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Kapitel 3 Postulate und Theoreme der Quantenmechanik Der Formalismus der Quantenmechanik l¨ asst sich durch eine Reihe von Postulaten einf¨ uhren. Diese Postulate sind plausibel, (siehe auch Kapitel 2) k¨ onnen aber letzlich nicht bewiesen werden. Sie haben, wie andere Theorien, ihre Berechtigung in der Tatsache, dass sie ein Vielzahl von Ph¨ anomenen zutreffend voraussagen. Die in diesem Kapitel vorgestellten Postulate (und das Postulat der Existenz des Spins) sollen im Sinne einer Arbeitsvorschrift f¨ ur quantenmechanische Rechnungen und weniger im Sinn einer rigorosen mathemiatischen Behandlung verstanden werden. So sind denn auch Wortlaut und Anzahl der Postulate in verschiednen B¨ uchern die diesen Formalismus benutzen unterscheidlich. Es wird empfohlen vor diesem Kapitel die mathematische Repetition im Anhang C zu konsul- tieren. 3.1 Postulat 1: Wie beschreibt man ein Quantensystem In der Quantenmechanik wird ein abgeschlossenes System durch seinen Hamilton-Operator ˆ H strukturell vollst¨ andig charakterisiert. Den Hamilton-Operator erh¨ alt man ¨ ublicherweise gem¨ ass dem Korrespondenzprinzip (sie- he Beispiele in Kapitel 2). Man beachte aber, dass die Anwendung des Korrespondenz- prinzips unter gewissen Einschr¨ ankungen leidet (siehe Primas und M¨ uller-Herold (1990), Kapitel 3.2.1 und 3.2.2). Zus¨ atzlich muss der Spin ber¨ ucksichtigt werden. Abgeschlossene Systeme sind eine Idealisierung. Bei der Aufstellung des Hamilton-Operators m¨ ussen alle Beitr¨ age ber¨ ucksichtigt werden, die f¨ ur die Problemstellung relevant sind. 3-1

Kapitel 3 Postulate und Theoreme der Quantenmechanikn.ethz.ch/~nielssi/download/4. Semester/PC III Molekulare... · 3-2 3 Postulate und Theoreme der Quantenmechanik Beispiel: Wassersto

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  • Kapitel 3

    Postulate und Theoreme der

    Quantenmechanik

    Der Formalismus der Quantenmechanik lässt sich durch eine Reihe von Postulaten einführen.

    Diese Postulate sind plausibel, (siehe auch Kapitel 2) können aber letzlich nicht bewiesen

    werden. Sie haben, wie andere Theorien, ihre Berechtigung in der Tatsache, dass sie ein Vielzahl

    von Phänomenen zutreffend voraussagen. Die in diesem Kapitel vorgestellten Postulate (und das

    Postulat der Existenz des Spins) sollen im Sinne einer Arbeitsvorschrift für quantenmechanische

    Rechnungen und weniger im Sinn einer rigorosen mathemiatischen Behandlung verstanden

    werden. So sind denn auch Wortlaut und Anzahl der Postulate in verschiednen Büchern die

    diesen Formalismus benutzen unterscheidlich.

    Es wird empfohlen vor diesem Kapitel die mathematische Repetition im Anhang C zu konsul-

    tieren.

    3.1 Postulat 1: Wie beschreibt man ein Quantensystem

    In der Quantenmechanik wird ein abgeschlossenes System durch seinen Hamilton-Operator

    Ĥ strukturell vollständig charakterisiert.

    • Den Hamilton-Operator erhält man üblicherweise gemäss dem Korrespondenzprinzip (sie-he Beispiele in Kapitel 2). Man beachte aber, dass die Anwendung des Korrespondenz-

    prinzips unter gewissen Einschränkungen leidet (siehe Primas und Müller-Herold (1990),

    Kapitel 3.2.1 und 3.2.2). Zusätzlich muss der Spin berücksichtigt werden.

    • Abgeschlossene Systeme sind eine Idealisierung.

    • Bei der Aufstellung des Hamilton-Operators müssen alle Beiträge berücksichtigt werden,die für die Problemstellung relevant sind.

    3-1

  • 3-2 3 Postulate und Theoreme der Quantenmechanik

    Beispiel: Wasserstoffatom

    1. Ĥ1 = −~2

    2me∆e −

    e2

    4πε0|rep|

    Ĥ1 beschreibt nur die elektrostatischen Wechselwirkungen im Wasserstoffatom.

    Zusätzlich wird angenommen, dass der Kern keine kinetische Energie aufweist. Ist

    man primär an der Bewegung des Elektrons interessiert, ist Ĥ1 eine vernünftige Wahl.

    Interessiert man sich dagegen für die magnetische Wechselwirkung zwischen Elektro-

    nenspin und Protonenspin oder für die Bewegung des Wasserstoffatoms im Raum,

    ist Ĥ1 klar ungeeignet.

    2. Ĥ2 = −~2

    2me∆e −

    ~2

    2mp∆p −

    e2

    4πε0|rep|

    Ĥ2 berücksichtigt zusätzlich zu Ĥ1 noch die kinetische Energie des Protons.

    3. Ĥ3 = Ĥ2 + Ĥmagn (+...)

    Ĥ3 berücksichtigt zusätzlich zu Ĥ2 noch magnetische (und weitere) Wechselwirkun-

    gen.

    4. Ĥ4 = −~γB0ŝz

    Interessiert man sich nur für die Wechselwirkungen des Kernspins des Protons (zum

    Bespiel in einem NMR Experiment), kann nur dieser Teil berücksichtigt werden.

    3.2 Postulat 2: was ist ein Zustand

    Während er Hamiltonoperator ein System strukturell charakteriert kann sich das System in

    unendlich vielen verschiedenen Zuständen befinden.

    Der Zustand eines Systems und das Ergebnis aller physikalischen Messungen ist durch

    die Angabe der Wellenfunktion Ψ des Systems charakterisiert. Ψ ist ein Element eines

    Vektorraums der durch die Eigenfunktionen ϕn des Hamilton-Operators Ĥ (oder eines

    anderen quantenmechanischen Operators) aufgespannt wird.

    Der Vektorraum der Eigenfunktionen ist ein sogenannter Hilbert-Raum, d.h., es ist ein Innen-

    oder Skalarprodukt∫ϕ∗nϕm dτ

    def.=

    ∞∫−∞

    ∞∫−∞

    · · ·ϕ∗n(x1, x2, . . .)ϕm(x1, x2, . . .) dx1 dx2 · · · (3.1)

    definiert. ϕ∗n ist die komplex-konjugierte Funktion von ϕn, und das Integral∫

    dτ steht hier

    und im Rest des Skriptes stellvertretend für die Intergration über den gesamten Bereich aller

    Vorlesungsskript PCIII

  • 3.2 Postulat 2: was ist ein Zustand 3-3

    Koordinaten, für den die Wellenfunktionen ϕn definiert sind ( dτ ist somit ein verallgemeinertes

    Volumenelement).

    Die Gesamtheit aller (im allgemeinen Fall komplexen) orthogonalen (d.h.∫ϕ∗nϕm dτ = 0 für

    n 6= m) und normierten (d.h.∫ϕ∗nϕn dτ = 1) Eigenfunktionen ϕn bildet eine vollständige Basis

    des Hilbert-Raumes. Jede beliebige Zustandsfunktion Ψ in diesem Raum kann als Linearkom-

    bination der Basisfunktionen ϕn dargestellt werden:

    Ψ =∑n

    cn ϕn . (3.2)

    Beispiel : Das Teilchen im eindimensionalen Kasten

    Der Hamilton-Operator Ĥ für ein Teilchen der Masse m in einem eindimensionalen Kasten

    der Länge L beträgt

    Ĥ = − ~2

    2m

    d2

    dx2+ V (x) mit V (x) =

    {0 0 < x < L

    ∞ sonst. (3.3)

    Da sich das Teilchen nicht in einem”verbotenen“ Bereich aufhalten darf (wo das Potential

    V (x) =∞ ist), gilt für die Wellenfunktion ausserhalb des Kastens Ψ(x) = 0 (für x < 0 undx > L). Da die Wellenfunktion stetig ist, muss Ψ(x) am Rande des Kastens null sein. Dies

    sind die Randbedingungen, die für die Lösungen der Differentialgleichung gelten müssen.

    Im Inneren des Kastens (mit V (x) = 0) lautet die Schrödinger-Gleichung

    − ~2

    2m

    d2

    dx2ϕn(x) = En ϕn(x) . (3.4)

    Die allgemeine Lösung für das Problem lautet

    ϕn(x) = A cos(kn x) +B sin(kn x) . (3.5)

    Mit Hilfe der Randbedingungen können A und k bestimmt werden:

    ϕn(0) = 0 ⇒ A = 0 (3.6)

    ϕn(L) = B sin(kn L) = 0 ⇒ kn L = nπ ⇒ kn =nπ

    Lmit n = 1, 2, ... . (3.7)

    Nach Normierung der Wellenfunktion erhält man

    ϕn(x) =

    √2

    Lsin(nπLx). (3.8)

    Die Eigenfunktionen ϕn und Eigenwerte En sind also

    ϕn(x) =

    √2

    Lsin(nπLx)

    (3.9)

    En =h2n2

    8mL2mit n = 1, 2, 3, ... . (3.10)

    Vorlesungsskript PCIII

  • 3-4 3 Postulate und Theoreme der Quantenmechanik

    Gemäss Postulat 2 kann eine beliebige Funktion Ψ auf dem endlichen Intervall [0, L] mit

    Ψ(0) = Ψ(L) = 0 als Linearkombination der Eigenfunktionen ϕn dargestellt werden:

    Ψ(x) =∞∑n=1

    cn

    √2

    Lsin(nπ x

    L

    ). (3.11)

    Die Gleichung (3.11) ist nichts anderes als die Fourier-Reihenentwicklung einer beliebigen

    ungeraden Funktion auf dem Intervall [0, L].

    3.3 Postulat 3: Was sind Observable

    Die potentiell messbaren physikalischen Eigenschaft eines Systems entspricht ein selbst-

    adjungierter, linearer Operator  (hermitescher Operator). Dieser physikalischen Eigen-

    schaft kann genau dann ein Wert zugeordnet werden, wenn der Zustandsvektor Ψ des

    Systems ein Eigenvektor von  ist, d.h. Ψ = ϕn mit Âϕn = anϕn. Dann hat die physika-

    lische Eigenschaft den Wert an.

    Wenn eine Wellenfunktion Ψ(t) zu einem Zeitpunkt t in einem Eigenvektor der Observablen Â

    ist, sagt man auch etwa, dass die zugehörigen Eigenschaft aktualisiert ist. Für alle Zustände ak-

    tualisierte Eigenschaften heissen klassische Eigenschaften. In der chemischen Quantenmechanik

    sind das etwa die Masse oder die Ladung eines Teilchens.

    3.4 Postulat 4: Erwartungswerte

    Der Erwartungswert ā einer Observablen  für ein System mit normierter Zustandsfunk-

    tion Ψ (∫Ψ ∗Ψ dτ = 1) ist gegeben durch

    ā = 〈Â〉 =∫Ψ ∗ Â Ψ dτ . (3.12)

    Wenn Ψ nicht normiert ist, ist der Erwartungswert gegeben durch

    〈Â〉 =∫Ψ ∗ Â Ψ dτ∫Ψ ∗ Ψ dτ

    . (3.13)

    Vorlesungsskript PCIII

  • 3.4 Postulat 4: Erwartungswerte 3-5

    Da der Zustandsvektor des Systems eine Linearkombination der orthonormierten Eigenfunktio-

    nen ϕn von  ist (Ψ =∑

    n cn ϕn, siehe Postulat 2), erhält man aus (3.16)∫Ψ ∗ Â Ψ dτ =

    ∫ ∑n

    c∗n ϕ∗n Â

    ∑m

    cm ϕm dτ =∑n

    ∑m

    c∗n cm

    ∫ϕ∗n  ϕm dτ

    =∑n

    ∑m

    c∗n cm am

    ∫ϕ∗n ϕm dτ =

    ∑n

    ∑m

    c∗n cm am δnm

    =∑n

    |cn|2 an =∑n

    pn an . (3.14)

    Eine Messung der physikalischen Eigenschaft  an einem System mit Zustandsfunktion Ψ ergibt

    immer einen der Eigenwerte von  und zwar den Wert an mit der Wahrscheinlichkeit pn = |cn|2.Der Erwartungswert ā wird interpretiert als arithmetischer Mittelwert der Messwerte von  an

    einer grossen Anzahl gleichartiger Systeme mit gleicher Zustandsfunktion Ψ .

    Beispiel : Messung des Impulses eines Teilchens in einem eindimensionalen Kasten

    Wir betrachten ein Teilchen im Kasten mit normierter Zustandsfunktion

    Ψn(x) =

    √2

    Lsin(kn x) =

    1

    2i

    √2

    L

    (eiknx − e−iknx

    )mit kn =

    L. (3.15)

    Ψn(x) ist eine Eigenfunktion des Hamilton-Operators Ĥ, aber nicht des Impulsoperators

    p̂x. Ψn(x) kann aber als Linearkombination der Eigenfunktionen von p̂x (eiknx und e−iknx)

    dargestellt werden. Eine Messung des Impulses ergibt einen der Eigenwerte von p̂x, hier

    entweder ~2k2n2m

    (für eiknx) oder −~2k2n2m

    (für e−iknx). Aus der zweiten Zeile von Gleichung (3.18)

    sieht man, dass 〈px〉 = 0, da c+kn = −c−kn (Überlagerung von Bewegungen in entgegen-gesetzter Richtung). Dasselbe Ergebnis kann auch durch direkte Integration gemäss (3.16)

    erhalten werden:

    〈p̂x〉n =∞∫

    −∞

    Ψ ∗n(x)p̂xΨn(x) dx =2

    L

    L∫0

    sin(kn x)

    (−i ~ d

    dxsin(kn x)

    )dx

    = −i2~knL

    L∫0

    sin(kn x) cos(kn x) dx = −i~knL

    L∫0

    sin(2kn x) dx

    =i~2L

    [cos(2kn x)]L0 =

    i~2L

    [cos(2nπ)− cos(0)] = 0 . (3.16)

    Direkt nach der Messung einer Observablen ist das System in einem Eigenzustand ϕn des

    Messoperators Â. Damit führen weitere (identische Messungen) am System immer zum

    selben Ergebnis an.

    Vorlesungsskript PCIII

  • 3-6 3 Postulate und Theoreme der Quantenmechanik

    Eine Messung ändert im Allgemeinen den Zustand eines Systems. Die Superposition in Glei-

    chung (3.2) wird bei einer Messung der Eigenschaft  auf einen Term reduziert. Diese höchst be-

    merkenswerte Eigenschaft von quantenmechanischen Messungen wird manchmal in Textbüchern

    als”Zustandsreduktion“ oder

    ”Reduktion des Wellenpakets“ (

    ”collapse of the wave packet“)

    bezeichnet (siehe z.B. Messiah (1990–1991), Kap. 5.4; Cohen-Tannoudji et al. (1999), Kap. 3.2;

    Merzbacher (1998), Kap. 16.8).

    Beispiel : Das freie Teilchen (siehe auch Diskussion in Kapitel 2.4)

    Die Funktion

    ϕk(x) = eikx (3.17)

    ist eine Eigenfunktion von p̂x mit dem Eigenwert px,k = ~k, und die Funktion

    ϕ−k(x) = e−ikx (3.18)

    ist eine Eigenfunktion von p̂x mit Eigenwert px,k = −~k. Die Funktion

    Ψ±k(x) = ϕk(x)± ϕ−k(x) = A(eikx ± e−ikx

    )(3.19)

    ist aber keine Eigenfunktion von p̂x. Eine Messung der Grösse px ergibt entweder den Wert

    ~k oder −~k. Nach der Messung hat das System einen wohldefinierten Impuls px,k = ~koder px,k = −~k und seine Zustandsfunktion ist ϕk oder ϕ−k.

    �kxMessung 1

    von px

    ’kx

    ’�kx

    px �k

    px ��k

    50% Wahrscheinlichkeit

    50% Wahrscheinlichkeit

    Messung 2

    px �k

    px ��k

    ’kx

    ’�kx

    (3.20)

    Eine Messung entspricht einer nicht deterministischen Projektion von Ψ auf die Eigenfunk-

    tionen ϕk und ϕ−k des Operators p̂x mit den Eigenwerten ±~k. Wenn das System nacheiner Messung im Zustand ϕk (oder ϕ−k) befindet, ergeben alle weiteren Messungen den

    Wert px,k = ~k (oder −~k).

    Vorlesungsskript PCIII

  • 3.5 Postulat 5: Zeitabhängige Schrödingergleichung 3-7

    3.5 Postulat 5: Zeitabhängige Schrödingergleichung

    Die Zeitevolution eines abgeschlossenen Quantensystems das durch den Hamilton Opera-

    tor Ĥ charakterisiert ist, ist durch die zeitabhängige Schrödingergleichung gegeben. Diese

    Gleichung beschreibt die Zeitevolution von

    i ~∂Ψ

    ∂t= ĤΨ , (3.21)

    gegeben. Diese Gleichung beschreibt die Zeitevolution der Wellenfunktion falls der An-

    fangszustand Ψ(0) bekannt ist und gilt auch, wenn der Hamiltonoperator zeitabhängig

    ist.

    Daraus folgt sofort die (siehe Kapitel 2) zeitunabhängige Schrödingergleichung für stati-

    onäre Zustande:

    ĤΨ = EΨ (3.22)

    Hier muss der Hamiltonopertor zeitunabhängig sein.

    3.6 Postulat 6: Komposition von Quantensystemen

    Fasst man zwei unabhängige Quantensysteme mit den Hilberträumen H1 und H2 zu einem

    einzigen zusammen, ist der Hilbertraum des Gesamtsystems gegeben durch das Tensor-

    produkt

    H = H1 ⊗H2 (3.23)

    Sind die beiden Teilsysteme Wechselwirkungsfrei, ist der Hamiltonoperator die Summe

    von H1 und H2

    H = Ĥ1 ⊕ Ĥ2 = Ĥ1 ⊗ 1̂ + 1̂⊗ Ĥ2 (3.24)

    3.7 Separabilität der Schrödinger-Gleichung

    Besteht der Hamilton-Operator Ĥ eines abgeschlossenen Systems aus zwei oder mehreren Ope-

    ratoren (Ĥa, Ĥb, etc.), die sich auf separate Variablenräume auswirken, ist die entsprechende

    Schrödinger-Gleichung separabel. Es gilt

    Ĥ(~̂pi, ~̂qi)

    i=1,2,...,n

    = Ĥa(~̂pj, ~̂qj)

    j=1,2,...,m

    Teilsystem A

    ⊕ Ĥb(~̂pk, ~̂qk)k=m+1,...,n

    Teilsystem B

    (mit k 6=j)

    (3.25)

    Vorlesungsskript PCIII

  • 3-8 3 Postulate und Theoreme der Quantenmechanik

    mit

    Ĥa(~̂pj, ~̂qj)ϕa,na(~qj) = Ea,naϕa,na(~qj) (3.26)

    und

    Ĥb(~̂pk, ~̂qk)ϕb,nb(~qk) = Eb,nbϕb,nb(~qk) . (3.27)

    Die Lösung der Schrödinger-Gleichung des Gesamtsystems

    Ĥ(~̂pi, ~̂qi)Ψna,nb(~qi) = Ena,nbΨna,nb(~qi) (3.28)

    lässt sich aus den Lösungen der Schrödinger-Gleichung der Teilsysteme (3.130) und (3.131)

    unmittelbar bestimmen als

    Ena,nb = Ea,na + Eb,nb (3.29)

    und

    Ψna,nb(~qi) = ϕa,na(~qj) · ϕb,nb(~qk) , (3.30)

    wie man mit Hilfe der Gleichungen (3.129) bis (3.134) leicht zeigen kann (siehe Gleichung (3.135)).

    Die Eigenwerte des Hamilton-Operators Ĥ sind also Summen der Eigenwerte der Hamilton-

    Operatoren der Teilsysteme Ĥa resp. Ĥb. Die entsprechenden Eigenfunktionen des Hamilton-

    Operators Ĥ sind Produkte der entsprechenden Eigenfunktionen von Ĥa und Ĥb.

    Beweis :

    ĤΨ(~qi) =(Ĥa ⊕ Ĥb

    )ϕa,na(~qj)ϕb,nb(~qk)

    = Ĥaϕa,na(~qj)ϕb,nb(~qk) + Ĥbϕa,na(~qj)ϕb,nb(~qk)

    = ϕb,nb(~qk) Ĥaϕa,na(~qj)︸ ︷︷ ︸Ea,naϕa,na (~qj)

    +ϕa,na(~qj) Ĥbϕb,nb(~qk)︸ ︷︷ ︸Eb,nbϕb,nb (~qk)

    = (Ea,na + Eb,nb)ϕa,na(~qj)ϕb,nb(~qk) = Ena,nbΨ(~qi) (3.31)

    Der Vorteil der Separabilität liegt daran, dass es wesentlich einfacher ist, mehrere quantenme-

    chanische Probleme niedrigerer Dimensionalität zu lösen, als ein einziges quantenmechanisches

    Problem hoher Dimensionalität.

    Beispiel : Man betrachtet ein Teilchen im hypothetischen, schwer zu visualisierenden vier-

    dimensionalen Kasten. Es gilt

    V (w, x, y, z) =

    {0 für 0 < w < La, 0 < x < Lb, 0 < y < Lc, 0 < z < Ld

    ∞ sonst.(3.32)

    Vorlesungsskript PCIII

  • 3.7 Separabilität der Schrödinger-Gleichung 3-9

    Das System lässt sich mit dem Hamilton-Operator

    Ĥ = − ~2

    2m

    ∂2

    ∂w2︸ ︷︷ ︸Ĥa

    − ~2

    2m

    ∂2

    ∂x2︸ ︷︷ ︸Ĥb

    − ~2

    2m

    ∂2

    ∂y2︸ ︷︷ ︸Ĥc

    − ~2

    2m

    ∂2

    ∂z2︸ ︷︷ ︸Ĥd

    (3.33)

    beschreiben. Das Problem ist in vier Teilprobleme (Ĥa, Ĥb, Ĥc und Ĥd) separabel. Es gilt

    Ĥaϕa,na(w) = Ea,naϕa,na(w) (3.34)

    mit

    Ea,na =h2n2a8mL2a

    und ϕa,na(w) =

    √2

    Lasin

    (naπw

    La

    ). (3.35)

    Analog können die Teilprobleme für Ĥb, Ĥc und Ĥd gelöst werden. Die Lösung des Ge-

    samtproblems lautet dann

    Ena,nb,nc,nd = Ea,na + Eb,nb + Ec,nc + Ed,nd (3.36)

    mit der Wellenfunktion

    Ψna,nb,nc,nd(w, x, y, z) =4√

    LaLbLcLdsin

    (naπw

    La

    )sin

    (nbπx

    Lb

    )sin

    (ncπy

    Lc

    )sin

    (ndπz

    Ld

    ).

    (3.37)

    Es existieren vier Quantenzahlen, da das Problem vierdimensional ist.

    Näherungsweise Separabilität

    Oftmals ist die Schrödinger-Gleichung von quantenmechanischen Problemen nur näherungswei-

    se separabel:

    Ĥ(~̂pi, ~̂qi)

    i=1,2,...,n

    = Ĥa(~̂pj, ~̂qj)

    j=1,2,...,m

    Teilsystem A

    + Ĥb(~̂pk, ~̂qk)

    k=m+1,...,n

    Teilsystem B

    + Ĥ ′(~̂pi, ~̂qi)︸ ︷︷ ︸”Störung“ (klein) (mit k 6=j)

    (3.38)

    Wenn Ĥ ′ klein ist, dann sind ϕa,na(~qj)ϕb,nb(~qk) den Eigenfunktionen von Ĥ sehr ähnlich und

    können als Näherungen nullter Ordnung für diese exakten Eigenfunktionen verwendet werden

    (siehe auch Kapitel 7 zur Definition der Näherung nullter, erster, zweiter, ... Ordnungen).

    In Kapitel 7 wird gezeigt, wie weitere, bessere Näherungen für die exakten Eigenfunktionen von

    (3.142) im Rahmen der Störungstheorie bestimmt werden können.

    Vorlesungsskript PCIII

  • 3-10 3 Postulate und Theoreme der Quantenmechanik

    3.8 Postulat 7: Verallgemeinertes Pauliprinzip

    Quantenmechanische Elementarsysteme mit gleicher Masse, gleichem Spin und gleichen

    elektromagnetischen Momenten sind strikte identisch. Die Zustandsfunktion ist entwe-

    der symmerisch, oder antisymmetrisch gegenüber der Vertauschung von zwei beliebigen

    Teilchenkoordinagten:

    Ψ(~r1,m1, ..., ~rk,mk, ..., ~rj,mj, ...~rN ,mN) = ±Ψ(~r1,m1, ..., ~rj,mj, ..., ~rk,mk, ...~rN ,mN)(3.39)

    wobei die symmerische Version für Bosonen gilt (Teilchen mit ganzzahligem Spin

    (s=0,1,2...)) und die antisymmetrische Version for halbganzzahligen Spin.

    3.9 Die Bra-Ket-Notation von Dirac

    Das Skalarprodukt von zwei komplexwertigen Funktionen ϕm und ϕn kann geschrieben werden

    als ∫ϕ∗m ϕn dτ

    def.= 〈ϕm |ϕn〉

    def.= 〈m |n〉 , (3.40)

    wobei m und n Indizes für die Eigenfunktionen und die Eigenwerte und ϕ∗m die komplexkonju-

    gierte Funktion von ϕm darstellen (siehe Gleichung (3.1) und Anhang C). Das Integral∫ϕ∗m  ϕn dτ (3.41)

    ist ebenfalls ein Skalarprodukt zwischen den Funktionen ϕm und Âϕn. Es gilt∫ϕ∗m  ϕn dτ

    def.= 〈ϕm | Â ϕn〉

    def.= 〈m | Â |n〉 . (3.42)

    Diese Notation wurde von Paul Adrien Maurice Dirac (1902–1984) eingeführt und wird als

    Bra-Ket-Notation bezeichnet.i Als”Bra-Vektor“ wird der Teil 〈m| und als

    ”Ket-Vektor“ der

    Teil |n〉 (oder Â|n〉) bezeichnet. Der Vorteil dieser Schreibweise liegt in ihrer Kompaktheit.

    Man kann den Erwartungswert aus Gleichung (3.18) in Bra-Ket-Notation schreiben als∫Ψ ∗ Â Ψ dτ =

    ∑n

    ∑m

    c∗n cm 〈n | Â |m〉 =∑n

    ∑m

    c∗n cm am 〈n |m〉

    =∑n

    ∑m

    c∗n cm am δnm =∑n

    |cn|2 an . (3.43)

    i P. A. M. Dirac,”A new notation for quantum mechanics“, Proc. Cambridge Philos. Soc. 35, 416–418 (1939);

    P. A. M. Dirac,”The Principles of Quantum Mechanics“, Clarendon Press, Oxford UK, 1947 (3rd ed).

    Vorlesungsskript PCIII

  • 3.10 Matrixdarstellung quantenmechanischer Operatoren 3-11

    3.10 Matrixdarstellung quantenmechanischer Operato-

    ren

    Es sei {ϕn} eine vollständige, orthonormierte Basis von Eigenfunktionen des quantenmecha-nischen Operators  (siehe Postulat 2).  kann als Matrix dargestellt werden, wobei für die

    Elemente der Matrix

    Anm =

    ∫ϕ∗n  ϕm dτ = 〈n |  |m〉 (3.44)

    gilt.

    Beispiel : Teilchen im Kasten

    Die Lösungen der Schrödinger-Gleichung für das Teilchen im Kasten lauten

    ϕn(x) =

    √2

    Lsin(nπ x

    L

    )(3.45)

    mit den Eigenwerten

    En =h2n2

    8mL2. (3.46)

    Die Matrixelemente der Hamilton-Matrix lauten gemäss Gleichung (3.25)

    Hkn = 〈k|Ĥ|n〉 = 〈k|En|n〉 = En〈k|n〉 = En δkn . (3.47)

    Die Hamilton-Matrix lautet somit

    H =

    H11 H12 H13 . . .

    H21 H22 H23 . . .

    H31 H32 H33 . . ....

    ......

    . . .

    =

    h2

    8mL20 0 . . .

    0 4h2

    8mL20 . . .

    0 0 9h2

    8mL2. . .

    ......

    .... . .

    . (3.48)

    Die Matrix ist diagonal, weil ϕn Eigenfunktionen des Hamilton-Operators Ĥ sind.

    Beispiel : Matrixdarstellungen der Operatoren x̂ und p̂x für das Teilchen im eindimensio-

    nalen Kasten

    (x̂)mn = 〈m|x̂|n〉 =2

    L

    L∫0

    sin(mπx

    L

    )x sin

    (nπxL

    )dx (3.49)

    (p̂x)mn = 〈m|p̂x|n〉 =2

    L

    L∫0

    sin(mπx

    L

    ) (−i~ d

    dxsin(nπxL

    ))dx (3.50)

    Die Berechnung von Matrixelementen wird in einer Übung detailliert behandelt.

    Vorlesungsskript PCIII

  • 3-12 3 Postulate und Theoreme der Quantenmechanik

    Da der Lösungsraum unendlich-dimensional ist, werden die Operatoren durch unendlich-

    dimensionale Matrizen dargestellt.

    3.11 Theorem 1

    Selbstadjungierte, lineare Operatoren haben reelle Eigenwerte.

    Beweis :

    Wenn der Operator  selbstadjungiert ist, gilt

    Aij = A∗ji oder 〈i | Â | j〉 = 〈j | Â | i〉∗ . (3.51)

    Damit ist ∫ϕ∗i  ϕj dτ =

    [∫ϕ∗j  ϕi dτ

    ]∗=

    ∫ (Â ϕi

    )∗ϕj dτ . (3.52)

    Ist nun ϕi eine Eigenfunktion von  zum Eigenwert b, erhält man für i = j

    b

    ∫ϕ∗i ϕi dτ = b

    ∗∫ϕ∗i ϕi dτ . (3.53)

    Daraus folgt, dass

    b = b∗ ⇒ b reell q.e.d. (3.54)

    Bei einer Messung der Eigenschaft  erhält man immer einen der Eigenwerte von  (siehe

    Postulat 3). Das Ergebnis von Messungen kann nur reell sein. Deshalb sind quantenmechanische

    Operatoren selbstadjungiert (siehe auch Anhang C).

    3.12 Theorem 2

    Eigenfunktionen von selbstadjungierten Operatoren sind orthogonal, wenn sie verschiedene

    Eigenwerte haben.

    Beweis :

    Es seien

    Â ϕ1 = a1 ϕ1 (3.55)

    und

    Vorlesungsskript PCIII

  • 3.13 Theorem 3 3-13

    Â ϕ2 = a2 ϕ2 mit a1 6= a2 . (3.56)

    Man muss beweisen, dass∫ϕ∗1 ϕ2 dτ = 0, also dass 〈1 | 2〉 = 0. Da der Operator  selbstadjun-

    giert ist, gilt

    〈1 | Â | 2〉 = 〈2 | Â | 1〉∗ (3.57)

    und somit

    a2 〈1 | 2〉 = a∗1 〈2 | 1〉∗ = a∗1 〈1 | 2〉 . (3.58)

    Weil Eigenwerte von selbstadjungierten Operatoren reell sind, muss gelten:

    a∗1 = a1 und a∗2 = a2 . (3.59)

    Es gilt daher die Beziehung

    a2 〈1 | 2〉 = a1 〈1 | 2〉 (3.60)

    respektive

    (a2 − a1) 〈1 | 2〉 = 0 . (3.61)Da aber a1 6= a2, folgt

    〈1 | 2〉 = 0 q.e.d. (3.62)

    Wenn zwei oder mehrere Eigenfunktionen denselben Eigenwert haben, sind sie nicht auto-

    matisch orthogonal. Sie können aber immer orthogonal gewählt werden (siehe z.B. Gram-

    Schmidtsches Orthogonalisierungsverfahren).

    3.13 Theorem 3

    Wenn zwei Operatoren  und B̂ eine gemeinsame Basis von Eigenfunktionen ϕi haben,

    dann vertauschen  und B̂.

    Beweis :

    Es seien  ϕi = si ϕi und B̂ ϕi = ti ϕi für alle i. Man muss beweisen, dass [Â, B̂] = 0. Es gilt

    (ÂB̂ − B̂Â

    )Ψ =

    (ÂB̂ − B̂Â

    ) (∑i

    ci ϕi

    )=∑i

    ci

    [Â(B̂ ϕi

    )− B̂

    (Â ϕi

    )]=∑i

    ci

    [ti  ϕi − si B̂ ϕi

    ]=∑i

    ci [ti si − si ti]ϕi = 0 q.e.d. (3.63)

    Vorlesungsskript PCIII

  • 3-14 3 Postulate und Theoreme der Quantenmechanik

    3.14 Theorem 4

    Wenn zwei Operatoren vertauschen, dann kann man eine gemeinsame (vollständige) Basis

    von Eigenfunktionen der beiden Operatoren ermitteln.

    Beweis :

    Es seien ϕi die Eigenfunktionen eines Operators B̂.

    B̂ ϕi = ti ϕi (3.64)

    Man muss zeigen, dass ϕi auch Eigenfunktionen von  sind, wenn ÂB̂ − B̂ = 0. Dazu wird von links auf beiden Seiten von (3.45) angewandt:

    ÂB̂ ϕi = Â ti ϕi . (3.65)

    Da  und B̂ vertauschen, kann diese Gleichung geschrieben werden als

    B̂ ϕi = ti  ϕi . (3.66)

    Also ist (Â ϕi) auch eine Eigenfunktion von B̂ mit demselben Eigenwert ti. Das kann nur der

    Fall sein, wenn  ϕi = si ϕi, d.h. wenn ϕi eine Eigenfunktion von  ist. Falls ϕi nicht entartet

    ist, gilt

    Â ϕi = si ϕi ∀ i q.e.d. (3.67)

    Falls ϕi entartet ist, ist der Beweis aufwändiger (siehe Merzbacher (1998), Kap. 10.4).

    3.15 Die Bornsche Interpretation der Wellenfunktion

    Man betrachte ein Teilchen (ohne Spin) mit Ladungszahl Z. Klassisch betrachtet ist die La-

    dungsdichte eines Punktteilchens

    ρ(~r) = Z e δ(~r − ~q) , (3.68)

    wobei δ(x) die Deltafunktioni und ~q den Ortsvektor des Teilchens darstellen. Das Korrespon-

    denzprinzip besagt, dass

    ρ̂(~r) = Z e δ(~r − ~̂q

    ). (3.69)

    i Die Deltafunktion δ(x), die keine eigentliche Funktion im streng mathematischen Sinn ist, wurde von P. A. M.

    Dirac [Proc. R. Soc. London Ser. A 113, 621–641 (1927)] zur vereinfachten Schreibweise eingeführt. Für sie

    gelten die Beziehungen∞∫−∞

    δ(x) dx = 1

    und

    δ(x) = 0 für x 6= 0 .

    Vorlesungsskript PCIII

  • 3.16 Akzeptable Wellenfunktionen 3-15

    Der Erwartungswert der Ladungsdichte ρ̂(~r) beträgt

    〈ρ̂ (~r)〉 = Z e∫Ψ ∗ (~q) δ

    (~r − ~̂q

    )Ψ (~q) dq3 = Z e |Ψ(~r)|2 , (3.70)

    wobei dq3 = dx dy dz das Volumenelement bei der Integration über den gesamten Raum

    darstellt.

    Max Born (1882–1970) schlug 1926 eine heute allgemein akzeptierte und aufgrund von (3.51)

    leicht nachvollziehbare Interpretation für das Betragsquadrat |Ψ(x, y, z)|2 einer Wellenfunktionvor.

    Die Wahrscheinlichkeit, ein durch die Wellenfunktion beschriebenes Teilchen innerhalb

    eines infinitesimalen Volumens dV = dx dy dz an der Stelle (x, y, z) vorzufinden ist

    |Ψ(~r)|2 dV . Zur Bestimmung der Wahrscheinlichkeit P , das Teilchen in einem endlichenVolumen V zu finden, muss das Betragsquadrat der Wellenfunktion über das entsprechen-

    de Volumen integriert werden. Es gilt

    P =

    ∫∫∫|Ψ(x, y, z)|2 dV . (3.71)

    Verallgemeinert auf mehrere Teilchen mit Spin mi gilt

    |Ψ (~r1,m1, ~r2,m2, ...) |2 dr31 dr32 ... = |Ψ |2 dτ . (3.72)

    Dabei ist (3.53) die Wahrscheinlichkeit, Teilchen 1 im Volumenelement dr31 am Ort ~r1 mit

    Spin m1, Teilchen 2 im Volumenelement dr32 am Ort ~r2 mit Spin m2, etc. aufzufinden und

    dτ ein verallgemeinertes Volumenelement.

    3.16 Akzeptable Wellenfunktionen

    Wellenfunktionen müssen gewisse Bedingungen erfüllen. Zwei Bedingungen lassen sich von der

    Bornschen Wahrscheinlichkeitsinterpretation der Wellenfunktion ableiten:

    1. Ψ(x) muss quadratisch integrierbar sein und darf nicht über einen endlichen Bereich

    unendlich sein:

    ∞∫−∞

    Ψ ∗(x)Ψ(x) dx

  • 3-16 3 Postulate und Theoreme der Quantenmechanik

    Zwei weitere Bedingungen folgen aus der Tatsache, dass Ψ(x) eine Lösung einer Differential-

    gleichung 2. Ordnung ist:

    − ~2

    2m

    d2

    dx2Ψ(x) + V (x)Ψ(x) = E Ψ(x) . (3.74)

    Die zweite Ableitung von Ψ(x) muss also existieren.

    3. Ψ(x) muss stetig sein.

    4.dΨ(x)

    dxmuss differenzierbar sein, und ist im Allgemeinen, aber nicht immer, stetig.

    Beispiel : Die Stufen- oder Heaviside-Funktion H(x) (benannt nach dem englischen Physiker

    Oliver Heaviside, 1850–1925) als Beispiel einer unstetigen (verallgemeinerten) Funktion mit

    existierender Ableitung, der Diracschen Deltafunktion δ(x):

    f(x) =

    {0 für x < 0

    x für x ≥ 0

    f ′(x) = H(x) =

    {0 für x < 0

    1 für x ≥ 0

    f ′′(x) = δ(x) =

    {0 für x 6= 0∞ für x = 0

    Akzeptable Wellenfunktionen dürfen eine endliche Anzahl von Diskontinuitäten der Art,

    die in Abbildung 3-1 dargestellt ist, haben.

    Abbildung 3-1: Darstellung einer akzep-

    tablen Wellenfunktion f(x), deren erste

    Ableitung f ′(x), die Heaviside-Funktion,

    eine Unstetigkeitsstelle aufweist.

    x

    x

    x

    0

    0

    0

    1

    1

    1

    1

    1

    1f(x)

    f ′(x)

    f ′′(x)

    f ′(x): Heaviside-Funktion

    f ′′(x): Dirac-δ-Funktion

    Vorlesungsskript PCIII

  • 3.17 Die Heisenbergsche Unbestimmtheitsrelation 3-17

    3.17 Die Heisenbergsche Unbestimmtheitsrelation

    Der Operator ∆ =  − 〈Â〉 gibt die Abweichung der Messwerte der Observablen  vomErwartungswert 〈Â〉 an. Die Dispersion (Streuung) der Messwerte der Observable  für einSystem mit Ψ als Anfangszustand ist somit gegeben durch

    σ2A,Ψ =

    〈(Â− 〈Â〉

    )2〉= 〈Â2 − 2Â 〈Â〉+ 〈Â〉2〉

    = 〈Â2〉 − 〈Â〉2 def.= (∆A)2 . (3.75)Analog gilt für die Observable B̂

    σ2B,Ψ = 〈B̂2〉 − 〈B̂〉2def.= (∆B)2 . (3.76)

    Es ist wichtig, den Unterschied zwischen ∆ und ∆A zu beachten. ∆A =

    √〈∆Â2〉 ist eine

    Zahl, die als statistische Unbestimmtheit (Streuung) einer Observablen interpretiert werden

    kann, und ∆ ist ein Operator. Die Beziehungen (3.56) und (3.57) folgen aus Postulat 4.

    1927 erkannte Werner Heisenberg (1901–1976) eine Beziehung, die Heisenbergsche Unbestimmt-

    heitsrelation,i nach welcher es unmöglich ist, den Wert zweier Observablen  und B̂, die nicht

    vertauschen, mit beliebiger Genauigkeit gleichzeitig zu bestimmen. Ein allgemeine Formulierung

    des der Unbestimmtehitsrelation ist die folgende (H.P. Roberstson, 1929) is die Folgende:

    ∆A∆B >1

    2

    ∣∣∣ 〈[Â, B̂]〉 ∣∣∣ . (3.77)Diese Beziehung besagt, dass das Produkt der Unbestimmtheiten zweier Observablen mit den

    Operatoren  und B̂ grösser sein muss als die Hälfte des Absolutbetrages des Erwartungswertes

    des Kommutators [Â, B̂] von  und B̂.

    Herleitung der Heisenbergschen Unbestimmtheitsrelation (Atkins und Friedman, 1997):

    Zuerst definiert man das Integral I:

    I =

    ∫Ψ ∗(α∆Â+ i∆B̂

    )(α∆Â− i∆B̂

    )Ψ dτ , (3.78)

    wobei α eine reelle Zahl darstellt.

    Im ersten Teil der Herleitung nutzt man die Selbstadjungiertheit der Operatoren ∆ und ∆B̂,

    um zu zeigen, dass I > 0:

    I =

    ∫ {(α∆Â+ i ∆B̂

    )∗Ψ}∗ {(

    α∆Â− i ∆B̂)Ψ}

    =

    ∫ {(α∆Â∗ − i ∆B̂∗

    )Ψ}∗ {(

    α∆Â− i ∆B̂)Ψ}

    =

    ∫ ∣∣∣(α∆Â− i ∆B̂)Ψ ∣∣∣2 dτ > 0 . (3.79)i W. Heisenberg,

    ”Über den anschaulichen Inhalt der quantentheoretischen Kinematik und Mechanik“,

    Z. Phys. 43, 172–198 (1927).

    Vorlesungsskript PCIII

  • 3-18 3 Postulate und Theoreme der Quantenmechanik

    Im zweiten Teil der Herleitung wird gezeigt, dass I zur Heisenbergschen Unbestimmtheitsrela-

    tion führt. Das Integral

    I =

    ∫Ψ ∗{α2∆Â2 + ∆B̂2 − iα

    [∆Â∆B̂ −∆B̂∆Â

    ]}Ψ dτ (3.80)

    kann, da ∆Â∆B̂ −∆B̂∆ = [∆Â,∆B̂] = ÂB̂ − B̂ =[Â, B̂

    ]gilt, umgeformt werden zu

    I =

    ∫Ψ ∗{α2∆Â2 + ∆B̂2 − iα

    [Â, B̂

    ]}Ψ dτ

    = α2〈∆Â2〉+ 〈∆B̂2〉 − iα〈[Â, B̂

    ]〉 . (3.81)

    Mit der Definition[Â, B̂

    ]= iĈ erhält man

    I = α2〈∆Â2〉+ 〈∆B̂2〉+ α〈Ĉ〉

    = 〈∆Â2〉

    {α +

    〈Ĉ〉2〈∆Â2〉

    }2− 〈Ĉ〉

    2

    4〈∆Â2〉+ 〈∆B̂2〉 > 0 . (3.82)

    Man wählt nun α so, dass der erste Term verschwindet. I wird dabei ein Minimum, aber die

    Ungleichheit besteht, so dass

    〈∆Â2〉 〈∆B̂2〉 > 〈Ĉ〉2

    4=

    ∣∣∣〈[Â, B̂]〉∣∣∣24

    . (3.83)

    Nimmt man die Wurzel auf beiden Seiten, so erhält man die Heisenbergsche Unbestimmtheits-

    relation

    ∆A∆B >1

    2

    ∣∣∣〈[Â, B̂]〉∣∣∣ . (3.84)Zwei Observablen  und B̂ können deshalb nur dann simultan genau (d. h. mit verschwindender

    Unbestimmtheit, ∆A = 0, ∆B = 0) bestimmt werden, wenn die entsprechenden Operatoren

    vertauschen (d. h. [Â, B̂] = 0).

    Beispiel : Ort-Impuls-Unbestimmtheitsrelation

    [x̂, p̂x] = i ~ (3.85)

    ∆x∆px >~2

    (3.86)

    Ort und Impuls eines Teilchens in x-Richtung können nicht gleichzeitig genau bestimmt

    werden.

    [x̂, p̂y] = 0 (3.87)

    Die x-Koordinate und die Komponente py des Impulses in y-Richtung können gleichzeitig

    genau bestimmt werden.

    Vorlesungsskript PCIII

  • 3.18 Das Variationsprinzip 3-19

    Beispiel : Unbestimmtheitsrelation für Energie und Zeit

    Aus der zeitabhängigen Schrödinger-Gleichung i ~∂Ψ∂t

    = ĤΨ [Gleichung (2.29)] ergibt sich

    formal die Vertauschungsrelation [Ĥ, t

    ]=

    [i ~∂

    ∂t, t

    ]= i ~ (3.88)

    und somit

    ∆E∆t >~2. (3.89)

    Daraus folgt, dass die Entscheidung, ob sich ein System in einem Eigenzustand der Energie

    Em oder En befindet, nicht in beliebig kurzer Zeit erfolgen kann, sondern eine Mindest-

    messzeit

    T >~2· 1|En − Em|

    (3.90)

    erfordert. Es soll allerdings drauf hingewiesen werden, dass die Formulierung wie wir sie

    hier gebrauchen nicht ganz sauber ist, da die Zeit ein Parameter und kein Operator ist.

    Daher gibt es strikte gesehen keine Vertauschungsrelation. Trotzdem gilt die hier gegebene

    Beziehung und wir werden später darauf zurückkommen.

    3.18 Das Variationsprinzip

    Man betrachtet ein System mit dem Hamilton-Operator Ĥ

    Ĥ ϕn = En ϕn mit E1 < E2 < E3 < ... . (3.91)

    Da die Eigenfunktionen ϕn eine orthogonale Basis bilden, gilt für eine beliebige Funktion (siehe

    Postulat 2)

    Ψ =∞∑n=1

    cn ϕn . (3.92)

    Wählt man Ψ normiert, dann ist 〈Ψ |Ψ〉 = 1, oder∑∞

    n=1 |cn|2 = 1.

    3.18.1 Variationsprinzip für den Grundzustand

    Der Erwartungswert des Hamilton-Operators Ĥ bezüglich einer beliebigen Funktion Ψ erfüllt

    die Bedingung

    〈Ψ |Ĥ|Ψ〉 > E1 . (3.93)

    Der Erwartungswert der Energie für ein Teilchen in einem beliebigen Zustand Ψ ist also im-

    mer grösser oder gleich der Grundzustandsenergie. Ist er gleich, handelt es sich bei Ψ um die

    Vorlesungsskript PCIII

  • 3-20 3 Postulate und Theoreme der Quantenmechanik

    Grundzustandswellenfunktion. Der Beweis von Gleichung (3.74) erfolgt durch Auswertung des

    Integrals unter Verwendung von (3.72) und (3.73):

    〈Ψ |Ĥ|Ψ〉 =

    〈∞∑n=1

    cnϕn

    ∣∣∣∣∣ Ĥ∞∑m=1

    cmϕm

    〉=∞∑n=1

    ∞∑m=1

    c∗n cm〈n|Ĥ|m〉

    =∞∑n=1

    ∞∑m=1

    c∗n cmEm〈n|m〉 =∞∑n=1

    |cn|2En =∞∑n=1

    |cn|2(E1 + (En − E1))

    = E1 +∞∑n=1

    |cn|2(En − E1) > E1 . (3.94)

    Wenn Ψ nicht normiert ist, muss man an Stelle von Gleichung (3.74)

    〈Ψ |Ĥ|Ψ〉〈Ψ |Ψ〉

    > E1 (3.95)

    benutzen.

    Beispiel : Für das Teilchen im eindimensionalen Kasten gelten die Randbedingungen

    Ψ(0) = 0 und Ψ(L) = 0 . (3.96)

    Wir wählen die Versuchsfunktion Ψ(x)

    Ψ(x) =

    {ax(L− x) für 0 6 x 6 L0 sonst

    , (3.97)

    die die Randbedingungen erfüllt und die der exakten Wellenfunktion ähnlich ist. Für die

    Normierung der Versuchsfunktion gilt

    〈Ψ |Ψ〉 =L∫

    0

    Ψ ∗Ψ dx = a2L∫

    0

    x2(L− x)2 dx

    = a2L5

    30!

    = 1 . (3.98)

    Man erhält

    〈Ψ |Ĥ|Ψ〉 = −a2~2

    2m

    L∫0

    (Lx− x2)(

    d2

    dx2(Lx− x2)

    )dx

    = −a2~2

    2m

    L∫0

    2(x2 − Lx

    )dx =

    a2~2L3

    6m

    =5h2

    4π2L2m= 0.1267

    h2

    mL2> E1 . (3.99)

    Vorlesungsskript PCIII

  • 3.18 Das Variationsprinzip 3-21

    Die exakte Lösung für den energetisch tiefsten Zustand des Teilchens im eindimensionalen

    Kasten lautet (siehe (3.10))

    E1 =h2

    8L2m= 0.125

    h2

    mL2. (3.100)

    x0 1

    Ψ(x)

    0

    15

    8L

    ϕ1(x)

    0

    2

    L

    ϕ1(x)

    Ψ(x)

    Abbildung 3-2: Darstellung der exakten Wellenfunktion ϕ1(x)

    für den Grundzustand des Teilchens im eindimensionalen Ka-

    sten, sowie der Versuchsfunktion Ψ(x).

    3.18.2 Das Ritzsche Variationsverfahren

    Das Ritzsche Variationsverfahreni ist ein numerisches Verfahren um eine Näherung der Grund-

    zustandsenergie und Grundzustandsfunktion zu erhalten. Man benutzt dazu eine Versuchsfunk-

    tion Ψ mit adjustierbaren Parametern und sucht das Minimum des Ausdrucks 〈Ψ |Ĥ|Ψ〉〈Ψ |Ψ〉 .

    Beispiel : Der Hamilton-Operator für den eindimensionalen harmonischen Oszillator lautet

    Ĥ = − ~2

    2m

    d2

    dx2+

    1

    2k x2 . (3.101)

    Die zu wählende Versuchsfunktion Ψ(x) muss die Randbedingungen

    Ψ(x)→ 0 für x→ ±∞

    erfüllen. Die einfachste Funktion, die diese Randbedingungen erfüllt, ist

    Ψ(x) = e−bx2

    (3.102)

    i Walter Ritz,”Über eine neue Methode zur Lösung gewisser Variationsprobleme der mathematischen Physik“,

    Journal für reine und angewandte Mathematik 135, 1–61 (1907).

    Vorlesungsskript PCIII

  • 3-22 3 Postulate und Theoreme der Quantenmechanik

    mit dem Parameter b. Somit erhält man

    〈Ψ |Ψ〉 =∞∫

    −∞

    e−2bx2

    dx =

    √π

    2b, (3.103)

    〈Ψ |Ĥ|Ψ〉 =∞∫

    −∞

    e−bx2

    [− ~

    2

    2m

    d2

    dx2+

    1

    2kx2]

    e−bx2

    dx

    = − ~2

    2m

    ∞∫−∞

    e−bx2 (

    4b2x2 − 2b)

    e−bx2

    dx+1

    2k

    ∞∫−∞

    x2e−2bx2

    dx

    =

    [k

    2− 4b

    2~2

    2m

    ] ∞∫−∞

    x2e−2bx2

    dx+~2bm

    ∞∫−∞

    e−2bx2

    dx

    =

    [k

    2− 4b

    2~2

    2m

    ]1

    4b

    √π

    2b+

    ~2bm

    √π

    2b, (3.104)

    〈Ψ |Ĥ|Ψ〉〈Ψ |Ψ〉

    = − ~2

    2mb+

    ~2

    mb+

    k

    8b=

    ~2b2m

    +k

    8 b. (3.105)

    Das Minimum des Ausdrucks in Gleichung (3.86) findet man, wenn die Ableitung nach

    dem Parameter b null wird:

    d

    db

    (〈Ψ |Ĥ|Ψ〉〈Ψ |Ψ〉

    )= 0 , (3.106)

    also für

    ~2

    2m− k

    8b2= 0 (3.107)

    oder

    b =1

    2~√km . (3.108)

    Durch Einsetzen von b in Gleichung (3.86) ergibt sich mit (3.76)

    E1 6~2

    2m

    1

    2~√km+

    k

    8

    2~√km

    =1

    2~√k

    m=

    1

    2h ν , (3.109)

    wobei ν = 12π

    √km

    .

    Der geschätzte Grundzustand ist somit

    E 61

    2h ν Ψ(x) =

    (2b

    π

    ) 14

    exp{−b x2

    }b =

    1

    2~√km . (3.110)

    Die exakte Lösung lautet (siehe Kapitel ??)

    E1 =1

    2h ν ϕ1(x) =

    (2b

    π

    ) 14

    exp{−b x2

    }b =

    1

    2~√km . (3.111)

    Vorlesungsskript PCIII

  • 3.19 Erhaltungssätze 3-23

    In diesem Beispiel haben wir die exakte Lösung gefunden. Dies ist im Allgemeinen nicht

    der Fall.

    Das Variationsprinzip bildet die Grundlage für viele numerische ab-initio-quantenche-

    mische Berechnungen.

    3.19 Erhaltungssätze

    Die Erhaltungssätze der klassischen Physik sind (mit Anpassungen) auch in der Quantenmecha-

    nik gültig (z. B. der Impulserhaltungssatz (∑~p = konstant) oder der Drehimpulserhaltungssatz

    (∑ ~J = konstant) im feldfreien Raum). In der Quantenmechanik gelten die Erhaltungssätze nur

    in Bezug auf die Erwartungswerte. Hat eine Observable  einen konstanten Erwartungswert

    (d. h. einen von der Zeitentwicklung des Systems unabhängigen Erwartungswert), dann ist sie

    eine sogenannte Erhaltungsgrösse.

    Wir betrachten jetzt die Zeitentwicklung des Erwartungswertes 〈Â〉 der Observable  einesabgeschlossenen Systems mit einem zeitunabhängigen Hamilton-Operator Ĥ. Gemäss Postulat

    4 ist die Zeitentwicklung durch die zeitabhängige Schrödinger-Gleichung beschrieben:

    i ~dΨ

    dt= Ĥ Ψ . (3.112)

    Wir nehmen zudem an, dass der Operator  zeitunabhängig ist:

    d

    dt〈Â〉 = d

    dt

    ∫Ψ ∗ÂΨ dτ =

    ∫dΨ ∗

    dtÂΨ dτ +

    ∫Ψ ∗Â

    dtdτ

    =

    ∫ (Ĥ

    i~Ψ

    )∗ÂΨ dτ +

    ∫Ψ ∗Â

    i~Ψ dτ

    =i

    ~

    [∫Ψ ∗Ĥ∗ÂΨ dτ −

    ∫Ψ ∗ÂĤΨ dτ

    ]=

    i

    ~

    [∫Ψ ∗ĤÂΨ dτ −

    ∫Ψ ∗ÂĤΨ dτ

    ]=

    i

    ~

    ∫Ψ ∗[Ĥ, Â

    ]Ψ dτ . (3.113)

    Die Zeitabhängigkeit des Erwartungswertes von  ist also proportional zum Erwartungswert

    des Kommutators von  und Ĥ:

    d

    dt〈Â〉 = i

    ~

    〈[Ĥ, Â

    ]〉. (3.114)

    Daraus kann geschlossen werden, dass der Erwartungswert einer physikalischen Grösse nur dann

    konstant bleibt, wenn der entsprechende Operator mit dem Hamilton-Operator Ĥ vertauscht.

    Die Anwendung von Gleichung (3.104) auf Orts- und Impulsobservable wird als Ehrenfest-

    Theorem bezeichnet.

    Beispiel : Wir betrachten die Zeitentwicklung des Impulses px in einem eindimensionalen

    Vorlesungsskript PCIII

  • 3-24 3 Postulate und Theoreme der Quantenmechanik

    System. Der Hamilton-Operator und der Impulsoperator sind

    Ĥ = − ~2

    2m

    d2

    dx2+ V (x) und p̂x = −i~

    d

    dx. (3.115)

    Zur Bestimmung der Zeitentwicklung muss der Kommutator [Ĥ, p̂x] bestimmt werden:[Ĥ, p̂x

    ]=

    [− ~

    2

    2m

    d2

    dx2+ V (x), −i~ d

    dx

    ]= −i~

    [V (x),

    d

    dx

    ]= −i~

    (V (x)

    d

    dx− d

    dxV (x)

    ). (3.116)

    Der Ausdruck für den Kommutator lässt sich vereinfachen, wenn sein Effekt auf die Funk-

    tion Ψ(x) untersucht wird:[Ĥ, p̂x

    ]Ψ(x) = −i~

    (V (x)

    dΨ(x)

    dx− d

    dx(V (x)Ψ(x))

    )= −i~

    (V (x)

    dΨ(x)

    dx− V (x) dΨ(x)

    dx− Ψ(x) dV (x)

    dx

    )= i~

    dV (x)

    dxΨ(x) , (3.117)[

    Ĥ, p̂x

    ]= i~

    dV (x)

    dx. (3.118)

    Gemäss (3.104) ist also der Impuls nur dann eine Erhaltungsgrösse, wenn

    dV (x)

    dx= 0 . (3.119)

    Die Impulserhaltung folgt somit aus der Homogenität, d.h. der Translationssymmetrie des

    feldfreien Raumes, in dem sich das Teilchen bewegt (analog zu Newtons erstem Gesetz).

    Mit Gleichung (3.104) erhält man

    d

    dt〈p̂x〉 =

    i

    ~

    〈[Ĥ, p̂x

    ]〉=

    〈− dV (x)

    dx

    〉. (3.120)

    Da V (x) die potentielle Energie darstellt und − dV (x)dx

    = F (x), ist Gleichung (3.110) das

    Analogon zu Newtons zweitem Axiom F = dpdt

    = ma ausgedrückt mit Erwartungswerten.

    Durch dieses Beispiel lässt sich die folgende Verallgemeinerung erahnen: Erhaltungssätze hängen

    durch die Invarianz des Hamilton-Operators Ĥ bezüglich gewisser räumlicher Operationen

    mit den Eigenschaften des Raumes zusammen, in dem sich das untersuchte System befin-

    det. Die Impulserhaltung folgt aus der Translationssymmetrie des feldfreien Raumes [siehe

    Gleichung (3.109)], also aus der Tatsache, dass Ĥ invariant ist bezüglich einer Translation im

    Raum:

    Ĥ(x) = Ĥ(x+ a) ∀a ∈ R . (3.121)

    Diese Translation lässt sich durch einen Translationsoperator T̂ beschreiben, der die x-Koordinate

    Vorlesungsskript PCIII

  • 3.19 Erhaltungssätze 3-25

    um a erhöht:

    T̂ Ψ(x) = Ψ(x+ a) , (3.122)

    T̂ Ĥ(x) = Ĥ(x+ a) . (3.123)

    Im feldfreien Raum gilt für ein Teilchen mit Ortskoordinate x

    Ĥ(x) = Ĥ(x+ a) (3.124)

    und deshalb

    T̂[Ĥ(x)Ψ(x)

    ]= Ĥ(x+ a)Ψ(x+ a)

    = Ĥ(x)Ψ(x+ a) = Ĥ(x)(T̂ Ψ(x)

    ). (3.125)

    Analoge Beziehungen gelten auch für die y- und z-Koordinaten.

    Die Translationssymmetrie des feldfreien Raumes lässt sich also durch die Kommutationsrela-

    tion

    [Ĥ, T̂ ] = 0 (3.126)

    beschreiben. Gleichung (3.111) ist eine allgemeine Definition einer Symmetrieoperation. Genau-

    so wie die Translationssymmetrie (3.111) mit dem Translationsoperator T̂ zur Erhaltung der

    Grösse px führt, führen alle anderen Symmetrien mit Symmetrieoperatoren Ŝ mit [Ĥ, Ŝ] = 0

    zu Erhaltungsgrössen. Tabelle 3.1 listet Symmetrieoperationen auf, die aus den Eigenschaften

    des feldfreien Raumes folgen.

    Zusammenfassung (Erhaltungsgrössen)

    Erhaltungsgrössen  ([Â, Ĥ] = 0) sind besonders wichtig in der Quantenmechanik, weil

    1. Â und Ĥ eine gemeinsame vollständige Basis von Eigenfunktionen haben (Theoreme 3

    und 4),

    2. stationäre Zustände ϕn mit

    Ĥ ϕn = En ϕn (3.127)

    einen definierten Wert an für die physikalische Grösse  haben (Postulat 3) und

    3. der Erwartungswert 〈Â〉 von  bezüglich einer beliebigen Zustandsfunktion Ψ unter derZeitentwicklung des Systems erhalten bleibt (siehe Gleichung (3.104)).

    Vorlesungsskript PCIII

  • 3-26 3 Postulate und Theoreme der Quantenmechanik

    Tabelle 3.1: Beispiele von Erhaltungsgrössen. Jede Symmetrie Ŝ mit [Ŝ, Ĥ] = 0 führt zu einem Erhaltungssatz.

    Erhaltungsgrösse Bedingung Invarianz von Ĥ

    bezüglich Symmetrie-

    operation Ŝ

    Eigenschaft des freien

    Raumes

    Impuls

    ~̂p = (p̂x, p̂y, p̂z)

    p̂x

    p̂y

    p̂z

    [T̂ , Ĥ] = 0

    Ĥ(xi) = Ĥ(xi + a)

    Ĥ(yi) = Ĥ(yi + b)

    Ĥ(zi) = Ĥ(zi + c)

    Beliebige Translation

    (Ŝ = T̂ ) der Koordina-

    ten aller Teilchen des

    Systems

    Homogenität

    Gesamtdreh-

    impuls

    ~̂J = (Ĵx, Ĵy, Ĵz) [R̂, Ĥ] = 0

    Ĥ(θi, φi, χi) =

    Ĥ(R̂(α,β,γ)(θi, φi, χi))

    Beliebige Rotation (Ŝ =

    R̂) der Koordinaten al-

    ler Teilchen des Systems

    Isotropie(dVdη

    )= 0 (η=θ,φ,χ)

    Parität

    [P̂ , Ĥ] = 0

    Ĥ(qi) = Ĥ(−qi)q = x, y, z

    Inversion (Ŝ = P̂ ) der

    Koordinaten aller Teil-

    chen des Systems

    Inversionssymmetrie

    Beispiele für die Verletzung von Erhaltungssätzen

    Beispiel : Homogenes elektrisches Feld ~E in z-Richtung: ~E = (0, 0, E)

    Eine elektrische Ladung q erfährt in einem elektrischen Feld ~E eine Kraft ~F = q ~E und wird

    durch diese beschleunigt. Deshalb ändert sich in unserem Beispiel die potentielle Energie

    für eine Ladung gemäss

    dV = −q ~E · d~r = −qE dz . (3.128)

    Für eine elektrische Ladung ist der Raum inhomogen und der Impuls keine Erhaltungs-

    grösse weil

    d

    dt〈p̂z〉 =

    〈− dV

    dz

    〉= qE 6= 0 . (3.129)

    Vorlesungsskript PCIII

  • 3.19 Erhaltungssätze 3-27

    Folglich ist auch die Isotropie des Raumes aufgehoben und somit der Drehimpuls ~J keine

    Erhaltungsgrösse:

    ∂V

    ∂φz= 0 Jz wird erhalten (3.130)

    ∂V

    ∂φx6= 0 Jx wird nicht erhalten (3.131)

    ∂V

    ∂φy6= 0 Jy wird nicht erhalten (3.132)

    (φα bezeichnet den Drehwinkel um die α-Achse, α = x, y, z).

    Beispiel : Parität und Schwache Wechselwirkung

    Wenn nur elektromagnetische Wechselwirkungen bei der Aufstellung des Hamilton-

    Operators berücksichtigt werden, enthält der Hamilton-Operator eines Moleküls im freien

    Raum nur Terme, die vom Quadrat der Ortskoordinate abhängen, da

    ĤEM = −∑i

    ~2

    2mi∆i +

    ∑∑i

  • 3-28 3 Postulate und Theoreme der Quantenmechanik

    3.20 Entartung

    Manchmal haben mehrere Lösungen der zeitunabhängigen Schrödinger-Gleichung genau den-

    selben Eigenwert. Man spricht dann von Entartung. Dabei gibt der Entartungsfaktor gi an,

    wieviele Zustände denselben Energieeigenwert Ei haben.

    Beispiel : Teilchen im kubischen Kasten (mit Lx = Ly = Lz = L)

    i Kombinationen der drei Quantenzah-

    len n1, n2 und n3, welche Zustände

    mit der Energie Ei beschreiben

    Energie-

    eigenwert

    Ei

    Entartungs-

    faktor

    gi

    1 nx = ny = nz = 1 E1 =3h2

    8mL2g1 = 1 nicht entartet

    2

    nx = ny = 1, nz = 2

    nx = nz = 1, ny = 2

    ny = nz = 1, nx = 2

    E2 = 6h28mL2 g2 = 3 dreifach entartet...

    Satz über entartete Zustände

    Es seien ϕ1 und ϕ2 zwei Eigenfunktionen eines Hamilton-Operators Ĥ zum selben Eigenwert

    E1 = E2 = E. Eine beliebige Linearkombination von ϕ1 und ϕ2

    Ψ = c1ϕ1 ± c2ϕ2 (3.138)

    ist auch eine Eigenfunktion von Ĥ zum selben Eigenwert E.

    Der Beweis folgt durch Einsetzen von (3.143) in die Schrödinger-Gleichung unter Verwendung

    von E1 = E2 = E:

    ĤΨ = c1Ĥϕ1 ± c2Ĥϕ2 = c1Eϕ1 ± c2Eϕ2 = E(c1ϕ1 ± c2ϕ2) = EΨ . (3.139)

    Dieser Satz lässt sich unmittelbar auf g entartete Lösungen erweitern.

    Vorlesungsskript PCIII