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Kapitel 13 Das Wasserstoff-Atom 13.1 Energiewerte des Wasserstoff-Atoms durch Kastenpotential-Näherung Das grobe Atommodell des im Potentialtopf „eingesperrten“ Atoms vermag in qualitativer Wei- se das Auftreten von Linienspektren zu erklären. Mit diesem einfachen Modell kann die exakte Form des Spektrums (die genaue Lage der Linien) noch nicht erklärt werden. Wir wollen daher im folgenden Abschnitt ein weniger grobes Modell diskutieren, das ein quantitatives Verständ- nis des Wasserstoff-Spektrums ermöglicht. Das Wasserstoff-Atom ist das einfachste aller Atome. Es enthält nur ein Elektron und ein Pro- ton, die sich wegen ihrer unterschiedlichen Ladung anziehen (Coulomb-Wechselwirkung). Das Proton ist fast zweitausendmal schwerer als das Elektron, und es zeigt sich im Experiment, dass es auf einen sehr kleinen Raumbereich konzentriert ist. Für unser Modell des Wasserstoff- Atoms können wir also annehmen, dass sich das Elektron im Coulomb-Potential V (r)= - e 2 4π² 0 r (13.1) des Kerns aufhält (Abbildung 13.1). V(r) r E Abbildung 13.1: Coulomb-Potential

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Kapitel 13

Das Wasserstoff-Atom

13.1 Energiewerte des Wasserstoff-Atoms durchKastenpotential-Näherung

Das grobe Atommodell des im Potentialtopf „eingesperrten“ Atoms vermag in qualitativer Wei-se das Auftreten von Linienspektren zu erklären. Mit diesem einfachen Modell kann die exakteForm des Spektrums (die genaue Lage der Linien) noch nicht erklärt werden. Wir wollen daherim folgenden Abschnitt ein weniger grobes Modell diskutieren, das ein quantitatives Verständ-nis des Wasserstoff-Spektrums ermöglicht.

Das Wasserstoff-Atom ist das einfachste aller Atome. Es enthält nur ein Elektron und ein Pro-ton, die sich wegen ihrer unterschiedlichen Ladung anziehen (Coulomb-Wechselwirkung). DasProton ist fast zweitausendmal schwerer als das Elektron, und es zeigt sich im Experiment,dass es auf einen sehr kleinen Raumbereich konzentriert ist. Für unser Modell des Wasserstoff-Atoms können wir also annehmen, dass sich das Elektron im Coulomb-Potential

V (r) = ¡ e2

4…†0r(13.1)

des Kerns aufhält (Abbildung 13.1).

V(r)

r

E

Abbildung 13.1: Coulomb-Potential

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116 13. Das Wasserstoff-Atom

Man kann die Energieniveaus des Elektrons durch Lösung der Schrödinger-Gleichung in die-sem Potential ermitteln.

Es stellt sich heraus, dass die Lösung dieses Problems unsere mathematischen Mittel bei wei-tem überschreitet. Ein Ausweg besteht darin, das Coulomb-Potential durch ein Potential an-zunähern, das sich einfacher behandeln lässt. Auf diese Weise sind wir schon im letzten Ab-schnitt bei unserer ersten Näherung des im Potentialtopf eingesperrten Elektrons vorgegangen.Nur hatte sich da gezeigt, dass die Näherung offensichtlich zu grob war, um die beobachtetenSpektren zu erklären.

In diesem Abschnitt werden wir ein besseres Modell des Wasserstoff-Atoms kennenlernen. DieVorgehensweise dabei ist die folgende: Wir betrachten ein Modell-Potential, das dem Coulomb-Potential möglichst ähnlich ist, für das wir aber die Schrödinger-Gleichung exakt lösen kön-nen. Es wird sich zeigen, dass mit dem gewählten Modell-Potential das Linienspektrum desWasserstoff-Atoms qualitativ richtig wiedergegeben wird. Alle Näherungen, die während derRechnung gemacht werden müssen, betreffen nur die Form des Potentials und können deshalbnoch auf der Ebene der klassischen Physik diskutiert werden. Die anschließende quantenme-chanische Rechnung kommt dann ohne Näherungen aus.

Wie bei unserem groben Modell des eingesperrten Elektrons wählen wir einen dreidimensio-nalen kastenförmigen Potentialtopf mit unendlich hohen Potentialwänden. Anders als vorherpassen wir den Potentialtopf dem Coulomb-Potential aber nun besser an: Wir variieren dieBreite 2R und die EnergiedifferenzV0 zwischen dem „Boden“ des Potentialtopfs und demEnergienullpunkt (Abbildung 13.2).

V(r)

r

E

V0

R

Abbildung 13.2: Coulomb-Potential und Modellpotential

Diese Parameter werden so gewählt, dass der Potentialtopf möglichst gut auf das Coulomb-Potential „passt“.

Unsere Aufgabe besteht nun darin, möglichst „gute“ Werte für die ParameterR und V0 zufinden. Wie bereits erwähnt, ist dazu keine Quantenphysik nötig. Wir können die Näherung amBeispiel einer klassischen Ladung ermitteln.

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13.1. Energiewerte des Wasserstoff-Atoms durch Kastenpotential-Näherung 117

(a) Ermitteln der Potentialtopf-Breite RIn der klassischen Physik kann sich eine in einem Coulomb-Potential gebundene Ladung (Ener-gie Eges < 0) nicht beliebig weit nach außen bewegen. Wie im Gravitationsfeld (z. B. beimsenkrechten Wurf) gibt es in einem gewissen AbstandR einen Umkehrpunkt. Er ist dadurchgekennzeichnet, dass die kinetische Energie Null ist; die GesamtenergieEges ist dann gleichder potentiellen Energie (Abbildung 13.3):

Eges = ¡ e2

4…†0R; (13.2)

oder, nachR aufgelöst:

R = ¡ e2

4…†0Eges

: (13.3)

Die Lage des Umkehrpunkts hängt also von der EnergieEges ab.

rE

E=Eges

-R +R

Abbildung 13.3: Lage der Umkehrpunkte

Damit hat man eine klassische Abschätzung für den Bereich gewonnen, innerhalb dessen sichdas Elektron aufhält. In unserem Modell wird das Coulomb-Potential durch einen Potentialtopfder Breite2R ersetzt. Das bedeutet: Innerhalb dieses Bereichs wird das Potential in allen dreiDimensionen als konstant angenommen, der Aussenbereich ist für das Elektron unzugänglich(unendlich hohe Potentialwände).

(b) Ermitteln der Potentialtopf-Tiefe V0

Innerhalb des Potentialtopfs hat das Potential einen konstanten WertV0. Wir müssen nun einegeeignete Abschätzung fürV0 finden. Es liegt nahe,V0 so zu wählen, dass es die „mittlereTiefe“ des Coulomb-Potentials darstellt. Hier ergibt sich zunächst eine Schwierigkeit, weil dasCoulomb-Potential am Nullpunkt divergiert. Wie soll man in diesem Fall eine „mittlere Tiefe“bestimmen? Es handelt sich jedoch nicht um eine echte Divergenz, denn durch die endlicheAusdehnung des Kerns wird das Potential am Rand des Kerns „abgeschnitten“ und nimmteinen endlichen Wert an.1

1Hier täuscht auch die zweidimensionale Darstellung. In Wirklichkeit handelt es sich um ein dreidimensionalesProblem. Man berechnet den Mittelwert des Potentials innerhalb einer Kugel mit RadiusR: „V = 1

VK

R R

0V (r) ¢

4…r2dr (VK = Kugelvolumen). Das ergibt den endlichen WertV0 = 3=2Eges.

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118 13. Das Wasserstoff-Atom

Aus der Abbildung (13.3) kann man ersehen, dass der Wert vonV0 negativ und betragsmäßiggrößer alsEges sein muss. Wir erhalten eine Abschätzung, indem wir festlegen, dassV0 denWert des Coulomb-Potentials an der Stelle1

2R hat (Abbildung 13.4).

r

E

E=Eges

-R R-½R ½R

Festlegung der Tiefedes Potentialtops V0

V0

Abbildung 13.4: Festlegen vonV0

Es gilt demnach (Einsetzen der Formel fürR):

V0 = V

µr =

1

2R

¶= V

µr = ¡1

2

e2

4…†0Eges

¶: (13.4)

Benutzen wir den Ausdruck (13.1) für das Coulomb-Potential, ergibt sich

V0 =e2

4…†0

¢ 2 ¢ 4…†0Eges

e2(13.5)

und das Endergebnis fürV0 lautet:

V0 = 2 ¢ Eges = ¡2 ¢ jEgesj : (13.6)

Damit ist die Tiefe des Potentialtopfs gegenüber dem Nullpunkt der Energie festgelegt undalle Parameter unseres Modell-Potentials bestimmt. Wir können nun zur quantenmechanischenBerechnung der Energiewerte übergehen.

(c) Bestimmen der EnergiewerteWir fassen unser Modell noch einmal zusammen: Zur Modellierung des Coulomb-Potentialsfür eine Ladung der EnergieEges verwenden wir einen dreidimensionalen kastenförmigen Po-tentialtopf mit unendlich hohen Potentialwänden, dessen Boden sich beiV0 = 2 ¢ Eges befindetund dessen Kantenlänge

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13.1. Energiewerte des Wasserstoff-Atoms durch Kastenpotential-Näherung 119

R =e2

4…†0 jEgesj (13.7)

ist. Die Energieniveaus eines Elektrons im dreidimensionalen Potentialtopf haben wir bereitsvorher berechnet (Gleichung (12.14) mita = 2R):

Eges =~2…2

2m(2R)2

¡n2

x + n2y + n2

z

¢+ V0: (13.8)

Zur Vereinfachung beschränken wir uns auf Zustände, für dienx = ny = nz · n, d. h. diekeine Richtung bevorzugen. Die Energieniveaus werden dann:

Eges =~2…2

2m(2R)2¢ 3n2 + V0:

Nun setzen wir die ParameterR undV0 ein:

Eges =~2…2

2m¢ 3n2 ¢ (4…†0)2E2

ges

4 ¢ e4+ 2Eges:

Bringt man den letzten Term auf der rechten Seite nach links, ergibt sich

¡Eges =3

8¢ …2~2(4…†0)2

me4¢ n2E2

ges;

und nach Kürzen vonEges erhalten wir das Ergebnis für die Energieniveaus im Wasserstoffa-tom:

Eges = ¡ 16

3 ¢ …2

me4

2~2(4…†0)2¢ 1

n2: (13.9)

Wie unser erstes grobes Modell sagt dieses verfeinerte Modell die Quantisierung der Ener-gie im Wasserstoffatom voraus. Die Quantenzahln durchläuft alle positiven ganzen Zahlen(n = 1; 2; 3; : : : ). Zu jedem Wert vonn gehört ein Wert der Energie und damit ein Zustand,den das Elektron einnehmen kann.

Die Abhängigkeit der Energiewerte von der Quantenzahln ist:

Eges » ¡ 1

n2: (13.10)

Für alle Zustände giltEges < 0, d. h. sie sind gebunden. Je größern wird, um so höher ist dieEnergie. Für großen rücken die Energiewerte immer dichter zusammen und nähern sich demWertEges = 0 (Abbildung 13.5).

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120 13. Das Wasserstoff-Atom

E

-3,4 eV

-1,5 eV-0.85 eV

-13,6 eVn=1

n=2

n=3n=4

Abbildung 13.5: Termschema des Wasserstoffatoms

Diese Eigenschaften unseres Modells werden von der exakten quantenmechanischen Rechnungbestätigt.

Die Energiewerte, die sich mit der exakten Form des Potentials ergeben, unterscheiden sichvom Ergebnis unserer Modellrechnung um einen konstanten Faktor16

3¢…2 … 0; 54. Das korrekteErgebnis für die Energieniveaus des Wasserstoffatoms ist:

Im Wasserstoff-Atom kann das Elektron die folgenden Werte der Gesamtenergieannehmen:

Eges = ¡ me4

2~2(4…†0)2¢ 1

n2; (n = 1; 2; 3; : : :): (13.11)

Der Zustand mitn = 1, also der niedrigsten Energie, ist derGrundzustand des Wasserstoff-Atoms. Er liegt beiEges = ¡13; 6 eV.

Schließlich können wir die berechneten Energiewerte noch mit dem beobachteten Spektrumdes Wasserstoffatoms verknüpfen (Balmer-Spektrum, Abbildung 12.2). Licht wird emittiert,wenn das Atom einen Übergang zwischen zwei Zuständen (z. B. vonn = n1 nachn = n2)macht. Nach Gleichung (12.2) ist die Photonenenergieh ¢ f dabei gleich der Differenz derbeiden Energiewerte. Daraus erhalten wir:

h ¢ f = ¡ me4

2~2(4…†0)2¢µ

1

n21

¡ 1

n22

¶: (13.12)

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13.1. Energiewerte des Wasserstoff-Atoms durch Kastenpotential-Näherung 121

Das entspricht genau der Balmer-Formel (12.1). Den Wert der Rydberg-Frequenz können wirdurch Vergleich der beiden Formeln bestimmen:

fRy =me4

(4…~)3†20

= 3; 2898 ¢ 1015 Hz; (13.13)

in Übereinstimmung mit dem Experiment. Dieses Zurückführen des empirisch ermittelten Wer-tesfRy auf eine Kombination von Naturkonstanten ist eine der großen Leistungen des quanten-mechanischen Atommodells.