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Jürgen Roth Ermitteln verboten! Warum die Polizei den Kampf gegen die Kriminalität aufgegeben hat Eichborn

Juergen Roth - Ermitteln Verboten! - Warum Die Polizei Den Kampf Gegen Die Kriminalita_t Aufgegeben Hat

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  • Jrgen Roth

    Ermittelnverboten!Warum die Polizei den Kampfgegen die Kriminalitt aufgegeben hat

    Eichborn

  • 1 2 3 4 06 05 04

    Eichborn AG, Frankfurt am Main, September 2004Umschlaggestaltung: Christiane HahnLektorat: Beate Koglin, Carmen KlzLayout: Susanne Reeh, Antitrack of Legend (PDF)Satz: Fuldaer Verlagsanstalt, FuldaDruck und Bindung: GGP Media GmbH, PneckISBN 3-8218-5588-6

    Verlagsverzeichnis schickt gern:Eichborn Verlag, Kaiserstrage 66, D-60529 Frankfurt/Mainwww.eichborn.de

  • Inhalt

    Anleitung 7

    Wie und warum Kriminalittsbekmpfungausgebremst wird 12

    Die Bekmpfung von Organisierter Kriminalitt ist out 12Wie ohnmchtig sind die Ermittlungsbehrden? 18Ein Exempel darber, wie die Bevlkerung fr dumm verkauft wirdDie freundlichen Herren aus dem italienischen Sden 34Was hat sich eigentlich in den letzten Jahren wirklich verndert? 46Erfolgreiche Polizeiarbeit oder wie Recht gebeugt wird 56

    29

    Paten, Politiker und seltsame Freundschaftsdienste 60Die schwle Romantik des politischen Faktors Rotlicht 60Das Hamburger Gruselkabinett 69Der clevere Klan, der in Hamburg weiter regieren darf 94Die Jagdgesellschaft in Mecklenburg-Vorpommern 103Ein Justizskandal und kein Ende in Sicht 120

    ber Kriminelle und ihre Helfershelferin Polizei und Justiz 128Wenn Polizeibeamte unternehmerisch ttig werden 128Das kriminelle Proletariat - Hell's Angels und andere GeschfteHannover - Kartoffelsuppe und gebratene Ente 135

    133

  • Der Balkan in Deutschland 145Der Zigeunerfrst aus Dren 145Frankfurt und Umgebung - Killerund Drogenhndler als honorige Brger 151Der Kunstraub oder wenn Gangster neue Mrkte erobern 169

    Geld, Gier und das Geschftmit Kriminellen aus dem Osten 176Das fidele Leben in Baden-Badenoder Einblicke in die moralische Demenz 176ber Politik, Investitionenund wie man Aufenthaltsgenehmigungen erhlt 188Seltsame Gste aus dem ukrainischen Sumpf 195Die Entfhrungsindustrie 202

    Die Macht ethnischer Parallelgesellschaftenin Deutschland 209ber Gettos, Gegengesellschaften und Banditen 209Das Berliner Getto oder Geschichten ber Schein und Wirklichkeit 214

    Das korrupte System und ein globales Szenario 225Das Bndnis von Gesellschaft und Verbrechenskultur 225Das goldene Dreieck - Wirtschaft, Politik und Terrorismus 229Wirtschaftskriminalitt, Mafiaoder ganz legale Geschfte - ein Fallbeispiel 242Verwaltungsscientology oder von Aldi lernen 250

    Kein Schlusswort 258Anmerkungen 263Literatur 267Personenregister 268

  • Einleitung

    Wer taub ist und blind und den Mund hlt,der wird in Frieden einhundert Jahre alt.

    Sizilianische Lebensweisheit

    Deutschland ist unter die Ruber gefallen. Da darf in Frankfurt am Main seitJahren ein gefhrlicher Auftragskiller frei herumlaufen. In Dsseldorf siehtman den trkischen Mafiapaten Ali B. flanieren, der unter anderem sechsMorde verbte. Im Kasino verzockt er in einer Nacht schon mal locker eineM i l l i o n Euro. Unterdessen schlendert, frhlich pfeifend und mit seinem Pit-bull an der kurzen Leine, in einem kleinen deutschen Dorf einer der fnfgrten Drogenhndler Europas umher. Die Anfhrer der kriminellen Pro-leten, der Hell's Angels, bernehmen in den Metropolen ein Luxusgrobor-dell nach dem anderen. Schlielich prahlt ein krimineller albanischer Klanvoller Stolz, er habe seit Jahren den Hamburger Senat in der Hand. Und die-se Behauptung ist nicht einmal bertrieben.

    Dass suspekte kapitalkrftige Investoren aus der ehemaligen Sowjetuniongehtschelt werden wie im verblassenden Kurort Baden-Baden, wagt mankaum noch zu erwhnen. Peanuts sind das alles, wendet ein fhrenderWirlschaftskriminalist aus Wrzburg ein. Schauen Sie sich mal die engenVerbindungen zwischen hochkartigen deutschen Politikern und dubiosenAnlagefonds an, die Milliarden Euro vernichten.

    Polizei und Justiz im einstigen Wirtschaftswunderland htten eigentlichgengend zu tun, um den kriminellen Dschungel ein wenig zu lichten. Dawaren die deutschen Tater und ihre kriminellen Verflechtungen, die Ab-sprachekartelle, Subventions- und Anlagebetrger ebenso wie die deutschenZuhllterbanden und die ohnehin vorhandenen rtlichen Kleinkriminellen.Doch Deutschland liegt im Zentrum Europas. Und so beherrschen etwa tr-kische und kurdische Familienklans nach wie vor den Heroinmarkt. Zwar

    Einleitung 7

  • versuchen andere Banden, zum Beispiel Albaner und Russen, in diesen luk-r a t i v e n Markt hineinzudrngen, aber die mchtigsten Dealer kommenweiterhin aus der Trkei. Kosovo-albanische Klans erkmpfen sich verstrktAnteile im Rotlichtmilieu. Ihre Methoden und Mittel: Durchschlagskraft,Brutalitt, Kriegserfahrung und strikte Abschottung. Blutige Verteilungs-kmpfe um kriminelle Mrkte in einigen Stdten sind ein aufflammendesMenetekel, ebenso die sich bereits bildenden Parallelgesellschaften mit No-Go-Gebieten.

    Noch rauben, morden, bestechen und betrgen die traditionellen Syndi-kate der Russenmafia berwiegend in den Heimatlndern und legen nurihre kriminellen Gewinne in sauberen Firmen in Deutschland an mit demZiel, Wirtschaft und Politik zu durchdringen. Doch auch in Deutschland bil-den sich bereits hochkriminelle und konspirativ arbeitende Gangs jungerRusslanddeutscher, die ihren Vorbildern in der ehemaligen Sowjetunion innichts mehr nachstehen. Und auch chinesische Triaden agieren weitgehendunbehelligt in den Bereichen Drogenhandel, Geldwsche und Produktpira-terie.

    Italienische Mafiagren - ob Cosa Nostra, Ndrangheta oder Camorra- haben sich zwar teilweise von der schwersten Gewaltkriminalitt abge-wandt. Trotzdem spielen sie weiterhin eine gewichtige Rolle im internatio-nalen Drogen- und Waffenhandel. Zudem investieren sie in Deutschland ih-re weitgehend unangetasteten kriminellen Vermgen und verlagern ihreAktivitten zunehmend auf den Bereich der Wirtschaftskriminalitt.

    Und hufig sind diese hchst unterschiedlichen Gruppen und Personenzeitweise miteinander vernetzt bzw. gehen Zweckbndnisse ein. Das ver-meintlich idyllische Milieu von Zuhlterbanden, Mrdern, Drogenhnd-lern, Waffenhndlern und Kraftfahrzeugdieben haben die meisten von ih-nen jedenfalls weit hinter sich gelassen.

    Das alles sind keine Mrchengeschichten. Es ist auch keine billige Pa-nikmache oder gar journalistische Schaumschlgerei. Darber knnte mansich ja dann fast schon freuen. Nein, das ist die Wirklichkeit, die von nie-mandem ernsthaft bestritten werden kann. Und sie wird es im Prinzip auchnicht.

    Aber der Kampf gegen den Terrorismus, wird der Leser einwenden,der werde doch wenigstens beherzt und mit allen Mitteln gefhrt. In der Tat.

    8 Einleitung

  • Wenn in derr Berliner Regierungszentrale berhaupt etwas Prioritt hat,dann ist es das. Bekanntlich haben Ende 2003 die westlichen Regierungenihre Polizei- und Nachrichtendienste angewiesen, dem Kampf gegen denTerrorismus absoluten Vorrang einzurumen.1 Viel Vergngen, ist man ge-neigt zu sagen, angesichts des bereits verlorenen Kampfes gegen andere,weitaus harmlosere kriminelle Denkte.

    Vor diesem Hintergrund ist deshalb seit geraumer Zeit ein Phnomenunberseh- und unberhrbar geworden: Hoch qualifizierte Kriminalistenwie einfache Polizeibeamte oder unzufriedene Staatsanwlte und Richterbegehren auf. Sie wollen Kriminalitt (ob Massen-, Wirtschafts- oder Orga-

    nisierte Kriminalitt) bekmpfen, knnen beziehungsweise drfen es aller-dings nicht mehr.

    Und das ist der politische Skandal. Den meisten derjenigen, die sich mitKriminalittsverfolgung und -bekmpfung befassen, ist bewusst, dass sieden Brgern Schutz und Sicherheit garantieren sollen, deren selbstver-stndlichste Forderung und elementares Grundrecht. Die Realitt hingegensieht vielerorts anders aus.

    In aller ffentlichkeit beklagte der Vorsitzende des Darmstdter Staats-.mwaltsrats, Oberstaatsanwalt Klaus Reinhardt, dass die von der HessischenBundesregierung beschlossene Stellenbesetzungssperre die Staatsanwltevollkommen ins Abseits stelle. Es gebe Kollegen von ihm, die htten ein hal-bes Tausend unerledigter Verfahren auf dem Schreibtisch liegen. Und auchim Bereich der Angestellten wurde und wird massiv gespart. Engagierte undausgebildete Justizfachangestellte werden nicht mehr eingestellt, sodass dieVerwaltung der Darmstdter Justiz vor dem Zusammenbruch steht. WennPolizeibeamte dann zum Beispiel gegen Wirtschaftskriminelle ermittelnwollen, wird ihnen entgegengehalten, dass es dafr keine Leute gebe.

    Diese Verhltnisse finden wir nicht nur in Darmstadt, sondern in ganzHessen und auch im gesamten Bundesgebiet - von wenigen Ausnahmen ab-gesehen.

    So bemngelte auch Wolfgang Bauch, der stellvertretende Vorsitzendedes Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), auf dem 18. DeutschenRichter- und Staatsanwalttag am 15. September 2003 in Dresden: Bundes-weit hohe Fallzahlen, eine angespannte Personalsituation und Personalab-bau in den polizeilichen Ermittlungsdienststellen wegen der katastrophalen

    Einleitung 9

  • L.age der ffentlichen Haushalte hindern die Ermittler in weiten Teilen da-ran, Vorgnge in gebhrendem Mae zu Ende zu ermitteln. Hinzu kommenerhebliche Defizite bei der Aus- und Fortbildung der Polizei.

    Und es war kein Geringerer als der Vorsitzende des Deutschen Richter-bundes (DRB), Wolfgang Arenhvel, der zu Beginn des Richtertags drin-gend vor weiteren Sparorgien warnte: Wir werden schlicht und einfachkaputt gespart.

    Also nur eine Frage des Geldes? Nein: Hinter allem verbirgt sich, unaus-gesprochen und schriftlich nirgendwo festgehalten, zweifellos ein politi-scher Wille, der nicht mit den leeren Kassen zu begrnden ist. Deshalb stelltsich die Frage: Wer profitiert von diesem Zustand des Elends der Strafver-folgungsbehrden und warum?

    Viele Vorgnge erhrten den ungeheuren Verdacht, den eine ganze ReiheKriminalisten und Staatsanwlte - gleichgltig aus welchem Bundesland -gewonnen haben. Sie befurchten, dass bestimmte Kriminalittsformenwegen inniger Verflechtungen mit der politischen und wirtschaftlichen Eli-te nicht mehr bekmpft werden sollen. Auf jeden Fall wird einiges aufgebo-ten, um die konsequente Arbeit qualifizierter Ermittler in der Polizei oderkundiger und erfahrener Staatsanwlte zu erschweren oder zu blockieren.

    Weil ich das genauer wissen wollte, reiste ich im Winter des Jahres 2003/2004 durch Deutschland, hrte und notierte, was mir unter anderem Poli-zei- und Zollbeamte, Staatsanwlte und Rechtsanwlte aus ihrem Alltag er-zhlten. Und von Tag zu Tag, von Woche zu Woche wurde ich hoffnungslo-ser und gleichzeitig wtender darber, wie wir, die Brger, die doch als dereigentliche Souvern des Staates zu betrachten sind, hinters Licht gefhrtund mit schnen Worten ruhig gestellt werden.

    Am Ende meiner Reise wartete ich geradezu sehnschtig darauf, vonmeinen Interviewpartnem aus Polizei und Staatsanwaltschaft (nicht der ad-ministrativen Fhrungselite) noch etwas Positives und Zuversichtliches ausihrem Alltag im Kampf gegen Kriminalitt zu hren. Doch abgesehen vonbayerischen Beamten fand ich niemanden. Im Groen und Ganzen warenmeine Gesprchspartner und Informanten selbstkritische, erfahrene Mn-ner und Frauen, keine frustrierten Zyniker, und sie gehrten auch nicht zujenen, die dazu neigen, objektives Geschehen verzerrt wahrzunehmen oder

    10 Einleitung

  • ideologisch zu deuten. Aber ich erlebte sie durchwegs mutlos und niederge-schlagen. Kaum einer hatte noch Hoffnung, irgendetwas bewirken zu kn-nen. Und dafr gab es die verschiedensten Grnde.

    Meine Gesprchspartner redeten Klartext, weil sie doppelzngige Heu-chelei nicht mehr akzeptieren und hoffen, dass eine aufgeklrte ffentlich-keit Druck auf die Verantwortlichen in der Politik ausben knne. Sie wol-len nicht mehr hinnehmen, dass ihnen - wie in Lahr im Schwarzwald vomInnenministerium in Stuttgart - ein Maulkorb verpasst wird. Dort sollte dieBevlkerung nicht erfahren, in welchem Umfang die in der Region lebendenRusslanddeutschen in kriminelle Machenschaften verstrickt sind.

    Aber kritische Offenheit, insbesondere gegenber Auenstehenden, rhrtinzwischen sowohl bei Polizeibeamten als auch bei Staatsanwlten zu hohenpersnlichen Risiken: Disziplinarverfahren drohen, Befrderungen werdengestoppt, Verfahren wegen Geheimnisverrat eingeleitet, ihre brgerlicheExistenz kann mit einem Schlag vernichtet werden. Daher mssen meine Ge-sprchspartner und Informanten zum groen Teil anonym bleiben. Auch

    deshalb, weil die Fhrungsspitzen des Bundesinnenministeriums wie ein-zelner Landeskriminalmter oder Innenministerien mit Argusaugen dar-ber wachen und fast ihre geballte Arbeitskapazitt darauf verwenden, dassdie ungeschminkte Wahrheit im Verborgenen bleibt.

    Und deshalb macht sich so mancher Kriminalist Luft, indem er seineEmprung in eine Mrchenerzhlung kleidet, wie der Kriminaldirektor ei-nes Landeskriminalamtes, der einen (dann allerdings nicht verffentlichten)Leserbrief an eine Zeitung schrieb: Noch bevor die Krieger losreiten konn-ten, erschienen die Kaufleute und Advokaten und wiesen den Knig daraufh i n , dass die bsen Drachen ja viel Geld und Beute im Land verstecken wr-den, und das sei ja auch gut fr die Wirtschaft. Und sie wrden Schlsserund Behausungen kaufen, Wirtshuser und Werksttten. Sie nannten dasGelddwsche. Aber die Krieger drften bitte nicht in deren Truhen greifenund fragen, woher diese so viel Gold htten. Und damit dies schwerer wr-de, baten sie den Knig, den Kriegern wenigstens einen Arm auf den R-cken binden zu lassen. Da hatten die Krieger die Nase voll, murmelten etwasvon: >Macht euren Mist alleine< und gingen nach Hause zu Frau und Kin-dern. Und die Drachen feierten drei Tage und Nchte und verspotteten denKnig und seine weisen Berater.

  • Wie und warum Kriminalittsbekmpfungausgebremst wird

    Wenn auf den Grbern aller Ermordeten einLichtlein stnde, wren die Friedhfe hell er-leuchtet.Aus dem Erfahrungsschatz von Gerichtsmedizinem

    Die Bekmpfung von Organisierter Kriminalitt ist out

    Jeder zweite Mord in Deutschland bleibt unentdeckt, so lautet die fatale Ein-schtzung von Gerichtsmedizinern und Beamten deutscher Mordkommis-sionen, und diese Einschtzung ist dem Fachpublikum durchaus bekannt.Trotzdem wurden und werden weiterhin rechtsmedizinische Institute ge-schlossen oder in ihren bisherigen Arbeitsmglichkeiten massiv beschnit-ten. Der Frankfurter Rechtsmediziner Professor Hansjrgen Bratzke be-furchtet sogar einen weiteren Anstieg unentdeckter Trungsdelikte: Bevorman hundert Kilometer mit der Leiche fahren muss, glaubt man schon maldem Ehemann, dass die blauen Flecken der toten Frau von einem Sturz vorihrem Ableben herrhren. Eine nicht entdeckte Ttung verleiht manchemso viel Sicherheit, dass er es wieder tun wrde.

    Und ein Kriminalbeamter aus Gera sagt: Allein aus dieser Perspektivescheint das Desaster so hoffnungslos, dass nach weiteren schlimmen Seitendes Themas kaum einer mehr fragt. Die Qualitt der polizeilichen Arbeit beiTodesermittlungsverfahren blieb - zumindest von der ffentlichen Diskus-sion - bisher verschont.' Das ist jedoch nur ein kleines Puzzleteil im skan-dalsen Gesamtbild.

    Tatsache ist zudem, dass Verfahrenseinstellungen bei komplizierten Straf-verfahren zunehmen - oft hart am Rande des Opportunittsprinzips. Es wirdimmer mehr auf Berufungen und berhaupt ausreichende Ermittlungsttig-

    12 Wie und warum Kriminalittsbekmpfung ausgebremst wird

  • keit verzichtet - so knnen sich berlastete Staatsanwlte auf ganz legale Artund Weise einen Teil der Arbeit vom Hals schaffen. Die Justiz ist berlastetund kann dringende Aufgaben nicht erfllen, die Polizei kann schrecklicheVerbrechen nicht verhindern. Besonders wichtige und interessante Prozessewerden an der ffentlichkeit vorbei ausgedealt, klagt ein hoher Richter inKarlsruhe. Gleichzeitig gibt es eine wahre Flut neuer Gesetze und Verordnun-gen, die der Kriminalitt jeglicher Couleur angeblich den erbitterten Kampfansagen sollen. Der groe Lauschangriff gehrt genauso dazu wie die geplan-te Installation von Kameras an hessischen Autobahnen, um flchtige Verbre-cher zu fangen. Im bizarren Kontrast zum Gesetzesaktionismus der Politikersteht ihr Unwille, die Sicherheitsbehrden besser auszustatten. Seit Jahrenbauen Bund und Lnder bei der Polizei Stellen ab, aus Kostengrnden.

    Im Polizeiprsidium Dsseldorf klagt ein leitender Kriminalist: Wirknnten hundert Verfahren erffnen, weil es so viele Problemfelder gibt. Be-arbeiten aber knnen wir maximal ein oder zwei Verfahren im Jahr. Er istbrigens im Dezernat Wirtschaftskriminalitt beschftigt. Ein Kollege vonihm aus Karlsruhe uerte sich hnlich: Ich kann Ihnen nur besttigen,dass es seitens der >Fhrung< nicht gewnscht ist, dass Kriminalitt be-kmpft wird, dies ber einen lngeren Zeitraum (mehrere Monate, eventuellJahre) erfolgen soll, ohne dass konkret am Anfang absehbar ist, welche Er-gebnisse erzielt werden knnen.

    Genauso sieht es ein leitender Kriminalbeamter in Bochum: Wenn ge-gen Kriminelle ermittelt werden soll, die ber viel Geld und viele Ressourcenverfgen - und das trifft immer hufiger zu -, knnen wir nichts mehr ge-gen sie unternehmen. Das geht inzwischen so weit, dass Staatsanwalt-schaften komplizierte Flle von Wirtschafts- oder Organisierter Kriminalittberhaupt nur dann noch verfolgen, wenn zu Beginn der Ermittlungen eineErfolgsgarantie gesichert ist und zudem die Kosten eingespielt werden kn-nen - ein absurdes Szenario.

    Organisierte Kriminalitt (OK) und Wirtschaftskriminalitt knnen wirnur noch oberflchlich ankratzen. Tiefer gehende Einblicke in Strukturenund hinter die Kulissen sind nicht mehr mglich und - so muss manmanchmal annehmen - offensichtlich auch nicht gewnscht, rgert sichsein Kollege, ein sonst sehr positiv eingestellter Abteilungsleiter des Lan-deskriminalamts Hannover.

    Die Bekmpfung von Organisierter Kriminalitt ist out 13

  • Organisierte Kriminalitt zu knacken ist heute fast nicht mehr mg-lich, konstatiert der ehemals hchste Chef des Bundeskriminalamtes,Hans-Ludwig Zachert. Er sagt auch: Die Bekmpfung von OrganisierterKriminalitt ist politisch nicht gewollt. Und: Die politische Einflussnahmeauf Verfahren wird immer strker. Ich beobachte die Politisierung der Straf-verfolgung. Ein Oberstaatsanwalt aus Berlin beschreibt die Situation alsausnehmend ernst: Es wird bis in die hchsten Spitzen verhindert, dass wirgegen Prominente ermitteln. Seine Schlussfolgerung: Der Staat ist unterdie Ruber gefallen.

    Und tatschlich knnte man argwhnen, dass sich dahinter ein Systemverbirgt. Das System ist perfide, offenbarte mir ein leitender Kripobeam-ter aus Bayern. Da kommt keiner und sagt, das geht nicht. Vielmehr gibt esdie Vorgabe des Innenministeriums, dass wir weniger Straftaten in der Sta-tistik auffuhren sollen, damit wir als das sicherste Land erscheinen. Demordnet sich die Justiz unter und fordert hhere Umschlagszahlen. Und ichbekomme vom Staatsanwalt eine Priorittenliste, was zu ermitteln und ver-folgen ist, um eine hohe Umschlagsgeschwindigkeit zu erreichen. Wirt-schaftskriminalitt und Organisierte Kriminalitt knnen jedoch in der Re-gel nicht schnell gelst werden.

    Immerhin ist es wiederum ein amtierender Polizeiprsident aus Nord-rhein-Westfalen gewesen, der mir Folgendes ins Notizbuch diktierte: Dieherrschenden politischen Kpfe wollen nicht, dass etwas herauskommt. Siewollen nichts ber die Hintergrnde wissen und lieber alles unter den Tep-pich kehren. Der in langen Dienstjahren ergraute Polizeiprsident beant-wortete mit diesen Worten meine Frage, warum nicht gewnscht sei, dassbestimmte Kriminalittsformen effektiv bekmpft werden.

    Er knnte auch von der Kapitulation des Rechtsstaates sprechen. Dazupasst die Erkenntnis vieler deutscher Ermittler, die von einem Kripobeamtendes Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen auf den Punkt gebracht wur-de: Wenn man in ein Wespennest hineinsticht, ist man nicht in der Lage,etwas zu unternehmen. Dann sind uns die Hnde gebunden. Denn es re-giert die Angst, sich dabei die Finger zu verbrennen, weil die Vorgesetztenuns keine Rckendeckung geben.

    Konrad Freiberg, Chef der mchtigen Gewerkschaft der Polizei (GdP),fasst seine eigenen Erfahrungen und die seiner Kollegen so zusammen:

    14 Wie und warum Kriminalittsbekmpfung ausgebremst wird

  • Organisierte Kriminalitt interessiert heute niemanden mehr. Wir be-wegen uns allenfalls auf der Ebene der sichtbaren Kriminalitt. Ein KollegeFreibergs verweist auf die Unterhaltungskriminalitt, die sich im Fernse-hen plakativ abbilden lsst: Prostitution, Menschenhandel oder seit dem 11.September 2001 Terrorismus. Die Berichterstattung darber steigert we-nigstens die Quote fr jene Medien, die sich im Boulevardstil gierig auf sol-che Themen strzen. Da gibt es schne Bilder. Und die Verantwortlichenwollen dann erst vordergrndige Erfolge sehen. Sie sind aber nicht bereit,selbst da gengend qualifiziertes Personal zur Verfgung zu stellen - einHohn, winkt ein Kripobeamter aus Dresden resigniert ab.

    Dieses Problem haben seine Kollegen im benachbarten Thringen nicht.Wir haben keine Organisierte Kriminalitt, weil es berhaupt keine ausge-bildeten Beamten zu deren Bekmpfung gibt, stellt lapidar ein Kriminaldi-rektor aus Erfurt fest. Ein leitender Polizeidirektor aus dem Saarland sieht esnicht anders. Wir haben ein Landeskriminalamt, und das knnte sich umOK und Wirtschaftskriminalitt kmmern. Aber ich kann nicht registrieren,dass dort OK bearbeitet wird.

    Die wirksame Bekmpfung von Organisierter Kriminalitt will dochniemand, sagt ein gestandener Beamter aus Kiel ernchtert, der lange imBereich der Organisierten Kriminalitt ermittelt hat. 2003 ist es aus derSchwerpunktsetzung der Innenministerkonferenz herausgenommen wor-den, weil es unbequem geworden ist. Man befasst sich ja nicht einmal mehrmit diesem Thema in der AG/OK. Die Kommission OK ist eine Einrich-tung des Bundesinnenministeriums, in der sich die Abteilungsleiter allerLandeskriminalmter und des Bundeskriminalamtes regelmig treffen.Da geht es berwiegend nur noch um Modekriminalitt, um das, was f-fentlichkeitswirksam ist und Schlagzeilen verspricht.

    In Dsseldorf brachte es im Frhjahr 2003 Dieter Hhbusch, Direktor derAbteilung Gefahrenabwehr und Strafverfolgung im Polizeiprsidium, wh-rend einer Rede vor seinen Fhrungskrften auf den Punkt, sofern ihn die an-wesenden Beamten richtig gehrt haben. Sie zitieren ihn mit den Worten:Organisierte Kriminalitt ist die Kr, und dafr fehlt uns das Personal.

    Nun wissen die Kriminalisten wenigstens aus berufenem Mund, was dieStunde geschlagen hat. Und das, obwohl die Fachbeamten der entsprechen-den Kommissariate sagen: Wir haben Chinesen, Jugoslawen, Kolumbianer,

    Die Bekmpfung von Organisierter Kriminalitt ist out 15

  • Italiener, Libanesen und Russen, die bereits ihre Strukturen aufgebaut ha-ben. Angesichts dieser Situation sind solche Einschtzungen eines Polizei-chefs von beeindruckendem fachlichem Weitblick geprgt. Vor allem, wennwir uns vor Augen fuhren, dass die kriminellen Feudalherren sich in undum Dsseldorf ihre Residenzen gebaut haben.

    Da gibt es die Dsseldorfer Prachtstrae, die Knigsallee (K), mit ihrenzahlreichen prunkvollen Bankpalsten. Kaum ein russischer Geschfts-mann, der dort kein Konto unterhlt. An die kommen wir berhaupt nichtmehr heran, winkt ein Beamter des Dsseldorfer Polizeiprsidiums ab.Ich glaube, dass wir im Stadtteil Meerbusch, wo die gesellschaftliche Elitelebt, >Diebe im Gesetz(4)< haben. Damit meint er die hchsten kriminellenAutoritten der ehemaligen Sowjetunion.

    Sicher kein Dieb im Gesetz, aber eine kriminelle Autoritt ist ein Ds-seldorfer Unternehmer, ein Russe, der inzwischen eingebrgert ist undlange Zeit im Visier der Fahnder war. In einem Bericht des russischen Nach-richtendienstes (FSB) ist ber ihn zu lesen: Er hat nachweislich Verbin-dungen zum Klan des kasachischen Prsidenten Nursultan Nasarbajew so-wie zur kriminellen Autoritt Sergej Michailow. Er unterhielt sehr engeBeziehungen zu dem berchtigten Geschftsmann Leonid Minin. Nach vor-liegenden Erkenntnissen gehrt er (der Unternehmer aus Dsseldorf, J. R.)zu den aktivsten und qualifiziertesten Personen fr Geldwscheaktivittender organisierten russischen kriminellen Szene in Westeuropa und verfgtber eigene Mittel und Mglichkeiten, Finanzierungsoperationen durchzu-fuhren.

    Die Liste seines Erfolgs ist noch weitaus lnger und den Ermittlungsbe-hrden in Nordrhein-Westfalen bekannt. Doch was sagte mir ein Dssel-dorfer Ermittler ber den Geschftsmann: Ein Kollege vom Landeskrimi-nalamt ist ja zur Amtsleitung gegangen und hat gesagt, dass er fr denMann fnfzig Beamten braucht, um ihn zu berfhren. Da wurde er ausge-lacht.

    Dafr werden die Beamten beim Landeskriminalamt mit klugen Fragengelchert wie: Was kostet ein Ermittlungsverfahren? Oder es werden Vor-gaben gemacht wie: Sollten die Erfolgsaussichten zu Beginn der Ermitt-lungen unter 50 Prozent liegen, wird kein Verfahren erffnet. Ende der Dis-kussion.

    16 Wie und warum Kriminalittsbekmpfung ausgebremst wird

  • Die Kosten-Nutzen-Rechnung in der Polizeiarbeit: Auch sie stellt eine derobsznen Techniken zur Verdrngung von Problemen dar, damit die Krimi-nellen in Zukunft noch grere Profite einstreichen knnen. Deshalb wur-de in den beiden folgenden Fllen selbstredend nicht einmal ansatzweiseermittelt Im Mai 2003 wird ein nordrhein-westflischer Transportunter-nehmer beauftragt, einen beschdigten Mercedes der 55oer SL-Klasse vonZwolle in den Niederlanden nach Dsseldorf zu einem einschlgig berch-tigten Autohndler zu transportieren. Als der Transportunternehmer die Lu-xuskarosse in Dsseldorf abliefern wollte, begegnete er bei dem Autohnd-ler einer jungen Frau. Diese Begegnung muss ihn sehr beeindruckt haben,denn der Transportunternehmer notierte sich: Aus der kargen Konversa-tion war eindeutig zu entnehmen, dass ihr Mann ein bedeutendes Mitgliedder ehrenwerten Gesellschaft war. Sie selbst offerierte in geradezu prostitu-ierender Freizgigkeit drei unter die Haut transplantierte hochkartige Dia-manten.

    Seltsam oder nicht - der 70-jhrige Ehemann der hochkartigen jungenFrau ist in Dsseldorf eng mit einem kriminellen Syndikat verbunden. DiePolizei wei es, hat jedoch kein Personal, um ihm das Handwerk zu legen.Was bringt es auch, hier Kosten zu investieren?

    Der Transportunternehmer erinnert sich an eine weitere Wagenberfh-rung. Im September 2003 erhielt er den Auftrag, einen Rolls-Royce Phan-tom, den eine russische Kundin aus Dsseldorf per Internet fr 398000 Eu-ro bei einem Frankfurter Autohndler ersteigert und anschlieend barbezahlt hatte, an eine Adresse in Sardinien zu liefern. Das Reiseziel war einluxurises Anwesen an der Costa Smeralda, in Porto Cervo. Hier, in der Viadel Villierie Nr. 4, residiert Wasilij Anisimow. Der feierte seinen 5o.sten Ge-burtstag, und der Rolls-Royce war das Geschenk seiner deutschen Freunde.Das herrliche Ambiente - kurz zuvor wurden aus einem riesigen SattelzugBlumenbuketts abgeladen - wurde umrahmt von mit Maschinenpistolen be-waffneten Patrouillen, die auf den Gemuern des Anwesens Prsenz zeig-ten. Woher die knapp 400 000 Euro der Dame aus Dsseldorf stammenoder ob es noch weitere Verbindungen zwischen dem in Sardinien lebendenMillionr und seinen Freunden in Dsseldorf gibt - kein Interesse bei derBehrdenleitung.

    Was wollen diese beiden Geschichten auerdem sagen?-Viele kriminelle

    Die Bekmpfung von Organisierter Kriminalitt ist out 17

  • Aktivitten spielen sich inzwischen auf einer gesellschaftlichen Ebene ab, inder die Grenzen zwischen hochkartiger Kriminalitt und normalen Ge-schftserfolgen verschwimmen. Um doch noch die Grenzen aufzuzeigen,wren Polizei und Staatsanwaltschaft gefragt. Die hingegen knnen dasschon lange nicht mehr leisten. Alle Alarmsirenen mssten schrillen, wennselbst der ehemalige Prsident des undeskriminalamts Zachert zugibt,dass das Legalisierungsprinzip durch die Ressourcen teilweise auer Kraftgesetzt ist, dass die Polizei ab einer bestimmten Kostensumme nicht mehrermitteln kann und daher ein rechtsfreier Raum entstanden ist.

    Wie ohnmchtig sind die Ermittlungsbehrden?

    Kriminalisten der nordrhein-westflischen Landeshauptstadt reizte es zuge-gebenermaen sehr, sich etwas intensiver mit den vielen Libanesen-Restau-rants zu beschftigen, die in Dsseldorf die Gste kulinarisch verwhnen.Denn es bestand der Anfangsverdacht: Hier werden nicht nur Speisen undGetrnke angeboten, sondern auch kriminelle Geschfte geplant. Die moti-vierende Reaktion der Dsseldorfer Behrdenleitung: Was bringt das derBehrde? Und damit war das leidige Thema vorn Tisch.

    Entsprechend heftig fallen die Klagen der zahlreichen engagierten Be-amten aus. Wir haben Leute in Fhrungspositionen, die Angst vor kompli-zierten Ermittlungsverfahren haben. Nein, es regiert die Angst. Und deshalbwird versucht, durch immer neue brokratische Barrieren, die Beamten un-ter Druck zu setzen. Und einer seiner Kollegen ergnzt im Gesprch: Da-fr gibt es einen Besprechungsmarathon ohne Ende, bei dem man einenhalben Tag sitzt.

    Wohin das alles fhrt, beschreibt ein couragierter ehemaliger Staatsan-walt aus Frankfurt. Er jagt inzwischen als Rechtsanwalt erfolgreich interna-tionale Wirtschaftsverbrecher; Die Polizei hat doch berhaupt keine Ah-nung mehr, was sich wirklich abspielt. Und auerdem fehlt ihr jeglicheMotivation, etwas zu tun.

    Fast wortgleich wird diese Aussage von einem Mann besttigt, der eben-falls einen weiten Erfahrungsschatz vorzuweisen hat. Es handelt sich um ei-

    18 Wie und warum Kriminalittsbekmpfung ausgebremst wird

  • nen Italiener mit besten Verbindungen zur sizilianischen Cosa Nostra. Derin Mannheim lebende Grohndler sagt geradezu mitfhlend. Mein Lie-ber, was stellst du fr eine komische Frage? Und er lacht mich an, serviertmir freundlich den Espresso einer Kaffeefirma, die der Mafia in Rom gehrtund deren Kaffee in Deutschland verkauft wird. Die Polizia hat doch so vielKenntnis, wie mein Fingernagel klein ist. Unsere Mafiosi knnen total un-gehindert herumlaufen. Dann erzhlt er ber die Strukturen der kalabri-schen Ndrangheta in Westfalen, die dort seit 15 Jahren im Lebensmittel-grohandel aktiv sei, und ber deutsche Anwlte und Steuerberater, die vonder Ndrangheta alimentiert werden und im Voraus beratend ttig werden,wenn es um Betrugsgeschfte in Millionenhhe im Lebensmittelhandelgeht.

    Ob die Ermittlungsbehrden wirklich wissen, wie eng die Kooperationzwischen russischen kriminellen Banden - wie beispielsweise der des Mul-timillionrs Konstantin Jakowlew (Spitzname: das Grab) - und der CosaNostra in Sizilien ist, die zudem in Baden-Wrttemberg einen Brckenkopferrichtet haben soll? Der italienische Grohndler aus Mannheim hat mitihm Geschfte gemacht. Seine Leute aus St. Petersburg sind mit einem Pri-vathubschrauber hier gelandet und dann zur Jagd gegangen. Konstantin hatFirmen in Berlin - Kosmetik und Modelagenturen.

    Der Grohndler selbst war hufig in St. Petersburg, alle zwei Wo-chen, und hat dort mit Konstantin Jakowlew gesprochen. Er ist arrogant,saublde und extrem gewaltttig. Um welche Geschfte es gegangen sei,fragte ich ihn und erfuhr: Im Gas- und lgeschft sowie dem Straenbaugibt es eine Kooperation zwischen Familien aus Sizilien und den St. Peters-burger Syndikaten.

    Sein russischer Geschftsfreund Konstantin Jakowlew hatte seine Kar-riere als gelernter Sargtrger und Totengrber begonnen. Lange ist das her.Bis zum 25. Mai 2003 war er einer der mchtigsten Mafiabosse von St. Pe-tersburg und gebot ber ein groes Imperium. Doch am 25. Mai 2003 kehr-te er dorthin zurck, wo einst seine Karriere begann, auf den St. Petersbur-ger Friedhof, nachdem man ihn in Moskau erschossen hatte. Natrlichwurden seine Mrder nie gefasst. Prunkvoll war nochmals die Inszenierungseiner Beerdigung. Sein Beichtvater fabulierte am Grab, whrend Freundeund Freundinnen des Mafiabosses schluchzten: Gott hat Kostja im schn-

    Wie ohnmchtig sind die Ermittlungsbehrden? 19

  • stcn Moment seines Lebens zu sich gerufen - als er sich auf dem Weg derBue befand.

    Seine kriminellen Gefolgsleute sind unterdessen von einem noch gre-ren Unternehmen bernommen worden, der Tambowskaja.5 Und die Tam-bowskaja, das meldete im August 2001 der damalige russische Innenminis-ter Boris Gryslow, kontrolliert ber einhundert Industrieunternehmen inSt. Petersburg sowie die vier wichtigsten baltischen Seehfen: St. Peters-burg, Kaliningrad, Archangelsk und Murmansk.6 Diese typische Legalittdes Kriminellen hat in Russland, wie jedermann wei, System - und Folgen.

    Natrlich knnen wir gegen derartige Konglomerate nichts mehr unter-nehmen, klagt resignierend ein hoher Polizeibeamter in Heidelberg, woseit geraumer Zeit ein Ermittlungsverfahren (Aktenzeichen 45 Jsi8444/02)gegen die russische Mafiaorganisation Tambowskaja und deren Residentenim Raum Heidelberg gerhrt wird. Wir befinden uns in einem Dschungelund knnen allenfalls einen Baum fllen. Und selbst dafr fehlt inzwi-schen das einfachste Handwerkszeug.

    Wie soll eine Staatsanwltin, ein Staatsanwalt ihrer bzw. seiner Sachlei-tungsbefugnis auch nur ansatzweise nachkommen, wenn sich im Dienst-zimmer die Vorgnge in groen Haufen auf dem Fuboden trmen? Wiesoll eine berlastete Staatsanwaltschaft unter diesen Rahmenbedingungenerkennen, dass die Polizei vielleicht Ermittlungsanstze bersehen hat? DerStaatsanwalt wird das Verfahren einstellen. Der Ermittler wird froh sein,dass er es nicht zurckbekommt. Der Geschdigte wird sich bestenfalls sei-nen Teil denken, wenn er im Einstellungsbescheid liest, dass trotz intensiverErmittlungen kein Tatverdchtiger ermittelt werden konnte.7

    Oder wie es ein Frankfurter Oberstaatsanwalt erlebt: Die Verfahren wer-den von uns eingestellt, weil keine Zeit ist zu ermitteln. Ich habe Probleme,mit jungen Polizeibeamten zu arbeiten, die berhaupt nicht mehr ermittelnknnen, weil sie mit Verwaltungsarbeit zugeschttet werden. Deshalb gibtes keine Verfahren im Bereich Organisierte Kriminalitt mehr. Diese Zeitensind vorbei. Und er schliet mit der Bemerkung: Ich zehre von den sch-nen Jahren in den Neunzigern. Dann wurde es von Jahr zu Jahr schlimmer.Inzwischen ist die Lage katastrophal.

    Das geben inzwischen selbst Ressortleiter des Bundeskriminalamtes zu -unter der Voraussetzung namentlich nicht genannt zu werden. Organisierte

    20 Wie und warum Kriminalittsbekmpfung ausgebremst wird

  • Kriminalitt wird nach ihren Worten nicht mehr bekmpft. Zum einen w-ren immer weniger Kripobeamte und Staatsanwlte bereit, Risiken einzuge-hen. Zum anderen sei es eine Frage des Geldes. Nach einem Jahr werdendie Ermittlungen eingestellt, obwohl wir hufig nicht davon berzeugt wa-ren, die Falschen zu haben - das Geld spielte immer die entscheidende Rol-le. Geld und Personal sind aber nicht mehr vorhanden.

    In Sachsen beschwert sich ein Beamter Gedacht war, dass eine Gruppevon Ermittlern die Bekmpfung der Schleuserkriminalitt durchfhren soll-te sowie Strukturermittlungen fhrt, um dann gezielt einzelne Ttergrup-pen zu bekmpfen. Die Realitt ist ernchternd. Unsere Gruppe besteht auszwei Ermittlern, die alle Schleuserverfahren der Polizeidirektion abarbeitensollen. Das sind pro Jahr zwischen vier- und fnfhundert Verfahren und rei-ne Fliebandarbeit. Zeit fr Strukturermittlungen haben wir da keine. Unddas ist leider auch so gewollt. Wir sollen ja offensichtlich in diesem Bereichkeine Ermittlungen fhren. Ich glaube zwar nicht, dass jemand in der Poli-zei diese Strukturen decken will. Aber im Ergebnis kommt nichts anderesdabei heraus.

    Weil keine Ermittlungen mehr gefhrt werden, darf ein in der kriminel-len russischen Szene einschlgig bekannter Berliner Unternehmer bei Dres-den ein Investitionsprojekt mit Zchtung von Blumen starten. Ehemali-gen Geschftspartnern, die ihm den Rcken kehren wollten, drohte er schonmal mit Kraftausdrcken wie: Ich bring dich um. Interessant ist das Pro-jekt, weil der Berliner Unternehmer vom schsischen Staat fnfzehn Millio-nen Euro Subventionen kassiert. Dass er in Berlin einen Offenbarungseidgeleistet hat, kmmert in Sachsen niemanden. Klugerweise hatte er seinenSohn fr das Millionenprojekt vorgeschoben. Eigentlich wollten die Bankendabei nicht mitspielen. Nachdem sein Strohmann in der Regierungskanzleiintervenierte, wurde das Investitionsprojekt auf hchste Anordnung ge-nehmigt.

    Parallel dazu verkndet der schsische Finanzminister, dass es in Sach-sen zu viele Polizeibeamte gebe, und nennt die Zahl von 2000 Beamten, diedeshalb eingespart werden sollen. Was die Kriminalisten vor Ort von derar-tigen Plnen halten? Im Bereich der Drogenkriminalitt werden nur dieFlle bekannt, die sich die Kollegen aus dem Dunkelfeld selbst herausholen.Das heit, je mehr Beamte ermitteln, umso mehr kann aufgeklrt werden.

    Wie ohnmchtig sind die Ermittlungsbehrden? 21

  • Nun haben wir seit der Wende jhrlich zweistellige Steigerungsraten in die-sem Deliktbereich. Es werden aber keine Beamten aufgestockt, im Gegen-teil. Man geht ja seit Jahren davon aus, dass eh nur fnf bis maximal zehnProzent der Drogendelikte bekannt werden.

    Einer seiner Kollegen aus Nordrhein-Westfalen machte hnliche Erfah-rungen, die ihn zur bitteren Aussage veranlassten: Bei uns wurde die OK-Abteilung (Organisierte Kriminalitt) eingestampft, und die Amtsleitungfragt daher, warum brauchen wir eigentlich noch O K-Ermittler. Es gibt jajetzt bereits keine erkennende Fahndung mehr. Wir wissen nicht einmalmehr, wem gehren die Bordelle. Und ber das Innenministerium werdenuns Verfahren gegeben, die berhaupt nichts mit OK zu tun haben. Das pas-siert stndig.

    Und aus dem Polizeiprsidium Bochum ist die beschmende Bilanz zuvernehmen: Alle Morde im Zusammenhang mit Organisierter Kriminalittin Nordrhein-Westfalen sind im Wesentlichen nicht aufgeklrt. Vielleichteinmal in einem Einzelfall. Diese Aussage muss man sich immer dann ver-gegenwrtigen, wenn irgendein Politiker wieder einmal irgendeinen Satzber die erfolgreiche Bekmpfung von Kriminalitt sagt.

    In Hessen hingegen werden - unbewusst natrlich, alles andere wre ei-ne malose Unterstellung - Morde, die einen Bezug zur Organisierten Kri-minalitt haben, als Beziehungstat bearbeitet. Das kostet weniger, erzhltein ernchterter Kriminalist in Wiesbaden.

    Und berhaupt wissen viele Beamte sowieso nicht mehr, was sich in ih-rem Bundesland unter ihren Augen abspielt: Macht- und Verteilungs-kmpfe im Rotlichtbereich, Auftragsmorde. Warum das so ist, dafr gibt eszahlreiche Erklrungen. Es gibt keine substanziellen Informationen mehr,es fehlt qualifiziertes Personal, und es fehlt inzwischen die Motivation beiden Kollegen. Sie arbeiten zweieinhalb Stunden lnger und bekommen we-niger Geld. Hinzu kommen schlechte Qualifikation, Unerfahrenheit, unddie Mglichkeiten der Strafprozessordnung werden nicht mehr ausge-nutzt. Das sind die Worte eines Kriminalrats aus Nordrhein-Westfalen. An-derswo ist es natrlich nicht besser.

    Geschlossen werden die Augen vor so vielen Problemen, dass eines mehrkaum ins Gewicht fllt. Kriminelle Gruppen haben nmlich erkannt, wie siemhelos direkt ins Herz der Ermittlungsbehrden vorstoen knnen, ohne

    22 Wie und warum Kriminalitatsbekmpfung ausgebremst wird

  • dass es auffllt: Strohmnner grnden ein Reinigungsunternehmen undbieten gnstige Tarife an. Oder sie lassen ihre Leute in Reinigungsunter-nehmen arbeiten. Eine Methode, die in vielen anderen deutschen Stdtengleichfalls erfolgreich praktiziert wird, wie ein Oberstaatsanwalt aus Darm-stadt besttigte: Unsere Putzfrauen kommen berall hin, und es findet kei-nerlei Kontrolle statt.

    Da die Kommunen und Lnder Geld sparen, beschftigen sie fast alle diepreisgnstigen privaten Putzdienste. Kaum eine Behrdenleitung, ob Poli-zei, Verfassungsschutz oder Justiz, prft einmal, wer denn so sorgfltig dieAktenschrnke und Schreibtische sauber wischt. Ein elementares Sicher-heitsleck, geopfert auf dem Altar von Sparbeschlssen und Privatisierungs-wahn. Die warnende Stimme eines Berliner Oberstaatsanwalts, dass das al-les zusammen genommen ein schleichender Prozess ist und man sichnoch die Augen reiben wird, wenn hier eines Tages die Leichen herumlie-gen, verhallt ungehrt, solange nicht zu viele Leichen auf den Straen he-rumliegen.

    Nicht weniger entrstet als der Berliner Staatsanwalt ist ein Kriminal-kommissar aus Frankfurt am Main, der die katastrophalen Folgen von Kr-zungs- und Reformorgien in seinem Kommissariat hautnah erlebt: Die ita-lienische Ndrangheta hat ihre Leute in Bornheim, in Bockenheim konntesich die Camorra festsetzen, in Offenbach sind es die Sizilianer. Diese Struk-turen bestehen seit langem - aber es wird nichts mehr getan. Dabei hat dieFinanzmetropole Frankfurt eine ideale kriminelle Infrastruktur. Wir sind ei-ne gute Bananenrepublik geworden.

    Ahnlich bewertet einer der hchsten Hamburger Polizeibeamten dieSachlage: Kein Landeskriminalamt kann heute erfolgreich gegen Russen,Italiener oder Kosovo-Albaner vorgehen. Es sind schlechte Zeiten fr dieO K-Bekmpfung. Ein Oberstaatsanwalt aus dem nordrhein-westflischenHagen wagt in diesem Zusammenhang die khne Behauptung, dass diePolitiker erkennbar nur noch Schadensbegrenzung zum Zweck einer per-snlichen Wiederwahl betreiben, anstatt sich zu einer umfassenden Offen-sive gegen besonders gemein schdliche Formen der Kriminalitt zusam-menzufinden.

    Zumindest wird wenig getan, um derartige kriminelle Machenschaftenzu unterbinden. Weil, so berichtete mir ein 41-jhriger Kriminalrat des

    Wie ohnmchtig sind die Ermittlungsbehrden? 23

  • nordrhein-westflischen Landeskriminalamts, ich leider mit Entsetzenfeststellen muss , dass mehr Wert auf Statistiken (Anzahl der bearbeitetenFlle usw.) gelegt wird als auf qualifizierte Bekmpfung der Delikte, die ei-nen sehr hohen wirtschaftlichen Schaden verursachen.

    Und einer seiner Kollegen aus Baden-Wrttemberg meinte: Im Rah-men der Budgetierung sehe ich langfristig sogar die Gefahr, dass selbst diemittlere Kriminalitt (Menschenhandel, Drogenhandel etc.) nicht mehr ad-quat bekmpft werden soll. Anhand der desolaten Finanzlage - was derzeitdazu fhrt, dass kaum noch Befrderungen ausgesprochen und Angestell-tenstellen rapide gestrichen werden usw. - in Verbindung mit den bereitsoben genannten Grnden wird es meiner Meinung nach dazu fuhren, dassdie Polizeibeamten mittelfristig auch keine Lust mehr haben, gegen dieWindmhlen der Brokratie anzukmpfen.

    In dieses Bild passt, dass einige Staatsanwlte sich teilweise weigern,berhaupt noch Ermittlungsverfahren einzuleiten, meldet ein DarmstdterOberstaatsanwalt. Wenn die Beamten einen Durchsuchungsbeschluss for-dern, sagen manche Kollegen: >Nein, da gefhrde ich ja meine Familie. Ichmach es nicht.< Ist mir zu wenig Verdacht, ist dann die offizielle Begrn-dung, um das Verfahren einzustellen. Andererseits werden aus lauter Frus-tration hufig kleine Vergehen mit unbarmherziger Starrheit verfolgt. DieKleinen hngt man, die Groen lsst man laufen, besttigt ein selbstkriti-scher Oberstaatsanwalt diese dstere Entwicklung.

    Dieses Prinzip setzt sich ha vielen Gerichtsverhandlungen fort. Dass esvor Gericht immer hufiger wie auf einem Viehmarkt zugeht, bestreitet heu-te kein Strafverteidiger mehr und kaum noch ein Staatsanwalt. Es wird ge-dealt, was das Zeug hlt, oft genug, bis das Urteil passt, das Recht wackeltund das Verbrechen Luft hat. Die kleinen Gauner ereilt das Gesetzbuch -simpler Fall, klares Urteil, die groen Ganoven bekommen dagegen, was siemit dem Gericht aushandeln - je komplizierter die Causa, umso einfacherfr sie der Deal.8 Vom Zwei-Klassen-Strafrecht ist die Rede.

    Einige Staatsanwlte denken glcklicherweise auch daran, wie sie demSteuerzahler unntige Kosten ersparen knnen. Zum Beispiel in Wrz-burg. Dort wurden im Herbst 2003 sieben rumnische Mnner festge-nommen, Mitglieder einer Bande, die durch Betrug erworbene Scheckkar-ten einsetzte.

    24 Wie und warum Kriminalittsbekampfung ausgebremst wird

  • Die Kreditkarten erhielten sie bei der Bank, nachdem sie zuvor beim Ein-wohnermeldeamt unter Angabe falscher Personalien amtliche Anmeldun-gen unter ebenso falschen Adressen erhielten. Bei der Kontoerffnung wur-de die Selbstabholung der Debitkarte vom Tter gewnscht. Durch einenZufall konnte die Bande durch die Wrzburger Polizei gefasst werden. Zudiesem Zeitpunkt waren drei der Komplizen bereits mit Kleintransporternin Richtung Rumnien unterwegs, beladen mit Waren, die sie ebenfalls mitGeldern aus Betrugsgeschften eingekauft hatten. Im Laderaum fanden dieBeamten ausschlielich hochwertige Produkte, also alles, was gut und teuerwar: Videorekorder, Hi-Fi-Anlagen, Drucker, Scanner oder Fahrrder. Zweidieser beladenen Kleintransporter konnten beim polizeilichen Zugriff si-chergestellt werden.

    Nachdem der Kriminalbeamte, der den Fall bearbeitet hatte, dem Staats-anwalt den Sachverhalt des Betrugs und des bandenmigen Agierensschilderte, entschied dieser, dass nur der mutmaliche Bandenchef inhaf-tiert werden sollte. Die anderen Bandenmitglieder wurden nach Hausegeschickt, nachdem sie der Aufforderung nachgekommen waren, einen Zu-stellungsbevollmchtigten zu benennen (wichtig, damit die Einstellungsver-fgung spter auch zugestellt werden kann). Die Begrndung des Staatsan-walts: Bei einer Unterbringung in der Justizvollzugsanstalt entstehen zumeinen hohe Kosten, und zum anderen sei doch der Lebensstil in der Justiz-vollzugsanstalt fr die Tter angenehmer als der in ihrer Heimat. Zur Ver-deutlichung und Rechtfertigung dieser Manahme wurde dem Kriminalbe-amten, der die Entscheidung nicht so recht verstehen konnte, sogar noch derTagessatz fr die Unterbringung eines Untersuchungshftlings in Wrz-burg genannt: 30 Euro.

    Den Ttern wurde zwar vom Staatsanwalt mit erhobenem Zeigefingerder gute Rat gegeben, dass sie ber ihre Schandtaten daheim in Rumniennachdenken sollten. Doch einer von ihnen wurde, diesmal in Begleitungseiner rumnischen Schwester, bereits vier Monate spter in Wrzburgbeim wiederholten Ladendiebstahl erneut auffllig. Kleinkram knnte mansagen - doch es offenbart gerade auch in Wrzburg eine Geisteshaltung beider Justiz.

    Aufgrund all dieser Vorkommnisse kocht die Stimmung unter den Poli-zeibeamten, auch wenn es glcklicherweise einige wenige Ausnahmen gibt.

    Wie ohnmchtig sind die Ermittlungsbehrden? 25

  • Und zwar in Bayern. Den Freistaat trennen anscheinend Welten von ande-ren Bundeslndern. Josef Niemann von der Polizeidirektion Oberbayernspricht sogar von fast idealen Arbeitsbedingungen: Wir haben absoluteRckendeckung vom Chef, fast eine Idealsituation. Wir sparen zwar auch,aber auf hohem Niveau. Es gibt bei uns die Untersttzung durch den Mi-nister. Das ist selten in Deutschland.

    hnlich argumentiert sein Kollege vom Bayerischen Landeskriminal-amt, Josef Geidrfer. Auch bei uns gibt es Einsparungen, aber das ist nichtdramatisch. ... Wir haben gengend Geld fr V-Leute und hoch motivierteMitarbeiter. Und ich sage meinen Mitarbeitern: >Geht nicht - gibt es nicht.

  • Die anwesenden Honoratioren aus dem Innenministerium, unter ihnender Inspekteur der nordrhein-westflischen Polizei, hrten mit versteinertenGesichtern zu, und schlielich meldete sich Landrat Thomas Hendele zuWort. Herr Kutsche, ich rge Ihren scharfen, emotionalen Ton. Sie knnendoch die Anwesenden des Innenministeriums nicht fr den Tod der Kolle-gen verantwortlich machen.

    Die Reaktionen von Kutsches Kolleginnen und Kollegen waren hingegenberwltigend positiv. Endlich hatte einmal einer den Mund aufgemacht.ber 900 Kollegen beglckwnschten Kutsche zu seiner sicherlich auchemotional vorgetragenen Anklage. Aus dem nrdlichen Flensburg meldetesich ein Kriminalist mit den Worten: Gratuliere, Kollege Kutsche. Die glei-che Rede hrtest du genauso vor den Behrdenvertretern in Schleswig-Hol-stein halten knnen. Und im stlichen Chemnitz sagte ein Kriminalist:Ich kann jeden Satz unterschreiben. Wir bekommen ja hier noch nicht malSchutzwesten. Die mssen wir uns selber kaufen. Es gibt lediglich einenkleinen Zuschuss. Man kann sich nur noch schwer mit dem Beruf identifi-zieren und muss sich selber immer wieder motivieren.

    Vertreter der Gewerkschaft der Polizei hingegen werden zusammenge-staucht, sollten sie den Mund zu weit aufmachen und es wagen, offene Kri-tik zu artikulieren. In Rheinland-Pfalz ist die Polizei aufgrund stndigerOrganisationsreformen und damit verbundener Einsparungen beim Per-sonal in besonders hohem Ma frustriert und demotiviert. In Trier zum Bei-spiel wirken acht Beamte in der Dienststelle zur Bekmpfung der Organi-sierten Kriminalitt. Und das fr ein Einzugsgebiet von knapp 600000Einwohnern! Wir knnen gerade mal ein einziges Verfahren abwickeln,resmiert ein Beamter aus dem O K-Kommissariat ber die Arbeitsbedin-gungen.

    Einige Zahlen: In Rheinland-Pfalz stiegen die Straftaten von 1993 bis2003 von 236 175 auf 287 747. Besonders krass war der Anstieg bei der Ge-waltkriminalitt (6177 auf 9538), bei Delikten mit Schusswaffen (525 auf1430} und bei der Wirtschafts- und Umweltkriminalitt teilweise um fast100 Prozent. Gleichzeitig sank der Personalbestand der Polizei. Wer dasnicht akzeptiert, wird gemaregelt, wie zum Beispiel auch der Landesvor-sitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), Werner Mrkert,erfahren musste.

    Wie ohnmchtig sind die Ermittlungsbehrden? 27

  • Er beklagte sich in einem Brief vom 27. Februar 2004, gerichtet an denLeiter der Generalstaatsanwaltschaften in Rheinland-Pfalz, dass bereitsjetzt die Kriminalinspektionen und -direktionen aus personellen Grndennicht mehr alle ermitlungsintensiven Verfahren annehmen und/oder kri-minalistisch so einwandfrei bearbeiten, wie sie es gerne mchten. Dasgefiel der Behrdenleitung im Innenministerium genauso wenig wie einkritischer Leserbrief. Die Folge: ein Disziplinarverfahren. Dann redete er,ebenfalls in seiner Funktion als B D K-Vertreter, auch noch mit einem Jour-nalisten. Und das nchste Disziplinarverfahren folgte.

    Kollegen werden mundtot gemacht, die es wagen, Kritik zu ben undoffen auszusprechen, dass die Polizei bei uns ihre Aufgaben nicht mehrwahrnehmen kann, zrnt einer seiner Kollegen. Andere Polizeibeamte hin-gegen haben keine Kraft und Motivation mehr, sich noch zu beschweren,wie jener Beamte von der Deutschen Polizeigewerkschaft: Durch berm-ige Arbeit in den Wachbereichen und auch in den Kommissariaten hat somancher Polizei- oder Kriminalbeamte nicht mehr die Lust, sich ffentlichzu den Problemen der Kriminalitt zu uern ... Unsere Arbeit ist mit derdes Sisyphus vergleichbar. Immer wenn es gilt, einen kleinen Erfolg zufeiern, dann gibt es irgendwo einen Politiker, der mit neuen Erlassen die Ar-beit erschweren will.

    Damit nicht genug. Um den schnen Schein zu wahren, werden brisan-te Erkenntnisse in Tresoren gebunkert, damit die Brger in Ruhe schlafenknnen. Was, so fragen sich BKA-Beamte, ist zum Beispiel derart geheim-nisvoll, dass nur wenige Auserwhlte eine Studie des Bundeskriminalamtesaus dem Jahr 2000 ber die Folgen der EU-Osterweiterung zu Gesicht be-kommen drfen? Und warum haben Bundeskanzleramt und AuswrtigesAmt dafr gesorgt, dass sie im Panzerschrank eingeschlossen wurde? DieAntwort ist relativ banal. In der 50-seitigen Studie untersuchte das BKA dieKonsequenzen der EU-Osterweiterung fr die ffentliche Sicherheit inDeutschland. Das Ergebnis der Kriminalisten? Es wird zu einer Kriminali-ttsschwemme kommen, und die Polizei in Deutschland ist nicht einmalansatzweise darauf vorbereitet. Das Ergebnis der BKA-Studie steht in kras-sem Widerspruch zu dem, was den Menschen in der Vergangenheit gesagtwurde, nmlich dass es mit der Erweiterung keine besonderen Sicherheits-probleme geben wrde.

    28 Wie und warum Kriminalittsbekmpfung ausgebremst wird

  • Bis zum heutigen Tag behaupten die BKA-Verantwortlichen brigens wi-der besseres Wissen, dass es eine solche Studie des BKA berhaupt nicht ge-be. Dafr werden der ffentlichkeit mehr oder weniger geschnte Berichtezur Lage der Organisierten Kriminalitt vorgesetzt. Diese Berichte, winktein Beamter des Bayerischen Landeskriminalamts ab, haben nur entferntetwas mit der Wirklichkeit zu tun. Bei den Berichten zur Organisierten Kri-minalitt- da wird gelogen, dass sich die Balken biegen.

    Geradezu infam wird das alles, wenn der BKA-Abteilungsleiter Max Rat-zel, zustndig fr Organisierte Kriminalitt, vor einem kriminologischenFachpublikum einen Vortrag ber die EU-Osterweiterung hlt und dabeiglaubt, er htte Erstsemester vor sich, denen mit standardisierten Folien All-tagsweisheiten zu vermitteln wren. In seinem Vortrag spricht er davon,dass es nach Ansicht des BKA keine dramatischen Entwicklungen im Zu-sammenhang mit der EU-Osterweiterung geben werde. Schn war's! Aberer hatte die Tagung des Bundes Deutscher Kriminalbeamter in Frankfurt/Oder am 1. April 2004 bereits wieder verlassen und konnte daher nicht h-ren, dass am nchsten Tag Professor Wladimir Kramarenko von der Univer-sitt Kaliningrad davon sprach, dass allein in Russland sage und schreibesieben Millionen Menschen auf die EU-Erweiterung warteten, um dann genWesten zu ziehen. Der bei der Tagung anwesende Uwe Kranz von Europol(Kurzform aus Europisches Polizeiamt) war sichtlich beeindruckt. Wir beiEuropol gingen bisher nur von 2,5 Millionen Menschen aus.

    Ein Exempel darber,wie die Bevlkerung fr dumm verkauft wird

    In Frankfurt am Main beklagten im Frhjahr 2004 Zollbeamte, dass dieAmtsleitung grndlichere Kontrollen verhindert. Rauschgift, Waffen,Sprengstoff- man knnte jetzt alles ber den Frankfurter Flughafen nachDeutschland reinbringen, wird in der Frankfurter Presse ein Zollbeamterzitiert, der am Flughafen seinen Dienst verrichtet. Selbst das Gepck vonFlugzeugen aus den klassischen Drogeneinfuhrlndern in Sdamerika undAsien werde nicht mehr kontrolliert. Die sprlichen Kontrollen, die noch in

    Ein Exempel darber, wie die Bevlkerung fr dumm verkauft wird 29

  • Frankfurt gemacht werden, sind ein Witz, klagen die Zllner und verwei-sen d a r a u f , dass das Arbeitsklima katastrophal sei. Gesprche der Vorge-setzten mi t den Untergebenen wrden in schreiender Form gefuhrt, undBeamtinnen seien von Vorgesetzten bis vor die Toilette verfolgt worden, woVorgesetzte mit einer Uhr die Zeit maen.9

    Auf den Vorwurf reagierte die Amtsleitung mit heftigen Dementis. Dasszum Beispiel das Gepck aus den Drogenherkunftslndern nicht kontrolliertwerde, sei falsch. Wegen der EU-Bestimmungen werde das Transitgepck anden Zielflughfen kontrolliert, argumentierte der Prsident der Oberfinanz-direktion Alfred Basenau. Damit sei hchste Kontrolldichte erreicht. Derniederlndische Flughafen Schiphol ist ein solcher Zielflughafen.

    Dort kommen durch Krperschmuggler jhrlich zwischen 30 Tonnen(unterste Schtzung) und 70 Tonnen (mittlere Schtzung) Kokain allein vonden niederlndischen Antillen an. Auf diesem quasi Inlandsflug habendie Hollnder bei zwei zuflligen Vollkontrollen - die ersten seit Jahren -von zwei Flugzeugen im Herbst 2003 ber 50 Kilo reines Kokain sicherge-stellt. So geht das jeden Tag, sieben Tage in der Woche. Pro Flugzeug min-destens 50 Drogenkuriere. Nach der einmaligen Polizeiaktion erklrte derhollndische Innenminister, das machen wir nie wieder, sonst mssen wirneue Gefngnisse bauen. Schtzungen zufolge werden 80 Prozent der Dro-genkuriere wegen Arbeitsberlastung laufen gelassen. Viele dieser kleinenDrogenschmuggler knnen - wie auch aus Martinique ber Paris - prak-tisch unkontrolliert im Transit nach Frankfurt und in andere Stdte weiter-fliegen. Heinz Haumer, der Prsident des Landeskriminalamtes Bayern, u-erte sich dazu mit folgenden Worten: Drogenkuriere, die bei unsfestgestellt werden, werden festgenommen und dem Gericht vorgefhrt undauch in Deutschland verurteilt. Wenn eine Drogenkurierschwemme in die-sem Umfang eintritt, wie es offenbar in den Niederlanden der Fall ist, dannist es bereits ein Zeichen von Kapitulation. Das sollten wir nicht hinneh-men.10 Warum eigentlich nicht?

    Die Geschichte mit dem Protest der Frankfurter Zollbeamten fand bri-gens ein echtes Happyend nach preuischer Gutsherrenart. Der heftig kriti-sierte Leiter des Zollamtes Flughafen, Hartmut Nesslet, lie Anfang Mai2004 eine Unterschriftenliste herumreichen. Mit ihrer Unterschrift solltendie Beamten versichern, dass sie keineswegs von der Amtsleitung ge-

    30 Wie und warum Kriminalittsbekmpfung ausgebremst wird

  • drckt, gegngelt, diffamiert und bei der Amtsausbung behindert, ber-wacht, benachteiligt, belegen oder betrogen wrden. Mit Freude bei derArbeit steht brigens ber dem Aufruf. Ausgegangen ist die Initiative vonSachgebietsleitern des Hauptzollamtes Frankfurt, von jenen also, die dieBeurteilungen der Beamten, die teilweise in Einzelgesprchen zur Unter-schrift aufgefordert wurden, abgeben. Die Kreisgruppe der Gewerkschaftder Polizei beim Hauptzollamt Frankfurt forderte daher das Finanzministe-r ium auf, diese Umfrage umgehend zu unterbinden und stattdessen diePrfung der Vorwrfe gegen den Leiter des Zollamts Flughafen einzuleiten.Vergeblich.

    Auf einem anderen Sektor ist die Situation hnlich schizophren. Mit gro-em Presserummel, wahrscheinlich von gut dotierten Beratern gesteuert,verkndet Bundesfinanzminister Hans Eichel, mit aller Hrte gegenSchwarzarbeit vorgehen zu wollen, insbesondere gegen die desastrsen Zu-stnde auf dem Bausektor. Tatschlich gibt es fr einen gesetzestreuenUnternehmer heute nicht die leiseste Chance, unternehmerisch erfolgreichzu sein, wenn er keine Schwarzarbeiter einstellt. Das Gegensteuern in Formder Einbindung des Zolls, um Schwarzarbeit zu bekmpfen, ist in Wirklich-keit ein bloes Alibi, zumal die bestehenden Gesetze schlicht nicht zu kon-trollieren sind. Ein mit dieser Thematik beschftigter Staatsanwalt aus Ha-gen sieht das folgendermaen: Wie will ich den allein steuerrechtlichrelevanten Tatbestand des Geldflusses beweisen? Dazu msste ich die Bau-stellen und das dort eingesetzte Personal umfassend observieren. Das gehtberhaupt nicht. Ich habe den Eindruck, dass weitgehend nach dem Mottoverfahren wird: >Stehle ein Schaf, und man hngt dich. Stehle eine Herde,und man verhandelt mit dir!< In Deutschland haben wir uns vom Legalitts-prinzip zugunsten des Kapazittsprinzips verabschiedet.

    Noch grotesker ist es allerdings, wenn Zollbeamte, die dem Bundes-finanzministerium unterstehen, es wirklich wagen sollten, den rechtlichenBestimmungen entsprechend an der Auengrenze, zum Beispiel zurSchweiz, ihrer Arbeit nachzugehen. Das heit, sie winken das Auto nichteinfach durch, sondern schauen bei Verdacht einmal genauer in die Luxus-limousinen hinein, die die Grenze zur Schweiz passieren wollen. Hufig fin-den, nein, fanden, sie durchaus aufschlussreiche Unterlagen. Denn kontrol-lieren drfen sie seit Sommer 2003 nicht mehr. Entweder sind sie

    Ein Exempel darber, wie die Bevlkerung fr dumm verkauft wird 31

  • geschmiert oder sie wollen einfach, dass schmutziges Geld nach Deutsch-land hereinkommt und niemand dagegen etwas unternimmt, beklagt sichein Zollbeamter in Konstanz ber die Vorgesetzten in Berlin. Die Wut istverstndlich.

    Vergessen ist eine Verordnung, wonach die im Rahmen von Zollkontrol-len gewonnenen Erkenntnisse, zum Beispiel Dokumente oder Datentrger,an das Zollfahndungsamt oder Polizeidienststellen wie das Bundeskrimi-nalamt oder Europol weitergegeben werden drfen. Es gebe sogar insbeson-dere bei Verdacht auf Geldwsche ein zwingendes ffentliches Interesse ander Offenbarung der erlangten Kenntnisse.

    Einige engagierte Zollbeamte, die sich an diese Verordnung hielten, fan-den bei ihren intensiven Kontrollen viele brisante Unterlagen, die suspekteGeschftsmnner in ihren glitzernden Limousinen mit sich fhrten. Undhufig lag der Verdacht der Geldwsche im Milliarden-Euro-Bereich in Formvon entsprechenden Bankunterlagen nahe. Die wachsamen Zllner sprtenallein im Bereich des Hauptzollamtes Singen im Jahr 2003 nicht nur Geld,Schecks, Sparbcher, Gold und andere Zahlungsmittel im Wert von knapp36 Millionen Euro auf, sondern auch Schwarzgeld in Hhe von knapp zweiMilliarden Euro.

    Aufgefallen ist ihnen zum Beispiel Sergej B. aus Ldenscheid. Bei derKontrolle gab er an, nur fr einen Tag geschftlich nach Zrich fahren zuwollen. Und seine Begleiterin erzhlte, sie arbeite beim Landgericht Lden-scheid. Beide Personen sind durchaus bekannt. Beim PolizeiprsidiumOberbayem sind sie im Zusammenhang mit einem Ermittlungsverfahrenaufgefallen. In den entsprechenden Polizeiunterlagen steht: In der Zeit vonAnfang 1998 bis August 1999 wurde gegen eine international agierendeGruppierung wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereini-gung ermittelt. Die nachgewiesenen Delikte lagen vor allem im Schmuggelvon hoch steuerbaren Waren wie Zigaretten und Alkohol.

    Gefilzt wurde auch Nikolaj P. aus Bielefeld. Er wollte ebenfalls nach Z-rich. Nikolaj hatte gerade mal 37000 US-Dollar und 1590 Euro bei sich.Nichts Bedeutendes fr Russen, die die Grenze berqueren und auf der Z-richer Bahnhofstrasse flanieren. Als die Zllner im Aktenkoffer nachschau-ten, fanden sie jedoch Geschftsunterlagen und Kopien von Wertpapierenmit einem Nominalwert von 800 Millionen US-Dollar. Auerdem wurde ein

    32 Wie und warum Kriminalittsbekmpfung ausgebremst wird

  • Zeitplan einer Kreditierung der Firma Konrad H. (Handel mit Rohstoffenund Metallen) ber einen Verbrauch von Geldmitteln in Hhe von sage undschreibe 4,9 Milliarden US-Dollar gefunden.

    Eine weitere Geld Wscheverdachts anzeige schrieben die Zllner, nach-dem ihnen in einem Mercedes 500 der russische Geschftsfhrer einer Ber-liner Firma aufgefallen war. Er wollte weiter nach Zrich. Obwohl - oderauch weil - er die Beamten anschrie: Was fallt Ihnen ein, mich zu kontrol-lieren, schauten die etwas intensiver im Wageninneren nach. Und fandenUnterlagen von Konten bei der Union Bancaire Privee Zrich mit einemGuthaben von 246394 US-Dollar sowie bei der Credit Lyonnais in Zrichmit einem Guthaben von 399863 US-Dollar. Dazu hatte der GrenzgngerAufzeichnungen ber Bankverbindungen und Geldbetrge in Hhe vonzehn Millionen US-Dollar. In Berlin versteckt sich hinter der Firma lediglichein Abbruchhaus. Lsst sich da von normalen Geschften reden?

    Dass Igor aus Turtlingen als Beruf Arbeiter angab, konnten die Zllnerebenfalls nicht so richtig nachvollziehen, weil er insgesamt 10 000 Euro in500er Scheinen mit sich fhrte. Stutzig wurden sie, als sie sahen, dass er aufjedem kleinen Finger einen Stern ttowiert hatte. Sie notierten: Anhand dervorliegenden Unterlagen hat diese Ttowierung die Bedeutung >Dieb im Ge-setz. Das sind bekanntlich die hchsten kriminellen Autoritten in Russ-land.

    Von Russen wimmelt es hier, beobachtet ein Ermittler. Aber die Kol-legen vom Zoll kontrollieren sie nicht mehr, weil sie es nicht mehr drfen.Richtig gehrt? Ja, den Zollbediensteten wurde verboten, intensiver zu kon-trollieren, wenn sie einen Verdacht haben, dass die Person etwas mit Orga-nisierter Kriminalitt zu tun hat.

    Das darf doch eigentlich nicht wahr sein, entgegnete ich.Doch, sagte er. Und prsentiert mir ein Dokument. Demnach fand am

    15. April 2003 bei der Oberfinanzdirektion in Freiburg ein Treffen statt, andem unter anderem fuhrende Zollbeamte teilnahmen. Und sie beschlossen,dass in Zukunft nur noch die Weitergabe bzw. Erhebung von Daten im Rah-men von Zoll- bzw. Bargeldkontrollen zulssig seien, wenn Bargeld oder an-dere Zahlungsmittel im Wert von 15 000 Euro oder mehr festgestellt wrden.

    Nicht zulssig sei hingegen die Erhebung bzw. Weitergabe von Er-kenntnissen, wenn im Rahmen von Kontrollen unter anderem folgende

    Ein Exempel darber, wie die Bevlkerung fr dumm verkauft wird 33

  • Dinge festgestellt werden: Indikatoren, die auf Organisierte Kriminalitt(OK) hindeuten, aber keine Anhaltspunkte fr Geldwsche geben. Das giltfr Mafia, Ndrangheta, Camorra, osteuropische Organisierte Kriminalitt,Triaden, Yakuza, Rockervereinigungen wie den Hell's Angels.

    Bei solchen Feststellungen drfen keinerlei Daten mehr erhoben bezie-hungsweise weitergeleitet werden, da der Zoll keine Zustndigkeit fr dieVerfolgung von allgemeiner Organisierter Kriminalitt habe. Das gelte auchfr Kontrollfeststellungen bei Angehrigen von islamistischen extremisti-schen Vereinigungen, Tamil Tigers oder Rechtsextremisten. Denn diese undandere Organisationen wrden ja vom Verfassungsschutz beobachtet wer-den.

    Fr die bis zu diesem Zeitpunkt engagierten Zollbeamten muss es einSchlag ins Gesicht gewesen sein, was erklrt, dass sie seitdem keine intensi-veren Kontrollen mehr an der Grenze durchfhren. Dabei darf nicht verges-sen werden, dass die intensiven Kontrollen und entsprechenden Kontroll-mitteilungen - sofern sie nicht wegen Arbeitsberlastung oder schlichtFaulheit unbearbeitet in Papierkrben bei den Oberbehrden wie dem Lan-deskriminalamt Baden-Wrttemberg oder dem Bundeskriminalamt lande-ten - zu qualitativen Aufklrungserfolgen fhrten. Insbesondere betraf dasdie kriminellen Netzwerke, deren Protagonisten in der Schweiz ihre Millio-nen Euro waschen und in Deutschland ungehindert schalten und waltenknnen - nicht ganz so sehr wie in ihren Heimatlndern, aber sie sind aufdem besten Weg dahin.

    Die freundlichen Herren aus dem italienischen Sden

    Es ist nichts Neues, und daher sind bis zum heutigen Tag viele Kriminalis-ten davon berzeugt, dass die italienische Mafia, insbesondere die Cosa Nos-tra und die Ndrangheta, seit den Neunzigerjahren minderte Millionen Euroin den neuen Bundeslndern investierte. Besonders beliebt sind Gastrono-mie und Immobilien. Das einmal genauer zu untersuchen bedeutete natr-lich, eine ungebhrliche Forderung an die politischen Verantwortlichen zustellen. Trotzdem werde ich immer wieder gefragt: Was wissen Sie dar-

    34 Wie und warum Kriminalittsbekmpfung ausgebremst wird

  • ber? So viel zumindest, um aufzuzeigen, wie eng manche ehrenwertenItaliener bereits mit politischen Entscheidungstrgern kungeln. Und wa-rum beide kein bertriebenes Interesse haben, die Polizei (wie es notwendigwre) ermitteln zu lassen.

    Ein Blick nach Thringen bietet sich an. Da gab es zum Beispiel den Po-litiker Richard Dewes, nach dessen Ernennung zum thringischen Innen-minister sich fast zeitgleich ein hchst ehrenwerter Mann der kalabrischenNdrangheta aus Nordrhein-Westfalen am Regierungssitz in Erfurt niederge-lassen hatte, um ein Nobelrestaurant zu erffnen. Ein Zufall? Obwohl derInnenminister vom Direktor des thringischen Landeskrirninalamts UweKranz nach dessen Aussagen immer wieder davor gewarnt wurde, beim Ita-liener zu dinieren, genossen er und Ministerprsident Bernhard Vogel diezweifellos exzellenten Speisen. Dass der honorige italienische Gastwirt beimSchmuggel von 100 Kilo Heroin fr den kalabrischen La-Minore-Klan mit-gespielt haben soll, dass bei ihm Schecks aus Wohnungseinbrchen gefun-den wurden, ebenso Falschgeld, er in Verbindung mit einem Mord standund in Bochum Bedienstete der Stadt bestochen haben soll - in den neuenBundeslndern sah man das nicht so eng.

    In den Polizeiakten liest sich seine Geschichte folgendermaen: Er ge-hrt der mittleren Fhrungsebene der kalabrischen Ndrangheta an. Gegenihn wurde bislang in diversen Bundeslndern und in den Niederlandenwegen Verdachts des Mordes, Handels mit Betubungsmitteln, ruberischerFrpressung, Kraftfahrzeugverschiebung, Falschgeld, Betruges und Hehlereiermittelt. Verurteilt wurde er, weil er eine Kokainlieferung mit 20 MillionenLire finanziert hatte. Der Italiener trat bei diesem Deal unter anderem Na-men als Mzen auf. Weiterhin entwickelte er erhebliche Aktivitten im Im-mobilienbereich. Bemerkenswert ist auch, dass er 1994 mit einer Delega-tion unter Beteiligung des thringischen Innenministers nicht nur eineTagung von Interpol besuchte, sondern auch an einem Besuch von Polizei-offizieren in Tunesien beteiligt war.

    Kurz danach besuchte er sogar Moskau und prahlte am Telefon, welchewichtigen Erkenntnisse ber Drogenbekmpfungsstrategien er bei derInterpol-Tagung in Rom gewonnen habe.

    Es war sicher eine groe berraschung, als die Polizei aus Nordrhein-Westfalen den EdelItaliener heimsuchte und deshalb der Innenminister

    Die freundlichen Herren aus dem italienischen Sden 35

  • und sein Ministerprsident beim Genuss von Spaghetti durch die einr-ckende Spezialeinheit gestrt wurden. Die Beamten ermittelten diesmalwegen Mordverdachts gegen den Wirt. Das alles liegt knapp sieben Jahre zu-rck. Es ist Geschichte, ist man versucht zu sagen.

    Inzwischen jedoch hat der hchst ehrenwerte Restaurantbesitzer eine do-minierende Position in der Landeshauptstadt. Er kaufte weitere Immobilien,und liebe Freunde aus Kalabrien sind ihm gefolgt. Wie verhlt sich in dieserSituation die thringische Polizei? Die schaut klugerweise nur noch zu. Et-was anderes knnte sie auch nicht. Ihr fehlt das qualifizierte Personal, umderartige Strukturen effektiv und langfristig zu bekmpfen.

    Und dann gibt es noch eine andere Persnlichkeit, einen weiteren Uomod'onore. einen Ehrenmann, der ebenfalls kein Unbekannter in den neuenBundeslndern ist: Vito Palazzolo. Im Vergleich zu ihm ist sein ErfurterLandsmann ein kleines Licht. Um Palazzolo rankt sich eine fantastische Ge-schichte. Der 56-Jhrige rhmte sich noch Anfang 2000 gegenber Famili-enangehrigen und Freunden seiner hervorragenden Beziehungen zu ei-nem ehemaligen ehrenwerten deutschen Ministerprsidenten: Ich bin mitihm befreundet. Das ist erst einmal nichts Verwerfliches. Von seinen Fa-milienangehrigen und Geschftsfreunden wird Vito Palazzolo brigensbereinstimmend als eher zurckhaltend beschrieben. Er sei vieles, aberkein Angeber, sondern ein Mann, der zu seinem Wort steht. Das wissen auchseine deutschen Geschftspartner, insbesondere die Banker, zu wrdigen.

    Zum ersten Mal fiel Vito Palazzolo auf, als er sich Ende der Siebzigerjah-re im schnen Konstanz niederlie. Am Ufer des Bodensees gelegen ist dasStdtchen ein idealer Ausgangspunkt, um die landschaftlichen Schnheitender Schweiz und des Frstentums Liechtenstein zu genieen. Hier in Kon-stanz, verwhnt vom sdlichen Klima, kennt irgendwie jeder jeden. Unddeshalb drckt Justitia immer wieder mal beide Augen krftig zu, wenn esum die Arnigos am Bodensee geht. Organisierte Kriminalitt - das ist einschrecklich strendes Wort, das auszusprechen deshalb tunlichst vermiedenwird.

    Und auch wenn die Kriminellen ihren Kampf um Einflussgebiete in derRegion ausnahmsweise einmal blutig austragen, hegt das natrlich nicht imffentlichen Interesse. Deshalb wurde die ffentlichkeit auch nicht infor-miert, als die Ermittlungen gegen einen Mann, der einen Anwalt erschossen

    36 Wie und warum Kriminalittsbekmpfung ausgebremst wird

  • hatte, eingestellt wurden, obwohl es eindeutige Verbindungen zur Organi-sierten Kriminalitt gab. Nicht ermitteln, nicht auffallen, nicht die Ruhe st-ren - das ist die Devise am liebreizenden odensee bis zum heutigen Tag.

    Eine solch anheimelnde Atmosphre musste kapitalkrftige und innova-l i v agierende Charaktere anziehen. Und so kam aus der schweizerischenSteueroase Zug der Schmuck- und Diamantenhndler Vito Palazzolo. Er istIM den Sechzigerjahren aus Sizilien ausgewandert, begann im Aargau alsGeschirrspler (Casserolier) und machte danach mit dem Diamantenhandelviel Geld. Von den Profiten kaufte er sich im noblen Teil von Konstanz, in derEichhornstrae 30, eine prchtige einstckige Villa, mit grozgig ausge-bautem Dachgeschoss. Daneben beteiligte sich der tchtige Geschftsmann:in einer Baugesellschaft, die Landerschlieungen betreute, insbesondere inSizilien.

    Vito Palazzolo galt als auerordentlich freundlich, zuvorkommend undsprachbegabt - er sprach flieend Deutsch, Franzsisch und Italienisch.Und angesichts seines guten Rufes eilte auch die stdtische Prominenz zuihm, wenn er in seiner weien Villa Hof hielt oder Feste feierte.

    Bereits Anfang der Achtzigerjahre erzhlte Palazzolo einem seinerKonstanzer Geschftsfreunde, dass er einen Mann gut kenne, eben denehemaligen Ministerprsidenten, den er gegenber Verwandten im Jahr2000 als Freund bezeichnete. Aber der neigt dazu, gewisse Geschenkeanzunehmen, und das macht ihn erpressbar soll Vito Palazzolo ber denExministerprsidenten gesagt haben. Auch dieser Zeuge aus Konstanzsagt zur Glaubwrdigkeit dieser Aussage von Vito Palazzolo: Dass er lgt,ist vollkommen unwahrscheinlich, was brigens von anderen Quellen inKonstanz besttigt wurde. Aber vielleicht wollte Vito Palazzolo doch nurseine Bedeutung ins rechte Licht rcken. Im Jahr 1983 kehrte Vito Palaz-zolo dem beschaulichen Konstanz den Rcken und wanderte weiter, dies-mal ins Tessin, nach Lugano, um Teilhaber der Finanzgesellschaft Con-sultfin Lugano zu werden. Eine Karriere wie aus dem Bilderbuch solltejetzt folgen. In den USA erffnete er mit seinem Geschftspartner FrancoDella Torre die Acacias Corporation und organisierte den Transfer hoherGeldsummen.

    Er managte uerst erfolgreich den Geldverkehr vieler kapitalkrftigerKunden, unter anderem aus den USA, in die Schweiz. Als Banker verwalte-

    Die freundlichen Herren aus dem italienischen Sden 37

  • te er schlielich ein Investment-Portfolio von mehr als zwei Milliarden US-Dollar. Und verdiente dabei selbst Millionen. Noch kurz bevor Vito Palazzo-lo in der Schweiz mit unerwarteten Problemen konfrontiert wurde, pflegteer - nach seinen eigenen Worten - immer noch beste Beziehungen zu deut-schen und italienischen Politikern. Das war allgemein bekannt.

    Doch pltzlich zogen dstere Wolken auf, die seine geschftliche Karrierekurzfristig unterbrechen sollten. Im Jahr 1984 wurde Vito Palazzolos Namein den USA genannt - und zwar im Zusammenhang mit der Pizza-Connec-tion. Die sizilianische Cosa Nostra hatte damals von trkischen Drogenhnd-lern fast zwei Tonnen Heroinbase im Straenverkaufswert von zwei Milliar-den US-Dollar gekauft, in ihren sizilianischen Labors zu Heroin verarbeitetund den Stof in die USA geschmuggelt. Der Weiterverkauf wurde ber ei-ne Pizzeriakette an der Ostkste und im Mittleren Westen organisiert. DieSchweiz war die Durchgangsstation des Drogengeldes. Weil der damaligeUS-Prsident Ronald Reagan einen ffentlichen Erfolg in dem von ihm aus-gerufenen Krieg gegen die Drogen brauchte, flog auf, was seit 1981 bereitsbekannt war, als Vito Palazzolo noch von Konstanz aus agierte.

    Im Jahr 1984, im Verlauf der amerikanischen Verhaftungsaktion gegendie Fhrungspersnlichkeiten der Pizza-Connection, ereilte Vito Palazzolodas Schicksal. Er wurde verhaftet. Dabei stellte sich heraus, dass ihm bereitsin Konstanz der Mafioso Onofrio Catalano vom mchtigsten sizilianischenMafiaklan, dem des Gaetano Badalamenti, nicht fremd war.

    Ein Jahr nach seiner Verhaftung fand der Prozess gegen ihn statt. Ankl-ger war der Tessiner Staatsanwalt Paolo Bernasconi. Das erstinstanzliche Ur-teil vom September 1985 wegen Beihilfe zur Finanzierung des Drogenhan-dels lautete auf drei Jahre fr Vito Palazzolo. Und das, obwohl er doch immerberzeugend beteuert hat, er sei ein erklrter Gegner von Drogen. Seitdemhatten ihn die Behrden im Visier.

    1986 besttigte das Tessiner Kassationsgericht die Urteile fr seine Mit-angeklagten. Palazzolos Strafe hingegen wurde auf fnf Jahre Gefngnis er-hht Dieses Strafma wurde im Jahr 1993 durch das Bundesgericht in Bernwieder auf drei Jahre und neun Monate herabgesetzt. Doch in der Zwischen-zeit ist viel geschehen.

    Weil Palazzolo befrchtete, nach Italien ausgeliefert zu werden, floh erim Jahr 1986 mithilfe des Gefngnisdirektors aus der tristen Zelle im Ge-

    38 Wie und warum Kriminalittsbekmpfung ausgebremst wird

  • fngnis La Stampa bei Lugano und reiste mit Untersttzung bislang unbe-kannter Freunde nach Deutschland. Von dort flog er ins ferne Sdafrikaweiter.

    Glcklich in der Republik Ciskei angekommen, ein Homeland, das 1981die Unabhngigkeit durch das Apartheidregime Sdafrikas erhielt, pr-sentierte er bei der Einreise einen Pass auf den Namen Stelio Domenico Fra-poli. Spter trat er unter dem Namen Robert von Palace Kolbatschenko auf.Mit im Gepck, so wurde getuschelt, habe er 16 Millionen Rand (ca. zweiMillionen Euro) in Cash und reichlich Diamanten gehabt. Das waren mei-ne >legalen< Einnahmen, sagt er dazu. Die Republik Ciskei galt in den Acht-zigerjahren als das Paradies fr Geldwsche, insbesondere weil die Verein-ten Nationen gegen das Apartheidregime ein Embargo verhngt hatten.

    Der gute Katholik hngte sich einen goldenen Davidstern um den Hals underzhlte von seinen aristokratisch-jdisch-russischen Ahnen. In Bisho grn-dete er die Firma Papillon und erarbeitete fr den Prsidenten von CiskeiVorschlge fr eine Nationalbank der Ciskei. Dabei half ihm Yeng Pink Kokaus Hongkong, der gleich Palazzolo in den Akten des Pizza-Connection-Pro-zesses in New York auftaucht.1'

    1988 kehrte er fr 18 Monate in die Schweiz zurck, um seine Reststra-te abzusitzen. Danach flog er wieder in seine neue Heimat zurck. Und jetztging es wieder rapide aufwrts.

    Nachdem im Jahr 1994 in Sdafrika endlich eine demokratisch gewhl-te Regierung das Apartheidregime ablste, erhielt er die sdafrikanischeStaatsbrgerschaft, obwohl er in Italien wegen Geldwsche und Drogen-handels steckbrieflich gesucht wurde. Berichten des sdafrikanischen Nach-richtendienstes war zudem zu entnehmen, dass er zu den drei Topmafiosigehrt, die in Sdafrika Unterschlupf gefunden hatten. ber diese Erkennt-nisse wurde auch der sdafrikanische Prsident Nelson Mandela persnlichunterrichtet. Glaubt man dem Bericht, drfte Vito Palazzolo einer der wich-tigsten Mnner der sizilianischen Mafia in Sdafrika sein. Sein Bruder Pie-tro gehre ebenfalls zur sizilianischen Mafia. Beide Brder haben jedoch im-mer heftig dementiert, etwas mit der Cosa Nostra zu tun zu haben.

    Sicher ist auf jeden Fall, dass Vitos Shne ein Muster an Wohlerzogen-heit sind, wie seine Freunde und Geschftspartner bereinstimmend be-sttigen.

    Die freundlichen Herren aus dem italienischen Sden 39

  • Fr italienische Ermittler und die Staatsanwaltschaft in Palermo ist VitoPalazzolo trotzdem bis zum heutigen Tag einer der sieben wichtigsten Mn-ner der Cosa Nostra geblieben. Die Staatsanwlte gehen davon aus, dass erber die gesamten Finanzen der Cosa Nostra bestens informiert sei und zu-dem engste Verbindungen zu dem immer noch gesuchten Mafiaboss Ber-nardo Provenzano habe. Domenico Gozzo, Staatsanwalt in Palermo, ist sogardavon berzeugt, dass Vito Palazzolo zu den Mnnern gehrt, die die Milli-arden Dollar der Mafia kontrollieren, die die Quelle ihrer Macht seien, weil esihnen die Mglichkeit gibt, auch die Untersttzung von Politikern zu kau-fen. So weit ganz normal. Im April 2004 wurde der Haftbefehl aufgehoben.

    Wichtige sdafrikanische Politiker hatte er in der Tasche12, schrieb einsdafrikanisches Magazin. Dank bester Beziehungen zu ihnen und Geheim-dienstlem sowie dank seiner fr viele undurchsichtigen Geschfte wurde erein steinreicher Mann, der heute noch auf seinen gut geschtzten Landg-tern den Gsten, die auch aus Deutschland anreisen, gerne die vergoldetenWasserhhne zeigt. Und sie sehen, dass Palazzolo Teil der sdafrikanischenHighsociety geworden ist. Der Mann, der den besten Whisky geniet und dieteuersten Fahrzeuge fhrt, zhlt zu seinen Freunden Minister der meistensdafrikanischen Staaten, sdamerikanische Diktatoren sowie deutsche unditalienische Persnlichkeiten aus Politik und Wirtschaft. Heute ist Palazzoloein gutes Beispiel dafr, so der sdafrikanische Journalist Martin Welz, wieein Mann mit heiem Geld glcklich auf den Kpfen jeder Regierung he-rumtanzen kann, vorausgesetzt die Mnner sind gro genug.13

    In Kapstadt gingen und gehen auch prominente Deutsche auf seinemspektakulr schnen Landgut Terra de Luc in Franschhoek ein und aus. Ban-ker aus Frankfurt und deren Ehefrauen oder ein ehemaliger leibhaftigerdeutscher Exverkehrsminister, mit dem Palazzolo eine Bank kaufen woll-te, erinnert sich einer seiner Geschftspartner. Das war ein Jahr, nachdemder gewiefte Ostpolitiker Gnther Krause, der mageblich am deutschenEinigungsvertrag mitgewirkt hatte, seinen Posten als Verkehrsministerwegen verschiedener Skandale rumen musste. So gesehen war er damalsein guter Mittler.

    Ein weiterer illustrer Gast von Vito Palazzolo war Jrgen Harksen, derHamburger Finanzbetrger, der geldgierige Anleger um mehr als 32 Millio-nen Euro betrogen hatte und 1993 nach Kapstadt flchtete, als ihn die Poli-

    40 Wie und warum Kriminalittsbekmpfung ausgebremst wird

  • zei verhaften wollte. Er lebte sich schnell ein und lernte, so sagte er, VitoPalazzolo durch Vermittlung des Kapstadter Brgermeisters kennen.

    Der Exverkehrsminister ist inzwischen wegen Betrugs. Untreue und ver-suchter Steuerhinterziehung zu einer Gefngnisstrafe verurteilt worden.Jurgen Harksen wurde nach neunjhrigem Luxusleben nach Deutschlandausgeliefert und im Dezember 2003 zu sechs Jahren und neun Monaten Ge-fngnis verurteilt. Nur Vito Palazzolo lebt frei und unbeschwert weiter undhat sich derweil wahrscheinlich bei russischen kriminellen Syndikaten gro-es Vertrauen erworben.

    Fr Lev Tschernoj, das erzhlen Geschftspartner, agiere er als Finanz-berater. Die Rede ist von acht Milliarden US-Dollar, die er fr ihn gewa-schen haben soll. Das wre nicht wenig, sofern die Information zutreffendist. Verglichen mit den Riesensummen, die 2001 von den Brdern Lev undMikhai l Chernoy ber die Westdeutsche Landesbank (WestLB} gewaschenworden sollten, aber nun auch wieder nicht so gigantisch. Wahrscheinlich istes nur einer der vielen Zuflle, dass Vito Palazzolo gute Beziehungen zuBankern der WestLB unterhalten haben soll. Zumindest behauptet das einMann aus seinem direkten Umfeld in Kapstadt.

    Zur vermuteten Geldwsche im Zusammenhang mit den Chernoy-Br-dern wurde bereits Mitte der Neunzigerjahre die Londoner Zweigstelle derHamburgischen Landesbank benutzt. Es ging um erkleckliche Summen, ummehrere Milliarden Mark, die ber Konten bei der Hamburgischen Landes-bank, Filiale London, flssen. Im Herbst 1996, so die Hamburgische Lan-desbank, wurden diese profitablen Geschftsbeziehungen aber aufgelst. EinGrund fr das Misstrauen der Banker drfte ein britischer Polizeibericht ge-wesen sein. Dort wurde behauptet: Die Chernoys kontrollieren verschiede-ne Firmen. Informationen weisen daraufhin, dass diese Firmen vom Orga-nisierten Verbrechen fr Geldwsche benutzt werden. Kontobewegungenvon Unternehmen, die ihnen zugerechnet wurden, fielen in Deutschland er-neut im Jahr 1999 unangenehm auf. Damals schickte die WestLB eine Ver-dachtsanzeige an die Staatsanwaltschaft Dsseldorf. Genannt wurde ein sa-genhafter Betrag, insgesamt 14 Milliarden Mark. Als der Vorgang ruchbarwurde, kam es im Bundeskanzleramt zu einer Krisensitzung.

    Auf Anraten der Staatsanwaltschaft sollte die WestLB die Konten nichtkndigen, denn man wollte weitere Erkenntnisse ber die Finanzverflech-

    Die freundlichen Herren aus dem italienischen Sden 41

  • tungen der betroffenen Trans-World-Gruppe (TWG) der Chernoys heraus-bekommen. Die Verbindung zur WestLB soll ein ranghoher Mitarbeiter derBank geknpft haben. Anfang 1997 sei er zu einer Bank auf den Bahamasgewechselt, die der Unternehmensgruppe zugerechnet werde. Zeitweiligsoll er die Zugangsberechtigung fr Teile des in Dsseldorf angelegten Ver-mgens gehabt haben.14 Da die Herkunft des Geldes nicht aufgeklrt wer-den konnte - oder sollte, wer wei das schon -, musste der Betrag freigege-ben werden und landete auf einem Konto in Israel.

    Inzwischen hat sich der 56-jhrige Vito Palazzolo aufs Altenteil zu-rckgezogen, erklrte er in einem Gesprch einem Journalisten, whrend ereine Dunhill Special Light rauchte. Ich bin ein ehemaliger Geschftsmann,und meine Hobbys sind der Weinbau und Pferdezucht. Ich geniee es, amStrand zu wandern. Ich bin ein Familienmensch.

    Ein reicher Familienvater zweifellos. Ihm gehren ein millionenschwe-res Weingut, eine Mineralwasserfabrik und Farmen in Namibia. Der Vaterzweier Shne ist zum zweiten Mal verheiratet. Und ber die sdafrikani-sche Polizei sagt er Das sind doch Cowboys ohne jegliche Ehre. Und erfgt drohend hinzu; Ich werde jeden verklagen, der behauptet, ich sei keinrechtstreuer Brger. Vito Palazzolos Bruder wurde brigens hufiger inBaden-Wrttemberg und Hessen gesehen. Unterwegs in Geschften undum das Familienleben zwischen Sdafrika und Deutschland am Leben zuerhalten.

    In Konstanz hingegen wurde Palazzolo nicht mehr beobachtet. Allenfallshrte man von Zeit zu Zeit etwas, wenn er bei einem bekannten KonstanzerAutohndler wieder einmal einen neuen Mercedes bestellte.

    Das ist die unglaubliche Geschichte des Vito Palazzolo, des Mannes, der inKonstanz am Bodensee vermutlich seine geschftliche Karriere als Topma-fioso ausbaute, der stolz darauf war, beste Kontakte auch zu ranghohen deut-schen Politikern zu haben, und der - sofern er nicht doch noch nach Italienausgewiesen wird - in Ruhe sein Imperium hegen und pflegen darf.

    Fragt man nun die deutschen Ermittlungsbehrden, ob sie etwas berVito Palazzolo wssten, dann hrt man allerorten die lapidare Gegenfrage:Wer ist das berhaupt? Ein Einzelfall, ist man versucht zu sagen. Darausknne berhaupt nichts geschlossen werden, insbesondere keine These be-

    42 Wie und warum Kriminalittsbekmpfung ausgebremst wird

  • grndet werden, dass die italienische Mafia Einfluss auf politische und wirt-schaftliche Entscheidungstrger in Deutschland genommen habe. Wenn esdenn so einfach wre.

    Der amerikanische Historiker Walter Laqueur wusste bereits Ende derAchtzigerjahre, dass seit der Globalisierung der Wirtschaft es nicht mehrausreicht, Sympathisanten in den Behrden von Kansas City oder Palermooder russischen Stdten zu wissen. Genauso wie viele Terroristengruppeneinen politischen Flgel besitzen, bentigt das Organisierte Verbrechen po-litische Parteien oder wenigstens Pressuregroups zur Verteidigung seinerInteressen.15

    Nun begab sich, dass der Fraktionsvorsitzende einer christlichen Parteiin Baden-Wrttemberg, Gnther Oettinger, sich seiner Freundschaft zueinem angesehenen Gastronomen aus Kalabrien rhmte, der schon malbunte kalabrische Abende fr die CDU-Fraktion in Baden-Wrttembergausrichtete und gern ein paar hundert Mark fr die Parteikasse der Christ-demokraten in Ludwigsburg spendierte. Und der Fraktionsvorsitzende Oet-titiger wollte nie glauben, dass sein Freund aus Kalabrien irgendetwas mitDrogen und Geldwsche zu tun haben knnte. Zu gut schmeckten dieNudeln und die Pizza.

    Dabei wusste der CDU-Fraktionsvorsitzende schon geraume Zeit, dassdas Telefon seines Freundes abgehrt wurde, was einige Ermittler nicht sorecht verstehen konnten. Warum wurde Oettinger ber die geheime Polizei-aktion gegen den Gastronom berhaupt informiert, fragten sie. Der damali-ge Innenminister wird sich vielleicht gedacht haben, dass sein ParteifreundOettinger nicht in Schwierigkeiten kommen soll. Das knnte eine Antwortsein. Das organisierte Verbrechen, so der Innenminister, versuche Politikerauch ohne deren Wissen fr seine Ziele einzuspannen. Er habe es deswegenfr seine Pflicht gehalten, in der ffentlichkeit stehende Personen wie Oet-tinger vor solchen Gefahren zu warnen.

    Den Vorwurf, er habe durch die Warnung Oettingers und die Unterrich-tung des Ministerprsidenten und des Regierungssprechers ein Dienstge-heimnis verletzt, wies er als grotesk zurck. Schlielich sei im Zusammen-hang mit den Ermittlungen gegen den Gastronom sein ParteifreundOettinger selbst nie in irgendeinen Verdacht geraten. Der CDU-Fraktions-vorsitzende selbst erklrte vor einem parlamentarischen Untersuchungs-

    Die freundlichen Herren aus dem italienischen Sden 43

  • ausschuss, er habe im langjhrigen Kontakt mit dem italienischen Wirt nieGrund zu der Annahme gehabt, dieser knne etwas mit der Mafia zu tunhaben.

    Die Affre wre brigens niemals ans Tageslicht gekommen, httennicht Journalisten auf das seltsame Beziehungsgeflecht hingewiesen. Beider Polizei sind sie auf eine Mauer des Schweigens gestoen, obwohl hintervorgehaltener Hand gesagt wurde, da gebe es noch viel an Aufklrung zuleisten. Doch keiner wagte es, auszusagen, zumal die Akten des Vorgangspltzlich etwas unvollstndig waren. Und seine Karriere mochte kein Er-mittler aufs Spiel setzen.

    1993 wurde der kalabrische Gastronom verhaftet, an die italienische Po-lizei bergeben und nach Italien ausgeflogen, wo er vor ein Gericht gestelltwurde. Die Staatsanwaltschaft warf ihm und weiteren 180 Angeklagten un-ter anderem vor, einer bewaffneten Mafiaorganisation anzugehren sowiesich der Erpressung und Geldwsche schuldig gemacht zu haben. Fr dieStaatsanwaltschaft in Catanzaro war War, dass der Stuttgarter Gastronom ei-nen hohen Rang in der kalabrischen Ndrangheta habe, und sie forderte eineHaftstrafe von sechs Jahren.

    Die Staatsanwaltschaft in Catanzaro genoss zwar den Ruf, auerordent-lich sorgfltig zu arbeiten. Trotzdem wurde der Gastronom wie 104 andereAngeklagte auch vom Schwurgericht freigesprochen. Mit einer der Grndedrfte gewesen sein, dass das Gericht den Kronzeugen keinen Glaubenschenkte und viele Aussagen reuiger Mafiosi wie Pentitis einfach ignorierte.Die Staatsanwlte saen wie versteinert in dem riesigen Gerichtssaal, als derUrtesspruch in Catanzaro verkndet wurde, und sprachen spter vonkrassen Fehlurteilen.

    Freigesprochen wurde auch einer der wichtigsten Bosse der Ndranghetain Kalabrien. Es gehe doch nicht an, dass einer der bekanntesten Ndrang-heta-Bosse Kalabriens, ein Angehriger der berchtigten Familie Piromalli,der sogar auf der Liste der gefhrlichsten Mafiabosse Italiens stehe, von derAnklage der Mafiazugehrigkeit freigesprochen werde, kommentierte ei-ner der Staatsanwlte. Doch die Wege der italienischen Justiz