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Wie hat sich die evangelische Ju- gend unserer Landeskirche in der Zeit des Nationalsozialismus verhalten ? Die Kirchenkampfdokumentation der EKHN, die in 8 Bänden zwischen 1960 und 1996 erschienen ist, bietet dazu zwar viele Dokumente, eine Ge- schichte wurde allerdings bis jetzt nicht geschrieben. Diese Studie liegt jetzt vor. 1 Um einen kleinen Einblick in das Thema Jugend in der Ev. Landes- kirche Nassau-Hessen (der Name zu dieser Zeit) zwischen 1933 und 1945 zu geben, werden hier drei Personen vorgestellt : Georg Gründler, Luise Wil- lig und Paul Both. Sie stehen für drei mögliche Positionen, die Jugendleiter in unserer Landeskirche vor etwa 80 Jahren gegenüber dem Nationalsozia- lismus eingenommen haben. 2 Die Jugendburg Hohensolms ge- hörte der Christdeutschen Jugend. Wie reagierte sie auf die politische Wende vom Januar 1933 ? Leopold Cordier, ihr Leiter und Professor für Praktische Theologie in Gießen, war zwar für eine deutsche Gesinnung und für deutsches Volkstum, aber die eigentliche Erneuerung des Volkes konnte nur aus der Nachfolge des Evangeliums geschehen ! Georg Gründler sah das anders. Der Nationalsozia- lismus sprach ihn stark an : Bündelung von Kräften und mehr Einheit im Staat. Der Nationalsozialismus wollte Deutschland geistig und seelisch erneuern ! Es war die Gelegenheit für eine Kirchenreform ! Hitler hatte doch am 23. März 1933 den Kirchen nachdrücklich Schutz versprochen und ihre wichtige Rolle für den Staat betont. Ende April 1933 trat Georg Gründler der neuen Glaubensbewegung Deut- scher Christen bei. Er war beeindruckt von Pfarrer Georg Probst aus Frankfurt-Oberrad, eine der treibenden Kräfte in der DC. Im Mai wurde Gründler »Gau-Ob- mann für Nassau-Nord«. Er schrieb über die DC : gibt es für uns kein wahres Christen- tum ohne unser Deutschtum – und keine rechtes Deutschtum ohne le- bendiges Christentum !« Weil Gründler ein Auto besaß, konnte er eine regionale Aufgabe wahrnehmen. Im Nassauer Dekanat Gladenbach wusste er alle Pfarrer zur Mitgliedschaft bei den Deutschen Christen zu bewegen. Weil er aber sah, dass er bei der Christdeutschen Jugend eine Minderheitenposition in- nehatte, legte er seine Mitarbeit in der Redaktion der »Christdeutschen Stimmen« nieder. Die Zeitung wurde übrigens im Sommer 1934 von den Nazis verboten. Im September 1933 sollte Georg Gründler spüren, in welchen Strudel er hineingeraten war. Auf einem Frak- tionstreffen der Deutschen Christen 16 Schönberger Hefte 3/14 Fachdidaktische Impulse Georg Gründler Georg Gründler war Pfarrer in einem Dorf in der Nähe der Jugend- burg Hohensolms bei Wetzlar. Er war Mitglied des Christdeutschen Bundes und einer der Schriftführer des Monatsblatts »Christdeutsche Stim- men«. Als die NSDAP an die Macht kam erließ sie viele Arbeitsbeschaf- fungsmaßnahmen. In dem Dorf ver- schwand die Arbeitslosigkeit. Haken- kreuzfahnen erschienen an allen Häu- sern, die SA marschierte, eine Orts- gruppe der Hitlerjugend wurde ge- gründet. Gründler war beeindruckt. »5. Die Glaubensbewegung »Deut- sche Christen« will Deutschtum und Christentum zusammenbinden, weil sie weiß, dass Gott uns – auch als Christen – als deutsche Menschen mit deutschem Fühlen und deut- schem Wesen geschaffen hat. [. . . ] So Jugend in der Zeit des Nationalsozialismus in der Ev. Landeskirche Nassau-Hessen 1933 - 45 von Harmjan Dam ___________________________________________ 1 Klaus-Dieter Grunwald, Ulrich Oelschläger (Hg.), Evangelische Landeskirche Nassau- Hessen und Nationalsozialismus. Auswer- tungen der Kirchenkampfdokumentation der EKHN. Quellen und Studien zur hessi- schen Kirchengeschichte Band 22. Darm- stadt 2014. Der ausführliche und wissenschaftlich annotierte Text dieser Forschung zur Jugend in der EKNH ist auf- genommen auf S. 189-294. 2 Eine ausführliche Einführung für die Be- schäftigung mit dem Kirchenkampf in Hes- sen und Nassau haben wir vorgelegt im Schönberger Heft 4/08 (mit CD-ROM). Es sind noch Exemplare verfügbar. Georg Gründler Die Christdeutsche Jugend marschiert vor der Jugendburg Hohensolms in Wiesbaden kam es zu einer hef-

Jugend in der Zeit des Nationalsozialismus in der Ev ......Forschung zur Jugend in der EKNH ist auf-genommen auf S. 189-294. 2 E in ea us füh rlc g d B - schäftigung mit dem Kirchenkampf

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  • Wie hat sich die evangelische Ju-gend unserer Landeskirche in der Zeitdes Nationalsozialismus verhalten ?Die Kirchenkampfdokumentation derEKHN, die in 8 Bänden zwischen 1960und 1996 erschienen ist, bietet dazuzwar viele Dokumente, eine Ge-schichte wurde allerdings bis jetztnicht geschrieben. Diese Studie liegtjetzt vor.1 Um einen kleinen Einblick indas Thema Jugend in der Ev. Landes-kirche Nassau-Hessen (der Name zudieser Zeit) zwischen 1933 und 1945zu geben, werden hier drei Personenvorgestellt : Georg Gründler, Luise Wil-lig und Paul Both. Sie stehen für dreimögliche Positionen, die Jugendleiterin unserer Landeskirche vor etwa 80Jahren gegenüber dem Nationalsozia-lismus eingenommen haben.2

    Die Jugendburg Hohensolms ge-hörte der Christdeutschen Jugend.Wie reagierte sie auf die politischeWende vom Januar 1933 ? LeopoldCordier, ihr Leiter und Professor fürPraktische Theologie in Gießen, warzwar für eine deutsche Gesinnungund für deutsches Volkstum, aber dieeigentliche Erneuerung des Volkeskonnte nur aus der Nachfolge desEvangeliums geschehen !

    Georg Gründler sah dasanders. Der Nationalsozia-lismus sprach ihn stark an :Bündelung von Kräften undmehr Einheit im Staat. DerNationalsozialismus wollteDeutschland geistig undseelisch erneuern ! Es wardie Gelegenheit für eineKirchenreform ! Hitler hattedoch am 23. März 1933den Kirchen nachdrücklichSchutz versprochen undihre wichtige Rolle für denStaat betont.

    Ende April 1933 tratGeorg Gründ ler der neuenGlaubensbewegung Deut-scher Christen bei. Er warbeeindruckt von PfarrerGeorg Probst aus Frankfurt-Oberrad,eine der treibenden Kräfte in der DC.Im Mai wurde Gründler »Gau-Ob-mann für Nassau-Nord«. Er schriebüber die DC :

    gibt es für uns kein wahres Christen-tum ohne unser Deutschtum – undkeine rechtes Deutschtum ohne le-bendiges Christentum !«

    Weil Gründler ein Auto be saß,konnte er eine regionale Aufgabewahrnehmen. Im Nassauer DekanatGladenbach wusste er alle Pfarrer zurMitgliedschaft bei den DeutschenChristen zu bewegen. Weil er abersah, dass er bei der ChristdeutschenJugend eine Minderheitenposition in-nehatte, legte er seine Mitarbeit inder Redaktion der »ChristdeutschenStimmen« nieder. Die Zeitung wurdeübrigens im Sommer 1934 von denNazis verboten.Im September 1933 sollte Georg

    Gründler spüren, in welchen Strudeler hineingeraten war. Auf einem Frak-tionstreffen der Deutschen Christen

    16 Schönberger Hefte 3/14Fachdidaktische Impulse

    Georg GründlerGeorg Gründler war Pfarrer in

    einem Dorf in der Nähe der Jugend-burg Hohensolms bei Wetzlar. Er warMitglied des Christdeutschen Bundesund einer der Schriftführer desMonatsblatts »Christdeutsche Stim-men«. Als die NSDAP an die Machtkam erließ sie viele Arbeitsbeschaf-fungsmaßnahmen. In dem Dorf ver-schwand die Arbeitslosigkeit. Haken-kreuzfahnen erschienen an allen Häu-sern, die SA marschierte, eine Orts-gruppe der Hitlerjugend wurde ge-gründet. Gründler war beeindruckt.

    »5. Die Glaubensbewegung »Deut-sche Christen« will Deutschtum undChristentum zusammenbinden, weilsie weiß, dass Gott uns – auch alsChristen – als deutsche Menschenmit deutschem Fühlen und deut-schem Wesen geschaffen hat. [. . . ] So

    Jugend in der Zeit des Nationalsozialismusin der Ev. Landeskirche Nassau-Hessen 1933 - 45von Harmjan Dam

    ___________________________________________

    1 Klaus-Dieter Grunwald, Ulrich Oelschläger(Hg.), Evangelische Landeskirche Nassau-Hessen und Nationalsozialismus. Auswer-tungen der Kirchenkampfdokumentationder EKHN. Quellen und Studien zur hessi-schen Kirchengeschichte Band 22. Darm-stadt 2014. Der ausführliche undwissenschaftlich annotierte Text dieserForschung zur Jugend in der EKNH ist auf-genommen auf S. 189-294.

    2 Eine ausführliche Einführung für die Be-schäftigung mit dem Kirchenkampf in Hes-sen und Nassau haben wir vorgelegt imSchönberger Heft 4/08 (mit CD-ROM). Essind noch Exemplare verfügbar.

    Georg Gründler

    Die Christdeutsche Jugend marschiert vor derJugendburg Hohensolms

    in Wiesbaden kam es zu einer hef-

  • Schönberger Hefte 3/14 17Fachdidaktische Impulse

    tigen Auseinandersetzung zwischenihm und Dr. August Jäger. Jäger warvon Hitler eingesetzt um als Jurist mitdem nationalsozialistischen Reichs-bischof Ludwig Müller die Gleich-schaltung der evangelischen Landes-kirchen zu bewirken. Es ging in derSitzung um die neue Kirchenverfas-sung der aus drei kleineren Kirchenneu gebildeten »Ev. Kirche in Nassau-Hessen«. Gründler plädierte hier fürdas Bekenntnis als Grundlage der Kir-che. Jäger war anderer Meinung. Erstellte Gründler vor die Wahl, sich zufügen, nicht länger zu »quasseln«oder zu verschwinden. Bei der Ab-stimmung am nächsten Tag sollte nurPfr. Karl Amborn gegen den Entwurfstimmen. Er sollte in Nassau einer derersten Pfarrer sein, die sich in einem»Pfarrernotbund« vereinten, dem Vor-läufer der Bekennenden Kirche.

    Im Jahr 1934 sollte Georg Gründlersich in Richtung Bekennende Kircheorientieren. 1938 wurde er Pfarrer inMünster.

    Die Jugendburg Hohensolms wurdedurch Leopold Cordier zum Versamm-lungsort für Schulungen der Beken-nenden Kirche gemacht. Es warerstaunlich, wie viele Freizeiten undBibelrüstzeiten bis ca. 1936 noch ge-halten werden konnten. Für die Ju-gend der Bekennenden Gemeindenwar Hohensolms ein Gegenmilieuzum Nationalsozialismus.

    Luise Willig

    Meine zweite Person ist Luise Wil-lig. Sie war ab 1931 Gemeindehelferinin der Peterskirche in Frankfurt. Wennsie heute dort arbeiten würde, wäresie Gemeindepädagogin in der Ju-gendkulturkirche »sankt peter«.

    Luise Willig leitete in der Peters -kirche Kinder- und Mädchengruppenund baute eine aktive Pfadfinder -innenarbeit auf, die weit über die Ge-meinde hinaus Mädchen anzog. Diechristlichen Pfadfinderinnen trugengrüne Blusen, hatten das Grüne Kreuzals Abzeichen und waren begeistertbeim Wandern, bei sportlichen Spie-len und beim Singen. Vor allem woll-ten sie »Gottes Weg und Willen in derBibel suchen und junge Menschen fürChristus und sein Reich gewinnen«.Die Pfadfinderinnen waren Teil desEvangelischen Mädchenwerks Frank-furt und verbunden mit dem Burck-hardthaus in Berlin-Dahlem, dasgeleitet wurde von Otto Riethmüller.Vom Burckhardthaus kam das Ar-beitsmaterial, das auch in Frankfurtauf die Arbeit angewandt wurde. DasMädchenwerk Frankfurt hatte 1930 inRod am Berg im Hochtaunus eine alteDorfschule gekauft und zum Land-heim umgebaut.

    Auch im Mädchenwerk wurden dieÄnderungen im Jahr 1933 genaues-tens verfolgt. Die Anweisungen vonRiethmüller wurden zusammen be-sprochen. Riethmüller schrieb imSommer 1933 :

    »In diesen neuen Staat stellen wiruns mit unserer Jugendarbeit betendund arbeitend hinein und wollen dieJugend zu treuen und brauchbarenBürgern dieses neuen Staates erzie-hen.« Dies könne aber nicht bedeu-ten, dass das Mädchenwerk im BundDeutscher Mädel aufgeht. ReligiöseBedürfnisse sind, anders als die Hit-lerjugend und der BDM behaupten,mehr als nur ein Aspekt des mensch-lichen Lebens. Sie sind »der Anspruchdes Christus als des absoluten Herrnauf den totalen Menschen.« Auch derForderung der Hitlerjugend, die Arbeitfür unter 18-Jährige aufzulösen,könne das Burckhardthaus nicht zu-stimmen.

    Im Dezember 1933 (darüber spätermehr) sollten aber dennoch die evan-gelischen Jugendverbände in die Hit-lerjugend eingegliedert werden.

    Für Luise Willig wurde es wesent-lich schwieriger weiterzuarbeiten. Diegrünen Blusen, das grüne Kreuz, derSport, die Geländespiele und dieFahrten waren nun verboten. Rieth-müller wurde übrigens im Jahr 1935der erste Vorsitzende der Jugendkam-mer der Bekennenden Kirche. Die BKsah die ehemalige verbandliche Mäd-chen- und Jungenarbeit als ihre Ju-gendarbeit an.

    Ab 1935 gab es immer mehr Schi-kanen gegen die evangelische Pfad-finderinnenarbeit.

    Ein Beispiel: Zu Pfingsten 1935sollte es in Rod am Berg ein Pfingst-lager geben. Alles war sorgfältig vor-bereitet. Die Teilnehmerlisten warenden Behörden vorgelegt worden, alleMädchen hatten Urlaubsscheine beiihren BDM-Unterführerinnen bean-tragt, die Gestapo hatte die Freizeitgenehmigt. In grünen Blusen, aberohne Abzeichen, waren 99 Mädchennach Rod am Berg gereist. Es warenauch zwei unbekannte BDM-Mäd-chen eingetroffen. Luise Willig fragtedie zwei BDM-Mädchen, ob sie ge-kommen waren, um im Lager dasstaatlichen Sporttraining zu leiten(das durften nur staatliche Jugend -organisationen). Darauf fing dasPfingstlager an, das Programm wurdeverlesen, die Aufgaben verteilt, dieHakenkreuzfahne gehisst und die ei-gene Fahne mit dem grünen Kreuz.Darauf reisten die beiden BDM-Mäd-chen ab. Am Pfingstsonntag fuhr

    Verband / Bund Mitgl. Leitung Reichsebene / Zentrale

    Reichsverband Ev. Jungmännerwerk (CVJM) 265.000 Erich Stange / Kassel

    Verband ev. weiblicher Jugend (Burckhardthaus) 304.000 Otto Riethmüller / Berlin-Dahlem

    Bund deutscher Bibelkreise (Bibelkreise) 20.000 Udo Schmidt / Barmen

    Deutscher Bund Mädchenbibelkreise 15.000 Theodor Brandt / Leipzig

    Christliche Pfadfinder (CP) 17.000 Friedrich Duensing

    Bund deutscher Jugendvereine 22.000 Wilhelm Stählin / Westerburg

    Neulandschar 5.000 Guida Diehl

    Christdeutscher Bund (CDB) 1.500 Leopold Cordier / Hohensolms

    Evangelische Arbeiterjugend 10.500 Johannes Baumgärtner

    Jugendbund für entschiedenes Christentum (EC) 42.000 Karl Gustav Schürmann

    Mitgliederzahlen, Leitung und Zentralen der ev. Jugendverbände 1932 / 33

    Luise Willig

  • plötzlich ein vornehmes Auto vor. Ei-nige mit Tressen geschmückte HJ undBDM-Führer stiegen aus. Kontrolle !Auflösung des Lagers, weil die Fahnemit dem Kreuz gehisst worden war !Am Tag danach folgte ein Verhör beider Gestapo.

    Im Jahr 1936 wurde Luise WilligSekretärin für die Frankfurter evange-lische Mädchenarbeit. Sie sollte»under cover« ihre Arbeit so gut wiemöglich weiterführen.

    Vor allem im Krieg, als die Männerfehlten, sollten die Gemeindehelferin-nen und Reisesekretärinnen nebenden Pfarrfrauen die tragende Stützeder Kirche sein.

    Paul Both

    Meine dritte und letzte Person istPaul Both. Er wurde 1903 in Frankfurtgeboren in einer kirchenfernen Hand-werksfamilie. Er besuchte die KlingerOberrealschule in Frankfurt undwurde hier Mitglied eines missionari-schen Bibelkreises. Im Jahr 1919 be-gann er eine Ausbildung als Volks-schullehrer in Usingen. Hier lernte erAlfred Hamel kennen, der die Bibel-kreise in Frankfurt und Usingen ge-gründet hatte und wurde 1923 seinNachfolger. Both war nicht theolo-gisch gebildet, machtbewusst undmissionarisch. Er betonte »Ordnung«,»Disziplin«, »Zucht« und »Deutsch-tum«. Unter seiner Leitung wuchsendie Bibelkreise in Frankfurt von 400auf 900 Teilnehmer.

    Seine Kerntruppe waren die christ-lichen Pfadfinder in den Bibelkreisen.Äußere Formen wie Tracht, Wimpel,Sport, Wandern und Ordnungsübun-gen wurden wichtiger als die rein mis-sionarische Arbeit.

    1932 vereinte Paul Both die Frank-furter Bibelkreise, den FrankfurterCVJM und den »Wartburgverein« zum

    »Evangelischen Jugendwerk Frank-furt« (EJWF).

    Bei dieser Fusion ließ er seine Bi-belkreis-Pfadfinder nicht mitgehen,ihr Name wurde in »Eichenkreuz-Sturmschaft« umgewandelt. Bothwar hauptberuflicher Leiter und ihr»Erstführer«.

    Bei den Reichstagswahlen im März1933 erhielt Hitler in Frankfurt 48 %der Stimmen und die politischen Ver-hältnisse veränderten sich völlig.Both schrieb seinen Pfadfindern :

    »Meine Kameraden! Nach dieserWoche gesunder Deutscher Gegenre-volution gegen die Schmach vom 9.November 1918 bin ich verpflichtet,euch ein Wort zu sagen. Wer michund die Eichenkreuz-Sturmschafts-Arbeit im Lauf der vergangenen 10Jahre kennen gelernt hat, der mussgehört und gelesen haben [. . .] wiewir gerungen haben [. . .] für klareund gestraffte Führung [. . .] – gegen»Beschlüsse« und Resolutionen, fürresolute Taten – gegen den christli-chen Missbrauch der Worte »Bruder-schaft« und »Liebe«, für den Got-tesgeist der Kraft, der Liebe und derZucht. [. . .] Wir haben unter den Hun-

    derten von Kameraden die Sehnsuchtnach dem Tag deutscher nationalerWiedergeburt wach gehalten. [. . .]Deutschland für Christus ! Christusfür Deutschland !«

    Paul Both trat im April 1933 in dieNSDAP ein und übertrug am 20. Aprildas Führerprinzip des Staates aufseine eigene Arbeit. Er bildete mitdem (Deutsch-Christlichen) PfarrerGeorg Probst die neue Leitung desEJW und wurde der Jugendreferentder Deutschen Christen. Bei der ers-ten großen Kundgebung der Glau-bensbewegung Deutscher Christen inder Festhalle in Frankfurt am 18. Mai1933 wies Both seine Eichenkreuz-Sturmschaft an, geschlossen zu er-scheinen und als Ordnungsdienstaufzutreten.

    Im Juli 1933 verbot Baldur von Schi-rach, der Leiter der Hitlerjugend, dieDoppelmitgliedschaft in HJ und ande-ren Jugendverbänden. Seine Positionwar : entweder nationaler Aufbruchoder konfessionelle Zersplitterung.

    Both sah, dass durch Schirachs Ver-bot immer mehr Mitglieder demFrankfurter EJW den Rücken zukehr-ten. Seine größte Befürchtung war,dass das EJW ganz aufgelöst werdenwürde. Am 14. September 1933schloss er mit der Hitler-Jugend inFrankfurt einen Vertrag zur Eingliede-rung. Die Sturmschaftsführer derPfadfinder sollten zum HJ-Führer,Both selbst Mitglied im Stab der HJwerden.

    Am 19. Dezember 1933 folgte aufBundesebene das, was Both imSeptember in Frankfurt vorgemachthatte. Die evangelischen Jugendver-bände wurden in die HJ eingegliedert.Ab Anfang Dezember waren Leiter derJugendverbände fast durchgängig inBerlin um einen Vertrag auszuhan-deln. Es waren aber Scheinverhand-lungen. Baldur von Schirach schlossmit Reichsbischof Ludwig Müller denEingliederungsvertrag. Proteste derJugendverbände waren vergeblich.Der Vertrag (siehe das Datum auf derAbbildung!!) lag schon seit dem 2.November so vor.

    Müller schrieb Hitler in einem Tele-gramm am Abend : »Ich habe soebendurch Vereinbarung mit dem vonIhnen bevollmächtigten Reichsju-gendführer die Eingliederung des EJW

    18 Schönberger Hefte 3/14Fachdidaktische Impulse

    Jahr Ereignis Mitgliederzahl

    Ende 1932 Reichjugendtag Potsdam 108.000

    Ende 1933 Machtübernahme, massive Werbung 2.300.000

    Ende 1935 Gleichschaltung ganz vollzogen. 3.900.000Übergriffe auf anders denkende Jugendorganisationen (ca. 50 % der Jugend)

    Anfang 1938 1. 12. 1936 Gesetz über Hitlerjugend-Pflichtmitgliedschaft 7.000.000

    1939 Ab März Jugenddienstpflicht 8.700.000Zwangsmitgliedschaft der HJ (98 % der Jugend)

    Die Hitlerjugend in Zahlen

    Paul Both

  • in die HJ vollzogen. Die dem EJWanvertraute besondere Aufgabe istdamit für das große Ziel einer einheit-lichen Erziehung der gesamten deut-schen Jugend eingesetzt. Gott segnediese Stunde für unser Volk und un-sere Kirche. Gott lasse sein heiligesWort mächtig werden in der NS-Erzie-hung des kommenden Geschlechts«.

    Der Vertrag bedeutete, dass Ju-gendliche unter 18 Jahren nur Mit-glied der HJ sein durften. DieVerbände waren nur für über 18-Jäh-rige. An zwei Nachmittagen in derWoche und zwei Sonntagen im Monatdurfte die Jugend kirchliche Veran-staltungen besuchen.

    Auf Reichsebene wurde Pfarrer KarlZahn aus Aachen ernannt zum Reichs-jugendpfarrer. Er sollte den Vertragbundesweit umsetzen : alle Gemein-den in Deutschland hatten bis EndeFebruar Eingliederungsverträge mitder HJ geschlossen!

    Er ernannte im April 1934 HermannHaaß als neuen Landesjugendpfarrer.Haaß handelte auf Befehl von Zahnund hatte vor allem administrativeAufgaben : Genehmigung von Freizei-ten, von Lagern usw. Nach 9 Monatenlegte er resigniert seine Arbeit nieder.

    Nun übernahm Paul Both vonFrankfurt aus immer mehr landes-kirchliche Aufgaben. Im Herbst 1936machte Both, faktisch als Landesju-gendpfarrer, eine Umfrage unter allenGemeinden im ganzen Kirchengebiet.Er stellte die Frage, wer von der Frank-furter Jugendkanzlei aus weitere Un-terstützung haben wollte. 237 derinsgesamt etwa 750 Pfarreien in derEKNH reagierten.3

    Fast 30 Gemeinden lehnten Unter-stützung ab und nannten sich offen»Bekennende Kirche«. Diese Gemein-den lagen vor allem im Dillkreis undim Kreis Biedenkopf. Sie kooperier-ten mit der alten evangelischen Ver-bandsarbeit. 25 Gemeinden wünsch-ten keine Kooperation (gaben aberkeine Begründung). Beide zusammensind 55 Gemeinden. Man kann sagen,dass ca. 15 bis 20 %, nachdrücklichoffen kritisch gegenüber der national-sozialistischen Arbeit von Both war.Der Rest nicht.

    Wehrdienstzersetzung aufgefasst. Ererlebte die Bombardierung der Frank-furter Innenstadt in einer Zelle im Ge-stapo-Gefängnis Klapperfeldstraße.

    Nach dem Krieg führte er die Arbeitim EJW auf die gleiche Weise wie vordem Krieg weiter. Erst nach seinemTod (in den 60er Jahren) konnte dasEJW in Frankfurt anfangen, diese Ver-gangenheit aufzuarbeiten.

    Nur wenig Widerstand

    Die Gestaltungsformen von Jugend-organisationen in den 20 er und 30 erJahren waren fast alle gleich. Damitbot die evangelische Jugend keine Al-ternative für den Nationalsozialis-mus. Die pro-nationalsozialistischeHaltung von Paul Both war eher dieRegel als die Ausnahme.

    Die Repression der Nationalsozia-listen gegenüber der evangelischenJugendarbeit war nicht so sehr phy-sisch gewalttätig, sondern vor allemjuristisch. Durch allerhand Regeln,Auflagen und Genehmigungen wurdeihre Freiheit immer mehr einge-schränkt. Nur wenige (Luise Willig)widerstanden diesem Druck.

    Der Nationalsozialismus hat derverbandlichen Jugendarbeit sehr ge-schadet. Die evangelische Jugendar-beit wurde 1934 stärker kirchlich undbeschränkte sich immer mehr auf»Wortverkündigung«. Dies war auchdie Form der Bekennenden Kirche.Nach dem Krieg wurde die EKHN vonder Bekennenden Kirche geprägt undso wurde dies die Norm für die kirch-liche Jugendarbeit.

    Pfr. Dr. Harmjan Damist Kirchen geschicht-ler und Studienleiteram RPI, Geschäfts-stelle Dietzenbach.

    So entstand Anfang 1934 überalldie gemeindliche Jugendarbeit mitdem inhaltlichen Akzent auf »Wort-verkündigung« neben der alten Ver-bandsarbeit, die nur für die über18- Jährigen galt.

    Die Ev. Kirche von Nassau-Hessenbekam im Februar 1934 einen neuenpro-nationalsozialistischen Bischof :Ernst Ludwig Dietrich.

    Am 1. Dezember 1936 wurde einReichsgesetz zur Pflichtmitglied-schaft in der HJ erlassen. Damit warder Eingliederungsvertrag von 1933abgelöst. Der NS-Überwachungs-staat wurde in seiner vollen Machtspürbar und die kirchliche Jugendar-beit kam faktisch zum Erliegen. BeiBoth führte dies aber nicht zur Oppo-sition zum Staat oder zu einer grund-sätzlichen Abkehr vom Nationalsozia -lismus. Er kündigte aber im Jahr 1937seine Parteimitgliedschaft und zogsich zurück in ein eigenes Landheimin der Nähe von Bad Homburg :»Haus Heliand«. Von dort aus ver-suchte er als »Ein-Mann-Betrieb« dielandeskirchliche Jugendarbeit weiter-zuführen.

    Der Name »Heliand« ist eine alt-germanische Bezeichnung (aus dem9. Jahrhundert) für Christus als »hel-discher Heiland«. Das Haus-Heliandbesteht bis heute.

    Im Krieg wurde Both verhaftet, weiler Soldatenbriefe an seine Heliand-Brüder schrieb. Diese wurden als

    Schönberger Hefte 3/14 19Fachdidaktische Impulse

    ___________________________________________

    3 Zahlen nach Klaus Neumeier, FrankfurterEvangelische Jugendarbeit unter PaulBoth im 3. Reich. Frankfurt 1988, S. 220,Dok. 4.5. Es gab auch Gemeinden die rea-gierten ohne einen Wunsch zu äußern.Diese sind nicht aufgelistet.

    Broschüre des ReichsjugendpfarrersKarl Zahn zur Eingliederung der ev.Jugendverbände in die Hitlerjugend