pathogene. Das
N-Gen des Tabaks schützt die Pflanze vor Infektionen mit dem
Tabak Mosaik-Virus, die mosaikartige Schädigungen der Blätter
und Einschränkungen im Wachstum verursachen. Das N-Gen
wird in zwei unterschiedlich lange Transkripte gespleißt. Ein
kürzeres Transkript codiert für das vollständige funktionelle
N-Protein. Ein längeres Transkript enthält ein alternatives Exon,
wodurch ein N-Protein mit einem anderen Ende entsteht. Im
Laufe einer Infektion mit dem Tabak Mosaik-Virus wird über-
wiegend das alternativ gespleißte lange Transkript und somit
das veränderte Protein gebildet. Dieses alternative Protein ist
für die Resistenz gegen das Tabak Mosaik-Virus notwendig [11].
Dass fehlerhaftes Spleißen zu Defekten führt, sieht man an
der veränderten Blütenmorphologie der apetala3-1-Mutante in
Arabidopsis, die auf einem defekten Transkriptionsfaktor, APE-
TALA3, beruht (Abb. 6). Dieser Transkriptionsfaktor ist unter
anderem für die korrekte Ausbildung der Kronblätter wichtig.
Eine falsche Base am Ende des vierten Exons im APETALA3-
Gen führt dazu, dass die 5´Spleiß-Stelle von Intron 5 nicht
erkannt wird und Exon 5 zusammen mit Intron 4 und Intron 5
entfernt wird. Dadurch fehlt APETALA3 eine für seine Funktion
als Transkriptionsfaktor essentielle Domäne.
Beim Weizen ist ein vorzeitiges Auskeimen der Körner auf
den Ähren ein Problem, das bei ungünstiger Witterung den
Ernteertrag stark beeinträchtigt [12]. Man hat beim Weizen
einen Transkriptionsfaktor identifiziert, der in seiner Sequenz
ähnlich zu VIVIPAROUS-1 (VP-1) im Mais ist und an der zeit-
lichen Steuerung der Keimung beteiligt ist. Wie der Name VP,
lebendgebärend, andeutet, führt eine Mutation in VP-1 zu
einem vorzeitigen Auskeimen der Körner an den Maiskolben.
Die VP-1 ähnlichen mRNAs beim Weizen zeigen einen Defekt
beim Spleißen, weshalb sie in verkürzte, nicht funktionstüchtige
Proteine translatiert werden [13]. Bringt man das VP-1-Gen aus
Hafer in Weizen, sinkt die Tendenz zum vorzeitigen Auskeimen,
d. h. man kann eine Art Gentherapie ausführen.
Wie die meisten Lebewesen richten auch Pflanzen ihren Tag
nach einer Inneren Uhr aus [14]. Diese sorgt für eine optimale
Anpassung an den Tag-Nacht-Rhythmus, der durch die Erdro-
tation vorgegeben ist. Beispielsweise ist die Photosyntheseak-
tivität zu Beginn des Tages am höchsten. So werden die Gene,
die für die Photosynthese notwendig sind, vor allem zu Anfang
der Lichtphase abgelesen. Das Uhrwerk der Inneren Uhr ist aus
sogenannten CLOCK-Proteinen aufgebaut, die einerseits durch
einen Rückkopplungsmechanismus im 24-Stunden-Takt die
Transkription ihrer eigenen Gene an- und abschalten und somit
ihren eigenen 24-Stunden-Rhythmus erzeugen. Andererseits
sorgen die CLOCK-Proteine dafür, dass auch viele andere Tran-
skripte eine 24-Stunden-Rhythmik zeigen, d. h. immer dann
im Tagesverlauf ihr Maximum haben, wenn die entsprechende
Funktion benötigt wird. Inzwischen weiß man, dass die Innere
Uhr nicht nur die Transkription beeinflusst, sondern auch das
alternative Spleißen. Die Transkripte der meisten CLOCK-Gene
werden alternativ gespleißt, was die Rhythmik der Transkripte
Abb. 5. Temperaturabhängige Regulation des Blühzeitpunkts. − a. Bei tiefen Temperaturen liegt die FLM-β Spleiß-Form vor, die für eine Prote-invariante codiert, die mit SVP interagiert. Der FLM-β / SVP-Komplex bindet an den Promotor des FT-Gens und blockiert dessen Transkription. − b. Bei hohen Temperaturen liegt die FLM-δ Spleiß-Form vor. Der Kom-plex aus FLM-δ-Protein und SVP kann nicht an den Promotor des Blüh-gens FT binden, so dass letzteres abgelesen wird.
Abb. 6. Ein Spleiß-Defekt führt zu veränderter Blütenmorphologie. − a. Blüte einer Arabidopsis Wildtyppflanze. − b. Blüte der apetala3-1-Mu-tante. In der apetala3-1-Mutante liegt eine Mutation an der 5´Spleiß-Stelle des fünften Introns vor, was zum Ausschluss von Exon 5 führt (modifiziert nach [4, 22]).
a b
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Übersicht
beeinflusst [15]. Insbesondere bei tiefen Temperaturen werden
oft bevorzugt alternative Spleiß-Formen gebildet, die ein vorzei-
tiges Stopcodon besitzen und damit abgebaut werden. Man geht
davon aus, dass das alternative Spleißen der CLOCK-Gene dazu
dient, die Funktion der Inneren Uhr bei verschiedenen Tempe-
raturen zu regulieren.
In einer Mutante mit einem Defekt in PROTEIN
METHYLTRANSFERASE 5, einem Protein, das Spleiß-Faktoren
durch N-Methylierung an Arginin modifiziert und damit ihre
Aktivität reguliert, geht die Innere Uhr langsamer [16]. Man hat
beobachtet, dass in dieser Mutante Clock-Gene falsch gespleißt
werden und so ihre 24-Stunden-Rhythmik gestört ist, was dann
die ganze Pflanze aus dem Takt bringt.
Außerdem konnte ein RNA-bindendes Protein, AtGRP7 (Ara-
bidopsis thaliana GLYCINE-RICH RNA BINDING PROTEIN
7) identifiziert werden, das eine 24-h-Rhythmik zeigt und Teil
einer negativen Rückkopplungsschleife ist. Im Gegensatz zu
den CLOCK-Proteinen reguliert es seine eigene Rhythmik nicht
dadurch, dass es die Transkription seines Gens beeinflusst.
Stattdessen führt eine erhöhte Menge des AtGRP7-Proteins
dazu, dass seine eigene prä-mRNA alternativ gespleißt und ein
Teil des Introns nicht entfernt wird. Die alternative Spleißform
enthält ein vorzeitiges Stopcodon und wird über den Nonsense-
mediated decay abgebaut, so dass die Menge des Proteins
wieder abnimmt. Das RNA-Bindungsprotein ist damit wahr-
scheinlich Teil eines untergeordneten Schwingkreises, der von
der Inneren Uhr im 24-Stunden-Rhythmus aktiviert wird und
sich anschließend selbst wieder abschaltet [17]. Da das Protein
seinerseits alternatives Spleißen von verschiedenen anderen
Genen reguliert, könnte es an der Weiterleitung von Information
der Inneren Uhr in der Zelle beteiligt sein [18, 19].
Identifizierung des Spleiß-CodesDie Forschung zum alternativen Spleißen konzentriert sich
gegenwärtig darauf, den Spleiß-Code zu entschlüsseln, d. h. die
Spleiß-Faktoren und die dazugehörigen Bindungsstellen auf
den mRNAs zu identifizieren. Eine wichtige Technik dazu ist
die sogenannte RNA-Immunpräzipitation, bei der RNA-Protein-
Komplexe mit Hilfe von Antikörpern aus der Pflanze isoliert
werden (Abb. 7). Um die hoch spezifische Immunpräzipitation
zu erleichtern, wird der Spleiß-Faktor mit einem als Antigen
fungierenden Marker, einem sogenannten tag − z. B. dem Grün
fluoreszierenden Protein (GFP) − versehen und in der Pflanze
exprimiert [20]. Mit einem Antikörper gegen das GFP fischt man
das Fusionsprotein samt den daran gebundenen RNAs her-
aus und kann die RNAs mittels Hochdurchsatzsequenzierung
identifizieren (Abb. 7). Mittels bioinformatischer Programme
versucht man dann, Sequenzmotive zu identifizieren, die in den
Zielgenen überrepräsentiert sind und somit möglicherweise
die Bindungsstellen für die Spleiß-Faktoren darstellen. Eine
solche Bindung kann man dann anschließend experimentell
überprüfen.
Interessanterweise werden die mRNAs für Spleiß-Faktoren
oft selbst alternativ gespleißt, wodurch Varianten des Spleiß-
Faktors mit einer veränderten Aktivität gebildet werden können
oder die resultierenden Spleiß-Varianten aufgrund eines Stop-
codons abgebaut werden. Das erlaubt eine konzertierte Regula-
tion von ganzen Kohorten von Zielgenen.
AusblickObwohl man lange Zeit das alternative Spleißen als einen im
Anschluss an die Transkription wirkenden, posttranskriptionel-
len Kontrollmechanismus ansah, ist Spleißen sehr eng mit der
Transkription verbunden.
Verläuft die Transkription eines Gens sehr schnell, werden
schwächere Spleiß-Stellen tendenziell eher übersehen und
ganze Exons zusammen mit den benachbarten Introns entfernt.
Verläuft die Transkription langsamer, werden auch schwächere
Spleiß-Stellen genutzt. Die Geschwindigkeit der Transkription
wiederum wird vom Promotor und den daran gebundenen
Proteinen bestimmt. Das sind zum einen Transkriptionsfakto-
ren, aber auch Proteine, die die DNA im Chromatin verpacken.
Deshalb interessiert man sich dafür, wie regulatorische Prozesse
am Promotor das alternative Spleißen beeinflussen.
Abb. 7. Auf dem Weg zur Entschlüsselung des Spleiß-Codes. Ein Spleiß-Faktor (SF), der in der Blüte exprimiert wird, wird mit dem Grün fluoreszierenden Protein (GFP) fusioniert. Mittels RNA-Immunpräzipita-tion wird der Spleiß-Faktor mitsamt den von ihm gebundenen RNAs iso-liert. Diese RNAs werden isoliert und mittels Hochdurchsatz-Sequenzie-
rung wird die Identität der gebundenen Transkripte bestimmt. Mittels Bioinformatik wird nach konservierten Sequenzmotiven in den Zieltran-skripten geschaut, die als Bindestellen und regulatorische Elemente fungieren könnten. Details siehe Text.
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Köster, Brown, Staiger: Jenseits des Genoms – Alternatives Spleißen erhöht die Vielfalt des Transkriptoms
Ferner zeigte eine Untersuchung von verschiedenen Arabi-
dopsis-Ökotypen, die an unterschiedlichen Standorten welt-
weit gesammelt worden waren, dass etwa die Hälfte der Gene
unterschiedlich exprimiert wird. In vielen Genen wurden unter-
schiedliche Spleiß-Stellen gefunden [21]. Somit könnte alterna-
tives Spleißen auch ein wichtiger Faktor bei der Diversifizierung
innerhalb von Arten sein.
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Dipl. Biol. Tino Köster (Jahrgang 1982) studierte Biologie an der Universität
Bielefeld. Er fertigte seine Dissertation zum Thema „Funktion von
Ribonucleoproteinkomplexen in der posttranskriptionellen Regulation und
microRNA-Biogenese“ am Lehrstuhl für Molekulare Zellphysiologie an.
Molekulare Zellphysiologie, Fakultät für Biologie, Universität Bielefeld,
Universitätsstraße 25, 33615 Bielefeld
Prof. Dr. John WS Brown (Jahrgang 1953) studierte Botanik an der University
of Edinburgh und promovierte 1979 an der University of Cambridge.
Anschließend war er zunächst als Postdoc an der University of Madison
und anschließend bei Agrigenetics in Madison. Daran schloss sich ein
Forschungsaufenthalt (am Institut für Biologie III) an der Universität Freiburg
an. Seit 1988 ist Prof. Brown in Dundee, zunächst als Head of Division am
Scottish Crop Research Institute, Invergowrie, dann als Head of Division of
Plant Sciences, University of Dundee. Außerdem ist er Honorarprofessor an
der University of Glasgow.
Division of Plant Sciences, University of Dundee at The James Hutton Institute
und Cell and Molecular Sciences, The James Hutton Institute, Invergowrie DD2
5DA, Schottland
Prof. Dr. Dorothee Staiger (Jahrgang 1960) studierte Biochemie an
der Eberhard-Karls-Universität Tübingen und der LMU München
mit einem Forschungsaufenthalt an der University of Cambridge. Ihre
Diplomarbeit fertigte sie am Max-Planck-Institut für Biochemie in
Martinsried an. Anschließend promovierte sie am Max-Planck-Institut für
Züchtungsforschung (Köln) bei Prof. Jeff Schell. Von 1990 bis 2002 war sie an
der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich tätig, wo sie mit ihren
Arbeiten zur Inneren Uhr und RNA-basierten Regulation begann und dort
auch habilitierte. Seit 2002 ist sie Professorin für Molekulare Zellphysiologie
an der Universität Bielefeld.
Molekulare Zellphysiologie, Fakultät für Biologie, Universität Bielefeld,
Universitätsstraße 25, 33615 Bielefeld. E-Mail: [email protected]
G LO S SA R
Alternatives Spleißen: Eine prä-mRNA wird in unterschiedliche
mRNA Varianten gespleißt.
Exon: für Protein codierender Teil der prä-mRNA und mRNA.
Intron: nicht für Protein codierender Teil der prä-mRNA.
mRNA: messenger-RNA, Boten-RNA, übermittelt die im Erbgut
gespeicherte Information für die Translation.
Nonsense mediated decay: Zellulärer Kontrollmechanismus,
um Transkripte mit vorzeitigem Stopcodon abzubauen und die Bil-
dung verkürzter Proteine zu verhindern.
Ökotyp: Population einer Art, die sich durch Selektion an die be-
sonderen Lebensbedingungen ihres Standorts angepasst hat.
Prä-mRNA: primäres Transkript eines Gens, das in die reife mRNA
prozessiert wird.
Promotor: DNA-Sequenz stromaufwärts des codierenden Be-
reichs eines Gens, der bestimmt, wann, wo und wie stark das Gen
exprimiert wird, d.h. der codierende Bereich transkribiert wird.
Spleißen: Entfernen von Introns aus der prä-mRNA.
Spleiß-Faktoren: Proteine, die das (alternative) Spleißen durch
Bindung an regulatorische Basensequenzen fördern oder unterdrü-
cken.
5´Spleiß-Stelle: Konserviertes Sequenzmotiv am Anfang eines
Introns.
3´Spleiß-Stelle: Konserviertes Sequenzmotiv am Ende eines In-
trons.
Transkriptom: Die Gesamtheit aller in einer Zelle vorliegenden
RNAs (Transkripte) zu einem bestimmten Zeitpunkt.