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Gottlose Gesellen: In der BRD gibt es zahlreiche Organisationen von Athe- isten,Agnostikern und Kirchenfein- den.Von Claudia Wangerin Seite 2 Papst in der Bütt: Joseph Ratzinger spricht im Bundestag – aber ist er wirklich ein Staatsoberhaupt? Von Norman Paech Seite 5 Ab ins Mittelalter: Die katholische Kirche hat aus Gott einen bösen Dämon gemacht.Von Uta Ranke- Heinemann. Seite 6 Alternative zum Christentum. Das »fliegende Spaghettimonster« er- füllt alle Ansprüche an eine echte Gottheit. Seite 11 junge W elt Die Tageszeitung papst Tageszeitung junge Welt Mittwoch, 21. September 2011, Nr. 220 Der letzte absolutistische Herrscher Der Papst kommt! Die Mainstreammedien überschlagen sich, auch wenn sich kaum jemandfür den Besuch interessiert. Von Peter Wolter E in Hauch von Mittelalter weht diese Woche durch Berlin: Jose- ph Ratzinger, gebürtig in Marktl am Inn, macht der Hauptstadt seine Aufwartung. Eigentlich kein Grund zur Aufregung – in Berlin gibt es so viele schräge Figuren, daß sich selbst nach ei- nem alten Mann in bunten Frauenkleidern niemand umdreht. Dennoch – Ratzingers Besuch ist ein Politikum allerersten Ran- ges: Der Mann ist nämlich Oberhaupt der katholischen Kirche, Vizegott und der letz- te absolutistische Herrscher in Europa. Fast jeder TV-Sender hat artige Papst- filmchen ins Programm genommen, Poli- tiker überschlagen sich mit Ergebenheits- adressen und haben zu Hause vor dem Spiegel schon mal den protokollgerechten Bückling geübt. Der breiten Bevölkerung allerdings geht der am Donnerstag begin- nende Papstbesuch eher am Allerwertesten vorbei: Eine forsa-Umfrage im Auftrag des Stern ergab, daß 86 Prozent aller Deut- schen die religiöse Showveranstaltung als »unwichtig« ansehen. Dennoch – Kirche und Staat tun alles, um die bizarre Show der »finsteren Römlinge« (Heinrich Hei- ne) zu einem Medienspektakel ersten Ran- ges aufzuwerten. An Protesten gegen den Papstbesuch mangelt es allerdings nicht: Nicht nur in Berlin, sondern auch an Ratzingers weite- ren Besuchsstationen Erfurt und Freiburg sind Gegendemonstrationen vorgesehen, u. a. organisiert von »Gottes verlorenen Schäfchen« – atheistischen Organisatio- nen, die auf den Seiten 2 und 3 dieser Bei- lage vorgestellt werden. Ihr Protest rich- tet sich auch dagegen, daß die öffentliche Hand den Auftritt dieses Kirchenfürsten großzügig finanziert. 25 bis 30 Millionen Euro alleine an Steuergeldern dürfte die Show kosten, wie der Soziologe und Buch- autor Carsten Frerk herausfand (S. 4). Mit Herrn Ratzinger wird zum zweiten Mal in der BRD-Geschichte ein Papst im Bundestag reden – worüber aber nicht alle Abgeordneten begeistert sind: Rund 100, so wurde erwartet, beteiligen sich nicht an der parlamentarischen Huldigung, ein Teil von ihnen wollte sogar an den Antipapst- demonstrationen teilnehmen. Ob Ratzin- ger aus staatsrechtlicher Sicht überhaupt als Staatsoberhaupt gilt und damit im Bun- destag reden darf, untersucht der Professor für Völkerrrecht und frühere Linkspartei- Abgeordnete Norman Paech (S. 5). »Mit Benedikt ins Mittelalter« heißt ein Beitrag der Theologie-Professorin Uta Ranke-Heinemann. (S. 6 und 7). Sie geht darin vor allem mit der verklemmten Se- xualmoral des offiziellen Katholizismus ins Gericht. Mit der Unterdrückung der Befreiungstheologie, die der Vatikan vor allem in Lateinamerika kleinhalten wollte, befaßt sich der katholische Theologe Mi- chael Ramminger (S. 8). Und der frühere Kirchenrecht-Professor Horst Herrmann gibt einen Abriß über die verbrecherische Geschichte des Katholizismus (S. 10). Claudia Wangerin schließlich stellt eine Ersatzreligion vor: Die »Kirche des flie- genden Spaghettimonsters« (S. 11). Es hätte viele andere religionskritische Themen für diese Beilage gegeben. Schön wäre es auch gewesen, die Haltung der Linkspartei zum Umgang mit Religionen und dem aktuellen Papstbesuch darzustel- len. Der »religionspolitische Sprecher« der Partei, der Bundestagsabgeordnete Raju Sharma, wollte aber nicht mit jW reden.

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Gottlose Gesellen: In der BRD gibt es zahlreiche Organisationen von Athe-isten, Agnostikern und Kirchenfein-den. Von Claudia Wangerin Seite 2

Papst in der Bütt: Joseph Ratzinger spricht im Bundestag – aber ist er wirklich ein Staatsoberhaupt? Von Norman Paech Seite 5

Ab ins Mittelalter: Die katholische Kirche hat aus Gott einen bösen Dämon gemacht. Von Uta Ranke-Heinemann. Seite 6

Alternative zum Christentum. Das »fliegende Spaghettimonster« er-füllt alle Ansprüche an eine echte Gottheit. Seite 11 jungeWelt

Die Tageszeitung

pap st Tageszeitung junge Welt Mittwoch,21. September 2011, Nr. 220

Der letzte absolutistische HerrscherDer Papst kommt! Die Mainstreammedien überschlagen sich, auch wenn sich kaum jemandfür den Besuch interessiert. Von Peter Wolter

Ein Hauch von Mittelalter weht diese Woche durch Berlin: Jose-ph Ratzinger, gebürtig in Marktl am Inn, macht der Hauptstadt

seine Aufwartung. Eigentlich kein Grund zur Aufregung – in Berlin gibt es so viele schräge Figuren, daß sich selbst nach ei-nem alten Mann in bunten Frauenkleidern niemand umdreht. Dennoch – Ratzingers Besuch ist ein Politikum allerersten Ran-ges: Der Mann ist nämlich Oberhaupt der katholischen Kirche, Vizegott und der letz-te absolutistische Herrscher in Europa.

Fast jeder TV-Sender hat artige Papst-filmchen ins Programm genommen, Poli-tiker überschlagen sich mit Ergebenheits-adressen und haben zu Hause vor dem Spiegel schon mal den protokollgerechten Bückling geübt. Der breiten Bevölkerung allerdings geht der am Donnerstag begin-nende Papstbesuch eher am Allerwertesten vorbei: Eine forsa-Umfrage im Auftrag des Stern ergab, daß 86 Prozent aller Deut-schen die religiöse Showveranstaltung als »unwichtig« ansehen. Dennoch – Kirche und Staat tun alles, um die bizarre Show der »finsteren Römlinge« (Heinrich Hei-ne) zu einem Medienspektakel ersten Ran-ges aufzuwerten.

An Protesten gegen den Papstbesuch mangelt es allerdings nicht: Nicht nur in Berlin, sondern auch an Ratzingers weite-ren Besuchsstationen Erfurt und Freiburg sind Gegendemonstrationen vorgesehen, u. a. organisiert von »Gottes verlorenen Schäfchen« – atheistischen Organisatio-nen, die auf den Seiten 2 und 3 dieser Bei-lage vorgestellt werden. Ihr Protest rich-tet sich auch dagegen, daß die öffentliche Hand den Auftritt dieses Kirchenfürsten großzügig finanziert. 25 bis 30 Millionen Euro alleine an Steuergeldern dürfte die Show kosten, wie der Soziologe und Buch-autor Carsten Frerk herausfand (S. 4).

Mit Herrn Ratzinger wird zum zweiten Mal in der BRD-Geschichte ein Papst im Bundestag reden – worüber aber nicht alle Abgeordneten begeistert sind: Rund 100, so wurde erwartet, beteiligen sich nicht an der parlamentarischen Huldigung, ein Teil von ihnen wollte sogar an den Antipapst-demonstrationen teilnehmen. Ob Ratzin-ger aus staatsrechtlicher Sicht überhaupt als Staatsoberhaupt gilt und damit im Bun-destag reden darf, untersucht der Professor für Völkerrrecht und frühere Linkspartei-Abgeordnete Norman Paech (S. 5).

»Mit Benedikt ins Mittelalter« heißt ein Beitrag der Theologie-Professorin Uta Ranke-Heinemann. (S. 6 und 7). Sie geht darin vor allem mit der verklemmten Se-xualmoral des offiziellen Katholizismus ins Gericht. Mit der Unterdrückung der Befreiungstheologie, die der Vatikan vor allem in Lateinamerika kleinhalten wollte, befaßt sich der katholische Theologe Mi-chael Ramminger (S. 8). Und der frühere Kirchenrecht-Professor Horst Herrmann gibt einen Abriß über die verbrecherische Geschichte des Katholizismus (S. 10). Claudia Wangerin schließlich stellt eine Ersatzreligion vor: Die »Kirche des flie-genden Spaghettimonsters« (S. 11).

Es hätte viele andere religionskritische Themen für diese Beilage gegeben. Schön wäre es auch gewesen, die Haltung der Linkspartei zum Umgang mit Religionen und dem aktuellen Papstbesuch darzustel-len. Der »religionspolitische Sprecher« der Partei, der Bundestagsabgeordnete Raju Sharma, wollte aber nicht mit jW reden.

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Mittwoch, 21. September 2011, Nr. 220 junge Welt 2 p ap s t

Wer einfach nur keine Kirchensteuer zahlt, ist noch lange nicht aus dem Schneider, denn die Kir-

che wird auch mit den Steuergeldern Konfessionsloser subventioniert. Dar-über hinaus kommen sie zum Beispiel für die Sicherheitsmaßnahmen während des Papstbesuchs mit auf; besonders in ländlichen Gegenden leiden sie immer noch unter dem Einfluß der kirchlichen Moral – und als Arbeitgeber im sozialen Bereich fühlt sich die Kirche nicht an das Allgemeine Gleichbehandlungsge-setz gebunden. Konfessionslose haben deshalb eigene Interessenvertretungen gegründet.

u Deutscher Freidenker-Verband (DFV)

Die organisatorische Geburtsstunde der deutschen Freidenkerbewegung hatte mit dem Tod zu tun: Vordergründig ging es um den Wunsch, entgegen der christlichen Sitte verbrannt und nicht von Würmern gefressen zu werden. Außerdem wollte man eine Trauerkultur ohne Pfarrer, die mit salbungsvollen Worten versuchen, dem Tod geliebter Menschen einen tieferen, göttlichen Sinn zu verleihen.

Im Februar 1905 gründeten in Berlin zwölf Sozialdemokraten den »Verein der Freidenker für Feuerbestattung«. Im Vor-jahr hatte in Rom der erste Freidenker-Weltkongreß stattgefunden. Im September 1908 wurde in Eisenach der »Zentralver-band Deutscher Freidenker« gegründet, der sich ab 1911 »Zentralverband proletari-scher Freidenker«, ab 1922 »Gemeinschaft Proletarischer Freidenker« und ab 1930 Deutscher Freidenker-Verband nannte. Nicht nur die Religion, sondern auch die bestehenden Macht- und Eigentumsver-hältnisse wurden als Hemmnis für den Fortschritt gesehen. Kulturell ging es nicht mehr nur um Bestattungsriten, sondern um die Entwicklung einer alternativen Gemeinschafts- und Feierkultur. Wichtige politische Forderungen waren die Tren-nung von Kirche und Staat, das Ende der kirchlichen Indoktrination in den Schulen sowie die Legalisierung von Schwanger-schaftsabbrüchen. 1933 wurde der DFV von den Nazis verboten. Der Vorsitzende Max Sievers wurde 1944 wegen »Verrats am deutschen Volke« hingerichtet. Ende 1945 gründete sich der DFV in Hamburg wieder. Es folgten weitere Landesverbän-de und 1952 der Beitritt zur Weltunion der Freidenker mit Sitz in Paris.

1991 schlossen sich Freidenker aus Ost und West zum heutigen Deutschen Freidenker-Verband zusammen. Die von freireligiösen Gemeinden entwickelte und in der DDR gewachsene Tradition der Ju-gendweihe als weltliches Pendant zur Kon-firmation wird seither vom DFV weiter gepflegt. Zudem organisiert der Verband atheistische Grabreden und Trauerfeiern, nimmt aber auch zu aktuellen politischen Ereignissen Stellung. Das Verbandsorgan Der Freidenker erscheint vierteljährlich. Der DFV sieht sich in der Tradition der Aufklärungsbewegung des 18. Jahrhun-derts und stellt fest: »Die heute auf der Welt herrschenden Zustände sprechen den Anliegen und Zielen der historischen Auf-klärung Hohn« (Positionspapier »Gegen Volksverdummung und Zerstörung der Vernunft«). Laut Satzung tritt der Verband für »eine freie Gesellschaft gleichberech-tigter Menschen, für Antifaschismus und Antirassismus, für Frieden und Abrü-stung« ein. Daraus folgt eine klare Posi-

tionierung gegen NATO-Kriege wie den Kosovo-Krieg von 1999, den 2001 begon-nen Afghanistan-Krieg, den 2003 begon-nen Irak-Krieg oder zuletzt den Libyen-Krieg. Der aktuelle Verbandsvorsitzende Klaus Hartmann verweist dabei auf die ideologische Begleitmusik, die der Vatikan bis in die jüngste Vergangenheit für im-perialistische Kriege geliefert habe. Hier nennt er vor allem die Seligsprechung des in Kriegsverbrechen verwickelten kroati-schen Kardinals Alojzije Stepinac durch Papst Johannes Paul II. im Oktober 1998, nur wenige Monate vor dem Kosovo-Krieg. Darüber hinaus hat sich der DFV zu einem wichtigen zeitgeistkritischen Forum entwickelt. Am 8. Oktober veranstaltet er in Dresden die Konferenz »Zweifel und Kritik an Fortschritt, Wissenschaft und Technik«.

Mehrere Ortsverbände laden gern Re-ferenten ein, die die Dämonisierung der DDR durch bürgerliche Politiker und Mas-senmedien widersprechen. Hartmann ver-teidigt außerdem bei vielen Gelegenheiten das Recht, die offizielle Version über die Hintergründe der Terroranschläge vom 11. September 2001 in New York anzuzwei-feln. »Es gibt Fragen, die heute lebens-wichtiger sind als die Frage, wie teuer die Schuhe des Papstes waren«, sagt er. Obwohl er sich bei Anblick dieser roten

Schuhe durchaus an »Der Teufel trägt Pra-da« erinnert fühle.

Bei der breiten Themenpalette, zu der sich die Freidenker in ihrem Verbandsor-gan, in Vortrags- und Diskussionsveran-staltungen sowie im Internet äußern, sind Kirchen- und Religionskritik in den letzten Jahren etwas in den Hintergrund geraten.

Im Jahr 2006 gehörte der Freidenker-Ortsverband München zusammen mit dem Bund für Geistesfreiheit (bfg) sowie dem Internationalen Bund der Konfessionslo-sen und Atheisten (IBKA) dem »Heiden-spaß-Komitee« an, einem Protestbündnis gegen den Papstbesuch in Bayern. 2009 stand der Freidenker-Verband auf der Un-terstützerliste der bundesweiten »Atheisti-schen Buskampagne« und solidarisierte sich in Berlin mit der Initiative »Pro Ethik« für den Erhalt des gemeinsamen Ethik-unterrichts an den Schulen. Initiatoren waren aber jeweils andere Organisationen und Einzelpersonen. Eine Woche vor dem diesjährigen Papstbesuch in Berlin hatte sich der Freidenker-Verband noch keinem der sechs Protestbündnisse in Berlin, Frei-burg und Erfurt angeschlossen, erklärte sich aber solidarisch mit dem Aufruf zur Gegendemonstration des Berliner Bünd-nisses »Der Papst kommt«, das vom Les-ben und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) initiiert wurde.

Beim Thema Islam stellt Hartmann den Minderheitenstatus der Muslime in Deutschland in Rechnung. Wegen der oft nicht vorhandene Trennschärfe zwischen Islamkritik und rassistischer Ausgrenzung mahnte er das atheistische Lager hier mehr-fach zur Zurückhaltung, so etwa während des Streits um die teilweise im Stürmer-Stil gezeichneten dänischen »Mohammed-Karikaturen« im Jahr 2006. Als Hartmann den 2007 gegründeten »Zentralrat der Ex-Muslime« als »merkwürdigen Spezialver-ein« bezeichnete, mit dem »Zuträgerarbeit für die laufende antiislamische Kampa-gne geleistet« werde, warfen ihm einige Atheisten vor, über das Ziel hinauszuschie-ßen. »Die notwendige Kritik an Macht-mißbrauch und Menschenrechtsverletzun-gen durch religiöse Institutionen erfordert die glasklare Abgrenzung von jenen, die Religionskritik nur als Vorwand benutzen, um Antiislamismus als Haßideologie ver-breiten«, so Hartmann.

u Internationaler Bund der Konfes-sionslosen und Atheisten (IBKA)

Der für blasphemische Kulturveranstaltun-gen in »religionsfreien Zonen« am Kar-freitag bekannte Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) wurde 1976 in Westberlin gegründet und

Gottes verlorene SchäfchenJugendweihe, Schokolade und Prozesse: Konfessionslose und ihre Organisationen in Deutschland. Von Claudia Wangerin

papst erscheint als Spe-zial der Tageszeitung jun-ge Welt im Verlag 8. Mai GmbH, Torstraße 6, 10119 Berlin. Redaktion: Peter Wolter (V. i. S. d. P.), Anzeigen: Silke Schubert, Gestaltung: Michael Sommer.

Die Illustrationen in diesem Spezial ent-nahmen wir dem Band »Gottlose Bilder. Aktion Kirche zum Anfassen«, herausgegeben von Rolf Lonkowski, erschienen im Eulenspiegel Verlag, Berlin. Wir danken dem Verlag für die freundli-che Genehmigung zum Abdruck.

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junge Welt Mittwoch, 21. September 2011, Nr. 220 3p ap s tist seit 1982 eingetragener Verein. Vorläu-fer war der 1972 gegründete Bund der Kon-fessionslosen Berlin (BKB). Allerdings verfügt der IBKA als solcher nicht über Sektionen in anderen Ländern. Als kor-poratives Mitglied gehört der IBKA der Atheist Alliance International mit Sitz in den USA an. Kontakte bestehen auch zum indischen Atheist Centre Vijayawada und der Aziz-Nesin-Stiftung in der Türkei.

Der IBKA tritt laut Selbstverständnis für die Durchsetzung der allgemeinen Menschenrechte ein – besondere Auf-merksamkeit gilt dabei der Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Unter Men-schenrechten versteht der IBKA nicht nur reine Freiheitsrechte, sondern auch soziale Rechte und sieht es in seinem Leitfaden als Pflicht jeder Gesellschaft an, »die Vor-aussetzungen dafür zu schaffen, daß der einzelne Mensch seine Rechte verwirkli-chen und sich entfalten kann«.

Der IBKA tritt gegen Kirchenprivile-gien wie den Einzug der Kirchensteuer durch die Finanzämter ein und versucht, seine Ziele auch mit juristischen Mitteln durchzusetzen: 2007 unterstützte er die Verfassungsbeschwerde eines Kölners gegen die Kirchenaustrittsgebühr von 30 Euro. In Niedersachsen hatte die Regio-nalbeauftragte des IBKA bereits in den 90er Jahren mit betroffenen Bürgern eine Petition gegen die Austrittsgebühr an den Landtag eingereicht. Das Bundesverfas-sungsgericht wies jedoch die Beschwerde 2008 zurück. 2009 unterstützte der IBKA die »Atheistische Buskampagne« unter dem Motto »Gottlos glücklich«.

Der IBKA nimmt auch »Zwangskon-fessionalisierte« als außerordentliche Mit-glieder auf. Gemeint sind Menschen, die wegen der teilweise marktbeherrschenden Stellung der Kirchen als Arbeitgeber im sozialen Bereich gezwungen sind, gegen ihre Überzeugung einer Religionsgemein-schaft anzugehören.

u Bund für Geistesfreiheit (bfg)

Im katholischen Bayern steht Konfessions-losen noch eine weitere Interessenvertre-

tung offen: Der Bund für Geistesfreiheit (bfg). Für Furore sorgte er unter anderem mit der Ankündigung der »Heidenspaß-Party« in München am Karfreitag 2007. Mit Verweis auf das Karfreitagstanzverbot im Bayerischen Feiertagsgesetz wurde die Veranstaltung prompt verboten. Das Kreis-verwaltungsreferat drohte bei Zuwiderhand-lung ein Bußgeld von 10 000 Euro an. Mit Unterstützung der Giordano Bruno Stiftung strengte der bfg eine Feststellungsklage ge-gen das Verbot an, die 2008 vom Münchner Verwaltungsgericht abgewiesen wurde. Der nicht verbotene Teil des atheistischen Kul-turprogramms am Karfreitag 2007 war von Zivilpolizisten überwacht worden. Der bfg hatte im Münchner Oberanger-Theater die religionskritischen Filme »Chocolat« und »Wer früher stirbt, ist länger tot« gezeigt und dazu ein Schokoladenbuffet angebo-ten.

Der bfg bekennt sich zu einem weltli-chen Humanismus und fordert ein Ende der Verflechtung von Staat und Religion, konkret durch die Auflösung von Staats-kirchenverträgen wie dem immer noch gül-tigen Reichskonkordat von 1933. Von der Machtübernahme der Nazis bis 1945 war auch der bfg verboten. Seine Ursprünge reichen bis zur Deutschen Revolution von 1848 zurück. Nach eigenen Angaben ent-stammt er sowohl dem liberalen Bürgertum als auch der sozialistischen Arbeiterbewe-gung und »wurzelt geistig und emotional in der historischen Aufklärung«.

Nicht alle Mitglieder des bfg verstehen sich als Atheisten, sondern einige als Pan-theisten oder Agnostiker – alle lehnen aber »den Glauben an persönliche und personi-fizierte Gottheiten als irrational und unter-würfig ab«, wie es in der Selbstdarstellung heißt. Ferner spricht sich der bfg dafür aus, daß die Mitgliedschaft in Kirchen und Re-ligionsgemeinschaften nur durch eine per-sönliche Beitrittserklärung nach Erreichen der Religionsmündigkeit bei Vollendung des 14. Lebensjahres erworben werden kann – »unabhängig von früher vollzoge-nen religionsinternen Ritualen« wie etwa der Taufe. Die Grenzen der religiösen und weltanschaulichen Toleranz sieht der bfg

dort, »wo Menschenrechte verletzt oder mißachtet und Positionen der Intoleranz vertreten werden. Wir gebrauchen jedoch selbst in solchen Grenzfällen nicht die inhu-manen Mittel der Intoleranz.«

Krieg, Produktion von Massenvernich-tungsmitteln und Waffenhandel lehnt der Bund für Geistesfreiheit als »Ausdruck inhumaner und irrationaler Verhaltenswei-sen« ab. Er gehört der Internationalen Hu-manistischen und Ethischen Union (IHEU) an, die eine beratende Stimme in UNO, UNESCO und Europarat hat.

u Giordano Bruno Stiftung

Kostspielige Aktionen wie die von Ein-zelpersonen initiierte »Atheistische Bus-kampagne« und juristische Auseinander-setzungen wie die des bfg um das Karfrei-tagstanzverbot in Bayern wurden von der 2004 gegründeten Giordano Bruno Stif-tung unterstützt. Stifter und erster Vorsit-zender ist der Unternehmer Herbert Stef-fen, der in den 90er Jahren den bekannten Kirchenkritiker Karl-Heinz Deschner fi-nanziell unterstützt hatte. Benannt ist die Stiftung nach dem ehemaligen Dominika-nermönch Giordano Bruno, dessen Hin-richtung auf dem Scheiterhaufen im Jahr 1600 von der katholischen Kirche erst im Jahr 2000 offiziell als Unrecht anerkannt wurde. Bruno hatte es gewagt, dem geo-zentrischen Weltbild zu widersprechen, demzufolge die Sonne um die Erde kreist. Die nach ihm benannte Stiftung arbeitet bei vielen Gelegenheiten eng mit dem IB-KA zusammen und vertritt den »Evolutio-nären Humanismus«. Vorstandssprecher Michael Schmidt Salomon sagte dazu 2010 in einem Interview: »Wir sind nicht die Krone der Schöpfung, sondern die Neandertaler von morgen«.

Die Giordano Bruno Stiftung fordert eine »Leitkultur Humanismus und Auf-klärung« als Gegenentwurf sowohl zu einer deutschen, christlichen Leitkultur als auch zu einem »politisch indifferenten Multikulturalismus«. Im Streit um die Mohammed-Karikaturen 2006 schätzte sie die Lage grundsätzlich anders ein als

der Freidenker-Verband. Die Giordano Bruno Stiftung verbreitete deshalb einen offen Brief unter dem Motto »Keine Ein-schränkung der Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit aus Rücksicht auf religiöse Borniertheit«. Die Unterzeichner fürch-teten damals, der CDU/CSU-Bundes-tagsfraktion könne es »dank der tätigen Unterstützung islamischer Fundamenta-listen« gelingen, den »Götteslästerungs-paragraphen« 166 im Strafgesetzbuch zu verschärfen.

Weitere Informationen:www.freidenker.orgwww.ibka.orgwww.bfg-bayern.dewww.giordano- bruno-stiftung.de

Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation ge-

gen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volkes.

Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks. Die

Forderung, die Illusionen über einen Zu-stand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen bedarf. Die Kritik der Religion ist also im Keim die Kritik des Jammertales, dessen Heiligenschein die Religion ist.

Die Kritik hat die imaginären Blumen an der Kette zerpflückt, nicht damit der Mensch die phantasielose, trostlose Kette trage, sondern damit er die Kette abwerfe und die lebendige Blume breche. Die Kri-

tik der Religion enttäuscht den Menschen, damit er denke, handle, seine Wirklichkeit gestalte wie ein enttäuschter, zu Verstand gekommener Mensch, damit er sich um sich selbst und damit um seine wirkliche Sonne bewege. Die Religion ist nur die illusorische Sonne, die sich um den Men-schen bewegt, solange er sich nicht um sich selbst bewegt.

Es ist also die Aufgabe der Geschichte, nachdem das Jenseits der Wahrheit ver-

schwunden ist, die Wahrheit des Diesseits zu etablieren. Es ist zunächst die Aufgabe der Philosophie, die im Dienste der Ge-schichte steht, nachdem die Heiligenge-stalt der menschlichen Selbstentfremdung entlarvt ist, die Selbstentfremdung in ih-ren unheiligen Gestalten zu entlarven. Die Kritik des Himmels verwandelt sich damit in die Kritik der Erde, die Kritik der Re-ligion in die Kritik des Rechts, die Kritik der Theologie in die Kritik der Politik.«

Her mit den Zuckererb-sen!

»Ein neues Lied, ein bes-seres Lied, / O Freunde, will ich euch dichten!Wir wollen hier auf Erden schon / Das Him-melreich errichten.

Wir wollen auf Erden glücklich sein, / Und wol-len nicht mehr darben;Verschlemmen soll nicht der faule Bauch, / Was fleißige Hände erwar-ben.

Es wächst hienieden Brot genug / Für alle Menschenkinder,Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust, / Und Zuckererbsen nicht minder.

Ja, Zuckererbsen für jedermann, / Sobald die Schoten platzen!Den Himmel überlassen wir / Den Engeln und den Spatzen.«

Aus: Heinrich Heine, »Deutschland ein Win-termärchen«

Opium hilft gegen Jammertal

Aus: Karl Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie (MEW, Berlin/DDR, 1976, Band 1, S. 379)

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Eine der Fragen zum bevorste-henden Papstbesuch ist, was er kosten wird. Dafür sind drei Bereiche zu unterschieden: Was

zahlt die katholische Kirche selber, was zahlt der deutsche Staat und drittens, was zahlen die Bürger?

Die katholische Bischofskonferenz hat-te im Vorfeld der Planungen bekanntgege-ben, daß die drei Bistümer, die der Papst aufsuchen wird, zwischen 25 bis 30 Mil-lionen Euro zahlen, Freiburg und Erfurt jeweils elf, Berlin 3,5. Es braucht säkulare Menschen nun nicht zu interessieren, ob die katholische Kirche für zweistündige Feldgottesdienste mehrere Riesenaltäre baut und dafür Millionen ausgibt. Auch nicht, daß das Bistum Erfurt schon betteln gegangen ist – das ist eine innerkirchliche Angelegenheit. Es wird vermutlich zu ei-ner Erhöhung der Kirchenaustritte von Katholiken führen, die diese Millionen für nicht gerechtfertigt halten und das Geld in Afrika und Asien christlicher angelegt sehen würden.

Was zahlt der Staat, oder: Wieviel Steu-ergeld wird ausgegeben, um diese Papst-Visite zu begleiten? Es sei ein Staatsbe-such, heißt es. Der Bundespräsident habe »Seine Heiligkeit« (das ist die protokol-larisch korrekte Anrede für Herrn Joseph Ratzinger) schließlich eingeladen, und entsprechend habe der Staat für seine Si-cherheit zu sorgen. Wie bei jedem anderen Staatsbesuch auch.

Wenn man diese Darstellung als of-fiziell gegeben anerkennt, dann müßten auch die Kosten offiziell zu nennen oder zumindest abzuschätzen sein. Schließlich leben wir in einer Demokratie, in der die Transparenz staatlichen Handelns zu den Staatspflichten gehört. Dem ist aber nicht so.

Baden-Württemberg nennt als einzi-ges der drei betroffenen Bundesländer geschätzte Kosten. Fünf Millionen Euro sind für »Allgemeine Sicherheitsvorkeh-rungen« vorgesehen, weitere 300 000 Eu-ro für Sanitäts- und Rettungsdienste. Die Stadt Freiburg hat ebenfalls 300 000 Euro in den Haushalt eingestellt. Die beiden an-deren Bundesländer, Thüringen und Ber-lin, die beide nur ein kleine Minderheit an Katholiken und säkulare Mehrheiten in ihrer Bevölkerung haben, schweigen. Man könnte auch sagen, sie mauern und nen-nen keinerlei Zahlen, keine Schätzungen. Man kann beinahe den Eindruck haben, es sei der erste Staatsbesuch in Berlin und Thüringen überhaupt, als ob man keiner-lei Erfahrung habe, was so ein Spektakel im Durchschnitt kostet. Neben der Ver-weigerung, daß die Zuständigen nicht zu sprechen seien und die anderen nichts zu

sagen wüßten, heißt es etwas grimmig, die Kosten könnten erst genannt werden, wenn die Rechnungen vorlägen. Die be-komme man schließlich immer erst nach dem Ereignis.

Da es in Thüringen zwei Veranstal-tungsorte sind (Erfurt und Eichsfeld), wer-den die Sicherungs- und Transportkosten deutlich höher ausfallen als in Freiburg. Hier wurde mit Steuergeldern die nötige Infrastruktur modernisiert und teilweise (»Protokollstraßen«) neu gebaut. Schät-zungen, daß es in Thüringen zehn bis 15 Millionen Euro sein werden, sind daher nicht aus der Luft gegriffen. In Berlin ist

die Polizei mit einem Großaufgebot im Einsatz und hat bereits andere Bundeslän-der und die Bundespolizei um Unterstüt-zung gebeten. Kosten? Keine Auskunft.

Auch der Bund wird Aufwendungen zu finanzieren haben, eben nicht nur wie bei normalen Staatsbesuchen. Die Bundespo-lizei wird nach eigenen Angaben »erheb-liche materielle und personelle Anstren-gungen unternehmen«, um den herumrei-senden Papst zu schützen. Kosten: Keine Auskunft. Der Papst wird nicht – wie ein normaler Staatsbesuch – in Berlin landen und auch dort wieder starten, nein, er wird aus Lahr bei Freiburg abfliegen. Das

heißt, der Bundespräsident, das Wachba-taillon und das Musikkorps müssen nach Lahr transportiert werden, um dort das Viertelstündchen Abschiedszeremonie vorzuführen. Kosten: Keine Auskunft.

Überschlägt man erste Schätzungen, so wird der Aufwand aus Steuergeldern ver-mutlich in der gleichen Größenordnung liegen, wie der Aufwand der Kirche: 25 bis 30 Millionen Euro.

Was es den Bürger kosten wird, an Um-wegen (Autobahnsperrung in Thüringen) Mehrkosten und Zeitaufwand, an Beein-trächtigungen und Behinderungen – man wird es nicht zusammenrechnen können.

Kosten? Keine Auskunft!Es gibt nur Schätzungen: 25 bis 30 Millionen Euro allein an Steuergeldern für den Besuch des Herrn Ratzinger. Von Carsten Frerk

Dr. Carsten Frerk ist Soziologe und u. a. Autor des Buches »Vio-lettbuch Kirchenfinan-zen: Wie der Staat die Kirchen finanziert«

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junge Welt Mittwoch, 21. September 2011, Nr. 220 5p ap s t

Unser« Papst kommt nach Deutschland und soll im Ple-num des Bundestages eine Rede halten. Niemand weiß

so recht, warum. Aber da »wir« nun einmal der Papst geworden sind, erüb-rigt sich offenbar eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn seines Auftritts im Parlament. Immerhin ist er der ein-zige Deutsche, der noch im hohen Alter Hunderttausende Jugendliche zu einer Wallfahrt bringen kann.

Das Parlament ist frei, jeden zum Vor-trag einzuladen, wen es will. Zumeist ist diese Ehrung Staatsoberhäuptern vorbe-halten. Und mit diesem Titel kann der Papst gleich zweimal aufwarten – es ist nur etwas komplizierter zu erklären. Denn der Papst ist zunächst der Heilige oder Aposto-lische Stuhl und damit das Oberhaupt der Katholischen Kirche und zugleich Ober-haupt des Vatikanstaates – eines Territori-ums von 0,44 Quadratkilometern mit etwa 1 000 Staatsangehörigen.

Die Konstruktion des Pap-stes als Heiliger Stuhl wird in Canon 361 des Codex Iuris Canonici, der Verfassung des Heiligen Stuhls, so erklärt, daß unter ihm einerseits der Papst selbst zu verstehen ist, andererseits aber auch »das Staatssekretariat, der Rat für die öffentlichen Angelegen-heiten der Kirche und andere Einrichtungen der Römischen Kurie«. Da aber der Papst alle Geschäfte der Gesamtkirche durch seine Kurie »zu besor-gen pflegt und die ihre Auf-gaben in seinem Namen und seiner Autorität … ausübt« (Canon 360), wird der Hei-lige Stuhl durch den Papst personifiziert. Bild hätte auch schreiben können: »Wir sind der Heilige Stuhl!«

Wer das nicht versteht, mag sich trösten: Juristische Fiktionen verschließen sich weitgehend dem normalen Menschenverstand, es sei denn, man begreift sie als Atavismus. Es gibt bestimmt Streit darüber, inwieweit man den Papst als Atavismus be-zeichnen kann – als Heiliger Stuhl ist er es staatstheore-tisch ohne Zweifel. Denn die Konstruktion eines in einem Herrscher personifizierten Herrschaftsverbandes, wo allein der Herrscher vertrag-lich verpflichtet und berech-tigt, also »Rechtssubjekt« ist, kennen wir nur aus den frühzeitlichen vordemokrati-schen Reichen der Ägypter, Assyrer, Babylonier oder Hethiter bis hin zu den grie-chischen Stadtstaaten. Bei ihnen schloß immer nur der Herrscher die Verträge mit anderen Reichen, nur er war das »Rechtssubjekt«. Der Papst als Heiliger Stuhl ist so gesehen ein letztes vordemo-kratisches Überbleibsel aus einer schon lange vergange-nen Epoche – was sich in manchen seiner Lehren ja durchaus widerspiegelt.

Wie wichtig für ihn diese Konstruk-tion allerdings war, zeigte sich 1870, als der Kirchenstaat nach einer Volksabstim-mung mit Italien vereinigt wurde und verschwand. Rom wurde Hauptstadt des erst 1861 vereinigten Italiens. Der Heilige Stuhl hatte sein Territorium verloren, was bei einem säkularen Staat unweigerlich zu seinem Untergang führen würde – sie-he Jugoslawien. Nicht so beim Papst. Er hatte zwar sein Territorium verloren, aber nicht seine völkerrechtliche Souveränität, weiter am internationalen diplomatischen Verkehr teilnehmen zu können. Diese

staatenlose Zeit dauerte bis 1929, als Ita-lien unter dem faschistischen Diktator Benito Mussolini im »Lateran-Vertrag« dem Papst ein kleines Territorium über-ließ, den Vatikanstaat. Er ist ein Unikum, nicht nur weil er neben dem Heiligen Stuhl mit dem gleichen Oberhaupt eine eigene Völkerrechtspersönlichkeit be-sitzt, sondern auch, weil sein einziger

Staatszweck die Sicherung des Bestandes der Katholischen Kirche ist. Und seine Einwohner bleiben nur so lange Staatsan-gehörige, wie sie im Vatikan ihren festen Wohnsitz haben.

In der UNO und ihren Spezialorgani-sationen hat er als »Doppeloberhaupt« dennoch nur Beobachterstatus – wie der Malteser Orden, das Internationale Komi-tee vom Roten Kreuz oder die PLO. Al-lerdings kann er sich als Oberhaupt einer Kirche und eines Territoriums aussuchen, unter welchem Hut er Verträge schließt. Die bilateralen Verträge über kirchliche und staatliche Rechte und Pflichten, die sogenannte Konkordate, schließt er als

Heiliger Stuhl ab. Sie werden allgemein als echte völkerrechtliche Verträge an-gesehen, eine Qualität, die den evangeli-schen Kirchenverträgen nicht zuerkannt wird.

In ihrer Eigenschaft als »Heiliger Stuhl« vollzogen die diversen Päpste den Beitritt zu den vier Genfer Konventionen von 1949 und den beiden Zusatzabkommen

von 1977; zum Vertrag über die Nichtwei-terverbreitung von Atomwaffen von 1968; zum Flüchtlingsabkommen von 1951; zum Übereinkommen zur Beseitigung der Rassendiskriminierung von 1966; sowie zur UN-Kinderrechtskonvention und zur Antifolterkonvention von 1984. Der Sat-zung der Weltorganisation für Tourismus von 1970, dem Weizen-Übereinkommen von 1970 oder dem Fernmeldevertrag von 1973 und dem Genfer Giftgasprotokoll von 1925 trat er als Oberhaupt des Vati-kanstaates bei.

Doch welchen Hut der Papst auch wählt, er kann sich selbst als Heiliger Vater nicht den irdischen Verpflichtungen

dieser Verträge zu ihrer Einhaltung und Berichterstattung entziehen. So verpflich-tet die UN-Kinderrechtskonvention die Vertragsstaaten zu regelmäßigen Berich-ten über die Maßnahmen, die sie zur Ver-wirklichung der in dem Übereinkommen anerkannten Rechte getroffen haben und welche Fortschritte dabei erzielt wurden. Der Heilige Stuhl trat dem Abkommen

vor 21 Jahren zwar bei, ist aber bisher seiner Berichts-pflicht nicht nachgekommen. Seit der Aufdeckung mas-senhaften Sexualmißbrauchs wissen wir, warum. Auch der Eingangsbericht zur UN-Antifolterkonvention ist seit 2003 überfällig, nachdem sich die Kirche dem Abkom-men ein Jahr zuvor ange-schlossen hatte.

Daß der Papst, d.h. die Rö-mische Kurie, also der Heili-ge Stuhl auch in den einfach-sten Gepflogenheiten des di-plomatischen Verkehrs nicht immer sattelfest ist, zeigt in jüngster Zeit ein Telegramm des Papstes anläßlich des Begräbnisses von Otto Habs-burg, welches zumindest in Österreich für Aufsehen sorgte. Denn der Hl. Stuhl müßte durch das Konkordat mit der Republik Österreich wissen, daß Österreich eine Verfassung hat, die nicht nur im allgemeinen alle Adelsti-tel abgeschafft hat, sondern im besonderen auch alle Pri-vilegien, Besitztümer und Titel des Hauses Habsburg. Insofern ist es schon beacht-lich, was der Papst an den Sohn Ottos, Karl Habsburg, geschrieben hat und was ganz offiziell beim Requiem in Mariazell verlesen wurde:

»Seiner Kaiserlichen Ho-heit

Erzherzog Karl von Öster-reich

Mit tiefer Anteilnahme ha-be ich vom Heimgang Ihres Vaters S.k.k.H. Erzherzog Otto von Österreich Kenntnis erhalten. … Auf die Fürspra-che der Gottesmutter Maria erteile ich den Angehörigen und allen, die um Erzherzog Otto trauern und für sein ewi-ges Heil beten, von Herzen den Apostolischen Segen.«

Ich weiß nicht, ob soviel aufrichtiges monarchisches Bekenntnis des Heiligen Vaters in unserer einschlägigen Presse angemessen gewürdigt wurde. Es sei aber hiermit unseren Parlamentariern zu ihrer Einstimmung auf den Besuch zur Kenntnis gebracht. Ich wette allerdings, daß »unser« Papst den Angehörigen eines jüngst verstorbenen Mitglieds des deut-schen Adels – weil er eben doch nur von niederem Rang war – nicht den Apostoli-schen Segen gesandt hat. Es handelt sich um den wegen seines wahrlich »vielfälti-gen Wirkens zum Wohle der Menschheit« unvergessenen Vicco von Bülow, genannt Loriot.

Benedikt XVI. steigt in die BüttDer letzte absolutistische Herrscher Europas darf am 22. September im deutschen Bundestag reden. Von Norman Paech

Dr. Norman Paech ist emeritierter Professor für Öffentliches Recht. Er war bis 2009 für die Linkspartei Abgeordne-ter im Deutschen Bun-destag

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Mittwoch, 21. September 2011, Nr. 220 junge Welt 6 p ap s t

Ratzinger war mein größ-ter Irrtum. Seit unserer gemeinsamen Studienzeit 1953/54 in München habe

ich ihn als einen bescheidenen, in-telligenten Theologen gesehen. Erst 2005 gingen mir die Augen auf, daß er als Kardinal Ratzinger – seit 1981 war er Chef der Glaubenskongrega-tion, früher »Inquisition« genannt – derjenige war, der unter Johannes Paul II. die Kirche regierte. Er war es, der weltweit alle fortschrittlichen Theologen von ihren Lehrstühlen fegte und sich selbst auf allen Bi-schofssitzen geklont hat.

BlutEin Schauder erfaßt mich jedesmal, wenn ich im Neuen Weltkatechismus von Papst Johannes Paul II. (verfaßt von Kardinal Ratzinger) den Ab-schnitt Nr. 1992 lese:

Der Himmel »wurde uns verdient durch das Leiden Christi, der sich dar-geboten hat am Kreuz als eine leben-dige, heilige, angenehme Opfergabe für Gott und dessen Blut das Mittel ist zur Erlösung für die Sünden al-ler Menschen«. Oder Nr. 2618: »Daß Christus auf die Bitte der Kirche als seiner Braut Leib und Blut hingibt.« Fürwahr, die Christenheit ist demnach eine Vampir-Braut und eine Drakula-Kirche.

Jesus hätte genausogut 30 Jahre zu Hause bei Maria in der Küche sit-zen und Kreuzworträtsel lösen kön-nen. Für das Credo der Christen ist aber nicht erwähnenswert, was er zu Lebzeiten sagte oder tat. Er predig-te nämlich: »Keine Vergeltung – den Feinden Gutes tun.« Das wäre die Erlösung der Menschheit gewesen.

Als neulich in Island ein Vulkan den Flugverkehr lahmlegte, berichtete ein Inselbewohner: »Früher, in grauer Vorzeit haben hier die Inselbewohner in großer Gefahr sogar ihre Kinder in den Vulkan geworfen«. Klar, den Göttern oder Dämo-nen kann man nicht dies oder jenes op-fern – es muß schon das Liebste sein. Und was ist das Liebste? Die eigenen Kinder und der sexuelle Liebesakt.

Besser ein Sohn als eine Tochter, besser der älteste Sohn als irgendein Sohn, noch besser der einzige Sohn. So opferte man den Göttern seit Heidengedenken. Die Christen haben diese heidnische Vorstel-lung, die Götter gnädig zu stimmen, noch gesteigert: am allerbesten der erste und einzige Sohn Gottes. Diesen makabren Gedanken dichten die Christen Gott an. Was für ein Horror-Vater, dem mehr zu fehlen scheint als uns und der die Erlö-sung nötiger braucht als wir! Blut klebt jetzt an seiner Eintrittskarte in den Him-mel. Die Erlösung der Menschheit würde heute in Ländern ohne Todesstrafe an der Humanität der Menschen scheitern.

Todesstrafe – KriegeDurch Todesstrafe erlöst, werden die Christen die letzten sein, die Hinrichtun-gen abschaffen. Benedikt XVI. hat zwar in Paris auf dem »Weltkongreß gegen die Todesstrafe« am 15. März 2007 dazu aufgerufen, Hinrichtungen abzuschaffen. Aber er selbst befürwortet sie nach wie vor, sonst hätte er bei Bushs Papstbesuch am 10. Juni 2007 auf Abschaffung der Todesstrafe in den USA bestehen müssen. Aber sie wurde nicht einmal erwähnt. Er und Bush gehen nach dem Motto vor: Je

ungeborener, ja ungezeugter der Mensch, desto mehr ist er zu schützen. Je gebo-rener der Mensch, desto mehr muß man ihn unter Umständen umbringen, nämlich außer in »gerechten Kriegen« auch durch die Todesstrafe.

AbtreibungSeit Benedikt vergeht kein Tag, an dem es nicht auf allen katholischen Sendern um »Abtreibung = Mord« von sekundenalten Embryonen geht. Auch unsere politische Debatte über die Präimplantationsdia-gnostik (PID) wird durch pseudo religiöse Ideologien der katholischen Kirche behin-dert. Am 10. Juni 1991 er klärte der Main-zer Kardinal Karl Lehmann im Fernsehen, vom Augen blick der Empfängnis an sei das menschliche Leben ein »Individuum« (lateinisch, auf deutsch: Unteilbares). Da aber noch bis zum zwölften Tag nach der Empfängnis die Zwil lings tei lung usw. er-folgen kann, kann das nicht stimmen.

Ich bin Pazifistin, d.h. gegen Kriege, Tötung und Abtreibung. Aber ich glau-be nicht, daß der Sprung in das »Indivi-duum« im Augenblick der Empfängnis geschieht. Bis Ende des 19. Jahrhunderts war bei den Theologen die Lehre von der Sukzessivbeseelung vorherrschend (d.h. der Nach-und-Nach-Beseelung, unter an-derem vertreten von Augustinus, Hierony-mus und Thomas von Aquin). Sie geht auf Aristoteles zurück, der meinte, der männliche Fötus erhalte die Seele 40, der weibliche 90 Tage nach der Empfängnis. In der christlichen Tradition änderte man die 90 in 80 Tage, in Angleichung an eine biblische Vorstellung: Maria galt nach Je-

su Geburt 40 Tage als unrein (Lukas 2,22) und durfte den Tempel nicht betreten. Bei Geburt einer Tochter wäre Maria 80 Tage unrein gewesen (3. Mose 12).

Gemäß der Sukzessivbeseelung unter-schied das katholische Kirchenrecht bis 1869 zwischen dem Fötus inanimatus und dem Fötus anima tus, dem unbeseelten und dem beseelten Fötus. Vor dem 80. Tag galt der Fötus als »Körperteil der Mutter« (pars viscerum). Da man im Mut-terleib das Geschlecht nicht feststel len konn te, wurde erst bei Abtrei bung eines mindestens 80 Tage alten Fötus ex kom-mu ni ziert.

1869 änderte Pius IX. das Kirchen-recht, und zwar wegen der »Unbefleckten Empfängnis Mariens«. Gemeint ist die Empfängnis, bei der Maria von ihrer Mut-ter Anna empfangen wurde, und nicht, wie 99 Prozent der Deutschen glauben, bei der Maria Jesus vom Heiligen Geist empfangen hat. Unbefleckte Empfängnis und Jungfrauengeburt sind also zweierlei. Gemeint ist mit »un befleckt«: frei von Erbsünde, die, laut Augustinus, durch den Zeugungsakt übertragen wird.

Jahrhundertelang hatten die Theolo-gen Schwierigkeiten mit diesem uralten Marienfest der Unbefleckten Empfäng-nis – u. a. deswegen, weil auch Maria im ersten Augenblick nur eine vernunftlose Winzigkeit war, die als »unbefleckt von Sünde« zu bezeich nen wenig Sinn er-gibt. Pius IX. jedoch hat 1854 Marias Unbe fleck te Empfängnis sogar zum Dog-ma erhoben. Ihm kam dabei die Ärzte-schaft zu Hilfe. Der Leibarzt des Papstes Inno zenz X., Paul Zac chias, hatte schon 1661 die Auffassung vertre ten, die ver -

nunftbegabte Seele (anima rationalis) werde im Augen blick der Em pfängnis eingegossen, denn sonst würde ja das Fest der Unbefleckten Empfängnis Mariens eine vernunftlose Materie feiern. Und das sei der allerselig sten Jungfrau »unangemessen«, verstoße »gegen ihre Würde«. Das paßte in das Konzept Pius IX. Und so hat er 1869, ein Jahr bevor er 1870 das Dogma der päpstlichen (d. h. seiner eigenen) Un-fehlbarkeit verkündete, mit der Bulle Aposto licae Sedis die Unter schei-dung des Kirchenrechts zwischen dem unbeseelten und dem beseelten Fötus auf gehoben. Das Kirchenrecht spricht jetzt nur noch vom »Fötus«. Und die deutsche Übersetzung des Kirchenrechts übersetzt in Canon 871 das lateinische Wort »fetus« mit: »Kind«. Wegen Maria ist also jetzt bei Abtreibung »vom Augenblick der Em pfäng nis an« die Exkommunika-tion fällig, und bei PID darf es laut Dr. Frank Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer, ein »Retterbaby nicht geben, das nur einem Bruder das Leben ermöglicht«.

Das alles geschieht nicht aus Sor-ge um Menschenleben, sondern aus 2000jähriger Sexual- und Frauen-feindlichkeit, die unter den letzten beiden Päpsten ihren Höhepunkt ge-funden hat.

Moslems, Juden, Protestanten Schon in seiner ersten Rede in Re-gensburg tritt Benedikt XVI. als nicht zur Versöhnung bereiter Christ auf, der neben seinem eigenen Glauben keinen anderen Glauben duldet. In Kreuzritterart rechnet er mit den Mos-lems ab und »zitiert« (das ist wichtig,

es sei ja nur ein Zitat, betonte er später) ei-nen völlig Unbekannten, der Mohammed als verabscheuungswürdigen Menschen bezeichnete. Sein nächstes Opfer sind die Juden, die der Bekehrung bedürfen, für welche alle Christen beten sollen. Holo-caustleugner wie der Bischof der Pius-Bruderschaft, Richard Williamson, dage-gen sind willkommen. Den Protestanten spricht er den Status einer »Kirche« ab.

PädophilieskandalKardinal Ratzingers verhängnisvollste Tat war, daß er 2001 einen der zwei Vertu-schungserlasse verfaßte, die jeder Bischof in seinem Tresor liegen hat: über die »ge-richtliche Alleinzuständigkeit der Glau-benskongregation als eines apostolischen Gerichtshofes« in Pädophiliefällen von Klerikern. Alle Mißbrauchsfälle seien AUSSCHLIESSLICH an den Vatikan zu melden (siehe junge Welt vom 22. Febru-ar 2010: »Der Papst weint Krokodilsträ-nen«). Zurückgenommen hat der Papst sein Schreiben bisher nicht.

HomosexualitätEineinhalb Jahrtausende lang haben die Christen Homosexuelle verbrannt: Von 390 an bis zur letzten bekannten Ver-brennung zweier Herrn auf dem Place de Grève in Paris im Jahre 1750. Bene-dikt XVI. hat sich dafür nie entschul-digt, sondern setzt seine Angriffe gegen Homosexuelle, die nicht »keusch« leben, täglich fort. Im Neuen Weltkatechismus von 1992, Nr. 2357 (verfaßt vom damali-gen Kardinal Ratzinger) belehrt er uns, es

Mit »Ratze« ins MittelalterVon der Frohbotschaft zur Drohbotschaft. Die katholische Kirche hat aus Gott einen bösen Dämon gemacht. Von Uta Ranke-Heinemann

Uta Ranke-Heinemann, Tochter des früheren Bundespräsidenten Gu-stav Heinemann, war die erste Frau der Welt, die eine Professur für katholische Theologie erhielt (1970). Sie war auch die erste Frau der Welt, die sie wieder ver-lor (1987), weil sie an der Jungfrauengeburt zwei-felte. 1953/54 war sie in München Studienkolle-gin von Joseph Ratzinger. Ihre Bücher »Eunuchen für das Himmelreich. Katholische Kirche und Sexualität« (inzwischen 25. erweiterte Auflage, 2008) und »Nein und Amen. Mein Abschied vom traditionellen Chri-stentum« (9. Auflage 2011) sind internationale Bestseller.

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junge Welt Mittwoch, 21. September 2011, Nr. 220 7p ap s tsei besser, die eigenen Töchter zur Verge-waltigung preiszugeben als homosexuelle Akte zuzulassen. Er stützt – in seinen eigenen Worten: »stützt«! - sich dabei auf 1. Mose 19, 1–29 (das ist die Geschichte vom Untergang von Sodom und Gommor-rah), wo Lot, der Neffe Abrahams, zu den Homosexuellen, die sein Haus belagern, sagt: »Seht, ich habe zwei Töchter, die noch nichts vom Manne wissen, die will ich Euch herausgeben, macht mit ihnen, was Euch gefällt. Nur diesen Männern (Lots männlichen Gästen) tut nichts.« Die Mädchen waren zwölf bis 13 Jahre alt.

ImpotenzEin italienischer Bischof hat im Juni 2008 einem Brautpaar die kirchliche Trauung verweigert, weil der Bräutigam nach ei-nem Autounfall querschnittsgelähmt und deshalb impotent ist.

Zur Vorgeschichte: Im Zuge der Gegen-reformation gegen die Reformation Lu-thers erfolgte die Vertreibung der Frauen aus Rom, d. h. sämtlicher Schauspielerin-nen und Sängerinnen von allen Bühnen, Theatern und Opern. 1562 singt der erste Kastrat im sixtinischen Chor, der Spanier Francesco Soto. Die Kastraten führten ein gefeiertes Star- und Idol-Leben und wa-ren hochbezahlt. Aber 1587 verbot Sixtus V. ihnen die Ehe, da sie zeugungsunfä-hig seien und trotzdem »mit schmutziger Geilheit« Frauen umarmen, und ließ sie per Polizeigewalt trennen. Der Kastrat Bartholomeo de Sorlisi, der 1667 Doro-thea Lichtwer heiratete und sein Leben lang darum kämpfte, bei ihr bleiben zu dürfen, starb 40jährig an gebrochenem Herzen, weil das nicht gelang.

1977 wurde die Entscheidung Sixtus V. rückgängig gemacht. Statt dessen wur-de in den neuen Codex des kanonischen Rechts von 1983 (von Ratzinger) Canon 1084 eingefügt: Nicht mehr Zeugungs-unfähigkeit (impotentia generandi), son-dern Beischlafsunfähigkeit (impotentia coeundi) macht die Ehe ungültig. Schon 1982 hatten fast alle deutschen Zeitungen von einem an Muskelschwund leidenden jungen Mann und seiner blinden Braut berichtet, die in München nicht zum Trau-altar durften. Die Junge Union empör-te sich in einem offenen Brief über den kirchlichen »Penistest«. Aber trotz aller Proteste wurde in den neuen Codex des kanonischen Rechts von 1983 durch Rat-zinger dieser Canon 1084 eingefügt.

Da Querschnittsgelähmte ab einem bestimmten Lähmungsgrad keine Erek-tionsmöglichkeit haben und ihren Samen nicht auf die päpstlich vorgeschriebene Weise in die Scheide transportieren kön-nen, werden sie und ihre Partnerin lebens-lang in das Stadium eines Kindes zurück-beordert, da jegliche Intimität nur in der Ehe erlaubt, andernfalls aber Todsünde ist. Es ist unerträglich, daß die Kirche be-

stimmt, ab welchem Grad der Lähmung eine Frau einen Mann nicht mehr lieben darf, ab welchem Grad der Verletzung ein Mann gezwungen ist, sein Leben einsam zu Ende zu leben.

Jungfräulichkeit und ZölibatMit Benedikts Vatikan, dem Idealbiotop für keusche Homosexuelle, einem frau-enlosen Terrarium, einem Junggesel-lenreservat, in das nur die Jungfrau Ma-ria Zutritt hat, ist ein uralter religiöser Menschheitsirrtum zu seinem krönenden

Abschluß gelangt. Seit Heidengedenken sind nämlich Menschenopfer (im Chri-stentum Kreuzesopfer) und Sexualopfer, z.B. Kastration (im Christentum Zölibat), die bevorzugten Weisen gewesen, die Gottheit gnädig zu stimmen.

Kondome nur für männliche ProstituierteKondome werden von Benedikt XVI. nur »für männliche Prostituierte« erlaubt, wie er 2010 in dem Buch »Licht der Welt« verkündet. Daß die Prostituierten-Kondo-me aber nicht für Eheleute zulässig sind, betonten anschließend mehrere Bischö-fe im französischen Sender KTO. Wieso denkt der Papst an männliche Prostitu-ierte, liefert aber Ehefrauen dem ewigen Höllenfeuer aus, wenn sie ein Kondom benutzen? Bluterkranke, die durch Trans-fusion mit AIDS infiziert wurden, dürfen lebenslang nicht mit ihrer Frau verkehren. Auch nicht nach ihrem Klimakterium, weil Kondome eine von Gott verbotene

Art der Verhütung sind. Und wenn der bluterkranke Ehemann das nicht schafft, dann ist es besser, daß er seine Frau an-steckt, als daß er ein Kondom benutzt (Kardinal Caffarra, Der Spiegel 12. Febr. 1990). Am 7. August 2004 sah ich auf BBC-World eine junge Afrikanerin ver-zweifelt weinen. Sie hatte soeben erfah-ren, daß sie sich bei ihrem AIDS-kranken Mann infiziert hatte. »Ich habe solche Angst vor dem ewigen Höllenfeuer, vor dem unser Pfarrer uns gewarnt hat, wenn ein Kondom benutzt wird.« Und der Pfar-rer sagte: »Ja, das sind die Märtyrerinnen

für den Glauben unseres Jahrtausends« (siehe junge Welt 9./10 Sept. 2006).

Papst Benedikt, Sie nehmen jede Ge-legenheit wahr, um die Ehe, wenn nicht zu verunmöglichen, dann wenigstens von A bis Z zu asketisieren, zu eunuchisie-ren, zu vermönchen und zu zölibatisieren. Warum entfernen Sie sich nicht endlich aus den ehelichen Schlafzimmern, die in-zwischen Ihr Hauptaufenthaltsort für Ihre Verkehrskontrollen geworden sind? Ich klage Sie an, wegen tödlicher Irreführung der Menschheit!

Kondome haben Löcher?»Ja, das ist erwiesen«, antwortete mir kürzlich ein Priester des Opus Dei. Am 18. Oktober 2003 sah ich ebenfalls auf BBC-World, wie in Gegenwart eines schwarzen Kardinals Millionen Kondome (von Anti-AIDS-Gruppen bezahlt) ver-brannt wurden. Der Reporter kommentier-te dazu, viele schwarze AIDS-infizierte Männer, die er in katholischen Kranken-

häusern besuchte, hätten ihm erklärt, sie könnten nicht mit ihren Frauen verkehren, weil Kondome undicht sind. Anschlie-ßend besuchte er einen schwerkranken jungen Ehemann und dessen Frau in de-ren armseliger Hütte. Auf die Frage, ob er für Eheverkehr ein Kondom benutzt, sagte er klagend: »Kondome haben doch Löcher.« Man hatte den Eindruck, daß er glaube, der Vatikan arbeite jetzt an Kondomen ohne Löcher, aber er erlebe das nicht mehr. Anschließend wurden mehrere Kardinäle, z. B. Kardinal Trujillo gefragt. »Ja, Kondome haben Löcher«, versicherten alle (junge Welt 9./10. Sept. 2006).

2009 sah ich bei EWTN, dem größten katholischen Sender, monatelang einen »medizinisch-wissenschaftlichen« Kur-sus über »Löcher in Kondomen«. Jetzt frage ich mich: Empfiehlt der Papst den männlichen Prostituierten die Kondome nun trotz der Löcher? Oder wegen der Löcher? Oder seit wann haben Kondome keine Löcher mehr?

Das ewige HöllenfeuerJesus war ein Anti-Höllen-Prediger, ihm wurden lediglich jüdische Höllenvor-stellungen in den Mund gelegt, wie der evangelische Theologe Rudolf Bultmann nachgewiesen hat. Das Christentum wur-de die einzige Weltreligion, in der die Hölle ewig dauert. Bei den Moslems z.B. dauert sie nur solange »Allah, der All-erbarmer, es will« (Sure 6,128 und Sure 11,107).

Mein Lebensmotto Ich habe mich zwar mehr und mehr vom traditionellen Christentum entfernt. An-derseits habe ich einen Horror vor allen Änderungen, die fast immer zu gewalt-samen Umstürzen und Religionskriegen führen. Errare humanum est – Irren ist menschlich. Und es wäre ein zusätzlicher Irrtum, den Irrtum beseitigen zu wollen. Nachdem ich mich so oft in meinem Le-ben geirrt habe, wie sollte ich da nicht vorsichtig mit menschlichem Irrtum um-gehen? Alle Wege führen zu Gott. Und am Ende gelangen wir alle zu ihm, zu dem Gott der Liebe, dem Barmherzigen, dem Allerbarmer, und zwar jeder auf sei-ne eigene Weise.

Und insofern bin ich dem Christen-tum dankbar, daß es von der Hoffnung für das Jenseits des Grabes spricht. Ich fand glückliche Jenseitshoffnung auch bei vorchristlichen Menschen. Eines von den vielen Hoffnungsworten vorchrist-licher Menschen ist mir besonders aus dem Herzen gesprochen. Sokrates sagt in Platons Phaidon 68AB: »Viele, denen Geliebte und Frauen und Kinder starben, gingen bereitwillig in den Tod, denn sie waren von der Hoffnung getrieben, daß sie die, nach denen sie so sehr sich sehn-ten, nach ihrem Tod wiederfinden und mit ihnen zusammensein werden.« (Eine Anmerkung für die Homosexuellen unter uns: Im griechischen Urtext steht statt »Geliebte«: paidikoí. Gemeint ist der ge-liebte homosexuelle Lebenspartner. Der größte Unterschied zwischen antikem Griechentum und Christentum betrifft die Einschätzung der Homosexualität.)

Der Dichter Jean Paul hat mir mein Lebensmotto gegeben. Er sagt: »Es ist, als hätten die Menschen gar nicht den Mut, sich recht lebhaft als unsterblich zu denken, sonst genössen sie einen anderen Himmel auf Erden als sie haben, nämlich den echten – die Umarmung von lau-ter Geliebten, die ewig an ihrem Herzen bleiben und wachsen – die leichtere Er-tragung der Erdenwunden – das frohere Anschauen des Alters und des Todes als des Abendrots und des Mondscheins des nächsten Morgenlichts … Und der alte, von den wiederkäuten Neuigkeiten der Erde übersättigte Mensch geht und stirbt neuen Wundern entgegen.«

Einladung zur Konferenz:

Zweifel und Kritik anFortschritt, Wissenschaft und Technik. Im Dienst des Men-schen? Bedrohung? Zementie-rung der Unterdrückung?

Sonnabend, 8. Oktober 2011 Beginn: 11.00 Uhr

Konferenzort: Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden, Hörsaal Z 107Friedrich-List-Platz 1, 01069 Dresden

Themen, Referenten, Statements:Machtpolitik, Klassenfragen, Gewinner und Opfer Klaus Hartmann, Offenbach (Verbandsvorsitzender)

Wissenschaft – Technik – Weltanschauung. Einige Anmerkungen – Dr. Horst Schild, Dresden

Gesellschaftssystem – Moralkodex und Verantwortung der WissenschaftlerProf. Dr. Herbert Hörz, Berlin

Ernährung, Gentechnologie, MonsantoProf. Dr. Gisela Jacobasch, Wandlitz

Hightech-Militarismus und neues SöldnertumProf. Dr. Ernst Woit, Dresden

IT-Chancen für die PlanwirtschaftHelmut Dunkhase, Berlin, Bonn

Energiebedarf und das Ende der ÖlzeitProf. Dr. Lothar Kolditz, Fürstenberg/Havel (schriftlicher Beitrag)

SchlussbemerkungenKlaus Hartmann

in Zusammenarbeit mit: Tageszeitung junge Welt • Ostdeutsches Kuratorium von Verbänden e.V. (OKV) • Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde e.V. (GBM) • Gesellschaft zur rechtlichen und humanitären Unterstützung e.V. (GRH)

Teilnahmegebühr: 9,00 €/mit Ermäßigung: 6,00 €Programminformationen unter: www.freidenker.de

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Mittwoch, 21. September 2011, Nr. 220 junge Welt 8 p ap s t

Als Papst Johannes XXIII. in den 1960er Jahren über die Idee eines weltweiten Kon-zils, des II. Vatikanischen

Konzils, nachdachte, soll er gesagt ha-ben: »Irgend etwas stinkt hier (in der Kirche), wir müssen die Fenster weit öffnen …« Heute, 50 Jahre später, sticht der abgestandene Geruch vormoderner Zeiten wieder einmal in die Nase. Nie-mandem bleibt verborgen, daß die ka-tholische Kirche unter ihrem deutschen Oberhaupt Josef Ratzinger ein Rollback sondergleichen vornimmt, wenngleich vor allem im Linkskatholizismus die Meinung vorherrscht, daß es sich dabei eher um eine resignative Selbstabschlie-ßung handelt, als daß von dieser Politik die Gefahr einer neuen gesellschaftlich relevanten Rechtsformierung ausgeht. Viel wichtiger ist, daran zu erinnern, daß Ratzinger schon in seiner Zeit als Präfekt der Glaubenskongregation Reformbe-wegungen bekämpfte und die römische Linie der katholischen Kirche sich damit schon lange in eine Koalition mit dem neoliberalen Kapitalismus einreihte.

Denn eine der wesentlichen Folgen des oben erwähnten II. Vatikanums war die Entwicklung der Befreiungstheolo-gie. Ein plastisches Beispiel dafür ist der »Katakombenpakt«, in dem sich über 400 Bischöfe aus aller Welt in beeindrucken-der Weise auf die Seite der Unterdrückten stellten. In diesem Pakt, der nach dem Ort seiner Entstehung in der Domitilla-Katakombe benannt ist, erklärten sie 1965 unter anderem: »Wir werden alles dafür tun, daß die Verantwortlichen unserer Regierungen (…) solche Gesetze, Struk-turen und gesellschaftlichen Institutio-nen schaffen, (…) die für Gerechtigkeit, Gleichheit und gesamtmenschliche har-monische Entwicklung jedes Menschen und aller Menschen notwendig sind. Da-durch soll eine neue Gesellschaftsord-nung entstehen, die der Würde der Men-schen- und Gotteskinder entspricht (…)«.

»Option für die Armen«Die 1968 folgende Generalkonferenz der lateinamerikanischen Bischöfe in Medellín vertiefte diese »Option für die Armen«. Es war eine historische Phase, von der der kürzlich verstorbene brasilia-nische Ordensmann José Comblin sagte: »Es war die Zeit der Utopie. Die Idee, daß alles möglich war, setzte sich durch. Kuba zeigte es, wie die Menschen die Geschichte in die Hand nehmen konnten (…) Man brauchte nur zu wollen, um die kapitalistische Gesellschaft in eine sozia-listische umzuwandeln.« Und es war die Zeit der Hoffnung auf eine Reform der katholischen Kirche.

Öffentliche DemütigungDer Entwicklung der Befreiungstheologie folgte unmittelbar die römische Repres-sion. Unvergessen bleibt die öffentliche Demütigung des Priesters und linken Po-litikers Ernesto Cardenal während eines Papstbesuches 1983 in Nicaragua. Unter Verantwortung des Papstes Karol Wojtila erschien 1984 die erste Instruktion ge-gen die Theologie der Befreiung mit dem Marxismusvorwurf, 1987 die zweite und 1985 wurde ein Rede- und Schreibver-bot gegen den brasilianischen Franziska-ner Leonardo Boff verhängt, weil er das Amtsverständnis der katholischen Kirche kritisiert hatte. Boff trat später aus der Kirche aus. Bei alldem spielte der heutige Papst und damalige Präfekt der Glau-

benskongregation Ratzinger eine äußerst unrühmliche Rolle.

Ab Ende der 80er Jahre zeigte der Kampf Roms gegen die befreiende Kir-che Wirkung. Konservative bis reak-tionäre Bischofsernennungen und die Schwächung befreiungstheologischer Lehrstühle an den Universitäten waren dafür innerkirchliche Ursachen, die neue Phase des neoliberalen, globalen Kapitalismus war der äußere Anlaß. Dieser schwächte auch die traditionel-

len Volkskirchen und rief vor allem die »neopentecostalen« Kirchen auf den Plan, die rein gar nichts mehr mit dem Katholizismus oder dem historischen Protestantismus zu tun haben. Sie ge-hören heute zum dynamischsten Sek-tor des Christentums in Lateinamerika, können mit ihren Sinnangeboten im Markt der Möglichkeiten umstandslos mithalten und haben sich hervorragend in Religion und Ideologie des neolibera-len Kapitalismus einpaßt.

So ist beispielsweise die größte dieser Kirchen, die Igreja Universal Reino de Dios, in Brasilien im Besitz von TV Re-cord, dem zweitgrößten Fernsehsender des Landes. Wurden 1975 gerade einmal 70 Minuten Kirchenprogramm pro Wo-che übertragen, waren es Anfang der 90er schon fünf Stunden pro Tag. Diese Kirche übt seit einigen Jahren auch politischen Einfluß im Nationalkongreß aus und ko-operiert mit der rechten Partei der Libe-ralen. Ähnliche Entwicklungen zeichnen sich in anderen lateinamerikanischen Ländern ab.

Befreiendes ChristentumLange Zeit schien es so, als könne vor al-lem das lateinamerikanische Christentum der doppelten Frontstellung entgehen, der sich linke Christen z. B. in der BRD aus-gesetzt sahen: Reaktionären Kirchenlei-tungen und dem hegemonialen Kapitalis-mus. Nicht zuletzt aufgrund des Wirkens Joseph Ratzingers in seiner Funktion als Leiter der Glaubenskongregation und spä-ter als Papst hat sich dies verändert. Viele Christen haben sich deshalb entschieden, ihr Engagement auf die Mitarbeit in sozi-alen Bewegungen zu konzentrieren und dem zermürbenden Kampf mit der Kirche aus dem Weg zu gehen.

Insofern muß man heute präziser von einem befreienden Christentum oder von Christen in sozialen Bewegungen und Be-freiungsprozessen reden. Als solches ist es aus sozialen Bewegungen nicht weg-zudenken, auch wenn es nicht mehr die

herausragende Rolle wie noch in den 70er und 80er Jahren spielt. Ganze Genera-tionen von Militanten sind von der Be-freiungstheologie geprägt und arbeiten in sozialen Bewegungen zur Landfrage, zu Ernährungssouveränität usw. mit. In sehr unterschiedlicher Weise haben sie auch ihren Anteil an den antineoliberalen Umbrüchen in Lateinamerika: So ist der ecuadorianische Präsident Enrique Cor-rea vom Reformkatholizismus geprägt, und der paraguayische Präsident und ehe-malige Bischof Lugo kommt aus der Be-freiungstheologie.

Allerdings sind viele, wie z. B. der be-reits oben zitierte José Comblin der Mei-nung, daß mit dem dritten Jahrtausend auch das Ende des Katholizismus einge-läutet ist. Ob damit gleichzeitig ein Mehr an rationalem Weltverhältnis, an emanzi-patorischem Horizont und an Treue zum Ereignis (Badiou) überhaupt zu erhoffen ist, bleibt fraglich. Das Ende der Religion bedeutet es auf jeden Fall nicht.

Einer der bekanntesten Befreiungs-theologen, der über 80jährige brasilia-nische Bischof Pedro Casaldaliga sagte anläßlich einer Wallfahrt zu Ehren der Märtyrer (der Toten der Befreiungs- und Menschenrechtsbewegungen) im Juli dieses Jahres: »Vielleicht ist dies die letzte Wallfahrt, die ich mitmachen kann (…)Um was ich euch bitte, ist, die Option für die Armen nicht zu verges-sen (…) Diese Armen konkretisieren sich in den indigenen Völkern, in den Schwarzen, den marginalisierten Frau-en, denen ohne Land, den Gefangenen, in den vielen Kindern Gottes, denen es verwehrt ist, in Würde und Freiheit zu leben (…) an dem Tag, an dem wir aufhören, von ihnen zu sprechen, soll-ten wir auch das Evangelium schließen. Und noch etwas: Es gibt viel Müdigkeit, Resignation, Enttäuschung – das ist Hä-resie, Sünde. Eine andere Welt ist mög-lich, und wir sind die andere mögliche Kirche.« Und diese Kirche hat mit der katholischen Kirche Ratzingers herz-lich wenig zu tun.

Irgend etwas stinkt hier …Kampf gegen die Befreiungstheologie: Schon als Kardinal Ratzinger sorgte der heutige Papst für einen Rollback in der katholischen Kirche. Von Michael Ramminger

Der Papst will Glauben und Ver-nunft versöhnen. Gerd Lüdemann zeigt in seinem gut lesbaren Buch,

dass er scheitert.

Hardcover, 158 SeitenISBN 978-3-86674-010-5

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Dr. Michael Ramminger ist Theologe. Er arbeitet am Institut für Theolo-gie und Politik in Mün-ster/Westf.

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junge Welt Mittwoch, 21. September 2011, Nr. 220 9p ap s t

Wo auch i m m e r ein fa-sch i s t i -

sches Regime herrschte, auf die Unterstützung der katholischen Amts-kirche konnte es zäh-len. Das gilt nicht nur für Lateinamerika, wo der Vatikan mit bluti-gen Diktatoren paktierte und die widerständige »Theologie der Befrei-ung« unterdrückte, son-dern auch und vor allem in Europa: Der Vatikan war u. a. die wichtigste ideologische Stütze für die Ustascha in Kroati-en und für die faschi-stischen Diktatoren in Spanien und Portugal.

In Deutschland hatte die katholische Kirche 1933 sehr schnell die Reihen mit der Hitler-Diktatur geschlossen. Sie unterzeichnete das Reichskonkordat, rief mit zum Krieg gegen den Bolschewismus auf, ließ Spenden für die Ostfront sammeln und drückte angesichts der Judenvernichtung beide Augen zu. Und dabei gab es durchaus katholischen Widerstand – woran al-lerdings fast nur Laien und einfache Geistliche beteiligt waren. Die al-lerdings wurden von ihrer Amtskirche meist im Stich gelassen, wenn sie in die Hände der Ge-stapo fielen oder im KZ landeteten.

Sehr peinlich für die Kirche, Geistliche mei-den das Thema gerne. Um so lieber weisen sie auf Kardinal Clemens August Graf von Galen hin, den sie nach dem Kriege mit Hilfe ihrer Propaganda zum helden-haften Widersacher der Nazis, zum »Löwen von Münster«, aufbauten. Richtig ist, daß der damalige Bischof 1941 von der Kanzel von St. Lamberti aus den Mut aufbrachte, die Ermordung Behin-derter in Pflegeheimen von der Kanzel aus zu kritisieren. Bei allem Respekt da-vor sollte man allerdings nicht vergessen,

daß von Galen, der sich selbst als »Arier« verstand, bis auf die Knochen erzreaktio-när war. Der ehemalige Kirchenrechtspro-fessor Horst Herrmann schreibt über ihn:

»Graf von Galen, als erster deutscher Bischof nach Hitlers Machtergreifung

ernannt und von Herrmann Göring auf das neue Regime eingeschworen, segne-te jahrelang jede Finte der Diktatur mit ab, rief zur Stimmabgabe für den Führer auf, bezeichnete den Angriffskrieg ge-gen die jüdisch-bolschewistische Macht-

herrschaft Moskaus als gerechten Abwehrkampf und klagte, leider könne er nicht mitmarschieren gegen Moskau. Nach der Befreiung freilich lamen-tierte er, er habe unter der ›Fremdherrschaft‹ gelitten, ›geknechtet und geknebelt‹.

Ganz kapierte der Graf die Wende nicht. Auch die britische Armee bleibt für ihn Fremdherr-schaft, ist Besatzung, nicht Befreiung. Einen wirklichen Befreier hat-te Galen früher (1942) ausgemacht: Franco. Die Internierungslager, die die Briten für jene ein-gerichtet haben, die wis-sen, weshalb sie den 8. Mai als Tag der Katastro-phe beklagen, sind für Galen, wörtlich, schlim-mer als Hitlers KZs. Die Frage nach Schuld oder Unschuld der jeweiligen Lagerinsassen stellt sich dem Oberhirten nicht.

Dieser sogenannte Löwe, den zu ehren ei-ne Herausforderung der Opfer bedeutet, brüllte zwölf Jahre lang nicht, bewies ein furchtbares Desinteresse an Anders-gläubigen und Anders-denkenden, verlor nicht ein einziges Wort über die KZs, als er – vor 1945! – hätte reden sol-len. Er setzte sich nicht ein einziges Mal für jene Millionen ein, die das in seinen Augen histori-sche Unglück traf, nicht römisch-katholisch und treudeutsch zugleich zu sein. Seine eigene Fa-milie hatte allerdings Glück: ›Deutsche Art (ist) seit Jahrhunderten treugehütetes Erbe‹ re-nommiert der Graf und ›kein Tropfen fremdlän-dischen Blutes rinnt in unseren Adern‹, prahlt er, als es darauf ankommt,

arisch zu sein. Schon im Mai 1933 steht auf dem Platz vor Galens Bischofsdom ein ›Schandpfahl für jüdische Literatur‹, während der Kirchenfürst, bischöflich ge-schniegelt und in Rassenfragen versiert, seine Treue zum Regime preist.« (jW)

Propagandatrick mit LöweDer katholische »Held« Graf von Galen war ein strammer Volksgenosse

Dem Internationalen Strafge-richtshof in Den Haag liegen Klagen gegen den »Beschul-digten Dr. Joseph Ratzinger«

vor. Ihm werden schwere Verbrechen ge-gen die Menschlichkeit vorgeworfen, wie aus einer Strafanzeige hervorgeht, die zwei Anwälte aus Marktheidenfeld einge-reicht haben.

Als ehemaliger Kardinal und heutiger Papst sei Ratzinger strafrechtlich für drei Verbrechen verantwortlich, heißt es in die-

ser Anzeige, die in Buchform unter dem Titel »Der Fall des Papstes« veröffentlicht wurde. Ersten gehe es um »die Aufrecht-erhaltung und Leitung eines weltweiten totalitären Zwangsregimes, das seine Mitglieder mit angsterregenden und ge-sundheitsgefährdenden Drohungen unter-jocht«. Zweitens wird dem Beschuldigten »die Aufrechterhaltung des todbringenden Verbots, Kondome zu verwenden«, ange-lastet.

Der dritte Vorwurf schließlich bezieht

sich auf die »Etablierung und Aufrecht-erhaltung eines weltweiten Systems der Vertuschung und Begünstigung von Sexu-alverbrechen durch katholische Priester«. Als Beleg führen die Autoren zahlreiche Fälle aus den USA, Irland, Deutschland, Kanada, Australien und Afrika an, insge-samt werde die Zahl der von katholischen Priestern geschändeten Kinder auf 100 000 geschätzt. »Inzwischen wird immer mehr bekannt, daß sexuelle Abartigkeit keines-wegs auf die einfache Priesterschaft be-

schränkt ist, sondern bis in die höchsten Ränge der katholischen Kirche reicht.«

Die im Februar eingereichte Klage wird nach Angaben der Autoren von »Tausen-den Überlebenden der katholischen Kin-derschänderverbrechen aus der ganzen Welt sowie Opferorganisationen aus Eu-ropa und USA« unterstützt. Auch die ka-tholische Opferorganisation SNAP – ein Netzwerk US-amerikanischer Initiativen – habe in Den Haag Strafanzeige gegen den Papst sowie drei Kardinäle gestellt. (jW)

Klage gegen den Beschuldigten RatzingerBeim Internationalen Strafgerichtshof wurden Strafanzeigen gegen den Papst eingereicht

»Der Fall des Papstes«, Sailer/Hetzel (Eigenver-lag), ISBN 978-3-9814342-0-0

www.der-fall-des- papstes.com

»Kirchenfürsten – Zwi-schen Hirtenwort und Schäferstündchen«, von Horst Herrmann, Ham-burg 1992

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Mittwoch, 21. September 2011, Nr. 220 junge Welt 1 0 p ap s t

Im Lager des Glaubens ist längst Panik ausgebrochen. Schafe und Hirten rea-gieren, wie sie es gewohnt sind: mit ihrer spezifischen »Moral«, die diese

Bessermenschen uns neuerdings als Aus-druck von Höflichkeit verkaufen wollen.

Wer gegen den Papstbesuch ist, muß wenigstens schwul sein oder zur Linken gehören. Solche lassen die Rücksicht auf den Landsmann vermissen, der zwar der schwächste Papst seit 150 Jahren ist, doch immerhin als Oberhaupt der Katholischen Kirche und Staatsoberhaupt des Vatikan vermarktet wird.

Argumente, die dafür sprechen, gegen den Mann aus Marktl am Inn zu demonstrie-ren oder seiner Rede im Bundestag fern-zubleiben, gelten unter den Jubelpersern nicht. Die Meinung Andersdenkender zu achten, ist keineswegs Sache dieser marktl-schreierischen Existenzen. Zwar dürfen sie nicht mehr mit Latten dreinhauen. Aber mit Etikette können sie um sich schlagen.

Erzbischof Robert Zollitsch, Vorsitzen-der der Deutschen Bischofskonferenz, for-dert Noblesse und Freundlichkeit. Als ob das katholische Haltungen wären – histo-risch wie aktuell.

Die Kirche, für die Ratzinger steht – und Noblesse? Etwa den sogenannten Ketzern gegenüber? Oder den Frauen gegenüber, die als »Hexen« eine tausendfache Freund-lichkeit auf katholisch erleiden mußten?

Nicht ganz nebenbei: Der körperliche Mißbrauch, von dem wir gehört haben, ist nicht alles. Der geistige, geistliche und seelische Mißbrauch zählt ein Vielfaches an Opfern. Noch immer werden Millionen Menschen, Schafe im Pferch Ratzingers, Tag um Tag »seelsorgerlich« fehlgeleitet, einer religiös verbrämten Machtmaschine-rie ausgeliefert, die unter dem Vorwand, Heil zu vermitteln, Unheil schafft. Alltäg-lich ein millionenfaches Vergehen, das Oberhirten als normal gilt.

Und da sollte niemand Nein sagen dür-fen? Nein zur Kriminalgeschichte der Kir-che? Nein zu einem Papst, der sich um der-lei kaum kümmert? Der sich unverdrossen in Gold, Samt und Seide präsentiert? Der sich unserem Parlament aufdrängt, als habe er Entscheidendes zu sagen?

Ins Stammbuch, Herr Papst: Ohne die Menschenrechte (die Ihresgleichen vor Jahrzehnten noch verdächtig erschienen) könnte kein Papst reden wie Sie. Auch ein Papst muß die neuzeitliche Entwicklung nutzen, um sein Recht zu verteidigen, zu glauben und zu sagen, was er will. Sie täten gut daran, der historischen Wahrheit ihre Würde zu belassen und damit aufzuhören, Menschen, die nicht glauben wie Sie, zu kränken oder kränken zu lassen.

Wir lassen unsere Vernunft und unsere Moral nicht bestreiten. Hat Kant Scheiter-haufen gebraucht, um seine Philosophie durchzusetzen, Nietzsche Staatsanwälte be-müht, Lessing die Polizei? Was wahr ist, menschenwürdig, menschennah, setzt sich von allein durch. Dazu braucht es keine Predigt aus Rom. Von katholischer Seite braucht sich niemand etwas sagen zu las-sen. Belehrungen in Sachen Demokratie und Menschenfreundlichkeit benötigen wir von den Vertretern der letzten absoluten Monarchie in Europa am allerwenigsten. Päpste sind keine Wegweiser.

Jeder Papst vertritt einen Staat, der sich verschiedenen Auffälligkeiten verdankt: historischen Lumpereien wie etwa der so-genannten Konstantinischen Fälschung,

die uns klarmachen wollte, ein römischer Kaiser habe dem Papst Land geschenkt. Dazu Aggressionskriege von Päpsten, die mit Söldnern auszogen, um Mittelitalien zu erobern. Und schließlich gab es den faschistischen Diktator Mussolini, der den Vatikanstaat errichten half. Ratzinger, das Staatsoberhaupt, braucht sich dieses Besitz-tums nicht zu rühmen. Er vertritt ohne jede demokratische Legitimation ein unlauter zusammengestückeltes Staatswesen.

Jesus von Nazareth, angeblich Stifter die-ser Kirche, würde sich im Grab umdrehen, erführe er, was seit seinem Tod passierte. Doch – ich vergaß, das Grab ist ja leer. Sie haben ihn wohlweislich auferstehen lassen.

Ich erinnere an »Schuldbekenntnisse« aus dem Vatikan: Schuldig sind offenbar nur einzelne geworden, nicht die Kirche selbst. Sie nennt sich heilig und hat dann 2 000 Jah-re Verbrechen auf Verbrechen gehäuft. Alles unter stillschweigender Duldung oder mit ausdrücklicher Zustimmung der Hirten.

Allgemeine Floskeln schmerzen nicht, konkrete Bekenntnisse schon. Daher brin-gen Päpste nicht den Mut auf, Namen und Fakten zu nennen, schon gar nicht aus der eigenen Regierungszeit. Im übrigen werden bis heute nicht nur Gewissen von Rom aus geknechtet, sondern, ein weiteres Beispiel:

Katholiken verfolgten, ja folterten (etwa in Lateinamerika) bis zuletzt Andersdenken-de. Kein Wort des Papstes hierzu.

Auffällig, daß Päpste die Schuld der Kir-che vor allem auf frühere Jahrhunderte be-ziehen. Was den Gewissen der Menschen noch in jüngster Zeit angetan wurde, ist ihnen keinen Nebensatz wert. Die Kirche, die jedem Sünder nicht nur Bekenntnis und Reue abverlangt, sondern auch Buße und Wiedergutmachung, schweigt sich aus. Sie weiß, warum. Denn wollte sie wiedergutma-chen, täte das wirklich weh! Ein Beispiel: In Deutschland hält sie den größten nichtstaat-lichen Grundbesitz; er übertrifft an Fläche manche Bundesländer. Woher hat sie diesen Besitz? Nicht nur geschenkt bekommen, nicht nur am Sterbebett abgeschwatzt, son-dern geraubt und gestohlen. Der Besitz der von ihr Verfolgten und Verbrannten fiel an die Kirche – und bis heute gibt es keine Ent-schädigung. Schon das Thema ist tabu.

Der Vatikan aber läßt seinen Papst eine weitere Fensterpredigt halten, und so man-ches Schaf fällt erneut auf den Hirten her-ein. Dabei ist allein wichtig (weil gefährlich für die Kirche), was nicht gesagt wurde und wird! Gerade nicht vor dem Bundestag.

Ist Ratzinger aber nicht »Oberhaupt« ei-ner Kirche? Paulus hat immerhin seinen

Christus das »Haupt« der Kirche genannt. Doch das reichte den Schafen nicht. Es mußte ein »Oberhaupt« her. Wir lernen, daß die Kirche ein Haupt hat und ein Ober-haupt, und fangen an nachzudenken. Ist ein »Haupt« nicht schon oben? Nein, es muß ein »Oberhaupt« sein. Also noch einen Wi-dersinn draufgesetzt, dann sind die Herren zufrieden. Und wehe, es finden sich Leute, die alles anders sehen. Wie gesagt, solche Untermenschen müssen mindestens schwul sein oder sonstwie gestört, sonst wüßten sie, wie ein Mensch sich gegenüber einem Oberhaupt benimmt.

»Oberhaupt« ist ein patriarchaler Begriff: Patriarchales Denken strebt angeblich nach oben. Frauen bleiben im Dunkel ihrer Kör-perlichkeit. Patriarchen errichten phallische Denkmäler, zeigen sich mit Stäben, leben auf Podesten. Ratzinger, oberster Repräsen-tant eines gegenwärtigen Patriarchats und folgerichtig auf dessen Hochsitz zu Hause, zeigt, wohin er gehört.

Wir aber müssen daran arbeiten, daß die Zeiten nie mehr zurückkommen, da uns mit Feuer und Schwert Anstand und Men-schenfreundlichkeit nach katholischer Art beigebracht wurden. Tun wir es nicht, kla-gen uns die Millionen Opfer katholischer Verbrechen zu Recht immer weiter an.

Verbrechen über Verbrechen – und das seit 2 000 JahrenRaub, Betrug, Mord: Welche moralische Legitimation hat das Oberhaupt der katholischen Kirche? Von Horst Herrmann

Horst Herrmann wurde nach einer Priesteraus-bildung 1970 Professor für katholisches Kir-chenrecht an der Uni-versität Münster. 1975 entzog ihm die deutsche Bischofskonferenz die Lehrbefugnis. Von 1981 bis zu seiner Emeritie-rung im Jahre 2005 hatte er in Münster einen Lehrstuhl für Soziologie inne. Herrmann ist Mit-glied des PEN-Clubs und Autor zahlreicher kir-chenkritischer Bücher.

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junge Welt Mittwoch, 21. September 2011, Nr. 220 1 1p ap s t

Menschen, die ein Nudel-sieb auf dem Kopf tragen, sind nicht etwa verwirrt, sondern eine religiöse

Minderheit mit Wachstumspotential. Sie glauben an etwas, das alle Anforderun-gen an eine legitime Gottheit erfüllt: An das fliegende Spaghettimonster. Es gibt keinen Beweis für dessen Nichtexistenz. Auch, daß es die Welt nicht erschaffen hätte, läßt sich kaum beweisen, denn seine Anhänger gehen davon aus, daß es alle Hinweise auf die Evolution bewußt gestreut hat, um die Menschen zu ver-wirren. Understatement sozusagen.

Allerdings dürfen sich die »Pastafari« ein Bild von ihrem Schöpfer machen – als großes Nudelknäuel mit Stielaugen und Fleischbällchen stellen sie ihn sich vor. Anstelle der zehn Gebote gibt es acht Empfehlungen, im Stile von »Mir wär’s wirklich lieber, Du würdest nicht …«. Die sollen vor allem der Ächtung von Diskriminierung dienen – und im Paradies winkt den Verstorbenen unter anderem ein Biervulkan. Vor allem in Bayern könnte sich die junge Religion deshalb schnell gegen die katholische Kirche durchsetzen.

Gegründet wurde die Glaubensge-meinschaft 2005 in den USA – nach Aus-sage des Propheten Bobby Henderson »um vier Uhr morgens«. Kurz nachdem die Schulbehörde im Bundesstaat Kansas beschlossen hatte, neben Darwins Evolu-tionslehre auch die Schöpfungslehre der »Kreationisten« im Biologieunterricht zu vermitteln.

Wenig später hatte das fliegende Spa-ghettimonster eine eigene Internetseite; der Physiker Henderson und weitere Anhänger der neuen Gottheit verlangten die Anerkennung als Religionsgemein-schaft – und daß auch ihre Schöpfungs-lehre im Biologieunterricht Platz finden solle. Schnell breitete sich der Kult um das Nudelmonster in der westlichen Welt aus.

Um Toleranz und Respekt müssen die Pastafari aber hier und da noch kämpfen. So wurde der Österreicher Niko Alm erst einmal zum Amtsarzt geschickt, als er darauf bestand, auf seinem Führerschein-foto ein Nudelsieb als religiöse Kopfbe-deckung zu tragen. Nach langem Hin und Her, als der Nachweis seiner geistigen Gesundheit erbracht war, konnte er sich im Sommer 2011 damit durchsetzen.

Von deutschen Pastafaris wird Niko Alm seither als Held gefeiert: »Ihr, meine Brüder und Schwestern in Deutschland, der Schweiz und natürlich auch in Öster-reich, eifern wir ihm nach«, agitierte der uckermärkische Vorsitzende der »Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters e.V.«, Rüdiger Weida alias »Bruder Spaghettus«, im Internet. »Nutzen wir Nikos Vorarbeit, um unserer Religion mehr und mehr zu der ihr zweifellos zustehenden Anerkennung zu verhelfen. Lassen auch wir uns unsere Fahrerlaubnis oder unseren Personalaus-weis nur noch mit religiöser Kopfbedek-kung ausfertigen. Ich werde das jedenfalls beantragen.«

Attraktiv ist die junge Religion wohl auch deshalb, weil sie noch keine verkru-steten Institutionen kennt. Allerdings hält sich hartnäckig das Gerücht, der »Pastafa-rianismus« sei in Wirklichkeit ein Ulk von Ungläubigen und diene einzig und allein dem Zweck, die Kreationisten durch den Kakao zu ziehen.

Die Pastafari fühlen sich trotzdem auf der sicheren Seite und sind bereit, wag-halsige Wetten abzuschließen: Für die Wi-derlegung ihrer Kernidee haben sie bereits hohe Preisgelder ausgelobt. Auf einer eng-lischsprachigen Internetseite erklärten An-hänger der Religion, sie seien bereit, jedem 250 000 US-Dollar zu zahlen, der Beweise erbringe, daß Jesus nicht der Sohn des flie-genden Spaghettimonsters sei. Auch diese Wette soll zwar Gerüchten zufolge nur ei-ne Parodie auf eine ähnlich lautende Wette des Kreationisten Kent Hovind sein, aber zahlen muß ganz bestimmt niemand.

Beweist erst mal das Gegenteil! Die »Kirche des fliegenden Spaghettimonsters« könnte bald zur ernsten Konkurrenz für Papst Benedikt & Co. werden. Von Claudia Wangerin

Hans AlbertJoseph Ratzingers Rettung des Chris-tentums

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978-3-86569-037-1

Joseph Ratzinger wird im Feuilleton als bedeutender Intellektueller gehandelt. Hans Albert wirft einen Blick auf einige zentrale Texte und kommt zu dem Er-gebnis, dass dem deutschen Papst dieses Etikett zu Unrecht anhaftet.

Peter MaslowskiPapstkirche ohne Heiligenschein

Geschichte der Konzile von Konstanz bis zum Vatikanum II

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978-3-932710-83-4

Maslowski bietet einen tiefen Einblick in Machtpolitik, Geld und Geschäfte der Papstkirche und in die Konflikte mit den jeweiligen weltlichen Mächten.

Fritz MauthnerDer Atheismus und seine Geschichte im Abendlande

Hrsg. von Ludger Lütkehaus

4 Bände im Schuber, 1974 Seiten, gebunden, Euro 179.-

978-3-86569-113-7

Fritz Mauthners monumentale Geschichte des abendländischen Atheismus spannt einen Bogen von der europäischen Antike über Teufelsfurcht und Aufklärung im so-genannten Mittelalter, die Entstehung der Wissenschaften zu Beginn der Neuzeit bis hin zum Materialismus des 19. Jahrhun-derts. Geschrieben in den Jahren 1920 bis 1923, ist Mauthners Werk eine fast einzig-artige Kulturgeschichte des Abendlandes vom Standpunkt der religiösen Befreiung.

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Ulrich Enderwitz:

Reichtum und Religion

Die Macht des Kapitals – Der Weg zur Macht

Gerhard Feldbauer: Der Heilige Vater

Benedikt XVI. – Ein Papst und seine Tradition

Seligsprechung geistlicher Anhänger des Franco-Putsches, Re-

habilitierung der Piusbrüder mit ihren dubiosen Äußerungen zum

Holocaust, Unterstützung für Berlusconi – Benedikt XVI. alias

Joseph A. Ratzinger steht für eine altbewährte Tradition der Ku-

rie und setzt die Offensive seines Vorgängers gegen Befreiungs-

theologie, Aufklärung, Demokratie und Sozialismus fort.

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mischen Reichs bis zur Französischen Revolution. Im Fokus

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Mittwoch, 21. September 2011, Nr. 220 junge Welt p ap s t

Wir fragen die deutschen Parlamentarier:

■ Warum wird die Katholische Kirche nicht mit den gleichen Maßstäben gemessen wie andere Institutionen auch?

■ Würde eine andere Organisation mit vergleichbarem Strafregister nicht längst schon vom Verfassungsschutz beobachtet?

■ Wieso kann sich der Papst der weltlichen Justiz entziehen?

■ Wie kann es sein, dass ein Mensch, der wissentlich andere durch un ge-schützten Geschlechtsverkehr mit HIV infi ziert, wegen Körper verletzung angeklagt wird – jedoch ein Mann, der Abermillionen von Menschen welt weit zu ungeschütztem Geschlechtsverkehr mit Todesfolge anstiftet, als Ehrengast vor dem Deutschen Bundestag sprechen darf?!

Der Papst gehört nicht in den Deutschen Bundestag, sondern vor ein internationales Gericht!

Da es in Deutschland mittlerweile mehr konfessionsfreie Menschen als Katholiken gibt und nur noch wenige deutsche Katholiken die Positionen des Papstes unter stützen, stehen die Chancen für einen grundlegenden Wandel günstig: Beseitigen wir also die Reste des alten, autoritären, patriarchalen Denkens, für das die Katholische Kirche wie kaum eine andere Institution weltweit steht! Es ist an der Zeit, die Trennung von Staat und Kirche zu vollenden.

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Wir fordern die deutschen Politikerinnen und Politiker auf: Legen Sie den falschen Respekt vor der Amtskirche ab!

■ Zwingen Sie die Katholische Kirche zu einer lückenlosen Aufklärung der von Priestern und Ordensleuten begangenen Verbrechen an Heim- und Internatskindern! Führen Sie der milliardenschweren Kirche in Deutschland vor Augen, dass sie für eine angemessene fi nanzielle Entschädigung der Opfer sorgen muss!

■ Bestehen Sie darauf, dass die europäischen Antidiskriminierungsvorschriften auch in kirchlichen Betrieben gelten müssen! Es muss verhindert werden, dass Menschen ihre Arbeitsstelle verlieren, bloß weil sie einen geschiedenen Partner heiraten oder sich dazu bekennen, in einer homosexuellen Beziehung zu leben. Sollten die kirchlichen Betriebe ihre Diskriminierungspolitik nicht aufgeben, dürfen sie von der öffentlichen Hand nicht mehr fi nanziert werden.

■ Sorgen Sie dafür, dass die Forderungen unserer Verfassung umgesetzt werden! Da das Grundgesetz besagt, dass niemand verpfl ichtet ist, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren, muss der in der Nazizeit eingeführte Eintrag der Konfession auf der Lohnsteuerkarte entfallen! Zudem sind die Staatsleistungen, die jährlich in dreistelliger Millionenhöhe an die Kirchen fl ießen, sofort abzulösen! Es ist absurd, dass konfessionsfreie Menschen noch immer für Bischofsgehälter oder die Pension des Prügelbischofs Mixa aufkommen müssen!

■ Protestieren Sie in aller Schärfe gegen die bevorstehende Seligsprechung von Pius XII.! Dieser Mann unterstützte alle Faschisten seiner Zeit, unterzeichnete das verhängnisvolle Reichs konkordat mit Nazi-deutschland und sorgte dafür, dass die katholische Zentrumspartei Hitlers Ermächtigungsgesetz zustimmte, was die Nazityrannei erst ermöglichte. Statt der Seligsprechung eines Steigbügelhalters des Faschismus erwarten wir, dass sich die Katholische Kirche endlich dazu bekennt, wie sehr sie in die Nazidiktatur involviert war.

■ Finden Sie deutliche Worte für die absolut unzeitgemäße und verant-wortungslose Sexualpolitik des Papstes! Vertreter einer Institution, die die sexuellen Selbst bestimmungsrechte des Individuums nicht akzeptiert, können und dürfen in ethischen Debatten nicht ernstgenommen werden!

■ Setzen Sie sich auf internationaler Ebene dafür ein, dass dem Vatikan (Heiliger Stuhl und Vatikanstadt) der Völkerrechtsstatus entzogen wird! Die Katholische Kirche sollte die gleichen Rechte und Pfl ichten besitzen wie andere Nichtregierungsorganisationen auch! Dies wäre nicht nur fair gegenüber anderen Religionen und Weltanschauungsgruppen, sondern würde auch verhindern, dass sich der Vatikan weiterhin der Strafverfolgung entziehen kann.

V.i.S.d.P.: Dr. Michael Schmidt-Salomon

c/o Elke Held (gbs-Presseabteilung)

Mail: [email protected]

Weitere Informationen:

www.giordano-bruno-stiftung.de

■ Benedikt XVI. ist das Oberhaupt einer Institution, die in den letzten Jahrzehnten Menschen rechtsverletzungen an Hunderttausenden von Heimkindern be-gan gen hat und unzählige Fälle von sexueller Gewalt vertuschte.

■ Er ist verantwortlich für eine zynische Sexualmoral, die Millionen von Menschen diskriminiert, das Problem der Überbevölkerung verschärft und die Ausbreitung gefähr licher Krankheiten fördert.

■ Er ist absoluter Herrscher eines „Staates“, der sich der internationalen Recht-sprechung entzieht und noch in jüngster Vergangenheit Milliarden-Geschäfte mit der Mafi a machte.

■ Er profitiert von Privilegien, die sich die Kirche durch die Unter stützung faschistischer Diktatoren gesichert hat: Dass der Papst heute als „Staats chef“ gilt, verdankt er Benito Mussolini, dass die Kirchensteuer in Deutschland vom Lohn abgeführt wird, Adolf Hitler.

Seligsprechung eines Steigbügelhalters bekennt,

unzeitgemäße und verant-

gegenüber anderen Religionen und Weltanschauungsgruppen, sondern Strafverfolgung

Herr Ratzinger kömmt, er ist von Beruf Hirte und Allein-herrscher eines winzigen Staates. Er nimmt sich ver-

dammt wichtig und trägt lustige Klei-dung, damit er sich von anderen unter-scheidet. Herr Ratzinger läßt sich sogar in einem Glaskasten durch die Gegend fahren – den hat auch nicht jeder.

Herr Ratzinger ist ein verdienstvoller Mann. Vor vier Jahren nämlich hat er die Vorhölle abgeschafft – die war extra für kleine Kinder da, die noch nicht getauft waren. Jetzt kommen sie nach dem Tode sofort in etwas, das dieser Herr »Himmel« nennt. Die Zeiten ändern sich eben, wenn Herr Ratzinger sie ändert – er ist nämlich Stellvertreter eines Höheren Wesens. Und das macht ihm sichtlich Spaß, es ist näm-lich viel angenehmer, in Rom zu wohnen, als zum Beispiel Schamane im Mongoli-schen zu sein: Das Essen ist opulenter, die Bezahlung stimmt, und man besitzt di-plomatische Immunität. Außerdem haben Schamanen keinen Glaskasten.

Herr Ratzinger hat Kondome verbie-ten lassen. Das ist natürlich kein staatli-ches Gesetz. Aber viele Menschen, die glauben, daß Herr Ratzinger tatsächlich der Stellvertreter des Höheren Wesens ist, halten sich daran. HI-Viren finden das jedenfalls gut. Es belebt das Geschäft und führt zu vielen neuen Infektionen. Und da könnte es ja sein, daß ein Betroffener mal schlecht drauf ist und das Höhere Wesen Höheres Wesen sein läßt. Deshalb hat Herr Ratzinger den Glaskasten. Der ist nämlich schußsicher. Denn Gottver-trauen ist gut, aber ein Panzerglaskasten ist besser.

Bevor der Herr Ratzinger Alleinherr-scher in seinem Winz-Staat wurde und Stellvertreter des Höheren Wesens, war er oberster Chef der Teufelsaustreiber-Abtei-lung in seinem Verein. Er hat sich um die Exorzisten-Branche verdient gemacht – so viele Teufelsaustreiber wie unter ihm wurden noch nie in der 2 000jährigen Geschichte seines Klubs ausgebildet.

Dieser Verein ist eine »Glaubensge-meinschaft« und heißt katholische Kir-che. Die Leute, die dort beschäftigt sind, tragen auch so lustige Kleidung wie Herr Ratzinger. Es müssen alles Männer sein, obwohl das Outfit aussieht wie Frauen-kleidung. Wir wollen aber nichts unter-stellen… In der katholischen Kirche dür-fen auch männliche Jugendliche mitma-chen. Sie heißen Meßdiener. Vielleicht weil sie zu diesem oder jenem Zweck dienen und danach ermessen können, wie lang das Zepter dieses oder jenes Pfarrers ist. Das sind die Außendienstmitarbeiter der Glaubensgemeinschaft.

Alle Glaubengemeinschaftmit ... äh ... glieder glauben an einen Gott, der in ei-nem dicken Buch beschrieben ist, das Bibel heißt, was Griechisch ist und Buch bedeutet.

In diesem Buchbuch steht alles über diesen Gott. Zum Beispiel, daß er frü-her seinen Anhängern gerne befohlen hat, ganze Städte auszulöschen, Männer und Frauen zu erschlagen, das Vieh zu stehlen und die Jungfrauen mitzunehmen, weil sie jung und unberührt waren. Einmal hat dieser Gott sogar die ganze Erde überflu-

tet und nur einen Herrn namens Noah und seine Verwandten überleben lassen. Da-zu mußte Noah ein großes Schiff bauen, weil er auch Viehzeug mitnehmen sollte, um die Erde später wieder zu besiedeln. Später hat Noah dann »Blohm + Voss« gegründet.

Überhaupt ist dieser Gott in dem Buch meistens schlecht drauf. Er läßt massen-weise Männer und Frauen umbringen, weil sie nicht an ihn glauben wollen. Ge-gen die Bibel ist jeder Splatterroman ein Kinderbuch. Zum Ausgleich hat Gott die sogenannten Zehn Gebote entwickelt. Gleich am Anfang stellt er fest, daß er das Monopol auf Höhere Wesen haben möchte, obwohl er weiß, daß es noch andere gibt, die mitspielen wollen. »Du sollst keine anderen Götter haben neben mir«, hat er geschrieben. Und man kann ja nur etwas haben wollen, was es auch gibt. Und weil er sich mit PR auskennt, hat er den Menschen verboten zu töten. Das hört sich immer gut an. Ernst gemeint ist das natürlich nicht, sonst hätte es ja mit dem Abschlachten ganzer Völker nicht so gut geklappt.

Das Höhere Wesen hat seinen Sohn geopfert und kennt einen Heiligen Geist – auf mystische Weise ist er beides zu-gleich auch – ein wenig unlogisch, wie es scheint. Herr Ratzinger nennt das Dreifal-tigkeit – was ausnahmsweise aber logisch ist: je eine Einfalt für den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist.

Natürlich wissen wir alle, daß es kei-ne Höheren Wesen gibt. Aber leider hat die Glaubensgemeinschaft von Herrn Ratzinger 1,2 Milliarden Mitglieder, was kein gutes Licht auf die Menschheit wirft. Hoffentlich gibt es wirklich keine Höhe-ren Wesen. Nicht, daß eins mit weniger Anhängern kommt und noch einmal die ganze Welt flutet, weil es das doof findet.

Viel mehr Angst habe ich aber vor der NATO. Wenn die rauskriegt, daß Herr Ratzinger Alleinherrscher ist und Frau-en unterdrückt, bombardiert sie vielleicht den kleinen Staat. Da kann leicht etwas kaputtgehen – und ein gewisser Benito Mussolini würde sich im Grab umdrehen. Der hatte nämlich 1929 die Gründung die-ses kleinen Staates erst möglich gemacht, wofür er sicher mal selig gesprochen wird. Die Seligsprechung ist nämlich ein Hobby von Herrn Ratzinger. So hat er massenweise katholische Pfarrer aus Spa-nien selig gesprochen – natürlich nur die, welche einem Herrn Franco gedient hat-ten. Der war wie Mussolini und Ratzinger auch Alleinherrscher, und die müssen ja irgendwie zusammenhalten.

»Dreifaltigkeit« entschlüsselt!Die Lösung: Je eine Einfalt für Vater, Sohn und Heiligen Geist. Der Stellvertreter von allen dreien läßt sich jetzt in Deutschland feiern. Von Leander Sukov

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