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1 Jesusbilder Der Schmerzensmann neben der Sakramentsnische

Jesusbilder Der Schmerzensmann neben der · PDF file3 Die Religion und die kirchlichen Institutionen haben immer wieder versucht, die Deutungs-hoheit in der Hand zu behalten, verbindlich

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Jesusbilder Der Schmerzensmann neben der Sakramentsnische

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Zusammenfassung Das persönliche Weltbild eines jeden Menschen setzt sich aus zahlreichen Vorstellungen zu-sammen, die er im Laufe seines Lebens erworben und erweitert hat. Diese individuellen Vor-stellungen sind sozusagen die Bausteine, die all das umfassen, was er von der Welt weiß. Sie sind von mannigfaltigen Faktoren abhängig. In ihre Ausgestaltung gehen unter anderem persönliche Wünsche, Ziele, Hoffnungen, Bedürfnisse und soziale Erwartungen ein. Es kann als unzweifelhaft gelten, dass Jesus zur Zeit des römischen Kaisers Tiberius wirklich gelebt hat. Nur, das Bild, das man sich von ihm gemacht hat, ist alles andere als eindeutig. Die Person von Jesus spiegelt sich im Bewusstsein unterschiedlicher Menschen in ganz und gar unterschiedlicher Weise. Man kann ihn z.B. für den Erlöser der Welt, für einen gescheiter-ten Sozialreformer oder einen jüdischen Rabbi halten. Ein direkter Zugang zu Jesus wird erschwert, weil er selbst keinerlei schriftliche Zeugnisse

hinterlassen hat. Alles, was wir über ihn wissen, sind Berichte und Darstellungen von Menschen, die ihn entweder persönlich kannten oder die eine wie auch immer geartete Beziehung zu ihm aufgebaut haben. Was auf die Nachwelt über-kommen ist, sind keine objektiven Sachver-haltsberichte sondern Darstellungen über die Art und Weise, wie Jesus jeweils empfunden wor-den ist und wie er sich im Bewusstsein der Be-troffenen widergespiegelt hat. Ein besonders schönes Motiv für diese Einsicht ist das Tuch der Veronika. Jeder Mensch trägt sein je eigenesTuch der Veronika im Bewusstsein. Jeder hat sein eigenes Jesusbild, das zeigt, wie sich Jesus in ihm selbst darstellt und wie Jesus auf ihn wirkt. Diese ganz persönliche Beziehung zu Jesus kommt z.B. in Bachs Mathäus-Passion sehr schön zum Ausdruck. Hier beklagt die

fromme Seele die Gefangennahme ihres

Jesus in einer Arie: So ist mein Jesus nun gefangen! Mond und Licht Ist vor Schmerzen untergangen, weil mein Jesus ist gefangen. Im Laufe der Jahrhunderte von Anbeginn bis jetzt hat sich das Jesusbild immer wieder geän-dert und den Bedingungen und Anforderungen der Zeit angepasst. Sie unterscheiden sich zum Teil ganz wesentlich; gelegentlich widersprechen sie sich sogar. Existentielle Betroffenheit, weltanschauliche Voraussetzungen, soziale Beziehungen, aber auch wirtschaftliche und poli-tische Gegebenheiten haben das Jesusbildes ausgestaltet, das in einer bestimmten geschichtli-chen Epoche vorherrschend war. Die künstlerischen Darstellungen geben davon Zeugnis. Es ist eine lohnende Aufgabe, dem nachzugehen. Die unterschiedlichen Jesusbilder lassen die Frage wach werden, welche Jesusbild denn nur das richtige ist.

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Die Religion und die kirchlichen Institutionen haben immer wieder versucht, die Deutungs-hoheit in der Hand zu behalten, verbindlich festzulegen, wie Jesus zu sehen ist, und damit ein für objektiv ausgegebenes Jesusbild zu schaffen. Die Inquisition und die Ketzerprozesse ha-ben dafür gesorgt, dass eine mehr oder weniger einheitliche Betrachtungsweise vorherrschend blieb. Im Gegensatz dazu haben die Mystik und vergleichbare pietistische Bewegungen immer wie-der den individuellen und persönlichen Bezug eines jeden Einzelnen zu Jesus herausgestellt und sich damit einer dogmatischen Festlegung widersetzt. Nicht zuletzt aus diesem Grund sind die Mystiker oftmals mit der Institution Kirche in Konflikt geraten. Die Kirchengeschichte zeigt das spannungsvolle Nebeneinander von verbindlicher Dogmatik und persönlicher Glaubenserfahrung. Die Dogmatik bemüht sich, die religiösen Inhalte vor einer nur persönlichen, oftmals emotional übersteigerten Subjektivität zu bewahren, während sich die Glaubensüberzeugung einer institutionellen Erstarrung entgegenstellt. 1 Jesus als Schmerzensmann Der Schmerzensmann neben der Sakramentsnische in der Sebalduskirche zeigt Jesus mit den Wundmalen. Man erkennt die durchbohrten Hände und die Seitenwunde. Die Figur wurde im Jahre 1374 im Zusammenhang mit dem Ausbau des Ostchores geschaffen. Jesus steht da, allein und losgelöst aus dem erzählerischen Gesamtzusammenhang des Kreu-zigungsgeschehens. Er ist nicht mehr der, der am Kreuz gelitten hat. Er ist aber auch nicht der, der im Himmel zur Rechten Gottes sitzt. Er wirkt ruhig und gelassen und mit seinem goldenen Mantel auch irgendwie würdevoll. Mit freundlichen, fast liebevollen Augen schaut er auf die Gläubigen unter ihm, so als wollte er sagen: Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken oder Siehe, ich bin bei euch bis an der Welt Ende Die Figur ist damit keine wirklichkeitsnahe Darstellung. Sie ist ein Symbol, das für die Über-windung des Todes und für die Erlösung aller Menschen durch sein Kreuz steht; Jesu Leiden und Tod verdankt die Menschheit Leben und Rettung. Der Schmerzensmann zeigt Jesus als den Gottessohn, den der Vater in die Welt gesandt hat um durch sein Leiden und seinen Tod die Menschheit zu erlösen. So ist es verständlich, dass man den Schmerzensmann oftmals in der Nähe von Grabmälern aufgestellt hat. Hierdurch sollte die Gewissheit zum Ausdruck kommen, dass die Verstorbe-nen durch die Heilstat Jesu nicht verloren sind sondern das ewige Leben haben. So sollen Trost und Zuversicht geweckt werden. In der Sebalduskirche gibt es neben dem zur Sakramentsnische gehörenden Schmerzensmann noch vier weitere Darstellungen. Man kann davon ausgehen, dass es sich in diesen Fällen um Stiftungen handelt, die in Verbindung zu den Grablegen der entsprechenden Patrizierfamilien Behaim, Ebner, Holzschuher und Zenner stehen. Eine ausführliche Diskussion hierzu findet man in [ 5 ]. Das Bild von Jesus als Schmerzensmann richtet sich an das gefühlsmäßige Empfinden des Betrachters. Es spricht weniger den Verstand an als vielmehr das Gefühl. Mitleid und gleich-zeitig einfühlsame Ergriffenheit sollen geweckt werden. Es entsteht dadurch eine unmittelba-re, persönliche Beziehung zwischen dem gläubigen Betrachter und dem Heiland. Sicherlich

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spürt man hier nach Nachklang des mystischen Erlebens, wie es sich in der vorhergehenden Zeit entwickelt hatte.

Familie Behaim Familie Ebner Familie Holzschuher Familie Zenner 2 Die wirkliche Person und das individuelle Bild Das Bewusstsein konstruiert zu den realen Sachverhalten Bilder oder Modelle, die sich zu einer Weltanschauung zusammenschließen, wobei einem Objekt der realen Welt jeweils ein dazugehöriges Bild oder Modell im Bewusstsein entspricht. So liefert z.B. der Erkenntnisprozess zu einer realen Person ein Bild, das sich das erkennende Subjekt von der Person macht. Dieses Bild ist mit Sicherheit stark vereinfacht und verkürzt; es enthält weniger Eigenschaften als das wirkliche Objekt. Zudem besteht es in der Regel nicht nur aus Sachinformationen sondern umfasst vollständige Einstellungen, die neben der Sachinformation auch Emotionen, Handlungsdispositionen, Werte und soziale Komponenten betreffen. Es gehen hierbei zusätzlich die Weltanschauung, die persönliche Erfahrung, der Kenntnisstand aber auch persönliche Charaktereigenschaften gestaltend mit ein. Diese Einsichten sollen zunächst an Martin Luther deutlich gemacht werden. Sie lassen sich dann auch auf Jesus von Nazareth übertragen. 2.1 Martin Luther Das Objekt der realen Welt sei der Reformator Martin Luther. Jeder einzelne Mensch wird ein Lutherbild in seinem Bewusstsein konstruiert haben, das zunächst die nüchternen Sachin-formationen enthält. Hierbei wird bereits deutlich, wie stark schon dieses Bild von den per-sönlichen Erfahrungen und dem Kenntnisstand abhängt. Das Lutherbild eines Historikers wird viel bunter, genauer und facettenreicher sein als beispielsweise das Lutherbild eines ein-fachen Katholiken, der von Luther vielleicht höchstens den Namen kennt. Wieder andere Bil-der werden ein evangelischer bzw. ein katholischer Theologe haben. Die Wissenschaft bemüht sich um ein Bild der Realität, das möglichst umfassend die wesent-lichen Eigenschaften des zu untersuchenden Objektes enthält. Alle Komponenten, die zusätz-lich eine Einstellung ausmachen, sollen so weitgehend ausgeblendet werden. Die Geschichts-

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wissenschaft versucht z.B., sich dem wirklichen Luther mit ihrem Bild so gut zu nähern wie es möglich ist. Eine ausführliche Darstellung dieser Vorgehensweise findet man in Kapitel 4 Das Tucher Epitaph unter dem Abschnitt 2 Einstellung und Kommunikation. Nun ist es offensichtlich, dass das Bild, das ein Mensch von einem Sachverhalt oder von einer Person hat, umso weiter von der reinen Sachbeschreibung abweicht, je näher die Person dem Betroffenen steht. Eine Person, mit der man persönlich verbunden ist und zu der man eine unmittelbare Beziehung hat, wird man nicht nur in Bezug auf ihre objektiven Eigenschaften wahrnehmen. Vielmehr werden Gefühle, Wertschätzungen, Handlungsdispositionen oder so-ziale Komponenten das Bild mitgestalten. Als unbefangener Mensch, z.B. als ein Angehöriger einer anderen Religion kann man Luther relativ sachlich sehen. Bei einem geliebten Menschen hingegen kommen zu dem, was man sachlich über ihn weiß, noch Gefühle wie z.B. Zuneigung, Wertungen, wie z.B. Hochachtung, Handlungsdispositionen wie z.B. Fürsorge oder soziale Komponenten wie z.B. die Beachtung seines Ansehens hinzu. Das Bild, das ein Außenstehender von Luther hat, wird fast ausschließlich Sachinformationen enthalten, während das Bild eine guten Freundes oder auch eines verhassten Feindes in Bezug auf die nichtsachlichen Anteile einer Einstellung viel ausgestalteter und vielschichtiger sein wird. Im Bild des Feindes oder Freundes wird sich daher sehr viel Persönliches, Individuelles wie-der finden, das andere nicht in dem Maße nachempfinden können. Eine weitere Einsicht wird in diesem Zusammenhang wichtig. Die Betroffenheit eines Men-schen in Bezug auf eine Person führt erfahrungsgemäß dazu, dass das Bild, das man sich von der Person gemacht hat, häufig um an sich sachliche Informationen bereichert wird, die je-doch nicht der Wirklichkeit entsprechen, und die ihre Wurzeln in dem Bemühen haben, die persönlichen Einstellungen auch für andere nachvollziehbar zu machen. Hier liegt die tiefere

Ursache für alle Legendenbildung. Legenden sind keine Märchen und schon gar keine Lügengeschichten. Sie zeigen vielmehr das Bemühen, z.B. die persönlichen Gefühle oder die eigenen Wert-schätzungen zu versachlichen und damit allgemein verbindlich zu machen. Bei einer so einprägsamen und für die persönliche Le-bensgestaltung so wichtigen Persönlichkeit wie Martin Luther ist es nicht verwunderlich, dass sich um seine Person zahlreiche Legenden gebildet haben. Die be-kanntesten sind wohl die folgenden (Siehe hierzu [ 1 ]): Luther gelobt bei Blitz und Sturm, Mönch zu werden Luther nagelt die 95 Thesen an die Tür der Schlosskir-che zu Wittenberg Luther kämpft auf der Wartburg mit dem Teufel Kaiser Karl V besucht das Grab des Reformators Luther und das Apfelbäumchen Luthers Ausspruch: "Hier stehe ich und kann nicht an-ders! Gott helfe mir, Amen!"

Im Laufe der Zeit werden die Legenden ein Teil des Bildes, das man sich von dem Betroffe-nen macht. Die Geschichten und Ereignisse werden in die kollektive Vorstellung integriert

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und erweitern, bereichern und färben damit das, was man für die Wirklichkeit hält. Es ist dann nicht mehr unterscheidbar, was tatsächlicher Sachverhalt und was legendäre Erzählung ist. Besonders die bildlichen Darstellungen haben entscheidend dazu beigetragen, das Lutherbild zu prägen und im allgemeinen Bewusstsein zu verankern. Die Überzeugungskraft künstleri-scher Darstellungen ist unübertroffen. So haben z.B. die Lutherstatue in Worms oder das Gemälde „Martin Luther stellt auf dem Reichstag zu Worms Kaiser Karl V. seine Thesen vor“ wie wenig anderes dazu beigetragen, das allgemein für wirklich gehaltene Lutherbild zu gestalten.

Luther vor Kaiser Karl V auf dem Reichstag von Worms

Das, was sich von einem einzelnen Menschen sagen lässt, kann man auch auf eine Gesell-schaft oder sogar auf eine ganze Kulturepoche übertragen. Das Bild, das man sich zu einer ganz bestimmten Zeit in einer Gesellschaft von einer Persönlichkeit macht, steht nicht ein für alle Male fest sondern ändert sich in Abhängigkeit vom Zeitgeist , der kulturellen Situation, der vorherrschenden Weltanschauung oder gesellschaftlichen Bedürfnissen. So wird z.B. das heutige Lutherbild der Protestanten anders aussehen als das Lutherbild der katholischen Kirche. Auch hat es zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Einstellungen zu Luther gegeben. Das Lutherbild sowohl der Protestanten als auch der Katholiken zur Zeit der Gegenreformation unterscheidet sich deutlich von den Lutherbildern der Gegenwart. Hiervon sind besonders Komponenten wie z.B. die Wertung oder die emotionale Reaktion betroffen. Die Einsicht mag desillusionierend sein, dass das Bild im Bewusstsein oftmals nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt, keine objektiven Sachverhalte wiedergibt und gelegentlich durch Legenden verfremdet wird. Das könnte die Beharrlichkeit erklären, mit der man an den Bil-dern hängt und mit der man ihren Wirklichkeitsbezug verteidigt. 2.2 Jesus von Nazareth Das Beispiel Luther soll zeigen, dass das, was man von einer wirklichen Person wissen kann, immer nur ein Bild ist, das sich im Bewusstsein aufbaut und das niemals mit der Realität de-

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ckungsgleich ist. Das Bild repräsentiert immer nur einen verkürzten Ausschnitt der Wirklich-keit. Wie dieses Bild im Bewusstsein aussieht und welche Einstellungen damit verknüpft sind, hängt von einer Reihe von Sachverhalten ab. Das Bild wird einmal von individuellen Fakto-ren beeinflusst wie z.B. der persönlichen Betroffenheit, dem eigenen Interesse, dem Wissens-stand oder der Aufnahmefähigkeit. Unabhängig davon erscheint dieses Bild jedoch auch im kollektiven Bewusstsein einer Zeit oder einer Epoche und ist hier ebenfalls unterschiedlichen, prägenden Einflüssen unterworfen. Legenden und anschauliche Darstellungen tragen dazu bei, das Bild sowohl im individuellen als auch im kollektiven Bewusstsein lebensnäher, bunter, überzeugender und verbindlicher zu machen. Die Einsichten, die am Beispiel Martin Luthers erläutert worden sind, gelten auch für den Menschen Jesus von Nazareth. Was man von ihm weiß, sind keine objektiven Sachverhalte sondern immer nur Bilder, die man sich von ihm gemacht hat. Sie zeigen nicht den wirkli-chen, „objektiven“ Jesus sondern immer nur das Bild dieses Jesus, wie es sich im Bewusst-sein der Betroffenen widerspiegelt. Im Vergleich zu Martin Luther kommt erschwerend hinzu, dass man von Jesus kaum histo-risch nachvollziehbare Informationen besitzt. Alles Bemühen, dem wirklichen Jesus näher zu kommen und etwas über sein tatsächliches Wirken zu erfahren, ist vergeblich. Die so genann-te Leben Jesu Forschung hat gezeigt, dass das nicht möglich ist. Nur in dem, was man als wahre Jesusworte ansieht, wird der wirkliche Jesus schemenhaft sichtbar. Auch in den Evangelien, die zwei oder drei Generationen nach dem Tod Jesu verfasst worden sind, wird der wirkliche Jesus nicht greifbar. Auch die Evangelien zeigen nur, wie die frühen Gemeinden und damit auch die Verfasser der Evangelien Jesus gesehen und empfunden ha-ben. Die Evangelisten zeigen nicht, wie Jesus wirklich war. Sie machen deutlich, wie Jesus auf sie gewirkt hat, und welche Einstellungen sie mit ihm verbunden haben. Bereits die Evangelien zeigen, wie sich Jesus in unterschiedlichen Persönlichkeiten unter-schiedlich widerspiegelt. Jeder der vier Evangelisten hat eine eigene Christologie, das heißt, jeder zeigt ein eigenes Jesusbild, das sich von den Jesusbildern seiner Evangelistenkollegen unterscheidet. Zum Teil sind sogar Widersprüche bemerkbar. Eine gute Darstellung hierzu findet man in [ 2 ]. Diesem Buch sind die folgenden Zitate entnommen. Zu Markus: Das Markusevangelium ist von einer starken Spannung durchzogen. In seiner Darstellung werden zwei kontrastierende Bilder von Jesus miteinander verbunden. Jesus erscheint zu-nächst als der mit göttlicher Vollmacht ausgestattete Gottessohn… Anderseits stellt Markus den Weg Jesu als Leidens- und Todesweg dar. Zu Matthäus: Die doppelte Frontstellung gegen christliche Schwärmerei und pharisäische Gesetzlichkeit ist eine wesentliche Voraussetzung der theologischen Konzeption des Matthäus. Von hier wird begreiflich, weshalb er das Hauptschwergewicht auf die ethische Verkündigung Jesu legt und die Lehre als das eigentliche Werk Jesu darstellt. Zu Lukas: In der kompositorischen Anordnung kommt die christologische Auffassung des Lukas zutage. Sie ist im Wesentlichen durch die hellenistische Vorstellung vom „göttlichen Menschen“ ge-prägt. So nennt er Jesus einen Mann „von Gott… beglaubigt durch mächtige Taten, Wunder und Zeichen, die Gott durch ihn gewirkt hat.“ Dem Leiden und Sterben Jesu misst er kein theologisches Gewicht, geschweige denn Heilsbedeutung bei.

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Zu Johannes: Evangelium und Briefe des Johannes bilden eine Schriftengruppe für sich. Sie sind Dokumen-te eines theologischen Denkens mit ausgeprägter Eigenart und von eindrucksvoller Ge-schlossenheit… Jesus ist der göttliche Logos, der „im Anfang“ war, die Welt schuf und alles, was ist, mit Leben erfüllte. In ihm ist der Logos Mensch geworden und in ein irdisches Le-bensschicksal hineingetreten… Hinter dieser christologischen Auffassung ist die Offenbarer- und Erlösungsgestalt zu erkennen, die im Mittelpunkt der Gnosis steht und religionsgeschicht-lich gesehen hier auch ihren Ursprung hat. Frühzeitig hat sich auch die Legendenbildung der Gestalt Jesu angenommen. Es ist nicht ver-wunderlich, dass eine derartig herausragende Gestalt wie Jesus von einer derartig existenziel-len Bedeutung dazu geführt hat, dass sich die Betroffenen gedrängt sahen, das, was sie mit Jesus erfahren haben und was Jesus für sie bedeutet hat, in Geschichten und Bildern zur Dar-stellung gelangen zu lassen. Bereits die Evangelien enthalten viel legendäres Gedankengut. (Siehe hierzu [ 2 ]. Wie bei Legenden ganz allgemein haben auch die Legenden um Jesus dazu beigetragen, das Jesusbild der späteren Zeit zu gestalten und zu prägen. So gehört z.B. die von Lukas erzählte Legende von Jesu Geburt im Stall wie selbstverständlich zu dem Jesus, der in unserem Be-wusstsein lebt. Gleichzeitig kann als sicher gelten, dass es nicht so war, sondern dass es sich um eine Legende handelt, mit der die frühen Christen die Bedeutung hervorheben wollten, die Jesus für sie gewonnen hatte. Die Einsicht, dass das, was man über Jesus weiß, keine objektive Darstellung ist sondern, dass man nur Zeugnisse von Betroffenen kennt, die ihre persönlichen und damit subjektiven Erfah-rungen beschreiben, mag etwas Erschreckendes und Angsteinflößendes haben. Geht nicht mit dieser Einsicht alle Glaubensgewissheit verloren? Verliert man nicht einen wertvollen Schatz unwiederbringlich, wenn man die vielen schönen und auch liebenswerten Geschichten, die sich um Jesus ranken, als Legenden erkennt und einsieht, dass hier keine Tatsachen beschrie-ben werden? Die intellektuelle Redlichkeit nötigt dazu, sich von Illusionen frei zu halten und sich dem zu stellen, was man als richtig und vertretbar erkannt hat. Die damit verbundenen Gefährdungen sind offensichtlich. Gleichzeitig wird dadurch eine neue Freiheit gewonnen, die von aller dogmatischen Festlegung befreit und es möglich macht, nach einem neuen Jesusbild zu su-chen. Die Theologie der Gegenwart geht diesen Weg mit anerkennenswertem Mut. Ein Bei-spiel, das für viele steht, findet man in [ 3 ]. Gleichzeitig muss man jedoch auch sehen, dass die in der theologischen Auseinandersetzung gewonnenen Überzeugungen in ihrer Abstraktheit und Lebensferne für die Gemeindefröm-migkeit oftmals wenig taugen. Sie sind viel zu anschauungsfern und bilderarm, als dass sie in der vorliegenden Form den Bedürfnissen der Gemeindemitglieder entsprechen könnten. Die Beharrlichkeit des religiösen Fundamentalismus hat sicher eine Ursache in dem Sachverhalt, dass die moderne Theologie die Erwartungen nach Sinngebung und Lebensorientierung nicht ausreichend erfüllen kann. Hier muss der schwierige Weg versucht werden, die Kluft zwi-schen Universitätstheologie und Gemeindefrömmigkeit zu überbrücken. Es sind Formen und Bilder zu finden, die in der Gemeinde Glaubenssicherheit möglich machen, ohne sich auf nicht mehr vertretbare dogmatische Festlegungen oder legendäre Erzählungen zu stützen.

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3 Jesusbilder Es ist interessant zu sehen, dass sich Jesus nicht nur in einzelnen Persönlichkeiten individuell widerspiegelt, sondern dass diese Beobachtung auch für kulturelle Epochen gilt. Einzelne Zeitabschnitte haben ein jeweils eigenes Jesusbild entwickelt. Hierbei haben die vorherr-schende Weltanschauung, aber auch wirtschaftliche, soziale und politische Rahmen- und Randbedingungen prägend mitgewirkt. An einigen Beispielen soll gezeigt werden, wie man sich das vorstellen kann. Hierbei handelt es sich nur um Anregungen. Eine genaue und gewis-senhafte Analyse muss der Kultur-, Religions- und Kunstwissenschaft vorbehalten bleiben. 3.1 Das Jesusbild der Spätantike Die Christologie, so wie sie sich zur Zeit dogmatisch verbindlich darstellt, hat nicht von An-fang an unverändert existiert. Sie hat sich vielmehr im Laufe der Geschichte entwickelt. Be-sonders entscheidend waren hier die Entschlüsse der Konzilien der Spätantike. Hier wurde grundlegend festgestellt, wer Jesus war und welche Bedeutung ihm zuerkannt werden soll. Das Jesusbild erhielt hier erste, konkrete Konturen. Das geschah zum Teil auf Grund erbitter-ter Auseinandersetzungen. Ein Beispiel ist das 3. Ökumenische Konzil von Ephesus im Jahre 413. Auf diesem Konzil standen sich der Patriarch von Alexandrien Cyrill als Vertreter der Alexandrinischen Schule und der Patriarch von Konstantinopel Nestor als Vertreter der Antiochenischen Theologie gegenüber. Es ging um das Wesen Jesu. Ist Jesus Gott oder Mensch? Nestor vertrat die Vorstellung, dass Jesus Mensch gewesen sei und der göttliche Logos nur in Jesus Wohnung genommen habe wie in einem Tempel. Maria könne daher nur Christusgebä-rerin genannt werden. Cyrill hingegen war der Überzeugung, dass es nur eine Natur des fleischgewordenen Logos geben könne. Für ihn war Maria Gottesgebärerin.

Jesus als Weisheitslehrer

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Nach einem bewegten Verlauf des Konzils, in dem auch Gewalt, gehässige Angriffe und In-trigen eine Rolle gespielt haben, setzte sich die Vorstellung des Patriarchen Cyrill durch. Man fragt sich, ob die Kirchenväter tatsächlich immer vom Heilige Geist geleitet wurden, um der Wahrheit in der Kirche zum Durchbruch zu verhelfen. Die junge Kirche musste sich bei der Ausgestaltung ihres Jesusbildes gegen die bestehenden nicht-christlichen Vorstellungen durchsetzen. Gleichzeitig hat sie jedoch auch Gedankengut der Zeit übernommen und in ihre eigene Christologie eingebaut. Das ist nur natürlich, da ein neues Jesusbild nicht aus dem Nichts geschaffen werden konnte sondern vielmehr Teile und Versatzstücke aus der bestehenden Welt zuziehen musste. Die vorstehende Katakombenmalerei zeigt einen jungen, bartlosen Jesus mit Toga und Buch-rolle im Kreis seiner Jünger. Er wird hier als ein antiker, von seinen Schülern umringter Weis-heitslehrer gesehen. 3.2. Das Jesusbild des frühen Mittelalters Das nachstehende Bild zeigt Jesus aus dem Book of Kells. Die Herkunft des Book of Kells ist bis heute nicht vollständig geklärt. Es wird allgemein da-von ausgegangen, dass es im 8. Jh. im Kloster auf der Insel Iona an der Westküste Schottlands begonnen wurde. Es handelt sich um ein Werk höchster Qualität, das sicherlich nicht zum alltäglichen Gebrauch bestimmt war. Allein der Zeitaufwand zur Herstellung eines derartigen Prunkwerkes war beachtlich. Zur Fertigstellung einer Seite benötigte eine Person schätzungsweise einen Monat. Das Kloster ließ Künstler von weit her kommen. Man weiß, dass 185 Kälber geschlachtet werden muss-ten, um das Pergament für das Buch fertigen zu können. Die verwendeten Farben waren be-sonders wertvoll. Das Pigment das man für die verschiedenen Blautöne benutzte, war Lapis-lazuli, das man damals nur von einer einzigen Fundstelle in Afghanistan beziehen konnte. Roter Farbstoff wurde aus der Kermesschildlaus nur gewonnen, die nur im Mittelmeerraum zu finden ist. Hieraus wird die ungeheuere Bedeutung des Evangeliums und seiner schriftli-chen Fassung deutlich, die für die gegenwärtige Zeit kaum noch nachvollziehbar ist. Man wird wohl nicht fehlgehen, wenn man sich die Insel Iona im 8. Jahrhundert als einsamen und weltverlassenen Ort vorstellt. Dichte, unwegsame Wälder und eine felsige stürmische Küste bildeten die unwirtliche, abweisende Umgebung. Dazu kamen die Gefährdungen durch die Angriffe der Wikinger, die gegen 810 das Kloster zerstörten, sodass heute nichts mehr davon übrig ist. Man ist fasziniert, dass in einer derartig feindseligen Welt ein derartig großartiges Kunstwerk entstehen konnte. Die warmen Farben zeugen von einer tiefen Glaubensgewissheit, von einer großen inneren Kraft und einem bewundernswerten seelischen Reichtum. Jesus sieht mit großen, weit geöffneten Augen auf den Beschauer und seine Welt. Gleichzei-tig wird ganz deutlich, dass dieser Jesus sagt: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ Aus diesem Grund ist Jesus auch nicht realistisch dargestellt. So bilden z.B. die Haare ein kelti-sches Flechtwerk. Dieser Jesus ist keine realistische Figur; er ist ein Symbol und ein Sinnbild für das, was Karl Jaspers Transzendenzbewusstsein genannt hat. Das Bild, das die keltischen Mönche entwickelt und in ihrem Manuskript auf großartige Wei-se zur Darstellung gebracht haben, legt der Wirklichkeit keine Bedeutung bei sondern ver-weist auf ein besseres Jenseits, das durch die Liebe Jesu erreicht werden kann. Die beiden Pfauen neben dem Kopf von Jesus als Symbol des ewigen Lebens bezeugen das.

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Jesus aus dem Book of Kells

3.3 Der Christus Pantokrator Das nachstehende Mosaik zeigt Jesus als Christus Pantokrator. Es wurde um das Jahr 1020 im griechischen Kloster Daphni geschaffen. Es ist ein gutes Beispiel für die Jesusvorstellun-gen im byzantinischen Reich dieser Zeit. Ein moderner Betrachter wird von diesem Jesus schockiert sein. Soll das wirklich der Jesus sein, den man kennt? Hier steht ein herrischer, finster blickender, fast böser Mann vor uns, der unnahbar und fern wirkt. Er ist kein Heiland sondern ein Pantokrator, ein Allesbeherr-scher, der die Welt mit Strenge und ohne Nachsicht in Ordnung hält. Der Pantokrator in Daphni vermeidet den Blickkontakt zu denen, die hilfe- und trostsuchend zu ihm aufsehen. Er ist nicht anwesend in der Gemeinde der Kirche, in der er abgebildet ist. Prüfend überwacht er, dass sich nicht in einer anderen Weltecke Gesetzlosigkeit oder Zuchtlosigkeit ausbreiten.

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Welches Bild von Jesus muss sich in der Seele der Gläubigen finden, das zu einer derartigen Darstellung führen konnte? Wird man diesem Jesus die tröstenden Worte zumuten können, die wir den Schmerzensmann aus der Sebalduskirche zugeordnet hatten: Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.

Christus Pantokrator aus der Kirche in Daphni

Vielleicht kommt man dem Christus Pantokrator näher, wenn man sich die kulturelle und po-litische Situation im Byzanz der damaligen Zeit vor Augen führt. Im Gegensatz zu Westrom hat Byzanz den Sturm der Völkerwanderung überstanden. Es blieb Hauptstadt des lange Zeit mächtigen oströmischen Reiches, das erst mit der Eroberung durch die Osmanen im Jahr 1453 ein Ende fand. Im Laufe der Zeit hatte sich in Byzanz eine theokratische und autokratische Regierungsform herausgebildet. Der Kaiser war uneingeschränkter Herrscher über Kirche und Staat. Eine strenge, straff organisierte Verwaltung sorgte für Disziplin und Ordnung. Auf diese Weise konnten mit ausgeprägtem Selbstbehauptungswillen und äußerster Kraftanstrengung die stän-digen Angriffe der Nachbarvölker z.B. der Bulgaren abgewehrt werden. Es wurde bereits festgestellt, dass man zur Ausgestaltung eines Bildes immer auf die in einem Zeitabschnitt verfügbaren Muster und Vorlagen zurückgreifen muss. Sicherlich hat man sich

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in Byzanz bei den eigenen Vorstellungen über Jesus am Kaiser orientiert. So wie der Kaiser mit Gewalt und Macht die Ordnung in einer gefährdeten Welt aufrecht erhält, so tut es auch Jesus. 3.4 Das Jesusbild der Spätgotik Die Spätgotik in Deutschland im ausgehenden 15. Jahrhundert war eine Zeit des Übergangs. Das mittelalterliche Weltbild hatte seine Überzeugungskraft verloren. Das neue Weltbild der Renaissance mit seiner Betonung der Schönheit der irdischen Welt, der Leistungsfähigkeit des menschlichen Verstandes und seinem Humanismus hatte sich noch nicht durchgesetzt. Auf der einen Seite herrschten in der einfachen Bevölkerung ganz allgemein eine tiefempfun-dene Todesangst und eine bedrängende Höllenfurcht vor. Auf der anderen Seite befand sich

die Kirche, die Trost und Zuversicht hätte ver-mitteln können, in einem desolaten ZustandDer Klerus war oftmals ungebildet und den Aufgaben der Seelsorge nicht gewachsen, dieKlöster hatten sich den Ruf der Verderbtheit und des Lasters erworben, die Bischöfe waren käufliche, machtbesessene Lebemänner und inder Kurie in Rom fand man Luxus,

.

weltliches

r-

li-die, die sich da unten auf der Erde

e-

inem lügel des Isenheimer Altars zeigt das.

e zeigen aufgewühlte Trau-

Wohlleben und politisches Kalkül. Die Welt mit Hungersnöten, Krankheit und Seuchen, sozialen Missständen, Rechtlosigkeitund Krieg wurde als schreckliches Jammertal empfunden. Die Menschen in dieser Welt warenerbarmenswürdige Wesen, der Erbsünde unteworfen und immerwährenden Anfechtungen ausgesetzt. Mit Aberglauben, Reliquienkult, Wallfahrten oder dem Kauf von Ablassbriefen versuchte man, dem immer drohenden Unheil zu entgehen. Gott mochte es geben. Er sah je-doch aus der Ferne unbeteiligt auf die menschche Tragöabspielt. Ein so feinfühliger und sensibler Künstler wie Mathias Grünewald hat das Lebensgefühl seinerZeit wie ein empfindlicher Seismograph aufgnommen und ins Bild gesetzt. Sein Bild Die Versuchung des Heiligen Antonius auf e

F Die gleiche innere Einstellung findet man auf dem zentralen Teil des Isenheimer Altars. Ein gequälter, zerschundener Leichnam hängt da am Kreuz, dessen Finger sich wie im Krampf in die Dunkelheit der Nacht strecken. Die Figuren auf der linken Seiter, die von Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit gezeichnet ist. Die Welt selbst zeigt sich als finsteres, freudloses Loch ohne Trost und Hoffnung. Johannes auf der rechten Seite weist auf Jesus als dem alleinigen Ort der Erlösung aus dem Jammertal.

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Mathias Grünwald durchlebt die Glaubensqualen seiner Zeit ganz unmittelbar. Gegenwärtige Betrachter vermögen diesem Bild gegenüber eine gewissen Distanz wahren können. Es han-delt sich schließlich nur um eine Altartafel von vor mehr als 500 Jahren. Mathias Grünewald hat Jesus im Gegensatz dazu ganz persönlich in dieser Weise erlebt und die Hoffnungslosig-

ntspricht ganz und gar dem Jesusbild von Veit Stoß, as Veit Stoß in seinem Wickel Kruzifix dargestellt hat und das in Kapitel 4.3 Das Wickel-che Kruzifix beschrieben worden ist.

keit und Verzweiflung, die aus dem Bild spricht, ganz direkt und persönlich erlebt. Sonst hät-te er sie nicht so eindrucksvoll und überzeugend darstellen können. Das Jesusbild von Mathias Grünewald eds

Grünewald, Isenheimer Altar

l-

Mathias

3.5 Das Jesusbild der Renaissance Die Renaissance ist eine Geistesrichtung, die sich bewusst von den Vorstellungen des Mittealters absetzt. An die Stelle des Jenseits rückt die diesseitige Welt. Sie wird in ihrer Ordnung

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und ihrer Schönheit gefeiert. Desgleichen verschiebt sich das Gewicht weg vom sündigen, von Todesfurcht und Höllenangst gequälten Menschen hin zur freien, selbständigen Persön-

rtum und Aberglauben zu befreien und zu wahrer Erkenntnis

setzt logisches Operieren durch direkte Beobachtung. Diese nach ußen gewandte Einstellung führt ebenso zur Erforschung der Sternenwelt wie zu abenteuerli-hen Entdec

Tizian, der Zinsgroschen

lichkeit, die ihre großartigen und einmaligen geistigen Fähigkeiten erkennt. Vorbilder sind dieDenker und Künstler der Antike, denen man nacheifert. Der Humanismus stellt die Würde des Menschen in den Vordergrund. Mit Hilfe seines Vers-tandes vermag er sich von Irfortzuschreiten. Die Entfaltung und die Entwicklung der im Menschen angelegten Möglich-keiten ist das ethische Ziel. Die Wissenschaft beginnt, sich von der scholastischen Abhänigkeit zu lösen. Sie entdeckt den Eigenwert der Natur und erac kungsfahrten.

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Die Kunst wendet sich ebenfalls der äußeren Welt zu und versucht, sie ihn ihrem eigenen Wert darzustellen. Wirklichkeitsnahe Darstellungen in Verbindung mit den neu entdeckten

l- Kreuz leidende und für die Sünden der Menschheit ge-

om Humanismus aufgestellten Vorbild des vollkommenen Menschen nachemp-

nden ist.

arock

r

h-

zu

atten

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sst-

ftmals theatrali-

Eigenwert und wird zum Schein und zur Theaterkulisse. Nicht

l Grecos Bild Der Heilige Franziskus zeigt den gekreuzigten Jesus wie er aus dem hell er-uchteten Jenseits in die Dunkelheit der Welt hereinbricht.

Möglichkeiten der Perspektive eröffnen eine ganz neue Sichtweise. Auch das Jesusbild der Renaissance entfernt sich deutlich von den Darstellungen des Mittelaters. Es steht jetzt nicht mehr der amstorbene Christus im Vordergrund. Wie weit weg von der Darstellung des Gekreuzigten bei Grünewald sind die Menschen, de-ren Bilder später die Renaissance entwerfen sollte und die als gute, schöne und edle Idealges-talten die Welt bevölkern. Der Jesus des Tizian lässt nichts mehr von der hoffnungslosen Ver-zweiflung ahnen, die man bei Grünewald spürt. Hier haben wir einen überlegenen Mann vongroßer innerer Ruhe und Ausgeglichenheit vor uns. Allein die Handbewegung Jesu ist fern von jeder Aufgeregtheit, Hektik oder inneren Zerrissenheit. Man könnte meinen, dass dieserJesus dem vfu

3.6 Das Jesusbild des B Bereits in der Mitte des 16.Jahrhunderts ging die dies-seitsbezogene Weltsicht deRenaissance verloren. Der optimistische Fortschritts-glaube an die Möglichkeiten der rationalen Erkenntnis und an die Fähigkeit der Menscheit, sich den edlen und heh-ren Idealen entsprechendentwickelen, hatte kläglich Schiffbruch erlitten. Die Grausamkeit des menschli-chen Wesens und die Uner-bittlichkeit der Natur hdie schönen Träume zerstört.Es war insbesondere die Ggenreformation nach dem Konzil von Trient, die ein neues Transzendenzbewusein geschaffen hat. Der Himmel trat wieder in seinRecht. In oscher Aufmachung greift das

Göttliche in die Vorgänge auf der Erde ein. Die Welt verliert wieder ihren dem rationalen Denker sondern vielmehr dem mystischen Visionär eröffnen sich Einsichtenin das Wirkliche und Wahre. Ele

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Ein ähnliches Jesusbild vermittelt das Begräbnis das Grafen Orgaz. Jesus, ganz der wirklichen

-

Sinnen darstellt, ist das wirklich Wahre. Der Verstand ist blind. Es ist ie geistige Schau, die hinter die täuschende Oberfläche sieht und einen Blick in die jenseiti-en Sphä

El Greco, Das Begräbnis des Grafen Orgaz

Welt entrückt, thront umgeben von zahllosen Heiligen über allem. Auf prachtvollen, wallenden Tüchern sitzend, bitten Maria und Johannes für den Verstorbenen. Die fahle, unwirkliche Farbgebung des Bildes und die exaltierte Verzerrung und Streckung der Körper betonen den irrealen Charakter des ganzen Vorgangs. Nicht die oberflächliche Welt, wie sie sich den dg ren eröffnet.

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hauer, Maler und Grafiker. Sein Werk ist vornehmlich dem Symbolis-

die Kunst einer degenerierten Spätzeit ohne innere Überzeugungskraft, die eher dekorativ ist, sich den Vorwurf der Effekthascherei gefallen lassen muss und schon

die Kunst einer degenerierten Spätzeit ohne innere Überzeugungskraft, ie eher dekorativ ist, sich den Vorwurf der Effekthascherei gefallen lassen muss und schon

Beschreibung auch emotionale, wertende,

3.7 Jesus im Olymp Max Klinger war Bildmus zuzuordnen. Das Bild Jesus im Olymp schildert sein fiktives Erscheinen im Sitz der griechischen Götter. Klinger ging es um die Synthese von christlicher Frömmigkeit und antikem Glauben, um dieVersöhnung von Religion und Mythos. Den gegenwärtigen Betrachter schockieren die kühle, eigenwillige Symbolik und die unter-schwellige Erotik, die diesem Bild innewohnen. Die Darstellung zeigt, wie weit sich das Je-susbild in der Moderne von den überkommenen, tradierten Vorstellungen entfernen kann. Es handelt sich wohl um

blasphemisch wirkt.

Klinger, Jesus im Olymp

Klinger ging es um die Synthese von christlicher Frömmigkeit und antikem Glauben, um dieVersöhnung von Religion und Mythos. Den gegenwärtigen Betrachter schockieren die kühle, eigenwillige Symbolik und die unter-schwellige Erotik, die diesem Bild innewohnen. Die Darstellung zeigt, wie weit sich das Je-susbild in der Moderne von den überkommenen, tradierten Vorstellungen entfernen kann. Es handelt sich wohl umdblasphemisch wirkt. 3.8 Das Jesusbild der Gegenwart Auch die Gegenwart ringt um ein Jesusbild. Es ist aus dem Bisherigen deutlich geworden, dass ein Jesusbild nicht einfach nur ein Bild aufeinem Stück Papier oder auf einer Leinwand ist, sondern eine umfassende Einstellung zur Geltung bringen möchte, die neben der sachlichen

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soziale und handlungsleitende Komponenten umfasst. Ein Jesusbild muss Teil einer glaubhaf-ten und nachvollziehbaren Weltanschauung sein.

en

n he

e auf Grund der rationalen Denk-

künstlerischen Darstellungen allesamt als Versuche werten, mit

individuellen Jesusbildes kann der Zyklus Der Kreuzweg von e Bild zeigt die 12. Station. Eine Darstellung aller

tationen findet man in [ 4 ]. e Bilder:

er

en esellschaft seinen Lebensraum

, mit

sen ahezukommen, es als beseeltes

Mathias Grünewald.

unwirklich erscheint auf der rechten Seite das agnus dei, das Lamm Gottes als

uf der linken Seite strecken sich zwei leere Hände nach oben. Sie mögen die letzten Worte

de, it denen sich der Gläubige Gott anvertraut. Er hat nichts, was er an Leistungen vorbringen

gewiesen.

Wie kann ein Jesusbild, das in diesem Sinn umfassend ist, in der gegenwärtigen Zeit aussehohne unaufrichtig zu sein? Jede Zeit ringt mit existenziellen Grundfragen, die die Tiefenschicht des Zeitgeistes bilden und die unteririsch die vorherrschende Weltanschauung tragen. Die Antworten hierauf gehein das Jesusbild ein. Man kann davon überzeugt sein, dass die Gegenwart auf unterschiedlicWeise einen Ausweg aus der Sinnlosigkeit sucht, in die siweise geraten ist. Wie müsste ein Weg gestaltet sein, der hier eine Lösung möglich macht, und wie würde er sich in einem Jesusbild manifestieren? Man kann die gegenwärtigendenen Einzelne zu einem Ergebnis kommen wollen. Von einer allgemein verbindlichen Aus-sage ist man weit entfernt. Als Beispiel eines derartigen, Bernhard Guski gelten. Das nachstehendSBernhard Guski sagt über sein Meine Arbeiten sind für mich Medien, etwas wachzurufen und mitzuteilen, was in unservon Maschinen und Computern gesteuerten und getriebenGmehr und mehr verliert: Empfinden für den anderendem anderen und damit einfühlend seinem WenWesen zu begreifen. Der Jesus von Guski, verzerrt und zerbrochen, erinnert an den Jesus des Dieser Jesus strömt nichts Tröstliches aus; das Bild zeigt das Ende am Kreuz. Die Welt ist ausgeblendet. Sie ist offensichtlich für Guski ohne Belang. Leicht und fast Zeichen und Symbol für die Überwindung des Todes. Es ist mehr eine Hoffnung als eine festeÜberzeugung. AJesu am Kreuz ausdrücken: Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist. Gleichzeitig zeigen sie eine Einstellung des Betroffenen: Es sind die bittenden, leeren Hänmkönnte und womit er sich zu empfehlen vermöchte. Er ist auf Gottes Gnade an Nicht für jeden wird dieses Jesusbild überzeugend und nachvollziehbar sein.

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Fällt Guski hier nicht rückwärts gewandt zurück in eine Zeit der Weltverneinung und in die Überzeugung von der Nichtigkeit des Menschen? Hat Guski den Anspruch und die Aufforderung zur Gestaltung der Welt und des Menschen auf etwas Vollkommeneres oder Besseres hin aufgegeben, wie sie z.B. der Humanismus der Renaissance vorgestellt hat? Ist die Hoff-nung auf die Überwindung des Todes in einem Jenseits wirklich alles, was m

-

öglich ist? Und

eg aus der Sinnlosigkeit gezeigt? Braucht die Gegenwart nicht in anderes, weltbezogenes und humanes Jesusbild? Ist Guskis Jesusbild in dieser Beziehung ahr in einem höheren Sinn?

bleiben nur ein zerschundener Jesus, ein Bild ohne Welt, ein Lamm Gottes und leere nach oben gestreckte Hände? Bleibt wirklich nur die innerweltliche Resignation? Wird hier ein gangbarer Auswew

Bernhard Guski, Zwölfte Station – Jesus stirbt am Kreuz

-

rl

ährend andere in dieser Beziehung eher empfindungs-

4 Was folgt daraus? Wenn man sich die Jesusbilder noch einmal der Reihe nach vor Augen führt, wird man zur Überzeugung gelangen, dass jeder ganz persönlich auf Jesus reagiert und sich ganz eigenständig von ihm ansprechen lässt. Das individuelle Jesusbild wird von vielen Faktoren abhängen. Hierzu gehören sicherlich die Lebenserfahrung, aber auch die Persönlichkeit und die Fähig-keit aber auch der Wille, auf religiösen Themen einzugehen und das zu entwickeln, was KaJaspers Transzendenzbewusstsein genannt hat. Die Metapher von Veronika mit dem Schweiß-tuch ist wohl zutreffend. Jesus spiegelt sich in jedem Bewusstsein in eigener Weise. Dazu kommt, dass manche ein sehr aufnahmefähiges Tuch haben und ein sehr farbiges, ausgestalte-tes Jesusbild im Bewusstsein tragen, w

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los sind, ein Eindrücke abweisendes Tuch besitzen und daher nur über ein karges, nüchternJesusbild in ihrem Inneren verfügen. Dazu kommt, dass jeder in seinen Vorstellungen und mit seiner Weltanschauung von dem Zeitgeist abhängig ist, der ihn umgibt. Das gilt auch für das Jesusbild. Man kann sich nur sehrschwer aus seiner Zeit verabschieden und unabhängig ein ganz eigenes Jesusbild entwerfen. Für die Gegenwart bedeutet das, dass man die Erke

es

nntnisse der Naturwissenschaften ebenso gebnisse der modernen Theologie z.B. das, was die kri-

rt hat.

en:

ie ein di-

den. Diese Verschiedenheit ist jedoch nur oberflächlich. Die Verschiedenheit lt

nd das ganz Andere und nicht erfahrbar. Wir Men-

esus ist eine zu herausragende Persönlichkeit, als dass man ihn übergehen könnte. Er nötigt ur Entscheidung und zur Stellungnahme.

zur Kenntnis nehmen muss wie die Ertisch-historische Methode zu Tage gefördeWas folgt aus diesen Überlegungen? Man kann vier Einstellungen einnehm* Alle Jesusbilder sind nur persönliche Erfindungen und damit falsch. Es sind Projektionen, denen nichts Wirkliches entspricht. * Alle Jesusbilder sind zutreffend und wahr und betonen nur unterschiedliche Aspekte. Hier trifft das indische Gleichnis vom Elefanten und den Blinden zu: Jeder Blinde berührt und be-tastet einen anderen Teil des Elefanten. Für den einen wird daher ein Elefant sein wckes stämmiges Bein, ein anderer wird sich einen Elefanten wie einen langen Rüssel vorstel-len während wieder ein anderer meint, ein Elefant sei ein großes, wackeliges Ohr. * Die verschiedenen Jesusbilder der einzelnen Menschen und Zeitepochen sind zugegebener Maßen verschiebetrifft nur die Schale. Der Kern ist immer der gleiche. Man muss die Verpackung vom Inhaunterscheiden. * Das Göttliche und damit auch Jesus sischen sind gezwungen, dass Unbegreifliche, Numinose mit immer neuen Bildern zu umkrei-sen, ohne es je ganz fassen zu können. Jz Literatur [ 1 ] www.luther.de/legenden/ [ 2 ] Neues Testamant; Hrsg. Gerhard Iber; R.Piper&Co. Verlag, München 1972 [ 3 ] Spong, John, Sh.; Was sich im Christentum ändern muss; Patmos Verlag, Düsseldorf 2004 [ 4 ] www.guski-kunst.de/cat9098.html [ 5 ] Weilandt, Gerhart; Die Sebalduskirche in Nürnberg; Michael Imhof Verlag, Petersberg, 2007