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JUGEND OHNE CHANCE?
Jugendliche mit Migrationshintergrund im Ländervergleich Österreich – Frankreich – Deutschland – Slowakei
©2007by
ZeMiT–ZentrumfürMigrantInneninTirolBlasius-Hueber-Straße6,A–6020InnsbruckT ++43-(0)512-577170–0M [email protected] www.zemit.at
Projektleitung:VerenaFinkenstedt(alleArtikelbisaufuntengenannte)Team:StephanBlassnig(MigrationsgeschichteÖsterreich,DeutschlandundFrankreich),GerhardHetfleisch(Vorwort,Konzept),AnitaKonrad(Lektorat),VeraSartori(Konzept),DominikAuer/VerenaFinkenstedt(RomainderSlowakei),ArminBrugger(FotosundFotoauswahl)
Übersetzung:EdwinVierheilig,CarmenKonzettLayout&Satz:ChristinePetschauernachEntwurfvonBarbaraTriendlFotografien:AlleBildervonZeMiT,ausgenommenUmschlagbild,FotoS.10vonArchivHürriyetundFotoS.16vonwww.pixelio.de.Motiv„Thesilentchairman“(HelenThompson):ExponatderAusstellung„MigrationinBildern“(ZeMiT2006)
DieseBroschüreisturheberrechtlichgeschützt.AlleRechtebleibenderHerausgeberinvorbehalten,insbe-sonderedieRechtederVerbreitung,Vervielfältigung,Übersetzung,desNachdrucksundderWiedergabe,auchbeiauszugsweiserVerwendung.
AlleAngabenindieserBroschürewurdenvondenAutorInnensorgfältiggeprüftundentsprechendemStandApril2007.EineGarantiefürdieRichtigkeitderDatenkanndennochnichtübernommenwerden.
GefördertausMittelndesEuropäischenSozialfondsunddesBundesministeriumsfürWirtschaftundArbeit.
EinProduktdertransnationalenPartnerprojekteJoinIn–EqualCapacité–V.I.T.A.25–Spolutodokázeme.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort...............................................................................................................................4Definitionen........................................................................................................................5
Geschichte der Migration in Österreich, Deutschland und Frankreich..............8
Österreich...........................................................................................................................8Deutschland.....................................................................................................................13Frankreich........................................................................................................................18
Soziokulturelle Profile Österreich – Deutschland – Frankreich........................24
„Heimatbistdu…“LebenssituationenvonJugendlichenmitMigrationshintergrundinÖsterreich.................................................................................24„DesGlückesUnterpfand…“JugendlichemitMigrationshintergrundinDeutschland.....................................................31Diversitécontreuniversalité!JugendlichemitMigrationshintergrundinFrankreich.......................................................38
Exkurs: Roma in der Slowakei.....................................................................................43
GeschichtederslowakischenRoma................................................................................43LebenssituationenderRomainderheutigenSlowakei...................................................45ProgrammezurBesserungderLagederRoma..............................................................48
Portraits der transnationalen Partnerprojekte......................................................50
JoinIn...............................................................................................................................50V.I.T.A.25.........................................................................................................................56EQUALCapacité..............................................................................................................61Spolutodokázeme..........................................................................................................66
Anhang.................................................................................................................................68
Vorwort
SpätestensmitdenAufständenderJugend-licheninfranzösischenBanlieuesimHerbst2005isteinProblemsichtbarundeinerbreitenÖffentlichkeitinEuropabewusstgeworden,dasvomAusdruckherspezifischfranzösischerscheinenmag,jedocheinege-samteuropäischeDimensionundWurzelhat.
AlleLänderEuropashabensichseitherver-stärktmitderFragebeschäftigt,obdiesesoderjenesKonzeptzurIntegrationvonEin-gewandertenverfehltsei,oderalleKonzepteletztlichaneinergemeinsamensozialenGegebenheitscheitern:HinterdemVorhangführendiehierarchisch-diskriminierendenStrukturenunsererGesellschaftenRegie,womitalleWertederGleichheit,FairnessundChancengleichheitadabsurdumgeführtwerden.
DieGemeinsamkeitinderDifferenzamBeispielvonFrankreich,Deutschland,derSlowakeiundÖsterreichdarzustellen,istdasAnliegendieserBroschüre,dieimRahmendertransnationalenPartnerschaftvonvierPro-jektenderEU-GemeinschaftsinitiativeEQUALvonJuli2005bisJuni2007entstandenist.
SchnellwurdeallenBeteiligtendertrans-nationalenPartnerschaftbewusst,dasswir–wollenwirdieinFrankreichsichtbarmöglicheZukunftantizipieren-unsdieje-weiligeSituationdervierLänderanhandvonKernfragenvergegenwärtigenmüssen,umzueinemgegenseitigenVerständniszuge-langen.DieKlärungvonBegriffen,vorallemabereinhistorischerRückblickaufdie
MigrationsgeschichteunddieBeschreibungdersoziokulturellenLagevonJugendlichenmitMigrationshintergrundindenjeweiligenLändernistdasErgebnisdaraus.DerExkurszurLagederRomainderSlowakeischeintzunächstnichtindenKontextzupassen,unddochwirddamitderKerndesgesellschaft-lichenAusschlussesvonMenscheninallenLändernEuropasgetroffen.RomaundSintisindinalleneuropäischenGesellschaftendieprototypischenFremdenundrassistischDiskriminierten,obsienunStaatsbürgerdesjeweiligenLandessindoderauchnicht.
DieDarstellungderKonzeptiondervierProjektebegründetabschließenddieunter-schiedlichenMaßnahmen,dieJugendlichen,diedurchsozialeundethnischeDiskriminie-rungausgegrenztwerden,denEinstiegindenArbeitsmarkt(wieder)eröffnensollen.DieVielfaltderbeteiligtenOrganisationenspiegeltsichindiesenAnsätzen.EssentielleFragenstelltensich,dieinderPartnerschaftauchandiskutiertwurden:IstdieStärkungdernationalenWettbewerbsfähigkeitdasZielvonEQUAL?KönnenneoliberaleWirt-schaftsprinzipiendieGrundlagefürsozialeArbeitdarstellen?
DienunvorliegendeBroschürebildetdenHintergrundab,vordemdiespannendenundletztlichfruchtbarenAuseinandersetzungenentstandensind,unddenenvieleweiterefolgensollen.
Dr.GerhardHetfleisch,GeschäftsführerderEqual-PartnerschaftJoinIn
4 JUGEND OHNE CHANCE?
MigrantIn:NochexistiertfürdenBegriffkeineinternationalanerkannteDefinition.GenerellwirddaruntereinePersonverstan-den,diesichfreiwilligfüreinenOrtswechselentscheidet.MeistenswirdderTerminusMigrantInmitinternationalerArbeitsmigrationassoziiert.EineunfreiwilligeMigrations-entscheidungwirdals„forcedmigration“bezeichnet.ManunterscheidetzwischenBinnenmigration,demOrtswechselinnerhalbeinesStaates,undinternationalerMigration,sobalddieStaatsgrenzendesHeimatlandesüberschrittenwerden.DieUN-TerminologiedefiniertalsMigrantIneinePerson,dielängeralseinJahraußerhalbihresGeburtslandslebt.DerCharakterderEntscheidungwirddabeinichtberücksichtigt.OrtswechselaufgrundvonTourismus,nomadischemLeben,VerschleppungoderethnischenSäuberungenfallennichtunterdenBegriffMigration.
Jugendliche mit Migrationshintergrund:PersonenimAltervon15bis25Jahren,derenElternoderGroßelternalsImmigran-tInnenindasLandgekommensind,indemder/dieJugendlichegeborenwurdeundaufwuchsbzw.aufwächst.Vonentschei-denderRolleist,obdieJugendlichendieStaatsbürgerschaftdiesesLandesbesitzen.WennindervorliegendenBroschürevomfamiliärenHintergrundgesprochenwird,sowirddamitaufdasHerkunftslandderFamiliederJugendlichenverwiesen.Jugendliche,dieerstimLaufeihresLebensinihrderzeitigesGastlandgekommensind,werdengleichdenErwachsenenalsMigrantInnenbezeichnet.
AufihrspeziellesAlterwirddurchdasAttribut„Jugendliche/r“hingewiesen.“
AusländerInnen:Personen,dieinihremjeweiligenAufenthaltslandnichteingebürgertsind.UnterdieseDefinitionfallenMigran-tInnenaberauchJugendlichemitMigrations-hintergrund,dieaufgrunddesIusSanguinis(Abstammungsprinzip)dieStaatsbürger-schaftihrerElternbesitzen.DieBezeichnungAusländerInnenwird–obwohloftdiskrimi-nierendkonnotiert–indieserBroschüreverwendet,umdieunterschiedlichenLebens-situationenvoneingebürgertenundnichtein-gebürgertenMigrantInnenundJugendlichenmitMigrationshintergrundzuverdeutlichen.
GastarbeiterInnen:Personen,dieauf-grundderorganisiertenAnwerbungvonArbeitskräftenabden1950erJahrenausdensogenannten„Anwerbeländern“Ita-lien,Spanien,Griechenland,Portugal,demehemaligenJugoslawienundderTürkeialsmeistunqualifizierteArbeitskräfteindierei-chereneuropäischenIndustriestaatenwiedieBundesrepublikDeutschland,SchweizoderÖsterreichkamen.NachdemursprünglichgeplantenRotationsprinzipsolltendieArbei-terInnenwiederinihrHeimatlandzurückkeh-renunddurchneueersetztwerden.VieleließensichaberdauerhaftindenGastlän-dernnieder.Die„GastarbeiterInnen“wurdenvonderautochthonenBevölkerungseltenmitGastfreundschaftbehandelt.
Definitionen
5DEFINITIONEN
Flüchtlinge:lautGenferFlüchtlingskonven-tionvon1951giltalsFlüchtling,wer„aus der begründeten Furcht vor Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Über-zeugung sich außerhalb des Landes befin-det, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in An-spruch nehmen kann oder wegen dieser Be-fürchtungen nicht in Anspruch nehmen will; oder der sich als staatenlos infolge solcher Ereignisse außerhalb des Landes befindet, in
welchem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen der erwähnten Befürchtungen nicht dorthin zurückkehren will“.MittlerweileverschwimmenjedochdieGrenzenzwischenArbeitsmigrationundFlucht,dieVerfolgungdurchnicht-staatlicheAkteurenimmtzu.DieGenferKonventionberücksichtigtaußerdemwederBinnenflüchtlinge(Personen,dienichtinsAuslandgeflohensind),nochFluchtvorElend,Kriegen,Naturkatastrophenoderneu-erdingsauchKlimaveränderungen.
Menschenwandertenundwandern–TeileeinermongolischenJurte
6 JUGEND OHNE CHANCE?
AsylwerberIn(auch:AsylbewerberIn,Asylsu-chende/r):Person,dieineinemanderenLandSchutzvorVerfolgungsuchtundsichgemäßderGenferKonventionumdenStatuseines(durchdenjeweiligenStaat)rechtlichaner-kanntenFlüchtlingsbewirbt.SobalddieserSta-tusgewährtwird,giltdiebetreffendePersonalsKonventionsflüchtling.
AussiedlerInnen:NachdemZweitenWeltkriegflohenüber18Millionen„ethnische“Deutsche–AussiedlerInnengenannt–ausAngstvorpolitischerVerfolgungoderUnterdrückungausZentral-undOsteuropäischenStaatenunddemGebietderspäterenDDRindieBundesrepublikDeutschland.SeitdemgewährtdasdeutscheRechtAussiedlerInnenbeieinerImmigration
nachDeutschlanddiedeutscheStaatsbür-gerschaft.DiesesGesetzführteimLaufederJahrezuheftigenKontroversen.HeutesindDiskussionenummöglicheEntschädigungenfürAussiedlerInnenodereineRückkehrindieursprünglichenHeimatländerimGange.
SpätaussiedlerInnen:deutschstämmigePersonen,dienach1992ausosteuropäischenStaaten(vorallemausdenGebietenderehe-maligenSowjetunion,Estland,LettlandoderLitauen)nachDeutschlandimmigriertsind.SiewerdenindenStatistikennichtalsAuslände-rInnenerfasst,weilsieimBesitzderdeutschenStaatsangehörigkeitsind.TrotzdemsehensichvieleSpätaussiedlerInnenmitArbeitslosigkeit,SegregationundDiskriminierungkonfrontiert.
Weiterführende Links
nhttp://de.wikipedia.org/wiki/Migrantnhttp://de.wikipedia.org/wiki/Fl%C3%BCchtlingnhttp://de.wikipedia.org/wiki/Konventionsfl%C3%BCchtlingnhttp://de.wikipedia.org/wiki/Gastarbeiternhttp://de.wikipedia.org/wiki/Asylsuchendenhttp://de.wikipedia.org/wiki/Aussiedlernhttp://de.wikipedia.org/wiki/Sp%C3%A4taussiedlernhttp://portal.unesco.org/shs/en/ev.php-URL_ID=3020&URL_DO=DO_TOPIC&URL_SECTION=201.html
für Österreich:nhttp://www.midasequal.com/de/downloads/glossary_report1_midas.pdf
für Deutschland:nhttp://www.bamf.de/cln_042/nn_566320/DE/Service/Glossar/__Function/glossar-catalog,lv2=566432.html
�DEFINITIONEN
8 JUGEND OHNE CHANCE?
Österreich
Migration in Österreich von 1945 bis 1989
„ÖsterreichistkeinEinwanderungsland!“DieseAuffassungwirdauchheutenochvonetlichenPolitikerInnenundTeilenderGesell-schaftvertreten.DochdasGegenteilistderFall:ÖsterreichwarundistschonimmereinEinwanderungslandgewesen.Esgenügt,dasRadderZeit60JahrezurückzudrehenunddiehistorischeEntwicklungvonMigra-tioninundnachÖsterreichnachzuzeichnen,umdieseAussagezurevidieren.Der„Anschluss“Österreichsandasnatio-nalsozialistischeDeutschlandimJahre1938hattedasAlpenlandkurzvonderBildflächeverschwindenlassen(wasvieleÖsterreiche-rinnenundÖsterreicherabernichtdavonabhielt,sichaktivandenMenschheitsver-brechendesNS-Regimeszubeteiligen).ImFrühling1945wurdederzweite–diesmalerfolgreiche–Versuchgestartet,inÖs-terreicheinedemokratischeRepublikzuetablieren.KurznachKriegsendebeliefsichdieZahlderausländischenPersoneninÖs-terreichaufrund1,6Millionenbei7MillionenEinwohnerInnen.ÖsterreichwarzugleichAufenthalts-undTransitlandfürdieseMen-schenundanderesogenannte„DisplacedPersons“(DP),dieentwederKriegsgefan-gene,ZwangsarbeiterInnen,GefangenevonKonzentrations-undVernichtungslagernoderFlüchtendewaren.Vielesogenannte„Volksdeutsche“wurdeninAnbetrachtihrer
Sympathisierungund/oderKollaborationmitdemNS-RegimeausdenwiedererstandenenStaatenZentral-undMitteleuropasvertrie-ben.ImLaufederNachkriegsjahrewurdenetlicheder530.000ethnischenDeutscheninÖsterreicheingebürgert,sodassvorallemdiesteigendeNachfragenachArbeitskräftenindenökonomischboomenden1950erJahrenvorerstbefriedigtwerdenkonnte(Fassmann/Münz1996:211ff.).DieUngarnkrise1956/57mitderFluchtvoncirca200.000MenschennachÖsterreichstellteeinedergrößtenWanderbewegungeninderNachkriegsgeschichtedar.Fastalleder180.000Asylanträgewurdenpositiverle-
Geschichte der Migration in Österreich, Deutschland und Frankreich
“TheVoicelessChairman“vonHelenThompson,ExponatderAusstellung„MigrationinBildern“
�GESCHICHTE DER MIGRATION
digt,dochnur20.000ungarischeFlüchtlingebliebendauerhaftinÖsterreich(ebd.212).AuchbeidenKriseninderTschechoslowakei1968/69undinPolen1980/81bewährtesichÖsterreichalsTransit-undkurzfristigesAuf-enthaltsland.
Beginn der Arbeitsmigration
DashoheWirtschaftswachstuminden1960erJahrenbedingteeineAusweitungderBeschäftigtenzahlen,umweiterhinwettbewerbsfähigzubleibenundumdamitwiederumden(Hoch-)Konjunkturzyklushinauszuzögern.DiespezielleBevölkerungs-struktur–einniedrigerAnteilvonErwerbstäti-gen–alsFolgedesZweitenWeltkrieges,der„Babyboom“unddamitdas(kurz-oderlang-fristige)AusscheidenvonvielenFrauenausdemErwerbslebenverschärftendenMangelanArbeitsressourcenzusätzlich.Außerdemkamerschwerendhinzu,dassvieleÖster-reicherInnenihreArbeitskraftvorallemindenbundesdeutschenundschweizerischenArbeitsmarkteinbrachten,wohöhereLöhneausbezahltwurden.Anfangder1960erJahrebeganndieorganisierteAnwerbungvonausländischenArbeitskräften.DamitsetztedieArbeitsmigrationnachÖsterreichimVer-gleichzudenanderenwestlichenIndustrie-nationenetwasverspätetein.DieSozialpartner,derOberbegrifffürdieneokorporatistischenVertretungenvonAr-beitgeberInnenundArbeitnehmerInneninderZweitenRepublik,inGestaltderWirtschafts-kammerundGewerkschaft,vereinbartenjedesJahrsogenannte„Fremdarbeiterkon-tingente“(dieDiktionerinnertandie„Fremd-arbeiter“imNS-Regime,erstEndeder1960erJahrewirdderBegriffdes„Gastarbei-ters“ausDeutschlandübernommen).Diese
KontingentewarenanbestimmteBranchengebundenunddurftennichtüberschrittenwerden.DamitunterlagdieBeschäftigungvonausländischenArbeitskräftennichtderRegierungsonderndenSozialpartnern.NachdenAnwerbeabkommenderRepublikÖsterreichmitderTürkei(1964)undJu-goslawien(1966)entwickeltesichdieZahlderArbeitsmigrantInnenstetigaufwärtsunderreichteimJahr1973mit227.000Beschäf-tigtenmitnicht-österreichischerStaatsbür-gerschafteinenHöhepunkt.DasentspracheinemAnteilvonfast9%andenunselb-ständigBeschäftigten(Fassmann/Münz1996:218bzw.Parnreiter1994:103).MitdemEinbrechendesHochkonjunkturzyklusunddemEinsetzenderÖl-undWeltwirt-schaftskriseMitteder1970erJahrewurdedieZahlderMigrantInnensystematischverringert(„Anwerbestopp“).BegleitenddazuerfolgteeinerestriktivereHandhabungderEinwanderungs-undBeschäftigungspolitik.DieErteilungvonArbeitsbewilligungen–bisdahineinejährlicheVereinbarungzwischendenSozialpartnern–wurdemitdemAus-länderbeschäftigungsgesetzkodifiziertundunterliegtseitdemJahr1976derBundesre-gierung.DieerlaubteEinwanderungreduziertesichabdiesemZeitpunktfastvölligaufdenFa-miliennachzug,d.h.diebereitsinÖsterreichlebendenMigrantInnenkonntennurihrenächstenVerwandtennachÖsterreichholen.DieAnzahlderausländischenBeschäftigtenhingegensankseit1975kontinuierlichunderreichte1984einenTiefststandvonknapp140.000Personen.ErstimJahr1991wurdedieAusländerbeschäftigungsratevon1973wiedererreicht(Fassmann/Münz1995:44).DasModelldesRotationsprinzips,dasdieBasisderAnwerbepolitikdarstellte,sollteso
10 JUGEND OHNE CHANCE?
funktionieren,dassbeiArbeitskräfteknappheitArbeitsmigrantInnen„importiert“werden,dienachdemEndeihresBeschäftigungsverhält-nisseswiederinihrHeimatlandzurückkehrensollten.BeischlechterWirtschaftslagehin-gegensollteein„Export“vonArbeitslosigkeit(vgl.Parnreiter1994:140)durcheine„Ab-schiebung“dieserPersoneninihrHeimatlandgarantiertwerden.AllerdingsscheitertediesesSystemaufgrundmehrererFaktorenwiezumBeispiellängerfristigeBeschäftigungsverhält-nisse:dieMigrantInnengehörtenmittlerweilezurStammbelegschaftderUnternehmen,wo-raufhinvieleGastarbeiterInnenihrenLebens-mittelpunktnachÖsterreichverlegten.
Bevölkerungswachstum durch Immigration
DieausländischeWohnbevölkerungstiegzwischen1960und2000auchaufgrundderrestriktivenVergabederStaatsbürgerschaftfürdie„zweiteGeneration“derMigrantInnenüberproportionalan.IndiesenvierzigJahrenversiebenfachtesichdieZahlvon100.000aufüber700.000Personen(Gächter2005:11f.).DieVerleihungderStaatsbürgerschaftfolgtinÖsterreichnochimmerdemGrundsatzdesius sanguinis,d.h.KindererhaltendieNatio-nalitätihrerEltern(teile).ImGegensatzdazugiltinvielenandereneuropäischenLänderndasTerritorialprinzip,dasius soli,wodurchKinderautomatischdieStaatsbürgerschaftjenesLandeserhalten,indemsiegeborenwurden(IOMWien2004:6).IndenfünfzigJahrenzwischen1945und1995warÖsterreichfürfastvierMillionenMenschen„Immigrationsziel,GastlandoderbloßeDurchgangsstation“(Fassmann/Münz1995:53).ÜbereineMilliondieserMenschen
bliebinÖsterreich.DieseZahlenzeigen,dassImmigrationeinengroßenEinflussaufdasBevölkerungs-undArbeitspotenzialhatteundhat(ebd.:54).DamitsolltedieThese,dassÖsterreichkeinEinwanderungslandsei,endgültigderGeschichteangehören.
Migration in Österreich von 1989 bis heute
MitdemFalldesEisernenVorhangsunddemEndederkommunistischenHerrschaftssys-temeinEuropaändertesichauchdieEin-wanderungnachÖsterreichgrundlegend.DiegrößteImmigrationgabesindenJahren1990bis1993,miteinerjährlichenNettozuwande-rung(demSaldozwischenEmigrationundImmigration)vonüber80.000Menschen.Ös-terreichwarinnerhalbWesteuropasvomKriegindenNachfolgestaatenJugoslawiensbeson-dersbetroffen:ErstensalsdirekterNachbar-staatundzweitensdeshalb,weildasgrößte
BustransportIstanbul-Österreich,1971ArchivHürriyet1971
11GESCHICHTE DER MIGRATION
EinwandererkontingentimZugederAnwer-bungvonArbeitsmigrantInnenausdieserRegionstammte(Bauböck1996:19f.).AlsReaktionaufdiesteigendeBeschäftigungvonMigrantInnenamArbeitsmarkteinigtensichdieRegierungsparteien1990aufdieEinfüh-rungeiner„Bundeshöchstzahl“.DiesejährlichfestzustellendeZahlsolltederGradmessersein,wievieleausländischeArbeitskräftesichamArbeitsmarktbefindensollten.DieBand-breiteerstrecktesichzwischeneinemAnteilvon8bis10%MigrantInnen(unselbständigBeschäftigteundArbeitslose)amgesamtenArbeitskräftepotenzial(IOMWien2004:15).
„Integration vor Neuzuzug“?
DieWohnbevölkerungmitnicht-österreichi-scherNationalitätverdoppeltesichvon1989bis1993auf690.000Personen.MehralsdieHälfte(60%)derEinwandererInnenkamenausdenNachfolgestaatendesehemaligen
JugoslawiensundderTürkei(IOMWien2004:14).DasvondenRegierungsparteienSPÖ/ÖVP1993beschlosseneAufenthalts-gesetzversuchteerstmals,Migrationzusteuern.MitdiesemGesetzwurdenObergren-zenfürdieZuwanderungvonMigrantInnengesetzt.AngesichtsderökonomischenunddemographischenEntwicklunginÖsterreichwurdenNiederlassungsbewilligungenanhandeinesQuotensystemsvergeben.BegleitendsolltenvonstaatlicherSeiteverstärktMaßnah-menfürMigrantInneninHinblickaufIntegra-tionsbestrebungenfinanziertundunterstütztwerden(Fassmann/Münz:18f.).Damitwurdedasalte„Gastarbeitersystem“zurückgebaut,gleichzeitigabereinneuesuntereinemanderenNamenaufgebaut.Un-terdemTitelder„Saisonniersbeschäftigung“erfolgtewiederumeineAnstellungvonMi-grantInnenaufZeitmitgeringerEntlohnungundinBerufenmitniedrigemSozialprestige.Hinsichtlichaufenthalts-,sozial-undarbeits-rechtlichenStandardsder„Saisonniers“waressogareinrestriktiverRückschritthinterdie1960erJahre(Gächter2005:10).NachdemEU-BeitrittÖsterreichs1995kanneinAnstiegderBeschäftigungausländischerArbeitnehmerInnenfestgestelltwerden.VorallemdievermehrteAnstellungvonSaisonar-beitskräftenu.a.indenBereichenGastrono-mieundLandwirtschaft(Erntehelfer)unddieGleichbehandlungEU-europäischerArbeit-nehmerInnenbedingtendenAnstiegderBe-schäftigungausländischerArbeitskräfte,dieimJuli2004mit379.000PersoneneinenHöhe-punkterreichte(IOMWien2004:16).DerAnteilderausländischenWohnbevölkerunganderGesamtbevölkerungbeträgtinÖsterreichzurzeit10%.Vondiesenüber700.000Men-schenohneösterreichischeStaatsangehörig-keitstammtfastdieHälfteausdenStaaten
EventvonJoinInamInnsbruckerBahnhofimMai2007
12 JUGEND OHNE CHANCE?
desehemaligenJugoslawiens(320.000),knapp20%ausderTürkei(127.000)undrund10%ausDeutschland(72.000).ZähltmandiePersonen,dieimAuslandgeborenwurdenundjetztinÖsterreichlebenhinzu,steigtderProzentsatzauf14%.Anfangder1990erJahreverschärftesichmitdemAufstiegderrechtspopulistischenunddemrechtsextremenLagernaheste-hendenFPÖunterJörgHaider,diesichoffenausländerfeindlicherundrassistischerRessentimentsbediente,daspolitischeKlimagegenüberausländischenMitmenscheninÖsterreich.MigrantInnenwurdenals„Ver-brecherundKriminelle“sowieals„Sozial-schmarotzer“(einBegriffausderNS-Zeit)bezeichnet.DiesemenschenverachtendeFormdesRechtspopulismuswurdeundwirdnachwievorvonvielenMenscheninÖster-reichgeteilt.DieoffizielleösterreichischeMigrations-undIntegrationspolitikstehtnochimmerinderTraditioneinerAbwehrhaltunggegenüberMigrantInnen,wassichnebendenZu-gangsbeschränkungenimAufenthalts-undArbeitsrechtauchandemantiquierten„Ab-stammungsprinzip“fürdenErhaltderöster-reichischenStaatsbürgerschaftablesenlässt.
Migration in Tirol
DasBundeslandTirolhatfast700.000Ein-wohnerInnen,vondenenetwaeinFünftelinInnsbruckleben.RundeinSiebtelderWohn-bevölkerungTirols(83.000Menschenbzw.14%)wurdeaußerhalbderGrenzenÖsterrei-chsgeboren,circa10%derEinwohnerInnenbesitzeneineandereStaatsangehörigkeit.Knapp35%dieser64.000Menschenstam-menausdenNachfolgestaatendesehe-maligenJugoslawiens(22.000),einViertel
ausderTürkei(16.000)undeinFünftelausDeutschland(12.500).InTirolbeganndieAnwerbungvonArbeits-migrantInnenMitteder1960erJahre.ImGegensatzzudenanderenBundesländerninÖsterreich,woderGroßteilderausländischenArbeitskräfteindererzeugendenIndustrieundimBaugewerbebeschäftigtwar,warinTirolderAnteilanDienstleistungsberufenundhiervorallemimTourismussignifikanthöher.ImJahr1973warjede/rzehnteunselbständigBeschäftigteein/eArbeitsmigrant/in;einWert,dererstimJahr2000wiedererreichtwurde.BisEndeder1970erJahrelagderAnteilanausländischenArbeitnehmerInnenausdemehemaligenJugoslawienkonstantüber60%,derjenigevontürkischenArbeitnehmerInnenbeiknapp20%.AuchinTirolhattedieÖl-undWirtschafts-krise1973/74großeAuswirkungenaufdieBeschäftigungausländischerArbeitskräfte.BisMitteder1980erJahrehalbiertesichdieZahlderArbeitsmigrantInnenauf11.000Personen.EinespezielleFormderkurzfri-stigenBeschäftigungausländischerArbeit-nehmerInneninTirolistdiesogenannte„Saisonniersbeschäftigung“,eineneuereFormdesalten„Gastarbeitprinzips“.Seitdenbeginnenden1990erJahrenwerdenvomBundesministeriumfürWirtschafthalbjähr-lich(SommerundWinter)KontingentefürArbeitnehmerInnenintouristischenBetriebenfestgelegt.DieArbeitsverhältnissesindzeit-lichbefristet,meistensaufeinensokurzenZeitraum,dasskeinAnspruchaufSozialleis-tungengestelltwerdenkann.ImJahr2004wurdenaufdieseWeise7.000MenschenimTirolerTourismusbeschäftigt.
13GESCHICHTE DER MIGRATION
Deutschland
Migration in Deutschland von 1945 – 1989
Alles,wasdieSituationausländischerPersonenindenNachkriegsjahreninÖs-terreichkennzeichnete(DisplacedPersons,Kriegsgefangene,KZ-Gefangene,Zuwan-derungbzw.Vertreibungvonsogenannten„Volksdeutschen“ausdenneuerstandenenStaatenMittel-undOsteuropas),warauchimNachkriegs-Deutschlandzubeobachten,allerdingsinanderenGrößenordnungen.DerZivilisationsbruchderShoahunddieErobe-rungskriegedesNS-RegimesundseinerMittäterInnenhattenEuropazueinemTrüm-merhaufenwerdenlassen.MitderGründungderbeidendeutschenStaatenBRDundDDRimJahre1949setzteindendarauffolgendenJahren(biszumMauerbau1961)eineMigra-tionsbewegungvonOstnachWestein,inderenZugemehrereMillionenMenschennachWestdeutschlandmigrierten.In(West)Deutschlandlassensichnach1945sechsPhasenderMigrationunterscheiden,vondenendieerstenbeidenobenbereitserwähntwordensind(Zuwanderungvonrund13Millionen„ethnischen“DeutschenundTransitlandfürDP’s,sowiedieOst/West-MigrationzwischenderDDRundderBRD).DieserBeitragbeziehtsichausschließlichaufdieMigrationsgeschichtederBundes-republik.
Dritte Phase: Anwerbung von „GastarbeiterInnen“ 1955 – 1973
DieBundesrepublikbegannschonfrüheralsÖsterreichmitderAnwerbungvonArbeits-migrantInnen.DieEinbürgerungderrund13
MillionenFlüchtlingewirktenurvorüberge-hendalsPuffergegendenArbeitskräfteman-gel.AnhaltendhohesWirtschaftswachstumunddiezunehmendeArbeitskräfteknappheitveranlasstendiedeutscheBundesregierungzumAbschlussvonsogenanntenAnwerbe-AbkommenmitStaatenausdemMittelmeer-raum.DemVertragmitItalien1955folgtenSpanienundGriechenland(1960),Türkei(1961),Marokko(1963),Portugal(1964),Tunesien(1965)undzuletztJugoslawienimJahr1968(Reißlandt2005).DieBeschäftigungundAnwerbungvonaus-ländischenArbeitskräftenfolgtestrengnachökonomistischenGrundsätzen(Rotations-system).Siewar–wieinallenwesteuro-päischenStaaten–andenBedürfnissendesArbeitsmarktesundderWirtschaftausge-richtet.DaderAufenthaltnurtemporärseinsollte,wurdendieseMenschenkurzerhandals„Gastarbeiter“bezeichnet.DasdeutscheWirtschaftswunderhätteinden1950erund1960erJahrenohnedieAnwerbungvonAr-beitsmigrantInnennichtsolcheAusmaßeanWohlstandproduzierenkönnen.DieBeschäftigungderArbeitsmigrantInnenerfolgtezueinemGroßteilinderIndustrieunddortinjenenBranchen,indenenderArbeitskräftemangelamhöchstenunddasSozialprestigedieserTätigkeitamniedrigstenwar.NichtnurdasWirtschaftswachstum,auchdieausländischeWohnbevölkerungnahminden1960erJahrenaufgrunddeseinsetzendenFamiliennachzugszu.Lebtenindenfrühen1950erJahrennurcircaeinehalbeMillionenMenschenmitausländischerStaatsangehörigkeitinDeutschland,sostei-gertesichdieseZahlimJahr1970aufüber3Millionen.DamitwardieBRDdasLandmitdergrößtenausländischenBevölkerung
14 JUGEND OHNE CHANCE?
inWesteuropa(Bade2000:302).1973er-reichtedieZahlderausländischenArbeitneh-merInnen–zurselbenZeitwieinÖsterreich–mitrund2,6MillioneneinenvorläufigenHöhepunkt(Reißlandt2005).InderZeitzwischen1954und2000warDeutschlandfürüber30MillionenMenschenMigrationsziel.IndiesemZeitraumbetrugdieNettozuwanderungfastsiebenMillionenPer-sonen(Münz/Ulrich2000:23-25).DieZahlderArbeitsmigrantInnenkurzvorderÖlkrise1973wurdeinderspäterenGeschichtederBRDniemehrerreicht.
Vierte Phase: Anwerbestopp und Konsolidierung der ausländischen Wohnbevölkerung 1973-1989
DieersteÖlkriseunddasabflauendeWirtschaftswachstumführtenauchimDeutschlanddesJahres1973dazu,dassdieBundesregierungeinen„Anwerbestopp“vonausländischenArbeitskräftenerließ.DiestaatlichintendierteundorganisierteArbeits-migrationwardamitvorübergehendbeendet.IneinigenBundesländernwiez.B.Bayern,Nordrhein-WestfalenoderHessenwurdeso-gareineZuzugssperrefür„überlasteteSied-lungsgebiete“erlassen(Reißlandt2005).DieMigrationspolitikderBRDinden1970erund1980erJahrenorientiertesichandreiLeitlinien:ErstenseineBegrenzungdesZuzugsvonMigrantInnenvonaußerhalbderEU(damalsnochEG),zweitenseineansatz-weisesozialeIntegrationvoninDeutschlandlebendenAusländerInnenunddrittenseineSchaffungvon„Anreizen“fürdieRückkehrvonMigrantInneninihreHerkunftsländer.DiezuletzterwähnteMaßnahmebasierteaufeinemimJahr1983inKraftgetretenen„Ge-setzzurFörderungderRückkehrbereitschaft
vonAusländern“.DiehohenErwartungenderCDU/CSU/FDP-Koalitionwurdenabernichterfüllt,nurrund250.000MigrantInnenverlie-ßenDeutschland(Santel/Weber2000:113).Bereits1979konkretisiertederersteAus-länderbeauftragtederdeutschenBundes-regierung,HeinzKühn,ineinemnachihmbenanntenMemorandumdieForderungnacheinerinsichkonsequentenIntegrationspolitikunddamitdieAnerkennungDeutschlandsalsEinwanderungsland.AußerdemwurdeauchdieMöglichkeitpolitischerPartizipationfürMigrantInnenwiedaskommunaleWahlrechtundeinAbgehenvombisherigenVergabe-prinzipderStaatsbürgerschafteingefordert(Reißlandt2005).
15GESCHICHTE DER MIGRATION
Migration in Deutschland von 1989 bis heute
Fünfte Phase: (Binnen) Migration zwischen Ost- und Westdeutschland – Zuzug von (Spät-)AussiedlerInnen – Begrenzung der Zuwanderung 1989 – 2000
DerFalldesEisernenVorhangsunddamitdasEndederBlockkonfrontationhattefürDeutschlandalsgeteiltesLandeinebeson-dereSymbolkraft.DerWiedervereinigungimJahr1990folgteeineenormeBinnenmigra-tionvonOstnachWest.EineBesonderheitinderdeutschenMigra-tionsgeschichteistdieAufnahmevonAussiedlerInnen(nach1992Spätaussiedler-Innengenannt).AlsAussiederlInnenwerdenPersonenbezeichnet,dieselbstoderderenElternnachdemEndedesZweitenWelt-kriegesausdenGebietenöstlichderGrenzezwischenderBRD/DDRundPolensowiederTschechoslowakei(Oder/Neiße-Linie)vertrie-benwurden.DerdurchdasBundesgesetzzurAufnahmevonDeutschennachdemBundesvertrie-benengesetz(BVFG)gesetzlichgeregelteZuzugbetrugbisindiefrühen1980erJahredurchschnittlich30.000PersonenimJahr.MitdemEndederBlockkonfrontationer-reichtedieZuwanderung1989und1990eineAnzahlvonfast400.000Spätaussied-lerInnenjährlich.DiemeistenkamenausdenStaatenderehemaligenSowjetunion,PolenundRumänien.Inden1990erJahrenreagiertederGesetzgeberaufdiegroßenMigrationsbewegungenundschränktedenZuzugdieserPersonengruppeein.ImJahr2000wurdeeineKontingentierungvon100.000Personenjährlicherlassen
(MigrationsberichtimAuftragderBundesre-gierung2004:26-28).
Sechste Phase: Neues Staatsangehörig-keitsgesetz und Schritte zu einer aktiven Migrationspolitik seit 2000
WohlauchmiteinGrundfürdiekonstantbleibendeZahlvonAusländerInneninDeutschland–nebenderrestriktiverge-handhabtenEinwanderung–wardasbiszurReformunterder1998neugewähltenrot-grünenBundesregierunggeltendeStaats-angehörigkeitsgesetz.Dasbisdahinange-wandte„Abstammungsprinzip“(ius sanguinis)stammtenochausderZeitdesWilhelmi-nischenKaiserreiches.NebendemschonlängstfälligenBekenntnis,dassDeutschlandeinEinwanderungslandsei,wurdeauchdieEinbürgerungvonMigrantInnenderersten
16 JUGEND OHNE CHANCE?
undzweitenGenerationdurchdieReformdurchRot-Grünerleichtert(Santel/Weber2000:125ff.).DieZahlderausländischenWohnbevöl-kerungbliebindenJahren1995bis2005konstantbeica.7,3MillionenPersonen.DerAnteilanEU-BürgerInnenliegtbeirundeinemViertel(StatistischesJahrbuch2006:28).RegionaleUnterschiedesindvorallemzwischenOstundWestzuerkennen.Wäh-rendBayern,Baden-Württemberg,Bremen,Hessen,Hamburg,BerlinundNordrhein-WestfaleneinenAnteilvonüber10%anMenschenmitnicht-deutscherStaatsangehö-rigkeitaufweisen,liegtdieserinden„neuen“Bundesländernsignifikantniedriger.InBrandenburglebenzumBeispielnur67.000AusländerInnenbeieinerGesamteinwohner-Innenzahlvon2,6Millionen–dasentspricht
2,5%(StatistischesJahrbuch2006:29).Inte-ressantistdiesdeshalb,davorallemindenneuenBundesländernrechtsextremeundneonazistischeParteien,dieoffenrassistischundausländerfeindlichauftreten,beiWahlenreüssierenkönnen–obwohlderAnteilvonAusländerInnenindiesenBundesländernmarginalist.UnterdenMigrantInnen,dieheuteinDeutschlandleben,stellendieDeutsch-landtürkInnenmitrund2,1Millionen(davon700.000Eingebürgerte)diegrößteGruppe(Quelle:TürkischeGemeindeDeutschland).ÜberraschendanzweiterStelle–wohleineSpätfolgedesersten„Gastarbeiter-Abkom-mens“–sindItalienerInnenmitrund550.000Personen(8%),diedrittgrößteGruppesindBürgerInnenausdenNachfolgestaatendesehemaligenJugoslawiensmitcirca500.000
1�GESCHICHTE DER MIGRATION
Personen(7,5%)(StatistischesJahrbuch2006:48).ImJahre2000besaßenzweiMillionenderinsgesamt23MillionenunselbständigBe-schäftigteneineausländischeStaatsange-hörigkeit.Aktuellsindesknapp1,7Millionenbeirund20Millionensozialversicherungs-pflichtigenArbeitnehmerInnen.Zuberück-sichtigensindindiesenStatistikendiehoheArbeitslosigkeit,vonderMigrantInnenstärkerbetroffensind,sowiediestaatlicheForcie-rungderneuenSelbständigkeit(Ich-AG’s)(StatistischesJahrbuch2006:91-92).
Migration in Schweinfurt
Schweinfurtistmit54.000EinwohnerInnendiedrittgrößteStadtimbayerischenBezirkUnterfranken.RundeinViertelderBevöl-kerungsindZugewanderteausüber100verschiedenenNationen.DiegrößteGruppebildendieSpätaussiedlerInnenmitrund6.400Personen,dienachdemEndedesOst-West-KonfliktsausdenLänderndesehemaligenkommunistischen„Ostblocks“nachDeutschlandkamen.DiezweitgrößteGruppebildenPersonenmittürkischerHerkunft.AbsolutgesehensindjedochdieinzweiKasernenstationiertenUS-ameri-kanischenSoldatenmitihrenAngehörigen(5.500Soldatenund7.000Angehörige)diegrößteGruppemitnicht-deutscherStaatsbür-gerschaft.DieStadtSchweinfurtzähltdieseaberinihrenStatistikennichtzurWohnbe-völkerung.SchweinfurtverdanktseinenwirtschaftlichenAufstiegundheutigenWohlstandderIn-dustrie.DieStadtistnebenWürzburgdasbedeutendsteHandels-,Industrie-undSchul-zentruminUnterfranken.AufgrundseinerhohenIndustrialisierungwarSchweinfurt
imZweitenWeltkriegsehrstarkvonZerstö-rungenbetroffen.NachdemWiederaufbauunddem„Wirtschaftswunder“inden1950erund1960erJahrenfolgteindieserZeitdieAnwerbungvonArbeitsmigrantInnenausdenMittelmeerländern.DieWirtschaftskriseinden1980erJahren,dievorallemdieerzeu-gendeIndustriebesondersstarkerfasste,ließdieArbeitslosenrateaufüber20%an-steigen.ImJahr2006hatsiesichaufknappüber10%eingependelt.HeutesindvorallemmittelständischeIndustrieunternehmeninSchweinfurtangesiedelt.DieAusnahmebil-dendreiinternationaleUnternehmen(ZFSachsAG,SvenskaKugellagerfabrikundFAGKugelfischer).AnhandeinerBetrachtungdereinzelnenStadtteilelässtsicheineSegregationimBereichWohnenzwischeneinheimischerundzugewanderterBevölkerungerkennen.DerStadtteil„Bergl“entstandzwischen1950undden1960erJahrenundsolltealsWohn-siedlungfürinderIndustriebeschäftigteArbeiterInnenundAngestelltedienen.IndenzahlreichenWerkswohnungenleben9.500Personen,wobeiderMigrantInnenanteilbeirund20%liegt,großteilstürkischerHerkunft.„Deutschhof“wurdealseineeigenekleineStadtfür25.000Personengeplant.DieserStadtteilhatdenhöchstenAnteilanSpätaus-siedlerInnen.ZumVergleich:DerStadtteil„Eselshöhe“,wodasgehobeneBürgertumwohnt,hateinenfastzuvernachlässigendenAusländerInnenanteilvon3%.AufgrunddesBestehensvonAufnahmeein-richtungenundÜbergangswohnheimenfürSpätaussiedlerInnenhatSchweinfurteinensignifikanthöherenAnteilanSpätaussied-lerInnenalsandereStädteinderBundes-republik.
18 JUGEND OHNE CHANCE?
Frankreich
Migration in Frankreich von 1945 – 1989
DiekolonialeVergangenheitderfran-zösischenRepubliklässteinendirektenVergleichmitDeutschlandundÖsterreichnichtzu.WährendinDeutschlandab1955,inÖsterreichseitden1960erJahreneineorganisierteAnwerbungvon(Arbeits-)Migran-tInnenerfolgte,undsichdamitdieZusam-mensetzungderBevölkerungerstlangsaminRichtungPluralismusundMultikulturalitätveränderte,kannFrankreichaufeinelange–zuwesentlichenTeilennicht-europäische–TraditionderEinwanderungzurückblicken.DiestatistischeErfassungderHerkunftvonPersonenhatinFrankreichaufgrundderstriktenAuslegungdesrepublikanischenPrinzipsderGleichheitallerBürgerInnenunddemIusSolikeinengroßenStellenwertundwirdimGegensatzzuDeutschlandundÖsterreichnichtindieserWeisepraktiziert.DeshalbsindAussagenüberdieGrößederunterschiedlichenMigrantInnengruppeninFrankreichsehrschwierig.
Demographische Probleme und Arbeitskräfteknappheit: Die ersten Anwerbeabkommen und der Versuch einer organisierten Einwanderungs- politik 1945 – 1956
NachdemEndedesZweitenWeltkriegsstandFrankreichvorzweiwesentlichenProblemen:ErstenshattederHitlerscheVernichtungskriegeineBevölkerungslückehinterlassenundzweitensgabes–alsdirekteKonsequenz–vielzuwenigArbeits-kräfte.
DeGaullesAnsätzeinderEinwanderungs-politikorientiertensichaneiner„ethnischenundselektiven“Migration,dietatsächlichrestriktivundrassistischwarundineinerge-wissen–personellenundideologischen–KontinuitätzumfaschistischenVichy-Regimestand.MitderGründungeinesnationalenEin-wanderungsbüros1945(OfficeNationald’Immigration,ONI;heute:OMI,OfficedesMigrationsInternationales)begannFrankreichschonsehrfrüh,ausländischeArbeitskräfteinsLandzuholen.BevorzugtwurdendabeiMigrantInnenausSüdeuropa,wassichimerstenAnwerbe-AbkommenmitItalien1947,achtJahrevordemdeutsch-italienischenAbkommen,niederschlug.DiebeiderseitigenErwartungenwurdennichterfüllt,stattderjährlicherwarteten70.000kamenwenigerals40.000ItalienerInnennachFrankreich.Indenfrühen1950erJah-renentwickeltensichSpanienundPortugalzuwichtigeninnereuropäischen„Entsende-ländern“vonArbeitsmigrantInnennachFrank-reich.DazukamenderMaghrebunddiesubsaharischenStaaten.DiedurchgroßenVerwaltungsaufwandundStaatsdirigismusgekennzeichneteAnwerbungvonArbeits-kräftenkonnteaberdenBedarfnichtdecken,soentwickeltesicheineaufdemlaissez-faire-PrinzipberuhendeinformelleArbeits-migration,dieesUnternehmenermöglichte,RekrutierungennachberuflicherSelektionundökonomistischenKriteriendurchzusetzen(D’Amato2001:142-146).
1�GESCHICHTE DER MIGRATION
Das langsame Ende des kolonialen Frankreich, informelle Migration und ein neuer Versuch organisierter Einwan-derungspolitik 1956 – 1965 bzw. 1973
DieFreizügigkeitgegenüberalgerischenMigrantInnenundderenPrivilegien,1947erlassen,endetenmitdemAusbruchdesAl-gerienkriegs1956.DieUmsiedlungvonübereinerMillionenAlgerien-Franzosen(„piedsnoirs“)nachdemFriedenvonEvian1963zwischenderfranzösischenRepublikundderAlgerischenNationalenBefreiungsarmee(FLN)wareinerderAnfängeeinerzuneh-mendenMarginalisierungderImmigrant-Innengruppen.DerschrittweiseZerfalldesfranzösischenKolonialreicheserhöhtedenMigrationsdruckaufdasfranzösische„Mut-terland“.UnterdiesemEindruckentwickeltesichinGroßbritannienundinFrankreichEndeder1960erJahreeinrassistischunter-fütterterDiskursüberEinwanderung,dermitdemBegriffdes„Eurorassismus“beschrie-benwerdenkann(Bade2000:308-310).ImJahre1965beganndiefranzösischeRegierung,ArbeiterInnenausderTürkeiundJugoslawienanzuwerben.ZudiesemZeitpunktwardiebisherigeEinwanderungs-politikunterdemEinflussdesstattlichenONIbereitsgescheitert.1966wurdenurmehreinFünftelderArbeitsmigrantInnenlegalüberdasnationaleEinwanderungsbüroangewor-ben.Dierestlichen80%derausländischenArbeitskräftekamenüberinformelleKontaktenachFrankreich.DamiteinhergehendkameszurmassivenVerschlechterungdersozia-lenBedingungenbishinzurVerelendungeinergroßenZahlvonArbeitsmigrantInnen.AufgrundihresirregulärenAufenthaltssta-tuswarensieOpfervonAusbeutung:sieerhieltenungesetzlichniedrigeLöhne,arbei-
tetenundlebtenindesolatenArbeits-undWohnbedingungen.Endeder1960erJahreversuchtediefranzö-sischeRegierungwiedermehrEinflussaufdieMigrationspolitikzugewinnen,unddasbis-herigelaissez-faire-Prinzipzurückzudrängen.ErsteSchritteindieseRichtungwarendieVerabschiedungeinesGesetzes,dasArbeits-migrantInneninBetriebendiegleichenRechtewiefranzösischenBürgerInnengewährte,so-wieweiteresozialpolitischeMaßnahmen,dieaberoftmalsunkoordiniertundfragmentiertblieben(D’Amato2001:147-149).
Anwerbestopp und steigender Rassismus 1974 – 1981
DerAmtsantrittdesliberal-konservativenPrä-sidentenGiscardd’EstaingfielzusammenmiteinerderschwerstenwirtschaftlichenKrisenimNachkriegseuropa.WieinDeutschlandundÖsterreichwurdeauchinFrankreichimJuli1974einsogenannter„Anwerbestopp“verkündet.DamitendetenfürFrankreichauchdiedreiDekadenumfassendensogenannten„TrenteGlorieuses“(glorreichenDreißig),dieseit1945sowohlvonstaat-lichorganisierteralsauchvoninformellerArbeitsmigrationundImmigrationgeprägtwar(IMIS-Beiträge1999:46).WieinallenanderenwesteuropäischenIndustriestaatentrugenArbeitsmigrantInnenwesentlichzumWohlstandderfranzösischenGesellschaftbei.EinesolcherartpositivbesetzteThemati-sierungerschienzuBeginnder1970erJahrejedochnichtopportun.UnterdemSchlagwort„IntegrationvorNeu-zuzug“wurdeEinwanderunginFrankreichaufFamiliennachzugbeschränktundnachdeutschemVorbildfinanzielleAnreizefürdieRückkehrangeboten.Weiterführende
20 JUGEND OHNE CHANCE?
Bildungsprogrammewurdenzwarangedacht,abernichtrealisiert.DiestrukturelleKrisebe-günstigteauchextremepolitischePositionen,wiedieerstePräsidentschaftskandidaturJean-MarieLePensvonderrechtsextremenFrontNational(FN)imJahr1974zeigte.AufderanderenSeiteartikuliertenMigrant-Innenindenspäten1970erJahrenerstmalsihrenUnmutundtratenalspolitischeAkteur-InneninErscheinung.DamitentstandaucheineinnerfranzösischeDebatte,obdasrepublikanischePrinzipderAssimilationundEinbürgerungdasgeeignetsteMittelsei,umderethnischenundkulturellenHeterogenitätderRepublikzubegegnen(D’Amato2001:150-152).TrotzderrestriktivenMaßnahmenstiegderAnteilderausländischenWohnbe-völkerunginFrankreichzwischen1970und1982von2,6aufcirca3,7MillionenPer-sonen,waseinemAnteilvonrund7%anderGesamtbevölkerungentsprach(Bade2000:302-303).ZuBeginnder1980erJahrestelltenPortu-giesInnenzusammenmitAlgerierInnenundMarokkanerInnendiegrößtenMigrantInnen-gruppendar.MehralsdieHälftederauslän-dischenArbeitskräftekamauseinemdieserdreiStaaten.
Sozialistische Migrations- und Integrationspolitik unter Präsident Mitterand 1981 – 1989 (1993)
DieersteneineinhalbJahredersozialis-tischenRegierungsmehrheitbrachtenwe-sentlicheVerbesserungenfürMigrantInneninFrankreich.SpeziellesozialpolitischeMaß-nahmenwurdenfürbesondersbenachteiligteWohnviertelangedacht,wiezumBeispieldasZEP-Programm(Zoned’educationpriori-taire),dasvorallemdieprekäreSituationan
Schulenverbessernsollte.MitterandwardererstePräsident,dernichtdievollständige(kulturelle)AssimilationderMigrantInnenforderte,sondernihnendieMöglichkeiter-öffnete,beideszusein:Franzose/FranzösinundmitdenTraditionendesHerkunftslandesverbundenzubleiben.AußerdemwurdendiePartizipationsmöglichkeitenfürMigrantInnenweiterausgebaut;nebendemErhaltdesaktivenundpassivenWahlrechtsfürbe-trieblicheInteressenvertretungenwarennunAusländerInnenhinsichtlicheinergewerk-schaftlichenBetätigungihrenfranzösischenKollegInnengleichgestellt.AuchdieVereins-freiheitwurdefürausländischePersoneneingeführt,waszueinerGründungswellevonunzähligenVereinenführte.Dochschon1982endetendieReformversucheMitte-randsunddamitaucheinehumanereundliberalereMigrationspolitik(D’Amato2001:152-155).
MitdemErstarkendesFrontNationalundeinerVerschärfungdesöffentlichenMei-nungsklimasverschlechtertesichdieLagefürMigrantInnen.AusländerInnen,derenEinreisenichtdokumentiertwarunddiesichdemGesetznach„illegal“inFrankreichauf-hielten,wurdensystematischausgewiesen.WährenddererstenKohabitation(PräsidentundRegierungsmitgliedergehörennichtder-selbenParteian)Mitterandsmitdemgaul-listischenPremierJaquesChiraczwischen1986und1988wurdendieErrungenschaftendererstensozialistischenRegierungsjahreimBereichderMigrations-undIntegrationspo-litikteilweiserückgängiggemacht(D’Amato2001:155-157).
21GESCHICHTE DER MIGRATION
Migration in Frankreich von 1989 bis heute
ImGegensatzzuÖsterreichundvorallemzuDeutschlandmarkiertedasWendejahr1989inFrankreichkeinesoeinschneidendeZäsur.Diefrühen1990erJahrenwarenge-prägtvoneinerVerschärfungderPolitikge-genüberMigrantInnen,aufeinrestriktiveresAsylrechtfolgteeineingeschränkterZugangzurStaatsbürgerschaft.MitdemInkrafttretendesSchengenerAbkommenszumAbbauderinnereuropäischenGrenzkontrollengingeineerschwerteEinreisevonNicht-EU-Bür-gerInnen,sogenannten„Drittstaatsange-hörigen“,indieEU-Mitgliedsstaateneinher.DieÖffnungderGrenzennachinnenführtegleichzeitigzueinemVerstärkenderEU-Au-ßengrenzen(„FestungEuropa“).Allgemeinkanngesagtwerden,dassdieserThemenbe-reichnunmehrGegenstandsicherheits-undinnenpolitischerDebattenwurdeundnichtmehr–wieimeigentlichenSinnevonInte-grationalsQuerschnittsaufgabe–alsBereich
fürsozial-,bildungs-undarbeitsmarktpoli-tischeAufgaben.FastdieHälftederderzeitinFrankreichlebenden3,6MillionenAusländerInnenstam-menauseuropäischenbzw.afrikanischenStaaten(45%bzw.40%).MenschenausehemaligenKolonienhabenerleichtertenZu-gangzurfranzösischenStaatsbürgerschaft.DiebeidenRegionenmitdemhöchstenAnteilanAusländerInnensindIle-de-FranceundRhône-Alpes(Quelle:http://www.frank-reich-experte.de).DiegrößtenMigrantInnen-gruppenbildetenzurJahrtausendwendePortugiesenInnenundMarokkanerInnenmitjeweilsüber500.000Personen,gefolgtvonalgerisch-unditalienischstämmigenMigrantInnenmit480.000bzw.200.000Per-sonen(Quelle:ADICE–AssociationpourleDéveloppementdesInitiativesCitoyennesetEuropéennes).DerprestigeträchtigeErfolgder„equipétrico-lore“beiderFußball-Heim-WMinFrankreichimJahr1998wurdevonderÖffentlichkeitaufgrunddermultikulturellenZusammenset-zungderMannschaftalsgroßerTriumphdesfranzösischenIntegrationsmodellsgepriesen.TatsächlichaberüberdecktedasTeamrundumZinedineZidane,SohnalgerischerImmi-grantInnen,nurfürkurzeZeitdieProbleme,denensichjungeMigrantInnenindenherun-tergekommenVorstädten,denBanlieues,ausgesetztsahen.Schoninden1990erJahrenführtendieprekärenZustände(hoheArbeitslosigkeit,desolaterWohnraum,feh-lendeBildungs-undSozialbetreuung,hoheKriminalität)indenVorortsiedlungendergroßenStädtezumehrtägigen,gewalttätigenUnruhenindenBanlieues.NacherneutenUnruhenimHerbst2005erklärtenvieleKommentatorInnenundBe-obachterInnendas„französischeModell“
22 JUGEND OHNE CHANCE?
fürgescheitert.DeiurehabenJugendlichemitMigrationshintergrundinFrankreichaufgrunddesegalitären,republikanischenPrinzipsdieselbenChancenwieihreeinhei-mischenAltersgenossInnen.DefactogibtesabereineeklatanteDiskrepanzhinsichtlichderStartbedingungen.Dasgenuinfranzö-sischePrinzipderGleichheitlässteine„affir-mativeaction“,einepositiveDiskriminierungvonbenachteiligtenBevölkerungsgruppenzurHerstellungeinerechtenChancengleich-heit,nichtzu.UngleichheitenundDiskrimi-nierungen(undnatürlichauchrassistischeVorurteile),diedenZugangzumArbeitsmarktundzuverschiedenenöffentlichenDiens-tenverhindern,könnendurchdiefehlendeErfassunginStatistikennichterkannt,unddadurchnichtbekämpftwerden.
Migration in Mantes la Jolie
FrankreichsWirtschaftsboomforderteinden1950erund1960erJahrengenausowieindenanderenVolkswirtschaftenWest-europasimmermehrArbeitskräfte,dadaseinheimischeArbeitskräftepotenzialimIn-dustriebereicherschöpftwar.VorallemdieexpandierendeAutoindustriewarArbeitgeberfürMigrantInnenausdemMaghrebunddemSenegal,diesichindenBanlieuesansie-delten.DiefranzösischeRegierungstarteteunterdemMotto„ImGrünenlebenundarbei-ten“indieserZeiteinegroßeStädtebauiniti-ative,diedenArbeiterInnenundAngestelltenderboomendenWirtschaftsbranchenneuenPlatzzumLebenundWohnenbietensollte.ManteslaJolie,circa60Kilometernord-westlichvonParis,hatrund50.000Einwoh-nerInnen.DieStadtistindreivoneinanderabgegrenzteStadtteilegegliedert:deralteStadtkern,dessenBestehenbisindasMit-
telalterzurückreicht,einkleinbürgerlicherStadtteilmitEinfamilienhäusernunddiePlat-ten-undWohnbausiedlungValFoureé,einesogenannteBanlieue.Inletzteremwohnen25.000Menschen,derMigrantInnenanteilliegtbeiüber90%.ValFoureéisteinBeispieleinerimLaufederZeitgescheitertenWohn-undAn-siedlungspolitik.Indenwirtschaftlicher-folgreichen1960erJahrenalsmodernesAussiedlungsprojektfürsozialbenachteiligteBevölkerungsteileausdenPariserSlumge-bietengeplantundgebaut,verändertedieWirtschaftskrisezuBeginnder1970eJahredieZusammensetzungdesStadtteilsradi-kal.Werkonnte–diegutverdienende,meisteinheimischeMittelschicht–zogweg.Werblieb–verarmteBewohnerInnenzumGroß-teilmitMigrationshintergrund–hattemeistkeineandereWahlundvorallemkeineAr-beit.DasLebenundWohneninValFoureéwurdezursozialenSackgasse.EinDrittel
derEinwohnerInnensindheutearbeitslos;indenfrühen1990erJahrengabesaufgrundhoherArbeitslosigkeit,derzusammenmitanderenFaktorendensozialenSprengstoffanstiegenließ,UnruhenindiesemStadt-
viertel.ImGegensatzzudenübrigenBan-lieuesbliebesaberwährendderUnruhenimOktober2005inValFoureéruhig–danklangjährigerengagierterundvorbeugenderSozialarbeit.
Bibliographie
Bade,Klaus:Europa in Bewegung.Migra-tionvomspäten18.JahrhundertbiszurGe-genwart.München2000Bade,KlausJ./Münz,Rainer:Migrationsre-port 2000.Fakten–Analysen–Perspekti-ven.Frankfurt2000Bauböck,Rainer:„Nach Rasse und Spra-che verschieden“.MigrationspolitikinÖster-reichvonderMonarchiebisheute.IHSReihePolitikwissenschaftNr.31/1996D’Amato,Gianni:Vom Ausländer zum Bür-ger.DerStreitumdiepolitischeIntegrationvonEinwandererninDeutschland,Frank-reichundderSchweiz.Münster2001Fassmann,Heinz/Münz,Rainer:Einwande-rungsland Österreich?HistorischeMigra-tionsmuster,aktuelleTrendsundpolitischeMaßnahmen.Wien1995Gächter,August: Im Laufe der Zeit.In:GAMS–Gleichbehandlungs-undAntidskriminie-rungs-Materialien-Sammlung.Wien2005VorstanddesInstitutsfürMigrationsfor-schungundInterkulturelleStudien(IMIS)derUniversitätOsnabrück:Post-1945 Migration to France.In:IMISBeiträge13/1999Migra-tionandSocialChangeinAustralia,FranceandGermany.S.43–74.IOM:Der Einfluss von Immigration auf die österreichische Gesellschaft.Wien2004
Migrationsbericht 2004imAuftragderBundesregierung.BerichtdesSachverstän-digenratesfürZuwanderungundIntegrationimAuftragderBundesregierunginZusam-menarbeitmitdemeuropäischenforumfürmigrationsstudien(efms)anderUniversitätBamberg.BundesministeriumdesInnern.Ak-tualisierteAusgabeNovember2004Münz,Rainer/Ulrich,RalfE.:Migration und zukünftige Bevölkerungsentwicklung in Deutschland.In:Bade,KlausJ./Münz,Rai-ner:Migrationsreport2000.Fakten–Analy-sen–Perspektiven.Frankfurt2000.S.23–58Parnreiter,Christof:MigrationundArbeitstei-lung.AusländerInnenbeschäftigung in der Weltwirtschaftskrise.Wien1994Reißlandt,Carolin:Dossier zum Thema Migration in Deutschland.BundeszentralefürPolitischeBildung2005.URL:http://www.bpb.de/themen/T0P083,0,0,Migration_und_Integration_in_Deutschland.html(abgefragtam15.06.2007)Santel,Bernhard/WeberAlbrecht:Migra-tions- und Ausländerrecht in Deutschland.In:Bade,KlausJ./Münz,Rainer:Migrations-report2000.Fakten–Analysen–Perspekti-ven.Frankfurt2000.S.109–140
23GESCHICHTE DER MIGRATION
24 JUGEND OHNE CHANCE?
I. Soziokulturelle Umgebungen und Identitäten
ÖsterreichsJugendlichemitMigrationshinter-grundsindvorallemKinderder„Gastarbeite-rInnen“ausderTürkeiunddenStaatendesfrüherenJugoslawien.ErstindenletztenJah-renkameszueinemvermehrtenZuzugvonEU-BürgerInnen,derenKindersichnuneben-fallsindieösterreichischeGesellschaftzuintegrierenbeginnen.UnterdenJugendlichen,derenFamilienausderTürkeioderdemehe-maligenJugoslawienstammen,lassensichzweiwesentlicheGruppenunterscheiden.Zumeinensindes14–bis17-Jährige,diemeistensinÖsterreichgeborenundaufge-wachsenundinihrenWeltanschauungenmehrheitlichvonderwestlichenJugendkulturgeprägtsind.SiemüssenmitdemzeitweiseschwierigenBrückenschlagzwischenderösterreichischenLebensweiseunddervondenElternvermittelten(Herkunfts-)Kulturzu-rechtkommen.ZusätzlichsindvielevonihnenohneAusbildungsplatzoderarbeitslos.NurwenigeschlageneinenhöherenBildungswegein.AusderGruppeder18-bis25-JährigensindvielenochimHeimatlandihrerElterngeborenundzumTeilauchaufgewachsen.IndiesemSinnkannmanvonihneneigentlichalsjungenMigrantInnensprechen.Esistnaheliegend,dasssiedemHeimatlandihrerFami-
lieemotionellundkulturellnäherstehenalsdieAltersgruppeder14-bis17-Jährigen.VielehabenbereitsselbstKinder,weshalbjungeFrauenoftdietraditionelleHausfrauen-undMutterrolleübernehmen.DadurchbleibensievonweitererAusbildungunddemArbeitsmarktausgeschlossen.DievondenJugendlichenamhäufigstengewähltenBerufesindBus-oderLKW-Fahrer,Koch/KöchinoderReini-gungskraft.StelltmandieFrage,wosichdieJugend-lichezuHausefühlen,korreliertdasGefühl
Soziokulturelle Profile Österreich – Deutschland – Frankreich
„Heimat bist du …“ Lebenssituationen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Österreich
25SOZIOKULTURELLE PROFILE
einerösterreichischenIdentitätmitFremd-heitserfahrungenundDoppelidentitäten.DieJugendlichenfühlensichgleichermaßeninÖsterreichwieimHerkunftslandihrerElternzuHause(Weiss,2005:11f.).LeiderlässtsichamsozialenUmfeldderJugendlichenmitMigrationshintergrundablesen,dassesmitderIntegrationindieösterreichischeGesellschaftnichtzumBestensteht.DiemeistenJugendlichenaustürkischenoderehemalsjugoslawischenFamilienhabenkaumoderkeineösterreichischenFreunde.AuchinderPartnerwahlbleibensieeherinnerhalbihrerethnischenGemeinschaft.DaaberPartnerschafteninnerhalbdereigenenethnischenGruppestärkerderKontrolledurchFamilieundVerwandtschaftunterlie-gen,könnensiesozialeIntegrationsprozesseverlangsamenoderverhindern.JugendlicheausMigrantInnenfamilienandererHerkunftsindinihrensozialenKontaktenaufgeschlos-sener(Weiss,2005:10f.).„Dort wo es keine Chancen auf leistungsbezogenen Aufstieg gibt, hat individuelle Anstrengung wenig Sinn und es kann zum Selbstschutz der Gruppe zu einer Widerstandskultur kommen.“(Her-zog-Punzenberger2006:75)DieGefahreinerRe-Ethnisierung–desRückzugsindieeigeneethnischeCommunityalsAntwortauffehlendeIntegrationsbereitschaftvonSeitenderautochthonenMehrheitsgesellschaft–könntediebishererreichten,fragilenIntegra-tionserfolgezumScheiternverurteilen.
II. Familiäre Hintergründe
DieFamilienstrukturenstützensichoftaufhierarchischeundteilssehrpatriarchaleMuster.DerVateralsOberhauptderFamiliearbeitetgroßteilsalsan-oderungelernterArbeitermehrals40StundenproWoche,
umfürdenUnterhaltderFamilieaufkom-menzukönnen.MeistensbehälterseineberuflichePositioninderMigrationbei,nurinseltenenFällenerlebtereinenberuflichenAufstieg,wasbisherteilsüberprofessionelleMängelerklärtoderganzeinfachfürselbst-verständlichgehaltenwurde.InseinerFrei-zeitbesuchtermeistbefreundeteFamilienoderkulturelleundpolitischeVereineoderCafes,diedenMännernvorbehaltensind.DieMutter,sofernsieberufstätigist,arbeitetmeistensinderTextilindustrieoderalsReini-gungskraft.IhreMobilitätisteingeschränkteralsdieihresEhemannesundbeschränktsichaufBesuchevonVerwandtenundFreun-dinnen.InÖsterreichsindgenerellGhettoi-sierungsphänomeneseltenerzufindenalszumBeispielinFrankreichoderDeutschland,wodurcheineallzustarkeräumlicheSegre-gationderBevölkerungsgruppenbisjetztvermiedenwurde.DieElternnehmensowohlaufdieAlters-gruppeder14-bis17-Jährigen,alsauchaufdieder18-bis25-Jährigen,dieoftbe-reitseineeigeneFamiliegegründethaben,großenEinfluss.IndiesemAlternochunver-heirateteMädchensindoftgänzlichvonihrenElternabhängig.ImAltervonungefähr14JahrenbeginntdiestrengeTeilungderGe-schlechter.AufMädchenwirdvonSeitenderElternmeistmehrsozialerDruckausgeübtalsaufihreBrüder.OftmalsstehenKinderundJugendlicheunterdemDruckhoher,unrealistischerBildungsansprücheihrerEltern,diedamitdeneigenenWunschnachsozialemAufstiegaufdienächsteGenerationprojizieren,derihnenalssogenannterersterGenerationmeistverwehrtblieb.
26 JUGEND OHNE CHANCE?
III. Bildung und Bildungsdefizite
TrotzderteilshohenErwartungenderElternschlageninÖsterreichnurwenigeJugendli-chemitMigrationshintergrundeinenhöherenBildungswegein.ZweiwesentlicheGründedafürliegeninderösterreichischenBildungs-politikundinderfrühenDifferenzierungin-nerhalbdesBildungssystems.DieösterreichischeBildungspolitikistnochimmervoneinerMigrationspolitikgeprägt,dieinMigrantInnennurtemporäreArbeitskräftesah,aberkeinezukünftigenBürgerInnen,derenKindereinmalindasösterreichischeSchulsystemaufgenommenwerdensollten.Dastrafzwarfürdie1960erundfrühen1970erJahrezu,hatsichmittlerweilejedochlängstalsüberholterwiesen(Biffl/Bock-Schappelwein2003:120).Während1981derAnteilderausländischenSchülerInnenÖs-terreichweitnur2,1%betrug,waren2002/03lautSchulstatistik9,5%derSchülerInneninÖsterreichausländischeStaatsbürgerInnen(bm:bwk2004).DieösterreichischeBildungs-
politikhatesverabsäumt,sichrechtzeitigaufdieneueSituationÖsterreichsalsEinwande-rungslandeinzustellen–einUnterlassung,derenKonsequenzennundieKinderderehemaligenGastarbeiterInnenzutragenhaben.KindervonMigrantInnen,dieinÖsterreichzudenunterstensozialenSchichtenzäh-len,sindinihrenAusbildungschancenauchdeshalbbesondersbenachteiligt,weildiefrüheundstarkeDifferenzierungdesösterrei-chischenBildungssystemsdazubeiträgt,so-zialeUngleichheitenbeizubehaltenundsogarnochzuverstärken.AlsdirekteKonsequenzprofitierennurwenigeKinderausMigrantIn-nenfamilienvomBildungsangebotderhöher-bildendenSchulen,überdurchschnittlichstarksindsiedagegeninHaupt-undSonderschu-lenvertreten.BesondersbedenklichistdersehrhoheAnteilvonMigrantInnenkinderninSonderschulen.DieAnzahltürkischstäm-migerSchülerInnenisthierdreimalsohochwiediederKindervonÖstereicherInnen,waseinenspäterenBerufseinstiegbedeutend
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erschwertundzusätzlicheQualifizierungs-förderungennotwendigmacht(Bauer2005:118).InsgesamtistdieZahlderJugendlichenmitMigrationshintergrundindenösterrei-chischenSonderschulenalarmierendgestie-gen.WarenesAnfangder1980erJahrenoch6,3%derGesamtschülerInnenzahl,sostiegihrAnteilbiszumEndeder1990erJahrebisauf23,1%(Biffl/Bock-Schappelwein2003:124).Generellistfestzustellen,dassderAnteilvonJugendlichenmitMigrationshintergrundmitAnsteigenderSchulstufesignifikantabnimmt.NochimmerwechselteinrelativgroßerTeilnachderneuntenSchulstufeauf-grundderfinanziellenLagederElternindieErwerbstätigkeit.Soweisen48%derJugend-lichenmitMigrationhintergrundalshöchstenBildungsabschlussdieHauptschuleund/oderdasandieHauptschuleanschließendePoly-technikumauf,währendimVergleichnur29%ihrerösterreichischstämmigenAlters-genossInnenandiesemPunktihreSchullauf-bahnbeenden(Weiss2005:2).WeitersunterscheidetsichderAusbildungsgradderJugendlichenstarknachderStaatsange-hörigkeitderEltern:16-jährigeJugendlicheausösterreichischenFamiliensindzu94,5%nochinAusbildungstehend,JugendlicheausFamilienausdenGebietendesehemaligenJugoslawienszu84,4%,JugendlicheausFamilientürkischerHerkunftdagegennurnochzu72%.VorallemderAnteildertür-kischstämmigenMädchendiesesAltersliegtnurnochbei66,8%–derdergleichaltrigenBurschenjedochbeimehrals75%.BeiMädchenmitMigrationshintergrundausdemehemaligenJugoslawienistkeinUnterschiedzuihrenmännlichenAltersgenossenfestzu-stellen(Bauer2005:118f.).DerRückzugdertürkischenMädchenundjungenFrauenaus
AusbildungundArbeitsmarktisteinPhäno-men,dasseitMitteder1990ervermehrtzubeobachtenist.Während1995noch24,5%dertürkischstämmigenMädchenimAlterzwischen15und24JahreneineSchulebe-suchten,warenes2002nurnoch21,8%.AlsKonsequenzwirdeingroßerTeilderFrauentürkischerHerkunftspätervonbesserbezahl-tenArbeitsplätzenundSozialleistungenaus-geschlossenbleiben(Biffl2004:45f.).TirolhinktmitdergeringstenAnzahlvonKindernausMigrantInnenfamilieninallge-meinbildendenhöherenSchulen(AHS)imbundesweitenVergleichdeutlichdenanderenBundesländernhinterher.Sindesösterrei-chweit11,6%(imVergleichbesuchen16,2%allerSchülerInnenmitDeutschalsErstspra-cheeineAHS,inTirol12,6%),sofallenTirolsmagere6,6%deutlichauf.EineähnlicheDifferenzistbeidenberufsbildendenSchulenzubeobachten:Österreichweitbesuchen26,9%derSchülerInnenmitDeutschalsErstspracheeineberufsbildendeSchule–inTirol26,7%JugendlichemitMigrationshin-tergrundfindensichandenberufsbildendenSchulenÖsterreichsnurzu16,7%undinTirolzu14,6%.WeitersistderAnteilderSchülerInnenmitMigrationshintergrundandenSonderschülerInneninTirolmehralsdoppeltsohochalsbeidenSchülerInnenmitDeutschalsErstspracheundliegtdamiterneutdeutlichüberdemösterreichischenDurchschnitt(Weiss2006:29f.).Auffallendistauch,dasssichinganzÖsterreichbisjetztnursehrwenigeSchülerInnenausFa-milienausderTürkeioderEx-JugoslawienzumBesucheinerlehrerbildendenSchuleentschlossenhaben.
28 JUGEND OHNE CHANCE?
IV. Jugendliche mit Migrationshinter-grund am Arbeitsmarkt
DieersteEinwandererInnengenerationstehtheutekurzvorderPensionierung,wasdieFrageaufwirft,werihreArbeitsplätzeüberneh-menwird.IhreKinder,besondersdiejungenFrauenverfügengenerellübermehrBildung,siebeherrschendieSpracheundstellenan-dereAnsprüchealsihreEltern.ObwohlsiestarkunterDiskriminierungzuleidenhaben,erfahrenKindervonGastarbeiterInnenimVergleichöftereinenberuflichenundsozialenAufstiegalsihreEltern.Von1.000befragtenJugendlicheninganzÖsterreichkonnten43%ihrberuflichesNiveauverbessern,44%verbliebeninderselbenPositionwieihreVä-ter,undnur13%erlebteneinenberuflichenAbstieg(Weiss2005:4).TrotzdembleibenihreAufstiegschancenimVergleichmitderautochthonenBevölkerunggering.DieDiskriminierungvonJugendlichenmitMigrationhintergrundamArbeitsmarktkannverschiedensteFormenannehmen.ImAus-landerworbeneAbschlüssewerdenseltenanerkannt,oftnichteinmalinErfahrunggebracht,qualifizierteArbeitskräftearbeitendeshalboftunterihremAusbildungsniveau.„Unerwünschte“AkzenteoderäußerlicheMerkmalelassendieJugendlichenbeiderArbeitssuchehäufigaufAblehnungstoßen.“Wesentlich sind aber auch die spezifisch nationalen Strukturen des Arbeitsmarktes. In Österreich ist hier etwa im Vergleich zu Deutschland ein höheres Maß an Verfesti-gung und geringer Durchlässigkeit zu beo-bachten. (…) Außerdem ist für Österreich charakteristisch, dass der größte Dienstgeber – der öffentliche Dienst – Drittstaatsangehö-rigen so gut wie verschlossen bleibt.“(Weiss,Alexandra2006:41)
DieBeschäftigungsfähigkeit–englisch„employability“–istindenletztenJahrenimgesamtemEU-RaumzueinemSchlagwortgeworden,jedochistnichtwirklichklar,wasausArbeitgeberInnensichtdarunterverstan-denwird.ImKontextderDiskriminierungvonJugendlichenausMigrantInnenfamilienamArbeitsmarktfälltesunwilligenArbeitgebe-rInnenleicht,diesenBegriffnachBeliebenzudehnen:SpracheundSprachbeherr-schungkannfürvielesstehen–auchfürunerwünschteAkzenteundRhetorik,„sozialeKompetenz“meintoft„Kultur“undkulturelleHerkunft,einzuoffensichtlichnicht-österrei-chischesErscheinungsbildpasstnichtimmerinsUnternehmenskonzept(Gächter,VortragInnsbruck,November2006).
Generellfälltauf,dasssichJugendlichjenachHerkunftaufbestimmteBranchenkon-zentrieren:KinderaustürkischenFamiliensindvoralleminderTextil-,Leder-undBe-kleidungsindustrie,derchemischenIndustrie,derNahrungsmittelerzeugungundimHandelbeschäftigt,JugendlichemitjugoslawischenHintergrundarbeitendagegenmehrheitlichinderChemieindustrie,derHolz-undPapie-rerzeugung,demBau-undVerkehrswesenunddemHandel.Oft„vererben“ElternihreBerufs-undBeschäftigungssituationanihreKinder.Erstseitden1990ernisteinleichtesAnsteigendersozialenMobilitätunterJugend-lichenausMigrantInnenfamilienzubemerken(Biffl2004:52).Jugendliche,derenFamilienausdemfrüherenJugoslawienstammen,sindwesentlichhäufigeralsandereJugendlichemitMigrationshintergrundvonArbeitslosigkeitbetroffen.AnzweiterStellerangierenJugend-lichemittürkischemHintergrund.2002waren7,5%aller15-bis24-JährigenderersterenGruppeohneArbeit,3,5%derletzteren(Biffl
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2004:50).InTirolistdieArbeitslosigkeitderJugendlichenmitMigrationshintergrundgene-relldoppeltsohochalsunterihrenAltersge-nossInnenösterreichischerHerkunft.
V. Ausbildung und Arbeitsmarktsituation als direkte Determinanten der sozialen Mobilität
DiegeringesozialeMobilitätvonJugendlichenmitMigrationshintergrundinÖsterreichistbedenklich.DieUrsachenliegenzumTeilimfrühenAusscheidenausdemBildungsweg,zumTeilinDiskriminierungundAblehnungamArbeitsmarkt.„Der Bildungsstand der Eltern spielt hier eine wesentliche Rolle und so wird wiederum deutlich, dass hier (auch) schichtspezifische Faktoren ausschlaggebend dafür sind, dass die soziale Positionierung von einer Generation an die nächste weitergege-ben wird bzw. die soziale Mobilität äußerst ge-ring ist.“(Weiss,Hilde2005:3f.).ÖsterreichsWeigerung,sichalsEinwanderungslandzu
definieren,latentoderoffenrassistischeEin-stellungenseitensderpolitischenHandlungs-trägerundderösterreichischenBevölkerung,sowieeinestarkeVerankerungdes„Gastar-beiterInnen-Modells“inderösterreichischenMentalitäterschwerenundverhindernlangfri-stigtiefgreifendeIntegrationserfolge,Zukunfts-perspektivenunddensozialenAufstiegindieösterreichischeMittelschicht.
Resümee
ImGegensatzzutraditionellenImmigrations-ländern,derenMigrantInnenvorwiegendausderenehemaligenKolonienstammen,sinddieösterreichischenJugendlichendersogenann-ten„zweiten“und„drittenGenerationen“vorallemKinderder„GastarbeiterInnen“,dievonÖsterreichabden1960ernmassivangewor-benwurden.Österreichweigertsichbisheute,sichoffiziellalsImmigrationslandanzuerken-nen.DashatauchnegativeKonsequenzenfürdieKinderderMigrantInnen,dievorallemvomösterreichischenBildungssystemnichtgenügendUnterstützungerhaltenbzw.vomEinstieginhöhereBildungsstufenabgehaltenwerden.AuchamArbeitsmarktwerdensiedis-kriminiertundausgeschlossen.AndersalsinDeutschlandbleibendieösterreichischenJu-gendlichenmitMigrationshintergrundeherun-tersich,auchdiePartnerInnenwerdenmeistinnerhalbdereigenenethnischenGruppegewählt.DieGefahreinerRe-Ethnisierungistgegeben.DiesozialeMobilitätistinÖsterreichallgemeinsehrgering,speziellimFallderJu-gendlichenmitMigrationshintergrundwirddieZugehörigkeitderElternzursozialenSchich-tenmeistandieKindervererbt.MaßnahmenzurVerbesserungdersozialenAufstiegschan-cendurchAusbildungundBerufsinddaherdringendnotwendig.
Literatur- und Filmtipps
LiteraturDinev,Dimitré:Ein Licht über dem Kopf.Erzählungen.Deuticke2005Knapp,Radek:Herrn Kukas Empfeh-lungen.Piper2003.
Film Das Arrangement.EinDokumentarfilmvonNatalieBorgers.A/F2004
Webnhttp://www.latzinator.comnhttp://www.join-in.at
Bibliographie
Bauer,Adelheid:Volkszählung 2001: Soziodemographische Determinanten der Bildungsbeteiligung.In:StatistischeNach-richten2/2005,S.108–120.Bauer,Johann:Bildungsgleichheit und Bil-dungsbenachteiligung im weiterführenden Schulsystem Österreichs.EineSekundär-analysederPisa-Erhebung2000.In:SWS-Rundschau45/1,2005,S.37–62.Biffl,Gudrun:Die Chancen von jugend-lichen Gastarbeiterkindern in Österreich.In:WISO27/2004,37–55.http://www.isw-linz.at/media/files/2_2004/LF_biffl_2_04.pdfabgerufenam1.10.2007Biffl,Gudrun/Bock-Schappelwein,Julia:Soziale Mobilität durch Bildung?–DasBildungsverhaltenvonMigrantInnen.In:Fassmann,Heinz/Stacher,Irene(Hg.):ÖsterreichischerMigrations-undIntegrations-bericht.DemographischeEntwicklungen–sozioökonomischeStrukturen–rechtliche
Rahmenbedingungen.Klagenfurt/Celoves2003,S.120–120.Herzog-Punzenberger,Barbara:Gesell-schaftliche Ein- und Ausschlussmecha-nismen am Beispiel der 2. Generation in Österreich.In:BundesministeriumfürJustiz(Hg.):StraftatenausländischerJugendlicherundjungerErwachsener.Jugendrichter-wocheGamlitz19.bis22.Oktober2004.SchriftenreihedesBundesministeriumsfürJustiz,Bd.120,Wien2004,S.61–80.Weiss,Alexandra: Bildungschancen von jugendlichen MigrantInnen in Tirol.ZwischenberichtimRahmendesModuls4desEqual-ProjektsJoinIn.InstitutfürSozio-logiederUniversitätInnsbruck,2006Weiss,Hilde:Die zweite Generation: Integrationswege – Integrationserfolge?In:Dossier04/2005(URL:www.ksoe.at/mitteinhalt-akt-dos-042005.htm.LetzteAbfrage:14.06.2007)
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Am1.Januar2000tratinDeutschlanddasneueStaatsangehörigkeitsrechtinKraft.EshandeltsichdabeiumeinenKompro-miss,nachdemdieursprünglicheIdeeeinerallgemeinzugelassenendoppeltenStaatsbürgerschaftalsKonsequenzeinerUnterschriftenaktionimFrühjahr1999fal-lengelassenwurde.StattdessenwurdeeinOptionsmodellvorgelegt,dasvorsieht,inDeutschlandgeboreneKindervonAuslände-rInnenautomatischdiedeutscheStaatsange-hörigkeitzuzuerkennen,wenneinElternteildieneuenEinbürgerungskriterienwiez.B.8-jährigerunbescholtenerAufenthalterfüllt.DerZustanddoppelterStaatsangehörigkeitwirdspätestensmitdem23.Lebensjahrbeendet:dannmusssichder/dieJugendlichefüreineStaatsbürgerschaftentscheiden.DasneueGesetzisteinhöchstumstrittenesModell,dessenrechtspolitischeHaltbarkeitnichtga-rantiertist(www.bpb.de).ImFolgendensollaufdieLebenssituationvonJugendlichenmitMigrationshintergrundinDeutschlandanhandderBeispieletür-kischstämmigerAdoleszentenundjugend-licherSpätaussiedlerInneneingegangenwerden.HeranwachsendeaustürkischenFa-milienstellenzahlenmäßigdiegrößteGruppevonJugendlichenmitMigrationshintergrundundvereineninihremsoziokulturellenProfilvieleCharakteristika,dieauchaufGleich-altrigemitanderemMigrationshintergrundzutreffen.JugendlicheSpätaussiedlerInnen,dieKinderderab1992nachDeutschlandimmigriertenSpätaussiedlerInnen,nehmenunterdenJugendlichenmitMigrationshin-
tergrundeinenSonderstatusein:einerseitsaufgrundihresrelativkurzenAufenthaltsinDeutschland,andererseitssindsieimGe-gensatzzuvielenanderenAltersgenossInnenimBesitzderdeutschenStaatsbürgerschaft.
I. East goes West and back – Jugendliche aus türkischen MigrantInnenfamilien
UnterdenMigrantInnen,dieheuteinDeutschlandleben,stellendieDeutsch-landtürkInnenmitrund2,1Millionen(davon700.000Eingebürgerte)diegrößteGruppe.EinesdergravierendstenProblemeistdiehoheArbeitslosenrate:jede/rfünfte/rAuslän-derInistohneArbeit,beidentürkischstäm-migenMigrantInnensogarjede/rvierte/r.SprachproblemevonSchülerInnenmitMigrationshintergrundwerdengernealsUrsachefürdengeringerenGradderSchul-bildungangeführt.AllerdingsentscheidetdieSchichtzugehörigkeitwesentlichüberdenspäterenAusbildungsgradderKinder.DieZugehörigkeitzubildungsfernenSchichtenliegtbeitürkischenElternbeica.70%,beiElterndeutscherHerkunftbeica.13%,wobeiProblemederSchichtzugehörigkeitdurchdieMigrationssituationunddiemeistensnichtvollständiggelungeneIntegrationderFami-liennochverstärktwird.TürkischeMigrant-InnennehmendieunterstenPositionenimBeschäftigungssystemein.DieFamiliensindoftaufdenDoppelverdienstbeiderEltern-teileangewiesen.DieArbeitsbelastungensindüberdurchschnittlichunddiezeitlicheBelastungdesFamilienlebensdurchSchicht-
„Des Glückes Unterpfand …“ Jugendliche mit Migrationshintergrund in Deutschland
32 JUGEND OHNE CHANCE?
arbeitundflexibleArbeitszeitenregelungimniedrigenDienstleistungsgewerbebesondershoch.HinzukommtdasFesthaltenanRück-kehrplänen,diemitbestimmtenSparzielenverknüpftsind.DieAnforderungendesArbeit-salltagesführenzueinerstarkenReduktiondesFamilienlebens.Eskannzueineremoti-onellenVernachlässigungderKinderundzueinerEntstrukturierungdesFamilienalltagskommen(Gaitanides2003:3).WeitersbescheinigtdiePisa-StudieDeutschlandsBildungssystemeinebeson-dersschlechteFörderungvonMigrantInnen-kindern.ZweiDritteldertürkischstämmigenJugendlichenhabenkeinenerweitertenHauptschulabschluss,nureinknappesDrittelabsolvierteineLehre–Tendenzrückläufig.Dagegenabsolvieren70%derJugendlichenmitdeutschemHintergrundeineAusbildung,nur20%habenkeinenSchulabschluss.SchulischschneidenunterdenJugendlichenmitMigrationshintergrundambestenJugendlichekroatischerHerkunftab,diesogarvorihrendeutschstämmigenAltersgenossInnenliegen.IhnenfolgenSchülerInnenmitspanischemundgrie-chischemHintergrund,nachihnenkommenSchülerInnenausFamilienausBosnien-Herzegowina.DietürkischstämmigenSchülerInnenliegennuranPlatzSechs,währenddasSchlusslichtderGruppeSchü-lerInnenausFamilienausItalienoderdemfrüherenJugoslawienbilden.ZuerklärenistdergroßeVorsprungderJugendlichenmitkroatischem,spanischemodergriechischemHintergrundgegenüberdenanderenMi-grantInnengruppendurchdieEigeninitiativeihrerEltern,diesichinVereinenundSelbst-hilfegruppenorganisierten,diedenschu-lischenErfolgihrerKinderzumZielhatten(Hunger/Thränhardt2001:53f.).
EinBlickaufdieGruppedertürkischenAuszu-bildendenzeigtfolgendesektoraleVerteilung:48%absolvierenihreAusbildunginIndustrieundHandel,39%imHandwerk.AuffreieBe-rufe(Arzthelferin,Rechtsanwaltsgehilfinu.ä.)entfallen10%derAusbildungen,währendimÖffentlichenDienstkaumtürkischeAuszubil-dendezufindensind(1%).DieBerufswahlselbstkonzentriertsichaufwenigeTätig-keiten.JungeFrauenlassensichvorallemalsFriseurin,Arzt-bzw.ZahnarzthelferinoderVerkäuferinausbilden.JungeMännerwählenbevorzugteineLehrealsKfz-Mechaniker,MalerundLackiereroderElektro-,Gas-undWasserinstallateur,obwohldieseBerufewenigzukunftsträchtigunddieAufstiegschancengeringsind.DierechteinheitlicheWahlvonwenigweiterqualifizierendenAusbildungs-plätzenbzw.dervollständigeVerzichtaufAusbildungseitensderMehrheitdergeringqualifiziertenjungenTürkenlässtsichdurchdieSozialisationsbedingungeninStadtteilenmithohemMigrantInnenanteilundniedrigerWohnqualitäterklären.DieElterngenerationhatinnerhalbihrerStadtteileinnerethnische
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Netzwerkeaufgebaut,dieauchdiezweiteGenerationberuflichnutzen.WährenddieseNetzwerkedieStellenvergabeinnerhalbdereigenenethnischenGemeinschafterleichtern,könnensiefürdieformalisierteStellenvergabeinderdeutschenGesellschafthinderlichsein(www.bpb.de).Andererseitssindinzwischenrund24.000StudierendetürkischerHerkunftandeut-schenHochschulenimmatrikuliert,vorallemindenStudienrichtungenWirtschaftundRechtsowieIngenieurwesenundKulturwis-senschaften.Siemachenrund8%der18-bis25-jährigenTürkischstämmigenausundhabenzu73,4%dasdeutscheSchulsystemdurchlaufen–einehöhereQuotealsbeiallenanderenausländischenStudierenden.Insge-samtstellendieStudentInnenmittürkischemHintergrund1,4%allerStudierendeninDeutschland.DieszeigteineEntwicklunghinzurIntegration,allerdingsmussmansichvorAugenführen,dassrund30%derdeutschenGleichaltrigenstudieren.ImVergleichstudie-rennur8%dertürkischstämmigenAltersge-nossInnen(ebd.).
Insgesamtverfügen33%derjungenTür-kischstämmigenzwischen18und30JahrenüberkeineberuflicheAusbildung.Immerhin52%erreichteneinenschulischenoderbe-trieblichenBerufsabschlussodersindgeradedabeiihnzuerwerben,3%habeneineMei-ster-oderTechnikerausbildungabsolviertund4%erreichteneinenUniversitätsabschluss.InsgesamtsindausderGruppederJugend-lichenbiseinschließlich24Jahren,dieeinerBeschäftigung(inklusiveAusbildung)nach-gehen,11%alsungelernteArbeitskräftetätig,knappeinViertelistangelerntundeinwei-teresViertelsindFacharbeiterInnen.Jede/rFünfteistAngestellte/raufderunteren,un-gefährjede/rZehnteaufdermittlerenEbene(ebd.).ErschwerendfürdieIntegrationinAusbildungundBerufkommthinzu,dassvieletürkischeJugendlichederzweitenGenerationeinewechselhafteBiographieerlebthaben–oftmitgravierendenBrüchenbereitsimfrühenAlter.InDeutschlandgeboren,beidenGroß-elterninderTürkeiaufgewachsen,dannwiederimSchulalterodernochspäter,jeden-fallsvordemEintrittdes16.Lebensjahrsals”Seiteneinsteiger”nachgeholt.EbensounklarbleibtdiezukünftigeAufenthaltsperspektive.VieleElternhaltenanteilsunrealistischenRückkehrplänenfest.Dieberuflichenundso-zialenAnforderungen,dieinderTürkeibzw.inDeutschlandandieJugendlichengestelltwerden,sindjedochgänzlichverschieden.DieserpermanenteAmbivalenzkonfliktbzw.dieMöglichkeiteiner(scheinbaren)RückkehrkanndieBerufswahlundMotivationundFru-strationsgrenzeninSchuleundAusbildungnegativbeeinflussen.Andersalsmanvielleichterwartenwürde,lebenJugendlichetürkischerHerkunftjedochkeineswegszwischenzweiWelten,ohne
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sichineinerderbeidenwirklichzuHausezufühlen.EherkennensiesichmitdenRegelnbeiderGesellschaftengutausundpassensicherfolgreichderjeweiligenSituationan.DiemeistenhabensowohltürkischealsauchdeutscheFreundInnen.FürMädchentürkischerHerkunftwirdesmitdemBeginnderPubertätjedochimmerschwieriger,einedeutsche,„beste“Freundinzuhaben,weildieErziehungderdeutschenGleichaltrigennichtnachdenstrengeren,traditionelltürkischenundislamischenWertenerfolgt(Matter2002:254).IndenletztenJahrenkommtesaller-dingszueinerverstärktenRe-Ethisierungderjungen,inDeutschlandaufgewachsenenTür-kInnen.ArrangierteHeiratenmitLandsleuten,meistausderHerkunftsregionoderdemHeimatdorfihrerElternspielendabeieinewichtigeRolle(ebd.249;Kelek2005:170f.).Über60.000AnträgeaufNachzugvonFamilienmitgliedernnachDeutschlandwer-denjährlichvomAuslandausgestellt;über30.000vomInlandaus,nachderEinreisemitTouristenvisum.DiemeistenNachzugs-anträgeentfallenaufdentürkischenBevöl-kerungsteil.DienachgeholtentürkischenSchwiegertöchterund-söhnebewirken,dassdiedeutscheSpracheindenneugegrün-detenFamilienkaumEinzughaltenkannundtragenwesentlichzurEntstehungeinerParallelgesellschaft,diemitderautochthonenBevölkerungkaumnochBerührungspunktehat,bei(www.bpb.de).Besondersschwieriggestaltetsichdieso-zialeundberuflicheSituationvonMädchenundjungenFrauentürkischerHerkunft.IhreIdentitätsentwicklung,AusbildungunddasHeranreifenvonLebenskonzeptenfindetzwischendenPolenzweierkulturellerWer-tesystemenstatt.DieMädchenerfahrenimElternhausmeisteinestrengrollenkonforme
Erziehungundwerdenwährendihrergesam-tenSozialisationmitdenunterschiedlichenWertenundNormenzweierKulturkreisekonfrontiert.DiekulturspezifischenVorstel-lungen,wiesiealsFrauenihrLebenführensollen,widersprechensich.DiesenWider-spruchmüssendieMädchenalleine,undmeistohneHilfevonaußenlösen.Trotzdie-serSchwierigkeitenistdieberufs-undquali-fikationsorientierteHaltungjungertürkischerMädchengewachsen.QualifizierteAusbil-dungundlangfristigeBerufstätigkeitgehörenimmermehrzudenZukunftsvorstellungenjungerFrauentürkischerHerkunft.DennochsindihreberuflichenStartchancengeringbisgleichNull.SiewerdenaufmehrerenEbenengleichzeitigdiskriminiert:alsFrauen,alsAus-länderinnen–undhierspeziellaufgrundihrertürkischenHerkunft–undalsJugendlicheohneeigenständigeExistenzmöglichkeiten.Siegehörendamitzuden„BenachteiligstenderBenachteiligten“aufdemArbeitsmarkt(Förstere.a.2002:62).
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II. Die Deutschen aus Russland und Kasachstan – Jugendliche SpätausiedlerInnen
Bisindiefrühen1980erJahredesletztenJahrhundertsimmigriertendurchschnitt-lich30.000AussiedlerInnenjährlichnachDeutschland.SieverfügtenüberhoheSprachkompetenz,IntegrationsbereitschaftundtrafenaufeineVielzahlvonIntegrati-onsleistungendesStaates.Endeder1980erJahrestiegdieZahlderneuankommendenAussiedlerInnenvondurchschnittlich30.000auf200.000jährlich,bissieschließlich1989und1990mitfast400.000einenabsolutenRekorderreichte.DerstarkeZuzugwardieFolgederLiberalisierung,DemokratisierungundderLockerungderAusreiseregelungenindenStaatendesehemaligenOstblocks.DerdeutscheStaatreagiertemitrestriktivenGesetzesänderungen,diedenNeuzuzugvonSpätaussiedlerInnenbremsensollte.ImJahr2000wurdeeineKontingentierungauf100.000Personenjährlichverhängt.AuffallendistdergeringeAltersdurchschnittunterdenSpätaussiedlerInnen:rund43%sindjüngerals25Jahre.DieursprünglichhoheSprachkompetenzderneuankommendenSpätausiedlerInnenistüberdie1990erJahrehinwegstarkgesunken.VieleKinderundJu-gendlichesprechennurwenig,oftüberhauptkeinDeutsch.DieSozialarbeitgebrauchtfürsiedenAusdruck„sprachloseJugendliche“undberichtetgleichzeitigvongroßenZu-gangsproblemezudenJugendlichen.DieDeutschdefizitetragenzursprachlichenundsozialenAusgegrenztheitbei,führenzueinge-schränktensozialenBeziehungenundfördernGhettoisierung(BayerischesStaatsministe-riumfürArbeitundSozialordnung,FamilieundFrauen2002:28).
DieLagederjugendlichenSpätaussied-lerInnen–vorallemausRusslandundKasachstan–istbedenklich.SiehabenzwareinendeutschenPass,findensichjedochausgegrenzt.IhreBerufschancensindgering,siesprechennurwenigdeutschundwohnenhäufiginrussischsprachigenAussiedler-Innenghettos–Lebenssituationen,dieinihrerCharakteristikandieJugendlichenmitMigrationshintergrundinFrankreicherinnern.DieambivalenteSituationeineroffiziellen,rechtlichenAnerkennung,dieabernichtmiteinersozialenAkzeptanzundeinergesell-schaftlichenIntegrationHandinHandgeht,erzeugtFrustration.DerMarburgerJugend-forscherBennoHafenegersiehtindenSpät-aussiedlerInnenkindernvorallemderfünfneuenBundesländern,diehäufiggegenihreneigenenWillennachDeutschlandgekommensind,„eine latente Nicht-Anerkennung und derzeit noch ungerichtete Aggression“.DieProblematikkönne–ähnlichdenUnruheninFrankreich–virulentwerden,wenndiegegenwärtignocherfolgenderechtstringenteAnbindungandasdeutscheBildungs-undAusbildungssystemsowiedieEinbindungindassozialeNetznachließe.ZuweilenwerdenheuteingrößerendeutschenAgglomerati-onenbereitsBandenauseinandersetzungenzwischenrussischsprachigenAussiedlernundtürkischstämmigenMigranten–zumeistjungenMännern–registriert.Trätendiesein-tensiviertauf,inihrerGewaltbereitschaftbei-spielsweisekatalysiertdurchGroßereignisse,würdeeinesolcheBewegungeinenanderenCharakterhaben,alsimOktober/November2005indenfranzösischenVorstädtenzube-obachtenwar.HierwürdewenigervomStaat‚Respekt’eingefordert,sondernvielmehrintergruppalTerrainsabgesteckt.(Becker2007:12)Esbleibtabzuwarten,obsichdie
SituationderjugendlichenSpätaussiedle-rInneninDeutschlandindenkommendenJahrenverbessert,oderobDeutschlandeinemähnlichenProblemwieFrankreichgegenübertretenmuss,sollteesversäumen,rechtzeitigdiegesellschaftlicheIntegrationderbetroffenenJugendlichenzufördern.
Resümee
GleichwieinÖsterreichsindesinDeutschlandvorallemdieKinderder„GastarbeiterInnen“,diezudenbenachtei-ligstensozialenGruppengehören.AuchinDeutschlandhatesdasBildungssystemversäumt,MigrantInnenkinderrechtzeitigspeziellzufördern.Ausbildungsdefizite
undhoheArbeitslosigkeit,dieeineverstär-kteSegregationdieserGruppemitsichbringen,sindheutedieFolge.VorallemMädchenundjungeFrauenmittürkischemHintergrundgehörenamArbeitsmarktzuden„BenachteiligstenderBenachteili-gten“.DieAnkunftzahlreicherjugendlicherSpätaussiedlerInnenstelltDeutschlandindenletztenJahrenvorneueHerausfor-derungen.DieseJugendlichenbesitzenzwardiedeutscheStaatsbürgerschaft,sindjedochoftgegenihrenWillenvonihrenElternnachDeutschlandgebrachtwordenunderfahrenähnlicheSchwierigkeitenwieJugendlichenmitMigrationshintergrundausanderenLändern.
Literatur- und Filmtipps
LiteraturDasumfangreicheOeuvrederdeutsch-türkischenAutorinSalihaScheinhardtÖzdamar,EmineSevgi:Das Leben ist eine Karawanserei, hat zwei Türen, aus einer kam ich rein, aus der anderen ging ich raus.Kiepenheuer&Witsch1992Dies.:Die Brücke zum goldenen Horn.Kie-penheuer&Witsch1998Kelek,Necla:Die fremde Braut.Kiepen-heuer&Witsch2005Dies.:Die verlorenen Söhne.Kiepenheuer&Witsch2006TuschickJamal(Hrsg.):MorgenLand. Fischer2000
Film TefvikBasers:Abschied vom falschen Pa-radies,1988u.a.FatihAkin:Gegen die Wand,2004u.a.
Web n www.kanak-attak.de
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Bibliographie
BayerischesStaatsministeriumfürArbeitundSozialordnung,FamilieundFrauen:Integra-tion von Spätaussiedlern in Bayern.http://www.stmas.bayern.de/migration/material/be-richte.htm#aussied,abgefragtam30.1.2007Becker,JohannesM:Frankreichs Vorstädte brennen wieder – eine Analyse in acht Schritten.http://web.uni-marburg.de/konflikt-forschung//working-papers/wp01.html,S.12,abgefragtam24.01.2007Gaitanides,Stefan:Migrantenjugendliche – Lebenslagen und Risiken beim Auf-wachsen.WasfolgtfürdieJugendhilfe?InKerner,H.-J./Marks,E.(Hg.):Internet-dokumentationDeutscherPräventionstag.Hannover.http://www.praeventionstag.de/content/8_praev/doku/gaitanides/index_8_gaitanides.html,abgefragtam27.1.2007Hunger,Uwe/Thränhardt,Dietrich:Vom „ka-tholischen Arbeitermädchen vom Lande“ zum „italienischen ‚Gastarbeiterjungen‘ aus dem bayrischen Wald“–ZudenneuenDisparitätenimdeutschenBildungssystem.InBade,KlausJ.(Hg.):IntegrationundIlle-galitätinDeutschland.Osnabrück.2001
Förster,Heike/Kuhnke,Ralf/Mittag,Hart-mut/Reißig,Birgit(Hg.):Lokale Koope-ration bei der beruflichen und sozialen Integration benachteiligter Jugendlicher–Praxismodelle.München2002Kelek,Necla:Die fremde Braut–BerichteausdemInnerendestürkischenLebensinDeutschland.Köln2005Matter,Max:Türkisches Leben in Deutsch-land.In:Heller,Hartmut(Hg.):NeueHeimatDeutschland–AspektederZuwanderung,AkkulturationundemotionalenBindung.Nürnberg2002,S.241–265.FarukSen:Türkische Minderheit in Deutschland.Inhttp://www.bpb.de/publikationen/7LG87X,5,0,T%FCrkische_Minderheit_in_Deutschland.html#art5,abge-fragtam19.2.2007JosefSchmid:Bevölkerungsentwicklung und Migration in Deutschland.Inhttp://www.bpb.de/publikationen/WM82IQ,2,0,Bev%F6lkerungsentwicklung_und_Migra-tion_in_Deutschland.html#art2,abgefragtam19.2.2007
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FrankreichnimmtunterdentraditionellenImmigrationsländernEuropaseineSonder-stellungein:einerseitsaufgrundderwieder-holten,gewalttätigenEskalationenzwischendenJugendlichendersogenannten„zweitenunddrittenGeneration“unddenstaatlichenAutoritäten,andererseitswegendereinzigar-tigenpolitischenundkulturellenBewegung,dieebendiese„zweitenunddrittenGenera-tionen“hervorgebrachthaben.2006lebtenüber4,5MillionenAusländer-InneninFrankreich.Dabeiistzubeachten,dassinFrankreichgeboreneKindervonImmigrantInnenaufgrunddesinFrankreichgeltendenIusSoliautomatischdiefran-zösischeStaatsbürgerschafterhaltenunddaherindenStatistikenalsFranzosen/Fran-zösinnenaufscheinen.ProzentualgesehensetztsichdiefranzösischeBevölkerungaus90,4%gebürtigenFranzosen/Französinnen,5,6%AusländerInnenund4,0%Neubürger-Innenzusammen.DiemeisteninFrankreichlebendenAusländerInnenstammenauseuropäischenLändern(44,9%)undAfrika(39,3%).DeutlichwenigerPersonenkamendagegenausAsien(12,8%)undAmerika(3%)(www.insee.fr).DiezahlenreichsteethnischeGruppestellenPortugiesInnenmit17%,gefolgtvonPersonenmaghrebinischenUrsprungs(vorallemAlgerienundMarokko)undMigrantInnenausdensubsaharischenStaaten.GeografischbetrachtetfindetsichindenRegionenIledeFrance,Rhône-Alpes,PacaundKorsikaderhöchsteAusländerIn-nenanteil(mehrals10%).Frankreichist,wiebereitserwähnt,aufgrundseinerkolonialen
VergangenheiteintraditionellesEinwande-rungsland.NochimmermachenjährlichvielePersonenausdenehemaligenKolonienvonihremRechtaufdiefranzösischeStaatsbür-gerschaftGebrauch.EinfranzösischesSpe-zifikumsinddieenormenTrabantenstädteindenVorstädtendergroßenMetropolen,dieBanlieues,indenenhauptsachlichMigrant-Innengezwungensind,unterprekärenUmständenundohnejeglicheZukunftspers-pektivezuleben.
I. Die brennenden Banlieues – Proteste gegen Marginalisierung und Arbeitslosigkeit
ObwohldasBildungsniveauvonJugend-lichenmitMigrationshintergrundinFrank-reichgenerellhöheristalszumBeispielinDeutschland,sindandieHälftederJugend-lichenmitMigrationshintergrundohneAr-beits-oderAusbildungsplatz(Becker2007:12).Damitistzusätzlichzurräumlich-kultu-rellenSegregationdurchdasLebenindenPlattenbautenderBanlieuesaucheinAus-schlussvonderErwerbsarbeitgegeben,dienachwievoralseinesderwichtigstenMerk-malegesellschaftlicherIntegrationgilt.DasfranzösischeBildungssystemistderinterkul-turellenHerausforderungnichtgewachsenundhatbishervorallemmitderVerteidigungtraditionellerStrukturenreagiert.Beispieledafürsindderseit1989/90ausgetragene„foulard-Streit“(IstmuslimischenMädchenindenSchulendasTragenvonKopftüchernerlaubt?)unddieDebatteumeinemögliche
Diversité contre universalité! Jugendliche mit Migrationshintergrund in Frankreich
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VerwendungdesArabischenalsUnterrichts-sprache.DieProblemezwischenMuslimIn-nenundstaatlichenEinrichtungenentstehenvorallemwegendesstriktenBeharrensderstaatlichenAutoritätaufdemPrinzipder„lai-cité“,desLaizismus,dasreligiöseSymboleimöffentlichenBereichzurGänzeverbietet.DerKopftuch-StreitwurdevonderpolitischenRechtenauchgenutzt,umRessentimentsgegendiemuslimischeBevölkerungzuschü-ren.DiezumTeilfanatischgeführtenDebat-tenbewirktenvorallemeines:einweiteresAuseinanderdriftendermigrantischenundderautochthonenBevölkerung,vorallemaufKostenderbetroffenenJugendlichen.MarginalisierungundArbeitslosigkeitvonMigrantInnenundJugendlichenmitMi-grationshintergrundhabeninFrankreichzusozialenUnruhengeführt,dieindieserHeftigkeitinandereneuropäischenIndustrie-gesellschaftenbishernichtvorkamen.Seitden1990erJahrenrevoltiertenJugendlichemigrantischerAbstammunggegenihresozi-aleSituationundzeigtenöffentlichihreWutüberWohn-undBildungsprobleme,familiäre(Generationen-)Konflikte,Diskriminierung,RassismusundihreprekärefinanzielleLage.InvielenVororten,indenenMigrantInnenvorallemmaghrebinischerHerkunftwieineinemGhettoleben,stecktenJugendlicheausPro-testAutosinBrand,demoliertenöffentlicheVerkehrsmittelundEinrichtungen,wobeiauchMenschenverletztwurden.VersuchederPolizei,derwachsendenGewaltindenVorstädtenmitihrenriesigenKomplexensozialenWohnungsbaus(„citésHLM“)Herrzuwerden,endetenregelmäßigineinerEs-kalationgewalttätigerAktionenbeiderSeiten.DiestaatlicheAutoritätmusstevielerortsihreOhnmachteingestehen.ZuletztgingendieBilderderAusschreitungenimHerbst2005
durchdieinternationalePresse.ObrundumdieGroßstädteParis,Lyon,Marseille,Rou-baix,SaintEtienneundStrasbourgoderaufdemLandwiezumBeispielimlothringischenFarebersvillers–indenZuwanderInnenghet-tosisteinradikalerBruchzwischenJugend-lichenundErwachsenenzubeobachten.DieUnruhenhabenleiderauchdenRufnach„RechtundOrdnung“verstärktunddieWäh-lerschaftderrechtsextremenFrontNational(FN)Jean-MarieLePensunddesMouve-mentNationalvonBrunoMégretvergrößert.InteressanterweisewerdendieseProtestejedochnichtausschließlichalsKonsequenzfehlgeschlagenerIntegrationgedeutet.DerrenommierteSozialwissenschaftlerEmma-nuelToddhältdieUnruhennichtfüreinenBeweisdesScheiternsdesfranzösischenIntegrationsmodells,sondernfürdenBeweisseinesFunktionierens.SeineEinschätzungisteher,dassdieRevoltenzurIntegrationbeitragenwerden:„DennsofunktioniertdieAssimilierungauffranzösisch.“(Becker2007:15undSchmitt2007:21).Auffallendist,dassdieProtestezwarpolitisch,bisjetztabernichtreligiösgefärbtwaren.ObwohlausdenStaatendesMaghrebstammendeMus-limInneneinenGroßteilderrevoltierendenJugendlichenausmachen,undderisla-mischeFundamentalismusindenBanlieuesindenletztenJahrenzunimmt,könnendiegewaltsamenEskalationeninFrankreichalsreinsozialeKonflikteverstandenwerden(Im-busch2007:25).Betontwerdenmusseben-falls,dassindenBanlieueskeine„Fremden“,sondernFranzösInnenrevoltierenundsich,andersalsinandereneuropäischenStaaten,verschiedeneethnischeGruppen–Jugend-lichemaghrebinischerundsubsaharischerHerkunft–inihremProtestvereinten.
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2. Kunst, Kultur und Politik – die Bedeutung der „génération beure“
DietraditionellnationalgeprägteKultur-undGeschichtsauffassungderfranzösischenMehrheitskultur,dievondenImmigrantInneneinetotaleAssimilationverlangte,wirdseitden1980erJahrendurchdieimmerstärkerePräsenzderImmigrantInnenkultureninFragegestellt.Das„RechtaufkulturelleAndersartig-keit“mitzunehmendemErfolgeingefordertzuhaben,istvorallemeinVerdienstderRebel-lionderBeurs.DieindenVorstädtenaufwach-sendenKindermaghrebinischerArbeiterInnenwehrensichgegeneineStigmatisierungals„zweiteGeneration“undwollensichnichtaufdenImmigrantInnenstatusihrerElternfestle-genlassen.SiesindinFrankreichgeborenundfühlensichalsFranzösInnen.SoentstandderBegriff„Beurs“,zudemesmehrereErklä-rungengibt.Einerseitsgilt„Beurs“alssozio-lektischesKürzelfür„BerbèresenEurope“,andererseitsist„Beurs“einVerlan-Ausdruckundstehtfür„Araber“.VerlanistdieSpiel-sprachederfranzösischenJugendlichen,dieaufderUmkehrungvonSilbenbasiert.Mitt-lerweilehatsichinFrankreichdankderBeurseineinEuropaeinzigartigeJugendkulturentwickelt,diediekulturelleIdentitätunddaspolitischeSelbstbewusstseinderinFrankreichgeborenenKindervonMigrantInnenstärktundihnenzugleichalskünstlerischeAusdrucks-möglichkeitundpolitischesSprachrohrdient.Vorallemliterarisch,cineastischundmusika-lischverarbeitendieBeursihreErfahrungeninundmitderfranzösischenGesellschaft(Armbrecht2001:163ff.,Miliani2001:185ff.).AuchsprachlichforderndieBeursihrRechtaufkulturelleAndersartigkeitein:siesprechen„Rhor“–einFranzösischmitabsichtlichkräftig„arabisch“rollendemR.
Die„générationbeure“hatbedeutendeLite-ratInnenundMusikerInnenhervorgebrachtund/oderinspiriert.DieAutorInnenTaharBenJelloun,AssiaDjebar,AminMaalouf,DrissChraibiundHudaBarakatwurdenalsältereGenerationzuinterkulturellenVermittlerfigurenzwischenFrankreichunddenarabischenKul-turen,währendAzouzBegag,AhmedGhayetoderNinaBouraouialsVertreterInnenderjün-gerenGenerationzwischenderfranzösischenMehrheitsgesellschaftunddenEinwandere-rInneneineliterarischeBrückeschlagen.AuchdiefranzösischeMusikkulturiststarkvonLiedermacherInnenundBandsausdemMa-ghrebgeprägt.Seitden90erJahrenstürmtenimfranzösischenExillebendeRai-MusikerwieKhaled,ChebMami,CheikhaRimitti,FaudeloderNatashaAtlas,aberauchCrossover–Bandswie„RachidTaha&CartedeSéjour“,das„OrchestreNationaldeBarbès“,HipHop-Gruppenwie„Zebda“unddie„MafiaMaghré-bine“oderdieBeur-Boygroup„SawtElAtlas“(StimmedesAtlas)diefranzösischenCharts–undnichtnurdiederSender„BeurFM“oder„RadioMaghreb“.
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CineastischwurdedieSuchenacheinerneuenIdentitätseitden1990ernindutzen-denSpielfilmenausgedrückt–unterdenbedeutendstenRegiseurInnenYaminaBenguigu,RachidBoucharebundMehdiCharef–undesentstandunteranderemaucheineigenesGenreder„Banlieue-Western“.AuchimSporthabendieBeursihrneuesSelbstbewusstseinbewiesen.DieErfolgedermultikulturellenfranzösischenFußball-Nationalmannschaft(„blacks,blancs,beurs“)rundumdenalgerischstämmigenWeltstarZinedineZidanebegeisternnatio-nalundinternational.AuchderKapitänderRugby-Nationalmannschaft,AbdellatifBe-nazzi,istmarokkanischerHerkunft.Bedeu-tendistauchdieArbeitderOrganisationen„NiPutesNiSoumises“und„Kelma“,welchefürdieRechtevonFrauenundHomosexuel-lenmaghrebinischerAbstammungeintreten.DasgroßeVerdienstder„générationbeure“isteinefrankreichspezifischeFormderkultu-rellenundpolitischenBewegung,dieIntegra-tionnichtmitAssimilationgleichsetzt.Indieserstarkenundselbstverständlichenkulturellen
PräsenzgeradederaußereuropäischenKul-turenunterscheidetsichFrankreichdeutlichvonandereneuropäischenLändern,diedieBedeutungderMigrationinderoffiziellenNa-tionalgeschichteweiterhinausklammernundauchderkulturellenIdentitätderMigrantInnenundihrerNachkommenkeinenPlatzinderMehrheitskultureinräumenwollen.
Resümee
FrankreichsJugendlichemitMigrationshinter-grundnehmeneuropaweiteineeinzigartigeStellungein.SiehabeneinekreativeundpolitischeKulturhervorgebracht,dieinner-halbdesKontinentsnichtihresgleichenhat,andererseitsverstörenundzerstörensieseitJahrzehntendurchgewalttätigeProteste,dieoftinblindesumsichSchlagenausarten.DaFrankreichimGegensatzzuandereneuro-päischenLändernallenaufseinemStaats-gebietgeborenenKindernautomatischdieStaatsbürgerschaftgewährt,sinddieJugend-lichendurchwegsFranzösInnen.IhnenfehlenaberdieZukunftsperspektiven,dieGleich-altrigenausfranzösischenFamilienoffenstehen.DieArbeitslosigkeitunterderzweitenunddrittenGenerationbeträgtinvielenfran-zösischenBanlieuesoftbiszu50%.DieWutüberdiesozialeLageunddiepermanenteFrustrationwerdenmusikalisch,literarischundfilmischverarbeitetoderentladensichimExtremfallinöffentlichenGewaltakten.DieBeurs,wiesichdiejungenFranzösInnenmitMigrationshintergrundselbstnennen,spaltenaufgrundihresambivalentenVerhaltensdasöffentlicheBewusstsein.
Film- und Literaturtipps
LiteraturliterarischesOeuvrevonAzouzBegag,AhmedGhayetundNinaBouraoui
FilmMehdiCharef:Le Thé au harem d’Archi Ahmed,1985RachidBouchareb:Baton Rouge,1985MathieuKassovitz:La Haine,1995,MerzalAllouache:Salut cousin!,1996ChristopheRuggia:Le Gone du Chaâba,1997YaminaBenguigui:Mèmoires d’immigrés, l’héritage maghrébin,1998MouradBoucif:Au-delà de Gibraltar,2001AbdellatifKechiche:L’esquive,2005
Bibliographie
Armbrecht,ThomasJ.D.:„Beur“ Writing as a Self- Definition.In:Gafaiti,Hafid(Hg.):CulturestransnationalesenFrance–Des“Beurs”aux…?Paris,2001,S.163–185.Becker,JohannesM.:Frankreichs Vor-städte brennen wieder – eine Analyse in acht Schritten.In:http://web.uni-marburg.de/konfliktforschung//working-papers/wp01.html,S.11–17,abgefragtam24.1.2007.Imbusch,Peter:Französische Zustände verstehen – ein Resümee der Proteste.In:http://web.uni-marburg.de/konfliktforschung//working-papers/wp01.html,S.8–11,abge-fragtam24.1.2007.
Miliani,Hadj:De la culture d’exil au sync-rétisme culturel(Lamusiquesde«Beurs»enFrance).In:Gafaiti,Hafid(Hg.):CulturestransnationalesenFrance–Des“Beurs”aux…?,Paris,2001,S.185–227.Schmitt,Lars:Wie ausgeschlossen muss man sein, um zu protestieren?SozialerProtestundseineVoraussetzungen.In:http://web.uni-marburg.de/konfliktforschung//working-papers/wp01.html,S.17–22,abge-fragtam24.1.2007.http://www.insee.fr/fr/ffc/chifcle_fiche.asp?ref_id=NATCCI02124&tab_id=427&souspop=4,abgefragtam24.1.2007.
42 JUGEND OHNE CHANCE?
43EXKURS: ROMA IN DER SLOWAKEI
Geschichte der slowakischen Roma
DieeuropäischenRomawandertenim13.und14.JahrhundertinmehrerenMigra-tionswellenausZentralindienüberÄgyp-ten,KleinasienunddieBalkanländerein(Vašecka2006:7).ImGebietderehemaligenTschechoslowakeiwurdensie1219alsSchmiede,Musikanten,Sattler,TrogmacherundGoldwäschererstmalsurkundlicher-wähnt(ebenda:53).DieursprünglicheSym-pathiederMitteleuropäerInnen,diedieRomazuerstfürägyptischePilgerhielten,schlugbaldinoffeneFeindseligkeitum.WährenddesaufgeklärtenAbsolutismusMariaThe-resiasundJosephsII.solltendiefahrenden„Zigeuner“zwangsweiseassimiliertundsess-haftgemachtwerden.InderFolgezeitderindustriellenRevolutionließensichdieRomaalsmeistschlechtausgebildeteLohnarbeiter-InnenindenIndustrieregionennieder.DienachdemZerfallderösterreichisch-un-garischenDoppelmonarchie1918gegrün-deteTschechoslowakischeRepublikverfolgte–gleichandereneuropäischenStaaten-einerepressiveRomapolitik,derenZieleswar,die(wenigen)immernochnomadischlebendenRomasesshaftzumachen.Spezielle„Zigeu-ner–Kennkarten“,aufdiesichspäterdieNa-tionalsozialistenbeiderErfassungderRomastützten,wurdeneingeführt.EbenfallsfandenseitdemMittelaltervergessengeglaubtePo-gromewiederstatt(ebenda:8)VielenRoma-
elternwurdenihreKinderweggenommenundinWaisenhäusernaufgezogen(Daniel1998:152).DerEinmarschderdeutschenWehrmacht1938wardasvorläufigeEndedestschecho-slowakischenStaatenbundes.FürdieRomaherrschten–bis1944–inderSlowakeiundTschechiensehrunterschiedlicheLebens-bedingungen.ZwarwardieslowakischeMehrheitsbevölkerungauchgrößtenteilsan-tiziganistischeingestellt,dochkamesinder–zumindestoffiziell–vonDeutschlandunab-hängigenSlowakeizukeinenDeportationenvon„Zigeunernmitstetemundnichtnoma-dischem“Lebenswandel(Necas1998:187f.).AllerdingswarensiegleichJüdInnenvonderNutzungvonöffentlichenVerkehrsmittelnundParkanlagenausgeschlossen,undihnenwaruntersagt,ihreSiedlungennäherals
Exkurs: Roma in der Slowakei
Die Minderheit der Roma in der Slowakei
44 JUGEND OHNE CHANCE?
2KilometeranöffentlicheStraßenzubauen.RomawurdenalsArbeitskräftereservoirineinigenslowakischenZwangsarbeitslagernausgebeutet(Vašecka2006:8).EineZäsurfürdieRomastelltedieBesetzungderSlowakeidurchdeutscheTruppennachdemNationalaufstandvon1944dar,anwelchemauchRomaalsPartisanenmitgekämpfthabensollen(Daniel1998:157).EskamzuMassenerschießungenvonRomadurchdeutscheEinsatzgruppen,wobeigenaueZahlenschwerauszumachensind.FürdieSlowakeiwerdenca.4000Opferangenom-men(Necas1998:188)Insgesamtforderteder„Porrajmos“–derShoahandenRoma–500.000,odernachneuerenSchätzungenbiszu2MillionenMenschenleben(Voulas-ranta2006:21).Indemnach1945neugegründetentsche-choslowakischeStaatenbundCSSRwurdendietraditionellbesserentwickeltenGebieteinBöhmenundMährenvonderkommunis-tischenFührungschnellzuindustriellenZentrenausgebaut,dieeinunerschöpflichesReservoiranArbeitskräftenohnebesondereVorkenntnissebenötigten.EskamindiesenJahrenzugroßenAbwanderungswellenvonRomaausderSlowakeiindiesenLandesteil,auchweildiedortursprünglichlebendenRomazueinemgroßenTeilwährenddesPorrajmosindendeutschenVernichtungs-lagernumgekommenwar.
ZunächstversuchtedieneuesozialistischeRegierungdiewenigennochnomadischenRomazurSesshaftigkeitzuzwingen,dennlautRegimewidersprachensolche„vorsozia-listischen“und„asozialen“LebensweisendemIdealdes„neuenMenschen“völlig.DasstaatssozialistischeSystemarbeitetenichtmitBegriffenwie„Nationalitäten“.Roma
galteninderNachkriegszeitalsBürgerInnen„vonzigeunerischemUrsprung“undoffiziellbesaßensiediegleichenBürgerInnenrechtewiedieMehrheitsbevölkerung.TraditionelleRomabräuche,SportklubsunddiePubli-kationvonRoma-LiteraturundPeriodikawarenjedochverboten(Vašecka2006:8).Abden1970erJahrenlockertesichdieRoma-politikmehrinRichtung„Integration“.ZudenpositivenEffektendieserPeriodezählt,dasseseinigenRoma(beiArrangierungmitdemSystem)möglichwar,einensozialenAufstiegzuschaffen.EbenfallswarArbeitslosigkeitkeinsovorrangigesThemawieheute.DieSchaffungvonWohnraumfürdiegesamteBevölkerung,schlugimFallederRomaje-dochfehl.DieRomaempfandendiefürsieerrichtetenWohnblöcke,diedietraditionellenGroßfamilienstrukturenderRomanichtbe-rücksichtigten,alsbeengend,undweigertensich,diesezubenutzen.AußerdemwolltenvieleRomaausAngstundMisstrauennicht,dassihreKinderdiestaatlicheSchulebe-suchten.BeidenslowakischenNicht-RomastießdiesesVerhaltenwiederumaufAbleh-nungundentzweitedieBevölkerungsgrup-penweiter(ebenda:8).
EinbesonderstragischesundbisheutenichtgänzlichaufgearbeitetesVerbrechenistdieZwangssterilisierungvonRomafrauen.DiesewurdeentwederohnederenWissen,oderohneAufklärungüberdieUnumkehrbarkeitderOperationvorgenommen.WievieleFrauendavonbetroffenwaren,istbisheutenichtbekannt.Entschädigungenwurdenbis-herkeinegeleistet.DieRomawarenbesondersvondenStruk-turveränderungennach1989betroffen.UnrentableZweigederIndustriewurdenimRahmenderPrivatisierunginderneuen
45EXKURS: ROMA IN DER SLOWAKEI
föderativentschechoslowakischenRepublikstillgelegt.DieRoma,diedortalsunqua-lifizierteHilfsarbeitertätigwaren,verlorenalsersteihreArbeit.DieUnabhängigkeits-erklärungderSlowakei,fand1993gegendenausdrücklichenWillenvonRoma–Ver-treterInnenstatt.DiesebefürchteteneineVerschlimmerungihrerLagevoralleminderSlowakei.Das„Romaproblem“wurdezueinemZankapfelderbeidenStaaten.SowohlMinisterpräsidentVladimirMeciarsRomapolitikalsauchdieseinesNachfolgersMikulasDzurindaswarvonNationalismusundoffenerAblehnunggeprägt.DieBedingungen,unterdenendieRomalebten,wurdenfastzumStolpersteinfürdenEUBeitrittderSlo-wakei.FüreinenVollbeitrittmusstennichtnurwirtschaftlicheKriterienvondenKandi-datenländernerfüllt,sondernauchgewisseStandardsinMinderheitenfrageneingehaltenwerden.DievonderEUvergebenenGeld-mittelimRahmendesPHARE-ProgrammeszurRekonstruktiondesosteuropäischenWirtschaftsraumestrugenwesentlichzurFörderungderRomabei.DieSlowakeihateinenTeilvonPHARE–GeldernfürdieUn-terstützungvonProjektenzurVerbesserungderSituationderRomaverwendet,unteranderemzurFörderungvonToleranz,zurBesserungderWohnverhältnisse,sowiederVerbesserungderBildungs-undBeschäfti-gungsmöglichkeiten.DerBeitrittderSlowa-kischenRepublikzurEUimMai2004warfürallesozialschwacheSchichtenderSlowakeieinestarkeBelastung,dochtrafendieAuswir-kungenderneoliberalenMarktvorgabenderEUamstärkstendieRoma-Minderheit.VielevorallembesserausgebildeteRomaemi-griertennachEnglandoderIrland.
Lebenssituationen der Roma in der heutigen Slowakei
OffiziellmachtdieMinderheitderRoma1,7ProzentderslowakischenGesamt-bevölkerungaus(FischerWeltalmanach2004:143).Wahrscheinlicheristesaber,dassbiszu500.000Personen–alsofast10Prozent–dieserBevölkerungsgruppeangehören.DieDifferenzlässtsichdadurcherklären,dassbeiVolkszählungenRomaaufgrundderjahrhundertlangenVerfolgungundDiskriminierungnurungernihreIdentitätpreisgeben.DieMinderheitistdurchvierethnischeUntergruppenundeineArtinneres„Kastenwesen“starkinsichfragmentiert,waseinepolitischeEinigungnachAußenhinerschwert.DieAltersstrukturderRomaweisteinefürEuropaäußerstaußergewöhnliche,nurmitStaatenineinervorindustriellenEnt-wicklungsstufevergleichbareMerkmaleauf:dengrößtenAnteilstellenmitüber40%dieunter14jährigen.MiteinigemAbstandfolgendie15-bis29-jährigen(30%),währenddie30-bis40-jährigen17%ausmachen.DerAn-teilder41-bis59-jährigenliegtnurnochbei6%unddieüber60jährigenhabenmitetwa3,5%nurnocheinenverschwindendkleinenProzentsatzanderAlterstatistik.(Vašecka2006:7).
Arbeitslosigkeit und Segregation
DasHauptproblemderwirtschaftlichpre-kärenSituationderslowakischenRomaistdiehoheArbeitslosenratevonbiszu83%.DerAusfallanVerdienstmöglichkeitennach1989–diePrivatisierungderIndustrietrafvieleRomaalsungelernteArbeitskräftebesondershart–triebvieleRomaindieKleinkriminalitätundProstitutionDieslo-
46 JUGEND OHNE CHANCE?
wakischeMehrheitsbevölkerungsahdamitihrealthergebrachtenRessentimentserneutbestätigt.ArbeitslosigkeitwurdeundwirdalspersönlichesVerschulden,nichtalsvor-wiegendstrukturellesProblemverstanden.ArbeitswilligeRomawerdenabersowohlvonArbeitgeberInnen,alsauchvoneinzelnenBeamtInnenderArbeitsämterdiskriminiert.InAbhängigkeitvonlokalenGeldverleihernge-rateneRomaendenoftunfreiwilligalsorgani-sierteBettlerInneninreicherenEUStaaten.SowohldieEU,alsauchdiejeweiligenslo-wakischenRegierungensahenundsehendieVerbesserungderBildungderRomaalsLösungvonsozialenProblemenan.SiewollendiehoheArbeitslosigkeitundauchdiehoheGeburtenratedurchBildungundAufklärungsenken.AndersjedochalsinderMehrheitsbevölkerunghat(Schul-)Bildungim„klassischen“SinninderRomakulturkeinenhohenStellenwert,undstaatlichenInstitutionenwirdvonSeitenderRomaofteinüberJahrhunderteangewachsenes
Misstrauenentgegengebracht.Solcher-arttradierteAbneigungenlassensichnuräußerstschwerdurchbrechen,zumalauchdenmeistenJugendlicheneineabgeschlos-seneodergarhöhereSchulbildungaufgrundderdiskriminierendenEinstellungspraktikenvonArbeitgeberInnenkeinebesserenBe-rufschancengarantierenwürde.DurchdaserwähnteambivalenteVerhältnisderRomazurinstitutionellenBildungunddieoftnochimmerpraktizierte,automatischeZuweisungvonRomakinderninSonderschulenbleibtdieBildungssituationderMinderheitbisheuteBesorgniserregend.DieSegregationvonRomasiedlungenvonbenachbartenOrtenverschärftdiekollektiveMarginalisierungderRoma.SchoninderZeitdesSozialismusentstandenGettosied-lungen,diebisheutekaumüberdienötigeInfrastrukturverfügen.EsfehlensowohlbefestigteStraßen,Beleuchtung,Stromver-sorgungundKanalsysteme,alsaucheinegesicherteVersorgungmitsauberemTrink-
4�EXKURS: ROMA IN DER SLOWAKEI
wasser(Vašecka2006:47).Diekatastro-phalenhygienischenBedingungeninderWohnsituationschlagensichineinemge-nerellschlechtenGesundheitszustandderRomanieder.DieSäuglingssterblichkeitliegtmassivüberdemLandesdurchschnitt,dieLebenserwartungistbedeutendniedrigeralsdiederübrigenslowakischenBürgerInnen.NeuereUntersuchungenzeigen,dassdiemedizinischeSituationderRomaselbstinZeitenderCSSRwesentlichbesserwar,unddasssiesichaktuellsogarnochweiterver-schlechtert.ZudemsorgendiskriminierendePraktikendurchAmbulanzdiensteoderÄrzt-InnenfürweiteremedizinischeUnterversor-gungderRoma(ebenda:49).VonderMehrheitsbevölkerungwerdendenRomavorallem„Alltagsrassismen“undtra-ditionelleRessentimentsentgegengebracht.PopulistischePolitikerInnenbenützendiesealteAbneigungzumWählerInnenfang.So-wohlMitgliederderaktuellenRegierungalsauchderOppositionpolemisierengegen„dieZigeuner“.EinganginSchlagzeilendergroßenPrintmediendesLandesfindetdieBevölkerungsgruppefastausschließlichdurchSensationsmeldungenundfastimmeralssozialesProblem.Die„RomaPressAgency“,eineslowakischeNRO,versuchtdieserWahr-nehmungdurchgezielteInformationenundAufklärungsarbeitentgegenzuwirken(www.amnesty.org).ObwohldierechtlicheSituationderRomainderSlowakischenRepublikoffi-zielldeneuropäischenStandardsentspricht,werdenimmerwiederVerstößegegendieGe-setzgebung,sowohlimöffentlichen,alsauchimprivatenBereichgemeldet.PolizeikräftesindoftnichtanderVerfolgungvonoffen-sichtlichrassistischbegründetenGewalttateninteressiert.AufregionalerundSelbstverwal-tungsebeneunddenArbeitsämtern
kamesimmerwiederzuapartheidähnlichenVorkommnissenundauchinderslowakischenArmeewurdenRomadiskriminiert(Vašecka2006:59).
Politische Partizipation und Vertretung
EinerderartinhomogenenMinderheitwiediederRoma,diezudemselbstkaumübereineintellektuelleEliteverfügt,istdieAnteilnahmeanderPolitikerschwert.NebenderinternenFragmentierungspieltebensoeineRolle,dasseingroßerTeilderRomabevölkerungnochnichtdaswahlberechtigteAltererreichthat.Kurznachder„SamtenenRevolution“1989entstandenweitüber20konkurrierendeRomaparteien.Diegrößteundeinfluss-reichstewardieROI,die„BürgerinitiativederRoma“,diesogardenEinzugindiezweiteKammerdesdamaligentschechoslo-wakischenParlamentesschaffte.NachderTrennungderbeidenTeilstaatenkonntedieROIjedochdenEinzugindenslowakischenNationalratnichtmehrerreichenundlöstesich2005schließlichauf.DiefürdieRegis-trierungnotwendigenStimmenkonntennurnochzweiRomaparteienerhalten,die„RomaKoalition“SRKunddie„RomaInitiativeSlowakei“,dieRIS(Homepagewww.rpa.sk).AllebisherigenVersuchederpolitischenEinigungderRomasindgescheitert.ZwarstellendieRomaaufLokalebeneeinigeGe-meindeabgeordneteundGemeindevorsteher–allerdingsmeistinfastausschließlichvonihnenbewohntenGebieten.NochdazugibtesvorallemzwischenromafeindlichenKom-munalbehördenunddenzentralstaatlichenInstitutionenoftKonflikteumdieUmsetzungvonGesetzen,diezurVerbesserungderSituationderRomabeitragensollten(Voulas-ranta2006:22).
48 JUGEND OHNE CHANCE?
Programme zur Besserung der Lage der Roma
Bestrebungen des slowakischen Staates
DiegrößtenKompetenzenbeiderLösungvonMinderheitenfragenliegeninderEuropäischenUnionimmernochaufNatio-nalstaatsebene.TrotzderbislangsehrambivalentenHaltung,diedieslowakischeRegierungderMinderheitgegenübereinnimmt,sindforcierteMaßnahmenimWohnungs-undBildungsbereich,sowiedieVerbesserungderInfrastrukturinRoma-ghettosgeplant.AußerdemsollenRomaendlichauchindiePolizeikräftedesLandesaufgenommenwerden,umweiteregegenRomagerichteteGewaltzuverhindern.MinisterpräsidentFicoweihtekurznachdenWahlendasersteDenkmalein,dasandenPorrajmos–denRoma-Shoah–erinnert.EinschwererRückschlagwarjedoch,dassdasslowakischeVerfassungsgerichtdiepositiveDiskriminierungvonMinderheitenfürverfassungswidrigerklärte,wodurchMaßnahmenzurSchaffungeinerintellek-tuellenRomaelitedurch„affirmativeaction“erschwertwurden.AußerdemversäumendieslowakischenBehördenweiterhin,dieimmernochvorkommendeZwangssterilisierungenvonRomafrauenzuunterbinden(www.am-nesty.org).
Bemühungen der Europäischen Union
TrotzderweitgehendinHändenderMit-gliedstaatenliegendenKompetenzenbeiMinderheitenfragenversucheneinigeEU–Programme,aufeinepositiveEntwicklungderRomapolitikhinzuwirken.InnerhalbderEuropäischenKommissiongibteseine
dienststellenübergreifendeFachgruppefürRoma-Fragen,dieaus14verschiedenenAbteilungenbesteht.DiefinanziellenZu-wendungensind,wiedienationalenBestre-bungenauch,aufeineVerbesserungdermedizinischenVersorgung,derInfrastruktur,derBekämpfungvonArbeitslosigkeitundderFörderungderAus-undWeiterbildungderRomaausgerichtet.AuchderEuroparathatRechtsnormenausgearbeitet,dievorallemMinderheitenbetreffen,wiedieEuropäischeMenschenrechtskonvention,dieEuropäischeSozialchartaunddasEuropäischeKulturab-kommen.DieEuropäischeKommissionge-genRassismusundIntoleranz(kurzECRI),dieebenfallseineInstitutiondesEuroparatesist,verabschiedetperiodischeBerichte,indenenimmerwiederdieMenschenrechtslagederRomaauchinderSlowakeikritisiertwird(Voulasranta2006:21).
Internationale Organisationen und NGOs
SowohldieEntwicklungsabteilungderVer-eintenNationen,dieUNDP,alsauchdieOSZEversuchen,sichdesRomaproblemsinOsteuropaanzunehmen.
ErwähnenswertsindauchdieBemühungendes„EuropeanRomaInformationOffice“,des„CommitteeonRomaniEmancipation“,unddes„EuropeanRomaRightsCentre“.LetzeresisteineunabhängigeOrganisation,aufderenAgendadieForderungvonAnti-Diskriminie-rungsgesetzen,dieFörderungderBildungvonjungenRoma,diejuristischeAufarbeitungvonZwangssterilisierungsfällen,dieVer-besserungderRoma-FrauenrechteunddieVerbesserungderallgemeinenInfrastrukturderRomasiedlungeninderSlowakeistehen(http://www.errc.org/About_index.php).
ZurSelbstorganisationderRomazähltderinden1970erJahren,nachdemMusterdesJewishNationalCongressgegründete„RomaNationalCongress“(RNC).ErbetreibteinInformationsnetzwerkmitdemNamen„Romnews“undveranstaltetunterandereminternationaleKonferenzengegenAntiziga-nismus.ZieldesRNCistjedoch,andersals
esbeim„JewishNationalCongress“war,nichtdieGründungeineseigenenRomaStaates,sondernvorallemdieStärkungdesSelbstbewusstseinsderRoma,wozuauchdieSchaffungeinerRoma–NationalhymneundNationalflaggebeitragensoll(http://www.romnews.com/).
Weiterführende Links
nhttp://www2.amnesty.de/internet/deall.nsf/Druck/CA5B6D09E3CC200BC1256E85n004B886D?OpenDocument,abgerufenam29.1.2007.nhttp://www.rpa.sk/rpa.php?lang=EN&m=SPR&id=VOLB&show=3645,abgerufenam29.1.2007.nhttp://www2.amnesty.de/internet/deall.nsf/51a43250d61caccfc1256aa1003d7d38/de6cfa00f934d141c12571ab00337c92?OpenDocument,abgerufenam28.1.2007.nhttp://www.errc.org/About_index.php,Abrufdatum10.12.200699.nhttp://www.romnews.com/,abgerufenam10.12.2006.
4�EXKURS: ROMA IN DER SLOWAKEI
Bibliographie
MichalVašecka(2006):Human Develop-ment Report on Roma in Slovakia.InstituteforPublicAffairs,Bratislava.Daniel,Bartolomej(1998):Geschichte der Roma in Böhmen, Mähren und der Slo-wakei.In:StudienzurTsiganologieundFol-kloristik,Band23,Frankfurt/Main.DerFischerWeltalmanach:EU-Erweiterung.Frankfurt/Main2004.Necas,Ctibor(1998):Sinti und Roma im Protektorat Böhmen und Mähren sowie in der Slowakischen Republik in den Jahren
1939–1945.In:Dlugoborski,Waclaw(Hrsg.).SintiundRomaimKLAuschwitz-Birkenau1943–44,VordemHintergrundihrerVerfol-gungunterderNaziherrschaft,Oswiecim.Voulasranta,Miranda(2006):Roma und Sinti – Europäische Identitäten, Antizi-ganismus muss erkannt und bekämpft werden.In:Toivanen,Reetta/Knecht,Michi(Hrsg.).BerlinerBlätter,EuropäischeRoma–RomainEuropa,Heft39,Münster.
Laufzeit:Juli2005–Juni2007Partner:ZeMiT–ZentrumfürMigrantInneninTirol•ArbeitsmarktförderungdesLandesTirol•VereinMultikulturell•FBI–InstitutfürgesellschaftswissenschaftlicheForschung,BildungundInformation•TIBS–TirolerBildungsservice•HafelekarUnternehmens-beratung•InstitutfürSoziologiederUni-versitätInnsbruck•AbteilungJuff–ReferatIntegrationdesLandesTirol•Erziehungs-beratungTirol•WirtschaftskammerTirol•ArbeiterkammerTirol
JoinInisteinregionalesEQUAL-Projekt,dassichzumZielgesetzthat,inTiroldieChancenvonJugendlichenmitMigrations-hintergrundamheimischenArbeitsmarktzufördernunddenZugangzuhöherqualifi-ziertenBerufsfeldernzuerleichtern.WeitersbemühtesichJoinIn,unterderTirolerBevöl-kerungmehrBewusstseinundVerständnisfürdieJugendlichenundderenschwierigeSituationzuschaffen.HinterJoinInstandeninsgesamtelfPart-nerorganisationenausPolitik,Verwaltung,Wirtschaft,BildungundGesellschaft,dem-entsprechendsetzteJoinInaufverschie-denenEbenenan.
Netzwerke
JoinInarbeiteteintensivdaran,Netzwerkeanzuregenundzufördern.DurcheinebreitangelegteAkquisitionsarbeitwurdeder„Pool
Diverse“–einNetzwerkvonJugendlichenmitMigrationshintergrundimAltervon15bis25Jahren–aufgebaut.EinMädchen-Netz-werkgingaufdieThemenundProblematikenderweiblichenJugendlichen,speziellderjungenFrauenmittürkischemHintergrund,ein.DenvernetztenJugendlichenwurdenzahlreicheWorkshopsmitexperimentellenAnsätzenangeboten.ImSubnetzwerk„Diver-sityThinkTank“vernetzensichExpertInnenmitundohneMigrationshintergrundzuFragenderArbeitsmarktintegrationvonMi-grantInnen.ZuletztfandimHerbstunterdemTitel„Integration<25“eineTagungmitErfah-rungsaustauschzudiesemThemastatt.
Qualifizierungsworkshops
VerschiedensteWorkshopsvermitteltendenJugendlichenneueKompetenzen,dieihnenbeimEinstiegindenArbeitsmarkthilfreichseinwürden.DieTeilnehmerInnengewannenmehrVertraueninihreeigenenFähigkeitenoderkonnteninverschiedeneBerufsbilderhineinschnuppern.AndereWorkshopshal-fen,kreativesPotenzialzuentdeckenundzuentfalten.DazuzähltenTanzworkshops,interaktiveKunstaktionen,Graffiti,Video,Fotografie,WorkshopszudenThemen„NeueMedien“,„PressearbeitundSchreibwerkstatt“,„KörperspracheimBerufsleben“,Rhetorik-undEnglischkurseunddieEinbindungderJugendlichenineineeigeneJugendzeitungalsfreieRedakteurInnenundAutorInnen.Die
Portraits der transnationalen Partnerprojekte
Join In
50 JUGEND OHNE CHANCE?
51PORTRAITS DER TRANSNATIONALEN PARTNERPROJEKTE
„Kompetenzwerkstatt“sollteJugendlichenmitMigrationshintergrundihreTalenteundFähigkeitenbewusstmachenundsiedarinbestärken,dieseberuflichauszubauenundzunützen.ImRahmeneinesSommercampskonntendieTeilnehmerInnengemeinsammitJugendlichenausDeutschlandundFrankreichineinermethodischaufgebautenAbenteuer-wochegrundlegendeOutdoor-Überlebens-technikenerlernenundsozialeInteraktioninnichtalltäglichenSituationenüben.WeitersbotJoinIndieMöglichkeit,aneinemAus-tauschmitdentransnationalenPartnerorgani-sationeninDeutschland,FrankreichundderSlowakeiteilzunehmen.
Wanderausstellung zur Tiroler Migrationsgeschichte
DieWanderausstellung„MigrationinBildung“erzähltedie(Arbeits)-MigrationinTirolvon1960bisheute.AudiovisuelleInstallationen,
interaktivePC-SpielesowiefürdieAusstel-lunggeschaffeneKunstwerkeermöglichtenesdenBesucherInnen,sichüberdieGe-schichtederMigrationinTirolzuinformierenundimUmgangmitanderenKulturenzusen-sibilisieren.SeitderVernissageimMai2006inInnsbruckreistedieAusstellungdurchdieTirolerBezirkeundwurdedabeistän-digerweitert.DieJurte,einemongolischesNomadenzeltunddasSymbolvonJoinIn,begleitetedieAusstellungaufihrerReise,dientealsBlickfang,Informationszentrale,WorkshopraumundstandsymbolischfürdieWanderungdernachÖsterreichgekom-menenMigrantInnen.
Berufsberatung für Eltern und Jugendliche
ElternundFamilienmitgliedernehmeneineSchlüsselrollebeiderBerufswahlvonJu-gendlichenein.JoinInsetzteauchdortan:
52 JUGEND OHNE CHANCE?
ElternvonMigrantInnenwurdenüberdasBildungs-undBerufssysteminÖsterreichinformiertundfürdieBedeutungderBe-rufsentscheidungundhöherqualifizierterBerufsfeldersensibilisiert.DazufandeninverschiedenenOrtenTirolsBildungs-undBerufsinformationsmessenstatt,esgabEin-zel-undGruppenberatunginJugendzentrenundSchulen.
Interkulturelles Mentoring
ImBerufslebenerfolgreichePersonenen-gagiertensichalsMentorInnenundvermit-teltenihreErfahrungenineinerpersönlichenKarriereförderunganeineGruppevonJu-gendlichen.Die18MentorInnenundebensovieleMenteesmachtensichgemeinsamaufArbeitssucheund/odersetztenersteSchritteineineneueKarriere.BerufserfahreneMen-torInnenunterstützten,berietenundfördertendieJugendlichenganzpersönlichinihremberuflichenFortkommen.
Interkulturelles Clearing
EinweiteresZielvonJoinInwares,zueinerProfessionalisierungderBeratungstätigkeitvonNGOsbeizutragen.EswurdenaufBasiseinerumfangreichenRechercheinEuropaneueundinnovativeClearing-Instrumenteerarbeitet.DasAngebotistnachdemGradderVermittlungshemmnisseabgestimmt.FürJugendlichemitgravierendenDefizitenwurdeeinumfassendesBetreuungsangebotinFormeinesCaseManagementModellsentwickelt.
Sozialwissenschaftliche Feldforschung
UmbesserüberdieLebenssituationvonJu-gendlichenmitMigrationshintergrundinTirolinformiertzuseinunddiesesWissenprak-tischumsetzenzukönnen,arbeiteteJoinInmitdemInstitutfürSoziologiederUniversitätInnsbruckundderfreienForschungsein-richtungFBI–Institutfürgesellschafts-wissenschaftlicheForschung,BildungundInformationzusammen.ZweiPilotstudienwurdendurchgeführt,dieeinerseitsspezielldieBildungschancenvonjugendlichenMi-grantInneninTiroluntersuchten,andererseitsallgemeineDatenzurSituationderbetrof-fenenJugendlichenerhoben.
Öffentlichkeitsarbeit
EinzentralesElementvonEQUAL-ProjektenistdieKommunikationmitderÖffentlichkeit,umzusensibilisieren,zuinformierenundwichtigeMultiplikatorInneninSchule,Arbeit,PolitikundKultureinzubinden.Wichtigistdabei,nichtnurimZentrumaktivzusein.JoinIntourtedahermitderJurteundderAusstellung„MigrationinBildern“durchTirol,nahmanlokalenVeranstaltungenteilundorganisierteigeneEvents.Sowurdez.B.imOktober2006eineWochelanginLandeckHaltgemacht.NebenderAusstellung,Vorträ-gen,einerBildungs-undBerufsinformations-messefürElternundJugendlichefanden16WorkshopsindenBereichenNeueMedien,softskills,Argumentation,Rhetoriku.v.m.statt.DasAnliegenwar,einerseitsQualifika-tionsdefizitebeidenJugendlichenzuidentifi-zieren,andererseitsihnenihrevorhandenenKompetenzenbewusstzumachenundsiezubestärken.WichtigwardabeidieEinbindunginörtlicheStrukturenunddieEinbindungvon
53PORTRAITS DER TRANSNATIONALEN PARTNERPROJEKTE
Brückenpersonen,umdieJugendlichenüber-hauptzuerreichen.
Kräfte bündeln
EineIdeevonEQUAListes,Kräftezubün-deln.DaherarbeiteteninJoinIndieobengenannten11Organisationenmitunter-schiedlichenZugängenzuJugendfragenzusammen.EswarendieSozialpartnervertreten,dasReferatfürIntegrationdesLandesTiroleingebundenundmehrereNGO(TIBS–TirolerBildungsservice,VereinMultikulturell,FBI-Institutfürgesellschafts-wissenschaftlicheForschung,BildungundInformation).DasZeMiT–ZentrumfürMigrantInneninTirol–übernahmdieKoor-dinationderEntwicklungspartnerschaft,dasMarketingunddieÖffentlichkeitsarbeit.UmdasThemaabzurunden,europaweitErfah-rungenauszutauschenundtransnationale
Netzwerkeknüpfenzukönnen,wurdemitPartnerprojektenausFrankreich,Deutsch-landundderSlowakeikooperiert.Beein-druckendwarimHerbst2005derBesuchinderPariserBanlieueVal-FourréinManteslaJoliezurZeitderJugendunruhen.DieDokumentation„AmEndederBannmeile“,dienebenanderenMaterialienvonderHomepagewww.join-in.atgeladenwerdenkann,dokumentiertdenBesuchderTirolerInnenundzeigtdieerfolgreicheArbeitderfranzösischenProjekt-partner.
Herausforderungen, Erkenntnisse und Erfolge
DasMisstrauenderElterngegenüberdenkostenlosenAngebotenfürJugendlicheundmangelndeZeitressourcenderJugendlichenselbstwarendiegrößtenHerausforderungenbeimAufbaudesJugendnetzwerkes.GingJoinInbeiderDefinitionderZielgruppeursprünglichdavonaus,dassdieseJugend-lichenohneBeschäftigungseien,zeigtesichinderRealitäteinetwasanderesBild.FastalleJugendlichen,auchwennsieausdemSchulsystemherausgefallenoderarbeitslossind,gehenVerpflichtungennach,seiesdasAushelfenimFamilienbetrieb,Gelegenheits-jobsoderdieMithilfebeiderErziehungderGeschwistersowieimelterlichenHaushalt.AngesichtsdeskostenlosenAngebotsanQualifizierungsmaßnahmenhatteneinigeElternAngst,manwürdezueinemspäterenZeitpunkteineGegenleistungverlangenundwolltenzunächstihreKindernichtteilnehmenlassen.DurchvielepersönlicheGesprächeunddenEinsatzderJugendassistentInnenkonntedasVertrauenderElternjedochge-wonnenwerden.
JugendlagerinFiss,Sommer2006
54 JUGEND OHNE CHANCE?
DurchdenrelativgroßenAltersunterschiedinnerhalbderZielgruppe(15bis25Jahre)istderReifeprozess–damitdasBewusstseinüberdieWichtigkeitderAuseinandersetzungmiteigenemBildungs-undBerufsweg–unter-schiedlichausgeprägtundhatwesentlichdieProzesseinnerhalbdesProjektsbestimmt.BeidenverschiedenenWorkshopszeigtesichdieSchwierigkeit,dieJugendlichenaufeinerabstrakt-intellektuellenEbeneanzu-sprechen.DieVermittlungvonLerninhaltenmussdaheraufeinerunmittelbar,prak-tischenEbeneerfolgen.IndenWorkshopswareinedeutlicheGeschlechterdifferenzerkennbar:MädchenarbeitetenvoralleminderSchreibwerkstattundimWokshop„Presse-undÖffentlichkeitsarbeit“–undindenFotoworkshopskonzentrierter,enga-gierterundkreativer.GenerelllässtsichfürdieWorkshopsfolgendesResümeeziehen:dieZielgruppeistdenvermitteltenInhaltengegenüberdurchausoffenundinteressiert,
wennmandieausderSchulegewohnteDistanzzwischenLehrendenundLernendenabbautunddieeinzelnenTeilnehmerInnengezieltaufeinerpersönlichenEbenean-spricht,umdieArbeitmöglichstinteraktivundpraktischzugestalten.
AusSichtdesProjektmanagementskannfürdieVernetzungderOrganisationeninnerhalbderEntwicklungspartnerschaftabschließendgesagtwerden,dassdurchdasorganisa-tionelleLernenunddieinhaltlicheAusei-nandersetzungalleBeteiligtenvoneinanderprofitiertenundeinegutesMiteinandererreichtwerdenkonnte.BeiderAuswahlderProjektmitarbeiterInnenwurdevonBeginnandieStrategieverfolgt,dieZielgruppebereitsaufdieserEbeneeinzubinden.ImIdealfallhattendieMitarbeiterInnennichtnurErfahrunginderJugendarbeit,siestammtenzudemselbstausmigrantischenFamilien.DadurchkonntensiedenZugangzuden
InformationsmesseinInnsbruck,März2007
55PORTRAITS DER TRANSNATIONALEN PARTNERPROJEKTE
JugendlichenundihrenFamilienverbes-sern,dasVerständnisfürdieProblemlagenoftauseigenerErfahrungaufbringenundnichtzuletztdurchihreMehrsprachigkeitalsBrückenpersoneneingesetztwerden.DamittrugensiewesentlichzumErfolgdesProjektsbei.DerpartizipativeAnsatzwurdenichtnurtheoretischinderPlanungberücksichtigt,sondernganzkonkretdurchdieEinbindungvonJugendlichenindieProjektarbeit(z.B.alsModulassistentInnenundimRahmenderÖffentlichkeitsarbeit)umgesetzt.DassDiversityManagementgeradeineinemzeitlichkurzangesetztenProjekt(22bis24Monate)indertagtäglichArbeitsorganisationebenfallseineHerausforderungdarstellte,sollnichtverschwiegenwerden.JoinInkannjedochrückblickendaufallenEbenenalsgelungenes„workinprogress“bezeichnetwerden.AufstrukturellerEbeneistallenEQUAL-ProjekteneinebesondereSchwie-rigkeitzuEigen:derhoheadministrative
Aufwand.TrotzdergutenZusammenarbeitmitderAbteilungArbeitsmarktförderungdesLandesTirol,demfinanziellverant-wortlichenPartnerderEP,wardersichdarausergebendeAblaufinOrganisation,AbrechnungundDokumentationfürProjekt-partner,MitarbeiterInnen,TeilnehmerInnenundMultiplikatorInnenoftnichtnachvoll-ziehbar.NureinMaximumanTransparenzundKommunikationkonntehierentgegenwirken.EineweitereHürdeergabsichausderhoheZwischenfinanzierungslast.SiewirdzumfastschonunüberwindbarenHindernis,umanProjektlinienwieEQUALteilzuneh-men.DurchdiehohenAnforderungenwarvonBeginnanfürdenGroßteilderTirolerMigrantInnenvereine,diegeradenocheinVereinslokal,jedochkeineEDVodersonstigeInfrastrukturfinanzierenkönnen,eineBeteili-gungalsProjektpartnerunmöglich.
JugendlagerinFiss,Sommer2006
Laufzeit:Juli2005–2007Partner:AgenturfürArbeitSchweinfurt•ARGELandkreisSchweinfurt•AgenturfürArbeit•DienststelleBadKissingen•ARGELandkreisBadKissingen•Options-kommuneStadtSchweinfurt
ZielvonV.I.T.A.25istes,arbeitslosejungeMenschen–deutscheroderausländischerStaatsbürgerschaft–ausdemgesamtenBezirkderArbeitsagenturSchweinfurtwiederindiewichtigstenSektorenamArbeitsmarkteinzugliedern.SonjaPaltner,eineMitarbei-terinvonV.I.T.A.25dazu:„Für V.I.T.A. 25 ist das oberste Ziel, junge Leute unter 25 wieder in eine Arbeit zu bringen. Die Teil-nehmer haben eine Berufsausbildung oder auch Berufserfahrung und werden dann be-rufsbezogen in unseren Werkstätten für ein Praktikum eingesetzt und anschließend in ein Firmenpraktikum gebracht, das im Endeffekt die Übernahme in ein festes Arbeitsverhältnis bringen soll.“ DieMaßnahmendauernfürje-denTeilnehmermaximal24Wochen.
Ausgangssituation
2005zeigtedieEntwicklungaufdemAr-beitsmarkt,dassdieursprünglicherhoffte,massiveunddauerhafteEntspannungbeiderZielgruppederArbeitslosenbis25Jahregegenwärtignichtabsehbarwar.AuchdurchdenEinsatzeinesJugendsofortprogrammeskonntedasanvisierteZielderSenkungderJugendarbeitslosigkeitundderUnmotiviert-heitnichterreichtwerden.NachdenStatis-tikenderArbeitsagenturSchweinfurtvom
Februar2004wardieZahlderarbeitslosenJugendlichenunter25JahrenseitNovember2003wiederum350Personenaufinsgesamt3.082PersonenimBezirkderAgenturfürAr-beitSchweinfurtgestiegen.HierbeiergabensichfolgendeFallzahlenfürdieeinzelnenGeschäftsstellen:
Hauptagentur Schweinfurt: 960Jugendliche
Geschäftsstelle Bad Kissingen: 810Jugendliche
Geschäftsstelle Bad Neustadt: 595Jugendliche
Geschäftsstelle Hassfurt: 717Jugendliche
AufgrunddieserZahlenwaresdringendnotwendig,fürdieobengenanntenZiel-gruppe,dienochamAnfangihresberuflichenWerdegangesbzw.derUmsetzungihrerbishererreichtenQualifikationenundderKenntnisseihrererlerntenFertigkeitenundFähigkeitensteht,eineöffentliche,alternativePlattformeinzurichten,diedieJugendlichendurchindividuellesCoachingbetreuensollte.AusdiesemGrundwurdedasProjektV.I.T.A.25insLebengerufen,dasseinenTeilneh-mernInnendiesePlattforminFormeinesVermittlungsladensbzw.einesInformations-bistrosanbot.AuchdieArbeitsverwaltungderRegionSchweinfurtbefürworteteinhaltlich,alsauchdieZielgruppebetreffend,einderar-tigesProjekt.
V.I.T.A. 25
56 JUGEND OHNE CHANCE?
Zugang zu V.I.T.A. 25
DerZugangzuV.I.T.A.25verliefnebenderZuweisungüberdieAgenturfürArbeitoderdieVerwaltungsstellefürSozialhilfeempfän-gerSchweinfurtüberverschiedeneWege.InteressierteJugendlichekonntensichbeiderArbeitsagenturumeinenPlatzimVer-mittlungsladen/Informationsbistrobewerben.DurchMundpropagandavonBesucherInnendesVermittlungsladens/InformationsbistroserfuhrenvielearbeitsloseJugendlichevonV.I.T.A.25.AuchvondenTeilnehmerInnengestalteteWerbunginFormvonFlyern,PlakatenundZeitungsartikelntrugzurPo-pularitätdesProjektsbei.WeitersmachtenörtlichenBildungsträgerundbereitsbeste-hendeProjekte(z.B.Rabe,SchweinfurterBürgerdienst,Zweirad-Werkstatt,Textilwerk-statt,usw.)diearbeitslosenJugendlichenaufV.I.T.A.25aufmerksam.ZudenZugangsvoraussetzungenzähltenArbeitslosengeldbezugbeiderBundesa-genturfürArbeitoderderBezugdesneueingeführtenArbeitslosengeldesII,eineAltersgrenzevonmaximal25Jahren,be-ruflicheErsterfahrungoderabgeschlosseneBerufsausbildung.WeiterssolltendieTeilneh-merInnenüberausreichendeDeutschkennt-nisseundMotivationverfügen.
Projektverlauf nach der Zuweisung
ImVermittlungsladen/InformationsbistrowurdendieTeilnehmerInnendurcheinErst-gesprächindasProjektV.I.T.A.25aufgenom-men.DanachwurdemitdenTeilnehmerInneneineEingliederungsvereinbarunggeschlossen,diedieRechteundPflichtenderVertragspart-nerInnenregelteunddieSchaffungvonVer-bindlichkeiten(ZielvereinbarungzumVerlauf)
beinhaltete.AufgrundderunterschiedlichenWerdegängederTeilnehmerInnenerfolgteeineaufjede/neinzelne/nzugeschnittenePlanungdesProjektablaufes.Dieswarentwe-derdieZuweisungineinBeschäftigungsfeld,VermittlungineinBetriebspraktikumoderauchnurreineBeratungundBetreuungimVermitt-lungsladen/Informationsbistro.
Aktivitäten von V.I.T.A. 25
ImVermittlungsladen/InformationsbistrowurdedenTeilnehmerInnenfolgenderSer-viceangeboten:
nStändigesBeratungsangebotfürdieTeilnehmerInnendesProjektesneinePlattformzurBewerbung/EinmündungindenerstenArbeitsmarkt–TrainingdurchdieSelbstorganisationderPlattform–Prä-sentationvonFirmenmitPersonalbedarfnMöglichkeitfreieStellenanzubieten,Mög-lichkeitnachArbeitsstellenundAusbildungs-stellenzusuchen,MöglichkeitdieeigeneBewerbungauszuhängennMöglichkeitfürOrganisationen,In-stitutionen,Bildungsträgern,etc.,ihrDienstleistungsangebot,Fort-undWeiterbil-dungsangebotauszustellennWarenverkauf(ProdukteausdenWerk-stätten)nBistrobetriebnBewerbungstippsundBewerbungshilfennMöglichkeit,denvirtuellenArbeitsmarktkennenzulernennInformationzumThemaArbeitslosigkeit
NebendenInformationsplattformenVer-mittlungsladen/InformationsbistrowurdeeinNetzwerkausFirmen,Unternehmen,Verei-
5�PORTRAITS DER TRANSNATIONALEN PARTNERPROJEKTE
58 JUGEND OHNE CHANCE?
nen,ProjektanbieterInnen,Ausbildungsein-richtungenundTeilnehmerInnenaufgebaut.MitdenJugendlichenimProjekttrafensichdieMitarbeiterInnenvonV.I.T.A.25inderRegelalle2bis3Wochenzueinemgemein-samenProjekttag.AndiesenTagenwurden,arbeitsrelevanteThemenbehandelt,Bewer-bungscoachingsabgehaltenunddieerreich-tenFortschritteundauftretendenProblemereflektiert.V.I.T.A.25botQualifizierungsmaßnahmenundZusatzausbildungeninfolgendenBeschäf-tigungsfeldernan:Hotelerie/Gastronomie,BereichMetall,BereichHolz,BereichHaus-wirtschaft(KücheundReinigung),BereichVerkauf,BereichMaßschneider,BereichBüro.IndiesenBereichsolltendieTeilnehmerInnenihrebereitserworbenenFähigkeitenundFer-tigkeitenindenprojekteigenenWerkstättenauffrischenundvertiefen.DieDurchführungdieserTrainingseinheitenerfolgtedurchfach-lichhochqualifiziertesPersonalintechnischgutausgestattetenWerkstätten.EineNeuerungvonV.I.T.A.25wardieindivi-duelleVerweildauerimProjektjenachZiel-vereinbarung.DazuwurdenvonV.I.T.A.25eigeneWerkstätten,sowieeineinternationaleJugendherbergeeingerichtet.DieindividuelleVerweildauerimProjektsetztesichjenachdenBedürfnissenderTeilnehmerInnenva-riabelausfolgendenFaktorenzusammen:TrainingineinemdervonV.I.T.A.25angebo-tenenBeschäftigungsfelder,betrieblicherEin-satzinFormeinesPraktikumsinmöglichstzweiverschiedenenBetrieben,BeratungundBegleitungwährenddesgesamtenProjektesimVermittlungsladen/Informationsbistro.DieGesamtdauerwurdemitmaximal24Wochenbegrenzt.BeieinerfrüherenEinmündungindenArbeitsmarktwarderAustrittausdemProjektjederzeitmöglich.
UmdieVermittlungschancenderTeilneh-merInnenzusätzlichzuerhöhen,bestanddieMöglichkeitdurchdieTrainingsbereicheoderBetriebspraktikabereitsvorhandeneFertigkeitenundKenntnissezuvertiefenoderaufzufrischenbzw.auchneueFertigkeitenundKenntnissezuerwerben.ImVermitt-lungsladen/InformationsbistrowurdendieBetriebspraktikaunddieerworbenenQualifi-kationenausdenTrainingsbereichenaufderVisitenkartehervorgehoben,uminteressiertenBetriebendieTeilnehmerInnenalspotentiellenArbeitnehmerInnenpositivvorzustellen.DievondenTeilnehmerInnengefertigtenProduktewurdenaußerdeminihrenBewerbungsmap-peninFormvonFotosgezeigt.SomithattenalleTeilnehmerInnendieMöglichkeit,sichüberdentäglichenBetriebdesVermittlungsla-dens/Informationsbistroszupräsentieren.EinetwasandererProjekttagwurdeimSom-mer2006durchgeführt.DieJugendlichenerhieltendenAuftrag,diesenTagselbstzuplanenundzuorganisieren.InfolgedessenentwarfendieJugendlicheneigenverantwort-licheineoffizielleEinladungunderstellteneinenTagesablaufplan.Dasbesonderedaranwar,dassdieserSommer-Projekt-Tagim„grünenKlassenzimmer“,alsoineinerParkanlagestattfand.NebenderüblichenReflexionwurdendanngemeinsamFreizeit-aktivitätenunternommen.ZieldiesesProjekt-tageswares,dieTeamfähigkeitzufestigenunddenJugendlichenzuzeigen,dassnebenderArbeitaucheinAusgleichnotwendigist.AußerdemludV.I.T.A.25dieJugendlicheaufExkursionenzuBetriebsbesichtigungenein.DabeiwurdeneinWälzlagerhersteller,einNon-Profit-UnternehmenundeinEDV-Unter-nehmenbesucht.
5�PORTRAITS DER TRANSNATIONALEN PARTNERPROJEKTE
Resümee
V.I.T.A.25botQualifizierungen,Kompe-tenzfeststellungsverfahrenundArbeitserpro-bungenzurweiterenBerufswegplanung.DieProjektteilnehmerInnennahmendasAngeboteinerAnlaufstelleregean.Beson-dersschätztensiedasindividuelleCoaching,dieunbürokratische,effektive,persönlicheUnterstützunginProblemsituationen,dieServiceleistungenderAnlaufstelle(Bewer-bungstraining,Internetzugang,HilfestellungimUmgangmitBehörden)unddiePraktikainspeziellenBerufsfeldern.EinweitererPluspunktwar,dassdieTeilnehmerInnengezielteQualifizierungenerhielten.AuchnachAusscheidenausdemProjektwerdenderVermittlungsladenunddasInformations-bistrovonvielenTeilnehmerInnenweiterhinalsAnlaufstellezurKlärungvonberuflichenundprivatenProblemengenutzt.Eszeigtesich,dasseinigeTeilnehmerdurchauszurAnnahmeeinerArbeitsstelleimAuslandbe-reitwaren.WichtigwardenTeilnehmerInnendabeidieSicherheit,eineAnlaufstellevorOrtbeiProblemenkontaktierenzukönnen.
Schwierigkeiten im Projektverlauf
EinesdergrößtenProbleme,mitdemV.I.T.A.25konfrontiertwar,warvonAnfangandiespär-licheZuweisungvonTeilnehmerInnendurchdieAgenturfürArbeitSchweinfurtunddieVer-waltungsstellefürSozialhilfeempfängerInnenSchweinfurt.ImLaufedeserstenProjektjahresverbessertesichzwardieZusammenarbeit,einegroßeAnzahlderTeilnehmerInnenkonntejedochnurdurcheigeneAkquisitionundMund-zu-Mund-Propagandaerreichtwerden.EineweitereSchwierigkeitstelltediedeut-scheRegelungfürArbeitsloseunter25Jah-ren(U25)dar.VolljährigeMenschenunter25,dieAnspruchaufdasArbeitslosengeldIIhaben,bildengesetzlichmitihrenElterneineBedarfsgemeinschaftunddieJugendlichensindverpflichtet,beiihrenElternzuwohnen.EineBedürftigkeitwirddahernurinZusam-menhangmitdemEinkommenderElternfestgestellt.DurchdieneueRegelungdesArbeitslosengeldesIIerhieltenvieleJugend-lichewenigerodergarkeinestaatlicheUnter-stützungmehr.DiesbeeinträchtigtenatürlichauchdieKofinanzierungdesProjektes.AusdervorhergenanntenAnzahlvonüber3000arbeitslosenJugendlichenunter25Jah-renimBezirkderArbeitsagenturSchweinfurtbeabsichtigteV.I.T.A.25ursprünglich,durch-schnittlich25JugendlichendieTeilnahmeanV.I.T.A.25zuermöglichen.AufgrunddeserfolgreichenProjektverlaufswurdenletzt-endlichimZeitraumvom1.Juli2005bis31.Jänner2007insgesamt57TeilnehmerInnenbetreut.Davonwarenam31.1.200724Per-sonenwiederindenArbeitsmarkteingeglie-dert,5befandensichnochinAusbildung.LeiderendetdasProjektdefinitivzum30.06.2007undwirdindieserFormnichtweitergeführt.
JugendlicheinderGastronomieausbildung
60 JUGEND OHNE CHANCE?
Best Practice
Jana, 23 Jahre, ledigGeburtsort:Fjodorowka/KasachstanEinreisenachDeutschland:11/2002Schulbildung:HauptschulabschlussBerufstätigkeit:09/2001–09/2002ArbeiterinbeiderWasserleitungsverwaltunginKasachstanbisherigeSprachkurseinDeutschland:11/2002–06/2003,08/2003–12/2003,12/2003–03/2004,09/2005–12/2005BerufsausbildunginDeutschland:AusbildungzurKöchin;AbbruchwegenSprachdefizitenDauerd.ArbeitslosigkeitvorProjektbeginn:6Monate
Projektverlauf:nindividuelleStärken-/SchwächenanalysenSelbst-undFremdeinschätzungdersprachlichenFähigkeitenanhandgezielterTestverfahrennVermittlungineinPraktikumimJugend-zentrumBadKissingenmitfolgenderZielset-zung:
•Konversationstraining•Kontaktverbesserung,Sozialisierung•ErhaltundTrainingvorhandenerArbeits-
technikendurchMitarbeitimSchülerbistronDieanfänglichenSprachdefiziteführtenzunächstzuProblemsituationen,dieschnellabgebautwurden.nNacherfolgreicherIntegrationimTeamdesJugendzentrumskonnteeinedeutlicheVerbesserungderSprachfähigkeitenerreichtwerden.nJanaabsolviertmomentaneinPraktikumineinemgastronomischenBetriebmitgutenAussichtenaufÜbernahmeineinAusbil-dungsverhältnis.
Roman, 25 Jahre, ledigGeburtsort:Fjodorowka/KasachstanEinreisenachDeutschland:06/1995Schulbildung:QualifizierenderHauptschul-abschlussBerufsausbildunginDeutschland:AusbildungalsKfz-MechanikerBerufstätigkeitinDeutschland:mehrerebe-fristeteArbeitsverhältnissealsArbeiterinderGroßindustriebisherigeSprachkurseinDeutschland:keineDauerd.ArbeitslosigkeitvorProjektbeginn:4Wochen
RomanabsolvierteseineAusbildungzumKfz-MechanikerbeiderBundeswehr.NachderAusbildungwareraufdemregionalenArbeitsmarktindiesemBerufschwerver-mittelbar,daihmdiepraktischenKenntnissefürzivileFahrzeugefehlten.BishernahmRomanerfolglosaneinemTestverfahrenfürBerufssoldatenbeiderBundeswehrteil,dieVerwirklichungeinerZweitausbildungimMetallbereichgestaltetsichausfinanziellenGründenalsschwierig.
Projektverlauf:nPraktikuminderV.I.T.A.25MetallwerkstattzurChancenabklärung.nWährenddesProjekteskristallisiertesichdasBestehendesTestverfahrensfürZivilsol-datenalswichtigstesZielfürRomanherausnBegleitungzueinemerneutenBeratungs-gesprächbeiderWehrdienstberatung.nUnterstützungbeidennotwendigenBe-werbungsformalitätenfürdieBundeswehrnIntensivesTraining/VorbereitenaufdenschriftlichenundpsychologischenTest.nRomanhatdasTestverfahrenerfolgreichbestanden.EristzumJuli2006alsZeitsoldatbeiderBundeswehr.
61PORTRAITS DER TRANSNATIONALEN PARTNERPROJEKTE
Laufzeit:September2004–Dezember2007Partner:EuropäischerSozialfond•Minis-teriumfürLandwirtschaftundFischerei•StadtverwaltungManteslaJolie•Caissed’Epargne•Cap&Vie•BergerieNationale•ÉtudesetChantiersIledeFrance•CCAS•FNCIVAM
Nationale Aktivitäten
WiebereitsinKapitel„Universalitécontrediversité“ausführlichgeschildert,lebenJu-gendlichemitMigrationshintergundindenfranzösischenVorstädtenunterprekärensozialenundwirtschaftlichenBedingungen.JugendlicheundElternverzweifelnundresignierenangesichtsderschwierigenLebensumstände,zudemwirddieerzie-herischeKompetenzderElternvondenverantwortlichenInstitutionenundderöf-fentlichenMeinungoftmalsnichtanerkannt.DasProjektEQUALCapacitéversuchtnun,unterEinbeziehungderEltern,JugendlichenausdemBanlieueVal-FourréinManteslaJoliePerspektivenaufneueLebensweisenzueröffnenundihregeographischeMobilitätzufördern.EQUALCapacitégingauseinerPartnerschaftderOrganisationenCap&VieausManteslaJolie,BergerieNationaleausRambouillet,ÉtudesetChantiersIledeFrance,CCASausManteslaJolieundFNCI-VAMhervor.ImRahmendesProjektesEQUALCapacitéorganisiertenElternundOrganisationenausdemsozialbenachteiligtenViertelVal-FourréausManteslaJolieAufenthaltebeiländlichenFamilienfürKinderundihreEl-
tern.InderBanlieuevonVal-Fourréleben25.000Menschen,dasGrosvonihnensindMigrantInnen.DadasErlernenvonMobilitätunddasKennenlernenneuerUmgebungenbereitsinderKindheitundJugendbeginnensollten,favorisiertEQUALCapacitéAktivi-täten,dieimKindesalteransetzenunddieJugendlichenbisinsjungeErwachsenenalterbegleiten.Fürdieacht–biszwölfjährigenKinderwurde„UrlaubaufdemBauernhof“angeboten,dievierzehn-bisfünfundzwanzig-jährigenJugendlichenhalfeninWorkcampsmit,historischeBausubstanzzuerhaltenundzurenovieren.EQUALCapacitégingvonderIdeeaus,jeeineFamilieausdenBanlieuesmiteinerFa-milieausdemländlichenRaumzuverknüp-fen.ObwohleszuBeginnschwierigwar,dasVertrauenderElternundJugendlichenzuge-winnen,konntedasanfänglicheMisstrauendurchMitarbeiterInnenvonEQUALCapacité,dieebenfallsausmigrantischenFamilienstammen,baldüberwundenwerden.EsentwickeltesicheinNetzwerkzwischen200FamilienausVal-Fourréundüber100ländlichenFamilien.NebendemProgrammfürKinderundJugendlichewurdenBegeg-nungstagefürdieErwachsenenundWochen-endaufenthaltefürFamilienangeboten,vondeneninsgesamtmehrals200Erwachseneprofitierten.ImRahmendiesesAustauscheszwischenStadtundLandbesuchtendieGastfamilienauchdieFamilienihrerGastkinderindenBan-lieues.DurchgemeinsamesKochen,KonzerteundFeiernentfaltetesicheinregerkulturellerAustauschzwischeneinheimischenländlichenundmigrantischenurbanenFamilien.Prob-
EQUAL Capacité
leme,diedieseAktivitätenerschwerten,wareneinerseitsdieverfügbareZeitderFamilien–vorallemfürdieFamilienvomLandwaresteilweisesehrschwierig,ihrenHoffüreinigeZeitalleinezulassen–andererseitswaresnichtimmerleicht,diesenkostenintensivenAustauschzufinanzieren.UmdasNetzwerkzwischenStadtundLandzukoordinieren,wurdenverschiedenelokaleOrganisationengegründet.AuchbereitsbestehendeländlicheVereineundOrganisationensowiedieLand-wirtschaftskammerunterstützendieAktivitätenvonEQUALCapacité.Insgesamtnahmenin16Departements,95Bauernhöfeund30UnternehmenandenAktivitätenvonEQUALCapacitéteil.FürdieGastfamilienwarensozialeundökonomischMotiveausschlaggebend:sozialbenachteili-gtenKindernundJugendlichenausdenVor-städtendasLebenunddieArbeitamLandinallseinenFacettennäherzubringen,dieKin-derfürökologischeLandwirtschaftzusensi-bilisieren,dieSolidaritätzwischenländlichenundstädtischenGebieten,verschiedenenKulturenundGenerationenzuverstärken,ihrFamilienlebenzuteilenundsoihreneigenenKinderndenZugangzuanderenKulturenundsozialenSchichtenzueröffnen.BäuerinnengabdieserAustauschzusätzlichnocheinenneuenberuflichenStatus.DasProgrammermöglichtedenBäuerinnenundBauernneueEinkunftsquellenohnegroßeInvestition,bestehendetouristische,thera-peutischeodererzieherischeAktivitätenwur-dendurchdieAufnahmederKinderausdenBanlieuesergänztunderweitert.DankderregionalenPartnerorganisationeninganzFrankreichstandEQUALCapacitéeindichtgeknüpftesNetzwerkzurVerfügung,mitdessenHilfebaldinteressierteBäuerinnenundBauerngefundenwerdenkonnten.Dabei
spieltenauchdieMundpropagandaundAuf-rufeinderregionalenPresseeinewichtigeRolle.BereitschaftundpersönlicheMotiva-tionwarendieausschlaggebendenFaktorenbeiderAuswahlderBäuerinnenundBauern,diesichbereiterklärthatten,JugendlicheausdenVorstädtenaufihrenHöfenaufzuneh-men.DieBäuerinnenundBauernbekameneinemehrtägigeSchulung,diesieaufihreRollealsGastgeberInnenvorbereitensollte.
EQUALCapacitéermöglichtejedesJahr250Urlaubsaufenthalte,imJahr2006wareninsgesamt110WochenanLehrgängenundWorkshopsrealisiertworden.AndemAus-tauschnahmendieGemeindenManteslaJolie,Sartrouville,LesMureaux,ChantelouplesVignesundEcquevillyundmehrerebäuerlicheGebieteinganzFrankreichteil:CantalCorrèze,PoutouCharentes,SeineMaritime,IndreetLoire,Ain,Finistère,Lan-guedocRoussillon,LoireAtlantiqueunddieAuvergne.
JugendlicheausVal-Fourré
62 JUGEND OHNE CHANCE?
DieAktivitätenvonEQUALCapacitéer-laubtendenKindernundJugendlichendurchdenKontaktmiteinerihnenbisherunbekannten,ländlichenLebensweiseneuePerspektivenzugewinnen.DerVerbleibvie-lerKinderundJugendlicheinsegregierten,ethnischenGemeinschaftenkonnteaufdieseWeiseaufgebrochenwerden.DerBlickauftradierteGeschlechterrollenverändertesichdurchdasKennenlerneneinerneuenArbeits-undRollenverteilung.DieJungenwurdenaufunterhaltsameWeiseangeregt,ihrenAnteilanderHausarbeitzuübernehmen,dasSelbstvertrauenderMädchenwurdege-stärkt,indemsietechnischesKnow-howundKenntnisseinderTierpflegeerwarben.DieWorkcamps,andenendieälterenJugend-lichenteilnahmen,dientenzugleichalsVor-bereitungaufeinzukünftigesArbeitsleben.
Transnationaler Austausch
DieZusammenarbeitmitdeutschen,öster-reichischenundslowakischenPartnerorgani-sationengabdemProjekteineeuropäischeDimension.Seit2005fandenTreffeninÖsterreich,Deutschland,derSlowakeiundFrankreichstatt.DerproduktiveErfahrungs-austauschmachtedreigemeinsameProjektemöglich:
nEineBroschüre,diesichanExpertInnenrichtetunddiespeziellenCharakteristikaderfranzösischenImmigrationspolitikindenBereichenPolitik,BildungundArbeitsmarkterklärt.nEineBroschüre,diejugendlicheMigrant-InnenaufihreAnkunftinFrankreichvorbe-reitet.nEineWebseite,diediegemeinsameArbeitderPartnerorganisationenpräsentiert
AußerdemwurdeeinAustauschvonJu-gendlichenmitÖsterreichorganisiert:SechsfranzösischeJugendliche(dreiJungenunddreiMädchen)nahmenüberdieOrgani-sationenCap&VieunddasCentredeVieSocialedeManteslaJoliesimAugust2006amSommercampindenTirolerBergenteil.ImGegenzugfuhrendreiösterreichischeJu-gendlichenachFrankreichundhalfenbeiderRenovierungderhistorischenBausubstanzimSchlossRambouillet.
Best Practice
EQUALCapacitéerleichtertedenZugangzumArbeitsmarktfürdieJugendlichenausdenBanlieues,vorallemfürMädchen.Es-sentiellesElementwardabeieinNetzwerkvonBekanntschaften,dasumdieElternder
Cap&VieFamilienfest,November2005
63PORTRAITS DER TRANSNATIONALEN PARTNERPROJEKTE 63PORTRAITS DER TRANSNATIONALEN PARTNERPROJEKTE
Jugendlichenherumaufgebautwird.DieserBekanntenkreiswirdsystematischdurchdieIdentifizierunggeographischerundprofessi-onellerSektorenerarbeitet,dieArbeitskräftebrauchen.DurchdengesamtenVorganghindurchistdieRollederElterneinerderfürdenErfolgausschlaggebendenFaktoren.Nochmehr:dieVerantwortung,diedenElternindiesemProzessgegebenwird,vergrößertihrSelbstwertgefühlunddenRespektvonSeitenderKinder.DieAnnäherungderGe-nerationenwirdzudemdurchdieTeilnahmevonpensioniertenFreiwilligennochver-stärkt,diealsBegleitpersonenwährendderFerienundWorkcampsfungieren.AuchdieElternfühlensichberuhigter,wennVertrau-enspersonenwährenddieserZeitaufihreKinderaufpassen.DassozialeAnsehenderPensionistInnenwirdgestärkt,sieerhalteneineneueAufgabeunddieMöglichkeit,ihreZeitzumWohleihrerGemeinschafteinzu-setzen.ImSommer2007reistenJugendliche,dieandenvonEQUALCapacitéorganisierten„UrlaubamBauernhof“unddenWorkcampsteilnahmen,ineiner„TourdeFrance“mitdemFahrradvonBauernhofzuBauernhof.DasösterreichischePartnerprojektJoinInbegleitetedieseTourdeFrancederanderenArteinenTeildesWegesmitseinermongo-lischenJurte.Zwischendem6.und30.Julimachtedie„TourdeFrance“aninsgesamt10StoppsinderNormandie,derBreta-gne,inLoire-Atlantique,Poitou-Charentes,Limousin,GardundRhône-AlpesHalt,zwischendenenjeweilseinedrei-bisfünftä-gigeEtappelag.DieJugendlichenkonntensichaussuchen,inwelcher/nEtappensiemitfahrenwollten,jederStoppwurdevonkulturellenAktivitätenderlokalenPartneror-
ganisationenvonEQUALCapacitébegleitetwerden.
Schwierigkeiten
EinedergrößtenHerausforderungfürEQUALCapacitéwares,Hindernissezuidentifizieren,diemitderräumlichenMobilitätderJugendlichenverknüpftsindundihresozialeIntegrationunddenEinstiegindenArbeitsmarkterschweren.ManchmalwarderkulturelleSchock–Umgebung,Lebensweise,Essen–deneinigeKinderundJugendlicheaufdemLanderlebten,sogroß,dasssienachHausezurückkehrten.ImAllgemeinenhalfjedochdieAnwesenheitderPensionis-tInnen,diedieKinderundJugendlichenaufdieBauernhöfebegleiteten,ihneneinGefühlvonSicherheitzuvermitteln.EinProblemganzandererArtwarderim-menseadministrativeAufwand,dendasPro-jektmitsichbrachte,unddersichalseinesdergrößtenHindernisseimProjektverlaufherausstellte.
Resümee
AusgangslageDiesozialeAusgrenzungderFamilienausdenBanlieuesbringtalsFolgeerscheinungeinenerschwertenEintrittderJugendlichenindenArbeitsmarktmitsich.ObwohldieJugendlichenausdenBanlieuesoftgutebisbrillanteschulischeLeistungenerzielen,werdensievonderGesellschaftzurückge-wiesenundstigmatisiert.GleichzeitigwirdihrenElterndieerzieherischeKompetenzabgesprochen.DieGesellschaftverschließtdamitdiesenFamilien–undbesondersdenJugendlichen–vieleTürenzumArbeits-markt.
64 JUGEND OHNE CHANCE?
Angestrebte LösungenDieBindungenzwischendenGenerationensollenwiederverstärktundGemeinsam-keitenzwischendenBanlieuesundländ-lichenGemeindengefundenwerden.EQUALCapacitéschlägtvor,dieMobilitätderJu-gendlichenderBanlieuesRichtungländlicheZonenundEuropazuverbessern,umneueMöglichkeitenzurpersönlichenundberuf-lichenEntfaltungzugewinnen.DabeistütztsichEQUALCapacitéaufdasInteresseunddieBereitschaftderurbanenFamilien,sichmitdemländlichenMilieuzuvernetzenundauszutauschen.ImGegenzugkonntendieTeilnehmerInnenausdenländlichenRegi-onenihreLiebezumbäuerlichenMetiermitdenJugendlichenteilenundprofitiertenvonderenormenkulturellenVitalitätderBanli-eues,waszurRevitalisierungderländlichenGebietebeitrug.
NachhaltigkeitDieOrganisationCap&VieorganisiertseitsiebenJahreneinenAustauschmit15ver-schiedenenRegionenFrankreichs.Dasaktu-elleProjektzieltdaraufab,dasFunktionierendesNetzwerkesausstädtischenFamilienundGastgeberInnenausdemländlichenBereichzuinstitutionalisieren,zuverstärkenundseinenFortbestandzugarantieren,damitsichdieJugendlichenausdenBanlieuesweiterhinaufdieseStrukturenstützenkön-nen.NotwendigeMaßnahmensindindiesemZusammenhang:
nDieZusammenarbeitzwischenländlichenundstädtischenTeilnehmerInnenzuverstär-ken,umdieKoordinationderAufenthalteundWorkcampszuverbessern.nDieFinanzierungzugewährleistenunddenökonomischen,kulturellenundsozialenBeitragdiesesrural–urbanenAustauscheshöherzuschätzen.nNeueTeilnehmerInnenzumobilisieren(städtischeundländlicheFamilien,Unter-nehmen,VereineundOrganisationen)undihnenzuhelfen,dieErfahrungenvonManteslaJolieauchinanderenStädtenFrankreichsumzusetzen.nDieZusammenarbeitmitSchulenauszu-bauenunddieBeziehungenzudenNetz-werkenderIAE(L‘InsertionparL‘ActivitéEconomique)undderEuropäischenUnionzuverbessern.nJugendlicheberuflichzumobilisierenundsichdabeiauffolgendeNetzwerkezustützen:einNetzwerkausländlichenUnter-nehmen,dasNetzwerkderIAEundeineuro-paweitesNetzwerk,umPraktikainandereneuropäischenLändernzuermöglichen.
Cap&VieFamilienfest,November2005
65PORTRAITS DER TRANSNATIONALEN PARTNERPROJEKTE
Laufzeit:Juni2005–Februar2007Partner:AgentúraPodporovanéhoZamest-návaniaSomotor•IniciatívaSpolocenstva•CharticanoOz
DasHauptzieldesProjekteswares,dieAr-beitslosigkeituntermarginalisiertenGruppenzuverringernundihren(Wieder-)EinstiegindenArbeitsmarktzubegünstigen.InderRegionKošicehandeltessichdabeihauptsächlichumziganeBevölkerung.Em-ployabilityundSelbstbeschäftigungsollendurchgezielteMaßnahmenerhöhtwerden,auchdiesozialeIntegrationsolldurchPro-grammeunterstütztwerden,diespeziellaufdieBedürfnisseundkulturellenCharakteri-stikaderZielgruppezugeschnittenwurden.
ImRahmendesProjekteswurdendreiHaupt-aktivitätendurchgeführt,diejeweilsaufdieBe-dürfnissederziganenZielgruppeeingingen:
nlokaleBerufsberatungszentrenndieSchule„ZweiteChance–ZentrumfürintegrativeAusbildung“nspezifischesTrainingundgenaueVorbe-reitungderAusbildenden
ImLaufedesProjekteswurdenspezielleAusbildungsstrategienfürdieZielgruppeent-wickelt,dieeinlebenslangesLernprogrammbeinhalten.SpezielleLehrpläne,dieaufdieBedürfnissederZielgruppeangepasstsind,sowiespezielleSchulungenfürdieAusbil-dendenwarendieGrundsäulenfürdenEr-folgdesProjektes.
Innovative Maßnahmen
DiesozialeundberuflicheIntegrationwurdedurcheinenneuenAusbildungsansatzgeför-dert.ZusätzlichzuBasisqualifikationen,wur-densozialeFähigkeitenvermittelt,diefürdenErfolgsozialerundberuflicherIntegrationun-erlässlichsind.Jede/rTeilnehmerInwurdein-dividuellbetreutunddasTrainingsprogrammgenauihren/seinenBedürfnissenundFähig-keitenangepasst.Zusätzlichhalfeinmultidis-ziplinäresVorgehen,dieKräfteverschiedenerInstitutionenauflokalerundregionalerEbenezubündeln,umihreMöglichkeitenfürdieKli-entInnenvollauszuschöpfen.EinbesondererSchwerpunktderAusbildungwargezieltesEDV–TrainingunddieverstärkteVermittlungvonMultimedia–Kenntnissen.Einemotivie-rendeUmgebungsolltezuselbständigemArbeitenundaktivemLernenanregen.
Betreuung der KlientInnen
VordemBeginnderAusbildungwurdefürjede/nTeilnehmerIneineigenesBera-tungs–undAusbildungskonzepterstellt.An-handdiesesindividuellenKonzepteswurdendieTeilnehmerInnenspätereinzelnundinGruppenberatenundgeschult.UmspeziellaufdieBedürfnissederZielgruppeeingehenzukönnen,wurdenBeraterInnenundAus-bildendegenauaufdassoziokulturelleProfilihrerzukünftigenKlientInneneingeschult.EinSpezifikumderAusbildunginderSchulederzweitenChancewarunteranderemdasFallenlassenrigiderStrukturen:BeraterInnenundAusbildendefungierteneheralssozialeBegleiterInnen,anstattdastraditionelleLeh-
Spolu to dokázeme – „Schule der zweiten Chance“
66 JUGEND OHNE CHANCE?
6�PORTRAITS DER TRANSNATIONALEN PARTNERPROJEKTE
rerInnen–SchülerInnen-Verhältnisaufrechtzuerhalten.DadurchverbessertesichvorallemdieVertrauensbasismitdenjugendlichenTeilnehmerInnenenorm.
Vereinigung nationaler Partner in einer Entwicklungspartnerschaft
Wissen,ErfahrungundHandlungsmöglich-keitendereinzelnenPartnerwurdengezieltzueinerEntwicklungspartnerschaftvereint.DankihrerlangjährigenErfahrungkennensieArbeitsmarktundErfordernissederRegionSomotorgenau.GeeintwerdensiedurchdasgemeinsameZiel,dieArbeitslosigkeitderZielgruppezuverringern.EntscheidungenwurdenaufderBasisgemeinsamerVerant-wortunggetroffen.
Gemeinsame Aktivitäten der Entwicklungspartnerschaft
DienationalenPartnertauschtenInforma-tionenundMethodenaus,führtengemein-sameProjekteundAktivitätendurchundbesuchtendieLänderdereuropäischenPartnerorganisationen.DerAustauschzwischenRomaausderurbanenGegendLuníkIXundderländlichenRegionvonTo-kajkonnteverbessertwerden.TraditionelleFähigkeitenkonntenfürdenEinstiegindenArbeitsmarktgenutztwerden:sovermitteltedieslowakischeRoma-NGO„Chartikano“erfolgreichArbeitsloseinBerufeimtraditi-onellenSchmiedehandwerk.DieMobilitätundUnabhängigkeitvonJugendlichenderZielgruppezwischen16und25Jahrenwurdeerhöht,umeinenEinstiegindenArbeitsmarktzuerleichtern.
HolzwerkstattimRahmenvonSpolutodokázeme
68 JUGEND OHNE CHANCE?
Anhang
Statistiken zu Österreich
Arbeitslose ausländische Jugendliche in Österreich nach Nationalitäten 2006
Serbien-Montenegro
Mazedonien
Kroatien
Bosnien-Herzegowina
Türkei
Österreich
0 5.000 10.000 15.000 20.000 25.000 30.000 35.000
Quelle:AMSÖsterreich
6�ANHANG
Arbeitslose ausländische jugendliche nach Branchen 2006
Sonstiges
Schulabgänger
Erbringungvonsonstigen
Dienstleistungen
Erbringungvonunternehmens-
bezogenenDienstleistungen
Beherbergungs-undGaststättenwesen
Einzelhandel
HerstellungvonNahrungs-undGenussmitteln
0 200 400 600 800 1.000 1.200
Quelle:AMSÖsterreich
�0 JUGEND OHNE CHANCE?
Statistiken zu Deutschland
Sektoriale Verteilung der türkischen Auszubildenden in Deutschland
Berufssektoren der türkischen Erwerbstätigen bis 24 Jahre
50
45
40
35
30
25
20
15
10
5
0
%
IndustrieundHandel Handwerk FreieBerufe(z.B.: ÖffentlicherDienst ArzthelferIn,RechtsanwaltgehilfIn)
Sektoren
25
20
15
10
5
0
%
ungelernte angelernte FacharbeiterInnenuntereAngestelltemittlereAngestellte Arbeitskräfte Arbeitskräfte
Sektoren
�1ANHANG
Statistiken zu Frankreich
Beschäftigungsrate nach Geschlecht und Alter 1992 und 2002
Arbeitslosenrate nach Nationalitäten
2002lagdieArbeitslosenrateunterImmigrantInnenbei16,1%,beiderfranzösischenBevölkerunglagsiebei7,2%.Quelle:INSEE
Berufliche Position von Männern zwischen 30 und 59 Jahren und ihren Vätern
Quelle:INSEE
100
80
60
40
20
0 15–24 25–39 40–49 50–59 60Jahre undmehr
15–24 25–39 40–49 50–59 60Jahre undmehr
1992
ImmigrantenNicht-ImmigrantenImmigrantinnenNicht-Immigrantinnen
2002in %
30
25
20
15
10
5
0
in %
ImmigrantInnen
Nicht-ImmigrantInnen
Spanien Italien Portugal Algerien Marokko Tunesien Andere Türkei afrikan.Länder
70
60
50
40
30
20
10
0
in %
BefragtePerson
VaterderbefragtenPerson
Frei- Höhereund Angestellte Arbeiter Frei- HöhereundAngestellte Arbeiterberufliche Mittlere berufliche Mittlere Angestellte Angestellte
BeideElterninFrankreichgeborenBeideElternimAuslandgeboren
NOTIZEN