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Hintergrund[Bearbeiten]
Fernaus Vater war Beamter in Bromberg in der Provinz Posen. Die Familie zog 1920 nach Schlesien.
Nach dem Abitur im Jahr 1929 am evangelischen Humanistischen Gymnasium in Hirschberg studierte
Fernau an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin Philosophie und Geschichte, ohne ein Examen
abzulegen. Er arbeitete in Berlin als auf Sportreportagen spezialisierter freier Journalist vor allem für
den Ullstein Verlag und für die Telegraphen-Union. In Berlin lernte Fernau Gabriele Kerschensteiner
kennen, Enkelin des Pädagogen Georg Kerschensteiner, die er 1943 heiratete.
Kriegseinsatz[Bearbeiten]
Nachdem Fernau 1939 zum Wehrdienst einberufen wurde, meldete er sich freiwillig zur Waffen-SS.
Seit Frühjahr 1940 war er in der SS-Kriegsberichtereinheit (Propagandakompanie) der SS-Standarte
Kurt Eggers im Frontpropagandaeinsatz. In der SS erreichte er den Rang eines Obersturmführers (als
Wehrmachtsrang: Oberleutnant).[1]1942 und 1943 berichtete er von der Ostfront. Fernaus
Kriegsberichte wurden in zentralen Propagandamedien des Regimes wie Das Reich,[2] Völkischer
Beobachter oder Das Schwarze Korps veröffentlicht.
Fernau war Spezialist für Durchhalteartikel, die die Bereitschaft zur Kriegsverlängerung und den
Glauben der Bevölkerung an eine positive Kriegswende, den sogenannten Endsieg, fördern sollten.
So veröffentlichte er kurz nach der strategischen Niederlage der Wehrmacht bei Stalingrad am 4. April
1943 unter dem Obertitel Die Wende im Osten den ArtikelUngewissheit und Sieg in der Zeitung Das
Reich, in dem er die Anfang März 1943 erfolgte Rückeroberung von Charkow durch die Waffen-SS-
Einheit Leibstandarte Adolf Hitlerheroisierend schilderte. Er begann mit „Die SS lag starr wie eine
Barriere vor den sowjetischen Heerhaufen“ und endete mit „[…] der Feind flieht! Der Augenblick ist da;
die große Wendung! Es ist kein Zweifel mehr! Endlich, endlich!“[3] Im Frühjahr 1944 wurde Fernau
nach Frankreich versetzt. Unmittelbar nach der alliierten Landung am 6. Juni 1944 in
derNormandie verfasste er für Radio Paris die Ansprache Das Geheimnis der letzten Kriegsphase. Er
erklärte: „Der Sieg ist wirklich ganz nahe.“
Alliierte Militärparade am Pariser Arc de Triomphe nach Befreiung von Paris am 26. August 1944
Der Text erschien im Völkischen Beobachter vom 30. August 1944 und wurde in weiteren Zeitungen
nachgedruckt und breit rezipiert. Die Journalistin Ursula von Kardorff notierte am 5. September 1944
in ihr Tagebuch die große Aufregung, die der Artikel des „PK-Manns“ Fernau wegen des
Versprechens einer Wunderwaffe ausgelöst habe, mit der ganz England „in die Luft gesprengt“
werden könne.[4] Der Artikel sei „überall im Umlauf“, „er wanderte tagelang von Hand zu Hand, und
hier wurde er sogar den höheren Klassen in der Schule vorgelesen“ schrieb am 12. September 1944
Filmproduzent Ludwig Metzger an Ministerialrat Hans Fritzsche vom Propagandaministerium.[5] Nachgedruckt wurde er etwa in: Feldblatt Posen. Zeitung des Wehrkreises XXI.[6] Der PK-
BerichterstatterGeorg Schmidt-Scheeder erinnerte sich, dass im Februar 1945 ein Waffen-SS-Soldat
ihn in einer aussichtslosen Lage mit Hilfe dieses Artikels auf eine angeblich bevorstehende
Kriegswende einstimmte.[7]
Der deutsch-jüdische Philologe Victor Klemperer kommentierte in einem Tagebucheintrag vom 1.
September 1944 den am 29. August auch in der Dresdner Zeitung erschienenen Artikel, dem er eine
in derselben Ausgabe erschienene Meldung über die „gänzliche Aufgabe von Paris“ gegenüberstellt.
Klemperer äußert in seiner Notiz Zweifel am Wahrheitsgehalt des fernauschen Artikels. Er kritisierte
die von Fernau ausgegebene Parole als Durchhaltephrase: „Das ist das tollste, was man sich bisher
geleistet. Populär geheimnisvoll. […] Immerhin: mit der Parole Zeit gegen Raum u. mit den
geheimnisvollen Waffen hält man das Volk bei der Stange.“[8]
Auch von alliierten Staaten wurden die Artikel Fernaus zur Kenntnis genommen. Daniel Lerner,
Chefredakteur der Psychological Warfare Division (Division psychologischer Kriegführung), SHAEF in
den Jahren 1944–1945 und in der Nachfolgeorganisation Geheimdienstchef der Information Control
Division der OMGUS (1945–1946) war, wertete Fernaus Durchhalteartikel aus.[9] Im Februar 1945 kam
Fernau in ein Lazarett nach Baden-Baden.
1945–1988[Bearbeiten]
Nach dem Ende der NS-Zeit ging Fernau nach München, um dort als freier Schriftsteller und Journalist
zu arbeiten. Zwischenzeitlich arbeitete er als Redakteur in Stuttgart.
1952 erschien Deutschland, Deutschland über alles…, sein meistverkauftes Buch. Er publizierte
zahlreiche weitere Bücher – unter anderem Die Genies der Deutschen, Disteln für Hagen:
Bestandsaufnahme der deutschen Seele, Und sie schämeten sich nicht oder Rosen für Apoll, einige
davon Bestseller. Fernaus Gesamtauflage in den 1950er bis 1970er Jahren lag bei mehr als zwei
Millionen Exemplaren. Seine Schriften sind Sachbücher zur Geschichte und werden der trivialen
Unterhaltungsliteratur zugeordnet.[10]
Seit der zweiten Hälfte der 1960er Jahre kam es zu vermehrter Kritik an Fernaus Haltung
zum Nationalsozialismus. Otto Köhler schrieb 1966 eine Satire für pardon, in der er einen fiktiven
Dialog zwischen Joseph Goebbels und Fernau wiedergab: Goebbels habe Fernau den Auftrag zu
einem großen historischen Werk über Deutschland gegeben, das (so die Satire Köhlers) erst nach
1945 habe erscheinen können. Zu diesem Zeitpunkt war Köhler der zitierte Artikel im Völkischen
Beobachter noch unbekannt.[11] 1967 ordnet Peter Wapnewski den „Endsieg-Text“ aus
dem Völkischen Beobachter in der Wochenzeitung Die Zeit in das Werk Fernaus ein und wertete ihn
als „schändlichsten Durchhalteartikel dieses Krieges“. Er forderte Fernau auf, „das Handwerk des
Schreibens zu lassen, die Kunst der Prophetie aufzugeben, vor der Geschichtsdeutung zu
kapitulieren, das eigne Volk mit Bestandsaufnahmen künftig zu verschonen“.[12] „Unbildung“,
„schauderhaften Geschmack“, „Instinktlosigkeit“ und „Geschichtsfälschung“ warf Wapnewski Fernau
vor.
Fernau antwortete in der Zeit, Propaganda sei nun eben sein Auftrag gewesen, und führte aus: „Das
liegt nur 23 Jahre zurück. Aber wenn man jemand ‚fertig’ machen will, muss man weit ausholen, nicht
wahr? […] Berufsverbot, Bücher verbrennen – oh pardon, jetzt bin ich aus Gründen der Ähnlichkeit in
die falsche Spalte gekommen. Mein armer, mein furchterregend-deutscher Richter!“[13] Er wies alle
Vorwürfe zurück, er habe „niemals gehetzt und nie ein verherrlichendes Wort über den
Nationalsozialismus […] geschrieben.“ Und zwar, obwohl er „nicht freiwillig“ geschrieben habe,
sondern gleichsam kriegszwangsverpflichtet gewesen sei.[14] Der Sinn seines Endsieg-Appells sei
gewesen, den französischen Widerstand gegen die deutsche Besatzung zu schwächen, den er als
„Terror“ im „Partisanengebiet“ bezeichnete. Die Vorstellung von einem baldigen Kriegsende sollte
durch die Behauptung der Fähigkeit zur Kriegsverlängerung erschüttert werden.[14] Im Übrigen möge
man ihn in Ruhe lassen.[14]
Michael Schulte schrieb 1970 in der FAZ zu Fernaus Werk „Brötchenarbeit“, einer Zusammenstellung
von Feuilletons und Filmdrehbüchern: „[…] was sich hier unter dem Deckmantel spritziger Plauderei
an reaktionärem Gedankengut verbirgt, ist schwer erträglich“.[15] Ekkehardt Rudolf rezensierte in der
evangelisch-konservativen WochenzeitungChrist und Welt 1971 Fernaus Buch Cäsar läßt grüßen.
Nach ausführlicher Zitierung kommentierte er: „In diesen Zitaten steckt eine Gesinnung, die reaktionär
zu nennen euphemistisch wäre: mir erscheint sie antidemokratisch und demagogisch. Fast überflüssig
zu sagen, daß zwischen den Zeilen ein Bekenntnis zum Führerprinzip ablesbar ist.“[16]1977 erschien
Rolf Beckers Rezension von Fernaus „Halleluja. Die Geschichte der USA“ im Nachrichtenmagazin Der
Spiegel. Becker macht „völkisch-bildungsbürgerliche Ressentiments“ aus: „So wie Fernau hier […] die
amerikanische Indianervernichtung beschreibt und Hitler streift, ist wohl klar, wo die größeren
Verbrechen zu sehen sind. Deutschland, so läßt er durchblicken, war an beiden Weltkriegen
unschuldig. Was zwischen 1914 und 1945 geschah, ist ihm schlicht ‚Der dreißigjährige Krieg gegen
Deutschland‘. Und eine Verpflichtung zur ‚Vergangenheitsbewältigung‘ kann man sich nur ‚einbilden‘ –
sie führe dazu, daß die Deutschen (wie auch die Amerikaner) ‚sich entsprechend idiotisch
benehmen‘.“[16]
Kritisiert wurde die politischen Ausrichtung seiner Darstellungen. So beschreibt das
maßgebliche Literaturlexikon von Walther Killy ihn als „umstritten“. In seinen Büchern finde sich „eine
latente völkisch-nationale Geschichtskonzeption“. Exemplarisch sei sein Buch Deutschland,
Deutschland über alles. Von Arminius bis Adenauer. Er bemühe sich „um des Lesers Einverständnis
im Sinne eines ‚gesunden Volksempfindens’“. Er biete einen „historischen Bilderbogen“ an, der
„rassistische und antidemokratische Stereotype subtil bestätigt“. „Unterschwellig provoziert diese
suggestive Erzählstrategie ein Bedauern über den Verlust des nationalen Mythos vom Großdeutschen
Reich.“[17]
Ähnlich urteilte 1973 die Literaturwissenschaftlerin Christa Bürger: „Deutschland, Deutschland über
alles […] stellt insofern einen neuartigen Versuch der ‚Geschichtsschreibung’ dar, als der Autor es
versteht, eine reaktionäre, ja faschistoide Konzeption witzig vorzutragen.“ Die „faschistischen
Tendenzen des Autors“ zeigten sich „an vielen Stellen“. Das beinhalte als „politische Tendenz des
Buches“ die „Ablehnung der Demokratie“. Generell charakterisiere sein Buch „die These von der
Verschwörung des Auslands gegen Deutschland, die Ideologie der großen historischen Persönlichkeit,
die Abwertung sozialer und demokratischer Prinzipien und Errungenschaften, die Verharmlosung der
Naziverbrechen, ein undifferenzierter Kulturpessimismus, Rassismus etc. – in einer harmlos witzigen
Aufmachung“. Seine Ironie diene als Mittel zur Verbreitung „reaktionärer Ideologien“. Mit diesem
Angebot entspreche Fernau dem Erwartungshorizont „in den kleinbürgerlichen Mittelschichten“. Die
Aussage bezog sich auf die von der NS-Erlebnisgeneration bestimmte postnationalsozialistische
Gesellschaft.[18]
Fernau schrieb auch Lyrik (Suite Nr. 1). Eine positive Rezeption gab es nicht. Mit dem Gedichtband
habe Fernau, so Der Spiegel, „den modernistischen 'Mördern der deutschen Lyrik einen
Kartätschenschuß nachsenden' [so Fernau] wollen.“ Die Deutsche Zeitung stellte fest, er „hätte doch
lieber zur Artillerie gehen sollen“.[19]
Nachträgliche Rezeption[Bearbeiten]
Ein Verteidiger Fernaus war der rechtskonservative Publizist Armin Mohler, ein dezidierter Gegner des
Liberalismus.[20] Mit einer Metapher aus dem Bereich des Militärwesens beschrieb er die Kritik als
Reaktion einer „den Markt überwachenden Garde unserer Literaturkritiker“, die bis dahin „aus allen
Rohren gegen Fernau“ geschossen habe. Dies habe „seinen Erfolg beim Publikum“ indes „nicht
verhindern können“.[13] Späterhin sei Fernau aber „ein Platz in der deutschen Geistes- und
Seelengeschichte sicher“. Publizistische Aufmerksamkeit kommt dem Verfasser heute nur mehr so gut
wie ausschließlich vom rechten Rand des politischen Spektrums zu. Dort gilt er als Vertreter
„anspruchsvoller Literatur“, jedoch als „vergessen“.[13]
Jessica Gienow-Hecht beschrieb Fernau 2006 in einem Aufsatz im American Historical Review als
„Deutschlands polemischsten konservativen Kritiker in den 1970ern“ und nannte sein Buch Halleluja.
Die Geschichte der USA als Beispiel für europäischen Antiamerikanismus im zwanzigsten
Jahrhundert.[21]
Fernaus Kriegserinnerungen „Tausend Tage: Fragmente eines Soldatenlebens 1939 und 1940“
wurden posthum 2011 im Verlag Edition Antaios, der politisch der Neuen Rechtenzugeordnet wird,
herausgegeben.