14
Kapitel 1 | 15 Kapitel 1 Veränderungen in der Presselandschaft 1.1. Wege aus der Krise: Zeitungen auf der Suche nach neuen Geschäftsmodellen Über Generationen hinweg prägte viele Bundesbürger ein immer gleiches morgendliches Ritual: Aufstehen, Kaffeewasser aufsetzen, Zei- tung holen. Und dann der erste Blick auf die Schlagzeilen. Die Tages- zeitung liegt druckfrisch schon in aller Frühe im Briefkasten, vor der Haustür oder auch im Zeitungskasten um die Ecke. Wie Zeitungsverle- ger und -redakteure übereinstimmend feststellen, kann man es sich mit den Leserinnen und Lesern vor allem verscherzen, wenn man ihnen die Zeitung vorenthält, sprich, der Zusteller verschlafen hat oder gar ein Warnstreik der Redakteure oder Drucker das Erscheinen verhindert. Es fehlt dann etwas am Morgen, wenn der Brief- oder Zeitungskasten leer bleibt. Diese Erkenntnisse mögen selbstverständlich sein. Und doch, bei den Zeitungen und Zeitschriften ist eben nicht mehr alles selbstver- ständlich. Mit scheinbar unantastbaren Traditionen wird gebrochen. Die Verlage und Redaktionen sehen sich seit ein paar Jahren mit völlig neuen Herausforderungen konfrontiert. Nach der technischen Revolution im Der Krise zum Trotz hat der Leser eine vielfältige Auswahl an Tages- zeitungen. Bild: SV-Bilderdienst/ Teich A./Caro Wolfram Schrag, Medienlandschaft Deutschland Copyright by UVK 2007

Kapitel1 VeränderungeninderPresselandschaft - uvk.de · Vor allem die Reichweite bei den 20- bis 29-jährigen ... 32Seitenunterbringen.Wasdieeinendeshalbals„Fast-Food-Variante

  • Upload
    dinhdan

  • View
    215

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Kapitel 1 | 15

Kapitel 1

Veränderungen in der Presselandschaft

1.1. Wege aus der Krise: Zeitungen auf derSuche nach neuen Geschäftsmodellen

Über Generationen hinweg prägte viele Bundesbürger ein immergleiches morgendliches Ritual: Aufstehen, Kaffeewasser aufsetzen, Zei-tung holen. Und dann der erste Blick auf die Schlagzeilen. Die Tages-zeitung liegt druckfrisch schon in aller Frühe im Briefkasten, vor derHaustür oder auch im Zeitungskasten um die Ecke. Wie Zeitungsverle-ger und -redakteure übereinstimmend feststellen, kann man es sich mitden Leserinnen und Lesern vor allem verscherzen, wenn man ihnen dieZeitung vorenthält, sprich, der Zusteller verschlafen hat oder gar einWarnstreik der Redakteure oder Drucker das Erscheinen verhindert. Esfehlt dann etwas am Morgen, wenn der Brief- oder Zeitungskasten leerbleibt. Diese Erkenntnisse mögen selbstverständlich sein. Und doch, beiden Zeitungen und Zeitschriften ist eben nicht mehr alles selbstver-ständlich. Mit scheinbar unantastbaren Traditionen wird gebrochen. DieVerlage und Redaktionen sehen sich seit ein paar Jahren mit völlig neuenHerausforderungen konfrontiert. Nach der technischen Revolution im

Der Krise zumTrotz hat der Lesereine vielfältigeAuswahl an Tages-zeitungen.Bild: SV-Bilderdienst/Teich A./Caro

Wolfram Schrag, Medienlandschaft DeutschlandCopyright by UVK 2007

16 | Kapitel 1

Druckbereich in den 70er Jahren, als von Blei- auf Computersatz umge-stellt wurde, ist jetzt die zweite große Veränderung in der Zeitungsland-schaft Deutschlands im Gange.

1.1.1. Ursachen für die Zeitungskrise

Es ist nicht nur eine Veränderung, sondern eine ausgewachsene Krise, diedie Zeitungen durchlaufen. Die Branche muss seit Jahren Auflagenrück-gänge verkraften: Zuletzt wurden im zweiten Quartal 2005 Zeitungen miteiner Gesamtauflage von 27,40 Millionen publiziert. Davon waren 21,6Millionen Tageszeitungen, 3,83 Millionen Sonntagszeitungen und gut 1,9Millionen Wochenzeitungen. Ein Jahr zuvor waren es 3,2 Prozent mehr.1

Das liegt an der konjunkturellen Schwäche in Deutschland, die einhergeht mit einem deutlich gesunkenen Konsum. Nachdem die Wirtschafts-leistung im Jahr 2003 preisbereinigt erstmals seit zehn Jahren um 0,1 Pro-zent zurückgegangen war, hat sich zwar das Bruttoinlandsprodukt imJahr 2004 real um 1,7 Prozent verbessert, dieses Plus wurde jedoch fastausschließlich vom Export getragen, die privaten Konsumausgaben gin-gen um 0,3 Prozent zurück.2 Diese Konsumschwäche wirkt sich auch aufdie Tageszeitungen aus: Auch wenn nach wie vor drei von vier Bundes-bürgern täglich eine Zeitung lesen, geht die Auflage zurück. Auf Zei-tungen kann man in der Wirtschaftskrise offenbar verzichten. Erschwe-rend kommt hinzu, dass angesichts der Bevölkerungsentwicklung immerschmalere Jahrgänge ins „zeitungsreife“ Alter nachwachsen.

Deutschland steckt seit dem Jahr 2001 in einer Wirtschaftskrise. DieWachstumsraten stagnieren, die Arbeitslosigkeit hat dramatisch zuge-nommen. Die Unternehmen halten sich zurück mit Neueinstellungenoder verkleinern ihre Belegschaften. Dies hatte Folgen für die Tageszei-tungen. Das Anzeigengeschäft, und dort vor allem die Stellenanzeigen,war bis zum Jahr 2000 mit durchschnittlich zwei Dritteln Hauptumsatz-träger. 2002 brachen die Anzeigen um zwölf Prozent ein und noch ein-mal um zehn Prozent im Jahr 2003. Der Bundesverband Deutscher Zei-tungsverleger (BDZV) ist alarmiert: „Einen so starken Rückgang derUmsätze wie in den vergangenen drei Jahren hat es bei den Zeitungenin Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht gegeben.“3

Vor allem die Zahl der Stellenanzeigen ist innerhalb eines Jahres um

1) BDZV, Zur Lage der Zeitungen in Deutschland 2005.(Stand 8/2005, www.bdzv.de/markttrends_und_daten.de)

2) Vgl. Pressemitteilung Statistisches Bundesamt, 13.01.2005.3) BDZV, Die deutschen Zeitungen in Zahlen und Daten, Auszug aus dem Jahr-

buch „Zeitungen 2004“, Berlin, o.A., S. 6.

Auflage sinktAuflage sinkt

Einbruch amAnzeigenmarkt

Einbruch amAnzeigenmarkt

Wolfram Schrag, Medienlandschaft DeutschlandCopyright by UVK 2007

Kapitel 1 | 17

36 Prozent zurückgegangen. Auch wenn sich die Zahlen langsam stabi-lisieren (die Anzeigen konnten zwischen 2004 und 2005 um 0,3 Prozentzulegen, die Stellenanzeigen sogar um 2,5 Prozent), ist das Niveau docherheblich geschrumpft. Heute gilt die Faustregel: 53 Prozent des Um-satzes erzielen die Tageszeitungen mit Anzeigen, 47 Prozent durch denVertrieb. Das kann jeder Leser spüren, der einmal eine Wochenendaus-gabe einer überregionalen Zeitung in der Hand hält. Sie ist leichter alsfrüher. Kein Wunder: Auch der Verbrauch von Zeitungsdruckpapier gingzwischen 2001 und 2002 von 2,9 Millionen auf knapp 2,2 Millionen Ton-nen zurück. Auf alle überregionalen Tageszeitungen hoch gerechnetheißt das: Die Werbeeinnahmen schrumpften nach dem Rekord im Jahr2000 um fast 30 Prozent, ebenso die Einnahmen im Anzeigengeschäft.Beispiel Süddeutscher Verlag, der die Süddeutsche Zeitung herausgibt:Der Umsatz sank von 873,5 Millionen Euro im Rekordjahr 2000 auf 719,9Millionen Euro im Jahr 2002. Entsprechend sieht es bei den Erlösen aus:Mit 76,6 Millionen Euro rutschte der Verlag 2002 tief ins Minus. Der Süd-deutsche Verlag schlitterte in eine existenzbedrohende Krise, der SZdrohte nach 57 Jahren das Aus oder die Übernahme.4

Auch bei den Privatanzeigen brach das Geschäft ein. Das hat zum ei-nen ebenfalls konjunkturelle Gründe, doch es kommt noch etwas Wei-teres erschwerend hinzu. Zeitungsanzeigen, ob für Wohnungen oderAutos, verlieren ihren Reiz, je mehr Interessenten sich im Internet infor-mieren. Beispiel Mietwohnungen: Reichlich kryptisch sind die Kleinan-zeigen in einer Tageszeitung:

3-Zi, WoKü, Balk., Ren.Altbau, SW-Lage, ca. 90 m2,€ 950,– + NK, Tel. ....

Darüber hinaus erfährt der Leser nichts über das Objekt. Anders, würdejene Wohnung im Internet angeboten: Im Netz gibt es viel mehr Platzund Präsentationsmöglichkeiten. Die Anzeigen können mit beliebig vie-len Bildern, Karten und Zusatzinformationen ergänzt werden. KurzeFilme oder ein virtueller Rundgang sind technisch möglich. Der Nutzerwiederum profitiert durch verfeinerte Suchmöglichkeiten, um das Ob-jekt nach beliebigen Kriterien wie Ausstattungsmerkmalen, Preis oderLage mit anderen zu vergleichen. Und außerdem haben die Anzeigenim Internet den großen Vorteil, dass sie für den Anbieter wie für denInteressenten ständig verfügbar sind, bis das Objekt verkauft oder ver-

4) Vgl. Süddeutsche Zeitung, 07.08.2003.

Anzeigen undInternetAnzeigen undInternet

Wolfram Schrag, Medienlandschaft DeutschlandCopyright by UVK 2007

18 | Kapitel 1

mietet ist. Die Verlage müssen neu rechnen, darin sind sich Unterneh-mensberater, Verleger und Medienforscher einig. Manche sehen langfris-tig bereits das Ende der Anzeigenmärkte in den Tageszeitungengekommen. So würden Unternehmen Stellenangebote bald nur nochaus Dummheit, Faulheit oder Mitleid in Zeitungen veröffentlichen, soder Medienökonom Axel Zerdick.5

Auch der Nutzer, also der Leser oder die Leserin einer Tageszeitung,hat sich verändert. Was tun eigentlich diejenigen, die keine Zeitung imBriefkasten liegen haben, soweit sie sich nicht aus Zeitungskästen be-dienen? Sie nutzen natürlich andere Medien, zunächst vor allem Hör-funk und Fernsehen. Insbesondere gut ausgebildete Jüngere setzensich schon vor dem Frühstück an den PC, rufen ihre E-Mails ab undsehen sich ein paar Websites wichtiger Zeitungen an. Dabei surfen sienicht nur durch die Seiten der Lokalpresse oder Regionalzeitungen.Deutsche Zeitungen, aber auch englische, französische oder spanischeBlätter haben interessante Artikel zu bieten. Diese werden dann kurzer-hand ausgedruckt oder auf den elektronischen Terminplaner (sog. PDA,Personal Digital Assistent) oder das Mobiltelefon gespeichert. Das magzwar noch eine eher kleine Gruppe sein. Dennoch steht fest: Die Ta-geszeitungen haben in der Altersgruppe zwischen 14 und 39 kräftigLeser verloren. Vor allem die Reichweite bei den 20- bis 29-jährigenging zwischen 1994 und 2004 von über 72 auf 61,5 Prozent zurück.6

Pressefreiheit bekommt eine neue Bedeutung, heißt das doch immermehr die Freiheit, seine eigenen Medien zu nutzen. Der Leser kann sichheute seine Zeitung zusammenstellen, die „Leser-Blatt-Bindung“ gehtzurück. Damit hatten die Verleger nicht gerechnet. Junge Menschen des21. Jahrhunderts für eine Zeitung zu begeistern, fällt schwer oder ist einhoffnungsloses Unterfangen. Im Zeitungsmarkt ging es über 50 Jahreständig aufwärts. Auf die digitale Revolution waren die Verlagshäusernur unzureichend vorbereitet, oder wie es Dirk Ippen, der Verleger desMünchner Zeitungsverlags von Münchner Merkur und tz einmal selbst-kritisch formulierte: „It’s learning the hard way!“ Die Verleger haben dieVorteile des Internets nicht nur verschlafen, sondern bewusst ignoriert,meinen Experten. Sie befürchteten nämlich den „Kannibalisierungsef-fekt“ ihrer Zeitungen und der damit verbundenen geringeren Auslas-tung ihrer teuer angeschafften Druckmaschinen.7

5) Vgl. Axel Zerdick, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 20.07.2003.6) BDZV (vgl. Anm. 3), S. 28.7) Vgl. Interview Andreas Becker, Marc Ziegler, Unternehmensberatung Detecon

International, in: BJVreport 6/2003, S. 26f.

WenigerSozialisation

durchZeitung

WenigerSozialisation

durchZeitung

Wolfram Schrag, Medienlandschaft DeutschlandCopyright by UVK 2007

Kapitel 1 | 19

Der Geschäftsführerder WAZ-Mediengruppeund ehemalige Kanzler-amtsminister Bodo Hom-bach erzählt von einerBegebenheit, die sichzutrug, als er die Redak-tion einer Tageszeitungder WAZ-Gruppe be-suchte: Gegen 20:00 Uhrsei die Redaktionsarbeitweitgehend getan gewe-sen und so setzten sichdie Redakteure vor denFernseher und verfolgtendie Tagesschau im Ers-ten. Nach Ende der Sen-dung stand einer der Re-dakteure auf und sagte:„Bravo, diese Meldungenhaben wir alle auf Seiteeins für morgen.“ Eingutes Zeichen und eineErfolgsstory für die Re-daktion? Wohl eher nichtoder Hombach wörtlich:„Das Abbild der Tagesschau zu sein, ist nicht witzig.“ Die Tageszeitungerscheint rund zwölf Stunden nach der Tagesschau (ARD), wiederholtsie aber lediglich deren Themen, ist sie für viele Leser überflüssig. Siehaben sich darüber am Vorabend informiert. Der Charakter der Tages-zeitung verändert sich auch hier: Für den Leser hat die Tageszeitung alsErstinformationsmedium weitgehend ausgedient.

1.1.2. Die neue Rolle der Tageszeitungen

Wenn die Zeitung heute kein Erstinformationsmedium ist, was ist siedann? Diese Frage ist noch nicht beantwortet. Die Macher versuchen mitverschiedenen Modellen dem Leserschwund zu begegnen. Die Zei-tungsbranche hat die Zeichen der Zeit erkannt und tut etwas gegen dieKrise. Innerhalb von zwei Jahren haben die Verlage zum Teil vielver-sprechende Ideen entwickelt und in die Tat umgesetzt. Nicht alles istdabei eigene Kreation. Ganz im Gegenteil, viele Innovationen gibt esbereits seit langem im europäischen Ausland.

Bedeutungsver-lust der Zeitungals Erstinforma-tionsmedium

Bedeutungsver-lust der Zeitungals Erstinforma-tionsmedium

Der moderneZeitungsleser nutztauch über PDAden Internet-Auf-tritt einer Tages-zeitung.Bild: SV-Bilderdienst/Haas R.

Wolfram Schrag, Medienlandschaft DeutschlandCopyright by UVK 2007

20 | Kapitel 1

1.1.2.1. Leseranwerbung mit Tabloid-Format undGratiszeitungen

Ganz groß im Kommen sind Zeitungen in einem kleineren, handlicheren,kompakten Format. Der Leser soll diese Zeitung neben der Kaffeetassebequem am Küchentisch oder sogar in der überfüllten U-Bahn lesenkönnen. So genannte Tabloid-Formate8 haben sich schon seit mehr alsdrei Jahren in Großbritannien etabliert. Angefangen hatte der Indepen-dent, der die Auflage mit seiner Kompakt-Ausgabe auf Anhieb um 15Prozent steigern konnte. Diese Zeitung erscheint zwischenzeitlich aus-schließlich in der Tabloid-Version. Und selbst die Macher der britischstenaller Zeitungen, The Times, haben zwischenzeitlich auf das handlichereFormat umgestellt. Dabei handelt es sich aber nur von außen um einAbbild der klassischen Ausgabe. Die kleinere Tabloid-Ausgabe ist inhalt-lich anders und das heißt vor allem: reduziert. Tabloids sind eine kom-pakte Version, gedacht für den Berufspendler, der keine Zeit hat für 60oder 80 Seiten Zeitungslektüre – ihm genügen auch 32. Er interessiertsich für den „Mainstream-Mix“: Ein bisschen Politik und Wirtschaft, Bun-tes und Sport und ein paar Versatzstücke Feuilleton, Wissenschaft oderLokales. Ohne diese Beschränkung ließe sich der Inhalt auch nicht auf32 Seiten unterbringen. Was die einen deshalb als „Fast-Food-Variante“9

bezeichnen, ist für die Verlage ein „schnelles Beiboot“.10 Ohne nähereAngaben zu machen, spricht die Axel-Springer-AG von einem Erfolg desTabloid-Formats seiner Tageszeitung DIE WELT, das seit Mai 2004 in Ber-lin vertrieben wird. Nach und nach kamen weitere Ballungsräume (Ham-burg, München, Rhein-Main, Köln-Bonn, Ruhrgebiet) hinzu, in denendie WELT KOMPAKT (Branchenwitz: „Springers Halb-Welt“) für 50 Centverkauft wird. Sie richtet sich vor allem an jüngere Leser, insbesonderediejenigen, die bislang überhaupt keine Tageszeitung gelesen haben.Die Hoffnung, die sich hinter diesem wie den anderen Tabloid-Experi-menten verbirgt: Junge Leser mit einer frischen Aufmachung an die Zei-tung heranzuführen und dann später für das Original zu begeistern. DerVerlag will natürlich auch die Stammleserschaft nicht vergraulen. DIEWELT im klassischen norddeutschen Format gibt es weiter.

8) Deutsche Aussprache: tablo-id.9) Peter Dermühl, Fast Food in Fahrt, in: journalist 9/2004, S. 30.

10) So Springer-Eigenwerbung, in: journalist, 9/2004 (vgl. Anm. 9).

Tabloid-Format:Schnellboot oder

Fast Food?

Tabloid-Format:Schnellboot oder

Fast Food?

Wolfram Schrag, Medienlandschaft DeutschlandCopyright by UVK 2007

Kapitel 1 | 21

Zeitungsformate im Überblick

Berliner Format (315 x 470 mm)tageszeitung, Badische Zeitung

Broadsheet (295 x 533 mm)

Norddeutsches Format(auch Nordisches Format) 400 x 570 mm)Bild, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurter Rundschau,Süddeutsche Zeitung, Der Tagesspiegel, DIE WELT

Tabloid, auch Half-Broadsheet oder Halbnordisches Format(235 x 315 mm, Sondermaß: 285 x 400 mm)BZ Berlin, Bild am Sonntag, WELT KOMPAKT

Tabloid Extra (305 x 457 mm)

Rheinisches Format(350 x 510 mm, Sondermaß: 360 x 530 mm)Berliner Zeitung, Mitteldeutsche Zeitung, Rheinische Post,Rhein Zeitung, Rheinpfalz, Stuttgarter Zeitung, Südkurier,Thüringer Allgemeine

Halbrheinisches Format(260 x 325 mm, Sondermaß: 260 x 350 mm)20 Cent

Schweizer Format (320 x 475 mm)Neue Zürcher Zeitung

Quelle: journalist, 9/2004, S. 32

Die anderen Verlage beobachten die Situation genau, jedoch wollen nur26 Prozent der deutschen Verlage auf keinen Fall Tabloid-Formate ein-richten.11 Das Tabloid-Format birgt natürlich auch Gefahren. Beobachterbefürchten, dass sich DIE WELT und WELT KOMPAKT gegenseitig Leserwegnehmen, ein „Selbstkannibalisierungseffekt“ ist nicht ausgeschlos-sen. Auch deshalb hält sich die Konkurrenz mit eigenen Tabloid-Pro-dukten im Moment noch zurück oder testet die neuen Projekte zuerst

11) Umfrage der Unternehmensberatung KPMG im Jahr 2004 unter 300 deut-schen Verlagen.

Wolfram Schrag, Medienlandschaft DeutschlandCopyright by UVK 2007

22 | Kapitel 1

einmal auf regionalen Märkten. So hat die Stuttgarter Verlagsgruppe Ge-org von Holtzbrinck, zu der auch das Handelsblatt, dieWirtschaftswocheoder DIE ZEIT gehören, gleich drei neue Zeitungen auf dem Markt. Zumeinen das Tabloid-Format NEWS Frankfurt. Es soll ebenfalls vor allemjunge Leser ansprechen, denen die Redaktion einen zusätzlichen Nutzenfür SMS oder E-Mail anbieten will. Viele Artikel enthalten Hinweise aufSeiten im Internet. Und außerdem spielt das Thema Weblog, die so ge-nannten Internet-Tagebücher, eine größere Rolle. NEWS Frankfurtdruckt nach eigenen Angaben als erste deutsche Tageszeitung regelmä-ßig zu wichtigen Themen, was die sogenannten „Blogger“ im Internetdazu schreiben.12 Eine weitere Zeitung ist 20 cent, ein Boulevardblatt imsüdlichen Brandenburg und nordöstlichen Sachsen. In Cottbus gehörtder Holtzbrinck-Gruppe bereits die Lausitzer Rundschau. In dieser Re-daktion entsteht auch 20 cent. Der Name ist Programm und Verkaufs-preis und soll möglichst niedrigschwellig Jugendliche von 14 bis 39 Jah-ren ansprechen, Altersgruppen, die vom Fernsehen und Internet geprägtseien. Entsprechend kurz ist die Darstellung, mehr als 60 bis 70 Zeilentraut Chefredakteur Stefan Herbst den jugendlichen Lesern nicht zu. DieNavigation spielt hingegen innerhalb des Layouts eine wichtige Rolle, essei deshalb „ein Stück weit gedrucktes Internet“, so Herbst.13 „Jugend-liche“ zwischen 18 und 35 sind auch beim dritten Holtzbrinck-Produktangesprochen. Die Würzburger Main-Post bekommt einmal in der Wo-che eine bunte Beilage, genannt Boulevard Würzburg. Hat diese BeilageErfolg, ist damit zu rechnen, dass ähnliche Zusatzangebote auch bei an-deren Regionalzeitungen zum Einsatz kommen.

Bei einem Preis von 20 Cent für eine Tageszeitung ist der Schnitt zumkostenlosen Zeitungen nicht mehr weit. Nur, darf man eine Zeitung ver-schenken? Darf man redaktionelle Arbeit und journalistische Recherchedem Leser zum Nulltarif anbieten? Werden andere kostenpflichtige Zei-tungen diskriminiert, wenn ein Konkurrenzblatt verschenkt wird? Undwie ist es um die Pressefreiheit in Zeitungen bestellt, bei denen der An-zeigenkunde das alleinige finanzielle Sagen hat? Denn natürlich werdendiese Zeitungen ausschließlich über den Anzeigenverkauf finanziert. Esbesteht zumindest die Gefahr, dass ein Inserent dann großen Einflussauf den Inhalt ausübt. Diese Fragen wurden in Deutschland diskutiert,als im Jahr 2000 der „Kölner Zeitungskrieg“ tobte. Damals brachte dernorwegische Schibsted-Verlag die Gratiszeitung mit dem Namen 20 Mi-nuten Köln auf den Markt. Schibsted war damit kein Anfänger, vielmehrhatte er schon in der Schweiz und Frankreich erfolgreich Gratiszei-

12) Näheres zu „Weblogs“, siehe Kapitel 8, S. 345ff.13) Siehe Dermühl (vgl. Anm. 9), S. 31.

Gratiszeitungenumstritten

Gratiszeitungenumstritten

Wolfram Schrag, Medienlandschaft DeutschlandCopyright by UVK 2007

Kapitel 1 | 23

tungen auf den Markt gebracht. In Deutschland gab es für die Norwegerhingegen nur Ärger und jahrelange Prozesse, sie verließen entnervt dasLand.

Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) stellte sichvon Anfang an gegen die Gratiszeitungen. Dieses Geschäftsmodell seiwettbewerbswidrig, das Verschenken redaktioneller Leistung sittenwid-rig, so die Argumentation. Dieser Ansicht schlossen sich auch die KölnerKonkurrenzblätter von 20 Minuten Köln an und fochten den Streit vorGericht aus. Vor allem das Verlagshaus M. DuMont Schauberg mit demKölner Stadtanzeiger, der Kölner Rundschau und der BoulevardzeitungExpress mit einer Auflage von 253.000 Exemplaren sah sich durch dieGratiskonkurrenz massiv angegriffen. Der Verlag brachte selbst eine Gra-tiszeitung heraus (Kölner Morgen), ebenso der Axel-Springer-Verlag(Köln Extra). Im Jahr 2003 gab der Bundesgerichtshof14 dem Gratisblatt20 Minuten Köln grünes Licht. Kernpunkte der Argumentation des Kar-tellsenats: Es gibt keinen Grund, die bezahlten Zeitungen mehr zu schüt-zen, vor allem nicht vor Gratiszeitungen. Auch bei mischfinanzierten Zei-tungen bestehe die Gefahr der Einmischung der Anzeigenkunden.Neulinge im Pressegeschäft könnten sich nur über das Anzeigengeschäft

14) Az: I ZR 151/01.

Gratiszeitungennicht wett-bewerbswidrig

Gratiszeitungennicht wett-bewerbswidrig

Mit einer Werbe-kampagne wirbtdie Axel SpringerAG für ihr jüngstesTabloid-FormatWELT KOMPAKT,hier die „verjüngteAngela Merkel“.Bild:WELT KOMPAKT 2005

Wolfram Schrag, Medienlandschaft DeutschlandCopyright by UVK 2007

24 | Kapitel 1

gegen etablierte lokale oder regionale Zeitungen durchsetzen, die „häu-fig keinem oder keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt seien“.Diesem kräftigen Votum will sich der Verlag M. DuMont Schauberg nichtbeugen und strebt eine Verfassungsbeschwerde an, weil er die Presse-freiheit durch die Gratiskonkurrenz bedroht sieht. Der Leser könne näm-lich gar nicht mehr zwischen verschiedenen Publikationen auswählen,wenn es Gratiszeitungen gebe, die diese Auswahl über den Geldbeutelführten.

Ob nun Gratiszeitungen das Ende der Pressefreiheit darstellen, darfbezweifelt werden. Sie sind nämlich auch eine konsequente Fortsetzungder Diskussion, wie der Leser in Zukunft zum Zeitunglesen und damitauch zum Zeitungkaufen ermuntert werden kann. Gratiszeitungen gibtes weltweit, vor allem in Großstädten, wo sie an U-Bahnstationen oderBahnhöfen den Pendler mit schnell lesbarer geistiger Kost versorgen.Dass dieses Konzept vor allem bei jüngeren Lesern ankommt, beweist 20Minuten in Zürich. In der Schweiz war der norwegische Schibsted-Verlagerfolgreich und zwar so sehr, dass die Schweizer Verlage Tamedia AG(Tages-Anzeiger) und die Berner Zeitung AG dieses Blatt gekauft habenund nun in verschiedenen Ballungszentren publizieren. Erstmals in derGeschichte der Schweiz gibt es mit 20 Minutes dieselbe Tageszeitungauch im französisch-sprachigen Teil. Die Gratiszeitung 20 Minuten wirdvon vielen Schweizern gelesen, doch auch Kaufzeitungen konnten Zu-wächse verzeichnen. Die Schweizer Verlage hoffen, ähnlich wie beimTabloid-Format, über die Gratiszeitung junge Leser überhaupt für eineTageszeitung zu begeistern. Diese haben nämlich gelernt, dass Informati-onen im Internet meist kostenlos sind. Deshalb erwarten sie das auch beiden Gratiszeitungen. In den USA konnten sogar die Stammzeitungen vomGratisboom profitieren: In Dallas oder Boston interessierten sich Leserdurch die Gratiszeitungen auch für die Stammblätter. Selbst die Qualitäts-zeitung Washington Post gibt eine Gratiszeitung unter dem Titel Expressheraus und der alteingessene San Francisco Examiner wurde komplettauf den kostenlosen Vertrieb umgestellt. Die Zuwächse sind beachtlich:Die Zahl der kostenlosen Tageszeitungen stieg allein 2003 weltweit um16 Prozent und bei den Auflagen konnten sie jährlich um sechs Prozentzulegen. Besonders erfolgreich ist die schwedische Metro InternationalAB: Sie verteilt in 16 Ländern mehr als 30 Lokalausgaben ihrer Metro.Diese gibt es in vielen europäischen Metropolen, aber auch in Hong-kong, Chile oder den USA. Mitte 2005 haben Metro und Schibsted einenneuen Versuch unternommen, auch in Deutschland Gratiszeitungen zuetablieren. Dafür sind deutsche Partner mit im Gespräch. Interesse be-kundeten die Holtzbrinck-Gruppe und der Fernsehsender RTL. Das ruftauch andere Verlage auf den Plan: Der Vorstandsvorsitzende der Axel

Gratiszeitungenweltweit

im Kommen

Gratiszeitungenweltweit

im Kommen

Wolfram Schrag, Medienlandschaft DeutschlandCopyright by UVK 2007

Kapitel 1 | 25

Springer AG, Mathias Döpfner, sagt: Entweder es gibt keine Gratiszei-tungen in Deutschland – oder wir sind aktiv dabei.15

1.1.2.2. Zeitungen als Marke für weitere Produkte

Umbruch und Neuorientierung prägen die Zeitungslandschaft. DieWege, dem Leserschwund zu begegnen, sind dabei vielfältig: zum Bei-spiel bei der Financial Times Deutschland (FTD). Neben der Berlinertageszeitung (taz) ist die FTD die einzige erfolgreiche Neuerscheinungauf dem deutschen Tageszeitungsmarkt seit Bestehen der Bundesrepub-lik. 2000 wurde die Zeitung als Joint-Venture der englischen FinancialTimes des Medienkonzerns Pearson und des Verlagshauses Gruner +Jahr gegründet. Im Jahr des absoluten Börsenbooms etablierte sich dieZeitung in Lachsrosa schnell als angesehene überregionale Tageszeitungund wuchs seitdem beständig. Im dritten Quartal 2005 konnte sie ihreAuflage um 4,3 Prozent auf über 101.000 Exemplare steigern.16 Sie wirbtfür sich damit, weit mehr zu sein als eine Zeitung. Neben der Printver-sion gibt es unter dem Motto „One Brand – all Media“ („eine Marke –alle Medien“) weitere Serviceleistungen, wie „FTD-Online“, also die FTDim Web, „FTD auf PDA“ also auf den „Handheld“, den handlichen Com-putern oder „FTD-Print“, die Zeitung, die über das Netz gelesen werdenkann. Zusätzliche aktuelle Neuigkeiten kann sich der Nutzer auf dasHandy bestellen, zudem gibt es den „FTD-Audio-Service“, bei dem aus-gewählte Artikel als hörbare Datei im mp3-Format heruntergeladen wer-den können.

Einen anderen Weg geht die Süddeutsche Zeitung. Redaktionelle Ne-bengeschäfte sollen das Verlagshaus aus der Krise führen. Auch dieshaben andere europäische Tageszeitungen schon vorgemacht. Schonvor 20 Jahren wurde man als Leser italienischer Zeitschriften mit zusätz-lichen Geschenken („in regalo“) bedacht. Mal gab es eine Novelle einesbekannten Schriftstellers, mal eine Straßenkarte gratis mit. Zwischenzeit-lich sind diese Beilagen nicht mehr kostenlos. So hat die römische Ta-geszeitung La Repubblica ein neues Standbein errichtet und verkauftzusätzlich Weltliteratur. Im Jahr 2003 brachte sie bereits 34 Millionen Bü-cher unter die Leute. Dieses neue Standbein trug auf Anhieb zu 15 Pro-zent des Gesamtgewinns bei.17 Einen ähnlichem Erfolg erzielte die Süd-deutsche, die im Jahr 2004 eine 50-bändige „SZ-Bibliothek des 20.Jahrhunderts“ anbot. Innerhalb kurzer Zeit konnte die komplette Biblio-thek zum Preis von 196 Euro 46.000-mal verkauft werden. Dies über-

15) In: Manager-Magazin, 19.06.2005.16) Pressemitteilung FTD vom 14.10.2005.17) Siehe Peter Dermühl, Kreative Offensive, in: journalist 6/2004, S. 32.

Zeitung alsMarke fürInformation

Zeitung alsMarke fürInformation

Zeitung alsMarke fürQualität

Zeitung alsMarke fürQualität

Wolfram Schrag, Medienlandschaft DeutschlandCopyright by UVK 2007

26 | Kapitel 1

raschte selbst die Verantwortlichen. Das Echo der Leser sei überwälti-gend, sagt der Geschäftsführer des Süddeutschen Verlags, Klaus JosefLutz. Genau dies habe der Süddeutschen gefehlt, könne er in einer Viel-zahl von E-Mails immer wieder lesen. Das Prinzip heißt dabei, Synergienzu nutzen und die Süddeutsche als Marke zu stärken. Im konkreten Fallder Bibliothek ging das so: Jede Woche wurde ein neuer Band präsen-tiert. Dazu lieferten Redakteure im Feuilleton eine Rezension des Buches.Damit werde gewährleistet, dass die Zusatzprodukte „höchste Qualitätsind und es muss alles auf Augenhöhe mit der SZ passieren“, so Lutz.Als weiteres Projekt kam im Oktober 2004 der „Klavier-Kaiser“ auf denMarkt, sozusagen die personifizierte Verbindung des redaktionellen Ne-bengeschäfts mit der Person von Joachim Kaiser, dem langjährigen Mu-sikkritiker des Blattes. 20 CDs mit 14 großen Pianisten, die Joachim Kai-ser auf der CD kommentiert. Auch dieses Projekt übertraf auf Anhiebdie Erwartungen, wie die Geschäftsführung mitteilte. Die Reihe wurdemit der „SZ-Cinemathek“ fortgesetzt. 50 Spielfilme auf DVD mit entspre-chendem Begleitmaterial der Kinoredaktion lagen als Nächstes in denRegalen, aber auch eine Kinderbuchreihe, eine Popmusikedition odereine Fußball-WM-Bibliothek gehören inzwischen zu den Nebengeschäf-ten, die der Süddeutsche Verlag unter der Rubrik „Mediathek“ anbietet.

Diese redaktionellen Nebengeschäfte haben zwischenzeitlich vieleNachahmer gefunden: Die Frauenzeitschrift Brigitte (Gruner + Jahr)brachte eine Hörbuch-Edition heraus, die zudem von der Moderatorinder Literatur-Sendung „Lesen!“ im ZDF, Elke Heidenreich, ausgewähltwurde, die Wirtschaftszeitung Handelsblatt startete u.a. eine „Handels-blatt Management Bibliothek“ und die Frankfurter Allgemeine Zeitungüberraschte in der „FAZ-Bibliothek“ mit den „Meilensteinen der Comic-Literatur.“ Allerdings konnte nicht jedes Nebengeschäft bislang die Qua-litätskriterien der Redaktionen erfüllen. Es gibt daneben auch thema-tisch leichte Supplements wie z.B. „wohl fühlen“ (Süddeutsche Zeitung)rund um das Thema Wellness. Diese erfreuen vor allem den Verlagsge-schäftsführer, weil neue Anzeigenkunden gewonnen werden konnten.Für den Leser sind diese Beilagen irritierend. Zwischen vielen SeitenWerbung entdeckt man Artikel von bekannten Autoren. Wichtig sind beidiesen Ausgaben, die auch andere Verlagshäuser anbieten, die Anzei-gen. „Die Zeitung hat mit den zielgruppenorientierten Magazinen dieMöglichkeit, gezielt Imagewerbung für den Einzelhandel der Stadt zumachen“, so SZ-Chefredakteur Hans Werner Kilz.18 Alles in allem sinddiese Beilagen der Redaktion aber eher unangenehm. Nicht zu Unrechtbefürchtet sie, dass die Grenzen zwischen Journalismus und Anzeigenverwischt werden könnten. Eine weitere Entscheidung, auch eine Folge

18) In: BJV-Report 4/2004, S. 16.

Wolfram Schrag, Medienlandschaft DeutschlandCopyright by UVK 2007

Kapitel 1 | 27

der Krise, griff viel stärker in die Arbeit der SZ-Journalisten ein. Die Süd-deutsche Zeitung strich einen Großteil der Außenstellen im „Speckgür-tel“ Münchens, um den Charakter der überregionalen Zeitung zu ver-stärken. Dies bedeutete für eine große Anzahl freier Journalisten undFotografen, die die Landkreisausgaben belieferten, das Aus.

In der Krise schließen manche Zeitungen ganze Redaktionen und ver-lagern diese auf Kooperationspartner. So auch die Münchner Abendzei-tung. Dort wurde im Oktober 2003 die seit langem existierende „Motor-seite“ eingestellt und inhaltlich dem größten deutschen AutomobilclubADAC übertragen. In der Samstagsausgabe der AZ veröffentlicht nun derADAC die Beilage: Das Motormagazin mobil. Kritik gab es daran vomDeutschen Journalistenverband, dessen Bundesvorsitzender MichaelKonken meinte, nach Art und Umfang müsse die Beilage eindeutig alsumfangreiche Veröffentlichung von PR-Material gewertet werden. Eineindeutiger Hinweis fehle allerdings.19 Auch der Deutsche Rat für PublicRelations (PR-Rat) musste sich aufgrund einer Beschwerde der Sache an-nehmen. Für ihn besteht kein Anlass für eine Mahnung oder Rüge. Eshandele sich um keine Schleichwerbung, da der ADAC von der AZ einredaktionelles Honorar auf Seitenbasis erhalte (anders wäre dies im um-gekehrten Fall). Dass der ADAC zudem PR-Absichten habe, sei legitim.

19) Pressemitteilung DJV vom 26.11.2003.

Zeitung nur nochals MarkeZeitung nur nochals Marke

Nebengeschäfte,ob Bücher oderDVD, werden fürZeitungshäuser wieden SüddeutschenVerlag immerwichtiger.Bild: SV-Bilderdienst,Haas, R., Cinemathek2006

Wolfram Schrag, Medienlandschaft DeutschlandCopyright by UVK 2007

28 | Kapitel 1

Dass hier aber trotzdem ein Grenzfall vorliegt, der grundsätzliche Fragenjournalistischer Glaubwürdigkeit aufwirft, wird mit jedem weiteren Satzdes PR-Rates deutlich: Bedenklich sei, dass die Zusammenarbeit zwi-schen ADAC und AZ nicht der Redaktion überantwortet werde, sonderndem Verlag der AZ und seinem Geschäftsführer. „Es bleibt offen, ob da-mit nicht zumindest institutionell der Trennungsgrundsatz berührt wird,den die Presse hoch hält. Immerhin steht im Signet der Mobil-Beilage„Abendzeitung/ADAC“; ihre Leser nehmen daher an, der Begriff Abend-zeitung weise auf die Redaktion der AZ hin.“20 Die Auseinandersetzungwird ihre Fortsetzung finden, da auch andere Zeitungen eine Zusammen-arbeit mit dem ADAC prüfen. Für den Motorjournalismus in Deutschlandkönnte dies bedeuten, dass die Zahl unabhängig berichtender Journalis-ten weiter zurückgeht.

1.2. Globalisierung der Zeitungsbranche

1.2.1. Investitionen außerhalb Deutschlands

„Und wenn wir ein Projekt hier zu Lande nicht durchsetzen können,dann gehen wir eben in die Ukraine.“ Dieser etwas zugespitzte Sprucheines Zeitungsverlegers öffnet den Blick dafür, dass insbesondere diedeutschen Pressekonzerne in den Staaten Mittel- und Osteuropas zwi-schenzeitlich zu den ganz großen Akteuren gehören. Von einem „Auf-marsch der Big Player“ spricht der Medienforscher Horst Röper.21 Inden neuen EU-Beitrittsstaaten Polen, der Slowakei, Slowenien, derTschechischen Republik und Ungarn sehen sich deutsche Verlagshäu-ser zwischenzeitlich als Marktführer, jedenfalls was die Auflage betrifft.Allerdings gibt es dafür bislang keine sicheren Daten, Anhaltspunkteliefert aber eine Zusammenstellung der Europäischen Journalisten Fö-deration (EJF),22 die auch zeigt, dass die deutschen Pressekonzerne inden weiteren Transformationsstaaten Bulgarien, Kroatien, Rumänienund Serbien den Zeitungs- und Zeitschriftenmarkt ebenfalls dominie-ren. Besonders stark engagiert haben sich dabei der WAZ-Konzern ausEssen, die Passauer Neue Presse, die Rheinisch-Bergische-Verlagsgesell-schaft (Rheinische Post), der Bauer-Verlag und die Axel-Springer-AG, in

20) Vgl. http://www.drpr-online.de/statische/itemshowone.php4?id=19(30.11.2004).

21) Siehe Horst Röper, Aufmarsch der Big Player, in: journalist 9/2003, S. 44.22) Dokumentation: Deutsche Beteiligung an Medien Osteuropas (vgl. http://

www.journalist.de/downloads/pdf/dokumentationen/doku_9_2003_1.pdf).

ZeitungsmarktOsteuropa

ZeitungsmarktOsteuropa

Wolfram Schrag, Medienlandschaft DeutschlandCopyright by UVK 2007