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AUS DER PRAXIS FÜR DIE PRAXIS Liebe Leserin, lieber Leser, in unseren vorherigen Aus- gaben haben wir Sie mit komprimierten Artikeln v er- sorgt. Unser zwanzigster Newsletter ist ausnahmswei- se etwas anders konzipiert: Wir haben Themen f ür Sie herausgesucht, die intensiv er beleuchtet werden und daher v om Textumf ang umf angrei- cher sind. So berichtet Dr. Willi Pecher v on einer Suizid- präv entionsmaßnahme mit „Listeners“, die seit Februar 2011 in der JVA München eingesetzt werden. Was „Listener“ sind und welche Erf ahrungen seine Justizv oll- zugsanstalt damit gemacht hat, lesen Sie in unserem ersten umfangreichen Artikel. Im Juni 2013 sind umf assen- de Neuregelungen f ür den Vollzug der Sicherungsv er- wahrung in Kraft getreten. Jens Grote vom Niedersäch- sischen Justizministerium und Michael Schäfersküpper v on der Fachhochschule für Rechtspflege Nordrhein- Westfalen geben einen Über- blick über die aktuellen Ent- wicklungen in diesem Be- reich. Schon seit längerer Zeit be- schäftigt sich die Kriminolo- gie mit der Frage, welche Auswirkungen der demogra- f ische Wandel auf die zu- künf tige Gefangenenentwick- lung hat. Dr Dirk Baier und Michael Hanslmeier v om Kriminologischen For- Foto: Francesca Schellhaas / photocase.com schungsinstitut Niedersach- sen beantworten diese Frage und zeigen auf, was dies für die Arbeitsbelastung im Strafvollzug bedeutet. Abschließend stellt Michael Schäfersküpper den Fachbe- reich Strafvollzug der Fach- hochschule für Rechtspflege Nordrhein-Westfalen v or, in dem rund drei Viertel der Bundesländer seit den sieb- ziger Jahren das mittlere Management f ür ihre Justiz- v ollzugsanstalten ausbilden lassen. Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen. Sonnige Grüße aus Celle sendet Ihnen Michael Franke JAHRGANG 11 ● AUSGABE 20 ● MAI 2014 JUSTIZ NEWSLETTER Suizidprävention - Einsatz von „Listeners“ 2 Vollzug der Sicherungs- verwahrung - Aktuelle Entwicklungen 12 Die Prognose der Gefangenenzahlen 19 Fachhochschule für Rechtspflege 26 Ankündigungen 32 Kontaktadressen 33 INHALT

Justiz-Newsletter Nr. 20 - fhr.nrw.de · Newsletter Nr. 20 Seite 5 de-rungssituation kommt. Bisher wurde von dieser Möglichkeit noch nicht Gebrauch gemacht. Die Listener kommen grundsätzlich

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  • A U S D E R P R A X I S F Ü R D I E P R A X I SLiebe Leserin, lieber Leser,

    in unseren vorherigen Aus-

    gaben haben wir Sie mit

    komprimierten Artikeln v er-

    sorgt. Unser zwanzigster

    Newsletter ist ausnahmswei-

    se etwas anders konzipiert:

    Wir haben Themen f ür Sie

    herausgesucht, die intensiv er

    beleuchtet werden und daher

    v om Textumf ang umf angrei-

    cher sind. So berichtet Dr.

    Willi Pecher v on einer Suizid-

    präv entionsmaßnahme mit

    „Listeners“, die seit Februar

    2011 in der JVA München

    eingesetzt werden. Was

    „Listener“ sind und welche

    Erf ahrungen seine Justizv oll-

    zugsanstalt damit gemacht

    hat, lesen Sie in unserem

    ersten umf angreichen Artikel.

    Im Juni 2013 sind umf assen-

    de Neuregelungen f ür den

    Vollzug der Sicherungsv er-

    wahrung in Kraft getreten.

    Jens Grote vom Niedersäch-

    sischen Justizministerium

    und Michael Schäfersküpper

    v on der Fachhochschule für

    Rechtspflege Nordrhein-

    Westfalen geben einen Über-

    blick über die aktuellen Ent-

    wicklungen in diesem Be-

    reich.

    Schon seit längerer Zeit be-

    schäftigt sich die Kriminolo-

    gie mit der Frage, welche

    Auswirkungen der demogra-

    f ische Wandel auf die zu-

    künf tige Gefangenenentwick-

    lung hat. Dr Dirk Baier und

    Michael Hanslmeier v om

    Kriminologischen For-

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    schungsinstitut Niedersach-

    sen beantworten diese Frage

    und zeigen auf , was dies f ür

    die Arbeitsbelastung im

    Strafv ollzug bedeutet.

    Abschließend stellt Michael

    Schäfersküpper den Fachbe-

    reich Strafvollzug der Fach-

    hochschule für Rechtspflege

    Nordrhein-Westfalen v or, in

    dem rund drei Viertel der

    Bundesländer seit den sieb-

    ziger Jahren das mittlere

    Management f ür ihre Justiz-

    v ollzugsanstalten ausbilden

    lassen. Wir wünschen Ihnen

    viel Spaß beim Lesen.

    Sonnige Grüße aus Celle

    sendet Ihnen

    Michael Franke

    J A H R G A N G 1 1 ● A U S G A B E 2 0 ● M A I 2 0 1 4

    J U S T I Z N E W S L E T T E R

    Suizidprävention -

    Einsatz von „Listeners“2

    Vollzug der Sicherungs-

    verwahrung - Aktuelle

    Entwicklungen

    12

    Die Prognose der

    Gefangenenzahlen19

    Fachhochschule für

    Rechtspflege26

    Ankündigungen 32

    Kontaktadressen 33

    I N H A LT

    http://www.fajv.de

  • Newsletter Nr. 20 Seite 2

    eine Behandlungsgrup-pe bzw. Sozialtherapie.Für Therapieteilnehmerist es ein durchgängigesBehandlungsziel, ihreempathischen Fähigkei-ten auszubilden undanzuwenden. Durchihren Einsatz als Liste-ner kann eine wichtigetherapeutische Weiter-entwicklung angestoßenwerden. Außerdem istdurch die Einbindungder Listeners in einesolche Behandlungs-gruppe ihre notwendigegründliche Begleitung

    Einsatz von „Listeners“von Willi Pecher

    SUIZIDPRÄVENTION

    Aus der vom nieder-sächsischen kriminologi-schen Dienst durchge-führten Totalerhebung derSuizide in deutschen Ge-fängnissen 2000 bis 2010geht ganz deutlich hervor,dass die Suizidrate zuBeginn der Inhaftierungam höchsten ist. Beson-ders gefährdet sind Ge-fangene zu Beginn derHaftzeit, Untersuchungs-gefangene und Erst- bzw.

    Zweitinhaftierte.

    Im Rahmen eines Maß-

    nahmenbündels zur Sui-zidprävention könnenListeners, also geschul-te Gefangene, die sichNeuzugängen als Ge-sprächspartner zur Ver-fügung stellen, einengenuinen, nicht durchandere Maßnahmen zuersetzenden Beitragliefern. Diese Listenersmüssen geschult undintensiv begleitet wer-

    den.

    Günstig ist die Einbin-dung der Listener in

    teners als Maßnahmeder Suizidprävention imdeutschen Justizvollzugbeschäftigte sich inzwi-schen auch die als Un-tergruppe des NationalenSuizidpräventions-Pro-gramms (NASPRO) an-erkannte bundesweiteArbeitsgruppe für denBereich des Strafvollzugsunter der Leitung vonFrau Dr. Bennefeld-

    Kersten.

    Im Rahmen einer Studiezu Suizidgedanken vonUntersuchungsgefange-

    ben, sind darüber hinausauch konkrete Informati-onen zum möglichenVerfahrensverlauf undzur Haft in der Justiz-vollzugsanstalt hilfreich,um die akute Situationzu entschärfen. Der Ein-satz der Listener ist vorallem nachts besonderssinnvoll, in einer Zeitalso, in der normaler-weise keine Fach-dienste als Ansprech-partner zur Verfügung

    stehen.

    Mit dem Einsatz von Lis-

    schenbericht zum Pro-jekt: „Suizidprävention inder Justizanstalt Inns-bruck“). Grundlegend istder Gedanke der Selbst-hilfe unter Häftlingen zurBewältigung be-lastender Situationenund Krisen. Eine Gruppevon freiwilligen Gefange-nen stellt sich Neuzu-gängen in der belas-tenden Zeit als Zuhörerund Ansprechpartner zurVerfügung. Neben derEntlastung für den Neu-zugang, in den erstenStunden nicht alleine zusein und einen Ge-sprächspartner zu ha-

    vor und während der

    Einsätze sichergestellt.

    Im Folgenden sollen dieGrundzüge des Einsat-zes von Listeners vorge-stellt und erste Erfahrun-gen mit dieser Maßnah-me in der JVA München

    berichtet werden.

    Entwicklung des Liste-ner-Gedankens

    Erstmalig wurden dieListeners wohl im briti-schen Strafvollzug einge-setzt. Entsprechend istder Einsatz von Listenersim englischsprachigenRaum (Vereinigtes Kö-

    nigreich, Kanada und dieUSA) weiter verbreitet(Junker et al., 2005), undwird hier von den sog.„Samaritians“ („Sams“)unter dem Begriff der„peer suicide prevention“durchgeführt. Eine Über-nahme im deutschspra-chigen Raum erfolgtedurch die JustizanstaltInnsbruck ab dem Jahr1999, später durch ande-re Anstalten in Österreich(Fuchs, 2001), wobeiumfangreiches Schu-lungsmaterial für dasTraining der Listener-Gefangenen erstellt wur-de (vgl. auch den Zwi-

    Dr. Willi Pecher

    Dipl.-Psych./ Psychol. Psycho-

    therapeut und Leiter der Sozial-

    therapeutischen Abteilung

    Gewaltdelikte in der Justizvoll-

    zugsanstalt München

    Die Justizvollzugsanstalt München

  • Newsletter Nr. 20 Seite 3

    von den Mitarbeitern desallgemeinen Vollzugs-dienstes als nicht gefähr-det eingeschätzt wurde,während ein Teil dieserGefangenen ihre Belas-tung gegen-über Mitge-

    fange-nen offenbarte.

    Einsatz v on „Listeners“bei Neuzugängen derJVA München

    In der JVA München wur-de die Zugangsprozedurneu gestaltet. Seit An-fang 2011 führen Fach-dienste mit allen neu auf-genommenen Ge-fangenen Zugangsge-

    nen des Kriminologi-schen Dienstes im Bil-dungsinstitut des nieder-sächsischen Justizvoll-zugs (Ansorge, 2011),bei der 103 männlicheund 93 weibliche Gefan-gene und die mit ihrerBehandlung betrautenKollegen des allgemei-nen Vollzugsdienstesbefragt wurden, gabmehr als jeder vierteMann (27%) und fast je-de siebte Frau (12%) derbefragten Gefangenenan, in der ersten Haftpha-se an Suizid gedacht zuhaben. Dieses Ergebnis

    ne 14 Tage nach derInhaftierung, welchePersonengruppe sie als

    unterstützend erlebten.

    Diese Ergebnisse kön-nen insofern als Belegefür die Sinnhaftigkeit desEinsatzes von Listenersals zusätzliche Maßnah-me einer professionellenSuizidprävention gewer-tet werden, da deutlichwird, dass Listeners ei-nen eigenen genuinenZugang zu ihren Mitge-fangenen haben undgerade von Gefangenenmit Suizidgedanken in

    der ersten Haftzeit alsbesonders hilfreich erlebtwerden, zumal bekanntist, dass gerade die ers-ten 48 Stunden einerUnter-suchungshaft mitdem höchsten Suizidrisi-ko einhergehen(Bennefeld-Kersten,2009; Cox & Morschau-ser, 1997; WHO, 2007).Ein weiteres Ergebnisdieser Studie war dieErkenntnis, dass der weitüberwiegende Teil derGefangenen, die anga-ben, während der erstenHaftphase Suizidgedan-ken gehabt zu haben,

    korrespondiert mit älterenDaten, welche die Inhaf-tierung und den sog.„Inhaftierungsschock“ alsStressor erkannt und alsmitverursachend fürselbstschädigende Hand-lungen unter Gefangenensahen (Biggam & Power,1999; Harding & Zimmer-mann, 1989; Haycock,1989). In der von Ansor-ge (2011) vorgetragenenStudie wurde eindrücklichdie Bedeutung von Mitge-fangenen gerade für sui-zidgefährdete Gefangeneaufzeigt (s. Abb. 1 + 2).Befragt wurden Gefange-

    SUIZIDPRÄVENTION

    Gefangene ohne Suizidgedanken

    (Mehrfachnennungen, N = 426)

    Gefangene mit Suizidgedanken

    (Mehrfachnennungen, N = 101)

    Abb. 1: Studie von Ansorge (2011): Welche Personengruppe wurde als unterstützend erlebt?

    Abb. 2: Suizidgedanken von Untersuchungsgefangenen in der ersten Haftzeit (2009);

    Befragung an 103 männlichen und 93 weiblichen Inhaftier

  • Newsletter Nr. 20 Seite 4

    spräche. Im täglichenWechsel kommt einePsychologin oder einSozialpädagoge zumEinsatz. Der zentrale Teildieses Zugangsge-sprächs ist die Durchfüh-rung eines (halb-) stan-dardisierten Suizidscree-nings, dessen Fragen anentsprechende Studienangelehnt wurden (vgl. u.a. Dahle et al., 2005). Beieiner Einschätzung als„unklares Ergebnis“ oder„potentiell suizidgefähr-det“ erfolgt zwingend die(Wieder-)vorstellung desGefangenen beim ärztli-chen Dienst zur Ein-

    sich hierbei um eine sog.„Durchbruch-Zelle“, diedurch die Herausnahmeder Zwischenwand zwei-er Einzelhafträume ent-stand. Ebenso wurde einsog. „Listener-Koffer“von der Arbeitstherapiegefertigt, in dem für dieEinsätze sinnvolle Mate-rialen kompakt zugäng-lich sind: Schreibzeug,Spiele, Wasserkocher,

    Kaffee, Tabak.

    Im Vorfeld wurde durchdie Anstaltsleitung eineVerfügung erlassen, die

    die Modalitäten einesListener-Einsatzes re-gelt, insbesondere dasProzedere, wie ein Ein-satz zustande kommtund das Vorgehen fürden Fall, dass ein Liste-ner einen Einsatz wäh-rend der Nacht-einschlusszeit abbricht.Diese Möglichkeit wirdjedem Listener-Gefangenen eingeräumt,damit es nicht zu eineran-dauernden und fürden Listener nicht mehrkontrollierbaren Überfor-

    Es wurde ein Doppel-Haftraum als Listener-Haftraum eingerichtetund für diese Einsätzefrei gehalten. Es handelt

    auch das Thema eige-ner Suizidalität sowieErfahrungen mit Suizi-den im familiären Um-feld oder bei Mitgefan-genen thematisiert undbearbeitet. Zur Vorberei-tung fand außerdem einErste-Hilfe-Kurs statt,der von einem Kranken-pfleger der Anstalt

    durchgeführt wurde.

    von Menschen in Krisenund Grundregeln im Um-gang mit suizidgefährde-ten Personen geschult.Neben theoretischen In-puts wurde dem Erfah-rungsaustausch (jederTeilnehmer kennt die Zu-gangssituation) und ins-besondere Rollenspielengroßer Stellenwert einge-räumt. Auch eine einge-hende Reflexion über dieeigene Motivation zurTeilnahme an dem Pro-jekt sowie eine Einschät-zung der Möglichkeitenund Grenzen zur Über-nahme dieser Aufgabefand statt. Im Rahmender Vorbereitung wurde

    Ein Teilnehmer schiedauf eigenen Wunschaus dem Projekt noch inder Vorbereitungs-phase aus, weil er sichüberfordert fühlte. Zweiweitere Bewerber wur-den dafür aufgenom-men, so dass zu Beginnder Einsätze die Gruppevier Listeners umfasste.Inzwischen wurden wei-tere Gefangene in dieGruppe aufgenommen.Sie nehmen soll an eini-gen Nachbesprechun-gen teil, werden parallelin die Grundlagen derGesprächsführung ein-gearbeitet und kommen

    dann zum Einsatz.

    Bereits über ein halbesJahr vor Einführung derneuen Zugangsgesprä-che wurden zunächstdrei Gefangene aus dersozialtherapeutischenAbteilung Gewaltdelikteauf Listener-Einsätzevorbereitet. Als geeigneteingestufte Gefangenewurden von den Fach-diensten angesprochenund alle bekundetenInteresse. In monatli-chen Treffen (zwei- bisdreistündig am Samstagunter psychologischerLeitung) wurden sie inGesprächsführung, derbesonderen Situation

    schätzung der konkretenSuizidgefahr. Seit Be-ginn der Durchführungvon Zugangsgesprä-chen in der JVA Mün-chen im Februar 2011besteht die Möglichkeit,einem als latent (!) sui-zidgefährdet eingestuf-ten, bzw. psychisch ten-denziell belasteten Neu-zugang einen geschul-ten Mitgefangenen ausder sozialtherapeuti-schen Abteilung Gewalt-delikte als sog. Listenerfür die erste Nacht zuzu-teilen. Bis zum MaI 2014fanden 62 solcher Eins-

    ätze statt.

    „Der zentrale Teil dieses

    Zugangsgesprächs ist die

    Durchführung eines

    (halb-) standardisierten

    Suizidscreenings, dessen

    Fragen an entsprechende

    Studien angelehnt wurden.“

    SUIZIDPRÄVENTION

    „Es wurde ein Doppel-

    Haftraum als Listener-

    Haftraum eingerichtet und für

    diese Einsätze frei gehalten.

    Es handelt sich hierbei um

    eine sog. „Durchbruch-Zelle“,

    die durch die Herausnahme

    der Zwischenwand zweier

    Einzelhafträume entstand.“

    Listener-Haftraum

    Listener-Koffer

  • Newsletter Nr. 20 Seite 5

    de-rungssituation kommt.Bisher wurde von dieserMöglichkeit noch nicht

    Gebrauch gemacht.

    Die Listener kommengrundsätzlich reihumzum Einsatz. Dabei wirdjedoch versucht, ein ge-wisses Matching zwi-schen Listener und Neu-zugang herzustellen d.h.die Fachdienste der sozi-altherapeutischen Abtei-lung, die die Listenerkennen, versuchen sichein Bild darüber zu ma-chen, welche Konstella-tion am besten „passt“ (z.B. bezüglich Alter, Tem-

    Obergrenze, auch ohnedabei zur Zielgruppe zugehören, stellen Gefan-gene dar, die psychiat-risch auffällig bzw. mehroder weniger akut oderchronisch suizidal sind(auf die Versorgung die-ser Gruppe wird späternoch einmal eingegan-gen). Gefangene, diemehr als die erste, dabeiaber weniger als diezweite Gruppe belastetsind und/oder von einemListener-Einsatz bspw.durch Informationen aus„erster Hand“ profitierenkönnen, stellen schließ-

    lich die Zielgruppe dar.

    Durch die Einführungdes Listener-Projektszeigen sich schon jetztganz überwiegend positi-ve Effekte auf „vielenSeiten“. Übereinstim-mend mit Hall & Gabor(2004) profitieren in derJVA München Neuzu-gänge, Listener-Gefangene und das Per-sonal von dieser Maß-nahme.

    Ev aluation

    Dem methodenkritischenLeser sei gleich Rechtgegeben: Die evaluierteFallzahl von 20 Einsät-

    Gefangenen in einemgedachten „Korridor derSuizidalität“. Augen-scheinlich eher unbelas-tete Gefangene, die bei-spielsweise hafterfahrensind oder deren Inhaftie-rung aufgrund einer kur-zen Dauer für sie keinebesondere Belastungdarstellen, eignen sichnicht für das Projekt, daes keinen Bedarf für ei-nen Listener-Einsatzgibt. Insofern bilden die-se Gefangenen eine ge-dachte Untergrenze derSuizidalität, ohne zurZielgruppe zu gehören.Die entsprechende

    ners zu rechnen. Dabeiwird jedoch auch nichtdarauf verzichtet wer-den können, weiterhinfür das Projekt zu wer-ben. Der Nutzen ist fürdie Mitarbeiter dabeiaugenscheinlich und dieMaßnahme wird vomüberwiegenden Teil derKollegen wohlwollendunterstützt. Es entstandjedoch gelegentlich derEindruck, dass beim einoder anderen immernoch eine gewisse Unsi-cherheit besteht, wel-cher Gefangene sich fürdie Zuweisung zu einemListener-Gefangenen

    anstrengend, aber immerbewältigbar eingeschätzt,zum Teil auch als ange-nehm und abwechslungs-reich.Es hat sich gezeigt, dasssich der Bedarf an Liste-ner-Einsätzen in einemRahmen hält, der bewäl-tigbar erscheint (20 Ein-sätze in 10 Monaten –mit leicht zunehmenderFrequenz). Je größer dieRoutine der Fachdienst-mitarbeiter bei den Zu-gangsgesprächen, die jaebenfalls neu imple-mentiert wurden, um soöfter ist wohl künftig mitder Zuteilung von Liste-

    eignet. Nachfragen beiden Fachdienst-Kollegen ergaben dar-über hinaus, dass beimanchen die Möglich-keit, für einen Neuzu-gang einen Listener-Einsatz zu empfehlen,nicht präsent war. Dieswird im Rahmen an-staltsinterner Fortbildun-gen aufzuarbeiten sein.Dabei ist jedoch einegewisse Unsicherheitbei den betreffendenKollegen durchausnachvollziehbar, befin-det sich doch der„prototypische“ Neuzu-gang für einen Listener-

    „Augenscheinlich eher

    unbelastete Gefangene, die

    beispielsweise hafterfahren

    sind oder deren Inhaftierung

    aufgrund einer kurzen Dauer

    für sie keine besondere

    Belastung darstellen, eignen

    sich nicht für das Projekt, da

    es keinen Bedarf für einen

    Listener-Einsatz gibt.“

    Bisher fand sich immerein Listener zur Über-nahme eines anstehen-

    den Falls bereit.

    Sämtliche Einsätze wer-den mit den Listenerneinzeln (im Rahmen derEinzeltherapiesitzungenin der SozialtherapieGewaltdelikte) und inder mindestens monat-lich stattfindenden Liste-ner-Gruppe nachbe-sprochen. Bisher kames in keinem Fall zu ei-ner besorgniserregen-den Si-tuation. Die Eins-ätze wurden von denListenern teilweise als

    perament, möglicherÜberforderung). Wün-sche der Listener (z. B.kein Raucher, keinBtmG-Täter) werdennach Möglichkeit be-rücksichtigt. Jeder Liste-ner hat das Recht, einenEinsatz abzulehnen.Von diesem Recht wur-de bisher nur aus per-sönli-chen Gründen Ge-brauch gemacht („Kopfmit anderen Dingen zusehr voll“, „Stress in derArbeit“, „wichtiger Briefzu schreiben“ u.ä.), nichtin Bezug auf den zu be-treuenden Gefangenen.

    „Bisher kam es in keinem Fall

    zu einer besorgniserre-

    genden Situation. Die

    Einsätze wurden von den

    Listenern teilweise als

    anstrengend, aber immer

    bewältigbar eingeschätzt,

    zum Teil auch als angenehm

    und abwechslungsreich.“

    SUIZIDPRÄVENTION

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  • Newsletter Nr. 20 Seite 6

    zen führt noch nicht zubelastbaren Ergebnissen.Dennoch lässt sich zu-mindest ein Trend able-sen, der die Fortführung

    des Projekts rechtfertigt.

    Nach jedem Einsatz füll-ten die Listener einenFragebogen aus. Denbetreuten Gefangenenwurde die Beantwortungfreigestellt. Bei den erstenzehn Neuzugängen warder Rücklauf vollständig.Hier sollen einige derausgewerteten Fragenaus den Frage-bögen derbetreuten Neuzugängevorgestellt werden. We-gen der (noch) geringen

    Befinden des betreutenNeuzugangs v or undnach dem

    Listener-Einsatz

    Es wurden sowohl vombetreuten Neuzugang(zwei bis drei Tage nachdem Einsatz) als auchvom Listener Einschät-zungen zum Befindenermittelt. Das Befindendes Neuzugangs wurdesowohl von diesemselbst als auch vom Lis-tener erfragt. Das„heutige“ (= zwei bis dreiTage nach dem Einsatz)Befinden des betreuten

    Religion/Glaube/Weltanschauung/

    ethische Fragen (4)

    Probleme mit Behör-den und Institutionen

    (4)

    finanzielle Notlage

    (4)

    Selbsttötungsgedan-

    ken/ -fantasien (3)

    Probleme mit Drogen

    (2)

    Probleme mit eige-nen Aggressionen/

    Gewalt (1)

    an (Alternativen warenvorgegeben, Mehrfach-nennungen waren mög-lich, in Klammern die

    Häufigkeit):

    Tatvorwurf/Straftat

    (18)

    Ängste bezüglich

    Verfahren (15)

    Ängste bezüglichEntwicklungen imprivaten Bereich

    (14)

    Ängste bezüglich

    Zukunft (13)

    Ängste bezüglich

    Strafvollzug (12)

    Probleme in Partner-

    schaft (10)

    depressive Verstim-

    mung (9)

    Probleme mit Eltern

    (9)

    Probleme mit Kin-

    dern (9)

    gesellschaftliche /

    politische Fragen (7)

    Scham/Schuld (6)

    Einsamkeit / Verein-

    samung (6)

    Trennung / Schei-

    dung (5)

    Ausmaß der Suizidalität

    Drei Gefangene gabenan, in ihrem Leben schoneinmal einen Suizidver-such unternommen zuhaben, der aber nicht inZusammenhang mit derjetzigen Inhaftierungsteht. sechs berichteten,seit der jetzigen Festnah-me an Suizid gedacht zu

    haben.

    Beim Listener-Einsatzbesprochene Themen

    Bei den Themen, überdie beim Einsatz gespro-chen wurde, gaben diebetreuten Neuzugänge

    Stichprobengröße(N=20) können aus denErgebnissen keine sta-tistisch signifikantenSchluss-folgerungenabgeleitet werden.Gleichwohl werdenaber schon gewisse

    Trends sichtbar.

    Ausgewählte demo-grafische Daten

    Das Durchschnittsal-ter der betreutenNeuzugänge betrug

    32,0 Jahre.

    Von den 20 Gefan-genen befanden sich17 in Untersu-chungshaft, 3 in

    Strafhaft (aus-schließlich Ersatz-

    freiheitsstrafen).

    13 hatten vor derInhaftierung einen

    festen Arbeitsplatz.

    16 lebten in einer

    Partnerschaft.

    18 Gefangene gabeneinen festen Wohn-

    sitz an.

    17 Gefangene warenzum ersten Mal in-haftiert; 3 waren zumzweiten Mal. Häufi-gere Hafterfahrun-gen wurden nicht

    angegeben.

    Neuzugangs kann natur-gemäß nur von diesem

    eingeschätzt werden.

    Es zeigt sich, dass dieEinschätzungen der Lis-tener und der betreutenNeuzugänge für das Be-finden vor dem Ge-spräch fast identischsind. Den Effekt des Ge-sprächs beurteilen dieListener etwas zurück-haltendender als die vonihnen betreuten Neuzu-gänge. Ihr Befinden hatsich aus Sicht der be-treuten Neuzugängeselbst durch den Liste-

    SUIZIDPRÄVENTION

    „Die bisherige Fallzahl von 20

    Einsätzen führt noch nicht zu

    belastbaren Ergebnissen.

    Dennoch lässt sich zumindest

    ein Trend ablesen, der die

    Fortführung des Projekts

    rechtfertigt.“

    „Komm mit!“ sprachendie Tiere zum Hahn. Et-was Besseres als den

    Tod findest Du überall!“

    „Drei Gefangene gaben an, in

    ihrem Leben schon einmal

    einen Suizidversuch

    unternommen zu haben, der

    aber nicht in Zusammenhang

    mit der jetzigen Inhaftierung

    steht. Sechs berichteten, seit

    der jetzigen Festnahme an

    Suizid gedacht zu haben.“

  • Newsletter Nr. 20 Seite 7

    ner-Ein-satz um fast zwei

    Stufen verbessert.

    Beim Ausfüllen des Fra-gebogens i. d. R. zweiTage nach dem Einsatzhat sich die Stimmungwieder etwas verschlech-tert, fiel aber bei weitem

    Eingehen auf die per-

    sönliche Situation

    Hilfe bei Gedanken,

    wie es weitergeht

    Hohe Wertschätzung

    der Person

    Mit jemandem offen

    reden

    Mit Angst vor der Haft

    besser umgehen

    Erfahrung des Liste-

    ners

    Gemeinsame Interes-

    sen

    Antworten sind zum Teilzusammengefasst und

    gekürzt.

    Eindruck, verstanden

    zu werden

    Informationen bzgl.der Gegebenheitenund Möglichkeiten

    innerhalb der JVA

    Rat und Hilfe betreffs

    Anträgen

    Erklärung des allge-

    meinen Ablaufes

    Ängste und Unsicher-heiten wurden genom-

    men

    das Gelingen des Ein-satzes auch in der eige-nen Emotionalität nie-derschlägt. Beachtens-wert ist, dass die eige-ne Gefühlslage desListeners im Hinblickauf das folgende Ge-spräch deutlich besserist als die Einschätzungder Gefühlslage des zuBetreuenden. Mankönnte diese Diskre-

    panz als einen„Vorsprung an Hoffnung“inter-pretieren, der fürein hilfreiches Gesprächeine gute Voraussetzung

    darstellt.

    Beschreibung der Hilfedurch den Listener

    Die Frage war offen for-muliert: „Was hat Ihnenim Gespräch mit demListener geholfen?“ Die

    ners zu Beginn und zuEnde des Einsatzes

    Im Fragebogen für denListener wurde auch seineigenes Befinden im Hin-blick auf den zu betreu-enden Neuzugang abge-

    fragt.

    Auch das Gefühl des Lis-teners hat sich erkennbarverbessert, was wohl sozu deuten ist, dass sich

    nicht auf den ursprüng-lichen Stand zurück,sondern war immernoch über eine Stufeüber dem Befinden vordem Listener-Einsatz.Es deutet sich also an,dass die Betreuung

    durch den Listener ei-nen deutlichen akuten,aber auch einen spür-baren länger andauern-den Effekt bezüg-lichder Stimmungslage be-

    wirkt.

    Befinden des Liste-

    Umfangreiches Ge-spräch mit jemandem

    auf Augenhöhe

    Ratschläge

    Hoffnung gegeben

    Zukünftige Perspekti-

    ven

    Listener machte pro-fessionellen Eindruck:erfahren, ruhig, gedul-

    dig

    Störende Aspekte

    Auch diese Frage waroffen formuliert: „Gab esetwas, das Sie im Ge-

    SUIZIDPRÄVENTION

    „Ihr Befinden hat sich aus

    Sicht der betreuten

    Neuzugänge selbst durch den

    Listener-Einsatz um fast zwei

    Stufen verbessert.“

    Skalierung: 0=sehr schlecht / 1=ziemlich schlecht / 2=geht so / 3=eher gut / 4=gut

    Skalierung: 0=sehr schlecht / 1=ziemlich schlecht / 2=geht so / 3=eher gut / 4=gut

    „Beachtenswert ist, dass die

    eigene Gefühlslage des

    Listeners im Hinblick auf das

    folgende Gespräch deutlich

    besser ist als die

    Einschätzung der Gefühlslage

    des zu Betreuenden.“

  • Newsletter Nr. 20 Seite 8

    spräch mit dem Listenergestört hat?“ 18 Befragtegaben durch Formulierun-gen wie „nichts“ oder ei-nen Querstrich zum Aus-druck, dass sie nichts zubemängeln hatten. EinNeuzugang monierte,dass der Listener relativwenig über sich selbstgeredet hat; einen ande-ren störte, dass der Liste-

    ner viel geraucht hat.

    Verbesserungsv or-schläge

    Wörtliche Formulierung:„Haben Sie Verbesse-rungsvorschläge, wieman den Einsatz von Lis-

    Grundstruktur des Liste-ner-Einsatzes diese je-weiligen Situatio-nennicht reproduziert, kannein Einsatz erfolgen,auch wenn schwere Ge-waltdelinquenz in derVorgeschichte des Liste-

    ners zu beobachten ist.

    Ausbau der sozialenKompetenz

    Die Gesprächsführungwährend ihres Einsatzesstellt die Listener manch-mal vor beachtliche Her-ausforderungen. Ein Mit-gefangener schweigt

    und kann im Einsatz alsListener erprobt und er-weitert werden. Selbst-verständlich können nurGefangene zugelassenwerden, die schon übergewisse Ressourcen indiesem Bereich verfü-gen. Empathiedefizitetreten bei zu therapie-renden Straftätern mitun-ter nicht durchgängig,sondern situati-onsbezogen auf (z. B.gegenüber Autoritäten,nach Kränkungen durchnahestehende Men-schen). Wenn die

    Könnte man öftermachen, um darüberzu reden, was man

    auf dem Herzen hat.

    „Ich will immer noch

    raus!“

    Therapeutische Effek-te für die Listener

    Hauptziel des Listener-Projekts ist die Beglei-tung latent suizidalerGefangener. Gleich-zeitig können quasi als„Nebeneffekt“ die Liste-ner deutlich im Hinblickauf ihre eigene Persön-lichkeitsentwicklung

    profitieren. Es folgt einekurze Beschreibung derEffekte für den Listener,die bisher herausgear-beitet werden konnten.Eine detaillierte Darstel-lung der Therapieeffektein Fallvignetten verbietetsich, da aufgrund derbisher geringen Fallzahl(4 Listener) eine Anony-misierung nicht gewähr-

    leistet werden kann.

    Erweiterung der Empa-thiefähigkeit

    Empathiefähigkeit stelltein zentrales Ziel derStraftäterbehandlung dar

    Sehr froh, über Situati-on sprechen zu kön-nen, ohne auf Ableh-nung und Unverständ-

    nis zu stoßen.

    Sehr gutes Projekt,hilft bei der Integration

    der Häftlinge.

    Sehr sinnvolles Pro-gramm, zum Teil le-bensrettend, sollte fort-

    geführt werden.

    Sehr gutes Gefühl

    nach dem Gespräch.

    tenern noch günstiger

    gestalten könnte?“

    Sollte länger dauern

    (2-3 Tage).

    Dem Listener dennächsten Tag frei

    geben.

    Gegebenenfalls wei-terführende Gesprä-che mit dem gleichen

    Listener.

    Mehr Unterhaltung

    und Abwechslung.

    Nach dem GesprächRückkehr in den Alt-bau – schlecht für die

    Stimmung.

    Listener-Einsatz soll-te für alle Neuzugän-

    ge Standard werden.

    Ein Neuzugang mo-nierte, dass er nichtdarüber informiertwar, dass auch derListener einen Frage-bogen ausfüllt, wasfür ihn einen großenVertrauensbruch dar-

    stelle.

    Sonstige Anmerkun-gen

    Idee ist sehr gut undhilfreich für die Betei-

    ligten.

    recht beharrlich, ein an-derer hört nicht zu redenauf, wieder ein andererist sprunghaft in seinenÄußerungen. Hieraufangemessen zu reagie-ren, d. h. eigene und dieBedürfnisse des anderenangemessen zu berück-sichtigen, kann der Liste-ner im Einsatz und durchdie Nachbesprechung

    lernen.

    Stärkung des Selbst-werterlebens

    Für die Listener ist esi.d.R. bereits eine Bestä-

    SUIZIDPRÄVENTION

    „Empathiefähigkeit stellt ein

    zentrales Ziel der Straftäter-

    behandlung dar und kann im

    Einsatz als Listener erprobt

    und erweitert werden.

    Selbstverständlich können

    nur Gefangene zugelassen

    werden, die schon über

    gewisse Ressourcen in

    diesem Bereich verfügen.“

    6ʑʛ ʖQʋ Ⱦʑʛ Sȯɰɴ ʙʦ Qɒ�

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  • Newsletter Nr. 20 Seite 9

    tigung des Selbstwertes,dass ihnen ein Einsatzzugetraut wird. Ängste,sich auf den Therapiepro-zess einzulassen, weildamit in der Fantasie eineSelbstzuschreibung alskrank, unzulänglich, wert-los usw. verbunden ist,können relativiert werden,indem durch den Einsatzals Listener vorhandeneRes-sour-cen ausdrück-lich anerkannt werden.Den Einsatz selbst erle-ben die Listener i.d.R. alssinnvoll und befriedigend.Oft erfolgt auch eine posi-tive Rückmeldung durchden betreuten Mitgefan-

    rung des Handlungsfel-des bereits sinnvoll, aber

    Erprobung des therapeu-tisch Erreichten. DiesemZiel dienen vornehmlichVollzugslockerungen.Durch den Einsatz alsListener können auchGefangene, die dafürnoch nicht in Frage kom-men, einen solchen Ef-fekt erfahren. Eine Auf-nahme in die Listener-Gruppe sollte erst erfol-gen, wenn die Therapieschon über die Anfangs-phase hinaus fortge-schritten ist. Bei denhäufig recht langen not-wendigen Behandlungs-zeiten ist eine Erweite-

    mierte Selbstlosigkeit,sondern um konkretesHandeln mit Möglichkei-

    ten und Grenzen.

    Erweiterung des Hand-lungsfeldes über dieunmittelbare Therapiehinaus

    So wichtig zu Beginn derTherapie eine Beschrän-kung des Handlungs-raums auf den struktu-rierten und kontrolliertenRahmen der Therapie-gruppe ist, so wichtig istspäter eine Erweiterungauf andere Aktionsfelderim Sinne der Ausweitungder Erfahrungen und der

    genen.

    Realistische Einschät-zung eigener Möglich-keiten

    Hier ist die andere Seiteder häufig bei Straftä-tern anzutreffendenSelbstwertproblematikangesprochen: NebenInsuffizienzgefühlen be-steht häufig eine Über-schätzung der eigenenPerson. Eine Erfahrungbei Einsätzen war, dassgerade im Rahmen ei-nes zwischenmensch-lichen Kontakts der„Machbarkeit“ Grenzengesetzt sind, manchmal

    im „Aushalten“ dieGrenze des gerade

    Möglichen erreicht ist.

    Stärkung prosozialerWerte

    Durch den Listener-Einsatz werden zwi-schenmenschliche Wer-te verstärkt, die eineunmittelbare Reziprozi-tät im Sinne eines ge-genseitigen Nutzens(gibst Du mir, gebe ichDir) übersteigen. DieseHaltungen werdendurch den Einsatz auchsogleich einer Realitäts-Prüfung unterzogen: Esgeht nicht um prokla-

    über Vollzuglockerungennoch nicht zu realisieren.

    SUIZIDPRÄVENTION

    „Eine Erfahrung bei Einsätzen

    war, dass gerade im Rahmen

    eines zwischenmenschlichen

    Kontakts der „Machbarkeit“

    Grenzen gesetzt sind,

    manchmal im „Aushalten“ die

    Grenze des gerade Möglichen

    erreicht ist.“

    Listener-Faltblat t aus dem

    Schottischen Strafvollzug

  • Newsletter Nr. 20 Seite 10

    In Übereinstimmung mitden hier beschriebenentherapeutischen Entwick-lungsschritten konntenDhaliwal und Harrower(2009) mittels interpretati-ver phäno-meno-logischer Analysen desListener-Prozesses zei-gen, dass die Listener-Gefangenen ein deutli-ches persönlichesWachstum erlebten, so-wie ihre Einstellungen zusich selbst und zu ande-

    ren positiv veränderten.

    Schlussbemerkungen

    Wird in einem Zugangs-gespräch oder sonst ir-

    einer uralten Vollzugs-praxis begriffen werden.So lange es den Justiz-vollzug heutiger Prägunggibt, wurden (mehr oderweniger und nach Au-genschein beurteilte)„zuverlässige“ Gefan-gene „genutzt“, um mitihnen sog. Notgemein-schaften für schwächere,psychisch belastete unddeshalb potentiell ge-fährdete Gefangene zubilden. Die Neuerung

    besteht darin, dass

    entwickeln ist und dabeiden Standards wissen-schaftlich fundierter Pra-xis genügt. Schon ange-sichts dieser Tatsacheerübrigt sich eine, dieMaßnahme überhöhen-de, und letztlich ihrschädliche Diskussion,welche sie zu einem„Allheilmittel“ der Suizid-prävention stilisiert. Et-was vereinfacht darge-stellt kann das Listener-Projekt als eine teilstan-dardisierte und professi-onell begleitete Variante

    der Anstalt und jedesihrer Mitarbeiter,„Schädlichen Folgendes Freiheitsentzugs[…] entgegenzuwir-ken“ (Art. 5 Abs. 2 Ba-

    yStVollzG) und „für diekörperliche und geistigeGesundheit der Gefan-genen […] zu sor-gen“ (Art. 58 Abs. 1BayStVollzG). Art 4Abs.2 BayUVollzG

    spricht ausdrücklichauch die Suizidprophyla-xe an: „Dem Erkennenvon Suizidabsichten undder Verhütung vonSelbsttötungen kommteine besondereBedeutung zu.“ Der Ein-satz von Listener-Gefangenen kann nurin ein existierendes,schlüssig nachvoll-ziehbares Gesamtkon-zept der Suizidpräventi-on eingebunden werden(vgl. Sigel, 1997), dasnach den Bedürfnissen,Erfordernissen und Mög-lichkeiten der jeweiligenAnstalt individuell zu

    fürchten, dass der Liste-ner-Gefangene in eine„Therapeutenrolle“ käme,was zu einer Überforde-rung des Listeners mitentsprechend malignemBeziehungsverlauf führen

    könnte.

    Keinesfalls dürfen dar-über hinaus Listener-Gefangene als „Hilfs-kräfte“ missdeutet wer-den, die Aufgaben über-nehmen, die eigentlichdem Fachpersonal derAnstalt zukommen. Esbleibt selbstverständlichvollumfänglich die Pflicht

    gendwann festgestellt,dass aktuell eine kon-krete bzw. akute Suizid-gefahr besteht(diagnostiziert durcheinen Arzt oder Psycho-logen), eignet sich die-ser Gefangene aus-drücklich nicht für dieZuweisung zu einemListener, solange die o.g. Gefahr besteht. Zumeinen sind in diesenFällen akut-psychiatrische Maßnah-men indiziert, um dieGefahr abzuwenden,bzw. die (psychische)Gesundheit des Gefan-genen wieder-

    herzustellen. Zum ande-ren ist es einem Liste-ner schlichtweg nichtzumutbar, einen akutsuizidalen Mitgefange-nen zu betreuen unddadurch eine Verant-wortung auf sich zunehmen, die er nichttragen kann und soll.Aus ähnlichen Erwä-gungen wurde auchdavon Abstand genom-men, weitere Treffenoder einen längerenKontakt zwischen Neu-zugang und Listenerdurchzuführen. Nebenfraglos auch positivenAspekten wäre zu be-

    die Auswahl der „Sich-Kümmernden-Gefan-genen“ (hier Liste-ners) sehr sorgfältig,von Fachleuten, unterexpliziten Kriterien

    erfolgt,

    die Listener auf ihreEinsätze vorbereitet

    werden,

    die Einsätze der Liste-ner nachbesprochenund sie somit mit ihrenErlebnissen nicht al-lein gelassen werden

    SUIZIDPRÄVENTION

    „Keinesfalls dürfen darüber

    hinaus Listener-Gefangene

    als „Hilfskräfte“ missdeutet

    werden, die Aufgaben

    übernehmen, die eigentlich

    dem Fachpersonal der Anstalt

    zukommen.“

  • Newsletter Nr. 20 Seite 11

    und

    die Erfahrungen füreinen therapeutischenProzess (bspw. imRahmen einer sozial-therapeutischen Be-hand-lung) nutzbar ge-

    macht werden (s. o.).

    Aus der obigen Aufzäh-lung wird deutlich, warumsich ein Listener-Projektwohl nur mit Gefangenenwird realisieren lassen,die Teil einer sozialthera-peutischen Abteilung oderzumindest einer Wohn-gruppe mit therapeuti-schem Betreuungsperso-

    sons. PsychiatricQuarterly, 60 (1), 85-98.Junker, G., Beeler, A. &Bates, J. (2005). UsingTrained Inmate Observersfor Suicide Watch in aFederal Correctional Set-ting: A Win-Win- Solution.Psychological Services, 2,20-27.

    Siegel, W. (1997). ZumUmgang mit der Suizid-problematik. Zeitschrift fürStrafvollzug und Straffälli-gen-hilfe, 46 (1), 34-35.Thackwray (2009). Areyou still listening? - Liste-ner Screening and Selec-tion [Online].Verfügbar

    hilfe, 50, 109-112.Hall, B. & Gabor, P.(2004). Peer Suicide Pre-vention in a Prison. Crisis– The Journal of CrisisIntervention and SuicidePrevention, 25 (1), 19-26.

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    Haycock, J. W. (1989).Manipulation and suicideattempts in jails and pri-

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    Cox, J. F. & Morschau-ser, P. C. (1997). A solu-tion to the problem of jailsuicide. Crisis – TheJournal of Crisis Inter-vention and Suicide Pre-vention, 18, 178-184.

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    Dhaliwal, R. & Harrower,J. (2009). Reducing priso-ner vulnerability and pro-viding a means of em-powerment: Evaluatingthe impact of a ListenerScheme on the listeners.The British Journal of Fo-rensic Practice, 11 (3), 35-43.

    Fuchs S. (2001). Suizid-prävention im Strafvollzug- Ein konkretes Projekt inder Justizanstalt Inns-bruck. Zeitschrift für Straf-vollzug und Straffälligen-

    LiteraturAnsorge, N. (2011). Suici-dal Ideation in Prisoners –What do we Know? Vor-trag auf dem 32. Kongressder International Academyof Law and Mental Health,17.-23. Juli 2011 in Berlin.

    Bennefeld-Kersten, K.(2009). Ausgeschiedendurch Suizid – Selbsttötun-gen im Gefängnis. Zahlen,Fak-ten, Interpretationen.Lengerich: Pabst SciencePublishers.

    Biggam, F. H. & Power, K.G. (1999). A comparison ofthe problem-solving abili-ties and psychological dis-

    nal sind. Nur hier kön-nen die o.g. Standards(bspw. i. S. e. fundiertenAuswahl und Begleitungder Listener-Gefangenen) erfüllt undein entsprechender the-rapeutischer Mehrwert

    genutzt werden.

    Juristische Bedenkengegen eine gemein-schaftliche Unterbrin-gung von Straf-(Listener) und Untersu-chungsgefangenen(Neuzugängen) lassensich aus der Rechtslageableiten, die eine ge-trennte Unterbringungdieser Haftarten fordert.

    Auch hier zeigt die lang-jährige Vollzugspraxiseine andere Realität,weshalb ein plötzlichesBestehen auf Einhal-tung dieser Vorschrift,angesichts einer„offiziellen Festlegung“im Rahmen der Listener-Maßnahme zugunsteneines Verzichts auf eineVerbesserung der Sui-zid-prävention und o. g.positiver Effekte zweifel-haft, ja zynisch er-

    scheint.

    unter: http://www.insidetime.org/articleview.asp?a=519&c=are_you_still_listening_listener_training[14.08.2011].

    WHO (2007).„Suizidprävention – EinLeitfaden für Mitarbeiterdes Justizvollzugsdiens-tes“ [Online]. Verfügbarunter: http://www.who.int/mental_health/resources/re-source_jails_prisons_german.pdf [14.08.2011].7

    SUIZIDPRÄVENTION

    Kontakt:

    Dr. W illi Pecher

    E-Mail

    [email protected]

    Telefon

    0 89 / 69 92 - 394

    6ʑʛ ʖQʋ Ⱦʑʛ Sȯɰɴ ʙʦ Qɒ�

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    mailto:[email protected]://www.insidetime.org/articleview.asp?a=519&c=are_you_still_listening_listener_training http://www.who.int/mental_health/resources/ resource_jails_prisons_german.pdf %5B14.08.2011%5D.7

  • Newsletter Nr. 20 Seite 12

    wie v or relativ klein. AmStichtag 30. 11. 2012 stan-

    den 47 423 Gef angenen imVollzug der Freiheitsstrafe460 Sicherungsverwahrte

    (= rund 1%) gegenüber4.Allerdings sind auch neue

    gesetzliche Regelungen fürGef angene mit v orbehalte-ner oder angeordneter

    Sicherungsv erwahrung er-f orderlich. Zudem ist eineSogwirkung f ür Gefangene

    mit sehr langen Freiheits-straf en möglich. Vor die-

    sem Hintergrund wird einÜberblick über aktuelleEntwicklungen gegeben.

    schaffen1. Zuv or bef asstesich der EGMR mit einer

    Spezialf rage der Siche-rungsv erwahrung2 undstellte eine Verletzung der

    Europäischen Mensch-rechtskonv ention fest3. Die

    Entscheidung f ührte zurEntlassung von Siche-rungsv erwahrten. Nicht

    zuletzt deswegen war dasöffentliche Echo groß. Inder Folge sind am 1. 6.

    2013 umfangreiche bun-des- und landesgesetzliche

    Neuregelungen in Kraftgetreten.

    Die Gruppe der Siche-

    rungsv erwahrten ist nach

    Der nachfolgende Text istein Auszug aus einem Auf-

    satz, der in der Neuen Zeit-schrift für Strafrecht (NStZ)2013, 447 bis 454, erschie-

    nen ist. Der Abdruck erfolgtmit freundlicher Genehmi-

    gung des Verlages C. H.BECK oHG.

    Der Vollzug der Siche-rungsv erwahrung ist bun-desweit kein Nischenthema

    mehr. Das BVerfG hat Bun-des- und Landesgesetzge-

    ber gemeinsam in die Pf lichtgenommen, bis zum 31. 5.2013 ein v erfassungsmäßi-

    ges Regelungssystem zu

    Aktuelle Entwicklungen

    von Michael Schäfersküpper und Jens Grote

    VOLLZUG DER SICHERUNGSVERWAHRUNG

    der Bund von seiner Ge-setzgebungszuständigkeit

    nicht durch Gesetz Ge-brauch gemacht hat (Art.72 I GG). Da der Bund das

    Ob der Sicherungsv erwah-rung abschließend gesetz-

    lich geregelt hat, sind dieBundesländer insoweit ge-sperrt9. Der Bundesgesetz-

    geber legt also beispielswei-se fest, ob das Gericht Si-cherungsv erwahrung unmit-

    telbar anordnet oder sicheine Anordnung v orbehält

    (§§ 66 ff. StGB, § 7 JGG).

    2. Anordnung der Siche-rungsv erwahrung als Bun-

    desrecht

    Die Sicherungsv erwahrungist hinsichtlich der Gesetz-

    gebungskompetenz demStraf recht und nicht dem

    Gef ahrenabwehrrecht zu-zuordnen8. Das Strafrechtgehört zu den Sachgebie-

    ten der konkurrierendenGesetzgebung (Art. 74 INr. 1 GG). In diesem Be-

    reich haben die Länder dieBef ugnis zur Gesetzge-

    bung, solange und soweit

    StGB). Diese Maßregelnknüpf en im Gegensatz zur

    Straf e nicht an der Schuld,sondern an der Gef ährlich-keit des Täters an. Siche-

    rungsv erwahrte werdenauf grund einer mit Unsi-

    cherheiten behafteten Ge-f ährlichkeitsprognose fest-gehalten7. Neben der Si-

    cherungsv erwahrung sindauch die Unterbringung ineinem psychiatrischen

    Krankenhaus (§ 63 StGB)oder in einer Entziehungs-

    anstalt (§ 64 StGB) frei-heitsentziehende Maßre-geln. Beide werden aber

    nicht in Justizv ollzugsan-staltenv ollzogen.

    Die Neuregelungen derBundesländer gehen - bei

    allen Unterschieden - aufeine gemeinsamen Quellezurück: Eine Länderarbeits-

    gruppe mit Beteiligung desBundesministeriums der

    Justiz hat gesetzlicheGrundlagen zur Neurege-lung des Vollzuges der Si-

    cherungsv erwahrung v orge-legt. Federführend warendie Länder Niedersachsen

    und Nordrhein-Westfalen.Die Justizministerkonferenz

    sieht in den Ergebnissender Arbeitsgruppe „einegeeignete Grundlage für die

    zur Umsetzung der Ent-scheidung des Bundesv er-

    f assungsgerichts v om 4. 5.2011 auf Landesebene zu

    schaffenden Rechtsgrund-lagen“. Der Grundlagenent-wurf der Länderarbeits-

    gruppe (GE) ist auf denInternetseiten des Nieder-

    sächsischen Justizministe-riums v eröffentlicht6. […]

    Bund, Länder und Siche-

    rungsverwahrung

    1. Sicherungsv erwahrungals Maßregel der Besse-

    rung und Sicherung

    Sicherungsv erwahrung ist

    keine Straf e, sondern eineMaßregel der Besserungund Sicherung (§§ 61 ff.

    Niedersächsisches Justizmi nisterium in H annover

    Ministerialrat Jens Grote,

    Referatsleiter im Niedersächsi-

    schen Justizministerium und

    Michael Schäfersküpper (ohne

    Bild), Dozent im Fachbereich

    Strafvollzug der Fachhochschule

    für Rechtspflege Nordrhein-

    Westfalen in Bad Münstereifel

  • Newsletter Nr. 20 Seite 13

    3. Vollzug der Sicherungs-v erwahrung als Landesrecht

    a) Länderkompetenz

    Seit der Föderalismusreformdes Jahres 2006 f ällt der

    Strafv ollzug in die alleinigeGesetzgebungskompetenz

    der Bundesländer. Ebensov erhält es sich mit dem Voll-zug der Sicherungsverwah-

    rung, weil diese hinsichtlichder Gesetzgebungskompe-tenz als Straf recht einzuord-

    nen ist. Das BVerfG be-zeichnet allerdings die im

    Jahre 2011 v orhandenenbundes- und landesgesetz-lichen10 Regelungen zum

    Vollzug der Sicherungsv er-wahrung als ungeeignet, die

    Anf orderungen des v erfas-

    sungsrechtlichen Ab-standsgebotes zu erfül-

    len11.

    b) Abstandsgebot

    Sicherungsv erwahrte ha-

    ben ihre Strafe bereits ver-büßt. Die Freiheitsentzie-

    hung beruht nur noch aufeiner Gef ährlichkeitsprog-nose. Das BVerf G hat da-

    her schon vor der Födera-lismusref orm einen privile-gierten Vollzug als erfor-

    derlich angesehen: Esmüsse sichergestellt sein,

    dass ein Abstand zwischendem allgemeinen Strafvoll-zug und dem Vollzug der

    Sicherungsv erwahrung ge-wahrt bleibe (Abstandsge-

    bot)12. Die Sicherungsver-

    wahrten sind also im Voll-zug besser zu stellen als

    Straf gef angene.

    4. Wesentliche Leitlinienals Bundesrecht

    Der Bund besitzt seit derFöderalismusref orm des

    Jahres 2006 keine Gesetz-gebungskompetenz mehrf ür den Vollzug der Siche-

    rungsv erwahrung. DasBVerf G sieht aber eineVerpf lichtung des Bundes,

    die wesentlichen Leitlinieneines freiheitsorientierten

    und therapiegerichtetenGesamtkonzeptes für dieSicherungsv erwahrung zu

    regeln. Dabei sei sicherzu-stellen, dass die konzeptio-

    nelle Ausrichtung der Si-

    es, die Gefährlichkeit derSicherungsv erwahrten „für

    die Allgemeinheit so zu min-dern, dass die Vollstreckungder Maßregel möglichst bald

    zur Bewährung ausgesetztoder sie f ür erledigt erklärt

    werden kann“ (§ 66 c I Nr. 1b StGB n. F.). Die materiel-len Voraussetzungen f ür

    Aussetzung (§ 67 d II 1StGB) oder Erledigung(§ 67 d III 1 StGB) wegen

    reduzierter Gef ährlichkeitbleiben aber unv erändert15.

    3. Individuelle Behandlung

    Das Gesetz sieht eine indivi-duelle und intensive Betreu-

    ung der Sicherungsv erwahr-ten vor (§ 66 c I Nr. 1 a

    cherungsv erwahrung nichtdurch landesrechtliche Re-

    gelungen unterlaufen wer-den könne13. Die Leitlinien-kompetenz erinnert an

    die Rahmengesetzgebungs-kompetenz des Bundes

    (Art. 75 GG a. F.), die durchdie Föderalismusreform desJahres 2006 abgeschafft

    wurde.

    Neues Bundesrecht

    1. Anforderungen an die

    Einrichtung

    „Die Sicherungsverwahrten

    sind also im Vollzug besser

    zu stellen als

    Strafgefangene.“

    Gesetz ändert eine Reihev on Bundesgesetzen. Es

    enthält die wesentlichenLeitlinien für den Vollzugder Sicherungsverwah-

    rung. Die Leitlinien sind alsAnf orderungen an die Ein-

    richtungen formuliert, indenen Sicherungsverwahr-te untergebracht werden

    (§ 66 c I StGB n. F.)14.

    2. Betreuungsziel in derSicherungsv erwahrung

    Das Ziel der Betreuung ist

    Am 1. 6. 2013 ist das Ge-setz zur bundesrechtlichen

    Umsetzung des Abstands-gebotes im Recht der Si-cherungsv erwahrung vom

    5. 12. 2012 (BGBl I, 2425)in Kraf t getreten. Dieses

    VOLLZUG DER SICHERUNGSVERWAHRUNG

    Die neu gebaute Abteilung für den Vollzug der Sicherungsverwahrung

    der JVA Rosdorf

  • Newsletter Nr. 20 Seite 14

    StGB n. F.). Die Betreuungmuss darüber hinaus geeig-

    net sein, die Mitwirkungsbe-reitschaft zu wecken und zuf ördern.

    Als Teil des Oberbegriffs„Betreuung“ wird die psychi-

    atrische, psycho- oder sozi-altherapeutische Behand-lung durch ein

    „insbesondere“ herv orgeho-ben. Die Behandlung ist,soweit standardisierte Ange-

    bote keinen Erf olg verspre-chen, individuell auf den

    Sicherungsv erwahrten zuzu-schneiden (§ 66 c I Nr. 1 aStGB n. F.). Hiernach wird

    es kaum möglich sein, beimstatus quo eines bestimmten

    Behandlungsprogrammsstehen zu bleiben. Das

    BVerf G führt insoweit aus,es müsse gegebenenf alls

    ein indiv iduell zugeschnit-tenes Therapieangebotentwickelt werden16. Mögli-

    che Therapien dürften -insbesondere mit zuneh-

    mender Vollzugsdauer -nicht nur deshalb unterblei-ben, weil sie im Hinblick

    auf Auf wand und Kostenüber das standardisierteAngebot der Anstalten

    hinausgingen (Individuali-sierungs- und Intensivie-

    rungsgebot)17. Der Vollzugsteht insoweit vor großenHerausf orderungen.

    Von der Frage nach denerf orderlichen Behand-

    lungsangeboten sind dieFragen der Therapiewillig-

    keit und der Therapief ähig-keit zu trennen. In der Be-

    gründung wird insoweitbetont, f ehlende Heilungs-und Besserungsaussichten

    stünden bei f ortdauernderGef ährlichkeit der Unter-

    bringung nicht entgegen18.Voraussetzung ist aller-dings, dass der Vollzug

    seine umf angreichen Indi-vidualisierungs- und Moti-vierungsv erpflichtungen er-

    f üllt. Liegen Versäumnissedes Vollzuges vor, kann

    eine Aussetzung zur Be-währung die Folge sein(§ 67 d II 2 StGB n. F.).

    4. Trennung v om Strafvoll-zug

    Die Unterbringung der Si-

    Freizeitangebot zu gewähr-leisten20.

    5. Vollzugsöffnende Maß-nahmen (Lockerungen, Ur-laub, offener Vollzug)

    a) Begriff der „vollzugs-öffnenden Maßnahmen“

    Unter dem Begriff„v ollzugsöff nende Maßnah-men“ fasst der Bundesge-

    setzgeber Lockerungen desVollzuges (§ 11 StVollzG),Urlaub aus der Haft (§ 13

    StVollzG) und den offenenVollzug (§ 10 StVollzG)

    zusammen21. Zu den Locke-rungen gehört beispielswei-se der Ausgang, bei dem

    Gef angene f ür eine be-stimmte Tageszeit die An-

    cherungsv erwahrten erf olgtin besonderen Gebäuden

    oder Abteilungen, die v omStrafv ollzug getrennt sind(§ 66 c I Nr. 2 b StGB n. F.).

    Insoweit ist eine einzigeAusnahme vorgesehen: Von

    der getrennten Unterbrin-gung darf abgewichen wer-den, sofern die Behandlung

    (§ 66 c I Nr. 1 a StGB n. F.)ausnahmsweise etwas an-deres erfordert. Gedacht ist

    hier insbesondere an zweiFallkonstellationen: Zum

    „Voraussetzung ist

    allerdings, dass der Vollzug

    seine umfangreichen

    Individualisierungs- und

    Motivierungsverpflichtungen

    erfüllt. Liegen Versäumnisse

    des Vollzuges vor, kann eine

    Aussetzung zur Bewährung

    die Folge sein.“

    aus fachlichen Gründeneine bestimmte Therapie-

    f orm zusammen mit Straf -gef angenen angezeigtsein19.

    Die getrennte Unterbrin-gung in besonderen Ge-

    bäuden oder Abteilungenbedeutet aber keine abso-lute Trennung v om Straf -

    v ollzug. Eine Anbindungan große Justizv ollzugsan-stalten kann sinnvoll sein,

    um beispielsweise ein dif -f erenziertes Arbeits- und

    einen kann eine im Vollzugder Freiheitsstrafe begon-

    nenen Therapie f ortgeführt

    und abgeschlossen wer-den. Zum anderen kann

    VOLLZUG DER SICHERUNGSVERWAHRUNG

    SV-Abteilung der JVA Rosdorf

    stalt ohne Aufsicht einesVollzugsbediensteten ver-

    lassen (§ 11 I Nr. 2 Alt. 2StVollzG). Das Charakte-ristikum des Urlaubs

    (§ 13 I 1 StVollzG) ist,dass er sich über Nacht

    und gegebenenf alls übereinen längeren Zeitraumerstreckt. Der offene Voll-

    zug sieht im Gegensatzzum geschlossenen Voll-zug keine oder nur v ermin-

    derte Vorkehrungen gegenEntweichungen vor

    (§ 141 II StVollzG).

    Die Zusammenfassungunter dem Oberbegriff

    „v ollzugsöff nende Maß-nahmen“ entspricht der

    Systematik des Hessi-

    schen Strafvollzugsgeset-zes (§ 13 III HStVollzG).

    b) Bef ürchtung „erheb-licher Straftaten“

    Nach dem Strafvollzugs-

    gesetz des Bundes sinddie Voraussetzungen für

    „v ollzugsöff nende Maß-nahmen“ in Freiheitsstrafeund Sicherungsv erwah-

    rung gleich (§§ 130, 10,11, 13 StVollzG, VV zu§ 130 StVollzG). Unter

    anderem darf kein Miss-brauch zu Straftaten zu

    bef ürchten sein. Für dieSicherungsv erwahrungstellt der Bundesgesetzge-

    ber nunmehr auf Miss-brauch „zur Begehung

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  • Newsletter Nr. 20 Seite 15

    erheblicher Straftaten“ ab(§ 66 c I Nr. 3 a StGB n. F.).

    Zum Begriff „erheblicheStraf taten“ verweist die Be-gründung auf den gleichlau-

    tenden Ausdruck bei denVoraussetzungen für die

    Sicherungsv erwahrung (§ 66I 1 Nr. 4 StGB: „… zu erheb-lichen Straftaten, namentlich

    zu solchen, durch welche dieOpf er seelisch oder körper-lich schwer geschädigt wer-

    den …“)22. In der Praxis wirdman zur Konkretisierung des

    Begriffes „erhebliche Strafta-ten“ auf die entsprechendeRechtsprechung und Litera-

    tur zu § 66 I 1 Nr. 4 StGBzurückgreif en müssen23.

    Nicht jede Bef ürchtung einerStraf tat vermag also v oll-

    zugsöffnende Maßnahmenauszuschließen, sondern

    nur noch die Befürchtungbestimmter, besondersqualif izierter Straftaten.

    c) Offener Vollzug als Son-derf all

    Straf gef angene sollen un-ter bestimmten Vorausset-zungen v on Anfang an im

    offenen Vollzug unterge-bracht werden (§ 10 IStVollzG). Im Gegensatz

    hierzu rückt die Gesetzes-begründung den offenen

    Vollzug f ür die Sicherungs-v erwahrung in die Näheder Entlassung. Der offene

    Vollzug wird insoweit alssinnv oller Zwischenschritt

    angesehen. Im Hintergrund

    steht wohl die Überlegung,dass bei einer Unterbrin-

    gung im offenen Vollzugauch zeitnah die Voraus-setzungen für eine Ausset-

    zung der Sicherungsver-wahrung v orliegen müss-

    ten.

    Nach der Gesetzesbegrün-dung f indet die Entlas-

    sungsv orbereitung in derRegel in Einrichtungen fürdie Sicherungsv erwahrung

    statt. Eine Unterbringungim offenen Strafvollzug

    kann aber sinnv oll sein,wenn sich hierdurch dieEntlassungssituation ver-

    bessert. Das kann bei-spielsweise durch die

    räumliche Nähe zu einemArbeitsplatz oder zu Be-

    bef inden. Auch Gefangenemit angeordneter oder vor-

    behaltener Sicherungsver-wahrung werden einbezo-gen. Das BVerf G hat inso-

    weit ausgef ührt:

    „Kommt Sicherungsv erwah-

    rung in Betracht, müssenschon während des Straf-v ollzugs alle Möglichkeiten

    ausgeschöpft werden, umdie Gef ährlichkeit des Verur-teilten zu reduzieren“28

    (ultima-ratio-Prinzip).

    Auch der Grundlagenent-

    wurf enthält daher in seinemTeil 2 besondere Vorschrif-ten bei angeordneter oder

    v orbehaltener Sicherungs-v erwahrung, die als Ergän-

    zugspersonen der Fallsein26.

    6. Entlassung und Nachsor-ge

    Die Einrichtungen, in denen

    Sicherungsv erwahrte unter-gebracht werden, haben in

    enger Zusammenarbeit mitstaatlichen oder f reien Trä-gern eine nachsorgende

    Betreuung in Freiheit zuermöglichen (§ 66 c I Nr. 3 bStGB n. F.). Die Regelung

    greift den Gedanken eines

    „Im Gegensatz hierzu rückt

    die Gesetzesbegründung den

    offenen Vollzug für die

    Sicherungsverwahrung in die

    Nähe der Entlassung. Der

    offene Vollzug wird insoweit

    als sinnvoller Zwischen-

    schritt angesehen.“

    dar27. Der Vollzug ist v er-pf lichtet, den Übergang

    möglichst „nahtlos“ zu pla-nen und zu gestalten. […]

    Gefangene mit angeord-

    neter oder vorbehaltenerSicherungsverwahrung

    1. Auswirkungen auf denVollzug der Freiheitsstraf e

    Der Bundesgesetzgeber

    hat nicht nur Regelungenf ür die Personen erlassen,die sich bereits im Vollzug

    der Sicherungsverwahrung

    „Übergangsmanagements“auf. Die „Nahtstelle“ zwi-

    schen Vollzug und Freiheitstellt - wie alle Übergangs-phasen zwischen Lebens-

    abschnitten - eine beson-ders kritische Situation

    VOLLZUG DER SICHERUNGSVERWAHRUNG

    zung der jeweiligen Straf -v ollzugsgesetze formuliert

    sind.

    2. Betreuungsziel und Voll-zugsziel

    Der Bundesgesetzgeberlegt f ür Gefangene mit

    angeordneter und vorbe-haltener Sicherungsver-wahrung ein eigenes Be-

    treuungsziel fest. Die Be-treuung im Vollzug derFreiheitsstrafe hat das

    Ziel, die Vollstreckung derSicherungsv erwahrung

    oder deren Anordnungmöglichst entbehrlich zumachen (§ 66 c II StGB

    n. F.). Dieses Betreuungs-ziel greift auch der Grund-

    lagenentwurf auf und for-muliert es als Vollzugsziel

    (§ 1 GE-Teil 2). Diesesneue Ziel des Vollzuges isteine Ergänzung der Voll-

    zugsziele nach den Geset-zen f ür den Vollzug der

    Freiheitsstrafe (z. B. § 2StVollzG: Leben in sozia-ler Verantwortung ohne

    Straf taten).

    3. Individuelle Behandlung

    Der Bundesgesetzgeber

    v erweist zur Betreuungwährend des Vollzugs der

    Freiheitsstrafe auf die Re-gelungen f ür die Siche-rungsv erwahrung (§ 66 c

    II, I Nr. 1 StGB n. F.). Inso-weit gelten die Darlegun-

    SV-Abteilung der JVA Rosdorf

    „Die Betreuung im Vollzug

    der Freiheitsstrafe hat das

    Ziel, die Vollstreckung der

    Sicherungsverwahrung oder

    deren Anordnung möglichst

    entbehrlich zu machen.“

  • Newsletter Nr. 20 Seite 16

    gen dieses Aufsatzes zurSicherungsv erwahrung unter

    III 3. Der Entwurf stellt au-ßerdem durch ein„insbesondere“ die sozialthe-

    rapeutische Behandlungwährend des Vollzugs der

    Freiheitsstrafe besondersheraus.

    Der Grundlagenentwurf sieht

    eine zwingende Verlegung indie Sozialtherapie vor, wenndie dortigen Behandlung zur

    Verringerung der Gefährlich-keit f ür die Allgemeinheit

    angezeigt ist (§ 6 I GE-Teil2). Die Regelung stellt alsoauf ein „Angezeigt-Sein“ ab.

    Insoweit geht der Grundla-genentwurf nicht über be-

    reits bestehende Regelun-gen f ür „normale“ Straf ge-

    f angene hinaus (§ 9 I 1StVollzG). Die Vollzugsbe-

    hörde besitzt zudem be-züglich des „Angezeigt-Seins“ einen Beurteilungs-

    spielraum29. Die Entschei-dung der Vollzugsbehörde

    unterliegt also insoweit nureiner eingeschränkten ge-richtlichen Kontrolle30.

    Eine eigenständige Rege-lung enthält der Grundla-genentwurf zum Zeitpunkt

    der Verlegung in eine Sozi-altherapie. Der Zeitpunkt

    soll den Abschluss derBehandlung während desVollzugs der Freiheitsstrafe

    erwarten lassen (§ 6 II GE-Teil 2).

    Sicherungsv erwahrte und

    Gef angene mit angeordne-ter oder v orbehaltener Si-

    cherungsv erwahrung wer-den also denselben An-spruch auf eine individuelle

    und intensive Betreuunghaben. Das stellt die Voll-

    zugsbehörden v or großeHerausf orderungen: Zumeinen ist da das Verhältnis

    dieser Gef angenen zu denGef angenen ohne ange-ordnete oder v orbehaltene

    Sicherungsv erwahrung.Die mögliche Sicherungs-

    v erwahrung kann hier dazuf ühren, dass sich Gefange-ne auf einer behandleri-

    schen „Überholspur“ befin-den. Zum anderen ist da

    das Verhältnis zu den Si-cherungsv erwahrten. Es

    Beschränkung dieser Rege-lung auf den Bereich der

    Sicherungsv erwahrung istnicht erkennbar.

    2. Strafvollzugsbegleitende

    gerichtliche Kontrolle beiangeordneter oder vorbehal-

    tener Sicherungsv erwah-rung (§ 119 a StVollzG)

    a) Überprüf ung v on Amts

    wegen

    Bei Gef angenen mit ange-ordneter oder v orbehaltener

    Sicherungsv erwahrung gibtes eine neue Form der ge-

    richtlichen Kontrolle. DieseKontrolle begleitet kontinu-ierlich den Vollzug der Frei-

    heitsstraf e (§ 119 aStVollzG). Das Gericht über-

    reicht nicht aus, alle Res-sourcen in den Einrichtun-

    gen f ür Sicherungsv erwahr-te zu konzentrieren. Überall,wo Gef angene mit angeord-

    neter oder v orbehaltenerSicherungsv erwahrung un-

    tergebracht sind, muss esein gleichwertiges behandle-risches Angebot f ür diese

    geben.

    Gerichtliche Überprüfungin der Sicherungsverwah-

    rung

    „Der Grundlagenentwurf

    sieht eine zwingende

    Verlegung in die

    Sozialtherapie vor, wenn die

    dortigen Behandlung zur

    Verringerung der

    Gefährlichkeit für die

    Allgemeinheit angezeigt ist.“

    Gerichtliche Entscheidun-gen auf dem Gebiet des

    Strafv ollzuges sind bislangnicht v ollstreckbar gewe-sen32. In § 120 I StVollzG

    ist nunmehr ein Verweisauf das Zwangsgeld nach

    der Verwaltungsgerichts-ordnung (§ 172 VwGO)eingef ügt worden. Damit

    kann gegen Vollzugsbe-hörden ein Zwangsgeldv erhängt werden, wenn sie

    gerichtliche Entscheidun-gen nicht umsetzen. Eine

    1. Antrag auf gerichtlicheEntscheidung und Zwangs

    geld (§§ 109 ff. StVollzG)

    Der Rechtsbehelf bei Maß-nahmen auf dem Gebiet

    des Strafvollzuges oderder Sicherungsverwahrung

    ist der Antrag auf gerichtli-che Entscheidung (§§ 109ff. StVollzG)31. Über den

    Antrag entscheiden dieStrafv ollstreckungskam-mern bei den Landgerich-

    ten (§ 110 StVollzG,§ 78 a GVG).

    VOLLZUG DER SICHERUNGSVERWAHRUNG

    prüft v on Amts wegen dieBetreuung dieser Gefan-

    genen, wobei die Überprü-f ungsf rist grundsätzlich 2Jahre beträgt (§ 119 a III

    1 StVollzG).

    b) Feststellungen des Ge-

    richtes

    Das Gericht stellt fest, obdie angebotene Betreuung

    im Vollzug § 66 c II n. F.i. V. m. § 66 c I Nr. 1 StGBn. F. entspricht (§ 119 a I

    Nr. 1 StVollzG). Sollte dasnicht der Fall sein, legt das

    Gericht außerdem f est,welche Maßnahmen inso-weit künftig anzubieten

    sind (§ 119 a I Nr. 2StVollzG). Das Gericht

    geht dabei dav on aus,dass sich die Sachlage

    nicht wesentlich ändert(§ 119 a I Nr. 2 StVollzG).

    c) Antragsrecht der Voll-

    zugsbehörde

    Die strafvollzugsbegleiten-

    de gerichtliche Kontrollebei angeordneter oderv orbehaltener Sicherungs-

    v erwahrung findet nichtnur v on Amts wegen statt.Die Vollzugsbehörde kann

    jederzeit eine entspre-chende Entscheidung be-

    antragen, sof ern hieranein berechtigtes Interessebesteht (§ 119 a II 1

    StVollzG):

    „Unter berechtigtem Inte-

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  • Newsletter Nr. 20 Seite 17

    resse ist jedes nach demkonkreten Sach- und Verf ah-

    rensstand anzuerkennendebehördliche Interesse zuv erstehen, sich vor der

    nächsten vom Gericht v onAmts wegen durchzuf ühren-

    den Überprüf ung der Recht-mäßigkeit der angebotenenBetreuung zu v ersichern. Ein

    qualif iziertes Bestreiten derRechtsmäßigkeit durch denGef angenen ist hierf ür aus-

    reichend, wenn auch nichterf orderlich“35.

    Die Vollzugsbehörde kanneine gerichtliche Überprü-f ung auch nach der erstmali-

    gen Aufstellung oder einerwesentlichen Änderung des

    Vollzugsplans beantragen.Das Gericht prüft dann, ob

    die im Vollzugsplan vorge-sehenen Maßnahmen eine

    Betreuung nach § 66 c INr. 1 StGB n. F. darstellenwürden (§ 119 a II

    2 StVollzG).

    d) Kein Antragsrecht der

    Gef angenen mit angeord-neter oder v orbehaltenerSicherungsv erwahrung

    Gef angene haben keinAntragsrecht f ür die straf-v ollzugsbegleitende ge-

    richtliche Kontrolle bei an-geordneter oder vorbehal-

    tener Sicherungsv erwah-rung. Der Gesetzentwurfsieht ein solches Antrags-

    recht nicht v or, weil dieseKontrolle auf eine Feststel-

    lung des Gerichtes bezüg-

    lich des „Gesamtpaketes“der Maßnahmen zielt. Die

    Gef angenen haben aberdie (weitergehende) Mög-

    nismäßig wäre (§ 67 c I 1Nr. 2 StGB n. F.).

    Der Regelung liegt der Ge-danke zugrunde, dass Si-cherungsv erwahrung ultima

    ratio ist. Sie könne nur danngerechtf ertigt sein, wenn

    schon während des Straf-v ollzugs alle Möglichkeitenausgeschöpft würden, um

    die Gef ährlichkeit des Verur-teilten zu reduzieren und soden Vollzug der Unterbrin-

    gung entbehrlich zu ma-chen38. Dieser Gedanke

    begründet eine besondereVerantwortung des Vollzu-ges, weil vollzugliche Fehler

    letztlich zur Entlassung vongef ährlichen Sicherungsver-

    wahrten f ühren können. Die

    lichkeit des Antrags auf ge-richtliche Entscheidung (§§

    109 ff. StVollzG), mit dembestimmte Maßnahmeneingef ordert oder angef och-

    ten werden können36.

    e) Bindungswirkung und

    Konsequenzen aus Ent-scheidungen nach § 119 aStVollzG

    Alle Gerichte sind bei nach-f olgenden Entscheidungenan die rechtskräftigen Fest-

    stellungen aus Verfahren

    „Dieser Gedanke begründet

    eine besondere

    Verantwortung des

    Vollzuges, weil vollzugliche

    Fehler letztlich zur

    Entlassung von gefährlichen

    Sicherungsverwahrten führen

    können.“

    wahrung zur Bewährungauszusetzen ist. Die Bin-

    dungswirkung kann insbe-sondere bei dieser Prüf ungKonsequenzen haben: Der

    Bundesgesetzgeber siehtnämlich eine zwingende

    Aussetzung v or, wenn imVollzugsv erlauf keine aus-reichende Betreuung im

    Sinne des § 66 c I Nr. 1StGB n. F. angeboten wor-den ist und die Unterbrin-

    gung in der Sicherungsv er-wahrung daher unv erhält-

    zur strafvollzugsbegleiten-den gerichtlichen Kontrolle

    gebunden (§ 119 a VIIStVollzG). Soweit dieseFeststellungen künftig an-

    zubietende Maßnahmenbetreff en, reicht die Bin-

    dungswirkung aber nur soweit, wie sich die Sachlagenicht wesentlich verändert

    hat37.

    Am Ende des Vollzugs derFreiheitsstrafe prüft das

    Gericht, ob die Vollstre-ckung der Sicherungsv er-

    VOLLZUG DER SICHERUNGSVERWAHRUNG

    bindenden Zwischenent-scheidungen sollen dabei

    Rechtssicherheit bei denBeteiligten schaffen undeiner „Überraschung“ bei

    der erst am Ende des Voll-zugs der Freiheitsstraf e zu

    treff enden Aussetzungs-entscheidungv orbeugen39.

    3. Aussetzung der Siche-

    rungsv erwahrung zur Be-währung nach der Frei-heitsstraf e (§ 67 c StGB)

    Vor dem Ende des Vollzu-ges der Freiheitsstrafe

    prüft das Gericht, ob dieSicherungsv erwahrung zurBewährung auszusetzen

    ist. Schon nach dem gel-tenden Recht ist die Voll-

    streckung der Sicherungs-v erwahrung auszusetzen,

    wenn der Zweck der Maß-regel die Unterbringungnicht mehr erf ordert

    (§ 67 c I StGB). Insoweitist auf die Gef ährlichkeit

    der Gef angenen abzustel-len. Neu ist die Ausset-zung wegen mangelnder

    Betreuung im Vollzug(§ 67 c I 1 Nr. 2 StGB n.F.), auf die bereits zuv or

    eingegangen wurde.

    4. Aussetzung zur Bewäh-

    rung oder Erledigungs-erklärung während derSicherungsv erwahrung

    (§ 67 d f. StGB)

    Während der Sicherungs-

    Unterkunftsbereich i n der SV-Abteilung der JVA R osdorf

  • Newsletter Nr. 20 Seite 18

    v erwahrung prüft das Ge-richt v or Ablauf bestimmter

    Fristen, ob die weitere Voll-streckung der Unterbringungzur Bewährung auszusetzen

    oder f ür erledigt zu erklärenist (§ 67 e I StGB). Die bis-

    herige Überprüf ungsf rist hatf ür die Sicherungsverwah-rung 2 Jahre betragen

    (§ 67 e II StGB a. F.). DieseFrist v erkürzt sich nunmehrauf 1 Jahr. Auf Vorschlag

    des Bundesrates beträgt dieFrist nach Vollzug v on 10

    Jahren der Sicherungsv er-wahrung dann 9 Monate40.

    Der Bundesgesetzgeber

    sieht zudem eine zwingende

    Aussetzung zur Bewäh-rung v or, wenn die weitere

    Vollstreckung unverhältnis-mäßig wäre, weil keineausreichende Betreuung i.

    S. d. § 66 c I Nr. 1 StGB n.F. angeboten worden ist.

    Das Gericht muss aller-dings bei einer vorherigenPrüf ung der Aussetzung

    die mangelnde Betreuung,die anzubietenden Maß-nahmen und eine Umset-

    zungsf rist festgestellt ha-ben. Die Umsetzungsfrist

    darf höchstens 6 Monatebetragen (§ 67 d II 2StGB n. F.).

    Quellen:

    1 Vgl. BVerf G Urt. v. 4. 5.

    2011 - 2 BvR 2365/09 u.a., juris, Rn 130.

    2 Der EGMR bejahte u. a.,

    dass die rückwirkendeAuf hebung der Zehnjah-

    reshöchstf rist des § 67 d III1 StGB gegen Art. 7 IEMRK v erstößt.

    3 Vgl. EGMR - 5. SektionM. gegen BR Deutschland,Urt. v. 17. 12. 2009 - Be-

    schwerde Nr. 19 359/04 -NStZ 2010, 263 ff.; BVerfG

    Urt. v. 4. 5. 2011 - 2 BvR2365/09 u. a., juris, Rn140.

    a., juris, Rn 115.

    21 Vgl. BT-Dr 17/9874 v. 6.

    6. 2012, S. 17 [zu Nr. 2].

    22 Vgl. o. Fn 21.

    23 Vgl. z. B. BGH Urt. v. 9.

    10. 2011 - 5 StR 360/01,juris, Rn 10f.

    24 Vgl. BT-Dr 17/9874 v. 6.6. 2012, S. 17 [zu Nr. 2].

    25 Vgl. o. Fn 24.

    26 Vgl. o. Fn 24.

    27 Vgl. Arloth StVollzG, Kom-mentar, 3. Auf l., § 74

    StVollzG Rn 1.

    28 BVerf G Urt. v. 4. 5. 2011-

    2 Bv R 2365/09 u. a., juris,Rn 112.

    4 Vgl. Stat. Bundesamt, Be-stand der Gefangenen und

    Verwahrten in den deut-schen Justizv ollzugsanstal-ten, Stichtag: 30. 11. 2012,

    S. 6 f.

    5 Beschluss zu TOP II.8 der

    Konf erenz der Justizministe-rinnen und Justizministeram 13. und 14. 6. 2012 in

    Wiesbaden.

    6 Vgl.www.mj.niedersachs-en.de unter Themen/

    Justizv ollzug/Vollzug derSicherungsv erwahrung.

    7 Vgl. BVerf G Urt. v. 5. 2.2004 - 2 BvR 2029/01, juris,Rn 119.

    a., juris, Rn 129.

    14 Vgl. BT-Dr 17/9874 v. 6.

    6. 2012, S. 5 [Art. 1 Nr. 2].

    15 Vgl. o. Fn 14, S. 16 [zuNr. 2].

    16 Vgl. BVerfG Urt. v. 4. 5.2011 - 2 BvR 2365/09 u.

    a., juris, Rn 113.

    17 Vgl. o. Fn 16.

    18 Vgl. BT-Dr 17/9874 v. 6.

    6. 2012, S. 15 [zu Nr. 2].

    19 Vgl. o. Fn 18, S. 16 [zuNr. 2].

    20 Vgl. BVerfG Urt. v. 4. 5.2011 - 2 BvR 2365/09 u.

    8 Vgl. BVerf G Urt. v. 10. 2.2004 - 2 BvR 834/02 und 2

    BvR 1588/01, juris, Rn 86.

    9 Vgl. o. Fn 8, Rn 141.

    10 Z. B. Art. 159 ff. Bay St-

    VollzG, §§ 66 ff. HSt-VollzG, §§ 107 ff.

    NJVollzG.

    11 Vgl. BVerfG Urt. v. 4. 5.2011 - 2 BvR 2365/09 u.

    a., juris, Rn 121.

    12 Vgl. BVerfG Urt. v. 5. 2.2004 - 2 BvR 2029/01,

    juris, Rn 122.

    13 Vgl. BVerfG Urt. v. 4. 5.

    2011 - 2 BvR 2365/09 u.

    VOLLZUG DER SICHERUNGSVERWAHRUNG

    29 Vgl. OLG Celle Beschl.v. 20. 4. 2007- 1 Ws 91/07

    (StrVollz), juris, Rn 8.

    30 Vgl. BGH Beschl. v. 22.12. 1981 - 5 AR (Vs)

    32/81, juris, Rn 11.

    31 Vgl. BT-Dr 17/9874 v. 6.

    6. 2012, S. 8. [Art. 4 Nr. 2a].

    32 Vgl. BVerf G Beschl. v. 3.

    11. 2010 - 2 BvR 1377/07,juris, Rn 5f. mwN auch zurGegenauffassung und Rn

    7.

    33 Vgl. o. Fn 31, S. 8 f.

    [Art. 4 Nr. 7].

    34 Vgl. o. Fn 31, S. 28 [zuNr. 6].

    35 Vgl. o. Fn 31, S. 28 [zuNr. 6].

    36 Vgl. o. Fn 31, S. 28 f. [zuNr. 6].

    37 Vgl. o. Fn 31, S. 29 f. [zu

    Nr. 6].

    38 Vgl. o. Fn 31, S. 20 [zu

    Nr. 4].

    39 Vgl. o. Fn 31, S. 28 [zuNr. 6].

    40 Vgl. BT-Dr 17/11388 v.7. 11. 2012, S. 33 [zu Art.1 Nr. 6 (§ 67 e II StGB)].

    Kontakt:

    Jens Grote

    Telefon

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  • Newsletter Nr. 20 Seite 19

    30,1% zunehmen (vgl.Statistisches Bundes-amt 2009). Angesichtsdes „kriminologischenGemeinplatzes“, dassältere Menschen weni-ger kriminell sind alsJüngere (vgl. Spiess2009), stellt sich somitdie Frage, was diesedemografischen Verän-derungen für das Krimi-nalitätsaufkommen be-

    deuten.

    In der deutschsprachi-gen Kriminologie wurde

    Die Prognose der Gefangenenzahlen in Niedersachsen vor

    dem Hintergrund des demografischen Wandelsvon Michael Hanslmaier und Dirk Baier

    DEMOGRAFISCHER WANDEL

    Die Kriminologie be-schäftigt sich seit einigerZeit mit der Frage, wiesich der demografischeWandel auf die zukünftigeKriminalitätsentwicklungauswirken wird und wel-che Folgen dies für dieArbeitsbelastung der In-stitutionen der formellenSozialkontrolle, also fürPolizei, Justiz(-vollzug)und Bewährungshilfe ha-ben wird (Baier &Hanslmaier 2013). Aus-

    gangspunkt ist die Be-obachtung, dass sichdie Altersstruktur derBevölkerung seit 1995geändert hat und sichdiese Veränderungen,die sich als Alterung undSchrumpfung charakte-risieren lassen, auch inZukunft fortsetzen wer-den. So ist der Anteilder über 59-Jährigenvon 20,7% im Jahr 1995auf 25,9% im Jahr 2010gestiegen und wird biszum Jahr 2020 auf

    Altersstruktur der Bevöl-kerung projiziert. Heinz(2013) verwendet dieseMethode zur Prognoseder Zahl der Gefangenenin Deutschland bis zumJahr 2060. Hierfür wird ineinem ersten Schritt dierelative Belastung dereinzelnen Altersgruppenberechnet (Gefangenepro 100.000 Einwohnerder gleichen Altersgrup-pe und des gleichen Ge-schlechts). Diese Belas-tung wird als konstantangenommen und mit

    Überblick über bisherigeAnsätze zur Prognoseder zukünftigen Entwick-lung der Gefangenen-zahl in Deutschland ge-

    ben werden.

    Eine nicht nur bei derPrognose von Gefange-nenzahlen häufig ver-wendete Methode ist dieExtrapolation (Metz2013). Bei der Extrapo-lation wird die als kon-stant angenommenealtersspezifische Krimi-nalitätsbelastung auf diezukünftig zu erwartende

    Forschungsinstitut Nie-dersachsen (KFN) inKooperation mit den In-nen- und Justizministe-rien der Länder Bayern,Brandenburg, Nieder-sachsen und Sachsen-Anhalt durchgeführt wor-den ist, vorgestellt wer-

    den.

    Bisherige Ansätze zurPrognose v on Gefan-genzahlen

    Bevor das Vorgehen beider Prognose der zu-künftigen Kriminalitäts-entwicklung skizziertwird, soll zunächst ein

    der Zusammenhang zwi-schen der Veränderungder Altersstruktur derBevölkerung und der Kri-minalität wiederholt un-tersucht. So haben sicheinige Autoren der Fragegewidmet, inwiefern sichder bisherige demografi-sche Wandel bereits inden Kriminal- undRechtspflegestatistikenniederschlägt (vgl. Kem-me 2011; Kemme &Hanslmaier 2011). Ande-re Autoren haben denBlick in die Zukunft ge-richtet und darüber spe-kuliert, welche Auswirkender demografische Wan-

    del auf das Kriminalitäts-aufkommen haben wird,wobei sich die Ergebnis-se teilweise stark unter-scheiden (u. a. Borne-wasser et al. 2008; Gluba2010; Görgen et al. 2011;Heinz 2013; Hunsicker

    2013).

    Der vorliegende Beitraglegt den Fokus auf diePrognose der zukünfti-gen Zahl der Gefange-nen vor dem Hintergrunddes demografischenWandels. Es sollen dieErgebnisse eines For-schungsprojektes, dasam Kriminologischen

    Dr. Dirk Baier, Dipl.-Soz.,

    stellv. Direktor (links) und

    Michael Hanslmaier, Sozio-

    loge M.A.

    Kriminologisches Forschungs-

    institut Niedersachsen, Hannover

    Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsenin Hannover

  • Newsletter Nr. 20 Seite 20

    tiz, des Strafvollzugsund der Bewährungshil-fe“, das von 2009 bis2013 am Kriminologi-schen Forschungsinsti-tut Niedersachsendurchgeführt wurde.Das Projekt gliedertesich in zwei Teile. In derersten Projektphasewurden Interviews mitExperten aus den Berei-chen Polizei, Justiz undStrafvollzug durchge-führt. Ziel war es, dieaus Sicht der Expertenrelevanten Faktoren zuidentifizieren, die dieEntwicklung der Krimi-

    wird, findet in Deutsch-land nicht statt (vgl. a.Metz 2013: 404). Auchberücksichtigt nur eineder vorgestellten Arbeiten(Metz & Sohn 2008) Dritt-

    faktoren.

    Das Projekt

    Die Prognose der Zahlder Gefangenen in Nie-dersachsen bis zum Jahr2020 war Teil des Projek-tes „Auswirkungen desdemografischen Wandelsauf die Kriminalitätsent-wicklung sowie die Arbeitder Polizei, der Strafjus-

    „Heinz (2013) erwartet ...

    bundesweit einen Rückgang

    der Gefangenenzahlen von

    2010 bis 2020

    von 60.157 auf 55.513.“

    gruppe stark zunimmt.

    Eine Erweiterung vonExtrapolationen sindModelle, die nicht voneiner Konstanz der Be-lastungsziffer ausgehen,sondern diese als varia-bel modellieren. Hierbeikönnen entwederTrends aus der Vergan-genheit fortgeschriebenoder vom Forscher Ad-hoc-Annahmen getrof-fen werden. Im Bereichder Prognose von Ge-fangenen wurde diesesVerfahren von Hasen-pusch (1988) für Nieder-

    sachsen angewendet.Mittels einer Regressi-onsanalyse wurde derTrend der Zeitreihe deraltersspezifischen Haft-quote fortgeschriebenund mit der prognosti-zierten Bevölkerungs-zahl in Verbindung ge-

    setzt.

    Ein Problem bei der Ext-rapolation ist jedoch,dass diese außer derDemografie keine weite-ren Faktoren berücksich-tigt. Selbst wenn nochkein vollständiges Modellzur Erklärung der Gefan-

    der aus der Bevölke-rungsvorausberechnungbekannten Zahl der Per-sonen in der jeweiligenAlters- und Geschlechts-gruppe multipliziert.Heinz (2013) erwartet aufBasis dieser Methodebundesweit einen Rück-gang der Gefangenen-zahlen von 2010 bis 2020von 60.157 auf 55.513.Erwartungsgemäß steigtaber im Gegensatz zuden übrigen Altersgrup-pen die Zahl der Gefan-genen über 59 Jahrenan, da die Zahl der Per-sonen in dieser Alters-

    Gefangenen werdendemografische Variab-len (Stärke verschiede-ner Altersgruppen, Ge-samtbevölkerung), dieArbeitslosigkeit, der An-teil der Personen, diemit neuen Hoffnungenins neue Jahr gehen(als Indikator für dieKonjunktur), das Brutto-inlandsprodukt pro Kopfund die Zahl der verur-teilten Deutschen alsunabhängige Variablenverwendet. Für diePrognose werden dieWerte der unabhängi-gen Variablen auf dem

    letzten bekannten Wertfortgeschrieben. Kritischanzumerken ist hier dieTatsache, dass die Zahlder Verurteilten, also derInput in das Justizsys-

    tem nicht modelliert wird.

    Insgesamt existieren fürDeutschland somit nurwenige Arbeiten, die sichmit der Prognose vonGefangenenzahlen aus-einandersetzen. Einekontinuierliche Progno-se, wie sie in anderenLändern (u.a. Schwe-den, Kanada, Niederlan-de, USA) durchgeführt

    genenzahlen existiert,das alle relevanten Ein-flussgrößen beinhaltet,so ist doch klar, dassdieses Phänomen nichtnur durch einen Faktorerklärt werden kann (vgl.Baier & Hanslmaier 2013:

    589).

    Einen elaborierten An-satz zur Prognose derGefangenenzahlen derStadt Hamburg liefernMetz und Sohn (2008)mit der Verwendung mul-tivariater Zeitreihenanaly-se. In ihrem Modell zurPrognose der deutschen

    DEMOGRAFISCHER WANDEL

    nalität seit 1995 beein-flusst haben (Kemme et

    al. 2011).

    Die in den Interviewsbenannten Einflussfak-toren auf die Kriminali-tätsentwicklung wurdenim zweiten Teil des Pro-jektes um aus der For-schung bekannte Ein-flussgrößen erweitert.Ziel war es in diesemTeil des Projektes, mul-tivariate Modelle zurPrognose von Kriminali-tät zu entwickeln. EinProblem war hierbei,dass nicht für alle Ein-

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  • Newsletter Nr. 20 Seite 21

    geht, dass sich der An-stieg bzw. Rückgang mitder Zeit abschwächt, einSpline-Trend, der einenTrendbruch beschreibenkann und ein Dummy-modell, das keinenTrend spezifiziert, son-dern die einzelnen Be-obachtungsjahre als

    Ausreißer behandelt.

    Die prognostizierte Zahlder Straftaten ist im drit-ten Schritt der Aus-gangspunkt für diePrognose der Tatver-dächtigen. Hierfür wurde– jeweils deliktspezifisch

    jeweils ein deliktspezifi-scher Trend übrig. Hinterdiesem Trend verbergensich Einflussfaktoren aufdie Kriminalitätsentwick-lung, die nicht im Modellenthalten sind (z.B. An-zeigebereitschaft). Umdiese Trends für diePrognose berücksichti-gen zu können, musstendiese modelliert werden.Hierfür kamen vier Trend-verläufe in Frage: einlinearer Trend, der voneinem kontinuierlichenAnstieg oder Rückgangausgeht, ein logistischerTrend, der davon aus-

    „Die zukünftigen Werte für

    die demografischen Variablen

    konnten den regionalisierten

    Bevölkerungsprognosen

    entnommen werden, bei den

    anderen Variablen

    (Arbeitslosenquote,

    Scheidungsrate usw.) stellte

    sich die Situation komplexer

    dar, da es keine Prognosen

    über deren zukünftigen

    Verlauf gibt..“

    abhängige Variabledienten die Häufigkeits-ziffern für acht Delikte(vgl. Tabelle 1) und dieGesamtkriminalität(Hanslmaier et al.

    2014).

    Für die Prognosen wur-den in einem erstenSchritt multivariate Mo-delle zur retrogradenErklärung der Kriminali-tät für den Zeitraum1995 bis 2010 berech-net. Datengrundlagewaren gepoolte Zeitrei-hen aller Landkreise;d.h., für jeden Landkreis

    liegt für jedes Jahr einWert für alle Variablenvor. Die Modelle wurdenjeweils separat für dieeinzelnen Bundesländerund Delikte geschätzt.Die sieben exogenenFaktoren wurden zu-nächst gemeinsam indas Modell aufgenom-men. Dann wurdenschrittweise die nichtsignifikanten Variablen

    aus dem Modell entfernt.

    Für die Prognose konn-ten dann in einem zwei-ten Schritt die zukünfti-gen Werte der unabhän-

    flussfaktoren Daten zurVerfügung standen. Indie Modelle zur Prognoseder Fallzahlen konntenletztlich sieben exogeneFaktoren als Prädiktorenvon Kriminalität integriertwerden: der Anteil der 14- bis unter 25-Jährigenund der Anteil der über59-Jährigen an der Ge-samtbevölkerung als de-mografische Faktoren,die Arbeitslosenquote,die Scheidungsrate, derAnteil der Schulabgängerohne Schulabschluss,der Ausländeranteil unddie Mobilitätsrate. Als

    der letzte bekannte Wert

    fortgeschrieben.

    Ein weiteres wichtigesElement der Prognose-

    modelle waren Trends.Bei der Schätzung derretrograden Modelleblieb, auch unter Kon-trolle der Drittvariablen,

    gigen Variablen in dieRegressionsgleichungeingesetzt werden, umauf diese Weise die Wer-te der abhängigen Vari-ablen zu erhalten. Diezukünftigen Werte für diedemografischen Variab-len konnten den regiona-lisierten Bevölkerungs-prognosen entnommenwerden, bei den anderenVariablen (Arbeitslosen-quote, Scheidungsrateusw.) stellte sich die Situ-ation komplexer dar, daes keine Prognosen überderen zukünftigen Verlaufgibt. Deshalb wurde hier

    DEMOGRAFISCHER WANDEL

    – das Verhältnis derTatverdächtigen zu Fäl-len für die drei Jahre2008 bis 2010 berech-net. Dieses Verhältniswurde für die Zukunftals konstant angenom-men. Die Zahl der er-warteten Tatverdächti-gen ergab sich somitaus der Multiplikationdes berechneten Ver-hältnisses mit der prog-nostizierten Zahl derTatverdächtigen. DieZahl der Verurteiltenergab sich wiederumaus der zukünftigenZahl der Tatverdächti-

  • Newsletter Nr. 20 Seite 22

    schnittswert abweicht,dann beeinflusst das dieprozentuale Verände-rung. Werden beispiels-weise im Schnitt derJahre 2008 bis 2010 0,4Tatverdächtige pro De-likt ermittelt, im Jahr2010 jedoch nur 0,35,dann beeinflusst dieseAbweichung die prozen-tuale Differenz zwischenden Tatverdächtigen imJahr 2010 und im Jahr2020, da sich die Zahlder Tatverdächtigen imJahr 2020 aus der Zahlder registrierten Delikteund dem durchschnittli-

    vorsätzliche, leichte Kör-perverletzung sowie fürSachbeschädigungen

    und den Betrug erwartet.

    Die Diskrepanzen in derprognostizierten prozen-tualen Entwicklung zwi-schen Fallzahlen undGefangenen sind durchzwei Aspekte verursacht.Einerseits sind diese da-rauf zurückzuführen,dass die Koeffizientenjeweils den Durchschnittvon drei Jahren abbilden.Wenn jedoch das Ver-hältnis im Referenzjahrstark von diesem Durch-

    „Es wird erwartet, dass die

    Zahl der Gefangenen für alle

    Delikte ohne Verkehrsdelikte

    von 2009 bis 2020 um 8,4%

    auf ca. 4.900 Gefangene

    zurückgeht.“

    die Zahl der registriertenStraftaten, so wird einRückgang für alle Delik-te insgesamt um 7,1%bis zum Jahr 2020 er-wartet. Auf der Ebeneder Einzeldelikte zeigensich jedoch divergieren-de Entwicklungen. Sowerden Rückgänge vorallem bei den Dieb-stahlsdelikten erwartet,während Körperverlet-zungsdelikte und Sach-beschädigungen zuneh-

    men werden.

    Wendet man den Blickauf das Ende des Pro-

    zesses der formellenSozialkontrolle, den Jus-tizvollzug, so zeigt sicheine ähnliche Entwick-lung. Es wird erwartet,dass die Zahl der Gefan-genen für alle Delikteohne Verkehrsdeliktevon 2009 bis 2020 um8,4% auf ca. 4.900 Ge-fangene zurückgeht. Dieprozentual größtenRückgänge werdenebenfalls bei den Dieb-stahlsdelikten erwartet.Größere Anstiege bezo-gen auf den Wert desJahres 2009 werdendemgegenüber für die

    gen und dem als kon-stant angenommenenVerhältnis von Verurteil-ten zu Tatverdächtigender Jahre 2007 bis 2009.Analog hierzu konnte dieZahl der Gefangenen ausdem Verhältnis von Ge-fangenen zu Verurteiltenund der prognostiziertenZahl der Verurteilten be-

    rechnet werden.

    ErgebnisseDie prognostizierte Krimi-nalitätsentwicklung inNiedersachsen ist in Ta-belle 1 dargestellt. Be-trachtet man zunächst

    DEMOGRAFISCHER WANDEL

    chen Verhältnis ergibt.Wird also z.B. ein An-stieg der Delikte von100.000 auf 120.000Fälle prognostiziert(+20%), dann führt dieszu 120.000 * 0,4 =48.000 Tatverdächtigen.Im Jahr 2010 wurdenaber nur 35.000 Tatver-dächtige registriert, folg-lich ist die prozentualeDiskrepanz der Tatver-dächtigen zwischen2010 und 2020 mit ca.+37% größer als dieprozentuale Diskrepanzder Straftaten. In derPrognose der Gefan-

    Tabelle 1: Prognostizierte Kriminalitätsentwicklung in Niedersachsen bis 2020

    Straftaten Gefangene

    2010 2020 % Diff. 2009 2020 % Diff.

    PKS insgesamt 580.962 539.755 -7,1% 5.361 4.913 -8,4%

    Raub 4.207 4.073 -3,2% 697 652 -6,5%

    Gef. /schw. Körperverl. 14.971 17.812 19,0% 448 461 2,8%

    Vors., leichte Körperverl. 37.172 43.618 17,3% 196 240 22,2%

    Einfacher Diebstahl 111.553 97.352 -12,7% 445 411 -7,6%

    Schwerer Diebstahl 101.908 65.414 -35,8% 744 424 -43,0%

    Betrug 108.614 99.836 -8,1% 621 688 10,8%

    Sachbeschädigung 62.838 75.351 19,9% 22 26 15,9%

    Rauschgiftkriminalität 25.859 27.541 6,5% 733 712 -2,9%

    Die Gefang enenzahlen beinhalten jeweils keine Verkehrsdelikte, um eine Vergleichbarkeit mit der PKS zu ermöglichen.

  • Newsletter Nr. 20 Seite 23

    chen. Auf Basis der Mo-delle kann durchgespieltwerden, was passiert,wenn sich bestimmteParameter verändernwürden. Auf diese Wei-se können etwa dieAuswirkungen von Ge-setzesänderungen un-

    tersucht werden.

    Ausblick

    Für Prognosen der zu-künftigen Zahl der Ge-fangenen stellt sichgrundsätzlich die Frage,ob die hier verwendeteMethode die geeignets-

    fraglich, ob die Alterungder Bevölkerung tatsäch-lich zu weniger Kriminali-tät und weniger Gefan-gen führt bzw. auch wiestark dieser Rückgangausfallen wird. Progno-sen können Zusammen-hänge zwischen Entwick-lungen aufzuzeigen undsomit zu einem besserenVerständnis von gesell-schaftlichen Prozessen

    beitragen.

    Zudem können Progno-sen Aussagen über dieZukunft im Sinne von‚What if‘ Szenarios ma-

    „Insgesamt betrachtet gehen