Jesiden suchen ihre Identität - uni- t... · PDF fileHomosexualität Göttingen. „Judentum und gleichgeschlechtliche Partner-schaft“ lautet das Thema beim Lernnachmittag des

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AndAcht zum Wochenende

Was vom Leben brig bleibtTeigschaber. Er hat die Teig-schaber vergessen, denke ich, als der Pastor seine Beerdigungs-ansprache mit dem Amen schliet. Teigschaber. Denn die hatte sie immer als Geschenk im Vorratsschrank liegen. Kein Ab-schied ohne Teigschaber. Da-von kann man nie genug haben. Ach, du liebes Menschenkind, wie schn, dass du da warst. Gott soll dich behten.

Dass sie die ersten zehn Jahre bei Verwandten war, das wusste ich gar nicht. Im Stehen hatten sie dort also gegessen. Die Arme dicht am Krper, dass hchstens noch ein Gesangbuch dazwi-schen passte.

Davon hatte sie nie gespro-chen. Auch nicht davon, dass der lteste Sohn mit drei Jahren an Diphtherie starb.

Einmal, bei Goethetorte und Assamtee, da hat sie erzhlt, wie die Schwgerin die Briefe an ih-rem Herzliebsten verschwinden lie. Intrige. Das kommt in den frmmsten Familien vor. Aber mit 31, da kriegte sie ihn dann doch. Ein altes Mdchen, sag-ten die Leute. Aber fr ihn war sie nur Mein Mdchen. Und das blieb sie ber fnfzig Jahre lang.

Gro war sie nicht, aber gro-artig, meine Grotante. Zuletzt fast blind. Vllig taub. Aber mit

ihrem Rollator immer auf Achse. Nach 4711 hat sie gerochen und nach Weitherzigkeit. Nach vio-lettem Flieder und gebratener Scholle.

Vor dem Essen hat sie immer gebetet.

Und nach dem Essen auch.Und als ich bei meinem ersten

Besuch schon das Geschirr zu-sammenstellen wollte, da faltete sie lchelnd die Hnde: Lass uns noch danken. Danket dem Herrn, denn er ist freundlich und seine Gte whret ewig-lich.

Ja, danke, Gott. Danke fr sol-che Frauen. Und fr ihre Teig-schaber.

Pastorin Wiebke Vielhauer, Waake

Jesiden suchen ihre IdentittWissenschaftler ber Verfolgung, Traditionen und Entwicklung der Religionsgemeinschaft

Als eine religise Minderheit werden die Jesiden im Irak und in Syrien derzeit von der Terror-Miliz Islami-scher Staat (IS) verfolgt. Im Raum Gttingen und Northeim leben 140 jesidische Familien. Was macht die Glaubensgemeinschaft aus? Welche Konflikte gibt es mit der jngeren Generation in der westlichen Welt? Darber hat Jrn Barke mit den Wis-senschaftlern Prof. Philip Kreyen-broek und Dr. Khanna Omarkhali vom Seminar fr Iranistik der Universitt Gttingen gesprochen. Kreyenbroek ist Direktor des Seminars, Omarkha-li wissenschaftliche Mitarbeiterin und selbst eine Jesidin, die aus der Priesterkaste stammt.

In Syrien und im Irak sind hunderttausende Jesiden auf der Flucht vor IS-Schergen. Kreyenbroek: Weil die Jesiden ihren Glauben nur mndlich berliefern und keine Buchreligi-on sind, gelten sie den Islamisten als totale Heiden, obwohl es eine monotheistische Religion ist, de-ren Anhnger an einen Gott glau-ben und deren Wurzeln sehr tief reichen. Nur die Jesiden und die religise Gemeinschaft Ahl-e Haqq haben einen sehr alten Schpfungsmythos bewahrt. Omarkhali: Ein Problem ist zu-dem, dass der Engel Tawusi Me-lek bei den Jesiden besondere Verehrung geniet. Muslime in-terpretieren ihn als gefallenen Engel und damit als Teufel. Das ist jedoch eine Fehlinterpretation in den jesidischen religisen Hymnen gibt es dafr keinerlei Beleg. Im Jesidentum gibt es berhaupt kein Prinzip des B-sen. Es gibt nur einen allmchti-gen Gott, der die Welt in die Hn-de von Tawusi Melek gegeben hat. Das heit, das Gute wie das Bse, das es auf der Welt gibt, liegt in seiner Hand. Der Exodus im Nordirak ist fr das Jesiden-tum eine groe Gefahr, denn dort gibt es eines der weltweit grten Siedlungsgebiete, das als Zen-trum des religisen Wissens gilt.

Das Prinzip der mndlichen berlieferung der Religion wurde seit den 1970er-Jahren durchbrochen. Einige Texte wurde verschriftlicht und ber-setzt unter anderem auch durch Sie, Herr Kreyenbroek. Gab es daran Kritik?Kreyenbroek: Manchmal habe ich Kritik an meinen jesidischen Mitarbeitern gehrt. Auf der an-deren Seite gab es Anfragen von Jesiden in Deutschland, ich mge ihnen doch etwas ber ihre Reli-gion vermitteln. Ich habe die Jesi-den aber darin bestrkt, dass sie da selbst ganz gute Kenntnisse haben. Omarkhali: Die ursprnglichen Verffentlichungen stammen aus den Reihen der Jesiden selbst und erschienen fast zum gleichen Zeitpunkt in unterschiedlichen

Siedlungsrumen im Irak, in Russland und in Armenien, von wo ich stamme. Dennoch wird die berlieferung hauptschlich noch mndlich fortgesetzt. Ich forsche derzeit dazu, wie sich das moderne Jesidentum entwickelt, wie ein Bedrfnis entsteht, eige-ne religise Texte aufzuzeichnen und wie solche Schriften allge-meine Anerkennung finden kn-nen.

Fr die weltweite Zahl der Jesiden gibt es nur ungefhre Schtzungen.Omarkhali: 600 000 ist ein guter Mittelwert. In Deutschland leben knapp 60 000 Jesiden. Man geht etwa davon aus, dass zwei bis 2,5 Prozent aller Kurden Jesiden sind. Lngst nicht jeder Kurde ist ein Jeside, aber alle Jesiden sind Kurden. Jesiden missionieren nicht: Als Jeside wird man gebo-ren, man kann nicht zum Jesi-dentum konvertieren.

Jesiden drfen nur innerhalb der Gemeinschaft heiraten, sonst werden sie ausgeschlos-sen.Omarkhali: Das ist traditionell immer noch so. Auerdem darf nur innerhalb der jeweiligen Kas-te geheiratet werden. Es gibt eine Laienkaste, der etwa 95 Prozent der Jesiden angehren, und zwei Priesterkasten. Diese Regelungen haben auch mit der jahrhunder-telangen Verfolgungsgeschichte der Gemeinschaft zu tun. Die jngere Generation, gerade wenn sie in der westlichen Welt lebt,

stellt diese starren Regeln aller-dings allmhlich in Frage. Kreyenbroek: Diese Spannun-gen konnten wir feststellen, als wir Interviews mit Angehrigen verschiedener Generationen in Deutschland gefhrt haben. Bis-weilen herrschte zwischen west-lich orientierten Jngeren und ihren traditioneller orientierten Eltern eine Art Sprachlosigkeit. Zugleich ist die familire Bande im Jesidentum sehr stark schon allein, um die Familie nicht zu verlieren, heiratet man nicht nach auerhalb. Frauen mssen als Jungfrau in die Ehe gehen.

Aufgrund der starren Hei-ratsregeln, einzelne Flle von Ehrenmorden und Blutrache wurden Jesiden in Deutschland auch kritisch beugt. Kreyenbroek: Die Idee der be-sonderen Familienehre, die not-falls verteidigt und gercht wer-den muss, ist heute noch von der Trkei bis nach Pakistan verbrei-tet und nicht spezifisch an das Je-sidentum gebunden. Frher wa-ren wir bei Interviews manchmal erschrocken ber harte Ansich-ten, die Jesiden darin uerten. Dann stellten wir fest: Sie gaben in diesen offiziellen Interviews nur althergebrachte Formeln wieder. In Wirklichkeit dachten sie anders, und in Wirklichkeit werden in den traditionellen jesi-dischen Gebieten die Probleme auch meist anders gelst. Es hat allerdings tragische Flle von Ge-walttaten gegeben meist von jungen Mnnern, die in einer be-

sonderen kulturellen Spannung standen und die Taten dann schnell bereut haben.

In Deutschland ist von einem Brautpreis von rund 70 000 Euro die Rede. Kreyenbroek: Den gibt es. Er ist von der Familie des Mannes an die Familie der Frau zu entrich-ten.

Es gibt den Ritus der Be-schneidung.Kreyenbroek: Der ist bei Jungen nach wie vor blich.

Die Jesiden sind auch in Deutschland keine homogene Gruppe. Dem in Oldenburg gegrndeten Zentralrat der Jesiden gehren lngst nicht alle Gemeinden an. Kreyenbroek: Es gibt unter-schiedliche Ausrichtungen. Es gibt Gruppen, die der fr kurdi-sche Autonomie kmpfenden Ar-beiterpartei PKK zuneigen, es gibt auch Gemeinden, wo das keine Rolle spielt. Das hngt auch mit der Einwanderungsgeschich-te nach Deutschland zusammen. Im Augenblick eint aber alle die Frage, was mit den hunderttau-senden Flchtlingen im Irak wer-den soll.

Es gab unterschiedliche Wellen bei der Einwanderung.Kreyenbroek: Ja, erste Jesiden kamen in den 1960er-Jahren als einfache Gastarbeiter nach Deutschland. Um 1980 herum gab es dann aufgrund der Unter-

drckung in der Trkei eine Wel-le von Asylbewerbern. Ihre An-erkennung verdankten sie unter anderem dem Einsatz der Gesell-schaft fr bedrohte Vlker und des Gttinger Theologie-Profes-sors Gernot Wiener. Diese Jesi-den-Generation entwickelte ein neues Selbstbewusstsein und grndete Gemeindezentren. Um 1990 kamen dann viele Intellek-tuelle, die aus dem Irak vor dem Diktator Saddam Hussein flch-teten. Mit den verschiedenen Menschen gab es auch unter-schiedliche Geschwindigkeiten beim Einleben in die deutsche Gesellschaft. Die Jesiden versu-chen derzeit, ihre Identitt in ei-nem neuen Raum zu definieren.

Frau Omarkhali, Sie stammen aus Armenien, haben im russischen St. Petersburg gelebt und arbeiten nun in Deutschland. Wie werden die Jesiden in unterschiedlichen Lndern wahrgenommen?In Armenien wie in Deutschland werden die Jesiden als Religions-gemeinschaft wahrgenommen, es gibt einen Dialog. Zur Zeit der Sowjetunion durfte unter dem kommunistischen Regime die Religion nicht ffentlich prakti-ziert werden. Nach 1991 wurden im riesigen Russland die Jesiden kaum als solche wahrgenommen, sondern einfach zu den Kauka-siern gezhlt. Erst 2009 gelang teilweise mithilfe eines Gutach-tens von mir , dass das Jesiden-tum in Russland als Religionsge-meinschaft anerkannt wurde.

Forschen zum Jesidentum: Khanna Omarkhali, aus Armenien stammende Jesidin, und Philip Kreyenbroek, Direktor des Seminars fr Iranistik. Vetter

In Krze

Nightfever in St. MichaelGttingen. Seit zwei Jahren gibt es in der katholischen Kirche St. Michael, Kurze Strae 13, offene Nightfever-Abend. Der nchste beginnt am Freitag, 26. September, um 18.30 Uhr mit einer hei-ligen Messe im Gemeinde-haus mit Bistums-Seelsor-ger Martin Wilk. Ab 19.30 Uhr knnen Besucher, so wie sie Zeit haben, zu Gebet, Ge-sang oder Gesprchen vor-beikommen. Der Abend en-det um 22.30 Uhr mit dem feierlichen Nachtgebet. bar

Prlat Heinz Voges zum VaterunserGrone. In der Reihe Glau-bensimpulse spricht Prlat Heinz Voges am Mittwoch, 24. September, um 10 Uh