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Jürgen Roth, geboren 1945, ist einer der bekanntesten ... · Ministerpräsidenten des Kosovo, Hashim Tha˙i, schrieb der Bundesnachrichtendienst noch im Jahr 2005, dass er »zu den

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Jürgen Roth, geboren 1945, ist einer der bekanntesten investiga-tiven Journalisten in Deutschland. Seit 1971 veröffentlicht er bri-sante TV-Dokumentationen und aufsehenerregende Bücher überdie organisierte Kriminalität in Osteuropa und Deutschland sowieden internationalen Terrorismus, zuletzt Der Deutschland-Clan(2006), Anklage unerwünscht (2007) und Mafialand Deutschland(2009), die allesamt Bestseller waren.

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Jürgen Roth

GangsterwirtschaftWie uns die organisierte Kriminalität aufkauft

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

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Verlagsgruppe Random House FSC-DEU-0100Das für dieses Buch verwendete FSC®-zertifizierte PapierHolmen Book Cream liefert Holmen Paper, Hallstavik, Schweden.

Aktualisierte Taschenbucherstausgabe 10/2012

Copyright © Eichborn AG, Frankfurt am Main, Mai 2010Der Wilhelm Heyne Verlag, München,ist ein Verlag der Verlagsgruppe Random House GmbHUmschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, ZürichSatz: Uhl + Massopust, AalenDruck und Bindung: GGP Media GmbH, PößneckPrinted in Germany 2012ISBN 978-3-453-60202-1

www.heyne.de

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Inhalt

Vorwort zur aktualisiertenTaschenbuchausgabe 7

Die Kultur der Illegalität und dieGangsterwirtschaft 15

Wie und warum die Geld- und Machtelite es der Mafiaermöglicht, Deutschland aufzukaufen 51

Die Eifel, die grüne Hölle Nürburgring undmexikanische Drogenkartelle 52Der Fall Opel und die Hintergründeeiniger Investoren 79Das Gangsterprinzip: Über das internationaleGasgeschäft und die organisierte Kriminalität 114Konsequenzen der Komplizenschaft mit kriminellenSystemen – am Beispiel Kasachstan 139Die Werften, russische Investoren und die Methode»Friss oder stirb« 157Die Lufthansa, die Fraport AG und etwasundurchsichtige Partner 184

Organisierte Kriminalität und internationaleWirtschaftskrisen 221

Kriminelle Ökonomie oder nur eine andere Formder legalen Wirtschaft? 222

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Über Banker, Finanzgangster und die politischenHilfstruppen 233Geldwäsche, die ehrenwerte Gesellschaft und dieNetzwerke der New Economy 240Finden die Methoden der Kriminellen Eingang insRepertoire der normalen Wirtschaft? 269

Das Billionenverbrechen 289Deregulierungswahn, Ratingagenturen undder Finanzcrash 290Symbolpolitik bei der Bekämpfung der organisiertenWirtschaftskriminalität 313Bayerische Gangsterwirtschaft 334

EpilogÜber eine Institution der Macht unddie Ohnmacht der Bürger 353

Abkürzungsverzeichnis 372Anmerkungen 376Register 405

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Vorwort zur aktualisiertenTaschenbuchausgabe

Eigentlich könnte er in Rente gehen. Bernd Finger, 62Jahre, im Berliner Landeskriminalamt zuständig für die Be-kämpfung der organisierten Kriminalität, ist ein engagierterund mutiger Kriminalist, den das billige Schwarz-Weiß-Den-ken gewaltig nervt. Im Oktober 2012 wird er gegen seinen Wil-len in Pension geschickt. Denn, so die interne Begründung desBerliner Innensenats: »Die Behörde hat kein dienstliches Inte-resse an einer Fortführung seiner Tätigkeit.« Warum wohl?

43 Jahre arbeitete er bei der Polizei, genießt internationalhohes Ansehen und ist Vorkämpfer für die Präventionsarbeitgegen kriminelle Großorganisationen wie die italienische Ma-fia. Zum Gedenken an den 20. Jahrestag der Ermordung dersizilianischen Richter Giovanni Falcone und Paolo Borsellinohielt er am 4. Juni 2012 an der Johannes Gutenberg-Univer-sität Mainz einen Vortrag, das Resümee seiner langjährigenErkenntnisse. »Kriminalität, insbesondere die organisierteKriminalität in ihrer fortgeschrittenen, entwickelten, globali-sierten Form, bedroht die Menschenrechte; sie erzeugt Unter-drückung und Ausbeutung, vernichtet reguläre Arbeitsplätze,hält Menschen in Angst und Schrecken bis zum Mord, ver-hindert Meinungsfreiheit und Transparenz, belässt Menschenin mafioser Armut und Abhängigkeit bei gleichzeitig uner-messlicher Profitmaximierung in krimineller Hand weniger,

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untergräbt Verfassung und Demokratie, verhindert umfas-sende, chancengleiche Bildung, zerstört aus Profitgier das le-gale Finanz- und Wirtschaftssystem und die Umwelt und be-hindert die Meinungs- und Pressefreiheit.«

Bernd Finger bezog sich nicht nur auf Italien oder Osteu-ropa, sondern auch auf Deutschland. Bislang hatte hier keinhochrangiger Kriminalist, geschweige denn ein Angehörigerder politischen Elite, derart eindringlich die Gefahr der or-ganisierten Kriminalität für eine demokratische Gesellschaftbeschrieben.

Tatsächlich findet seit Jahren schleichend eine fatale ge-sellschaftliche Entwicklung statt – eine Regression des de-mokratischen Systems. Gerade deshalb lohnt ein Blick in dieJuni-Ausgabe 2012 des renommierten New Yorker MagazinsForeign Affairs. Dort veröffentlichte Moisés Naím, der ehe-malige geschäftsführende Direktor der Weltbank, einen Ar-tikel über Mafia-Staaten: »Überall auf der Welt haben Krimi-nelle die Regierungen auf eine bislang beispiellose Art undWeise durchdrungen. Gleichzeitig haben einige Regierungendie illegalen Operationen der Kriminellen inzwischen selbstübernommen. Toppositionen in einigen der weltweit pro-fitabelsten illegalen Unternehmen werden nicht mehr nurvon professionellen Kriminellen geführt, sondern auch vonhochrangigen Regierungsvertretern, Spionagechefs, Leiternvon Polizeiabteilungen, Militäroffizieren und in einigen be-sonders extremen Fällen, sogar von Führern des Staates oderihren Familienangehörigen.«1

In den Mafia-Staaten sind hohe Regierungsangehörigeintegrale Beteiligte, wenn nicht die Führer krimineller Unter-nehmen, und der Schutz und die Förderung solcher Unter-nehmen genießt höchste staatliche Priorität. In diesen Mafia-Staaten sind die nationalen Interessen und die Interessen der

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organisierten Kriminalität untrennbar miteinander verfloch-ten. Zu den Mafia-Staaten zählt Moisés Naím unter ande-rem »Bulgarien, Montenegro, die Ukraine, Weißrussland undRussland«2.

Gerade Russland ist einer jener »Mafia-Staaten«, mit des-sen Handlangern nicht nur führende deutsche Politiker undExpolitiker aufs Harmonischste verbunden sind. Inzwischenwurde bekannt, dass Franz Beckenbauer, Idol deutscher Fuß-ballfans, für den russischen Energiekonzern Gazprom arbei-ten wird. Er soll als eine Art »Sportbotschafter« im Auftragdes undurchsichtigen Gazprom-Konzerns für sportliche Groß-ereignisse im Putin-Reich tätig werden. Ein Konzern, der fürdie mafiose Kreml-Herrschaft von Wladimir Putin mitver-antwortlich ist, und damit für die Unterdrückung fundamen-taler demokratischer Freiheiten. Was Herrn Beckenbauer alsGegenleistung überwiesen werden wird – das bleibt wohl einStaatsgeheimnis.

Clemens Tönnies, der Aufsichtsratsvorsitzende von Schalke04 und Europas größer Fleischproduzent, wird in einem Zei-tungsinterview zum Wahlsieg des russischen PräsidentenWladimir Putin gefragt: »Es heißt, bei Ihren Begegnungenmit Putin hätten Sie zwei Sporttaschen mit Tönnies-Fleischdabeigehabt.« Clemens Tönnies antwortete: »Sie sind gut in-formiert. Wladimir Putin isst sehr gerne deutsches Schwei-nefleisch.« Frage: »Leckeres Schnitzel?« Tönnies: »Nein. Eis-bein, Haxen, groß geschnitten. Die kocht er übrigens selbst,mit großer Hingabe. Er ist ein sehr guter Koch.«3 Beide Vor-gänge scheinen auf den ersten Blick allenfalls ethisch unap-petitlich. Sie sind in Wirklichkeit jedoch typische Fälle einermafiosen Kultur, die eine globale Gangsterwirtschaft erst er-möglicht.

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Ein weiterer dieser »Mafia-Staaten« ist übrigens das Ko-sovo. Zur Erinnerung: Es war besonders die deutsche Bun-desregierung, die sich vehement für die völkerrechtliche An-erkennung dieses Kleinstaates auf dem Balkan starkgemachthatte, obwohl jeder wusste, dass in Toppositionen der Regie-rung ehemalige führende Drogenbosse sitzen und zum Bei-spiel der skrupellose Kinderhandel für die dortigen Gangsterein besonders lukratives Geschäft ist. Über den derzeitigenMinisterpräsidenten des Kosovo, Hashim ThaÇi, schriebder Bundesnachrichtendienst noch im Jahr 2005, dass er »zuden ›key playern‹ (Multifunktionspersonen) gehört, die überengste Verflechtungen zwischen Politik, Wirtschaft und in-ternational operierende OK-Strukturen im Kosovo verfügen.Diese OK-Strukturen haben kein Interesse am Aufbau einerfunktionierenden staatlichen Ordnung, durch die ihre florie-renden Geschäfte beeinträchtigt werden könnten.«

Am 19. Dezember 2011, sieben Jahre nach diesem BND-Bericht, empfing der Politiker ThaÇi, inzwischen Minister-präsident des Kosovo, die deutsche Bundeskanzlerin AngelaMerkel in Pristina, der Hauptstadt des Kosovo. Und er freutesich: »Ich möchte mich bei Ihnen für Ihren Einsatz für dieeuropäische Zukunft und die Zukunft der ganzen Regionbedanken.« Angela Merkel wiederum bedankte sich »rechtherzlich für den freundlichen Empfang«. Und weiter: »In derTat hat die Bundesrepublik Deutschland als eines der erstenLänder anerkannt.«4 Kein Wort zu den umstrittenen Parla-mentswahlen im Januar 2011. Im »Fortschritts-Bericht 2011«der EU-Kommission vom 12. Oktober 2011 ist zu lesen: »Dieallgemeinen Wahlen wurden von schwerwiegenden Mängelnund Vorwürfen des Betrugs überschattet.«

Wie sieht zum Beispiel die europäische Polizeibehörde Eu-ropol diesen Aufbau einer funktionierenden staatlichen Ord-

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nung unter Führung höchst dubioser Politiker im Kosovo?»Die Kosovo-Region hat sich offenbar zu einem Umschlag-platz für den Kinderhandel zum Zweck des sexuellen Miss-brauchs entwickelt.«5 Und in einem vertraulichen Europol-Be-richt ist zu lesen, dass »in den Balkanländern Menschenhandelzum Zweck von Organtransplantationen abgewickelt wird. DerAmerican Medical Association zufolge floriert der Handel mitmenschlichen Organen in vielen südeuropäischen Ländern,wobei Albanien, die Kosovo-Regierung auch als Zielländer fürden sogenannten Transplantationstourismus fungieren.«6 So-wohl die USA als auch die meisten europäischen Staaten inter-essierte das herzlich wenig.

Ich wage die Behauptung: Diese mafiose Kungelei zwischenMafia-Staaten und kriminellen Despoten auf der einen undwestlichen Regierungs- und/oder Konzernchefs auf der an-deren Seite ermöglicht den mafiosen und kriminellen Struk-turen erst, sich problemlos in einer anscheinend stabilen de-mokratischen Gesellschaft einzunisten. Uns Bürgern wird dasdann als Realpolitik verkauft.

Die einen die Bösen und die anderen, also wir inDeutschland und Europa, die Guten? Ist es tatsächlich so ein-fach? Natürlich nicht. »Der Ölkonzern BP (Marken Aral undCastrol) zieht über die Erde und beutet alles aus, was sichausbeuten lässt. Boden, Wasser, Luft und – Gesellschaften. Erkennt keine Grenzen. Und wo welche sind, werden Betrug,Korruption, Lügen und Extremlobbyismus eingesetzt, um siezu überwinden. Nicht nur moralfrei, sondern moralfeindlichwird hier gewirtschaftet, skrupellos.«7

Wenn man sich bislang in Deutschland überhaupt mit or-ganisierter Kriminalität beschäftigte, verwies man vorzugs-

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weise auf die italienische Mafia. Das ist natürlich ziemlich be-quem. Doch selbst die italienische Mafia ist in weiten Teilender bundesdeutschen öffentlichen Wahrnehmung eher einProblem Italiens als Europas beziehungsweise Deutschlands,obwohl sie hier seit Jahrzehnten flächendeckend vertretenist. Giuseppe Pignatone, Leiter der Anti-Mafia-Staatsanwalt-schaft von Reggio Calabria, sprach im November 2010 aufeiner Veranstaltung der Konferenz »Die ’Ndrangheta besie-gen: Methodologien von Abwehr und Kontinuität« in ReggioCalabria:

»Wir haben es nicht mit Familien zu tun, die nur auf sichselbst bezogen und in einer archaischen Primitivität gefangensind, die sich in Ritualen, Formeln und unterirdischen Bun-kern zeigt, ohne dass sie die Fähigkeit besäßen, in einer mo-dernen und fortgeschrittenen Gesellschaft zu leben und zuhandeln.

Wir haben es zu tun mit neuen Generationen alter Dynas-tien, die ihre Universitätsabschlüsse haben, voll gesellschafts-fähig in der Lage sind – sei es durch Geld, Prestige oder Ein-schüchterung –, sich »Zusammenarbeit« zu kaufen, selbst vonden höchsten Vertretern aller gesellschaftlichen Kategorien.«

Dabei steht eines fest: Prinzipiell geht es sowohl den krimi-nellen Organisationen, gleichgültig unter welchem Begriffsie bekannt sind, wie den global agierenden multinationa-len Konzernen um die strategischen Ziele territorialer Herr-schaft, Monopolstellung und Profitmaximierung. Der demo-kratische Rechtsstaat ist für sie nur ein Vehikel, um ihreZiele umzusetzen. Diese Ziele verbindet sowohl die lega-len wie kriminellen globalen Marktteilnehmer. Und immerhäufiger ist zu beobachten, dass dabei die Grenzen zwischenden legal wie kriminell agierenden globalen Konzernen ver-

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schwinden. Dieses Prinzip gilt ebenso für politische Ent-scheidungsträger.

In welchem Umfang zum Beispiel kriminelle Organisa-tionen Druck auf unliebsame Regierungen auszuüben versu-chen, das dokumentiert ein Fall, der unter anderem auch inDeutschland spielt.

Im Jahr 2011 wurden in Spanien, Österreich, der Schweizund in Deutschland eine kriminelle Organisation aus Geor-gien zerschlagen, die im Wesentlichen im Erpressungsge-schäft und dem Diebstahl hochwertiger Güter in Deutsch-land, Österreich und Spanien aktiv war. Die erwirtschaftetenkriminellen Einkünfte wurden zum einen den Anführern derkriminellen Organisation direkt überwiesen. Und deren Zielwar es, in Westeuropa eine georgische Subgesellschaft zuschaffen, die ihrer alleinigen Kontrolle unterworfen würde.Sämtliche Bereiche der georgischen Diaspora, also sowohl le-gale als auch illegale Aktivitäten, sollten ihrer Herrschaft und»Rechtsprechung« unterstellt werden. So weit so normal. Aberdas Ziel der kriminellen Organisation, so steht es in einemBericht des österreichischen Bundeskriminalamtes, war esaußerdem, »durch die Organisierung von gewalttätigen De-monstrationen die politische Lage in Georgien zu destabili-sieren, um mit Hilfe korrumpierter hochrangiger Beamterdes georgischen Innenministeriums den Sturz der demokra-tisch gewählten Regierung und des Präsidenten zu errei-chen«. Denn durch die amtierende Regierung Saakaschwili»wurden in Georgien unmittelbar nach Amtsantritt Gesetzeerlassen, welche die Diebe im Gesetz zwangen, ihren Einflussauf Wirtschaft und Politik in Georgien selbst aufzugeben unddas Land zu verlassen. Aus diesem Grund werden tatsächli-che und vorgebliche Vertreter der Opposition von den Die-ben im Gesetz logistisch und finanziell unterstützt, um dieses

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Ziel zu erreichen.« Unterstützt und mit Informationen ver-sorgt wurden sie von Angehörigen der georgischen Botschaftbeziehungsweise des georgischen Konsulats in Österreich.

Deshalb bleibt eine der zentralen Fragen, neben der Vermen-gung staatlicher und krimineller Strukturen, warum Geld-wäsche, bei der es um Millionen- und Milliardenbeträge geht,bis zum heutigen Tag in nur geringem Umfang effektiv be-kämpft wird – allen Geldwäschegesetzen dieser Welt zumTrotz? Immerhin geht das in Wien ansässige United Na-tions Office on Drugs and Crime (UNODC) in einer Untersu-chung davon aus, dass Kriminelle, besonders Drogenhändler,im Jahr 2009 insgesamt 1,6 Billionen US-Dollar gewaschenhaben. Und davon wurde nur ein Prozent beschlagnahmtoder eingefroren.8

Und was Deutschland betrifft, da bescheinigte die Fi-nancial Action Task Force (FATF) dem so sauberen Deutsch-land im Jahr 2010 unter anderem eine besondere Anfälligkeitfür Geldwäsche. »Deutschland sei ein besonders attrakti-ves Geldwäscheland, weil es in seiner Rolle als Finanzzent-rum sowie durch seine Wirtschaft enorm bedeutend sei. Beieinem Umfang der deutschen Schattenwirtschaft von insge-samt mehr als 500 Milliarden Euro schätzt die FATF, dass inDeutschland jährlich 43 bis 57 Milliarden Euro (als Mini-mum) kriminell erwirtschaftet werden.«9 Zwangsläufig stelltsich eigentlich jedem die Frage, was dagegen unternommenwird. Die Antwort ist einfach – bis zum heutigen Tag, also imSommer 2012, im Prinzip: nichts.

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Die Kultur der Illegalität und dieGangsterwirtschaft

Pure Dummheit wäre es, zu glauben, es gäbe ein gehei-mes Komplott undurchsichtiger Mächte, das es Kriminellenermöglichen würde, in die Zentren staatlicher Macht einzu-dringen. Vielmehr waren es die vielen kleinen Schritte, diein den letzten Jahren dazu führten, dass die organisierte Kri-minalität in Europa und Deutschland Bestandteil des Wirt-schaftslebens wurde. In diesem Buch werden diese kleinenSchritte dokumentiert, die letztlich dazu führten, dass dasPrimat der Politik durch die Gangsterwirtschaft infiltriertund ersetzt wurde.

Fakt ist, dass die globalen Netzwerke der organisiertenKriminalität bereits jetzt in bestimmten Schaltzentren politi-scher Macht westlicher und östlicher Staaten das Sagen ha-ben. Dazu passt, dass sich die Europäische Kommission wiedie deutsche Regierung gegenüber bestimmten Staaten taubund blind stellen. Staaten, die für Korruption, fehlende Trans-parenz, kriminelle Aneignung von Staatseinnahmen und Ver-letzung der Menschenrechte bekannt sind. Das wird geflis-sentlich übersehen, weil es um jene Staaten geht, die Gasoder Erdöl nach Europa liefern oder liefern sollen, um unsereEnergieversorgung zu sichern.

Warum wird es der organisierten Kriminalität so leichtgemacht, sich in die Wirtschaft und damit zwangsläufig in

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die Politik einzukaufen? Meine These ist, weil für immermehr Angehörige der politischen und wirtschaftlichen Elitedas Prinzip der Legalität, ethisches Gewissen und die Werte-ordnung der Verfassung nur noch Theater, reine Show undInszenierung in der Mediendemokratie sind. Die englischeSprache umschreibt solche Politiker feinsinnig als »double-dealing politicians«.

Schließlich weiß jeder, der sich mit der Geschichte derorganisierten Kriminalität beschäftigt, dass sie ihre heutigewirtschaftliche Macht und damit politische Potenz schwerenVerbrechen verdankt wie Erpressung, Betrug, Mord, Urkun-denfälschung, Bestechung, dem Drogen- oder Tabakschmug-gel, dem Waffenschmuggel, der Umweltzerstörung oder derSteuerhinterziehung. Aus Dieben und Betrügern wurden in-nerhalb weniger Jahre Mogule, aus Banditen und Plünderernmarktbeherrschende Oligarchen. Jetzt wollen sie unbehelligtleben, ihre umstrittene Vergangenheit soll eliminiert werden.So verfolgen sie mithilfe bestens entlohnter Public-Relations-Agenturen ein einziges Ziel: die Gewinne der kriminellenMachenschaften in den legalen Wirtschaftskreislauf einzu-speisen, um letztlich Einfluss auf politische Entscheidungs-prozesse in ihrem Sinn nehmen zu können.

Gleichzeitig könnte die organisierte Kriminalität keinenGefallen daran haben, Deutschland aufzukaufen (im Nach-barland Österreich ist dieser Prozess schon weiter fortge-schritten), wenn sie nicht Heerscharen ehrenwerter Anwälte,Steuerberater, politischer Handlanger und administrativerErfüllungsgehilfen auf ihre Seite gezogen hätte.

Dazu kommt: »Die Globalisierung der Wirtschaft undFinanzen, die Öffnung der Grenzen, die Verbreitung des In-ternet, die Vermehrung der Steuerparadiese, die Fähigkeit zurBestechung und vor allem die Schwäche der Politik dagegen

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haben die ›verbrecherische Wirtschaft‹ und zusammen mitdieser auch die ›mafiose Wirtschaft‹ ermöglicht.«10

Über diese Globalisierung der Wirtschaft und Finan-zen berichtete Ulrich Fichtner im Spiegel, und zwar über denweltgrößten US-Versicherungskonzern American Internatio-nal Group (AIG). »Der Konzern AIG steht für eine Kulturvon Geldgeschäften, die keine klare Grenze mehr kennt zwi-schen globalem Kapitalismus und organisierter Kriminali-tät.«11 Mit dem Versicherungskonzern standen in Deutsch-land große Banken, Versicherungen und Kommunen in engenGeschäftsbeziehungen, ließen sich auf milliardenschwereDeals ein: Die Schlussfolgerung liegt nahe, dass genau we-gen dieser Kumpanei die Bürger »so gut wie nichts über diekriminell-ökonomischen Ursachen dieser ›welthistorischenEreignisse‹ erfahren«12. Gemeint ist die globale Finanz- undWirtschaftskrise, die im Jahr 2008 begann.

Auch Professor Dr. jur. Karl-Joachim Schmelz gehört zudenjenigen, die sich noch trauen, klare Aussagen zu treffen.Er war Richter am Landgericht Frankfurt, lehrte an der Fach-hochschule Darmstadt und war als Bankrechtsexperte Bera-ter des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags – einMann mit Erfahrung. »Die wirklich mächtigen Feinde desRechtsstaats, die mitverantwortlich für die Krise sind, übennicht in irgendwelchen Lagern in Pakistan. Sie sitzen auf denStühlen in den Ministerien und Parlamenten.«13 Schwere Vor-würfe zweifellos, die aber nicht aus der Luft gegriffen sind.Zur Entlastung der angegriffenen politischen Repräsentantenkönnte vorgebracht werden, dass viele Parlamentarier (undwahrscheinlich sogar Regierungsvertreter in Berlin) überebenso wenig Wissen verfügen wie die Bürger selbst. Gäbe esda nicht einen entscheidenden qualitativen Unterschied: DieBürger sind Opfer der politischen Entscheidungen.

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Tatsache ist, und das sagt in Wien Antonio Maria Costaebenfalls ungewöhnlich offen: »Die politische und wirtschaftli-che Elite ist inzwischen kompromittiert, die Parlamente habenAngst, und das weltweite finanzielle System ist von kriminel-len Strukturen durchdrungen.« Und zwar deshalb, weil »In-vestmentbanker, Fondsmanager, Rohstoffhändler und Mak-ler zusammen mit Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern undRechtsanwälten kriminelle Syndikate unterstützt haben, umderen Geld zu waschen. Sie waren es, die der weltweiten kri-minellen Wirtschaft doch überhaupt erst ermöglicht hatten,Teil der globalen Wirtschaft zu werden, und die kriminellenSyndikate so zu legalen Geschäftspartnern wurden.«14

Antonio Maria Costa muss aus politischer Rücksicht-nahme seine Worte abwägen. Seit dem Jahr 2002 ist er stellver-tretender Generaldirektor der Vereinten Nationen und Direk-tor des United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC)in Wien. Zuvor war er unter anderem Generalsekretär der Eu-ropäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD).Der Weg in sein Büro führt durch viele labyrinthartige Gängedes Wiener UN-Komplexes. Ohne kundigen Lotsen wird sichjeder Fremde verlaufen. Diplomatisch muss er deshalb formu-lieren, weil seine Behörde auf Politiker angewiesen ist, die be-reit sind, Finanzmittel zur Verfügung zu stellen, damit dieseUN-Behörde einigermaßen effektiv arbeiten kann.

In unserem Gespräch im Juni 2009 konstatiert AntonioMaria Costa ein wenig verbittert, dass das letzte Jahrzehntein verlorenes Jahrzehnt im Kampf gegen die organisierteKriminalität gewesen sei. Ein Grund dafür mag die vor-nehme Zurückhaltung von Teilen der politischen Entschei-dungsträger in den führenden Industriestaaten sein. »DieHerren der organisierten Kriminalität kaufen Wahlen, dasMilitär, sogar Präsidenten, mit anderen Worten – sie kaufen

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Macht. Das macht sie heute zu einer Bedrohung für die sou-veränen Staaten.«15 Und zwar deshalb, weil diejenigen, dievor zehn, 15 Jahren noch Gangster pur waren, heute markt-beherrschende Aktionäre sind.

Die Vorstellung, dass die Vertreter der nationalen Öko-nomie in ein System der Loyalität gegenüber dem demo-kratischen Sozialstaat eingebunden sind, wird zunehmendobsolet. Denn die herrschende Kultur potenter Wirtschafts-mächte, in denen totale Willkür, absolute Korruption undstrukturelle Erpressung eine lange Tradition haben, wie es inden Ländern der ehemaligen UdSSR der Fall ist, vermischtsich leicht mit der Wirtschaftskultur in demokratischen Sys-temen. Man nennt es Globalisierung. Die Folgen beschreibtFrancesco Forgione, der ehemalige Vorsitzende der italieni-schen parlamentarischen Antimafia-Kommission: »In denJahren der Politik des freien Marktes wurden alle Kontrollenaufgehoben. Das war die Möglichkeit für die effektive Trans-formation des kriminellen Geldes. Eine Grenze zwischenlegaler und illegaler Ökonomie gibt es kaum noch. Grenzenzwischen Politik und Wirtschaft sind ebenfalls aufgeweicht,und durch die Politik der Privatisierung öffentlicher Aufga-ben hat nun auch Mafiageld die Politik penetriert.«16

Auf der Herbsttagung des Bundeskriminalamtes (BKA)2008 referierte Pietro Grasso von der italienischen Anti-mafia-Staatsanwaltschaft über mafiose Strukturen und gingauf die fließenden Übergänge zwischen legaler und kriminel-ler Wirtschaft ein. Demnach stelle sich der reale Markt ganzanders dar als der bis heute von Wirtschaftstheorie und So-ziologie gezeichnete ideale Markt. In Wirklichkeit handelt essich um einen »mehrdimensionalen Markt« oder eine »viel-schichtige Wirtschaft«. Pietro Grasso erläuterte: »Die offizi-elle und die illegale Wirtschaft sowie die Schattenwirtschaft

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können als Teileinheiten eines einzigen Marktes verstandenwerden, und aus der Interaktion zwischen ihnen entstehendie unterschiedlichsten Szenarien: Verflechtung und Kom-plizenschaft, untergeordnete und eigennützige Koexistenz,Wettbewerb und Konflikt bis hin zur physischen oder juristi-schen Eliminierung.«17

Günther Schatz, ein kundiger Staatsanwalt aus dem baye-rischen Kempten, einer friedlichen ländlichen Region also,spricht vom »Partito«, das in Deutschland zu beobachten sei:»Partito ist die Teilhabe am geachteten sozialen Leben durchBeziehungen des Mafioso zu Trägern formeller Gewalt.«18

Dieses »Partito« bezieht sich jedoch keineswegs nur auf diehinlänglich bekannten italienischen Organisationen. Denn esbestehen stabile operative Verbindungen zwischen den ein-zelnen Mafiaorganisationen Italiens und den wichtigsten in-ternationalen kriminellen Vereinigungen. Dazu gehören dietürkische und die russische Mafia, die chinesischen Triaden,die japanische Yakuza, die nigerianische und die albanischeMafia, die kriminellen Strukturen aus den osteuropäischenStaaten, die kolumbianischen und mexikanischen Kartelle so-wie die amerikanische Cosa Nostra.

»Sie alle sind in ein organisches System krimineller Netzeeingebettet, die ihrerseits durch stabile Vereinbarungen mit-einander verbunden sind, um die gemeinsamen illegalen Ge-schäfte zu betreiben und den Einsatz von Geldern, Menschenund Mitteln zu koordinieren. Dabei werden Nichtangriffs-pakte vereinbart und Märkte und Einflussbereiche unterein-ander aufgeteilt, und zwar nicht nur im Bereich des großenDrogenhandels und der Geldwäsche, sondern auch bei allenanderen kriminellen Gelegenheiten, die sich auf internatio-naler Ebene bieten«, resümierte Pietro Grasso auf der BKA-Herbsttagung 2008.19

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Modellhaft für die Verschleierungstaktik krimineller Or-ganisationen, denen in bestimmten deutschen Kommunendas Partito gelungen ist, wie es Günther Schatz beschrieb,ist ein den Sicherheitsbehörden bekannter Geldwäscher dersizilianischen Cosa Nostra. Der stellt seine unternehmeri-schen Kapazitäten sowohl in Rom wie in Hessen und Sach-sen unter Beweis. Als italienischer Unternehmer bekleideter für einen kleinen Staat der Dritten Welt den ehrenvollenPosten eines Honorarkonsuls. Mit dem Titel schmückt er sichauf seiner Visitenkarte. In Deutschland hingegen firmiert erals Geschäftsführer für einige deutsche Firmen. Dazu gehö-ren unter anderem eine Consultingfirma, eine Handelsgesell-schaft, eine Beteiligungsgesellschaft, ein Unternehmen fürUmwelttechnik und eines für Vermögensverwaltung. Im In-ternet sieht man ihn auf Fotos bei öffentlichkeitswirksamenAnlässen, mit dabei der Bürgermeister und der stellvertre-tende Landrat. Sie lachen fröhlich in die Kamera, sind glück-lich über den netten Investor aus Rom.

Sie wissen wahrscheinlich nichts über das andere Gesichtdes Dottore, der von Zeit zu Zeit bei einem Anwalt im Frank-furter Westend auftaucht – mit einem Koffer voller Barem,wissen Eingeweihte zu kolportieren. Gern werden derzeit vonihm beziehungsweise seinen Anwälten in Sachsen Fördermit-tel der Europäischen Union abgegriffen, die über einige Ver-treter der Rechtspflege und von ihnen geführte Strohfirmenin Deutschland eingefordert werden. Wegen Subventions-betruges – die Rede ist von mehreren Millionen Euro – klagtedie Staatsanwaltschaft den ehrenwerten Mann übrigens voreinigen Jahren an. Leider sei er nicht aufzufinden, so die offi-zielle Version.

Durch Bereitstellung von Krediten durchdringt die or-ganisierte Kriminalität unterdessen den legalen Bankensek-

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tor, sie kauft Aktien und ernennt Vorstandsmitglieder vonKonzernen. Zu den aktuellen Entwicklungen gehört zwangs-läufig, dass sie von der gegenwärtigen Krise in erheblichemUmfang zu profitieren scheint. Denn »die Finanzkrise hatden Kriminellen eine weitere Geschäftsmöglichkeit eröffnet.In einer Zeit der knappen Liquidität kann die Mafia, die übergenügend Finanzmittel verfügt, ihre Penetration des Finanz-marktes ausweiten, indem sie Kredite anbietet, Aktien kauftund Vorstandsmitglieder ernennt. Die Regierungen haben eskommen sehen, aber sie haben nicht reagiert.«20

Hochkarätige Persönlichkeiten erheben deshalb warnendihre Stimme, weil die organisierte Kriminalität »die Kontrollevon ums Überleben kämpfenden Unternehmen übernimmtund so alle Regionen unseres Landes infiltriert«. Das stellteim Mai 2009 Giorgio Napolitano, der italienische Staatspräsi-dent, fest. US-Generalstaatsanwalt Michael Mukasey erklärteein Jahr zuvor, dass es »eine wachsende Bedrohung der na-tionalen Sicherheit für die Märkte durch die Penetration derorganisierten Kriminalität gibt«21.

Für Ivanhoe Lo Bello, den Vorsitzenden der Bancodi Sicilia, die inzwischen zur größten italienischen Bank,der UniCredit, gehört, ist das nichts Neues: »Die Gangsterschauen genau auf ihr Geld und versuchen, klug zu investie-ren. Sie investieren daher im Finanzmarkt, mehr oder weni-ger anonym, oder in ihrem eigenen Territorium über Perso-nen, die als seriöse Geschäftsleute bekannt sind.«22

All dies sind Erkenntnisse, mit denen in Deutschland wiein Österreich bislang nach der bewährten Methode verfahrenwurde: gehört, gelesen, abgeheftet.

Dabei gibt es für diese Penetration der Gesellschaft durchkriminell generiertes Kapital samt entsprechendem Partitoinzwischen viele Beispiele, auf die ich später ausführlicher

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eingehen werde. Nur kurz Folgendes – und das ist ein beson-ders wichtiger Teil des Puzzles: Vermeintlich potente auslän-dische Investoren wurden und werden gerade in schwierigenZeiten in Deutschland als Heilsbringer für notleidende Un-ternehmen akzeptiert. Solche Betriebe verspüren dabei häu-fig ein Gefühl der Ohnmacht, weil es für sie überhaupt keineAlternativen des wirtschaftlichen Überlebens gibt. Die ver-meintlichen »Retter« benutzen dabei zwei zentrale Hand-lungsmuster. Das klassische besteht darin, dass die vorhande-nen Werte abgeräumt, Arbeitnehmer auf die Straße geworfenbeziehungsweise erpresst werden, zu Hungerlöhnen zu arbei-ten. Das neue Handlungsmuster sieht in der Regel so aus,dass die dubiosen Geldgeber von einem gewissen Zeitpunktan die Geschäftspolitik auf ihre unnachahmliche Art undWeise bestimmen.

Bernd Finger ist leitender Kriminaldirektor im Landeskri-minalamt Berlin, ein engagierter und für seinen Optimismusgeschätzter Kriminalist. Doch wollen die politisch Verant-wortlichen seine mahnenden Worte wirklich hören? »Massivwerden die Gelder der organisierten Kriminalität eingesetzt,um strauchelnde, defizitäre Firmen und Wirtschaftszweigemit dem Ziel aufzukaufen, mithilfe des kriminellen GeldesWirtschaftsmacht zu erlangen und marktbestimmend imWirtschaftskreislauf zu werden.«23

Nach seinen Erkenntnissen entstehen heute neue markt-beherrschende Firmen, »weil sie so viel Geld zur Verfügunghaben, sodass ein legales Unternehmen nicht mithalten kann.Sie werden vom Markt verdrängt.« Er sieht die Gefahr, dass»in bestimmten Segmenten wie der Kommunikations- undElektronikindustrie, dem Energiesektor, bei Dienstleistungs-unternehmen wie Post oder öffentlichem Nahverkehr plötz-lich Marktsegmente entstehen, die gerade wegen der Privati-

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sierung staatlicher Einrichtungen Kapitalzuflüsse aus Quellender organisierten Kriminalität ermöglichen.« Bernd Fingerspricht von Fällen, die in seiner Behörde bekannt sind, wo-nach bereits große Telekommunikationsgesellschaften von derorganisierten Kriminalität übernommen worden sind. »Wirsehen es an Marktanteilen besonders im Handymarkt unddort bei durchgehend allen Unternehmen. Da befinden sichunter den Aktienanteilen Gelder, deren Herkunft hoffentlichhinreichend untersucht wurde.« 24

Er könnte auch noch die Investitionen in deutsche Flug-gesellschaften erwähnen. Ein Unternehmen in der Nähe vonFrankfurt am Main bietet sich als gutes Beispiel an. Gegen-stand des Unternehmens ist laut Genios Wirtschaftsdaten-bank die Betätigung im Reisegeschäft, insbesondere die Or-ganisation und Abwicklung von Flugreisen. Der Umsatz fürdas Jahr 2006 wurde mit drei Millionen Euro angegeben.Neuere Zahlen liegen nicht vor. Als Eigentümer fungiert einUnternehmer aus Osteuropa. Doch er ist lediglich der Stroh-mann für ein Mitglied der Solnzevskaja, einer der mächtigs-ten russischen kriminellen Organisationen. Der wahre Geld-geber ist ein in Litauen geborener Geschäftsmann, der bereitsvor dem Zusammenbruch der UdSSR in diversen kriminellenGeschäften aktiv war.

Der Geschäftsmann war damals auch Berater des kir-gisischen Präsidenten, und er soll Gold aus Kirgisien in dieSchweiz transportiert haben – im Auftrag des damaligen kir-gisischen Präsidenten Askar Akajew. Wo das Gold im Wertvon 23 Millionen US-Dollar geblieben ist, ist bis heute einRätsel. Danach fiel er wegen seiner engen Beziehungen zurSolnzevskaja, der einflussreichsten kriminellen Organisationaus der Ex-UdSSR, auf. Im Jahr 1994, so die Moskauer Ab-teilung zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität (RU-

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BOP), gewährte er Sergej Michailov, dem einstigen Chef derSolnzevskaja, einen Kredit in Höhe von 150 Millionen US-Dollar. Als Gegenleistung soll die kriminelle Organisationseine geschäftlichen Interessen in Russland »geschützt« haben.

Laut reden und nichts tun – was Politiker alles tun,um das System nicht infrage zu stellen

Ende 1994, vor über 15 Jahren, fanden bereits Konferen-zen der UN statt, die sich mit dem Kampf gegen die organi-sierte Kriminalität beschäftigten. Damals erklärte UN-Ge-neralsekretär Boutros Boutros-Ghali: »Das transnationaleVerbrechen vergiftet das Geschäftsklima, korrumpiert politi-sche Führer und untergräbt die Menschenrechte. Damit wirddie Demokratie unterlaufen.«25 Und er sprach davon, dass essinnvoll wäre, einmal an eine Konvention gegen das transna-tionale Verbrechen zu denken. Die zumindest gab es tatsäch-lich – sie trat neun Jahre später in Kraft.

Was hat sich ansonsten verändert? »Die westlichen Re-gierungen haben das alles kommen sehen«, klagt AntonioMaria Costa von der UNODC. »Vor zehn Jahren unterschrie-ben viele Staaten eine UN-Konvention gegen transnationaleorganisierte Kriminalität. Aber nur ein Drittel der UN-Staa-ten haben das Palermo-Übereinkommen bis heute ratifi-ziert.«26 (Der G8-Staat Japan hat es bisher nicht unterzeich-net, Anmerkung des Autors.) Und Antonio Maria Costa sagtzur Frage, ob die Regierungen auf der Grundlage der vor-handenen rechtlichen Instrumente gehandelt haben: »MitSicherheit nicht. Der Kampf gegen die organisierte Krimi-nalität wurde zu einer Nebensache, die Aufmerksamkeit aufden Terrorismus umgeleitet, ohne zu erkennen, dass selbst

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der Terrorismus ohne die finanziellen und logistischen Be-ziehungen zur organisierten Kriminalität nicht existierenkann. Daher wurde die internationale Mafia durch die Aus-nutzung der freien Märkte und die fehlende Aufmerksamkeitder Strafverfolgungsbehörden noch mächtiger. Ein Ergebnisdavon ist, dass die Bedrohung durch die organisierte Krimi-nalität erheblich größer geworden ist als zu der Zeit, als diePalermo-Konvention im Jahr 2003 in Kraft trat.« So weit dieFeststellung von Antonio Maria Costa von der UNODC ineiner Rede in Rom im September 2009.

So wie sich führende Politiker bei G7, G8 oder anderenGipfeln der Regierenden von Industriestaaten an prunkvol-len Orten treffen, finden seit mehr als einem Jahrzehnt mitgleicher Regelmäßigkeit Kongresse mit renommierten Fach-leuten aus Politik, Wirtschaft und Strafverfolgungsbehördenan fast jedem halbwegs sicheren und idyllischen Flecken derWelt statt. Mit großer Ernsthaftigkeit wurde und wird dar-über diskutiert, wie man durch gemeinsame Aktionen diestetig wachsende Gefahr des organisierten Verbrechens be-kämpfen könne. Organisierte Wirtschaftskriminalität findethingegen bei diesen Tagungen wenig Interesse.

Diese wahrhaft illustre internationale Gemeinschaft vonStrafverfolgern, Ministerialbeamten, von führenden Köp-fen der Banken- und Finanzwirtschaft tagt, um der interna-tionalen organisierten Kriminalität den Garaus zu machen.Sie redet über Good Governance27 und seit 2008 besondersüber die Lehren und Konsequenzen, die aus der Finanzkrisezu ziehen sind. Ein Symposium jagt das nächste. Dafür zah-len die Beteiligten teilweise bis zu 1600 Euro pro Person. Rie-sige Waldflächen wurden abgeholzt, um Papier zu beschrei-ben und zu drucken, damit die Ergebnisse der Tagungen auchschriftlich vorliegen. Gleichzeitig installierten die Strafverfol-

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gungsbehörden weltweit mächtige Institutionen, die den fina-len Angriff zur Bekämpfung der organisierten Kriminalitätführen sollen.

Ähnlich ist die Tagungswut bei der Bekämpfung derGeldwäsche. Eva Joly, die ehemalige französische Richterin,die jahrelang Ermittlungen gegen den Ölkonzern Elf Aqui-taine führte, schreibt in ihren Erinnerungen: »Da die Kor-ruption der Eliten überall gleichermaßen tabu ist (jede sys-tematische Untersuchung stößt ja automatisch auf großesGeschrei in den höheren Kreisen), wird der Kampf gegendie Geldwäsche zum zwanghaften Mantra der internationa-len Gremien, das man gern und empört herunterbetet. Seit15 Jahren gibt es Kolloquien, Regierungsanweisungen, Be-richte und Gesetze zum Thema Geldwäsche. Wie alle Exper-ten könnte auch ich sieben Tage die Woche das ganze Jahrüber auf Vortragstour gehen und darüber referieren.«28

Irgendwann müsste eigentlich die zentrale Frage gestelltwerden, warum trotz dieser internationalen Tagungen, allerAppelle, sämtlicher Gesetze, vieler Verhaftungen, manchmalsogar spektakulärer Gerichtsverhandlungen und Verurtei-lungen die organisierte Kriminalität ständig weiter wuchernkann.

Ist sie deshalb so erfolgreich, weil sie zwar allgemeingül-tige Regeln verletzt, aber gleichzeitig kraft ihrer finanziellenMacht gleichwertige Konkurrenz im globalen Wirtschaftssys-tem geworden ist? Petrus C. van Duyne, Professor für Empi-rische Strafwissenschaft an der Universität Tilburg, stellt da-her die entscheidende Frage: »Die Autoritäten scheinen vomPhänomen der organisierten Kriminalität so von Ehrfurchtgeschlagen zu sein, ohne zu verstehen, dass das schrecklicheImage von ihnen selbst produziert wurde. Wenn es sich beider organisierten Kriminalität um keine Invasoren aus dem

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All handelt, sondern sie ganz simpel Teil der gemeinsamensozialen und wirtschaftlichen Familie ist, warum schaut mannicht auf die Familie als Ganzes und richtet den Fokus auf dieFamilie als Ganzes und ihre Verwundbarkeit?«29

Weil das dazu führen würde, so eine von mehrerenErklärungen, dass man dann genauer das herrschende Gesell-schaftssystem unter die Lupe nehmen müsste. Dann müsstenbestimmte kriminelle Handlungen auch juristisch anders defi-niert werden, weil sie innerhalb der Familie selbst stattfinden,wie das nicht nur am Beispiel des internationalen Waffen-und Menschenhandels und der Umweltkriminalität trefflichdemonstriert werden kann.

Einmal kriminell, einmal legal

Die Aktivitäten der internationalen Waffenhändler ste-hen im Prinzip seit Jahren unter besonderer Beobachtung dergesamten Welt. Gleichzeitig werden alle Waffenembargos auspolitischen Gründen systematisch verletzt. »Der illegale Waf-fenhandel wird auf zehn Milliarden US-Dollar jährlich ge-schätzt, allein ein bis vier Milliarden Dollar erwirtschaftet derillegale Handel mit Kleinwaffen. Zwei Millionen Menschensind in den Waffenhandel verstrickt. UN-Experten schätzen,dass 60 Prozent der illegal verkauften Waffen aus einer lega-len Transaktion stammen.«30

Der kriminelle Markt für den Menschenhandel ist nichtweniger gravierend. »Der Mensch ist eine Ware geworden,und oft eine sehr billige«, erklärte Doris Buddenberg von derUN-Organisation UN.GIFT (Global Initiative to Fight HumanTrafficking) bei einer Pressekonferenz in Wien. »Menschen-handel ist ›big business‹.«31

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Das im Februar 2008 gegründete Wiener Forum Men-schenhandel schätzt die Zahl der jährlich von Menschen-händlern geschmuggelten Opfer auf 2,7 Millionen. Davonsind 80 Prozent Frauen und 70 Prozent Opfer sexueller Aus-beutung. Es ist ein Geschäft mit einem Umsatz von jähr-lich 9,5 Milliarden US-Dollar.32 Überhaupt zeichnet sich dasThema Menschenhandel durch beispiellose Doppelmoral aus.»Vor 1989 war es eine tapfere Leistung, Personen zu helfen,den Eisernen Vorhang in Richtung Westen zu überwinden.Sie wurden als Helden gefeiert, weil es ein Akt der humanitä-ren Solidarität mit den Unterdrückten aus dem Ostblock war.Jetzt Menschen zu helfen, ihrer katastrophalen wirtschaftli-chen Situation und der Unterdrückung zu entkommen, istkrimineller Menschenhandel.«33

Doppelstandards bei der Bewertung, ob ein Tatbestandder organisierten Kriminalität zugeordnet wird oder nicht,das gab und gibt es bei der Umweltkriminalität. Im Herbst2009 wurde in den italienischen Medien ausführlich berich-tet, dass Frachter, beladen mit hochgiftigem Müll, teilweisemit radioaktiven Abfällen, in der Vergangenheit vor der süd-italienischen Küste versenkt worden waren. »Die Mafia sollMillionen von Tonnen Sondermüll aus europäischen Län-dern, auch aus Deutschland, an Land in Kalabrien in Grottenan der Küste und auf dem Meeresboden beseitigt haben,nachdem sogar Bürgerkriegsländer wie Somalia ihn nichtmehr als Gegenleistung für Waffenlieferungen aufnehmenwollten.«34

Die Berichte fußten auf der Aussage von Francesco Fonti,einem Pentito35 der ’Ndrangheta. Der gab der Staatsanwalt-schaft zu Protokoll, dass er im Jahr 1992 persönlich am Un-tergang des Frachters Cunsky beteiligt gewesen sei, um 120Fässer mit radioaktivem Schlamm zu entsorgen. Die Cunsky,

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ein Frachtschiff, das in der Vergangenheit zahlreiche Besitzerhatte, verschwand am 23. Januar 1991 von der Meeresober-fläche. So zumindest Fontis Erzählung. Tatsächlich fand sichan der von ihm genannten Stelle ein ganz anderes, norma-les Schiff. »Das war eine gezielte Desinformation«, erzähltemir ein hochrangiger Marineoffizier im Ministerium für Um-welt in Rom. »Damit sollte der Öffentlichkeit gesagt werden,dass es diese versunkenen Schiffe in Wirklichkeit überhauptnicht gibt.« Fast 20 Jahre lang wurde über diesen Öko-Terro-rismus, von Ausnahmen abgesehen, beharrlich geschwiegen.Niemanden interessierte, dass Frachter mit unbekannter La-dung in den achtziger und neunziger Jahren ihre Häfen ver-lassen hatten und entlang den Küsten vor Italien verschwun-den waren. Jetzt ist in den Medien auf einmal von 30 solchenSchiffen die Rede. Ermittler in Rom und Reggio Calabria ge-hen jedoch von weitaus mehr Frachtern aus, die, beladen mithochgiftigem Müll, in den Jahren 1983 bis 1995 entlang dersüditalienischen Küste auf dem Weg nach Afrika spurlos ver-schwanden. Der zuständige Beamte im italienischen Umwelt-ministerium, der heute die Untersuchungen nach den unter-gegangenen Giftschiffen leitet, geht davon aus, dass mit hoherWahrscheinlichkeit 90 dieser chemischen Zeitbomben aufdem Meeresgrund um Süditalien herum versenkt wurden.Doch sie könnten nicht geborgen werden, weil sie in Tiefenzwischen 1000 und 5000 Metern lägen. Sicher ist jedenfalls,nach seinen Worten, dass ein ’Ndrangheta-Clan, der ClanMuto aus Cetraro, dabei mitgespielt habe.36

Vor diesem ökologischen Verbrechen hatte die Umwelt-schutzorganisation Lega Ambiente bereits 1995 in einemausführlichen Dossier gewarnt und auf die Verbindungender versunkenen Giftschiffe zur ’Ndrangheta hingewiesen.37

In Rom interessierte das niemanden – und in Europa wollte

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man davon nichts wissen. Die billige Entsorgung überließman Verbrechern und konnte damit seine Hände in Unschuldwaschen. Alle Ermittlungen der Behörden in Kalabrien, die1993 begannen, werden bis zum heutigen Tag unterdrückt:Zeugen verschwanden entweder spurlos oder starben einesmysteriösen Todes, Richter und Staatsanwälte wurden mas-siv bedroht.

Denn für diesen Öko-Terrorismus war die kalabrische’Ndrangheta nicht mehr als der Dienstleister im Auftraghochkrimineller Unternehmen. Die Kunden waren bekannteitalienische und andere europäische multinationale Konzerne.Sie waren die potenziellen Auftragsmörder, um die Umweltzu zerstören. Trotzdem (oder vielleicht gerade deshalb) übtedie europäische Politik keinen Druck auf die Regierung inRom aus, damit die Bevölkerung endlich aufgeklärt würde.Für den Tourismus in Kalabrien und die dortigen Bewoh-ner könnte die Erkenntnis tödlich sein, dass radioaktiveroder anderer Giftmüll in der Nähe der Küste, insbesonderein der Provinz Catanzaro, versenkt wurde. Deshalb befürch-tete nicht nur Sebastiano Venneri, der Vizepräsident der Um-weltschutzorganisation Lega Ambiente, dass Radioaktivitätdurch undichte Behälter bereits vom Plankton aufgenommenworden sein könnte. Wenn das der Fall ist, besteht die Gefahr,dass sie ihren Weg in die Nahrungskette gefunden hat.

Wer badet schon gerne in einer vergifteten Badewanne?Glücklicherweise sieht man es nicht, könnte man zynisch sa-gen. Und deshalb entstehen entlang der Küste immer mehrFerienressorts und Hotels, finanziert von der ’Ndrangheta.Für deren Clans, unter anderem aus Ciro, war die Giftmüll-entsorgung ein Milliardengeschäft, weitaus ertragreicher undproblemloser als der Drogenhandel. Sie kassierten für denTransport, für die angebliche Entsorgung des Giftmülls und

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schließlich für die untergegangenen Schiffe auch noch dieVersicherungssumme.

Und noch ein Beispiel für die doppelten Standards beider Bewertung, was organisierte Kriminalität ist und waslegales Handeln: Die Arbeitskosten stellen ein generelles Pro-blem in den industrialisierten Ländern dar. Hohe Arbeitskos-ten mobilisieren Firmen und Arbeiter gleichermaßen, aberin unterschiedliche Richtungen. Die Firmen verlagern ihrenSitz in Billiglohnländer, um dort billige Arbeitskraft zu kau-fen, und die billigen Arbeitskräfte flüchten in Richtung derreichen Länder, um mehr Geld für ihre Arbeit zu bekommenund überleben zu können. Während die Firmen, die globalbillige Arbeitskräfte einkaufen gehen, nicht als Kriminelle be-zeichnet werden, sind Arbeitskräfte, die, um überhaupt eineinigermaßen menschenwürdiges Leben führen zu können,in Richtung der reichen Länder flüchten, illegal, und diejeni-gen, die ihnen helfen oder sie beschäftigen, sind kriminell.

Wie stark wichtige Funktionsträger der legalen Wirt-schaft in hochkriminelle Strukturen eingebunden sind, ohnedie sie weitaus weniger Profite erwirtschaften könnten, de-monstriert die deutsche Bauwirtschaft. Das Vorstandsmit-glied eines großen deutschen Baukonzerns sagte mir Folgen-des: »Die deutsche Bauwirtschaft finanziert die sizilianischeCosa Nostra und andere Mafiagruppen. Jeden Tag. Per Bank-überweisung, Kontonummer bekannt. Das geschieht vor denAugen von Finanz-, Sozial- und Polizeibehörden. Das ist aufDeutschlands Großbaustellen an der Tagesordnung.«

Er berichtete davon, dass das von den Baukonzernen anbestimmte Strohmänner der Cosa Nostra bezahlte Geld fürBauleistungen auf dem Konto des Strohmannes landete. An-schließend wurde es – oft nur wenige Stunden nach der Gut-schrift – wieder abgehoben. Bankangestellte würden sich

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öfters darüber wundern, dass junge Männer, die kaum einWort Deutsch sprechen, das Geld bündelweise zur Tür hin-austragen. Draußen wartet Hintermann S. in einer schwerenschwarzen Limousine. Der Wartende hat seinen Geldbotenschon viele Male in die Bank geschickt, um Geld abzuho-len. Der Strohmann ist zwar formeller Geschäftsführer einerdeutschen Baufirma. Als gelernter Bäcker spricht er aber keinDeutsch und hat keine Ahnung vom Bauen. Seine Firma istim Handelsregister eingetragen, beim Gewerbe- und Finanz-amt und bei der Krankenkasse gemeldet. Alles legal. Am wich-tigsten, sagen Ermittler, sei der Briefkasten neben der Haus-tür. Der Firmeninhaber, der kein Deutsch spricht, holt diePost ab, öffnet sie jedoch nicht, sondern übergibt sie R. odereinem seiner Aufpasser, die R. jedes Mal mitbringt. R. be-zahlt auch den Firmeninhaber. Dafür erwartet er Treue. Man-gelnde Loyalität quittiert er mit Gewalt.

Auch bei einigen Anwaltskanzleien weiß man inzwi-schen nicht mehr genau, wem sie eigentlich dienen. In Berlin,nahe dem Kurfürstendamm, gibt es eine Anwaltskanzlei, dienur russische Kunden bedient. Auffällig ist, berichtet ein An-walt, der dort gearbeitet hatte, dass die Besetzung der Kanz-lei alle paar Monate wechselt – genauso wie die Namen derGeschäftsführer. In guter Erinnerung sei ihm ein Geschäfts-führer, der damit geprahlt hatte, in Moskau einen Banker ausdem Fenster geworfen zu haben. In Berlin fahre er einen teu-ren Sportwagen und handele außerdem in großem Stil mitDerivaten und Stahl. »Als über Nacht über 4000 Akten ver-schwanden (samt Schränken), habe ich mich verabschiedet«,erzählte er mir in seinem neuen Büro in Potsdam. Seiner Mei-nung nach wurde und wird immer noch in großem UmfangGeldwäsche durch jene Berliner Kanzlei betrieben. Aus Angstum sein Leben wollte er jedoch nicht mehr erzählen. Er kann

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sich nämlich gut an die Aussage eines renitenten Klienten er-innern, bei dem ihm gesagt wurde: »Wir können ihn auchbeseitigen lassen.«

Ein Rückblick – der Eiserne Vorhang fällt

Vor einem Vierteljahrhundert herrschten in den ein-zelnen Nationalstaaten die unterschiedlichsten kriminellenOrganisationen mit ihren jeweiligen Bezeichnungen wie zumBeispiel Mafia, Kartelle, Gangster, Syndikate, Yakuza oderTriaden. Sie hatten damals, abgesehen von der sizilianischenCosa Nostra, fast alle nur bedingt eine grenzüberschreitendeBedeutung. Ein einschneidendes Ereignis für die neue Zeitwar jedoch der Fall der Berliner Mauer im November 1989mit den entsprechenden politischen Auswirkungen in Ost-europa und der UdSSR.

Zum gleichen Zeitpunkt, als die Bürger aus der DDRnach Westberlin strömten, hörten die italienischen Strafver-folgungsbehörden ein Telefongespräch ab. Es war der 9. No-vember 1989, 23:45 Uhr. Der Capo38 des Cosa-Nostra-ClansMorabito aus Catania (Sizilien) sprach mit seinem Statthalterin Westberlin. »Sie kommen ja jetzt alle in den Westen. Dumein Freund aber gehst in den Osten und kaufst alles, wasmöglich ist.«

»Was?«, fragte sein Berliner Amigo.»Kaufe Hotels, Restaurants, kaufe Unternehmen. Kaufe

alles, was du findest.«Im Sommer 1990 entdeckte die italienische Finanzpoli-

zei eine Übereinkunft der Mafia mit dem Philipp-Holzmann-Konzern, der sich 1988 über eine Fiat-Tochtergesellschafteinen öffentlichen Auftrag über zehn Milliarden Lire zum Bau

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eines Staudamms in Corleone (Sizilien) sicherte. Dieses Ereig-nis wurde von den italienischen Staatsanwälten als Signal fürden tatsächlichen Einzug Siziliens in den gemeinsamen euro-päischen Markt gewertet.

»Tatsächlich aber hatte Philipp Holzmann der Mafia durchdie Weitergabe sämtlicher Subunternehmeraufträge denGroßauftrag besorgt. Vor dem Hintergrund der bekanntendeutschen Effizienz war der sich später als berechtigt erwie-sene Verdacht bezüglich der Gründe dafür aufgekommen,warum nach zwei Jahren die Kosten zwar weiter stiegen, dieArbeiten jedoch noch lange nicht abgeschlossen waren.«39

Drei Jahre später, im Februar 1993, traf sich ein Sizilia-ner, ein Vertreter der amerikanischen Cosa Nostra, mit demRepräsentanten einer Bank aus dem russischen Ural, mit-ten in einem bekannten militärisch-industriellen Komplex,in einer besonders ölreichen Gegend. Nach Angaben derrussischen Ermittlungsbehörden war es »der Heimatort ei-nes Clans der russischen Mafia, die auf dem gesamten sow-jetischen Gebiet operierte. Berlin wurde danach als Ort fürdie Treffen der beiden kriminellen Organisationen ausge-wählt und innerhalb kurzer Zeit das Zugangstor, durch dasder illegale Handel des Ostens sich in Westeuropa ausbreitenkonnte.«40

Für die kriminellen Organisationen weltweit herrschteAufbruchstimmung. 1989 und die folgenden Jahre ermöglich-ten nun in ungeahntem Umfang die kriminelle Infiltrationder legalen Wirtschaft durch schmutziges und blutig erwirt-schaftetes Geld. Davon ist auch Antonio Maria Costa von derUNODC überzeugt, ebenso wie viele internationale Krimi-nalisten. Doch im Taumel der Begeisterung, dass der Kom-munismus nun besiegt sei, vergaß man, die Wirklichkeit indiesen ehemaligen Diktaturen zur Kenntnis zu nehmen. Die

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westlichen Entscheidungsträger implantierten unkritisch dieIdeologie eines angeblich sich selbstregulierenden Marktesund unterschätzten vollständig auch die Notwendigkeit lega-ler Standards in den Transformationsstaaten, wo darüber hi-naus auch die entsprechenden Institutionen fehlten, um sol-che Standards durchsetzen zu können.

Und so wurde nach dem Zusammenbruch der UdSSRgleichsam über Nacht Schwarzgeld in Höhe von MilliardenDollar aus der Ex-UdSSR, das dort gestohlen und/oder er-presst wurde, bei honorigen westlichen Banken recycelt. Diewestlichen Finanzberater, Banker und Kapitalanleger warenüber die Transfers kriminellen Kapitals aus der Ex-UdSSR na-türlich dankbar, führten sie doch zu einem weiteren enormenAnstieg der Liquidität auf den globalen Finanzmärkten. Rie-sige Firmenkonglomerate entstanden.

In Österreich wie in Deutschland hatte sich zum Beispieleines dieser Imperien bereits Mitte der neunziger Jahre fest-setzen können. In einem Bericht der österreichischen Polizeiist Folgendes zu lesen: »Für den österreichischen Staat stelltdas Unternehmen insofern eine konkrete Gefahr dar, als diehier etablierten, mit L. in Verbindung stehenden Firmenund das ihnen zur Verfügung stehende Kapital einen enor-men, immer stärker werdenden Wirtschaftsfaktor darstel-len. Diese Wirtschaftsmacht weist aber keinerlei Stabilität,eher einen destruktiven Charakter auf … es besteht die Ge-fahr, dass diese ›Businessmen‹, haben sie sich erst einmal imWirtschaftsbereich situiert, in weiterer Folge ihre eigenen In-teressen auf ihre eigene hinlänglich bekannte Art durchsetzenwerden.«

In einem Dokument von Interpol ist über einen dieser»Businessmen« zu erfahren, dass er sich in einem WienerLokal mit Personen trifft, »die der kriminellen tschetscheni-

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schen Szene angehören. Während dieser Treffen wird das Res-taurant für andere Gäste geschlossen.« Und die Sicherheitsbe-hörden in Österreich schrieben schon mal: »Gegen ihn werdenlaufend Erhebungen durchgeführt. Ziel dieser weltweit ge-führten Ermittlungen ist es, die Verdachtsmomente, zum Bei-spiel Geldwäsche und Betrug, gegen ihn zu konkretisierenund in weiterer Folge gerichtsanhängig zu machen.«

Bis zum heutigen Tag hat sich an dem Einfluss diesesUnternehmens nichts geändert. Vielmehr ist das eingetreten,was die österreichischen Sicherheitsbehörden bereits vor zehnJahren alarmiert hatte.

Ein Szenenwechsel nach Italien: Massimo Ciancimino istderzeit ein Kronzeuge der Staatsanwaltschaft in Palermo,und zwar für die Verbindungen zwischen hoher Politik inRom und der Cosa Nostra. Ich treffe ihn in Bologna, in ei-nem alten, gerade renovierten Palazzo. Im Hauseingang hin-ter der riesigen, schweren Pforte steht auf seinem Briefkas-ten sogar sein Name. Das Appartement im dritten Stock istvollgestopft mit einem Riesenfernseher; auf den beiden gro-ßen antiken Tischen liegen dicke Wälzer, unter anderem einBuch des italienischen Dichters Giosuè Carducci (Prosadi Giosuè Carducci), der 1906 den Nobelpreis für Literaturerhielt. Vielleicht ist das Buch für Massimo Ciancimino sowichtig, weil er sich selbst darin widerspiegeln möchte. DieProsa des Dichters zeichnet sich »durch den verneinendenGeist, die Rebellion als die treibende Kraft des Lebens, alsder Genius geistiger Unabhängigkeit und Schrankenlosigkeitaus«41.

Unter dem Buch liegen Zeitschriften über moderneWohnungseinrichtungen, und auf dem Balkon steht ein klei-nes Kindermotorrad mit der Aufschrift »Police«. Ich wollte

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mit ihm über die behaupteten Verbindungen zwischen CosaNostra und dem russischen Energieriesen Gazprom sprechen,bei denen er eine zentrale Rolle gespielt haben soll (sieheSeite 117 ff.).

Sein Vater Vito Massimo war Anfang der neunziger Jahrenicht nur kurzfristig Oberbürgermeister von Palermo, son-dern zugleich eng mit Toto Riina, dem damaligen Capo ditutti capi, dem Boss der Bosse der Cosa Nostra, verbunden.Massimo, ein zierlicher Mann, 1,65 Meter groß, erzählt mir,dass er seinen Vater Don Vito auch bei dessen Gängen in dieVatikanbank Istituto per le Opere di Religione (IOR) begleitethabe. Die Schmiergeldzahlungen, die sein Vater für öffentli-che Aufträge in Palermo kassierte, seien nach seinen Wortensämtlich in der Vatikanbank gebunkert worden.

»Von diesen Konten wiederum«, erzählt Massimo Cian-cimino, »gingen zeitweise 20 Prozent der Eingänge an TotoRiina.« Er verfügt also über gewisse Erkenntnisse, zum Bei-spiel diese: »Mein Vater wurde gefragt, ob er Bernardo Pro-venzano in Deutschland treffen möchte.« Bernardo Proven-zano wurde damals mit internationalem Haftbefehl gesucht.»Und sie haben meinen Vater auch gefragt, ob er jetzt,nach dem Fall der Mauer, Immobilien in der DDR kaufenmöchte.«42

Die Wege der legalen und der kriminellen Wirtschaftkreuzten sich Anfang der neunziger Jahre immer häufiger.Beide verfolgten nur das eine Ziel, die höchsten kurzfristigenRenditen zu erwirtschaften. Und ständig profitierten sie vonihren jeweiligen Stärken. Verdrängt wurde, dass die Besitzerder großen neuen Konzerne aus der Ex-UdSSR, die auch inDeutschland in großem Umfang zu investieren begannen,ihren grenzenlosen Reichtum ausschließlich dem Zustand ver-dankten, dass sie alles zusammengestohlen hatten, dass sie

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Mordaufträge an ihre Sicherheitschefs gegeben hatten, umihren Einfluss zu sichern.

Zum Beispiel der einstige Oligarch Michail Chodorkows-kij. Anfang der neunziger Jahre baute er sein Imperium mitdem Öl-Unternehmen Jukos und der dazugehörenden Finanz-holding Menatep auf. Die schweizerische Bank Menatep S. A.spielte dabei eine wesentliche Rolle. Chodorkowskij transfe-rierte über ein Unternehmen auf den Jersey-Inseln MilliardenUS-Dollar auf ein Konto der Schweizer UBS-Bank. Geld hatteer auch bei der Dresdner Bank (Schweiz) angelegt.43

Im Aufsichtsrat der Menatep S. A. in Genf saß übri-gens der ehemalige deutsche Wirtschaftsminister Otto GrafLambsdorff (FDP), ein Mann also, der sich mit Steuerfragenauskannte und sich vehement für Michail Chodorkowskijstark machte. Keiner warf auch nur einmal die Frage auf, wa-rum einer der Sicherheitschefs des einstigen Oligarchen imGefängnis sitzt. Hat er etwa auf eigenes Risiko gearbeitet oderim Auftrag seines Chefs?

Der Bürgermeister von Nefteyugansk etwa hatte gefor-dert, dass Jukos Steuern bezahlen sollte. Er wurde erschossen.Ein Ehepaar, das von den Jukos-Sicherheitskräften angeheuertwurde, um Auftragsmorde zu organisieren, versuchte, das Un-ternehmen zu erpressen, indem es Anteile an dem Geschäftforderte. Das Ehepaar wurde erschossen. »Die Besitzerin ei-nes kleinen Unternehmens wurde vom Jukos-Sicherheits-dienst aufgefordert, ihnen das Unternehmen zu übergeben.Sie weigerte sich. Daraufhin wurde ein Killer angeheuert, dersie nahe ihres Appartements vor den Augen ihres Ehemannesniederschoss.«44 Auch das gehört, ob man es wahrhaben willoder nicht, zu den Fakten, die in der westlichen Öffentlichkeitverschwiegen werden, wenn es um Oligarchen wie MichailChodorkowskij geht, genauso wie der Rachefeldzug von Wla-

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dimir Putin gegen den ungeliebten Oligarchen. Würde er diegleichen Maßstäbe bei den anderen Oligarchen anlegen – siewären heute alle hinter Gittern.

In Deutschland selbst passten sich Gangster und dieihnen verbundenen Unternehmer ebenso schnell der neuenZeit und den Gegebenheiten an. Der Aufstieg von Herrn Ed-mund (Name von der Redaktion geändert) erscheint wie einMikrokosmos der in den neunziger Jahren kommenden Ent-wicklung. Damals, Anfang der neunziger Jahre, sorgte er fürfette Schlagzeilen als größter Steuerbetrüger Deutschlands. Ergründete 1991 ein deutsch-russisches Unternehmen, um inslukrative Ostgeschäft einzusteigen. Hinweise lagen vor, dasser in Waffengeschäfte mit dem Irak sowie in Devisenschiebe-reien des früheren DDR-Devisenschiebers Alexander Schalck-Golodkowski verstrickt gewesen sei.

Edmund residierte in einem feudalen Schloss mit 22 Zim-mern, in dem die feine Gesellschaft Schleswig-Holsteins einund aus ging, finanzierte schon mal die Rallye Paris–Dakar.Doch vom Pförtner, der Sekretärin, dem Sachbearbeiter biszum Fabrikleiter – alles war mehr oder weniger Blendwerk.Edmund gelang es, mit einer Reiseschreibmaschine das Kie-ler Finanzamt zu narren, und zwar mit selbst geschriebenenRechnungen im Stil eines Hauptschülers, wie sich Ermittlerspäter erinnerten. Er schrieb eine Rechnung über 3,4 oderfünf Millionen Mark für zum Beispiel 3241 Schutzanzüge à25 000 Mark das Stück, und dann erstattete das Finanzamtdie Mehrwertsteuer als Vorsteuererstattung für angeblicheExportgeschäfte. Hilfreich war, dass er die gesamte Finanz-verwaltung bis zur Ministerin persönlich kannte.

Insgesamt betrog der ehemalige Schuhverkäufer den deut-schen Steuerzahler um 200 Millionen Mark. Verurteilt wurdeer schließlich zu achteinhalb Jahren Haft. In der Gerichtsver-

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handlung entschuldigte er sich damit, dass er Firmen, die aufder Kippe standen, aufkaufen und die Arbeitsplätze rettenwollte. Laut Gerichtsurteil war er angeblich Einzeltäter.

»Wer es glaubt, wird selig«, sagten mir hingegen Beamtedes Landesamtes für Verfassungsschutz in Kiel. »Russen sindbei ihm ein und aus gegangen. Wir hatten Informanten überseine Kontakte zu OK-Gruppen, zu Anwälten, Unternehmern.Dabei ging es auch um Waffengeschäfte mit der algerischenFirma White Star, einer Tarnfirma des syrischen Nachrich-tendienstes.« Die damalige Ministerpräsidentin in Schleswig-Holstein, Heide Simonis, beklagte seinerzeit »die Unfähigkeitvon Ermittlungsbehörden im Kampf gegen die ständig wach-sende Wirtschaftskriminalität«45. Die Klagen könnte sie heutewiederholen, denn geändert hat sich nichts.

Territoriale Herrschaft – am Beispiel Hannover

Wie hoch die Summen sind, die unter anderem alleindurch den Drogenhandel und die Zwangsprostitution voneinzelnen kriminellen Organisationen derweil in deutschenKommunen gewaschen und investiert wurden, ist statis-tisch nicht belegbar. Prinzipiell geht es kriminellen Organi-sationen, gleichgültig unter welcher Bezeichnung sie bekanntsind, um zwei strategische Ziele: territoriale Herrschaft undProfitmaximierung. Das unterscheidet sie nicht von ande-ren Marktteilnehmern – mit dem Unterschied, dass sie auchdie illegalen Märkte bedienen. »Die Kontrolle eines Geschäftserlaubt der Mafia, Wohltaten in Form von Jobs zu verteilenund in weiterer Konsequenz ganze Regionen unter ihre öko-nomische Abhängigkeit zu bringen. Investitionen in die legaleWirtschaft erlauben es, vom Wachstum dieser Geschäfte zu

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Jürgen Roth

GangsterwirtschaftWie uns die organisierte Kriminalität aufkauft

Taschenbuch, Broschur, 416 Seiten, 11,8 x 18,7 cmISBN: 978-3-453-60202-1

Heyne

Erscheinungstermin: September 2012

Bestsellerautor Jürgen Roth zeigt erstmals, wie kriminelle Organisationen Teil der deutschenWirtschaft geworden sind: mit Unternehmensbeteiligungen, durch Investitionen in Fonds undAktien – und mithilfe von Anwälten, Wirtschaftsprüfern und Bankern, die schmutziges Geldsauber waschen. Seine provokante Frage: Warum sollten Politik, Justiz und Wirtschaft etwasändern, wenn offenbar alle profitieren?