19
Das Heute ist nicht denkbar ohne das Gestern. Unsere Entscheidungen, unsere Visionen, unsere Erkenntnisse resultieren daraus. Vergangenheit um- hüllt uns in allem, umhüllt auch diese Publikation: die Geschichte des Hauses ist unser Schutzumschlag, hinter dem Antlitz eines Menschen verborgen. Ge- schichte trägt uns, schützt uns, fordert uns heraus. Das abgebildete Antlitz zugleich ist es, das die Fachschule prägt: mit Lehrerin- nen und Lehrern, die ihr Berufsleben der Ausbildung junger Menschen mit besonderen Bedürfnissen widmen. seebehind schenkt einen Einblick in das Jetzt, in das Heute, verführt Sie in die Welt des „schwer Erkennbaren“, des „sehenden Forschens“, dem zuletzt für Sehende unergründlichen Gefühl der Blindheit. Mein Name ist Melanie und ich komme aus Kärnten. Ich bin das Gesicht auf der Titelseite dieses Buches. Ich schloss die Augen für den Fotografen. Die Erinne- rung an die Zeit des ersten Kontakts mit den Fachschulen blitzt auf. Wie viel hat sich seither geändert, was sehe ich heute mit anderen „Augen“? Was erlebe ich heute anders? Meine Sehbehinderung nennt sich Reti- nitis Pigmentosa, eine fortschreitende Netzhauterkrankung, durch die ich eine Gesichtsfeldeinschränkung in Form eines Röhrchensehens habe. Ich sehe die Welt wie durch ein Fernrohr. Meine Familie war nicht begeistert, dass ich in die „Großstadt Graz“ zur Ausbil- dung gehe. Selbst ich war sehr skeptisch und es fiel mir nicht leicht, mich für die Schule zu entscheiden. Erst einige Jahre nach meinem Erstkontakt war ich so weit, mich der Herausforderung zu stel- len und meine Ausbildung zur Bürokauf- frau zu starten. Eine gute Entscheidung, die ich für meine Zukunft getroffen habe. Es hat noch keinen Tag gegeben, an dem ich diese Schule nicht mit einem Lächeln betreten habe. Und so werde ich verwan- delt hinausgehen – eines Tages. Foto (Titelseite/Rückseite): Harold Naaijer

Jubiläumspublikation Fachschulen Odilien-Institut

Embed Size (px)

DESCRIPTION

Publikation zum 40- bzw. 30-jährigen Bestehen der Fachschulen

Citation preview

Das Heute ist nicht denkbar ohne das Gestern. Unsere Entscheidungen, unsere Visionen, unsere Erkenntnisse resultieren daraus. Vergangenheit um-hüllt uns in allem, umhüllt auch diese Publikation: die Geschichte des Hauses ist unser Schutzumschlag, hinter dem Antlitz eines Menschen verborgen. Ge-schichte trägt uns, schützt uns, fordert uns heraus.

Das abgebildete Antlitz zugleich ist es, das die Fachschule prägt: mit Lehrerin-nen und Lehrern, die ihr Berufsleben der Ausbildung junger Menschen mit besonderen Bedürfnissen widmen.

seebehind schenkt einen Einblick in das Jetzt, in das Heute, verführt Sie in die Welt des „schwer Erkennbaren“, des „sehenden Forschens“, dem zuletzt für Sehende unergründlichen Gefühl der Blindheit.

Mein Name ist Melanie und ich komme aus Kärnten. Ich bin das Gesicht auf der Titelseite dieses Buches. Ich schloss die Augen für den Fotografen. Die Erinne-rung an die Zeit des ersten Kontakts mit den Fachschulen blitzt auf. Wie viel hat sich seither geändert, was sehe ich heute mit anderen „Augen“? Was erlebe ich heute anders?

Meine Sehbehinderung nennt sich Reti-nitis Pigmentosa, eine fortschreitende Netzhauterkrankung, durch die ich eine Gesichtsfeldeinschränkung in Form eines Röhrchensehens habe. Ich sehe die Welt wie durch ein Fernrohr.

Meine Familie war nicht begeistert, dass ich in die „Großstadt Graz“ zur Ausbil-dung gehe. Selbst ich war sehr skeptisch und es fi el mir nicht leicht, mich für die Schule zu entscheiden. Erst einige Jahre nach meinem Erstkontakt war ich so weit, mich der Herausforderung zu stel-len und meine Ausbildung zur Bürokauf-frau zu starten. Eine gute Entscheidung, die ich für meine Zukunft getro� en habe.

Es hat noch keinen Tag gegeben, an dem ich diese Schule nicht mit einem Lächeln betreten habe. Und so werde ich verwan-delt hinausgehen – eines Tages.

Foto (Titelseite/Rückseite): Harold Naaijer

SEEBEHINDSEEBEHINDSEHBEHINDERTSEHBEHINDERTSEHBEHINDERTSEHBEHINDERTSEHBEHINDERTSEHBEHINDERTSEHBEHINDERTSEHSEHSEHBEHINDERTSEHBEHINDERTSEHSEHSEHBEHINDERTSEHBEHINDERTRTRTSEHBEHINDERT SEEBEHINDSEEBEHINDSEEBEHINDNDNDSEEBEHIND

Die berufliche Bildung von Menschen mit Sehbehinde-rung oder Blindheit hat im Odilien-Institut eine mehr als 100-jährige Tradition. Unsere Jubiläen füllen einen Teil dieser Tradition. Die Weiterentwicklung der beruflichen Bildung ist sowohl Beweis für eine konsequente Ver-folgung der Gründeridee als auch der Zielsetzung des Odilien-Vereines.

Am 10. Mai 1881, also vor mehr als 130 Jah-ren, wurde die „Erziehungsanstalt“ - so die damalige Bezeichnung - erö�net. Unmittelbar nach der Erö�nung dieser Einrichtung begann

man auch mit dem Unterricht, der sich in einen Schul-, Musik- und Arbeitsunterricht gliederte. Die Vorbereitung auf ein Berufs- bzw. Arbeitsleben fand somit eine ent sprechende Berücksichtigung. Ab dem Jahr 1917 konnten alle interessierten Schülerinnen und Schüler in der anstaltseigenen „Gewerblichen Fortbildungsschule“ in den Sparten Bürstenmachen und Korbflechten eine Ausbildung erhalten. Das Besondere dieser Gewerb-lichen Fortbildungsschule bestand darin, dass sie im Jahre 1926 bereits einen eigenen - von der zuständigen Schulbehörde genehmigten - Lehrplan besaß, der einen speziellen Bezug zur handwerklichen Ausbildung für sehgeschädigte Menschen herstellte.

ZUKUNFTSFRAGEN

Damit man auch in Zukunft den Anforderungen der Wirtschaft und der schulischen Bildung gerecht werden kann, wird der seit 1983 be-stehende Lehrplan der Hauswirtschaftlichen

Schule für Sehbehinderte zurzeit einer grundlegenden inhaltlichen, strukturellen als auch organisatorischen Erneuerung unterzogen. Unter Mitarbeit aller Fach-kolleginnen und –kollegen wurden die Bildungs- und Lehrinhalte kompetenzorientiert formuliert und für die geplante Semestrierung vorbereitet. Die Themen soziale und personale Kompetenz finden in verstärktem Maße Berücksichtigung. Somit startet die dreijährige humanberufliche Schule im September 2014 nach ihrem runden Geburtstag mit einem neuen Lehrplan und einer neuen Schulbezeichnung in das Schuljahr 2014/15. Dies gilt auch für die Berufliche Lehranstalt für Sehbehinderte und Blinde. Beide berufsbildenden Schulen im Odilien-Institut, die in organisatorischer Ein-heit geleitet werden, starten demnach ab September 2014 mit den zeitgemäßen Bezeichnungen

TECHNISCHE FACHSCHULE FÜR MENSCHEN MIT SEHBEHINDERUNG

ODER BLINDHEIT

sowie

WIRTSCHAFTLICHE FACHSCHULE FÜR MENSCHEN MIT SEHBEHINDERUNG

ODER BLINDHEIT.

Nur gute inhaltliche Konzepte, verbunden mit guten Rahmenbedingungen, können die Grundlage für den Le-bensraum Schule bilden. Die handelnden Menschen im Lehr- und Lernprozess prägen ihr jedoch eine besondere Atmosphäre ein, die von einem Klima des gegenseitigen Respektes und der gegenseitigen Wertschätzung getragen ist, denn Bildung wird stets verdeutlicht in der Anerkennung der Würde des Menschen.

DIE ACHTZIGER

Ständige Veränderungen und Erneuerungen sowohl in der Berufsausbildung im Allgemeinen als auch am konkreten Arbeitsplatz für Men-schen mit Sehbehinderung oder Blindheit sowie

eine Intensivierung im Bereich der lebenspraktischen Fertigkeiten und auf dem Hilfsmittelsektor gaben Anlass, den gesamten Lehrplan im Jahre 1982 den geänderten Bedingungen anzupassen. Auf den Stun-dentafeln der einzelnen Ausbildungssparten standen damals wie heute allgemeinbildende, fachtheoretische und sogenannte praktische Gegenstände, deren Lehrin-halte sehr knapp formuliert waren und das Besondere sowohl an Gegenständen als auch an Inhalten für sehbehinderte oder blinde Schülerinnen und Schüler noch nicht im erforderlichen Maße berücksichtigten. Diese Adaptierung war eine aufwendige und mühevolle Arbeit, die sich gelohnt und in der Form bestätigt hat, als die Anrechnung der Lehrberufe in den einzelnen Ausbil-dungsbereichen aufgrund schulmäßiger Ausbildung vom Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie in Zusammenarbeit mit den Bundesministerium für Unter-richt und Kunst ohne Abstriche erfolgen konnte. Somit war die Abschlussprüfung mit einer Lehrabschlussprü-fung gleichgestellt. Auch die verpflichtend vorgesehene Ferialpraxis erwies sich als zweckmäßig. Jeder Abgänger kommt somit bereits vor dem Abschluss seiner Aus-bildung mit einem Betrieb in Kontakt und muss sein Können unter Beweis stellen. Bei dieser Kontaktnahme wird auch die innerbetriebliche Mobilität und Eingliede-rungsfähigkeit praktisch überprüft und ebnet den Weg für einen festen Arbeitsplatz.

Der Zugang zu einer qualifizierten Ausbildung mit Abschlussprüfung ist nicht für alle Schülerinnen und Schüler möglich. Daher war es ein besonderes Anliegen, auch die Rahmenbedingungen für die Ausbildung von lern- und mehrfach behinderten Jugendlichen neu zu gestalten. Die modifizierte Ausbildungsmöglichkeit sieht einen vermehrten praktischen und einen vermin-derten theoretischen Unterricht mit einer fachtheoreti-schen Ergänzung vor. Das diesem Unterricht zugrunde gelegte Unterrichtsprinzip besteht aus einer individuell und gesamtpersönlichkeitsfördernden Betreuung. Die Auswahl der Lehrinhalte in den allgemeinbildenden Gegenständen wird durch die besondere Lebensnähe bestimmt und kann dem Entwicklungsstand der Be-tro�enen angepasst werden. Mit der gesetzlichen Ver-ankerung dieses Ausbildungsmodus – der in Österreich einzigartig ist – im Organisationsstatut wurde sowohl für Schüler als auch Lehrer ein Konzept gescha�en, das die Entfaltung des Individuums ermöglicht und unterstützt.

GRÜNDUNG DER HUMANBERUFLICHEN SCHULEDie verstärkte Förderung und Betonung lebensprakti-scher Fertigkeiten im Bildungsprogramm von Menschen mit Sehbehinderung oder Blindheit gab den Anstoß zur Gründung einer humanberuflichen Schule. In dieser Schulform gab es mehrere Gegenstände mit lebenspraktischen Inhalten, die den Intentionen der Ausbildungsschwerpunkte von Menschen mit einer Sehbeeinträchtigung entgegenkamen. Somit wurde im Jahr 1983 die dreijährige Hauswirtschaftliche Schule für Sehbehinderte aus der Taufe gehoben. Ein für diese spezielle Schulform ausgearbeiteter Lehrplan bildete die pädagogische Grundlage. Zu Schulbeginn im Sep-tember 1983 wurde die Schule mit fünf Schülerinnen erö�net. Ein Teil des fachtheoretischen und praktischen Unterrichts fand in den Räumlichkeiten des Fachschul-internates statt, das in das Obergeschoß des Haupt-hauses übersiedelte. Mit Wirksamkeit von 1. Mai 1986 wurde Franz Masser vom damaligen Bundesminister für Unterricht, Kunst und Sport, Herrn Dr. Herbert Moritz, zum Direktor der Beruflichen Lehranstalt für Sehbehin-derte und Blinde ernannt.

DIE SIEBZIGER

Im Mai 1974 war es soweit. Der Schulerhalter erhielt vom Bundesministerium für Unterricht und Kunst den Bescheid zur Erö�nung der „Beruflichen Lehranstalt für Sehbehinderte und Blinde“. Im September darauf

begann man mit der Ausbildung. Die Werkstätten und Klassenräume waren notdürftig im Haupthaus sowie im sogenannten Portierhaus untergebracht. Die Schule hatte es sich durch ihren speziellen Lehrplan zur Aufga-be gemacht, jungen Mädchen und Burschen mit einer Sehbeeinträchtigung eine berufliche Ausbildung anzu-bieten. Dabei ging es nicht nur um die Vermittlung von allgemeinen Bildungszielen und die Ausstattung von Qualifikationen für die Bewältigung eines zukünftigen Arbeitsplatzes, sondern auch um die Vermittlung spe-zieller Fertigkeiten, die für diese jungen Menschen ein selbstbestimmtes Leben ermöglichten. Somit ging es um die persönliche Mobilität und damit um die weitest-gehende Unabhängigkeit von Sehenden, nicht nur am Arbeitsplatz, sondern auch in allen lebenspraktischen Fertigkeiten, deren Beherrschung das Alltagsleben erleichtern und somit eine Verbesserung der Lebens-qualität insgesamt bewirken.

Der Aspekt, dass es bei einer beruflichen Ausbildung auch um die Vorbereitung auf Freizeit, auf ein Leben ohne Arbeitsplatz in der Gesellschaft geht, hat sich sukzessive verstärkt. Die eingangs erwähnten spezifi-schen Zielsetzungen wurden somit im Laufe der Jahre verstärkt im Unterricht aufgenommen und haben in der Ausbildung an Bedeutung gewonnen.

Am 14. September 1974 wurde die Berufliche Lehran-stalt für Sehbehinderte und Blinde mit den Abteilungen Bürsten- und Pinselerzeugung, Korb- und Möbelflech-terei, Weberei und Metallbearbeitung unter der proviso-rischen Leitung von Frau Prof. Sr. Imelda Krismanits, die bereits die Leitung der Pflichtschule innehatte, erö�net. Der Lehrkörper umfasste damals 12 Lehrerinnen und Lehrer der verschiedenen Unterrichtsgegenstände sowie den späteren Schulleiter Franz Masser.

Die Verleihung des Ö�entlichkeitsrechtes auf Dauer im Jahre 1978 war ein wichtiger Schritt für den weiteren Ausbau der Schule. Somit war auch die rechtliche Voraussetzung für die Durchführung der ersten Ab-schlussprüfung im Jahre 1978 gegeben. Sieben Schüler nahmen aus den Händen des Vorsitzenden, Herrn HR DI Bünzli, freudestrahlend ihre Abschlussprüfungszeug-nisse entgegen. Es war ein besonderer Tag im Leben dieser jungen Menschen. Ein Jahr später, im September 1979, gab es für die gesamte Schulgemeinschaft einen weiteren Grund zum Feiern: Die im Haupthaus verstreuten Werkstätten und teilweise zu kleinen Klas-senräume übersiedelten in das neu errichtete Gebäude für die Fachschule sowie Werkstätten. Diese räumliche Neuorganisation ging Hand in Hand mit der Installierung des neuen Schulleiters, denn mit 1. Juni 1979 erhielt die Fachschule einen eigenen Direktor in Person von Franz Masser, der beide Fachschulen bis heute leitet.

DIE SECHZIGER

Die handwerkliche Unterweisung wurde von Meistern durchgeführt, die Angestellte des Institutes waren. Der fachtheoretische und allgemeinbildende Teil der Ausbildung wurde

von Lehrern der Berufsschule VII erteilt, die keine sonderpädagogische Ausbildung hatten. Zu Beginn der Sechzigerjahre konnte das Berufsangebot mit den Fachrichtungen Weberei und Metallbearbeitung erwei-tert werden. In diesen Jahren gab es im Bereich der Blinden- und Sehbehindertenbildung eine große Auf- und Umbruchsstimmung, besonders in Deutschland, in der Schweiz und in den Niederlanden. Einige Kolleginnen und Kollegen aus Graz, die in der Berufsausbildung tätig waren, besuchten damals Fortbildungsveranstaltungen und Ausbildungsstätten im Ausland und ergänzten ihre eigenen Ideen und Bemühungen durch Anregungen aus den erwähnten Ländern. Bestärkt durch die Erneue-rungen auf dem Sektor der Blinden- und Sehbehinder-tenpädagogik und im Besonderen auf dem Sektor der Berufsausbildung leitete die damalige Schwester Oberin Theonilla mit einigen engagierten Kollegen eine Erneu-erung in die Wege. Man war entschlossen, einerseits die Ausbildung auf das Niveau einer berufsbildenden Schule zu bringen, und andererseits sehgeschädigten-spezifische Lehrinhalte und Methoden stärker in das Ausbildungsprogramm aufzunehmen. Ebenso sollte der Unterricht von ausgebildeten Blinden- und Sehbehin-dertenlehrern erteilt werden. Diese Intentionen führten schließlich zur Gründung einer berufsbildenden Schule im Odilien-Institut.

KRIEGSJAHRE

Während des Zweiten Weltkrieges musste das Institut seine Räumlichkeiten für Kriegszwecke zur Verfügung stellen. Es wurde zu einem Lazarett umfunktioniert.

Als nach dem Krieg eine allgemeine Neuorganisation der Berufsausbildung stattfand, brachte dies auch Än-derungen für die Berufsausbildung im Institut mit sich, das mittlerweile wieder von jenen Menschen bewohnt wurde, für die es ursprünglich bestimmt war.

MIT DEM NEUEN JAHRTAUSEND

Da man mit dem Erarbeiten und Gestalten von Lehrplänen bereits viel Erfahrung hatte, erfolgte nach zweijähriger Vorarbeit im Schuljahr 2003/04 die nächste Erweiterung

des Organisationsstatutes durch die Schulform „Fach-schule für Datenverarbeitung“. Diese dreieinhalbjährige Ausbildungsform trug den enormen Veränderungen in den Kommunikationstechnologien für Menschen mit Sehbehinderung oder Blindheit Rechnung. Die praxisorientierte Ausbildung, die ein dreimonatiges Betriebspraktikum vorsieht, in dem die Schülerinnen und Schüler ihr erworbenes Wissen zur Anwendung bringen, soll für die Absolventinnen und Absolventen die Chancen erweitern, am Arbeitsmarkt reüssieren zu können. Mittlerweile ist dieser Wunsch in vielfacher Hinsicht erfüllt worden.

Die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Ent-wicklungen in der Gesellschaft beeinflussen den schulpolitischen Entwicklungsprozess insgesamt. Sowohl die Neuerungen im Regelschulbereich als auch die arbeitstechnischen Anforderungen am Arbeitsmarkt gaben Anlass, innerhalb von zwei Jahren sämtliche Lehrpläne der einzelnen Abteilungen in der Beruflichen Lehranstalt für Sehbehinderte und Blinde neu zu gestalten bzw. zu adaptieren. Die vorgenom-menen Änderungen im Schuljahr 2009/10 waren sehr vielschichtig: Angefangen von der Reduzierung der Wochenstundenanzahl bis hin zu inhaltlichen Ergänzungen des Lehrsto�es, Umbenennung und Aus-weitung der Unterrichtsgegenstände und schließlich die Übernahme der neuen Ausbildungsbezeichnung aus dem Regelschulbereich von Datenverarbeitung in Informationstechnologie. Das Ö�entlichkeitsrecht für alle Ausbildungssparten blieb auf Dauer erhalten. Somit konnten auch die Abschlussprüfungen nach der neuen Prüfungsordnung durchgeführt werden. Die im Regel-schulbereich forcierte Durchlässigkeit im Bildungssys-tem wurde auch auf die Abschlüsse in der beruflichen Lehranstalt übertragen. Davon haben bereits einige Absolventinnen und Absolventen profitiert und das für ihre berufliche Karriere nützen können.

Die Abschlüsse in der dreijährigen Hauswirtschaftlichen Schule für Sehbehinderte haben durch den engen Kontakt mit der Wirtschaftskammer eine andere Ent-wicklung genommen. Bedingt durch die angebotenen Ausbildungsschwerpunkte in den Bereichen Büro und Gastronomie konnten, wie bereits erwähnt, die Absol-ventinnen und Absolventen eine Teilqualifizierungsprü-fung bzw. Lehrabschlussprüfung in den Lehrberufen Bürokaufmann/-frau und Koch/Köchin in der Wirt-schaftskammer Steiermark ablegen. Das Jahres- und Abschlusszeugnis der Schule wurde durch die Zertifikate der Wirtschaftskammer Steiermark bereichert und er-gänzt. Diese im Schulsystem einzigartige Form des Aus-bildungsabschlusses stellt sowohl für Schülerinnen und Schüler als auch Lehrerinnen und Lehrer eine während der Ausbildungszeit motivierende Herausforderung dar. Bei aller Bescheidenheit sei hier angemerkt, dass dieses aus der Sicht der Schule erfolgreiche Modell speziell für Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung eine Möglichkeit eines Abschlusses im sogenannten Regel-schulbereich darstellen könnte.

DIE NEUNZIGER

Als sehr langwierig und schwierig erwiesen sich die Verhandlungen über die Anrechnung der dreijährigen Ausbildung in der hauswirtschaft-lichen Schule als Ersatz der Lehrzeit. 1992

jedoch gelang es durch die direkte Kontaktaufnahme mit dem Wirtschaftsministerium, für die Lehrberufe Bürokaufmann/-frau sowie Koch/Köchin die Ausbildung als Ersatz für die Lehrzeit anzurechnen. Inzwischen konnten mehrere Absolventinnen und Absolventen in der Wirtschaftskammer ihr erworbenes Wissen und Können bei der Lehrabschlussprüfung – teilweise mit Auszeichnung – unter Beweis stellen. Die Wirtschafts-kammer Steiermark zeigte sich als äußerst kooperativer Partner, als es darum ging, für jene Absolventinnen und Absolventen ein von der Wirtschaft anerkanntes Zertifikat zu erlangen, die den Anforderungen einer Lehrabschlussprüfung nicht entsprechen konnten. Ab 1996 hatten Schülerinnen und Schüler aus allen Sparten beider Schulen die Möglichkeit, eine zwei- oder dreijährige Anlehre zu absolvieren, die lediglich in den Bundesländern Vorarlberg und der Steiermark angebo-ten wurde.

2005 wurde diese nicht im Berufsausbildungsgesetz geregelte Ausbildungsform durch die Teilqualifizie-rungslehre abgelöst. Diese durch das Berufsausbil-dungsgesetz gesetzlich anerkannte und für ganz Österreich geltende duale Ausbildung war eine auf das Individuum abgestimmte Form der Berufsausbildung, die auf Teilleistungsschwächen Rücksicht nimmt und die Stärken des Einzelnen fördert. Das spezielle Bil-dungsangebot wurde in beiden Fachschulen angesichts der steigenden Zahl von Jugendlichen mit erhöhtem Förderbedarf, die mit enormen Willen ihre Stärken nüt-zen und einbringen wollen, sehr gut angenommen.

Die rasche Entwicklung auf dem Elektroniksektor löste auch einen verstärkten Innovationsschub bei den Herstellern von elektronischen Hilfsmitteln für sehgeschädigte Menschen aus. Diesen Entwicklungs-tendenzen Rechnung tragend wurde nach zweijähriger intensiver Vorarbeit im Herbst 1989 ein Lehrgang für Informationsverarbeitung installiert. Durch den Besuch dieser einjährigen Zusatzausbildung sollten auch blinde und hochgradig sehbehinderte Menschen den techni-schen Fortschritt im EDV-Bereich entsprechend nützen können. Parallel zu dieser erfreulichen Entwicklung am Hilfsmittelsektor musste jedoch festgestellt werden, dass die Voraussetzungen für das Anwenden dieser Hilfen von Menschen, die auf Blindentechniken ange-wiesen sind, teilweise oder vollständig fehlten. Ein wei-terer Lehrgang, der den Erwerb dieser blindspezifischen Fertigkeiten und Arbeitsweise zum Inhalt hatte, wurde ebenfalls im Herbst 1989 erö�net.

Es war das Bestreben der Schule, das traditionelle Blindenhandwerk nicht über Bord zu werfen, sondern mit dem sogenannten „Neuen“ zu verbinden. Das folgende Zitat eines unbekannten Autors verdeutlicht diese Grundidee: „Das Neue mit allen Fasern des Her-zens suchen – das bewährte Alte so lange erhalten, bis das Neue das Bessere geworden ist“. Dieses Zitat spiegelte die Situation der Schule ein wenig wider. Es soll jedoch kein Hindernis dafür sein, die Entwicklung der Berufsausbildung für Menschen mit einer Sehbeein-trächtigung im Odilien-Institut weiter voranzutreiben. Die stetig steigende Schülerzahl und die Ausweitung der Berufsausbildungsmöglichkeiten der Fachschulen veranlassten das Kuratorium des Odilienvereins, die Räumlichkeiten der beruflichen Lehranstalt und der hauswirtschaftlichen Schule durch einen Überbau der Fachschule auszuweiten. Die Schülerzahl in beiden Schulen war mittlerweile von 18 im Jahre 1974 auf 50 angestiegen.

Sr. Imelda Krismanits war die erste Schulleiterin der Beruflichen Lehranstalt

für Sehbehinderte und Blinde.

„Das Neue mit allen Fasern des Herzens suchen – das bewährte Alte so lange erhalten, bis das Neue das Bessere geworden ist“. Es ist bis heute das Bestreben der Schulen,

das traditionelle Blindenhandwerk mit modernen Technologien zu verbinden.

Das Odilien-Institut wurde 1881 gegründet. Unmittelbar nach der Erö�nung begann man mit dem Unterricht. Ab 1917 konnten alle Schüler in der anstaltseigenen „Gewerblichen Fort-

bildungsschule“ in den Sparten Bürstenmachen und Korbflechten eine Ausbildung erhalten.

Schuljahr Schüler eingetreten

Schüler ausgetreten

bis 1988/89 172 144

1988/89 – 8

1989/90 15 21

1990/91 16 12

1991/92 7 10

1992/93 10 8

1993/94 5 8

1994/95 10 12

1995/96 26 18

1996/97 16 14

1997/98 20 15

1998/99 14 19

1999/00 11 16

2000/01 21 13

2001/02 12 13

2002/03 14 20

2003/04 21 10

2004/05 26 16

2005/06 24 17

2006/07 23 27

2007/08 27 22

2008/09 23 21

2009/10 18 26

2010/11 28 16

2011/12 23 22

2012/13 28 25

2013/14 16 0

626 553

Derzeit sind 73 SchülerInnen an den Fachschulen.

1974–2014 SCHÜLERSTATISTIK

Bürsten- & Pinsel-erzeugung

Korb- & Möbel-flechterei

Metallbear-beitung & Fertigungs-technik

Weberei Hauswirt-schaftliche Schule

EDV –Informations-technologie

Umschu-lungslehr-gang

1-jähr. Lehr-gang fürInformations-technologie

Summe

15 81 92 91 239 59 28 21 626

ABTEILUNGEN 1974–2014

staatlich anerkannte Prüfung

davon LAP in der WKO

Abschluss- prüfung in der Schule

Schulbes. ohne Ab-schluss-prüfung

frühzeitig ausge-treten

Anlehre Teilquali-fizierungs-lehre

Interne Abschluss-prüfung

Summe

235 38 118 215 98 12 67 5 553

ABSCHLÜSSE 1974–2014

Durch die Zeit ...

4030

SCHWARZSCHRIFT, DAS IST JENE SCHRIFT, DIE WIR JEDEN TAG ZU LESEN IMSTANDE SIND. DIE SCHRIFT GRÖSSE SPIELT NUR EINE RELATIVEROLLE BEIM BETRACHTEN DER BUCHSTABEN.DAS NORMALE LESEN MACHT UNS KEINE MÜHE UNDHIER, IN DIESEM TEXT, AN DIESER STELLE, WIRD KEINESFALLSDARAUF EINGEGANGEN, DASS DAS SINNERFASSENDE LESENNICHTS MIT DEM ERKENNEN DER BUCHSTABEN ZU TUN HAT, SONDERNVIELMEHR DAVON ABHÄNGT, OB WIR GERNE UND VIEL ODER EHER WENIGERGERNE UND WENIG LESEN. JE WENIGER WIR LESEN, DAS IST EIN FAKTUM, DESTOSCHNELLER VERLERNEN WIR DAS SINNERFASSENDE LESEN UND DAMIT DAS ERKENNENDER BOTSCHAFT, DIE HINTER DEN BUCHSTABEN STECKT. JE WENIGER WIR LESEN, DESTOSPÄTER WERDEN WIR WOHL ERKENNEN, DASS UNS DAS LESEN MIT ZUNEHMENDEM ALTER AUCH SCHWERERFÄLLT, DA WIR IRGENDWANN AUF EINE SEHHILFE ANGEWIESEN SIND, DAMIT DIE BUCHSTABEN OPTISCH SO GROSSBLEIBEN, WIE SIE EINST IN JUNGEN JAHREN FÜR UNS WAREN. ICH WIEDERHOLE: JE WENIGER WIR LESEN, DESTO SPÄTER WERDENWIR ERKENNEN, DASS DIE BUCHSTABEN SCHRUMPFEN, DASS WIR WENIGER GUT SEHEN. DIE BUCHSTABEN ALSO DIE SCHWINDEN SOZUSAGEN, WERDEN SCHLEICHEND KLEINER, WAS ABER NUR AUF UNSER SEHEMPFINDEN ZURÜCKZUFÜHREN IST UND KEINESFALLS DAMIT ZU TUN HAT, DASS DIE BUCHSTABEN IM LAUFE UNSERER LEBENSZEIT IMMER KLEINER GEDRUCKT WURDEN. JE MEHR WIR LESEN, DESTO MÜHSAMER WIRDDAS ERKENNEN DER BUCHSTABEN ALSO IM LAUFE UNSERER LEBENSZEIT. ANDERS VERHÄLT ES SICH BEI MENSCHEN, DIE WENIGER EINER SEHSCHWÄCHE UNTERLIEGEN SONDERN VIELMEHR EINER ERKRANKUNG, SEI ES BEISPIELSWEISE EINER MAKULADEGENERATION. DIE MAKULADEGENERATION BESCHLEUNIGT DAS NICHTERKENNEN VON BUCHSTABEN AUF DRAMATISCHE WEISE, BALD UNABHÄNGIG DAVON, WIE GROSS DIE BUCHSTABEN GEDRUCKT SIND. DIE MAKULA. DER AUCH GELBER FLECK GENANNTE PUNKT IN UNSEREM AUGE BEZEICHNET DIE NETZHAUTMITTE,JENE STELLE DES SCHÄRFSTEN SEHENS. BEI EINER MAKULADEGENERATION GEHT DIE ZENTRALE SEHSCHÄRFE DES AUGES GANZ ODER TEILWEISEVERLOREN. GESICHTER, SCHRIFTBILDER, STRASSENSCHILDER KÖNNEN NUR SCHEMENHAFT WAHRGENOMMEN WERDEN. DIE RÄUMLICHE ORIENTIERUNG HINGEGEN BLEIBT ERHALTEN. MITORIENTIERUNGS- UND MOBILITÄTSTRAINING KANN DIE SELBSTÄNDIGKEIT GEWAHRT BLEIBEN. DAS LESEN BEI EINER MAKULADEGENERATION BRAUCHT HILFSMITTEL, VERGRÖSSERUNGEN, TECHNISCHE WERKZEUGE. AUCH SO WIRD DAS SELBSTÄNDIGE LESEN WEITERHIN MÖGLICH. ES KÖNNTE DURCHAUS SEIN, DASS SIE, GENEIGTE LESERIN, GENEIGTER LESER, DIESEN TEXT INZWISCHEN GAR NICHT MEHR OHNE SEHHILFE, VIELLEICHT IHRE LESEBRILLE ODER GAR EINE LUPE, ERKENNEN KÖNNEN UND DAS, OBWOHL SIE UNTER KEINER MAKULADEGENERATION LEIDEN.ICH ERINNERE AN DIESER STELLE DARAN, DASS DIE VOLLSCHRIFT JENE SCHRIFT IST, DIE WIR JEDEN TAG ZU LESEN IMSTANDE SIND. DIE SCHRIFTGRÖSSE SPIELT NUR RELATIV EINE ROLLE, WASNUN, BEI DIESER SCHRIFTGRÖSSE DIE BEZEICHNUNG „RELATIV“ BESONDERS BEDEUTSAM MACHT. WIR BETRACHTEN BUCHSTABEN. DAS NORMALE LESEN MACHT UNS KEINE MÜHE UND NOCHMALSWIRD BETONT, DASS HIER KEINESFALLS DARAUF EINGEGANGEN WIRD, DASS DAS SINNERFASSENDE LESEN NICHTS MIT DEM ERKENNEN DER BUCHSTABEN ZU TUN HAT, SONDERN VIELMEHR DAVON ABHÄNGT, OB WIR GERNE UND VIEL ODER EHER WENIGER GERNE UND WENIG LESEN. WER HIER NOCH LIEST, DER LIEST MIT SICHERHEIT GERNE. WER NICHT SO GERNE LIEST, WIRD INZWISCHEN SCHON AUFGEGEBENHABEN UND FOLGENDE WEITERE ERKRANKUNG DES AUGES, DAS ZU SEHBEHINDERUNG ODER GAR BLINDHEIT FÜHREN KANN, NICHT MEHR KENNEN LERNEN, DA SIE JETZT KURZ ERLÄUTERT WIRD. DIE RETINOPATHIAPIGMENTOSA. DIESER SCHON IN NORMALER SCHRIFTGRÖSSE KAUM LESBARE BEGRIFF „RETINOPATHIA PIGMENTOSA“, DER STEHT ALS ÜBERBEGRIFF FÜR VIELE ERBLICHE AUGENERKRANKUNGEN. DIE RETINA BEFINDETSICH AM AUGENHINTERGRUND, HINTER DEM GLASKÖRPER. DAS ABSTERBEN VON NETZHAUTZELLEN FÜHRT DAZU, DASS DIE RETINA IHRE FUNKTION VERLIERT. DAS GESICHTSFELD IST EINGEENGT UND KONTRAST- WIEFARBSEHEN, EBENSO DIE SEHSCHÄRFE VERSCHLECHTERN SICH UND KÖNNEN ZUR ERBLINDUNG FÜHREN. ERBLINDET HILFT KEINE ÜBLICHE LESEHILFE MEHR, DAS IST ALLEN LESERINNEN UND LESERN DIESER ZEILENDURCHAUS KLAR UND BRAUCHT NICHT WEITER ERLÄUTERT ZU WERDEN. HELFEN BEI NORMALSICHTIGEN ODER MENSCHEN MIT FEHLSICHT NOCH ÜBLICHE HILFSMITTEL WIE AUGENGLÄSER, LUPEN UND GUTES LICHT, SO HILFT DEMERBLINDETEN MENSCHEN AUSSCHLIESSLICH DIE BRAILLESCHRIFT. BEEINDRUCKEND IST DIE IN DIESEM BUCH ERLÄUTERTE GESCHICHTE DES ERFINDERS DIESER SCHRIFT, DIE HIER IN DIESEM TEXT NOCH EINMAL NAHEGEBRACHTWERDEN SOLL. DIE BRAILLESCHRIFT NÄMLICH, DIE WURDE BENANNT NACH DEM ERFINDER LOUIS BRAILLE, EINEM FRANZOSEN, DER SCHON VOR MEHR ALS 200 JAHREN GELEBT HAT. DER NAME UND DIE ENTSTEHUNGSGESCHICHTEZU DIESER SCHRIFT IST EINE HÖCHST INTERESSANTE UND AUCH LANGE. DIE SCHICKSALSHAFTE ENTSTEHUNG HÄNGT MIT EINEM TRAGISCHEN UNFALL DES KLEINEN, DREI JAHRE ALTEN LOUIS BRAILLE ZUSAMMEN, DER SICH MIT DEM WINZERMESSERIN DER WERKSTATT SEINES VATERS AN EINEM AUGE SO SCHWER VERLETZTE, DASS TROTZ ALLER BEMÜHUNGEN DES ARZTES UND APOTHEKERS IM JAHRE 1812 ZUERST DAS EINE AUGE UND BALD DARAUF DAS ANDERE – VERMUTLICH DURCH EINEINFEKTION IN MITLEIDENSCHAFT GEZOGEN – ENTFERNT WERDEN MUSSTE, SODASS LOUIS BRAILLE DAS SEHVERMÖGEN VERLOR. UND SO WAR ER ES, DER BEREITS MIT 16 JAHREN DIESE TASTBARE UND AUS SECHS PUNKTEN BESTEHENDE SCHRIFTFÜR BLINDE MENSCHEN LETZTLICH ERFUNDEN HAT. SIE IST ES AUCH, DIE BLINDEN MENSCHEN ÜBERHAUPT ERST EINEN ZUGANG ZU BILDUNG UND INFORMATION ERMÖGLICHT. BEREITS 1837 WAR SIE ZUR PERFEKTION GEDIEHEN UND FAND AB 1854 AUCH AUSSERHALB VON FRANKREICH ANWENDUNG. DIESE ANERKENNUNG DURFTE LOUIS BRAILLE NICHT MEHR ERLEBEN, DA ER BEREITS AM 6. JÄNNER 1852 VERSTORBEN WAR. ERSTAUNLICH, WOZU EIN MENSCH FÄHIG IST, SOFERN ER GERNE LIEST, DAS LESEN BEWAHREN MÖCHTE UND SICH SO DURCH DIE ERFINDUNG EINER EIGENEN SCHRIFT SELBST BEHILFLICH IST. ES BLEIBT WEITERHIN EIN WICHTIGES ANLIEGEN, DASS MENSCHEN, DEREN ABLATIO RETINAE LEIDER NICHT FRÜHZEITIG ERKANNTWURDE, IN EINER FACHSCHULE WIE DER DES ODILIEN-INSTITUTS IN HINBLICK AUF DIE LEBENSBEWÄLTIGUNG DURCH ERLERNEN DER BRAILLESCHRIFT GEHOLFEN WERDEN KANN, DAS LEBEN WEITERHIN LESEND ZU VERBRINGEN. EINES NÄMLICH IST KLAR: DIE NETZHAUTABLÖSUNG IST DIEABLÖSUNG INNERER ANTEILE DER NETZHAUT VON IHRER VERSORGUNGSSCHICHT, DER RETINALEN PIGMENTEPITHEL. DAHER DER BEGRIFF „ABLATIO RETINAE“. ALLEIN DIESES WORT, SOFERN SIE ES, GENEIGTE LESERIN, GENEIGTER LESER, NOCH ERKENNEN KONNTEN OHNE JEDES HILFSMITTEL, IST IN VOLLSCHRIFT KAUM AUSSPRECHBAR UND WIR, DIE GESTALTER DIESER SEITE, MÜSSEN IHNEN AUFS HERZLICHSTE GRATULIEREN. ES WÄRE TATSÄCH EINE ENORME LEISTUNG, SOFERN SIE DAS WORT OHNE HILFSMITTEL LESEN KONNTEN. ABER WEITER ZUR „ABLATIO RETINAE“: WIRD EINENETZHAUTABLÖSUNG NÄMLICH NICHT ERKANNT, SO FÜHRT DIES ZUM IRREPARABLEN FUNKTIONSVERLUST DER BETROFFENEN NETZHAUTAREALE. UND DAS WIEDERUM KANN ZU BLINDHEIT FÜHREN. ES SEI ZUM SCHLUSS ERNEUT DARAN ERINNERT, DASS BUCHSTABEN ALSO SCHWINDENIM LAUFE UNSERES LEBENS, WIR SEHEN SCHLECHTER, DIE BUCHSTABEN WERDEN SCHLEICHEND KLEINER, WAS ABER AUSSCHLIESSLICH AUF UNSER SEHEMPFINDEN ZURÜCKZUFÜHREN IST UND KEINESFALLS DAMIT ZU TUN HAT, DASS DIE BUCHSTABEN IM LAUFE UNSERER LEBENSZEIT IMMER KLEINER GEDRUCKT WURDEN. UND SO HABEN WIR HÖCHSTE ACHTUNG VOR DEN MENSCHEN, DEREN SEHVERLUST NICHT ZUM VERLUST IHRER LEBENSFREUDE GEFÜHRT HAT UND BEWUNDERN ZUGLEICH JENE, DIE DIESE LETZTE ZEILE OHNE MÜHE LESEN KÖNNEN. GRATULATION. ALLEN. :-)

Für den Inhalt gesamtverantwortlich: Dir. RegR Franz Masser.

Redaktion: alle Lehrenden der beiden Fachschulen. Redaktionsbegleitung und Texte: Rainer Juriatti

Fotos: Paul Stajan, Grafikdesign: Franz Pietro.

Druck & Druckförderung: Universal Druckerei GmbH Leoben, Georg Kollmann.

© Das Freitag Nachmittag Kollektiv, Graz, Juni 2014

„seebehind 4030“ erscheint anlässlich der Jubiläen beider Fachschulen am Odilien-Institut.

GmbH

DIE TECHNISCHE FACHSCHULEFÜR MENSCHEN MIT SEHBEHINDERUNG ODER BLINDHEIT

UND DIE WIRTSCHAFTLICHE FACHSCHULEFÜR MENSCHEN MIT SEHBEHINDERUNG ODER BLINDHEIT

AM ODILIEN-INSTITUT IM JAHR 2014

4030

4030 seebehindEin Blick hinter die Kulissen

„Der letzte Entscheid über die Zukunft einer Gesellschaft liegt nicht in dergrößeren oder geringeren Vollendung ihrer Organisation, sondern in der größeren oder geringeren Wertigkeit ihrer Individuen.“ Albert Schweizer

Schule und Bildung sind für eine umfassende Ent-faltung und ein gelingendes Leben der Menschen von zentraler Bedeutung und leisten somit einen unverzichtbaren Dienst in und an der Gesellschaft. Die schulische Entwicklung in Österreich befindet sich zurzeit in einer spannenden Phase, deren Ergebnis sich in vielerlei Hinsicht noch nicht klar abzeichnet oder abschätzen lässt.

Sie halten unsere Publikation „4030 seebehind“ in Händen, entstanden anlässlich der beiden durchaus zu würdigenden Jubiläen. Das schlanke Buch erwuchs einerseits aus der Verantwortung jenen Menschen ge-genüber, die das Bildungsangebot der Fachschulen im Odilien-Institut annehmen und andererseits gegenüber der Gesellschaft, die dieses spezielle Bildungsangebot überhaupt erst möglich macht.

Eines erscheint uns zentral: Die Publikation möchte weniger das Erreichte beschreiben, sondern vielmehr davon erzählen, was die Arbeit an den beiden Schulen ausmacht. Auch möchte sie aus der Erfahrung sowie dem täglichen gemeinsamen Tun heraus aufzeigen, was die Bildungspolitik beim Beschreiten neuer Wege berücksichtigen sollte. Wie auch immer sich die kom-

menden Jahre in dieser Hinsicht gestalten werden, wir – das gesamte Kollegium – wollen uns mit unseren Kompetenzen in den Bildungsprozess einbringen und somit konstruktiv unseren Beitrag dazu leisten.

Für das Gelingen im Schulalltag sei Dank gesagt allen Schülerinnen und Schülern, allen Lehrerinnen und Lehrern, ebenso der Schulaufsicht, die immer wieder Verständnis für die Anliegen beider Fachschulen zeigt. Nicht zuletzt darf ich im Namen der Schulgemein-schaft dem Kuratorium des Odilien-Vereins als Schuler-halter und dem Amt für Schule und Bildung für jegliche Unterstützung unseren Dank zum Ausdruck bringen.

FRANZ MASSERDirektor der Fachschulen

7GERNE

MAKULADEGENERATION

Der gelbe Fleck, die Makula, bezeichnet die Netzhaut-mitte, jene Stelle des schärfsten Sehens. Bei einer Makuladegeneration geht die zentrale Sehschärfe des Auges ganz oder teilweise verloren. Gesichter, Schrift, Straßenschilder können nur schemenhaft wahrge-nommen werden. Die räumliche Orientierung hingegen bleibt erhalten. Mit Orientierungs- und Mobilitätstrai-ning kann die Selbstständigkeit gewahrt bleiben.

LEHRENDE AN DERTECHNISCHEN FACHSCHULE

FÜR MENSCHEN MIT SEHBEHINDERUNG ODER BLINDHEIT

AM ODILIEN-INSTITUT

Metallarbeiter. Ein Beruf für Männer, denkt man. Umso ungewöhnlicher mag es erscheinen, dass eine Frau diesen Gegenstand unterrichtet.

Eine wichtige Aufgabe in meinem Beruf ist es, bei mei-nen Schülerinnen und Schülern das Interesse am Beruf der Metallarbeiterin, des Metallarbeiters zu wecken. Ich helfe den Jugendlichen, motorische Fertigkeiten zu entwickeln und zu verfeinern, damit sie die Freude erfahren, mit ihren eigenen Händen Materialien bear-beitet und in eine vorgegebene Gestalt gebracht zu haben.

Das Verständnis für Technik fasziniert. Genauigkeit und Sorgfalt sind Grundlage für das gelungene Werkstück. Das Interesse am Metallischen ist Voraussetzung, da-mit Motivation, Teamwork und die dazu erforderliche Pünktlichkeit „greifen“.

Besonders wichtig ist es mir, den Schülerinnen und Schülern neben den Fähigkeiten, Werkstücke und Maschinenteile anzufertigen, auch Verhaltensweisen aufzuzeigen, die sie im täglichen Leben benötigen. Das soziale Verhalten in den Fragen „Wie gehe ich mit meinen Mitmenschen um?“, „Wie respektiere ich andere Kulturen?“ ist für mich ein wesentlicher Bestandteil meiner Arbeit. Die Umsetzung dieser Ziele macht es erforderlich, mir selbst auch immer wieder darüber klar zu werden, wie wertvoll jeder Mensch ist,

indem er seine Individualität besitzt. Metallarbeiterin, Metallarbeiter zu sein, heißt nicht, selbst hart und kalt zu funktionieren. Unseren anvertrauten Jugendlichen den Gedanken des Respekts voreinander mit auf den Lebensweg zu geben, das prägt meine tägliche Arbeit.

Den Beruf der Metallarbeiterin, des Metallarbeiters also in seiner gesamten Dimension und Vielfalt auf-zuzeigen, das motiviert mich selbst am meisten. Es erfüllt mich mit großer Freude und Zufriedenheit, zu beobachten, wie aus jungen Leuten selbstständig agierende Menschen werden, die fähig sind, ihr Leben zu gestalten und in der Arbeitswelt integriert zu sein.

Metallhärte und Herzwärme

HEIDI KÖSTL... unterrichtet Metallbearbeitung in der technischen Fachschule.

14RESPEKTVOLL

retino

pathia

pigmen

tosa

Die Retinopathia Pigmentosa steht als Überbegri� bei erblichen Augenerkrankungen. Die Retina befindet sich am Augenhintergrund, hinter dem Glaskörper. Das Ab-sterben von Netzhautzellen führt dazu, dass die Retina ihre Funktion verliert. Das Gesichtsfeld ist eingeengt und Kontrast- wie Farbsehen, ebenso die Sehschärfe verschlechtern sich und können zur Erblindung führen.

LEHRENDE AN DERWIRTSCHAFTLICHEN FACHSCHULE

FÜR MENSCHEN MIT SEHBEHINDERUNG ODER BLINDHEIT

AM ODILIEN-INSTITUT

WIRTSCHAFTLICHE FACHSCHULEAuf Basis eines ganzheitlich ausgerich-teten Lehrplans werden Kenntnisse und Fertigkeiten vermittelt, die zur Ausübung von Berufen in den Berei-chen Wirtschaft, Verwaltung – auch im Sozial- und Gesundheitsbereich – sowie Hotellerie, Gastronomie und Ernährung befähigen. Die Schülerinnen und Schü-ler werden in ihrer Ausbildung auf die Lehrabschlussprüfung oder Teilqualifi-zierungsprüfung vorbereitet.

TEILQUALIFIZIERUNGIn den Fachschulen für Metallbearbei-tung und Fertigungstechnik, Weberei sowie in der Fachschule für wirtschaft-liche Berufe ist diese spezielle, indivi-duelle Ausbildungsform möglich. Dabei können jene Schülerinnen und Schüler, die dem gesamten Anforderungsprofil eines Lehrberufs nicht entsprechen, ihre qualifizierte Ausbildung mit einer abschließenden Prüfung beenden.

LEHRGANG FÜR UMSCHULUNGDas umfassende Paket an Maßnahmen der Grundrehabilitation für Jugend-liche/Erwachsene versteht sich als Hilfe zur Selbsthilfe bei der Umstellung auf eine veränderte Lebenssituation. In Klein- und Kleinstgruppen werden in den Bereichen Orientierung und Mobilität, Lebenspraktische Fertigkei-ten, Sehgeschädigtenhilfsmittel und Kommunikationsfertigkeiten, Blinden-spezifische Schriftsysteme, Hard- und Software für blinde und sehbehinderte Anwenderinnen und Anwender sowie Standardsoftwareanwendungen Fertig-keiten vermittelt, um „nicht-sehend“ oder unter optimaler Nutzung des vorhandenen Sehvermögens den priva-ten und beruflichen Alltag sicherer und selbstständiger bewältigen zu können.

TECHNISCHE FACHRICHTUNGEN Informationstechnik mit Betriebspraktikum ................ ... 3 ½-jährig Korb- & Möbelflechterei .............. 3-jährig Metallbearbeitung & Fertigungstechnik .......................... 4-jährig Weberei ............................................. 3-jährig

WIRTSCHAFTLICHE FACHRICHTUNGEN Bürokaufmann/Bürokau�rau ... 3-jährig Koch/Köchin .................................... 3-jährig

LEHRGANG Lehrgang für Umschulung .......... 1-jährig

AUFNAHMEVORAUSSETZUNGEN Absolvierung von 8 Pflichtschuljahren, Vorliegen einer Sehbeeinträchtigung bzw. Behinderung, Ablegen einer Eig-nungsprüfung. Die Ausbildung in den ein-zelnen Fachrichtungen schließt mit einer Abschluss- oder Lehrabschlussprüfung bzw. Teilqualifizierungsprüfung ab.

Eine spezielle Ausbildungsmöglichkeit wird jenen Schülerinnen und Schülern angeboten, die den Anforderungen einer gesamten Ausbildung mit Abschluss- oder Teilqualifizierungsprüfung nicht entsprechen können. Diese erhalten ei-nen vermehrten praktischen Unterricht mit einer fachtheoretischen Ergänzung.

Wir sehen unsere Kompetenz in der Entwicklung und Vermittlung von Bildungsangeboten auf allen Gebieten der sehbehinderten- und blindenspezi-fischen Spezialausbildung.

Den Fachschulen ist ein Wohnheim für Mädchen und Burschen angeschlossen.

Für Details zu den einzelnen Ausbildungszweigen bitten wir Sie um Kontaktaufnahme:

Telefon: 0316/32 26 67 DW 26, E-Mail: [email protected]� http://fachschule.odilien.at

Übersicht

� Die Fach schulen

36

Die Frage, was eine berufsbildende Schule für Menschen mit Sehbehin-derung oder Blindheit ausmacht, kann nicht mit wenigen Sätzen beantwortet werden. Es wäre eine Vielzahl von Unterschiedlichkeiten zu nennen, um einigermaßen deutlich zu machen, wo das Besondere zu finden ist. Ein augenscheinlicher, ein markanter, ein die Stundentafel des Lehrplanes betre�ender, soll exemp-larisch hier herausgegri�en werden: Der Gegenstand „Blindenspezifische Schriftsysteme“.

Immer wieder blicken sehende Be-sucher fasziniert auf die Finger von Schülerinnen und Schüler, wenn die-se mit ihren Fingerkuppen Punkte er-tasten und dabei Informationen ent-nehmen, die der sehende Betrachter kaum als Punkte und schon gar nicht als etwas Lesbares entzi�ern kann. In Anlehnung dessen, was hier von wem passiert, nennt man diese Schrift landläufig Blindenschrift.

Dabei handelt es sich um eine Punktschrift, die man korrekterweise Brailleschrift nennt, benannt nach dem Erfinder Louis Braille, einem Franzosen, der schon vor mehr als 200 Jahren gelebt hat. Der Name und die Entstehungsgeschichte zu dieser Schrift ist eine höchst interessante und auch lange. Die schicksalshafte Entstehung hängt mit einem tragischen Unfall des kleinen, drei Jahre alten Louis Braille zusammen, der sich mit dem Win-zermesser in der Werkstatt seines Vaters an einem Auge so schwer ver-letzte, dass trotz aller Bemühungen des Arztes und Apothekers im Jahre 1812 zuerst das eine Auge und bald darauf das andere – vermutlich durch eine Infektion in Mitleidenschaft gezogen – entfernt werden mussten, sodass Louis das Sehvermögen verlor. Und so war er es, der bereits mit 16 Jahren diese tastbare und aus

sechs Punkten bestehende Schrift für blinde Menschen letztlich erfun-den hat. Sie ist es auch, die blinden Menschen überhaupt erst einen Zugang zu Bildung und Information ermöglicht. Bereits 1837 war sie zur Perfektion gediehen und fand ab 1854 auch außerhalb von Frankreich Anwendung. Diese Anerkennung durfte Louis Braille nicht mehr erle-ben, da er bereits am 6. Jänner 1852 verstorben war.

Vielleicht fragen Sie sich nun, wie diese so fremde Schrift eigentlich aufgebaut ist. Louis Brailles Erfin-dung ist logisch und systematisch. Die Basis der Schrift bilden – wie bereits erwähnt – sechs Punkte, dar-stellbar wie die Augen eines Würfels: Zwei Punkte oben, zwei in der Mitte und zwei unten. Die numerische Bezeichnung erfolgt von links oben nach unten mit den Punkten 1 bis 3 und von rechts oben nach unten mit den Punkten 4 bis 6. Diese sechs Punkte nennt man Grundform. Da-raus ergeben sich 64 verschiedene Symbole. Zu diesem Ergebnis kommt man, wenn man 2 mal 2 mal 2 mal 2 mal 2 mal 2 multipliziert oder mathe-matisch ausgedrückt 26 errechnet. Dabei sind Anzahl und Stellung der gesetzten Punkte innerhalb der Grundform für die Bedeutung des Zeichens maßgebend. Ein Schriftzei-chen benötigt zur Darstellung eine Fläche von circa sechs mal neun Millimeter, eine Fläche, die sich opti-mal durch horizontale Bewegungen mit der Fingerkuppe abtasten lässt, ohne dass eine Vertikalbewegung notwendig ist.

Diese 64 Zeichen werden in fünf Gruppen eingeteilt. Für die ersten zehn Buchstaben (a – j) des Alpha-bets werden nur Zeichen verwendet, die aus den Punkten 1, 2, 4, 5 gebildet werden (erste und zweite Reihe). Durch Ergänzung der Zeichen

für die Buchstaben a bis j um den Punkt 3 werden die Buchstaben k bis t gebildet. In der dritten Gruppe werden die Punkte 3 und 6 (unterste Reihe) hinzugefügt und bilden die Buchstaben von u bis z, ohne das w, das im französischen Alphabet nicht vorkommt (es bildet eine Ausnahme). Für die Darstellung der Zi�ern verwendete Braille die ersten zehn Buchstaben des Alphabets (a bis j) und unterschied sie von diesen dadurch, dass vor Zahlen ein Zahlen-zeichen gesetzt wurde (Punkte 3, 4, 5, 6). Es signalisiert dem Leser, dass nun Zahlen folgen. Auf Großschrei-bung wird in der Regel verzichtet. Wenn es jedoch erforderlich ist, wird ein Großschreibezeichen mit den Punkten 4 und 6 dem Buchstaben vorangestellt.

Die Schrift im deutschsprachigen Raum wird in eine Basis-, Voll- und Kurzschrift eingeteilt. Wenn man für jeden Buchstaben ein Braillesymbol schreibt, so wird sie als Basisschrift bezeichnet. In der Vollschrift gibt es zusätzliche Zeichen für gewisse Buchstabengruppen (Lautgruppen) wie „ch, sch, st, au, eu, ei“. Diese Schriftform wird der Basisschrift vorgezogen und daher auch in erster Linie in Büchern verwendet. Braille-schrift ist sehr aufwendig. Daher hat sich in sämtlichen Sprachen eine so-genannte Kurzschrift herausgebildet, bei der viele verschiedene Methoden verwendet werden, um Wörter kürzer zu schreiben. Auch braucht sie viel weniger Platz als die Basis- oder Vollschrift und hilft dem guten Braille leser, schneller zu lesen.

FRANZ MASSER

Der punktuelle Unterschied

Freude ist es, die ich jedes Mal empfinde, wenn ich das Schulhaus betrete. Und so zählen die Stärkung des Selbstbewusstseins, die Verbesserung der Selbststän-digkeit, aber auch das Grundgefühl, die Dinge im Leben positiv zu sehen – neben der Vermittlung der Freude an Bewegung – zu meinen Hauptzielen hier an der Schule. Sechs Stunden wöchentlich darf ich den Jugendlichen „Bewegung und Sport“ vermitteln und erlebe doch mehr, als das Unterrichtsfach verspricht.

In unseren Turn- und Schwimmstunden sowie besonders auch in der jährlich stattfindenden Winter-sportwoche bewegen sich nicht nur Körper, nein, hier bewegt sich viel mehr: Freude erfahren und Freunde finden, in einem anderen Umfeld Spaß haben, gemein-sam lachen, sich in der Gruppe wohl fühlen, Zugehörig-keit spüren – dies alles gehört genauso dazu, wie auch die Verbesserung der konditionellen und koordinativen Fähigkeiten.

Obwohl einige unserer Schülerinnen und Schüler blind sind, sehen sie die kleinen Dinge im Leben besser als manch Sehender.

Obwohl einige im Rollstuhl sitzen, gehen sie fröhlicher durchs Leben als manch Gehender.

Obwohl einige nicht so gut addieren können, verstehensie die Summe des Wesentlichen besser als viele Genies.

Die Faszination in meinem Beruf liegt darin, dass man viel bewegen kann. Die individuellen Bedürfnisse und Voraussetzungen jedes einzelnen Jugendlichen in der Gruppe sind herausfordernd und dadurch immer wieder von Neuem spannend. Oft wird Geplantes ver-ändert, die Kreativität in unseren Sportstunden kennt keine Grenzen, genauso wenig wie die Freude.

Die Summe des Wesentlichen

ANNA NÖST ... unterrichtet als AHS-Lehrerin Bewegung und Sport. Mag. Nöst ist Mutter dreier Kinder und seit 22 Jahren im Be-reich Bewegung und Sport und seit elf Jahren – so Mag. Nöst – mit Freude in den Fachschulen des Odilien-Instituts tätig.

48SEHEND