Karl Krumbacher-Leben Und Werk (Hrsg Schreiner, Vogt)

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  • 7/24/2019 Karl Krumbacher-Leben Und Werk (Hrsg Schreiner, Vogt)

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    BAYERISCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN

    PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE KLASSE

    SITZUNGSBERICHTE JAHRGANG 2011, HEFT 4

    Revision

    Karl Krumbacher

    Leben und Werk

    Herausgegeben vonPeter Schreiner

    undErnst Vogt

    Vorgelegt von Ernst Vogtin der Sitzung vom 4. Februar 2011

    MNCHEN 2011

    VERLAG DER BAYERISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN

    IN KOMMISSION BEIM VERLAG C.H.BECK MNCHEN

  • 7/24/2019 Karl Krumbacher-Leben Und Werk (Hrsg Schreiner, Vogt)

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    ISSN 0342-5991

    ISBN 9783 76961659 0

    Bayerische Akademie der Wissenschaften Mnchen 2011Gesamtherstellung: Druckerei C. H. Beck Nrdlingen

    Gedruckt auf surefreiem, alterungsbestndigem Papier

    (hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff)

    Printed in Germany

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    Revision

    INHALT

    Vorwort ................................................................................... 5

    Statt einer Biographie:

    Tabellarischer Lebenslauf ....................................................... 9Nachrufe und bio-bibliographische Wrdigungen.................. 10

    Albrecht Berger: Karl Krumbacher und seine Zeit ..................... 13

    Franz Tinnefeld: Die Begrndung der Byzantinistik als wissen-

    schaftlicher Disziplin.............................................................. 27

    Peter Schreiner: Das wissenschaftliche Werk Karl Krumbachers.. 39

    Ernst Vogt: Karl Krumbacher als Mitglied der Bayerischen Aka-

    demie der Wissenschaften ...................................................... 63

    Anhang

    Vorbemerkung .......................................................................... 85

    Verzeichnis der Briefe an Karl Krumbacher in der Nachlass-

    Sammlung der Bayerischen Staatsbibliothek ........................... 88

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    VORWORT

    Vorwort

    Vorwort

    Die Persnlichkeit Karl Krumbachers war in der geisteswissenschaft-

    lichen Forschung immer prsent geblieben. Sein 100. Todestag am

    12. Dezember 2009 schien jedoch eine gute Gelegenheit, sein per-snliches und wissenschaftliches Wirken erneut in den Mittelpunkt

    zu stellen und eine Bilanz zu ziehen, um zu zeigen, wie aktuell seine

    Forschungsanstze waren. Sie legten nicht nur Grundlagen fr die

    Entwicklung der Disziplin im letzten Jahrhundert, sondern bestim-

    men auch weiterhin Gegenwart und Zukunft des Faches. Krumba-

    cher hat nicht nur die oft schon Jahrhunderte zurckliegenden

    membra disjecta der Beschftigung mit der Kultur des ostrmisch-

    byzantinischen Reiches zusammengefasst und ihnen an Universittund Akademie eine bleibend feste Form gegeben, sondern sie auch

    im Kreis anderer Wissenschaften verankert: der Klassischen Philolo-

    gie (die sein Ausgangspunkt war), der Neugriechischen Philologie

    (um deren Bestand und Anerkennung in Griechenland er kmpfte),

    der Byzantinischen Theologie, der Mittelalterlichen Geschichte,

    der Slavistik (an deren Etablierung in Deutschland er entscheidend

    mitwirkte), der Byzantinischen Archologie und Kunstgeschichte

    (denen er in der Byzantinischen Zeitschrift und in den Bnden desByzantinischen Archivs ein internationales Forum gab) und der be-

    nachbarten orientalischen Philologien.

    Vier Vortrge sollten die wichtigsten Aspekte seines Lebens als

    wissenschaftlicher Lehrer, Forscher, Akademiemitglied und Wis-

    senschaftsorganisator in einer Abendveranstaltung an der Ludwig-

    Maximilians-Universitt Mnchen am 9. Dezember 2009 anlss-

    lich seines 100. Todestages beleuchten. Sie wurden fr die vorlie-

    gende Publikation teilweise erweitert und mit der notwendigen

    Dokumentation versehen. Lngst htte die Person Krumbachers

    eine volle Gelehrtenbiographie verdient, wie sie die hier publizier-

    ten Beitrge nicht annhernd ersetzen knnen. Eine wichtige Vor-

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    6 Vorwort

    aussetzung fr ein solches Unterfangen ist die Bearbeitung seines

    umfangreichen Nachlasses, der in der Handschriftenabteilung der

    Bayerischen Staatsbibliothek verwahrt wird. Dieser enthlt Briefe

    von 1360 Personen an Krumbacher, wenige eigene Briefe Krum-

    bachers finden sich in anderen Nachlssen der Bayerischen Staats-

    bibliothek. Sie zeigen Krumbacher als einen Menschen, der nicht

    nur mit Fachkollegen in Verbindung stand, sondern mit einem

    weiten Kreis von Intellektuellen und Persnlichkeiten des ffentli-

    chen Lebens im gesamten Europa, mit einem deutlichen Schwer-

    punkt in Russland und in Griechenland, aber auch im gesellschaft-

    lichen und literarischen Leben Mnchens und Bayerns. Mitfreundlicher Erlaubnis der Bayerischen Staatsbibliothek wird das

    Verzeichnis der Adressanten an dieser Stelle erstmals publiziert, in

    der Hoffnung, dass der eine oder andere Briefwechsel eine geson-

    derte Bearbeitung findet.

    Die Gedenkveranstaltung war von einer Ausstellung mit Materi-

    alien zum Leben Krumbachers begleitet, deren Realisierung ohne

    weitreichende Hilfe und praktische Untersttzung nicht mglich

    gewesen wre. Die Bayerische Staatsbibliothek hat, initiiert vonFrau Dr. Claudia Fabian, eine vorbereitende Kommission einge-

    setzt, der Frau Dr. Ingrid Rckert, Herr Dr. Maximilian Schreiber,

    Frau Ruth Hpfner M.A. und die vier Vortragenden angehrten.

    Das Stadtarchiv Kempten, vertreten durch Archivar Dr. Dieter

    Weber, hat unbrokratisch bisher unbekannte Schtze aus dem

    lokalen Nachlass Krumbachers zugnglich gemacht und fr die

    Ausstellung zur Verfgung gestellt. Recherchen im (weitgehend

    kriegszerstrten) Archiv des C. H. Beck-Verlages, fr die HerrnDr. Stefan von der Lahr gedankt sei, haben weiteres Material ans

    Licht gebracht. Auch im Archiv der Ludwig-Maximilians-Univer-

    sitt konnte Albrecht Berger unbekannte Schriftstcke finden,

    whrend wichtige Dokumente im Bayerischen Hauptstaatsarchiv

    im Kriege zerstrt worden waren. Die Bayerische Akademie der

    Wissenschaften, mit der Karl Krumbacher eng und aktiv verbun-

    den war, hat die Beitrge in ihre Sitzungsberichte aufgenommen.

    Fr technische Hilfe bei der Zusammenstellung und Druckkorrek-

    tur der Texte sei Frau Ruth Hpfner von der Bayerischen Staats-

    bibliothek und Herrn Gerard Duursma vom Thesaurus linguae

    Latinae der besondere Dank der Herausgeber ausgesprochen.

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    Vorwort 7

    Vor hundert Jahren befand sich die junge Wissenschaft der By-

    zantinistik in einer Aufbruchsstimmung. Allenthalben in Europa

    wurden Professuren und Lehrsthle geschaffen, oft besetzt mit jun-

    gen Gelehrten, die bei Krumbacher in Mnchen studiert hatten.

    Heute sind die geistigen und materiellen Voraussetzungen in

    Deutschland wie im Ausland zunehmend in Frage gestellt. Auch

    aus diesem Grund schien es ntig, Karl Krumbachers zu gedenken

    und an seinen Mut und seine wegweisende Bedeutung durch eine

    Publikation zu erinnern.

    Mnchen, im Januar 2011 Peter Schreiner, Ernst Vogt

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    ST A T T EI NER BI O GRA PHI E

    Statt einer Biographie

    Tabellarischer Lebenslauf

    1856 23. September: Geburt in Unterkrnach, GemeindeWiggensbach (bei Kempten)

    1862 Umzug der Familie nach Kempten

    18691875 Besuch des humanistischen Gymnasiums Kempten

    18751879 Studien an den Universitten Mnchen und Leipzig

    1879 Staatsexamen in Klassischer Philologie und Eintritt in

    den Gymnasialdienst

    1883 Promotion

    1884 Habilitation18841885 Griechische Reise

    1890 Aufnahme in die Bayerische Akademie der Wissen-

    schaften als auerordentliches Mitglied

    1891 Erscheinen der 1. Auflage der Geschichte der By-

    zantinischen Litteratur

    Eintritt in den Universittsdienst und Ernennung zum

    Extraordinarius

    1892 Grndung der Byzantinischen Zeitschrift1895 Wahl zum ordentlichen Mitglied der Bayerischen

    Akademie der Wissenschaften

    1897 Errichtung des Lehrstuhles

    1898 25. Januar: Genehmigung zur Errichtung eines Semi-

    nars fr Mittel- und Neugriechische Philologie

    1899 21. Januar: feierliche Erffnung des Seminars

    1906 Verleihung des Bayerischen Maximiliansordens, des

    Ritterkreuzes der Franzsischen Ehrenlegion fr Wis-

    senschaften und des Palmenordens der Franzsischen

    Akademie der Wissenschaften

    1909 12. Dezember: Tod

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    10 Statt einer Biographie

    Statt einer Biographie

    Nachrufe und bio-bibliographische Wrdigungen

    (Auswahl in chronologischer Folge)

    Carl Weyman, Allguer Zeitung vom 27. Januar 1910, 12

    Ders., Historisch-politische Bltter 145 (1910) 161176

    Ernst Kuhn, Sitzungsberichte der philos.-philol. und der hist.

    Klasse der Kniglich Bayerischen Akademie der Wissenschaften

    1910, 1825 (unter Mitwirkung von Paul Marc)

    Konstantin Jireek, Archiv fr Slavische Philologie 31 (1909/10)632635

    Otto Crusius, Sddeutsche Monatshefte 7 (1910) 208210

    Albert Thumb, Anzeiger fr Indogermanische Sprach- und Alter-

    tumskunde (Beiblatt zu den Indogermanischen Forschungen) 27

    (1910) 4853

    Karl Dieterich, Neue Jahrbcher fr das klassische Altertum, Ge-

    schichte und Deutsche Literatur 13 (1910) 279295

    Ders., Biographisches Jahrbuch und deutscher Nekrolog 14 (1912)

    136142

    Hermann A. Buk, Karl Krumbacher zur zehnten Wiederkehr sei-

    nes Todestages (12. XII. 1909), Trier 1919

    August Heisenberg, Allguer Geschichtsfreund 24 (1925) 126

    Franz Dlger, in: Hans-Georg Beck (Hrsg.), . Festgabe

    fr die Teilnehmer am XI. Internationalen Byzantinistenkon-

    gre, Mnchen 15.20. September 1958, 121135Ders., in: Geist und Gestalt. Biographische Beitrge zur Geschichte

    der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 1, Mnchen

    1959, 144152

    Ders., in: Lexikon fr Theologie und Kirche, 2. Aufl., Bd. 6, Frei-

    burg 1961, 650651

    Peter Wirth, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 13, Berlin 1982,

    121

    Anon., in: Deutsche Biographische Enzyklopdie, Bd. 6, Mnchen1995, 128

    Armin Hohlweg, in: Lexikon fr Theologie und Kirche, 3. Aufl.,

    Bd. 6, Freiburg u.a. 1997, 494

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    Statt einer Biographie 11

    Martin Hose, ,Franz Dlger, in: Dietmar Willoweit (Hrsg.), Den-

    ker, Forscher und Entdecker. Eine Geschichte der Bayerischen

    Akademie der Wissenschaften in historischen Portraits, Mn-

    chen 2009, 307321 (zu Krumbacher 308314)

    Krzere Nachrufe, vor allem im Ausland, sind angezeigt in: Byzan-

    tinische Zeitschrift 19 (1910) 204205, 581582 und 20 (1911)

    298, 560

    Ein von August Heisenberg zusammengestelltes Verzeichnis der

    Schriften Karl Krumbachers findet sich in: Byzantinische Zeit-schrift 19 (1910) 700708

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    Albrecht Berger

    KARL KRUMBACHER UND SEI NE ZEIT

    Karl Krumbacher und seine Zeit

    Der Anlass unserer heutigen Feier ist der Todestag von Karl Krum-

    bacher, dem ersten Professor fr Byzantinistik an der Universitt

    Mnchen, der sich am kommenden Samstag, dem 12. Dezember,

    zum hundertsten Mal jhrt.Was ich im Folgenden ber sein Leben zu berichten habe, be-

    ruht im wesentlichen, aber nicht allein, auf zwei biographischen

    Skizzen, die von Franz Dlger und Johann Baptist Aufhauser 1958

    anlsslich des Internationalen Byzantinistenkongresses in Mnchen

    verffentlicht wurden.1 Dlger hat Karl Krumbacher nicht mehr

    persnlich kennengelernt, im Unterschied zu Aufhauser, der selbst

    in seiner Jugend an Krumbachers Seminaren teilgenommen hatte

    und in seinem Beitrag ein sehr persnlich gefrbtes Bild zeichnet.Karl Krumbacher war, um damit gleich zu beginnen, der Be-

    grnder der Byzantinistik als moderner wissenschaftlicher Disziplin

    und hat sie in Deutschland, wenn man so will, im Alleingang eta-

    bliert. Dazu grndete er eine eigene Zeitschrift als Sprachrohr des

    neuen Fachs, die Byzantinische Zeitschrift, und gab sie jahrelang her-

    aus. Dann setzte er gegen viele Widerstnde die Grndung eines

    eigenen Seminars an der Mnchener Universitt durch. Kurz ge-

    sagt, ohne seine Tatkraft wre die Byzantinistik als Universittsfach

    niemals in Deutschland etabliert worden. All das war aber mit ei-

    nem ungeheuren Arbeitspensum verbunden, und sein frher Tod

    im Alter von nur 53 Jahren war der Preis, den Krumbacher fr die-

    sen Erfolg zu zahlen hatte.______________________________________________________________________

    1 Franz Dlger, Karl Krumbacher, in: XAIKE. Festgabe fr die Teilnehmer

    am XI. Internationalen Byzantinistenkongre, Mnchen 15.20. September

    1958, 121135; Johann Baptist Aufhauser, Karl Krumbacher. Erinnerungen,ebd. 161187. Zitiert ist ferner aus demselben Band: Hans-Georg Beck, Das

    Institut fr Byzantinistik und neugriechische Philologie der Universitt Mn-

    chen, ebd. 189201. Vgl. auch Karl Dieterichs Nekrolog auf Krumbacher in:

    Biographisches Jahrbuch und deutscher Nekrolog 14 (1912) 136142.

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    14 Albrecht Berger

    Jugend und Studium

    Karl Krumbacher wurde am 23. September 1856 in Krnach in

    Bayerisch Schwaben geboren und wuchs im nahen Kempten auf,

    wo er Schule und wie es heit, mit wenig Begeisterung das

    Gymnasium absolvierte.

    Im Wintersemester 1875/76 begann er sein Studium der Klassi-

    schen Philologie an der Mnchener Universitt,2 ging zum Win-

    tersemester 1876/77 fr ein Jahr nach Leipzig3 und setzte sein

    Studium danach wieder in Mnchen fort, wo er 1879 das Staats-examen ablegte. Seitdem wirkte er als Lehrer am Ludwigsgymna-

    sium in Mnchen, ohne deshalb seine akademischen Ambitionen

    aufzugeben. Schon whrend seiner Studienzeit berschritt Karl

    Krumbacher die engen Grenzen seines Faches, indem er sich auch

    fr das neuere Griechenland zu interessieren begann. Dazu drfte

    seine Bekanntschaft mit griechischen Studenten beigetragen haben,

    die es als Relikt der damals schon beendeten bayerischen Herr-

    schaft in Griechenland noch in grerer Zahl in Mnchen gab.Unter diesen Freunden aus seiner Studienzeit waren der bekannte

    Volkskundler Nikolaos Politis, der Dichter Aristomenis Provelen-

    gios und der Maler Georgios Iakovidis,4 von dem spter noch die

    Rede sein wird.

    Whrend Krumbachers 1883 verfasste Dissertation ber das grie-

    chische Gesprchsbuch des Pseudo-Dositheos noch ein Thema der

    klassischen Grzistik behandelte, schlug er mit seiner Habilitation

    im folgenden Jahr 1884 endgltig den Weg zur Byzantinistik ein,denn er beantragte und erhielt die venia legendi fr das Fach Mit-

    tel- und neugriechische Philologie, das es damals noch an keiner

    ______________________________________________________________________

    2 Matrikeleintrag: Amtliches Verzeichniss des Personals der Lehrer, Beamten und

    Studirenden an der kniglich bayerischen Ludwig-Maximilians-Universitt zu

    Mnchen. Winter-Semester 1875/76, Mnchen 1876, 41 (zugnglich unter

    http://epub.ub.uni-muenchen.de/9599/1/pvz_lmu_1875_76_wise.pdf).

    3 Matrikeleintrag: Jens Blecher Gerald Wiemers (Hrsg.), Die Matrikel derUniversitt Leipzig, Teilband I: Die Jahre 1863 bis 1876, Weimar 2008, 497.

    Der Eintrag lautet:1875/76: 1369 /21. 10. 1876 / Krumbacher, Karl; Philol.; /

    Krnach; Bayern; 20 J.; Kathol.; / Gutsbesitzer; Ausl.

    4 Dlger (wie Anm. 1) 124. Zu Iakovidis siehe unten S. 2425.

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    Karl Krumbacher und seine Zeit 15

    Abb. 1: Urkunde zur Verleihung der Doktorwrde vom 5. Mai 1883

    (Archiv der Ludwig-Maximilians-Universitt Mnchen)

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    Abb. 2: Habilitationsurkunde vom 29. August 1884

    (Archiv der Ludwig-Maximilians-Universitt Mnchen)

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    Karl Krumbacher und seine Zeit 17

    Universitt gab. In den folgenden Jahren verfasste er dann, neben

    seinen Verpflichtungen als Lehrer am Mnchener Ludwigsgymna-

    sium und als Privatdozent an der Universitt, seine Geschichte der

    byzantinischen Litteratur, mit deren Erscheinen im Jahr 1891 er

    schlagartig als Wissenschaftler bekannt wurde.5

    Welches Unverstndnis ihm damals von seiten vieler Kollegenentgegenschlug, weil er sich mit einem derart (vermeintlich) min-derwertigen Gegenstand befasste, kann man aus dem Vorwort zudieser Literaturgeschichte entnehmen sicher einem der schnstenStcke satirisch gefrbter Wissenschaftsprosa, die in dieser Zeit ge-schrieben wurden.6 Ich zitiere daraus: Einer der ersten Sterne amphilologisch-historischen Himmel von Europa warnte mich einstmit eindringlichen Worten vor dem Studium der unaussprechli-chen Jahrhunderte und ihrer geistigen Erzeugnisse; die reine Liebezum Altertum und die pdagogische Kraft mssen verkmmern,wenn sich die Philologie auf solche Abwege verirre; ich mge Bussethun und zu den sthetischen Fleischtpfen der klassischen Zeit

    zurckkehren. Wenn solches am grnen Holze geschieht, was sollman vom drren erwarten? Es ist wohl zweifellos, dass die Mehr-zahl unserer Fachgenossen sich noch auf dem Standpunkte desBonner Doktors befindet, dem es unbegreiflich war, dass man sich

    mit einer Zeit beschftigen knne, in der den Akkusativ re-

    gierte. Ich brauche deshalb hier nicht, wie es sonst in Vorredenhergebracht ist, mein Verhltnis zu Vorgngern darzulegen dennich habe keine; was mir obliegt, ist vielmehr, das wissenschaftlicheRecht des Gegenstandes an sich in Schutz zu nehmen ; und

    einige Zeilen danach: Um es kurz zu sagen: soll sich die Philolo-gie als eine geschichtliche Wissenschaft im vollsten Sinne des Wor-tes bewhren, so muss sie auch die Erforschung der byzantinischen

    Zeit ohne Rckhalt in ihr Bereich ziehen; dann mssen auch diegutgemeinten Bedenken der sinnenden Gemter verstummen, dienoch nicht gelernt haben, die Begriffe des sthetischen Vergngensund der pdagogischen Brauchbarkeit von dem der wissenschaft-lichen Forschung zu trennen; verstummen werden die Einwnde

    ______________________________________________________________________5 Karl Krumbacher, Geschichte der byzantinischen Litteratur von Justinian bis

    zum Ende des ostrmischen Reiches (5271453) (Handbuch der klassischen

    Altertumswissenschaft IX/1), Mnchen 1891. Siehe unten S. 31 und 4142.

    6 Ebd. VVII.

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    18 Albrecht Berger

    der wissenschaftlichen Bureaukraten, welche die philologischenStudien auf einen durch hhere Verfgung bestimmten Kreis aner-kannter Schriftwerke beschrnken mchten Alles das ist so ein-

    fach und selbstverstndlich, dass man sich scheuen msste es ffent-lich auszusprechen, wenn es nicht das Schicksal des Einfachen undSelbstverstndlichen wre, dass es im bitteren Streite erkmpft wer-den muss. Die Kraft der Thatsachen wird aber auch hier zum Siegegelangen

    Krumbacher musste damals erfahren, welche Widerstnde der-jenige zu berwinden hat, der es unternimmt, einem neuen For-schungszweig innerhalb der ausgefahrenen Geleise des akademi-schen Unterrichtsplans eine Bahn zu ffnen und gegen Vorurteilezu kmpfen, die ebenso ehrwrdig wie irrig sind.7 Und auchheute noch sind diese Vorurteile gegenber der Byzantinistik, dasmuss hier leider gesagt sein, ganz und gar nicht ausgerumt.

    Die Literaturgeschichte erschien einige Jahre spter, 1897, noch-mals in einer stark erweiterten zweiten Auflage. Sie blieb bis zumErscheinen von Herbert Hungers Literaturgeschichte 1978 das

    Standardwerk auf ihrem Gebiet, und fr einige Dinge sollte sieauch heute noch konsultiert werden.

    Die griechische Reise und die Zeit als Lehrer

    Im Jahr 1884, also whrend seiner Zeit als Gymnasiallehrer, bekamKarl Krumbacher die Gelegenheit, sich beurlauben zu lassen und

    mit Hilfe eines Stipendiums eine Reise nach Griechenland und indie Trkei zu unternehmen. ber diese Reise werden wir im fol-genden Beitrag von Franz Tinnefeld noch mehr erfahren.8 Hiernur soviel, dass Krumbacher zwar schon gelegentlich ber die Tou-ristenmassen an bestimmten Orten klagte, trotzdem aber unter-wegs einige ziemlich gefhrliche Situationen zu bewltigen hatte.Die Reise diente zwar vorwiegend wissenschaftlichen Zwecken,scheint aber alles in allem, so wie sie von ihm geschildert wird,

    ______________________________________________________________________7 Dlger (wie Anm. 1) 123.8 Siehe unten S. 30. Der Bericht ber diese Reise: Karl Krumbacher, Griechi-

    sche Reise: Bltter aus dem Tagebuche einer Reise in Griechenland und inder Trkei, Berlin 1886 (Ndr. Athen 1979).

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    Karl Krumbacher und seine Zeit 19

    doch einer der entspannteren Abschnitte seines Lebens gewesen zusein. Denn Krumbacher arbeitete, davor und danach, praktisch oh-ne Unterbrechung und bis zum Rand seiner Leistungsfhigkeit, oftauch darber hinaus.

    Es wird aus dieser Zeit kolportiert ich zitiere , da ihn seineSchler, wenn sie in frher Morgenstunde vergngten Sinnes vonder Kneipe heimkehrten und beim Vorbeigehen an seiner Woh-nung in der Amalienstrae in seinem Zimmer noch Licht bemerk-ten, dort arbeitend vorfanden, einen mit einem Reizmittel ge-trnkten Wattebausch vor dem Mund und die Fe in kaltem

    Wasser stehend.9

    Praktiken dieser Art sind noch mir zu meinereigenen Studentenzeit unter Berufung auf das Vorbild Krumba-chers als erstrebenswert, ja als notwendig nahegelegt worden.

    Aber auch Krumbacher hatte damit seine Grenzen erreicht: Diestndige berarbeitung durch die gleichzeitige Ttigkeit als Gym-nasiallehrer mit den damals blichen groen Klassen von manch-mal ber sechzig Schlern und als Universittsdozent forderteihren Tribut. Mehrfach, besonders gegen Ende seiner Dienstzeit als

    Gymnasiallehrer, musste er sich beurlauben oder fr lngere Zeitkrankschreiben lassen, und auch spter litt er hufig an Erschp-fungszustnden, an hartnckigen Grippe- und Hustenerkrankun-gen, vor allem aber an Augenproblemen, die ihn zeitweise sehrernsthaft an der Arbeit hinderten.10

    Die Byzantinische Zeitschrift und das Seminar fr Byzantinistik

    Krumbachers akademische Karriere schritt trotzdem voran sowurde er unter anderem 1890 zum auerordentlichen, spter auchzum ordentlichen Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissen-schaften gewhlt,11 und schlielich gelang es ihm 1892, nach demErscheinen seiner Literaturgeschichte, als auerordentlicher Profes-sor an die Mnchener Universitt zu wechseln. Um die Byzanti-nistik dort als wissenschaftliches Fach fest zu etablieren, betrieb er

    von da an zwei weitere Dinge, einmal die Grndung derByzanti-______________________________________________________________________

    9 Dlger (wie Anm. 1) 130.10 Aufhauser (wie Anm. 1) 183184 Anm. 3.11 Siehe unten S. 6382.

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    nischen Zeitschrift, zum anderen die Einrichtung eines regulren

    Seminars an der Universitt mit eigenen Rumen.

    Die Byzantinische Zeitschrifterschien seit 1892 zweimal jhrlich

    bei B.G. Teubner in Leipzig.12 Heute wird sie, nach mehreren

    Wechseln, beim Verlag De Gruyter in Berlin herausgegeben. Ihre

    Gestalt hat sich zwar ber das vergangene Jahrhundert immer wie-

    der gewandelt, doch ist das damals von Karl Krumbacher entwi-

    ckelte Konzept bis heute bewahrt geblieben, nmlich die Gliede-

    rung in drei Abteilungen mit Aufstzen, Besprechungen und einer

    kommentierten Fachbibliographie. Auch wenn in den folgenden

    Jahren und Jahrzehnten immer neue byzantinistische Fachzeit-schriften gegrndet wurden, so hat die Byzantinische Zeitschriftihre

    bedeutende Rolle vor allem durch die Fachbibliographie noch lan-

    ge, letztlich bis heute halten knnen.

    Da Krumbacher seinen akademischen Unterricht aus Mangel an

    geeigneten Rumen in seiner Privatwohnung durchfhren musste,

    die dafr auf die Dauer nicht gut geeignet war, beantragte er bei

    der kniglichen Regierung auf dem Weg ber Fakultt und Senat

    die Mittel zum Betrieb eines eigenen Seminars. Universitt undRegierung untersttzten das Projekt, nicht aber der Landtag, der

    diese Gelder bewilligen musste. So kam es, dass die Antrge auf

    Einrichtung eines byzantinischen Seminars auf einer Landtagssit-

    zung im Mrz 1896 abgelehnt wurden. Krumbacher gab aber nicht

    auf. 1897 wurde er zum ordentlichen Professor ernannt, und 1898

    folgte die Grndung des Seminars mit auslndischen, vor allem

    griechischen Stiftungsgeldern.13

    Schn und lesenswert ist hier Krumbachers eigener Bericht berdiese Vorgnge im fnften Band derByzantinischen Zeitschrift.14Der

    Widerstand im Landtag gegen die beiden damals neuen Fcher

    Byzantinistik und Psychologie ging von einer Gruppe konservati-

    ver Abgeordneter der Zentrumspartei aus, und Krumbacher lie es

    sich nicht nehmen, die Rede des Abgeordneten Dr. Daller im

    Wortlaut zu zitieren. Nachdem sich Daller nmlich ber die Psy-

    ______________________________________________________________________12 Siehe unten S. 28.

    13 Siehe unten S. 35.

    14 Karl Krumbacher, Das Schicksal des byzantinischen Seminars in Mnchen,

    Byzantinische Zeitschrift 5 (1896) 379381.

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    Karl Krumbacher und seine Zeit 21

    chologie ausgelassen hatte, fuhr er fort: Meine Herren! Das Glei-

    che gilt in Betreff des byzantinischen Seminars. Natrlich ist es klar

    das htte eine Zeitung nicht zu schreiben gebraucht , da an

    den Universitten nicht der Byzantinismus im vulgren Sinne

    durch ein Seminar solle weiter verbreitet werden; das geschieht so

    schon mitunter. (Heiterkeit.) Meine Herren! Das byzantinische

    Seminar hat uns allerdings schon viele Schmerzen gemacht. Was

    war das fr eine Schwierigkeit, bis man den betreffenden Professor,

    der Gymnasiallehrer war, an die Universitt hinberbrachte! Nun

    ist es aber ein so beschrnktes Fach und bei uns so sehr vereinzelt,

    da, wenn heute der Professor ich wnsche ihm ja das lngsteLeben abginge, die Professur leer wre. Es wre auch niemand

    dafr da. Es sind auch nur ganz wenige Zuhrer, natrlich jngere

    Studierende. Die Litteratur der byzantinischen Zeit ist hochinteres-

    sant, das wei ich schon. Aber es sind nur ganz wenige von den

    jngeren Leuten, die die Sache sich aus einem Wissensdrang ein

    bichen anschauen und dann wieder weiter gehen. Aber sich ei-

    gentlich dem Fache zu widmen, dazu ist kein Anla, und daher

    hre ich denn auch, da die Zuhrer, die Zahl der eigentlichenStudierenden eine ganz kleine ist. Dafr kommen aber Gelehrte

    dann und wann aus England, Amerika u.dgl., die den betreffenden

    Professor zu Rate ziehen, auch mit ihm arbeiten, bei ihm lernen.

    Nun, meine Herren, wenn aber solche Mnner kommen, so

    mchte ich doch nicht meinen, da der bayerische Staat dafr

    gleich jetzt 1000 Mark fr eine Bibliothekanschaffung bestimmter

    Werke u.dgl. ausgeben sollte. Ich billige ja das Studium an und fr

    sich, aber ich unterscheide auch hier zwischen dem, was Staats-zweck ist, und dem, was als ein freies Betreiben der Wissenschaft

    bei dem Einzelnen durchaus als lobenswert anzuerkennen ist. Das

    sind die Grnde gewesen, meine Herren, welche uns bewogen

    haben, auch dieses Postulat der Regierung abzulehnen.

    Krumbacher hat den besagten konservativen Kreisen diese Ab-

    lehnung, wie es heit, bis zu seinem Lebensende sehr verbelt. An

    der prinzipiellen Situation des Fachs aber hat sich, so muss man

    leider feststellen, seither nichts Grundlegendes gendert, denn die

    Zahl der Studenten ist nach wie vor gering, und die Byzantinistik

    an vielen Orten von der Schlieung oder der Streichung der Lehr-

    sthle bedroht.

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    22 Albrecht Berger

    Die spteren Jahre

    An der selbst verordneten berlastung mit Arbeit nderte sich frKrumbacher auch nach der erfolgreichen Etablierung des Seminarsfr Byzantinistik nichts, ganz im Gegenteil. In seinen Briefen anden bekannten Kirchenhistoriker Albert Ehrhard klagt Krumba-cher immer wieder ber seine gesundheitlichen Probleme. Soschreibt er am 28. Februar 1896: Durch all das wurde ich in derArbeitskraft sehr beeinflut. Trotzdem habe ich mit uerstem

    Aufgebot gearbeitet und die Beamten der Bibliothek sagten fters:Es ist Wahnsinn, da Du in diesem Zustand Dich auf die Biblio-thek schleppst. Ich habe mir seit vorigen Ostern im Ganzen 3 freieTage gegnnt. Und am 14. Januar 1899: Vorgestern habe ichnicht weniger als 21 Karten, Briefe und sonstige Postsachen befr-dert. Ich bin wie so oft wieder einmal ganz berarbeitet. Wenn dieByzantinische Zeitschrift nicht so wichtig wre, htte ich guteLust, sie aufzugeben. Es ist die wahre Tretmhle.15 Wie die Arbeit

    an ihr zu Krumbachers Zeit ausgesehen haben mag, ohne Compu-ter, ohne e-mail und Datenbanken, kann und mchte man sichheute kaum noch vorstellen.

    Das Seminar wurde in den Jahren nach seiner Grndung zumSammelpunkt fr viele am Fach Interessierte aus dem In- und Aus-land, vor allem aus den Balkanlndern und Griechenland, aberauch aus anderen Lndern. Vielen von Krumbachers Schlern ge-lang es nach ihrer Rckkehr in ihre Heimatlnder, dort nach dem

    Mnchener Vorbild die Byzantinistik aufzubauen, so Nikos Veis(Bees) und Konstantinos Amantos in Athen oder Silvio GiuseppeMercati in Rom.16

    In seiner eigenen wissenschaftlichen Arbeit befasste sich Krum-bacher, neben und nach seiner Literaturgeschichte, vor allem mitden Werken des Kirchendichters Romanos.17 Das ist der Grund,weshalb der Byzantinische Kantorenchor des Griechischen Musik-vereins, der dankenswerterweise die heutige Feier musikalisch ge-

    ______________________________________________________________________

    15 Aufhauser (wie Anm. 1) 184 Anm. 3.16 Beck (wie Anm. 1) 194.17 Siehe unten S. 39 mit Anm. 2.

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    Karl Krumbacher und seine Zeit 23

    staltet, dieses unter anderem mit zwei heute noch gesungenen

    Werken des Romanos tut.

    Da Krumbacher den Zugang zur byzantinischen Welt einerseits

    von seinem Studium der Klassischen Philologie her gefunden hat-

    te, andererseits aber durch die Bekanntschaft mit den zu seiner Zeit

    in Mnchen lebenden Griechen, konzentrierte sich sein Interesse

    an der byzantinischen Literatur im brigen auf jene nicht allzu

    zahlreichen Werke, die in der Umgangssprache ihrer Zeit und

    nicht, wie es meistens der Fall ist, in einer stark stilisierten, alter-

    tmlichen Hochsprache geschrieben waren. Das wiederum hatte

    zur Folge, dass er ber kurz oder lang zu dem griechischen Spra-chenstreit seiner eigenen Zeit Stellung beziehen musste.

    Seit der Grndung des neuen Griechenlands 1829 wurde dort im

    ffentlichen Leben, in der Literatur und sogar im Schulunterricht

    die sogenannte katharevousa verwendet, eine archaisierende, knst-

    lich von Fremdwrtern gereinigte Form des Griechischen, die ohne

    besondere Vorbildung kaum verstndlich war und von den Grie-

    chen selbst erst mhsam erlernt werden musste. Die Gegenbewe-

    gung dazu, also die Propagierung der wirklich zeitgenssischenUmgangssprache als Sprache der Literatur, brach sich 1888 mit dem

    programmatischen Werk Meine Reise von Giannis Psycharis ihre

    Bahn. Krumbacher, der Psycharis persnlich kannte und zeitweilig

    mit ihm korrespondierte,18 sympathisierte mit den Anhngern der

    dimotiki, der Volkssprache, und so geriet er, ohne es zu wollen, in

    den Konflikt zwischen den Anhngern der beiden Sprachformen

    hinein, der in Griechenland bis zu Straenkmpfen mit Toten und

    Verletzten und bis zum Rcktritt einer Regierung fhrte.1902 hielt Krumbacher in Mnchen eine akademische Festrede

    berDas Problem der neugriechischen Schriftsprache, die noch im glei-

    chen Jahr verffentlicht wurde,19 und in der er unter anderem

    fr die Verwendung der Volkssprache in den Schulen eintrat. So-

    fort wurde er von konservativen Krften in Griechenland heftig______________________________________________________________________

    18 Vgl. dazu M.-E. Mitsou, Karl Krumbacher, in:

    G. Farinou-Malamatari (Hrsg.), . , ,Thessaloniki 2005, 459474.

    19 Karl Krumbacher, Das Problem der neugriechischen Schriftsprache: Festrede

    gehalten in der ffentlichen Sitzung der Akademie der Wissenschaften zu

    Mnchen am 15. Nov. 1902, Mnchen 1902; s. dazu auch unten S. 7172.

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    24 Albrecht Berger

    attackiert, die ihm zuletzt sogar vorwarfen, er sei ein russischerAgent. Krumbacher selbst schrieb im Jahr 1904 an Albert Ehrhard:Durch mein Buch ber das Problem der neugriechischen Schrift-sprache ist eine wilde Hetzjagd gegen mich entfesselt worden, dieseit fast einem Jahre andauert. Ich wre wohl meines Lebens nichtsicher, wenn ich jetzt in Hellas reisen wollte.20 Der Vorwurf derRussenfreundlichkeit hatte seinen realen Kern darin, dass Krum-bacher in seinen spteren Jahren, angeregt durch seine Schler ausden orthodoxen slavischen Lndern, ein starkes Interesse an dermittelalterlichen Kultur der Slaven entwickelt hatte, die fr das

    Verstndnis von Byzanz tatschlich von groer Bedeutung ist. Erbegann, selbst Russisch zu lernen und sogar an der Universitt zuunterrichten, und betrieb seit 1908, also dem Jahr vor seinem Tod,die Errichtung einer Professur fr Slavistik. Die tatschliche Grn-dung im Jahr 1911 hat er freilich nicht mehr erlebt.21

    Karl Krumbacher als Mensch

    Schlieen mchte ich meinen Vortrag mit einigen Bemerkungenber Karl Krumbacher als Nicht-Byzantinisten und Privatmen-schen. Aus allen uns vorliegenden Berichten ist klar zu erkennen,dass Krumbacher bei aller Belastung und berlastung immer nochZeit fr andere Dinge als die Byzantinistik gefunden hat. Er warnicht, wie man es wohl vermuten knnte, vllig in seine Studienvergraben, sondern pflegte zahlreiche Freundschaften und Be-

    kanntschaften, nicht nur mit Kollegen von der Universitt wie demKlassischen Philologen Otto Crusius oder dem MittellateinerLudwig Traube, sondern auch mit Literaten wie Paul Heyse oderMalern wie Franz Lenbach.22 Als sein Studienfreund, der griechi-sche Maler Georgios Iakovidis, zeitweise ohne Arbeit und Ein-kommen war, stellte ihm Krumbacher Leinwand und Farben zurVerfgung, unter der Bedingung, Iakovidis solle ein Portrait vonihm malen und ihm Malunterricht erteilen. Die Abmachung kam______________________________________________________________________

    20 Aufhauser (wie Anm. 1) 187 Anm. 9.21 Ebd. 175176.22 Dlger (wie Anm. 1) 128129.

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    Karl Krumbacher und seine Zeit 25

    Abb. 3: Ausschnitt aus einem Brief Krumbachers an Otto Crusius (Heidelberg)

    vom 11. Juni 1901 mit der Mitteilung, sich fr Crusius Nachfolge auf den Lehrstuhl

    von Wilhelm von Christ einzusetzen

    (Nachlass-Sammlung der Bayerischen Staatsbibliothek, Crusiusiana)

    tatschlich zustande, und so begann Krumbacher selbst zu malen

    eine Beschftigung, die er in spteren Jahren wegen der Arbeit im

    Seminar aber wieder aufgeben musste. Einige seiner Gemlde sind

    noch erhalten, darunter das Bild eines Mdchens, das sich heute im

    Institut befindet.23 Krumbacher unterhielt auch gute Beziehungen

    zum Haus der Wittelsbacher, besonders zur Prinzessin Therese, der

    Tochter des Prinzregenten Luitpold, die sich als Ethnologin und

    Botanikerin einen Namen gemacht hatte.24

    Krumbacher hatte selbst keine Familie, und so suchte er in ge-

    wissem Umfang Ersatz im geselligen Kreis seiner Schler, mit de-nen er gerne einmal zum Kegeln ging oder im Sommer Ausflge

    ______________________________________________________________________

    23 Aufhauser (wie Anm. 1) 180181.

    24 Ebd. 171172.

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    26 Albrecht Berger

    nach Hanfeld bei Starnberg unternahm, wo sein Bruder auf einem

    Hof eine Gastwirtschaft betrieb.25

    Am 11. Dezember 1909 erlitt Karl Krumbacher vllig unerwar-

    tet einen Schlaganfall, als er eben auf dem Weg zur Universitt

    war, und starb kurz danach an den Folgen. 26 Die zahlreichen

    Nachrufe27 zeigen, welchen Ruf er zum Zeitpunkt seines Todes als

    Wissenschaftler errungen hatte. Auf dem Lehrstuhl in Mnchen

    folgten ihm erst August Heisenberg, spter Franz Dlger nach.

    Soweit diese kurze biographische Skizze. Die folgenden Beitrge

    sollen die Leistungen Karl Krumbachers herausstellen als Be-

    grnder der Byzantinistik, als Wissenschaftler und als Akademie-mitglied.______________________________________________________________________

    25 Ebd. 181.

    26 Ebd. 178179; Dlger (wie Anm. 1) 127.

    27 Siehe oben S. 1011.

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    Franz Tinnefeld

    DIE BEGRNDUNG DER BYZANTINISTIK ALSWISSENSCHAFTLICHER DISZIPLIN

    Die Begrndung der Byzantinistik als Disziplin

    Karl Krumbacher (18561909) gilt allgemein als der Begrnder der

    Byzantinistik als einer neuen, unabhngigen, klar definierten undinternational anerkannten wissenschaftlichen Disziplin von Univer-sittsrang. Er selbst nannte zwar das Fach, dessen Einrichtung an derUniversitt Mnchen er durchsetzte, Mittel- und NeugriechischePhilologie, aber die lange vor ihm fr die Kultur des Ostrmi-schen Reiches eingefhrte Bezeichnung byzantinisch findet sichbereits im Titel eines von ihm verfassten einschlgigen Handbuchesund der von ihm begrndeten Fachzeitschrift. Das Handbuch derbyzantinischen Profanliteratur vom 6. bis zum 15. Jahrhundert, daser im Jahr 1891 in erster Auflage vorlegte,1 illustrierte durch aus-fhrliche Bibliographien den vorausgehenden Forschungsstand ei-nes Faches, das von Krumbacher keineswegs erst erfunden wurde,erteilte aber zugleich der Byzanzforschung in ihrer ganzen Breiteneue Impulse. Dies gilt noch mehr fr die zweite, erweiterte Aufla-ge von 1897, der Krumbacher zwei ergnzende Beitrge hinzuf-

    gen konnte, ein Kapitel ber die theologische Literatur der Byzan-tiner von Albert Ehrhard und einen Abriss der byzantinischenKaisergeschichte von Heinrich Gelzer.

    Zum Erweis der Geschichte des Faches vor Krumbacher seienhier nur summarisch einige wenige Stationen genannt, vor allemdie bekannten Sammlungen der byzantinischen Geschichtsquellen(das Corpus Parisinum ab 1645, in Venedig ab 1729 und in Bonnmit Ergnzungen ab 1828 nachgedruckt), im 17. Jahrhundert fer-

    ner die Hauptwerke des Charles Dufresne Sieur Du Cange, das______________________________________________________________________

    1 Karl Krumbacher, Geschichte der byzantinischen Litteratur von Justinian biszum Ende des ostrmischen Reiches (5271453) (Handbuch der klassischenAltertumswissenschaft IX/1), Mnchen 1891.

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    28 Franz Tinnefeld

    berhmte Lexikon der mittelgriechischen Grzitt und die For-schungen zur historischen Topographie von Konstantinopel undzur Genealogie angesehener byzantinischer Familien, sowie diebedeutenden Beitrge der Benediktiner von St. Maur Jean Mabil-lon zur byzantinischen Diplomatik und Bernard de Montfauconzur griechischen Palographie. Im 18. Jahrhundert folgten: eineumfangreiche Stoffsammlung zur byzantinischen Literaturgeschich-te von Fabricius2 und die ersten Gesamtdarstellungen der byzanti-nischen Geschichte von Lebeau3 und Edward Gibbon,4 im 19.Jahrhundert die Erschlieung weiterer Spezialgebiete wie Numis-

    matik5

    und Sigillographie.6

    Die seit 1892 von Krumbacher herausgegebene ByzantinischeZeitschrift enthlt auer Aufstzen und Rezensionen die ersteund als einzige bis zur Gegenwart weitergefhrte umfassende by-zantinistische Bibliographie,7 um welche verwandte Fcher wie dieMedivistik die Byzantinistik mit Recht beneiden.

    Krumbacher begann seine universitre Laufbahn nicht als Stu-dent der Byzantinistik, sondern der Klassischen Philologie, vor

    allem bei Wilhelm von Christ, der von 1860 bis 1903 an derUniversitt Mnchen lehrte.8 1883 wurde Krumbacher von einer______________________________________________________________________

    2 Johann Albert Fabricius, Bibliotheca Graeca, 14 Bnde, Hamburg 17051728;revidierte Edition in 12 Bnden, 17901809.

    3 Charles Lebeau, Histoire du Bas Empire, Paris 17571786.4 Edward Gibbon, The History of the Decline and Fall of the Roman Empire,

    London 17761788.5 Pierre Justin Sabatier, Description gnrale de monnaies byzantines, 2 Bde.,

    Paris 1862.6 Gustave Schlumberger, Sigillographie de lEmpire byzantin, Paris 1884.7 Zum Umfang dieser Bibliographie siehe Karl Krumbacher, Geleitwort zur

    Byzantinischen Zeitschrift, in: Ders., Populre Aufstze, Leipzig 1909, 231250. Eine weitere Fachbibliographie wurde seit 1929 von der in Prag erschei-nenden Zeitschrift Byzantinoslavica vorgelegt, bis zum Jahr 1994 weiterge-fhrt und mit Band 56 (1995) eingestellt.

    8 ber Krumbachers Studien siehe vor allem Karl Dieterich, BiographischesJahrbuch und deutscher Nekrolog 14 (1912) 136142, hier 137. Die freund-

    schaftliche Beziehung Krumbachers zu seinem Lehrer Christ lsst sich u. a. ausfolgenden Beobachtungen erschlieen: 1) In mehreren der 30 Briefe vonChrist an Krumbacher in der Sammlung Krumbacheriana der BayerischenStaatsbibliothek Mnchen redet ihn Christ als Lieber Freund an. 2) In dereinleitenden Passage seines Beitrages zur Festschrift fr Christ (Abhandlungen

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    Die Begrndung der Byzantinistik als Disziplin 29

    Kommission, der auch Christ angehrte, mit einer Abhandlungber die handschriftliche berlieferung eines griechisch-lateini-schen Gesprchsbuches aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. 9 zumDr. phil. promoviert. Die Wahl des Themas zeigt bereits das Inter-esse des Kandidaten an der Entwicklung des gesprochenen Grie-chisch, das ihn schlielich zu den byzantinischen Studien lenkte.10

    ______________________________________________________________________

    aus dem Gebiet der klassischen Altertumswissenschaft, Mnchen 1891, 307364, hier 307; zum Thema s. unten Anm. 10) nennt Krumbacher ihn magis-ter carissime. 3) Das Exemplar von Krumbachers gedruckter Dissertation inder Bayerischen Staatsbibliothek ist zusammengebunden mit der kurzen Ab-

    handlung Krumbachers Eine neue Handschrift der Grammatik des Dositheusund der Interpretamenta Leidensia, die der Kniglich Bayerischen Akademiedurch ihr Mitglied Christ vorgelegt und in deren Sitzungsberichten des Jahres1883, Philos.-philol. und hist. Classe, 193203, verffentlicht wurde. 4) Zuden Bemerkungen Christs ber Krumbacher in der Einleitung zu seiner Lite-raturgeschichte siehe unten S. 31 mit Anm. 15.

    9 Carolus Krumbacher, De codicibus quibus Interpretamenta Pseudodositheananobis tradita sunt. Dissertatio inauguralis Monacensis, Mnchen 1883, 68 S.Krumbacher widmet seine Dissertation Guilelmo Meyer Spirensi viro amicis-

    simo et doctissimo. Wilhelm Meyer aus Speyer (18451917) studierte in Mn-chen bei Karl Halm Klassische Philologie und arbeitete seit 1872 dort an derHof- und Staatsbibliothek als Katalogisator ihrer lateinischen Handschriften. Ab1886 lehrte er Klassische Philologie an der Universitt Gttingen, aber derSchwerpunkt seiner Forschung lag auf dem mittelalterlichen Latein. Siehe denArtikel Meyer, Wilhelm von Gabriel Silagi in: Neue Deutsche Biographie,Bd. 17, Berlin 1994, 376 f. Zu den Hermeneumata des Pseudo-Dositheossiehe Wilhelm Christ, Geschichte der griechischen Litteratur bis auf die Zeit

    Justinians (Handbuch der klassischen Altertumswissenschaft VII), Mnchen31898, 773775, im Kapitel Nachklassische Litteratur des Hellenismus,Nr. 573, ber den Grammatiker Julius Pollux, Lehrer der Sophistik in Athenunter Kaiser Commodus. Hier teilt Christ mit, dass die in fr-heren Zeiten dem Grammatiker Dositheus und spter dem Pollux zugeschrie-ben wurden. Unter Berufung auf Krumbacher gibt Christ als Stand der For-schung an, dass das Gesprchsbuch sowohl fr Griechisch wie Latein sprechendeBenutzer im frhen 3. Jahrhundert n. Chr. von einem Anonymus verfasst wur-de. Im lateinischen Mittelalter war es, wie sich aus den zahlreich berliefertenHandschriften ergibt, in vielfach abgewandelter Form weit verbreitet.

    10 In seinem Beitrag zur Festschrift Christ (zitiert oben Anm. 8) edierte Krumba-

    cher eine Version der Hermeneumata auf der Basis der Codices latini Mona-censes 13002, 22201 und 27317, die den griechischen Text in lateinischerTranskription wiedergeben, unter dem Titel Colloquium PseudodositheanumMonacense ad fidem codicum optimorum et antiquissimorum nunc primumedidit et apparatu critico adnotatiunculisque instruxit Carolus Krumbacher.

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    30 Franz Tinnefeld

    So verwundert es nicht, dass Krumbacher fr die Schrift, mit der

    er sich ein Jahr nach der Promotion, im Jahr 1884, habilitierte, be-

    reits ein sprachwissenschaftliches Thema whlte: Beitrge zu einer

    Geschichte der griechischen Sprache.11

    Der Erforschung der lebendigen Sprachpraxis des zeitgenssi-

    schen griechischen Volkes sollte eine Reise nach Griechenland und

    in die Trkei dienen, die Krumbacher von Oktober 1884 bis Mai

    1885 unternahm, mit finanzieller Untersttzung, welche knigli-

    che Huld alljhrlich jungen Archologen zu weiterer Ausbildung

    gewhrt. So heit es in seinem Reisebericht von 1886, in wel-

    chem er dem 1868 verstorbenen Knig Ludwig I., dem Stifter desStipendiums, anlsslich von dessen hundertstem Geburtstag am

    25. August 1886 besonderen Dank ausspricht und zugleich trau-

    ernd des am 13. Juni des gleichen Jahres verstorbenen Ludwig II.

    gedenkt.12

    Nach der Rckkehr von seiner Reise nahm Krumbacher als

    Privatdozent an der Universitt Mnchen seine Vorlesungsttigkeit

    auf.13 Auch in diesen ersten Jahren nach der Habilitation war sein

    Lehrer Wilhelm von Christ weiter auf seine Frderung bedachtund vermittelte als Mitglied der Bayerischen Akademie der Wis-

    senschaften die Publikation zweier weiterer Arbeiten seines Sch-

    lers in den Sitzungsberichten der Akademie, einer Abhandlung

    ber den irrationalen Spiranten zwischen zwei Vokalen im Vulgr-

    griechischen, 1886, und der Edition einer Sammlung byzantini-

    scher Sprichwrter, 1887.14

    ______________________________________________________________________

    11 Krumbacher publizierte nur einen Teil der Habilitationsschrift, der in der

    Zeitschrift fr vergleichende Sprachforschung 27 (1885) 481545 erschien

    (mit einem Nachtrag ebd. 29 [1888] 188192).

    12 Karl Krumbacher, Griechische Reise: Bltter aus dem Tagebuche einer Reise

    in Griechenland und in der Trkei, Berlin 1886 (Ndr. Athen 1979), XXXVI

    XXXVIII.

    13 Karl Dieterich, Zum Gedchtnis an Karl Krumbacher, Neue Jahrbcher fr

    das klassische Altertum 13 (1910) 279295, hier 282.

    14 Siehe August Heisenberg, Verzeichnis der Schriften von Karl Krumbacher,

    Byzantinische Zeitschrift 19 (1910) 700708, hier 702. Der Beitrag Ein irra-tionaler Spirant im Griechischen steht in den Sitzungsberichten des Jahres

    1886, 359444. Dort (359) heit es: Herr von Christ legte folgende Abhand-

    lung des Herrn Karl Krumbacher vor . Bemerkenswert ist das Literaturver-

    zeichnis (359363), das zahlreiche Werke der Volksliteratur auflistet.

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    Auch den Auftrag zur Abfassung seiner byzantinischen Literatur-geschichte, die ihn endgltig als Byzantinisten ausweisen sollte, er-

    hielt Krumbacher auf Veranlassung seines Lehrers. Dieser berichtet

    in der heute wegen der durchweg praktizierten Benutzung sptererAuflagen praktisch unbekannten Einleitung zur ersten Auflage 1888und zur zweiten 1890 seiner Geschichte der griechischen Litteratur

    bis auf die Zeit Justinians, dass er an eine Fortsetzung dieses Bandesdurch eine Darstellung der byzantinischen Literatur nach Justiniandachte, und fhrt fort: Aber da ich selbst auf diesem schwierigen,erst allmhlich sich aufhellenden Gebiete viel zu wenig bewandertbin, so musste auf anderem Wege Ersatz gesucht werden. Der fand

    sich in erwnschtester Weise dadurch, dass mein junger FreundDr. Krumbacher sich bereit finden liess, einen Abriss der byzantini-schen Litteratur als Ergnzung dieser Geschichte der altgriechischenLitteratur auszuarbeiten. Derselbe ist bereits so weit gediehen, dasssein Erscheinen im Laufe des nchsten Jahres in Aussicht gestelltwerden kann. Ich fhrte also mein Buch nur bis auf Justinian oderbis auf die Aufhebung der Philosophenschule Athens herab.15

    Christ tuschte sich mit seiner Ankndigung in zweierlei Hin-

    sicht: Krumbacher schrieb keinen Abriss, sondern ein umfang-reiches Handbuch, und dieses erschien nicht im Jahr nach derersten Ankndigung, sondern erst nach drei Jahren (1891), wasangesichts seines Umfanges verstndlich ist. Die Arbeit an demmagistralen Werk hinterlie ihre Spuren auch in seiner Lehrttig-keit und deutete sich vor allem im Titel seiner Winter-Vorlesung1886/87 an: Geschichte der byzantinischen Litteratur von Justi-nian bis zur Eroberung Konstantinopels 1453.16

    Die bereits erwhnte zweite und letzte Auflage des Handbuches,die 1897 erschien, wurde von seinem Freund Georgios Soteriadesins Neugriechische bersetzt. Eine sehr knapp gehaltene Kurzfas-

    sung erschien in Paul Hinnebergs Handbuch Die Kultur der Ge-genwart,17 zu dem auch Ulrich von Wilamowitz-Moellendorffeine Darstellung ber die klassische Literatur beisteuerte.

    ______________________________________________________________________

    15 Wilhelm Christ, Geschichte der griechischen Litteratur bis auf die Zeit Justi-

    nians (vgl. oben Anm. 9), 11888 und 21890, VII.16 Dieterich (wie Anm. 13) 283.

    17 Karl Krumbacher, Die griechische Literatur des Mittelalters, in: Paul Hinne-

    berg (Hrsg.), Die Kultur der Gegenwart. Ihre Entwickelung und ihre Ziele,

    I. Teil, 8. Abt., BerlinLeipzig 21907, 239290.

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    32 Franz Tinnefeld

    Bereits vor dem Erscheinen seines Handbuches wurde Krumba-cher im Jahr 1890 auerordentliches Mitglied der BayerischenAkademie, und 1895 ordentliches Mitglied.18 Beginnend mit dem

    Jahr 1890, verfasste er eine Reihe von Publikationen ber speziellebyzantinische Themen, die meistens in den Sitzungsberichten derAkademie verffentlicht wurden. Ihre Themen lassen sich vier Be-reichen zuordnen: der Hagiographie, der kirchlichen Hymnogra-phie, der Literatur in der Volkssprache und der historischen Ent-wicklung des zeitgenssischen gesprochenen Griechisch.

    Krumbacher verstand die hagiographischen Quellen als Doku-

    mente ihrer eigenen historischen Periode und lehnte die Methodeder Klassischen Philologie ab, in ihrem Hintergrund Spuren der an-tiken Mythologie zu suchen. Seine beiden wichtigsten akademi-schen Publikationen auf diesem Sektor waren Studien zu den Le-genden des hl. Theodosios (1892), sc. des palstinensischen AbtesTheodosios Koinobiarches (gest. 529),19 und Der heilige Georg(erschienen in einer postumen Akademie-Verffentlichung), mit derkritischen Edition aller griechischen Texte ber den Heiligen, ein-

    schlielich der ltesten populren Version seiner Legende, die erDas alte Volksbuch nannte und ins 5. Jahrhundert datierte.20Erwollte nicht ausschlieen, dass die Legende in ihrem frhen Zustandsich auf eine historische Person bezog, aber er war berzeugt, dassweder Existenz noch Nichtexistenz des Heiligen beweisbar seien.

    Zum Thema der Hymnographie liegen von ihm vier Sitzungs-berichte vor, von denen drei dem Hymnographen Romanos(6. Jh.)21 und einer der Akrostichis in der griechischen Kirchen-

    poesie22 gewidmet sind. Es ist sein besonderes Verdienst, mit sei-______________________________________________________________________

    18 Hermann A. Buk, Karl Krumbacher zur zehnten Wiederkehr seines Todesta-ges (12. XII. 1909), Trier 1919, 5. Siehe unten S. 6368.

    19 Hans-Georg Beck, Kirche und theologische Literatur im byzantinischenReich (Handbuch der Altertumswissenschaft XII, Byzantinisches Handbuch2.1), Mnchen 1959, 204, 406.

    20 Karl Krumbacher, Der heilige Georg in der griechischen berlieferung. Ausdem Nachlasse des Verfassers hrsg. von Albert Ehrhard (Abhandlungen der

    Kniglich Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Philos.-philol. und hist.Klasse, XXV/3; vorgetragen am 2. Mai 1908), Mnchen 1911.

    21 Heisenberg (wie Anm. 14) 705 (1898, 1899), 706 (1901). Hinzu kommt dieAkademie-Abhandlung Miscellen zu Romanos, 1907 (Heisenberg, ebd. 707).

    22 Heisenberg, ebd. 707 (1904).

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    Die Begrndung der Byzantinistik als Disziplin 33

    nen Beitrgen zu Romanos die Grundlagen fr die Erforschung

    dieses bedeutendsten byzantinischen Kirchendichters gelegt zu

    haben.

    Das Interesse Krumbachers am gesprochenen Griechisch von der

    Zeit des Hellenismus bis zu seiner Gegenwart, mit dem seine

    Studien begannen, zieht sich wie ein Leitfaden durch die meisten

    seiner Publikationen der folgenden Jahre. Nur so erklrt sich sein

    Interesse am hellenistischen und byzantinischen Roman, an der

    christlichen Tragdie Christus patiens, an mittelgriechischen

    Sprichwrtern und auch an dem berhmten Versepos der Byzanti-

    ner, dem Digenis Akrites (-as). Gegenstand seiner Vorlesungen inseinem ersten und zweiten Semester (WS 1885/86 und SS 1886)

    waren bezeichnenderweise vulgrgriechische Texte, nmlich die

    sog. Rhodischen Liebeslieder und das orientalische Volksbuch des

    Syntipas.23 Auch in seinen Akademie-Abhandlungen gab Krum-

    bacher entscheidende Anste fr die Erforschung der sog. Vul-

    grliteratur der Byzantiner.24 In zwei Beitrgen behandelte er die

    volkssprachliche Sprichwortliteratur.25 Weitere Themen waren: ein

    Klagelied auf den Fall Konstantinopels, ein Fischkatalog und einWeiberspiegel.26 Er schrieb auch ber Michael Glykas, einen Autor

    des 12. Jahrhunderts,27 der in seinem berhmten Kerkergedicht

    reinsprachliche mit volkssprachlichen Passagen mischt. Die auch

    von Krumbacher vertretene Annahme, dass Glykas hier bewusst

    mit unterschiedlichen Sprachebenen jongliert, wurde mit berzeu-

    genden Argumenten von Hans Eideneier widerlegt.28

    Krumbachers Interesse an der mittelgriechischen Volksliteratur

    war eng verbunden mit seinem Engagement fr das gesprocheneGriechisch seiner Zeit. Wie er in seiner Akademischen Festrede

    des Jahres 1902 Das Problem der neugriechischen Schriftsprache

    ______________________________________________________________________

    23 Dieterich (wie Anm. 13) 282.

    24 Zu dieser siehe das Standardwerk von Hans-Georg Beck, Geschichte der by-

    zantinischen Volksliteratur (Handbuch der Altertumswissenschaft XII, Byzan-

    tinisches Handbuch 2.3), Mnchen 1971.

    25 Heisenberg (wie Anm. 14) 702 (1887), 704 (1893).26 Ebd. 706 (1901, 1903), 707 (1905).

    27 Ebd. 704 (1894).

    28 Hans Eideneier, Zur Sprache des Michael Glykas, Byzantinische Zeitschrift 61

    (1968) 59.

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    34 Franz Tinnefeld

    darlegte, mndete die natrliche Entwicklung des Griechischen in

    die Sprache des einfachen Volkes () seiner Zeit, whrend

    er das in der sog. Reinsprache () knstlich wiederer-

    weckte Attisch, das vor allem von zeitgenssischen griechischen

    Intellektuellen als die einzig gltige und akzeptable Form des mo-

    dernen Griechisch anerkannt wurde, als linguistische Verirrung

    ablehnte. Es verwundert nicht, dass diese Position Krumbachers

    den Widerspruch griechischer Gelehrter herausforderte. Der An-

    fhrer dieser Gruppe war Georgios Mistriotis, aber auch der hoch-

    angesehene Sprachwissenschaftler Georgios Hatzidakis war nicht

    bereit, sich Krumbachers Sicht anzuschlieen.29

    Auerhalb dieser vier Themenkreise publizierte Krumbacher ei-

    ne ganze Reihe kleinerer Beitrge, vorwiegend zu verschiedenen

    Fragen seines Faches, die er im letzten Jahr seines Lebens unter

    dem bescheidenen Titel Populre Aufstze (Leipzig 1909) verf-

    fentlichte.

    Die Leistung Krumbachers, die wohl zur Begrndung der By-

    zantinistik als wissenschaftlicher Disziplin am meisten beitrug, war

    ihre Einrichtung als Studienfach an der Universitt Mnchen.Nach seiner Habilitation fr das Fach Mittel- und Neugriechische

    Philologie im Jahr 1884 hielt Krumbacher zunchst als Privatdo-

    zent einschlgige Vorlesungen ab, verdiente aber seinen Lebensun-

    terhalt als Gymnasiallehrer. Nach seinem Staatsexamen 1879 hatte

    er diese Ttigkeit am Mnchner Ludwigsgymnasium aufgenom-

    men und fhrte sie weiter bis zum Jahr 1892, in dem er Extraordi-

    narius fr das genannte Fach an der Universitt Mnchen wurde

    und die Byzantinische Zeitschrift grndete.30 Seitdem bot er, zu-nchst in seiner Wohnung, ein fachbezogenes Seminar an.

    Als Krumbacher 1895 ordentliches Mitglied der Akademie wur-

    de, stellte er an das Kgl. Bayerische Kultusministerium den Antrag

    auf Einrichtung eines Universittsseminars fr das Fach, der aber______________________________________________________________________

    29 Zum Thema der Akademierede siehe ausfhrlich Franz Tinnefeld, Karl

    Krumbacher und der Streit um die neugriechische Schriftsprache, in: H.-

    F. Beyer, S. V. Krasikov, A. S. Mochov, V. P. Stepanenko (Hrsg.), MargaritePoljakovskoj kollegi, druzja, ueniki (= Fr Margarita Poljakovskaja: Kolle-

    gen, Freunde, Studenten) (Antinaja drevnost i srednie veka 33), Jekaterinburg

    2002, 294315 (deutsch mit russischem Resmee).

    30 Dieterich (wie Anm. 13) 282; Buk (wie Anm. 18) 4.

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    Die Begrndung der Byzantinistik als Disziplin 35

    vom Bayerischen Landtag zunchst (1896) abgelehnt wurde.31 1897

    wurde er zum ordentlichen Professor ernannt und baute eine Se-

    minarbibliothek auf, die er zunchst aus privaten Mitteln finanzier-

    te. Im Januar 1898 genehmigte nach Auskunft von August Heisen-

    berg das bayerische Kultusministerium endlich die Einrichtung

    eines Mittel- und Neugriechischen Universittsseminars. Aber

    noch gab es keinen offiziellen Seminarraum, so dass man sich zu-

    nchst mit einem Provisorium behelfen musste. Im Januar 1899

    wurde dieses leider allzu bescheidene Provisorium offiziell geneh-

    migt und mit einer kleinen Festlichkeit eingeweiht.32

    Erst im Todesjahr Krumbachers 1909 konnte das Seminar in eingerumigeres Quartier umziehen, das sich im damals gerade erbau-

    ten Westflgel der Universitt an der Amalienstrae im zweiten

    Stock mit Blick auf einen Innenhof der Universitt befand.

    Dort blieb das Seminar, das in spteren Jahren mehrmals seinen

    Namen nderte,33 mit einer durch den zweiten Weltkrieg beding-

    ten Pause, bis zu seinem Umzug in das neu erbaute Historicum zu

    Beginn des Wintersemesters 1999. Seitdem wird die Spezialbiblio-

    thek des Instituts nach und nach in den allgemeinen Bcherbe-stand der Historiker eingegliedert.

    Auer der Einrichtung der byzantinischen Studien als Universi-

    ttsfach trug noch eine andere Leistung Krumbachers zum inter-______________________________________________________________________

    31 Zu diesen und den folgenden Details der Seminargeschichte siehe Karl Krum-

    bacher, Das Mittel- und neugriechische Seminar der Universitt Mnchen,

    Byzantinische Zeitschrift 17 (1908) 317 f. Zur Begrndung der Ablehnung

    durch den Landtag siehe Byzantinische Zeitschrift 5 (1896) 379381.

    32 Hans-Georg Beck, Das Institut fr Byzantinistik und neugriechische Philologie

    der Universitt Mnchen, in: Ders. (Hrsg.), . Festgabe fr die Teil-

    nehmer am . Internationalen Byzantinistenkongre, Mnchen 15.20. Sep-

    tember 1958, 189203, hier 192. Zur Frage nach dem Grndungsjahr des Se-

    minars siehe Gnter Prinzing, Ad fontem Zum Grndungsjahr des Mnchner

    Seminars fr Mittel- und Neugriechische Philologie, in: Dietram Mller

    (Hrsg.), 40 Jahre Deutsch-Griechische Gesellschaft (-

    ) Wiesbaden (19591999), Wiesbaden 1999, 1416.

    33 Es folgten aufeinander die Bezeichnungen Institut fr Byzantinistik und neu-

    griechische Philologie (erstmals belegt im Vorlesungsverzeichnis des Som-mersemesters 1952), Institut fr Byzantinistik, Neugriechische Philologie und

    Byzantinische Kunstgeschichte (erstmals im Vorlesungsverzeichnis des Som-

    mersemesters 1975) und schlielich (seit 2002) Institut fr Byzantinistik, By-

    zantinische Kunstgeschichte und Neogrzistik.

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    36 Franz Tinnefeld

    nationalen wissenschaftlichen Ansehen des Faches bei, das Projekteiner Gesamtedition aller byzantinischen und nachbyzantinischenUrkunden, das zuerst Spyridon Lambros im Jahr 1892 angeregthatte.34 Im Jahr 1901 verfasste Krumbacher eine Petition fr einCorpus der griechischen Urkunden des Mittelalters und der neu-eren Zeit, welche die Bayerische Akademie der Wissenschaftender Association Internationale des Acadmies vorlegte. Sie wurdemit hoher Stimmenzahl angenommen, und die Association er-nannte ein Komitee zur Ausarbeitung eines detaillierten Planes, derauf dem nchsten Treffen der Akademien in London 1904 vor-

    gelegt werden sollte. Der Plan wurde von Krumbacher gemein-sam mit seinem Schler Paul Marc35 und dem in Wien geborenensterreicher tschechischer Abstammung Konstantin Jireek36 aus-gearbeitet. Entsprechend diesem Plan sollten die zu edierendenUrkunden nach den Archiven der Empfnger (Archivprinzip),nicht nach dem Ort der Ausstellung (Kanzleiprinzip) angeordnetwerden.37 Dieser Plan wurde auf der Londoner Konferenz ange-nommen und seine baldige Durchfhrung empfohlen. So beschloss

    die Bayerische Akademie im Jahr 1907 die Einrichtung einer Ar-beitsstelle fr das Corpus, und Krumbacher wurde zu ihrem erstenLeiter ernannt.

    ______________________________________________________________________

    34 Siehe Spyridon P. Lambros, Byzantinische Desiderata, Byzantinische Zeitschrift1 (1892) 185201, hier 190. Zu dem gesamten Projekt siehe Johannes Kara-

    yannopulos, Byzantinische Urkundenlehre, Erster Abschnitt. Die Kaiserurkun-den (Handbuch der Altertumswissenschaft XII, Byzantinisches Handbuch3.1.1), Mnchen 1968, 1214.

    35 Zu Paul Marc siehe Andreas E. Mller, Vom Verschwinden einer unbekanntenGre: der Byzantinist Paul Marc, in: Wiener Byzantinistik und Neogrzistik.Beitrge zum Symposion Vierzig Jahre Institut fr Byzantinistik und Neogr-zistik der Universitt Wien. Im Gedenken an Herbert Hunger (Wien, 4.7. Dezember 2002), hrsg. von Wolfram Hrandner, Johannes Koder, MariaA. Stassinopoulou (Byzantina et Neograeca Vindobonensia 24), Wien 2004,308314.

    36 Zu Jireek siehe Otto Kresten, Lautobiografia autografa di Constantin Jireek

    nel archivio dellAccademia Austriaca delle Scienze, in: Atti e Memorie dellaSociet Dalmata di Storia Patria 13 (n. s. 2), Roma 1988/89, 103112.

    37 Vgl. Otto Kresten Andreas Mller, Die Auslandsschreiben der byzantini-schen Kaiser des 11. und 12. Jahrhunderts: Specimen einer kritischen Ausgabe,Byzantinische Zeitschrift 86/87 (1993/94) 402429, hier 402 f .

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    Die Begrndung der Byzantinistik als Disziplin 37

    Krumbachers Gelehrtenleben war beschrnkt auf die Zeit zwi-schen seiner Promotion 1883 und seinem allzu frhen Tod imDezember 1909. In diesen 26 Jahren erbrachte er die soeben be-schriebenen wissenschaftlichen Leistungen, unterhielt aber auer-dem noch eine ausgedehnte Korrespondenz mit ber hundertFachkollegen. Leider sind in der Mnchner Sammlung Krumba-cheriana bis auf wenige Ausnahmen nicht seine eigenen Briefe,sondern nur die weit ber tausend Briefe seiner Kollegen an ihnerhalten.38 Der Verbleib seiner eigenen entsprechend zahlreichenBriefe ist bislang so gut wie unerforscht.

    ______________________________________________________________________

    38 Franz Tinnefeld, Die Sammlung Krumbacheriana in der Bayerischen Staats-bibliothek zu Mnchen, in: XXe Congrs International des tudes byzantines,Pr-Actes, I. Sances plnires, Paris 2001, 383398. Siehe unten S. 85 ff.

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    Peter Schreiner

    DA S W I S S E N S C H A F T L I CH E W E R K

    KARL KRUMBACHERS

    Das wissenschaftliche Werk Karl Krumbachers

    Es war ein mehr als symbolisches Zeichen der Verehrung gegen-ber dem Menschen und Wissenschaftler Karl Krumbacher, dassder griechische Chor im Rahmen der Jubilumsfeier ein Kirchen-lied Romanos des Meloden ausgewhlt hat. Dieser grte allerbyzantinischen Dichter hat Krumbacher von Beginn seiner wissen-schaftlichen Ttigkeit bis zu seinem Tode begleitet. Mit 29 Jahrenmachte er aus den besten Codices in Patmos im Verlaufe seinergriechischen Reise verschiedene Kopien.1 Sie dienten nicht unmit-telbar einer Ausgabe, sondern editorischen und metrischen Grund-

    legungen, der Frage, wie byzantinische Hymnen berhaupt edito-risch zugnglich gemacht werden knnen, eine Frage, derenBeantwortung letztlich bis heute in der Diskussion geblieben ist,aber von ihm erstmals gestellt wurde.2

    ______________________________________________________________________

    1 Karl Krumbacher hatte, nach einer Beurlaubung vom Schuldienst, vom Okto-

    ber 1884 bis zum Mai 1885 eine Studienreise nach Griechenland und der Tr-

    kei unternommen, in deren wissenschaftlichem Mittelpunkt die Untersuchung

    der Hymnen des Romanos aus den beiden besten und vollstndigsten Hand-

    schriften im Johannes-Kloster auf Patmos (Patmiacus 212 und 213) standen (s.

    Karl Krumbacher, Griechische Reise: Bltter aus dem Tagebuche einer Reise

    in Griechenland und in der Trkei, Berlin 1886, 182183). Krumbacher hat

    aus Zeitgrnden aber keine volle Kopie aller 90 Hymnen durchgefhrt, son-

    dern nur eine genaue Beschreibung der Codices angefertigt.

    2 Er verffentlichte seine Forschungen zu Romanos, die vielfach auf den Auf-

    zeichnungen des Jahres 1885 in Patmos beruhten, in mehreren Anstzen: (1)

    Studien zu Romanos, Sitzungsberichte der philos.-philol. und der hist. Classe

    der Knigl. Bayerischen Akademie der Wissenschaften 1898, Heft II, 69268.

    (2) Umarbeitungen bei Romanos, ebd. 1899, Heft II, 3156. (3) Miscellen zuRomanos, Abhandlungen der Knigl. Bayerischen Akademie der Wissenschaf-

    ten, I. Klasse, XXIV. Bd., 3. Abt. (1907). Die gesamten handschriftlichen Auf-

    zeichnungen Krumbachers zu Romanos gingen in die Hand seines Schlers

    Paul Maas und fanden nach langer Zeit und vielen Reisen Eingang in des-

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    40 Peter Schreiner

    Das Werk Krumbachers ist berschaubar.3 Er hat mit 140 Bei-

    trgen, die heute nur in wenigen Fllen ihre methodische und

    sachliche Aktualitt verloren haben, die schriftlichen Grundlagen

    zu einer neuen Disziplin gelegt. Sie lassen sich in drei Schwer-

    punktbereiche untergliedern, wenngleich auch in jeden Beitrag

    alle Thematiken in irgendeiner Weise mit einflieen:

    I. Von der Flle der Einzelbeitrge, aber auch seiner Art der Kom-

    mentierung und Interpretation her steht sicher dieSprachwissenschaft

    (nicht die noch unbekannte strukturelle Linguistik) an erster Stelle,

    ein Feld, das in den letzten Jahrzehnten immer mehr schrumpfteund heute im Rahmen der byzantinischen Studien eine eher un-

    tergeordnete Rolle spielt.4 Krumbachers erste schriftliche Arbeit

    ______________________________________________________________________

    sen kritische Ausgabe (Sancti Romani Melodi cantica, ed. by Paul Maas and

    Constantin A. Trypanis, Bd. 1, Oxford 1963; Bd. 2, Berlin 1970). Auch wenn

    hier nicht der Ort ist, auf die Forschungsgeschichte des Romanos einzugehen,

    so soll doch die Bedeutung Krumbachers fr den Romanos-Text durch die

    Worte eines der besten Kenners dieses Autors, Jos Grosdidier de Matons, un-terstrichen werden: Aprs Pitra, le travail le plus important entrepris sur

    Romanos est celui de Karl Krumbacher, qui a prcis et corrig les rgles

    mtriques enoncs par Pitra et a cherch a dbrouiller le chaos de la tradi-

    tion manuscrite, quil a connue dans son ensemble, except les Sinaitici. Cette

    uvre essentielle, laquelle doit se rfrer constamment tout diteur de Ro-

    manos, a servi de base au volume de Camelli (Jos Grosdidier de Matons,

    Romanos le Mlode. Hymnes, Bd. 1, Paris 1964, 4647).

    3 August Heisenberg (A. H.) hat in der Byzantinischen Zeitschrift 19 (1910)

    700708 in einem Verzeichnis die Titel zusammengestellt, weist aber darauf

    hin, dass dieses nicht letzte Vollstndigkeit besitzt. In der Tat verfgt das Stadt-

    archiv Kempten aus einem seit 1921 dort befindlichen Teil des Nachlasses ber

    einen (von mir eingesehenen) Ordner mit mehreren Dutzend kleiner Rezen-

    sionen, vielfach auch in griechischen Zeitungen und Zeitschriften, die nur in

    hchst zeitaufwendiger Form geordnet und inventarisiert werden knnten. Ihr

    Wert liegt darin, dass sie den breiten Lesehorizont des jungen Krumbacher an

    den Tag legen. Es sei bei dieser Gelegenheit darauf hingewiesen, dass an keiner

    Stelle Aufzeichnungen Krumbachers zu seinen wissenschaftlichen Arbeiten ge-

    funden werden konnten. Es scheint, dass sie nach Krumbachers Tod vernichtet

    wurden, so dass wir nicht in der Lage sind, die Entstehung seiner Schriftennachzuverfolgen.

    4 Ein sichtbarer Beweis fr diese Erscheinung ist der vergleichsweise geringe

    Umfang, den dieser Bereich heute in der Bibliographie der Byzantinischen

    Zeitschrift einnimmt.

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    Das wissenschaftliche Werk Karl Krumbachers 41

    im Alter von 24 Jahren, eine Rezension zu Karl Foys Lautsystem

    der griechischen Vulgrsprache, ist hier zu nennen,5 ebenso seine

    Dissertation aus dem Jahr 1883, die einem sptantiken Gramma-

    tiker (Dositheos, Pseudo-Dositheos) gewidmet war, 6 und nicht

    zuletzt seine nur auszugsweise publizierte Habilitationsschrift Bei-

    trge zu einer Geschichte der griechischen Sprache.7

    II. An zweiter Stelle stehen seine Editionen, die man auch als text-

    begleitete literaturwissenschaftliche Arbeiten, immer aber als kom-

    mentierte Editionen bezeichnen kann, manchmal (im Falle des

    Hymnendichters Romanos) auch bloe Prolegomena.8Der eigent-liche Text nimmt oft einen relativ geringen Umfang ein, wie im

    Falle der Publikation der Sprichwrter, der Hymnen der Kasia

    oder seiner Schriften zu einigen Heiligenviten, die uns noch in

    anderem Zusammenhang beschftigen werden. Auch wenn die

    Zahl unedierter byzantinischer Texte zur Zeit Krumbachers noch

    wesentlich umfangreicher war als heute, fllt es auf, dass sein be-

    sonderes Interesse Texten mit sprachlichen (besonders volkssprach-

    lichen) und metrischen Besonderheiten galt.

    III. Sein Hauptwerk, die Geschichte der byzantinischen Litteratur, das

    der 35jhrige im Jahr 1891 verffentlichte,9 hat in der vorauslie-

    genden Bibliographie des Gelehrten keine besonderen Vorarbeiten

    hinterlassen, und auch sptere Titel greifen nur wenige Gegenstnde

    ______________________________________________________________________

    5 Karl Foy, Das Lautsystem der griechischen Vulgrsprache, Leipzig 1879, rezen-

    siert in: Bltter fr das bayerische Gymnasial- und Realschulwesen 16 (1880)

    366374. Karl Foy (18561907) war wohl ein Leipziger Studienkollege

    Krumbachers, der sich auch mit der trkischen Literatur beschftigte und ln-

    ger in Konstantinopel aufhielt, wo er auch die Lieder vom Goldenen Horn

    verfasste, die 1888 in Leipzig erschienen.

    6 Carolus Krumbacher, De codicibus quibus Interpretamenta Pseudodositheana

    nobis tradita sunt. Dissertatio inauguralis Monacensis, Mnchen 1883.

    7 Beitrge zu einer Geschichte der griechischen Sprache, Zeitschrift fr verglei-

    chende Sprachforschung 27 (1885) 481545.8 Siehe dazu die oben Anm. 2 genannten Titel.

    9 Geschichte der byzantinischen Litteratur von Justinian bis zum Ende des ost-

    rmischen Reiches (5271453) (Handbuch der klassischen Altertumswissen-

    schaft IX/1), Mnchen 1891.

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    42 Peter Schreiner

    aus diesem opus maximum heraus oder fhren es weiter.10 Viel-

    leicht kann man dieses Faktum dadurch erklren, dass wie exzel-

    lent und vorbildhaft aus dem Nichts heraus ihm diese Gesamtschau

    der byzantinischen Literatur auch gelungen war er doch immer

    die Einzelanalyse der groen Synthese vorgezogen hat, und fr ihn

    berwiegend der Text und dessen Ambiente bevorzugter Aus-

    gangspunkt waren. Er hat in diesem Werk auch theologische Ge-

    nera, Autoren oder Einzelwerke nicht mit eingeschlossen und ihre

    Behandlung in der zweiten Auflage Albert Ehrhard berlassen. Die

    Erklrung, die er im Vorwort gibt Mangel an Zeit und Vorarbei-

    ten ist ohne Zweifel zutreffend,11

    letztlich aber sah Krumbacher,dass die theologische Literatur nicht jenes Leben besa, das ihm

    einen packenden Zugriff auf die Gestaltung erlaubt htte.

    Man kann dem Gelehrten Krumbacher schwerlich in seiner Be-

    deutung gerecht werden, wenn man seine Leistung auf einer Ana-

    lyse einzelner Werke begrnden wollte. Wir mssen einen anderen

    Weg einschlagen, seinem Werk nahe zu kommen, um es in seiner

    bleibenden Aktualitt vorzustellen. Dieser Weg kann nur darin be-stehen, die Kapazitten des Gelehrten innerhalb des Gesamtwerkes

    aufzuspren, um so auch der genialen Universalitt Krumbachers

    gerecht zu werden.

    ______________________________________________________________________

    10 Am ehesten sind in dieser Hinsicht die Abhandlungen ber die Dichterin Ka-

    sia (s. unten Anm. 55) und den Historiker Michael Glykas (s. unten Anm. 53)

    zu nennen.

    11 Siehe Geschichte der byzantinischen Litteratur (wie Anm. 9) VII: Nur e i n e

    Gattung, die eine selbstndige Abteilung gebieterisch verlangt htte, ist vorlu-

    fig in fremden Gemchern [welchen, ist nicht angedeutet] untergebracht wor-

    den Daran ist nicht Abneigung schuld, sondern Mangel an Zeit und Vorar-

    beiten. Eine wissenschaftliche Darstellung der theologischen Litteratur konnte

    ohne ein grndliches Studium der Kirchengeschichte nicht gewagt werden;

    hiefr fehlt es aber an geeigneten Hilfsmitteln; die Lehrbcher der Patristik

    wie auch die neueren Spezialuntersuchungen reichen kaum bis auf Johannesvon Damaskos; die sptere Zeit ist nur an einzelnen Punkten aufgehellt. Gerne

    htte ich wenigstens dem interessanten Gebiete der Hagiographie ein eigenes

    Kapitel gewidmet; aber auch hier gebrach es an Vorarbeiten und an der Kraft,

    das Fehlen derselben durch eigene Forschung auszugleichen.

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    Das wissenschaftliche Werk Karl Krumbachers 43

    Der Philologe

    Wer war Karl Krumbacher als Gelehrter? Er nimmt zu dieser Frageselbst Stellung in einem ffentlichen Beitrag in den Mnchner

    Neuesten Nachrichten, indem er sich als Philologe definiert,

    doch in einer umfassenden Weite, die der byzantinistischen For-

    schung bis heute Vorbild sein sollte. In der Tat stammt der Begriff

    des um alles Reale und Geschichtliche unbekmmerten Philolo-

    gen aus einer Zeit, in der als Philologe nur der klassische galt, und

    zwar der Philologe Gottfried Herrmannscher [sic] Observanz ,

    jener weltabgewandte Mann mit dem dsteren Blick, der sich,

    selbstgengsam, in Texterklrung und Textkritik mit ihren Hilfs-

    mitteln Grammatik und Metrik vergrub, unbekmmert um die

    goldenen Frchte des Lebens.12 Ein solcher Philologe war Krum-

    bacher nicht, und wollte es nicht sein. Vielmehr, schreibt er wei-

    ter, ist der Ausdruck Philologie nicht in dem lediglich formalen

    Sinn gemeint, sondern in jenem weiten Begriffe der Erforschung

    der Gesamtheit des nationalen Lebens,13

    eine Interpretation, die ermit den Worten Hermann Useners noch nher erlutert: Philo-

    logische Interpretation und geschichtliche Erkenntnis bestehen in

    einer innerlich unlsbaren Wechselbeziehung und durchlaufen

    denselben Kreis, oder zusammenfassend: Der Philologe ist der

    Pionier der Geschichtswissenschaft.14 Trotzdem steht fr ihn, wie

    die folgenden Kapitel zeigen, immer das Wort und seine Interpre-

    tation im Mittelpunkt, und es ist keineswegs nur, wie bei vielen

    zeitgenssischen Kollegen, das schne Wort.

    Der Sprachwissenschaftler

    Das Interesse an der Sprachwissenschaft, von der schon einleitend

    die Rede war, ist unverkennbar und zieht sich wie ein roter Faden

    durch alle Arbeiten. Fr Krumbacher bestand Sprachwissenschaft

    ______________________________________________________________________12 Beilage der Mnchner Neuesten Nachrichten Nr. 80 zum 2. Oktober 1908,

    12.

    13 Ebd.

    14 Ebd. (Zitat aus Hermann Usener, Vortrge und Aufstze, Leipzig 1907, 23).

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    44 Peter Schreiner

    aber nicht in einem abstrakten Vergleich von Lauten und morpho-logischen Erscheinungen wiewohl er auch diesen theoretischenPart beherrschte , sondern in erster Linie in einer Beobachtungder lebendigen Sprache, deren Spuren er in den mittelalterlichenTexten in mancherlei Brechung aufsprte und wiedererkannte. Sounternahm er seine Griechische Reise (1884/85), weil es ihm ne-ben den speziellen Studienzwecken vor allem darauf ankam, einDenkmal zu betrachten, welches nicht weniger deutlich als Tem-pelruinen, Marmorbilder mit Inschriften auf das hellenische Alter-tum hinweist: die lebendige Sprache des heutigen Volkes.15Er hat

    die Quintessenz dieser berlegungen in seiner berhmten undumstrittenen Akademie-Festrede Das Problem der neugriechi-schen Schriftsprache aus dem Jahr 1902 zusammengefasst.16 Es istsicher kein Zufall, dass er sich in seiner editorischen Ttigkeitberwiegend Texten widmete, in denen er eine genuine Sprachefinden konnte, die sich vor allem in der Lexik vom klassischenGriechisch wegbewegte und weiterentwickelt hatte: Sprichwrter-sammlungen, Heiligenleben und solche Schriften, die schon am

    Ende der byzantinischen und am bergang zur neugriechischenEpoche lagen, wie das Fischbuch oder der Weiberspiegel.17 Krum-bacher war durch die Vertrautheit mit dem alemannischen Dialektseiner Allguer Heimat die Bedeutung verschiedener sprachlicherEbenen aus eigener Erfahrung seit frhester Jugend bekannt, under behielt auch in seiner wissenschaftlichen Arbeit immer eine N-he zu diesem Phnomen.

    Peter Schreiner

    ______________________________________________________________________

    15 Griechische Reise (wie Anm. 1) IX.16 Das Problem der neugriechischen Schriftsprache, Mnchen 1902. Das bis heu-

    te aktuelle Werk vereinigt grndliche sprachwissenschaftliche, lexikalische, li-teraturwissenschaftliche und volkskundliche Kenntnisse von der Antike bis indie eigene Zeit und stellt, ber den speziellen Gegenstand hinaus, eine Richt-schnur im Umgang mit verschiedenen Sprachebenen dar. Die Mehrheit der

    damaligen Gelehrten und Politiker in Griechenland sahen in dieser Schrift ei-nen schweren Eingriff in die nationale Kulturpolitik.

    17 Das mittelgriechische Fischbuch, Sitzungsberichte der philos.-philol. und hist.Klasse der Knigl. Bayerischen Akademie der Wissenschaften 1903, 345380.Zum Weiberspiegel s. unten Anm. 38.

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    Das wissenschaftliche Werk Karl Krumbachers 45

    Der Texteditor

    Wenn wir uns Krumbacher als Herausgeber von Texten zuwenden,

    so ist es wichtig, sich zu erinnern, in welchem Sinn er sich als Phi-

    lologe verstanden wissen wollte, wovon im Vorausgehenden schon

    die Rede war. Was Auswahl und Gegenstnde anbelangt, so hat er

    sich nie fr umfangreiche hochrhetorische Autoren interessiert,

    etwa die groen Geschichtsschreiber, Literaten wie Psellos oder

    Tzetzes oder die Briefliteratur. Dies hatte sicher auch Grnde in

    seinen vielfltigen wissenschaftspolitischen und administrativenVerpflichtungen, aber auch in der Weiterarbeit an der Geschichte

    der byzantinischen Literatur, die ihm nicht den langen Atem

    einer mehrjhrigen Konzentration auf einen einzigen Gegenstand

    der Edition erlaubten. Es stand bestimmt auch eine Frage des per-

    snlichen Interesses dahinter, die seine Aufmerksamkeit auf Texte

    lenkte, die innerhalb der byzantinischen Literatur einen etwas iso-

    lierten Platz einnahmen, wie die Sprichwrter und jene Versionen

    von Heiligenleben, die dem korrigierenden Messer Symeons desMetaphrasten entkommen waren und das Gewand ihrer ursprng-

    lichen Frische und Lebensnhe behalten hatten.18

    An dieser Stelle wollen wir die Betrachtung und editorische Be-

    urteilung der einzelnen Texte ausklammern und uns berwiegend

    dem Umgang mit Texten zuwenden. In den Editionen fllt sofort die

    ausfhrliche Handschriftenbeschreibung auf, die soweit als mglich

    auf Autopsie oder der Photographie beruhte, begleitet fter von

    Hinweisen auswrtiger Kollegen, die fr ihn die Handschriftenselbst untersuchten. Das reiche Briefcorpus legt in groem Um-

    fang Zeugnis ab von solchen Kontakten, die kodikologische In-

    formationen gaben,19 nicht zu vergessen die gezielten Handschrif-

    ______________________________________________________________________

    18 Symeon Metaphrastes hat gegen 1000 eine Sammlung von Heiligenleben zum

    liturgischen Gebrauch durchgefhrt, die in der Folge den Verlust vieler um-

    fangreicherer Texte und Versionen mit sich brachte. Die Einschtzung dieser

    Manahmen hat zu Kontroversen auch in der modernen literaturwissenschaft-lichen und hagiographischen Forschung gefhrt, auf die an dieser Stelle jedoch

    nicht eingegangen werden kann.

    19 Zum Briefcorpus siehe den Anhang unten, S. 83ff. Ein Beispiel bringt etwa

    der Briefwechsel mit Viktor Jernstedt, herausgegeben von Peter Schreiner:

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    46 Peter Schreiner

    tenreisen nach Griechenland, Russland, Italien und Frankreich,

    ber die uns die im Bayerischen Hauptstaatsarchiv aufbewahrten

    Unterlagen der jeweiligen bayerischen Gesandtschaft Auskunft ge-

    ben, soweit sie nicht im Krieg zerstrt wurden.20 Bei diesen Re-

    cherchen stellte sich das heuristische Problem in der jungen Byzan-

    tinistik in ganz anderem Mae als in der Klassischen Philologie,

    deren Texte vielfach seit Generationen und oft seit der Renaissance

    bekannt waren. Vieles von dem, bemerkt Krumbacher einmal,

    was ich ber die ueren Dinge sagen konnte, bildet einen Le-

    bensertrag, gewonnen dadurch, dass auf dem byzantinischen Ge-

    biete in einem viel hheren Mae als auf dem der klassischen Phi-lologie aus dem Rohen herausgearbeitet, mit Handschriften, mit

    mangelhaften Erstausgaben, mit schlichten Versuchen ungebter

    und methodisch wenig geschulter Pioniere operiert werden muss.

    Leser, die an das wohlkultivierte Gebiet der klassischen Philologie

    und an die saubere Ausrstung der hier ttigen Arbeiter gewhnt

    sind, werden vielleicht manche Klage und Mahnung nicht recht

    verstehen; sie mgen daran denken, dass meine Betrachtungen

    vorwiegend aus der langjhrigen Rodung im byzantinischen Ur-wald hervorgewachsen sind.21 August Heisenberg, der Nachfolger

    auf dem Lehrstuhl, berichtet ber die autodidaktische Herange-

    hensweise Krumbachers an Handschriften: So erwarb er sich im

    Lauf der Jahre die grndlichste Vertrautheit mit der griechischen

    Palographie, wozu die reiche Handschriftensammlung der Bayeri-

    schen Staatsbibliothek ihm die willkommene, nach allen Richtun-

    gen ausgenutzte Gelegenheit bot. Es war ihm eine Freude, schwie-

    rige Handschriften zu entziffern, und er ruhte nicht, bis alles, was______________________________________________________________________

    Vom Brief zur Freundschaft. Der Briefwechsel von Viktor KarloviJernstedt

    mit Karl Krumbacher (18931902), in: 30 (= Festschrift Igor P. Medvedev), Sankt Petersburg 2007,396411. In diesem einzigartigen Fall sind auch Krumbachers Fragen in des-

    sen eigenen Briefen an Jernstedt erhalten und ediert: I. V. Kuklina, B. K.

    : , in: .P. Medvedev, --

    , Sankt Petersburg 1995, 122130.20 Z. B. unter der Signatur MA 51526 am 4. 2. 1892 ein Empfehlungsschreiben

    an den bayerischen Gesandten in Sankt Petersburg wegen der Russlandreise

    Krumbachers.

    21 Miscellen zu Romanos (wie Anm. 2) IV.

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    Das wissenschaftliche Werk Karl Krumbachers 47

    auf einem Blatte stand, auch die gleichgltigste Randnotiz, sichseinem Verstndnis erschlossen hatte! Jeder Akzent und jedesKomma mussten genau wiedergegeben werden. 22 Krumbacherunterrichtete spter auch Palographie, aber wichtig blieb ihmimmer die Praxis. Auch darber schreibt Heisenberg: Als ich ihnin seiner ersten Dozentenzeit, da er noch keine bungen dieserArt [sc. der Palographie] abhielt, eines Tages bat, mich in die Pa-lographie einzufhren, gab er mir auf der Staatsbibliothek eineHandschrift in die Hand, las mir eine Seite vor, und sagte dann:,Nun lesen Sie, mehr braucht es nicht, schwimmen lernen kann

    man nur im Wasser.23

    Krumbacher besa bald einen internatio-nalen Namen in der Beurteilung griechischer Handschriften, wo-von wiederum die an ihn gerichtete Korrespondenz und Zitate inden Einleitungen von Textausgaben Zeugnis ablegen.24

    Wenn es an die Edition selbst ging, so legte er grten Wert aufdie berlieferungsgeschichte. Gerade deshalb erfuhr auch dieRomanos-Ausgabe vo