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Karl Moor oder Die Räuber von Schiller (Wünsch)

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Karl Moor oder Die Räuber von Schiller

(Wünsch)

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Karl Moor oder Die Räuber von Schiller (Wünsch) http.//lithes.uni-graz.at/texte.html

[U1]

KARL MOOR

ODER

DIE RÄUBER VON SCHILLER

Schauspiel in 5 Ackten* B[runo] Wünsch

[U2: leer]

[1]

DIE RÄUBER

SCHAUSPIEL IN 5 AKTEN

VON FRIEDRICH VON SCHILLER

Der Ort der Handlung ist Deutschland

Das Stück spielt in der Zeit, als der ewige Landfriede in Deutschland errichtet ward.

[2]

PERSONEN.

Maximillian, regierender Graf von Moor

Karl

Franz

Amalie, seine Nichte von Edelreich

* Karl Moor oder Die Räuber von Schiller. Schauspiel in 5 Akten. B[runo] Wünsch. (Außentitel.) Die Räuber. Schauspiel in 5 Akten von Friedrich von Schiller. (Innentitel.) »Rich[ard] Reissig/Hainichen«. Mit einer Farb-zeichnung des Kaspers (beides S. 138). Handschrift, Format: 17 x 20 cm. schwarzgraues Heft. Puppentheater-sammlung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Ms. Sign. 0766. Transliteration: Laura Nauschnegg, Magdalena Prenner und Michaela Lohr. Orthographie und Interpunktion wurden im Haupttext beibehalten. Mit Makron (Balken) versehene Gemination wurde mit m‹m›/n‹n› aufgelöst. Text zwischen »{ }« bezeichnet Veränderungen von fremder Hand, die jeweils in einer Fußnote näher beschrieben werden. © Mit freundlicher Genehmigung der Puppentheatersammlung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.

seine Söhne

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Spiegelberg

Schweizer

Razmann

Kosinsky

Grimm

Schufterle

[3]

Ka[s]per Roller (sonst Schankwirth) dann Bandit

Hermann Bastard eines Edelmanns

Eine Magistrats Person

Daniel ein alter Diener

Räuber + Volk + Diener +

I. AUFZUG

Saal im Moorischen Schloß

Personen: Requisitien:

alter Moor Tisch

Franz Brief Stühle

Brief

[4]

ALTE MOOR sitzt FRANZ Brief.

FRANZ. Aber ist Euch auch wohl, Vater! Ihr seht so blaß.

ALTE MOOR. Ganz wohl, mein Sohn – was hattest Du mir zu sagen?

FRANZ. Die Post ist angekommen – ein Brief von unsern Correspondenten in Leipzig

ALTE MOOR begierig.

[5]

Nachrichten von meinem Sohne Karl?

FRANZ. Ja! Ja! So ist es. Aber ich fürchte – wenn ihr krank seid – so laßt mich – ich will zu gelegener

Zeit zu Euch reden.

ALTE MOOR. Gott! Gott! was werd ich hören?

FRANZ.

Lieberdiener, nachher Banditen.

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[6]

Laßt mich vorerst auf die Seite gehn und eine Thräne des Mitleids vergießen um meinen verlornen

Bruder – Ich sollte schweigen auf ewig – denn er ist mein Bruder. Aber Euch zu gehorchen ist meine

erste traurige Pflicht – darum vergebt mir!

ALTE MOOR. O Karl! Karl! wüstest Du, wie Deine Aufführung das Vaterherz foltert. Wie eine

[7]

einzige frohe Nachricht von dir meinen Leben zehn Jahre zusetzen würde – da mich nun jede, ach! –

einen Schritt näher ans Grab rückt.!

FRANZ. Ist es das, alter Mann! so lebt wohl, wir alle würden uns noch heute die Haare rausreißen über

Euren Sarge.

ALTE MOOR. Bleib! Es ist noch um den

[8]

kleinen kurzen Schritt zu thun – laß ihn seinen Willen.

FRANZ. Ihr kennt unsern Correspondenten! Seht! den Finger meiner rechten Hand wollt’ ich drum

geben, dürft ich sagen: er ist ein Lügner, – ein schwarzer, giftiger Lügner. – Faßt Euch, Ihr vergebt

mir, wenn ich Euch den Brief nicht selbst lesen lasse – noch dürft ihr nicht alles wissen.

[9]

ALTE MOOR. Alles, Alles – mein Sohn, Du ersparst mir die Krücke.

FRANZ liest. „Leipzig, vom ersten Mai, Dein Bruder scheint nun das Maß seiner Schande gefüllt zu

haben; ich wenigstens kenne nichts über dem, was er wirklich erreicht hat, wenn nicht sein Genie das

meinige hierin übersteigt. Gestern um

[10]

Mitternacht hatte er einen großen Entschluß gefaßt, nach vierzigtausend Ducaten Schulden“, ein

hübsches Taschengeld Vater – „nachdem er zuvor die Tochter eines reichen Banquiers allhier entehrt

und ihren Galan, einen braven Jungen von Stand; im Duell auf den Tod verwundet, mit sieben Ande-

ren, die er mit in sein liederliches Leben gezogen, den Arm der Justiz zu ent-

[11]

laufen“ – Vater! um Gotteswillen, Vater! wie wird Euch?

ALTE MOOR. Es ist genug – laß ab, mein Sohn!

FRANZ. Ich schone Eurer – „man hat ihn Steckbriefe nachgeschickt, die Beleidigten schreien laut um

Genugthuung, ein Preis ist auf seinen Kopf gesetzt – der Name Moor: - Nein meine armen Lippen

sollen

[12]

nimmermehr einen Vater ermorden.

geht zur Seite, der Brief wird abgemacht.

Glaubt es nicht Vater! glaubt es nicht, keine Silbe!

ALTE MOOR weint. Mein Name! mein ehrlicher Name!

FRANZ. O, daß er Moors Namen nicht trüge! Daß mein Herz nicht so warm für ihn schlüge! Die gott-

lose Liebe, die ich nicht vertilgen kann, wird noch

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[13]

einmal vor Gottes Richterstuhl anklagen!

ALTE MOOR. O – meine Aussichten! Meine goldnen Träume!

FRANZ. Das weiß ich wohl. Das ist es ja, was ich eben sagte. Der feurige Geist, der in den Buben

lodert, sagtet Ihr immer, der ihn für jeden Reiz von Größe und Schönheit so empfindlich macht.

Vielleicht

[14]

Vater! erlebt Ihr noch die Freude, ihn an der Fronte eines Heeres zu erblicken, daß in der heiligen

Stille der Wälder residirt und den müden Wanderer seine Reise um die Hälfte der Bürde erleichtert.

Vielleicht könnt Ihr noch, eh’ Ihr zu Grabe geht eine Wallfahrt nach seinem Monumente thun, daß er

sich zwischen Himmel errichtet.

ALTE MOOR. Franz! Franz! was sagst

[15]

Du? Nein das thut mein Karl nicht, oder willst Du daß ich ihn verfluchen soll

FRANZ. Nicht doch! nicht doch! Euren Sohn sollt ihr nicht verfluchen. Sei aber ein allerliebstes köstli-

ches Kind, dessen ewiges Studium e ist, keinen Vater zu haben. Wie Schuppen wirds Euch von den

Augen fallen,. Vater, ihr werdet den Fluch der Verdammnis auf Euch laden.

[16]

ALTE MOOR. Gerecht! sehr gerecht! – Mein, mein ist alle Schuld!

FRANZ. Wie viele Tausende, die voll sich gesoffen haben vom Becher der Wollust, sind durch Leiden

gebessert worden! Bedenkt, Vater! wenn ihr ihn seinem Elend auf einige Zeit preisgeben werdet, wird

er nicht entweder umkehren müssen und sich bessern? Oder wird er auch

[17]

in der großen Schule des Elends bleiben, und dann – wehe dem Vater, der die Ratschlüsse einer

höhern Weisheit durch Verzärtlung vernichtet! – Nun Vater?

ALTE MOOR. Ich will ihm schreiben, daß ich meine Hand von ihm wende. –

FRANZ. Da thut Ihr recht und klug daran.

ALTE MOOR. Daß er nimmer vor meine Augen komme. –

FRANZ.

[18]

Das wird eine heilsame Wirkung tun.

ALTE MOOR zärtlich. Bis er anders wird.

FRANZ. Schon recht; schon recht; aber wenn er nun kommt mit der Larve eines Heuchlers, Euer Mit-

leid erweint, Eure Vergebung sich erschmeichelt, und morgen hingeht und Eurer spottet? Nein,

Vater! Er wird freiwillig wiederkehren, wen‹n› er sein Gewissen rein gesprochen hat.

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ALTE MOOR.

[19]

So will ich ihn auf der Stelle schreiben. will gehen

FRANZ. Halt, noch ein Wort, Vater! Eure Entrüstung, fürchte ich, möchte Euch harte Worte in die

Feder werfen, die ihm das Herz zerspalten würden. Darum ist es besser, Ihr überlasset das Schreiben

mir.

ALTE MOOR. Thu das, mein Sohn. – Ach! es hätte mir das Herz zerbrochen!

[20]

FRANZ. Dabei bleibts also?

ALTE MOOR. Schreib ihm, daß ich tausend blutige Thränen, tausend schlaflose Nächte – aber bring

meinen Sohn nicht zur Verzweiflung!

FRANZ. Wollt Ihr Euch nicht zu Bette legen, Vater? Es griff Euch hart an.

[21]

ALTE MOOR. Schreib ihm, daß die väterliche Brust – ich sage dir, bring meinen Sohn nicht in Ver-

zweiflung! ab

FRANZ allein. Tröste Dich, Alter! Du wirst ihn nimmer an Deine Brust drücken! Der Weg dazu ist ihm

verrammelt wie der Himmel der Hölle. Er war aus Deinen Armen gerissen ehe du’s wußtest, daß Du

es

[22]

wollen könntest. – Da müßte ich doch ein elender Stümper sein, wenn ich's nicht einmal so weit

gebracht hätte, einen Sohn vom Herzen des Vaters abzulösen. Jaja! Glück zu Franz! weg ist das

Schoßkind! Doch jetzt zu Amalien, auch ihr wird Karl entrissen, durch zuckende Worte, dann errei-

che ich mein Ziel, was ich längst gewollt! Hahaha! ab

Der Vorhang {Glocke}1 fällt.

[23]

VERWANDLUNG

An den Grenzen von Sachsen

Gasthof

Personen: Requisitien:

Karl Tische

Spiegelberg Stühle

Kasper Roller Gastwirt Gläser

Schweizer Briefe

Grimm

Schufterle

1 Einfügung eines bemalten Glockensymbols. Im Folgenden vermerkt als {Glocke}.

alles Lieb

ertiner

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Razmann

{Richard Reichsig}[2]

[24]

KASPER kom‹mt› als Wirt. Ach, hols der Teichsel!, ne is das eine Wirtschaft mit die Studenten, alle sind

in Bruch, alle haben kein Geld. Leidern haben sie schon bei mir stehen, daß, wenn ich da hinauf

klettern wollte, da könnte ich über ein 4 stöckiges Haus wegsehen. Wenn das so fort geht, da muß ich

meine Bude zumachen, mit einen ansehnlichen partickel Schulden, es geht

[25]

aber nicht anders. Den Schnaps hab ich nun auch schon gewässert. unds Bier, aber alle Tage, alle

Tage werden mehr Schulden, ich will nur sehen, wo das noch naus prasselt, mir is Wurscht. ab {rechts}

{links} KARL kommt.

[KARL.] Wo die Kerle nur herumschlendern? Gewiß haben sie wieder einen Ritt gemacht. – {Heda,

Wein her! – Und [3] es wird Abend und noch keine Post da? – {Knabe!}

[26]

{Knabe! wie Dir das Herz pocht!} {Heda, Wein her!} Ich muß mir heute Muth antrinken, seis zur

Freud oder Verzweiflung. {Ueber die verfluchte Ungleichheit in der Welt! –Das Geld verrostet in den

Kisten ausgedörrter Pickelheringe, und Armuth legt Blei an die kühnsten Unternehmungen der

Jugend. Kerls die zehnmal krepieren, ehe sie ihre Zinsen überrechnen,

[27]

trippelten mir die Schwelle ab, eine Hand voll elende Schulden einzutreiben – so warm ich ihnen die

Hand drückte – Nur noch einen Tag – Umsonst - Bitten – Schwürn – Thränen – prallten ab von ih-

rer bockledernen Seele.}

{links}[4] SPIEGELBERG kom‹m›t Briefe.

[SPIEGELBERG.] Pest! Pest [!]! Ein Streich auf den andern! Vermaladeit! Weißt Du, Moor? Weißt Du

[28]

Man möchte rasend werden.

KARL. Was denn wieder?

SPIEGELBERG. Du fragst? Lies – lies selbst – Niedergelegt ist unsere Wirtschaft – Friede in Deutsch-

land. Der Teufel hole die Pfaffen!

KARL. Friede in Deutschland?

SPIEGELBERG. Es ist zum Aufhängen – Und

2 Einfügung des Namens mit Bleistift von fremder Hand am Ende der Seite. 3 Streichung mit blauem Buntstift von fremder Hand. 4 Einfügung von Regieanweisungen mit Bleistift von fremder Hand. Im Folgenden im Haupttext vermerkt als {links}, {rechts} oder {ab}.

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[29]

Es ist zum Aufhängen – Und das Faustrecht abgeschafft für immer. – Alle Fehden bei Todesstrafe

verboten. Mord und Tod! Krepir, Moor! Federn werden kritzeln, wo sonst die Schwerter durchhauen.

KARL wirft sein Schwert weg. So mögen denn Mannen und Schurken das Regiment führen, und Schu

Männer ihre Schwerter zerbrechen! – Friede in Deutschland! Geh’ diese Zei-

[30]

tung hat Dich auf ewig gebrandmarkt. – Gänsekiele für Schwerter. – Stelle mich vor ein Heer Karl’s

wie ich und aus Deutschland – aus Deutschland – Doch! Nein! Nein! {Laß! Er soll herunter! Seine

Stunde ist gekommen – Kein freier Aderlaß in Barbarossas Enkel mehr übrig.} – Ich will’s Fechten

verlernen.

SPIEGELBERG. Geh! geh! Du bist nicht mehr Moor. Unmöglich Bruder!

[31]

das kann Dein Ernst nicht sein. Sag, Brüderchen, ist es nicht die Noth, die Dich so stimmt? O! laß

Dir nicht bange sein, wenn’s auch auf’s Äußerste kommt. Das Schicksal muß große Männer aus uns

haben wollen, weil’s uns so quer durch den Weg geht.

KARL. Ich glaube an nichts mehr, Moritz! Schon die vorige Woche hab ich meinen Vater um

[32]

Vergebung geschrieben, hab’ ihm den kleinsten Umstand nicht verschwiegen, und wo Aufrichtigkeit

ist, ist auch Mitleid und Hilfe. Laßt uns Abschied nehmen, Moritz! Wir sehen uns heut’, und nie

mehr. Die Post ist angelangt. Die Verzeihung meines Vaters ist schon innerhalb der Stadtmauer.

KASPER, SCHWEIZER, GRIMM und {rechts}SCHUFTERLE kommen.

KASPER. Wißt Ihr auch, daß man Euch

[33]

auskundschaftet.

GRIMM. Das wir keinen Augenblick sicher sind aufgehoben zu werden?

KARL. Mich wunderts nicht. Es gehe wie es will! Seht Ihr den Razmann nicht? sagt er von keinen Brief

den er an mich hätte?

KASPER. Der sucht Dich schon lange, ich vermuthe so etwas, doch da kommt er schon.

RAZMANN kommt 1 Brief.

[34]

KARL. Bruder, Bruder, den Brief! den Brief!

RAZMANN zeigt ihn. MOOR liest.

RAZMANN. Was ist Dir? wirst Du nicht wie die Wand?

KARL. Meines Bruders Hand!

KASPER. Moor Karl! was ist denn los? Karl? was beginnst denn Du?

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ALLE. Was ist Dir, Karl?

[35]

KARL. Verloren,! Verloren! ab

{KASPER} {GRIMM} {links}. Das müssen schöne Neuigkeiten sein! Laß doch sehen!

RAZMANN liest den Brief.

[RAZMANN.] „Unglücklicher Sohn Bruder!“ Der Anfang klingt lustig. „Nur kürzlich muß Dir melden,

daß Deine Hoffnung vereitelt ist – Du sollst hingehen, läßt Dir der Vater sagen, wohin Dich Deine

Schandthaten führen. Auch sagt er, werdest Du Dir keine Hoffnung ma-

[36]

chen, jemals Gnade zu seinen Füßen zu erwimmern, wenn Du nicht gewärtig sein wolltest, im unter-

sten Gewölbe seiner Thürme mit Wasser und Brod so lange traktirt zu werden, bis Deine Haare

wachsen wie Adlerfedern und deine Nägel wie Vogelklauen werden. Das sind seine eignen Worte. Er

befiehlt mir, den Brief zu schließen. Leb wohl auf ewig! Ich bedaure Dich. – Franz von Moor

KASPER.

[37]

Ein zuckersüßes Brüderchen! In der That! – Franz heißt die Cannallie.

SPIEGELBERG. Von Wasser und Brod ist die Rede, Ein schönes Leben! Da hab ich anders für Euch

gesorgt! Sagt ich’s nicht, ich müßte am Ende für Euch alle denken.

SCHWEIZER. Was sagt der Schafskopf! Der Esel will für uns alle denken?

SPIEGELBERG. Hasen, Krüppel, lahme Hunde seid ihr alle, wenn ihr das Herz

[38]

nicht, etwas Großes zu wagen. Zu Helden, sag ich Euch, zu Freihern, zu Fürsten, zu Göttern wirds

Euch machen!

KASPER. Das war viel auf einen Hieb, das Ding gefällt mir. Wüßt Ihr was, ich geselle mich zu Euch,

denn meine Wirtschaft ist sehr verschuldet, daß kein Dachziegel mehr mein is, ich reise och mit aus,

es mag gehen, wie es will, wenn es auch den Kopf kostet.

SPIEGELBERG. Dir nicht, Kasper! Dafür stehe ich Dir,

[39]

es will nichts als Muth. Muth sage ich!

ALLE. Muth haben wir alle – heraus mit der Sprache!

SPIEGELBERG. So gefällt mir’s. Wenn noch ein Tropfen deutsches Heldenblut in euren Adern rinnt –

kommt! wir wollen uns in den böhmischen Wäldern niederlassen, dort eine Räuberbande zusammen

ziehen.

KASPER. Hols der Teichsel, da bin ich da-

[40]

bei. Du bist ein Meisterredner Spiegelberg, wenn’s drauf ankommt, aus einen ehrlichen Mann, einen

Halunken zu machen. Aber sagt’ doch nur wo der Moor bleibt.

SPIEGELBERG. Moritz Du bist ein großer Mann.

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KASPER. Halt Kinder, sachte! Das Thier muß auch seinen Kopf haben. Ohne Oberhaupt ging Rom

und Sparta zu Grunde.

SPIEGELBERG. Ja! {haltet!} Kasper hat Recht – und daß muß ein verschmitzter er-

[41]

lauchter Kopf sein. Ja! Wenn ich auch darum betrachte, was ihr vor wenig Minuten waret, was ihr

jetzt seid, darum müßte ich auch eigentlich.

KASPER. Ein richtiger Schafskopf sein! – Ohne Moor sind wir ein Leib ohne Seele.

SPIEGELBERG. Stockfisch!

{links} KARL kommt niedergeschlagen für sich.

[KARL.] Menschen! – Menschen! – falsche heuchlerische Krokodilbrut! Ihre Augen sind Wasser! Ihre

Her-

[42]

zen sind wie Eerz Erz! Küsse auf den Lippen! Schwerter im Busen! Löwen und Leoparde fütterten

Ihre Jungen, und Er, Er – wenn Vaterliebe zur Megäre wird, o so fange Feuer, männliche Gelassen-

heit, verwildere zum Tiger, sanftmütiges Lamm, und jede Faser recke sich zu Grimm und Verderben.

KASPER. Höre, Moor! was denkst Du davon? Ich will mir mein Gastwirthsleben auch an den Nagel

hängen, wegen die baar Schulden. Ein Räu-

[43]

berleben ist doch besser, als bei Wasser und Brod im untersten Gewölbe der Thürme?

{GRIMM} SCHWEIZER. Komm mit uns in die böhmischen Wälder, wir wollen eine Räuberbande sam-

meln, und Du –

SCHWEIZER. Du sollst unser Hauptmann sein! Du mußt unser Hauptmann sein!

SPIEGELBERG wild. Sklaven und Memmen!

KARL.

[44]

Wer blies Dir das Wort ein? Höre, {Karl}! Das hast Du nicht aus Deiner Menschenseele hervorge-

holt! Ja, bei dem tausendarmigen Tod! Das wollen wir, das müssen wir! Der Gedanke verdient Ver-

götterung! Räuber und Mörder! so wahr meine Seele lebt! ich bin euer Hauptmann!

ALLE. Es lebe der Hauptmann!

SPIEGELBERG für sich. Bis ich ihn hinhelfe!

KARL.

[45]

Siehe, da fällt’s wie der Staar von meinen Augen! Was für ein Thor ich war, daß ich ins Käficht

zurück wollte! mein Geist dürstet nach Thaten, mein Athem nach Freiheit, Mörder und Räuber! – ich

habe keinen Vater mehr, ich habe keine Liebe mehr. Kommt! kommt! – O, ich will mir eine fürchter-

liche Zerstreuung machen! – Es bleibt dabei, ich bin euer Hauptmann! Tretet um mich her – ein

Jeder und schwöret mir Treue und Gehorsam

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[46]

zu, bis in den Tod!

ALLE. Bis in den Tod!

KARL. Und bei diesen männlichen Rechte schwör’ ich euch hier, treu und standhaft euer Hauptmann

zu bleiben bis in den Tod! Den soll dieser Arm gleich zur Leiche machen, der jemals zagt oder zwei-

felt oder zurücktritt! Ein Gleiches widerfahre mir von jedem unter euch, wenn ich meinen Schwur

verletze! Seid ihrs zufrieden?

[47]

ALLE. Wird sind’s zufrieden!

SPIEGELBERG lacht ergrimmt.

KARL. Nun denn, so laßt uns gehen! Fürchtet euch nicht vor den Tod und Gefahr, denn über uns wal-

tet ein unbeugsames Fatum! {Glocke} Jeden ereilet endlich sein Tag, es sei auf den weichen Kissen

von Flaum oder im rauen Gewühle des Gefechts, oder auf offenem Galgen. Eins davon ist unser

Schicksal.

Alle ab bis auf SPIEGELBERG.

[48]

SPIEGELBERG. Dein Register hat ein Loch! Du hast Verrätherei weggelassen. ab

Der Vor {Glocke} hang fällt.

II. AUFZUG.

Moors Zimmer.

Personen: Requisitien:

Franz Tisch

Hermann / dan verkappt 1 Schwert 1 Pfotografie Stuhl

Amalie

alte Moor

Daniel

[49]

FRANZ nachsinnend. Das Leben eines Alten ist doch eine Ewigkeit. – Sinne nach, Moor, das wäre eine

Kunst, würdig, dich zum Erfinder zu haben. Und wie ich nun werde zu Werke gehen müssen? ….

Halt, ich habs! ich werde meinen Vater deuschen und Amalie, ich rede Ihnen ein, daß ich Nachricht

erhalten habe, Karl sei todt! Doch, da kommt Hermann, der muß helfen.

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{links} HERMANN kommt. [50]

Zu Euren Diensten, gnädiger Junker.

FRANZ. Die Du keinen Undankbaren erweisest.

HERMANN. Da habe ich Proben davon.

FRANZ. Ich habe Dir etwas zu sagen, Hermann. Höre dann – geh kleide Dich um, mach Dich ganz

unkenntlich, laß Dich beim Alten melden, gieb vor, du kämst geradeswegs aus Ungarn, hättest mit

meinem Bruder den letzten Treffen bei-

[51]

gewohnt – hättest ihn auf der Wahlstatt den Geist aufgeben sehen.

HERMANN. Wird man mir glauben?

FRANZ. Hoho! dafür laß mich sorgen! Mach jetzt nur, daß Du fortkommst und ungesehen! Spring

durch die Hinterthür in den Hof, von da über die Gartenmauer! Daß andere überlaß mir.

HERMANN. Dann wird es heißen: Vivat der neue Herr, Franziskus von Moor.

[52]

FRANZ. Wie schlau Du bist! – Denn siehst Du, auf die Art erreichen wir alle Zwecke zumal und bald.

Amalie giebt ihre Hoffnung auf ihn auf. Der Tode Alte mißt sich den Tod seines Sohnes bei, und er

kränkelt – er wird die Nachricht nicht überleben, dann bin ich sein einziger Sohn – Amalie hat ihre

Stütze verloren, dann hast Du leichtes Spiel bei Ihr – aber Du mußt Dein Wort nicht zurück nehmen.

HERMANN.

[53]

Was sagt Ihr? – Eh’ soll die Kugel in ihren Lauf zurückkehren und in dem Eingeweide ihres Schützen

wüthen – Rechnet auf mich! laßt nur mich machen. – Adieu! ab {links}

FRANZ ihm nach. Was Du thust, das thust Du Dir! ab

ALTE MOOR setzt sich u. AMALIE kommen.

{rechts} AMALIE. Ihr schlieft einen beneidenswürdigen Schlummer.

ALTE MOOR. Mir träumte von meinem Karl. Warum habe ich nicht fortgeträumt.

[54]

Vielleicht hätt’ ich Verzeihung erhalten aus seinem Munde.

AMALIE. Engel grollen nicht – Er verzeiht Euch. {Vater Karls!} {Auch} Ich verzeihe Euch.

ALTE MOOR. Nein, meine Tochter! Die Todtenfarbe deinen Wangen zeugt wider Dein Herz. Armes

Mädchen, ich zerstörte die Freuden Deiner Jugend. Vergieb mir nicht, – nur verfluche mich nicht!

AMALIE. Die Liebe {hat nur einen }{keinen} Fluch ge-

[55]

lernt {diesen, mein Vater!}

ALTE MOOR. Fahre fort, fahre fort! Deine Pfantasien verjüngern mich wieder. O meine Tochter! eure

Liebe machte mich so glücklich!

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{links} DANIEL kommt.

[DANIEL.] Es wartet draußen ein Mann auf Euch. Er bittet vorgelassen zu werden; er habe an Euch

eine Zeitung von Richtigkeit.

ALTE MOOR. Mir ist auf der Welt nur etwas weißt wichtig, Du weißt’s Amalie – Ist’s ein Unglücklicher,

der

[56]

meiner Hilfe bedarf? Er soll nicht mit Seufzen von hinnen gehen.

DANIEL ab. {links}

AMALIE. Ist’s ein Bettler, er soll eilig heraufkommen.

ALTE MOOR. Amalie, Amalie, schone meiner!

HERMANN verkappt FRANZ kommen.

FRANZ {links}. Hier ist der Mann. Schreckliche Botschaften, sagt er, warten auf Euch. Könnt Ihr sie

hören.

ALTE MOOR.

[57]

Ich kenne nur eine. Tritt her, mein Freund, und schone meiner nicht! –

HERMANN mit veränderter Stimme. Gnädiger Herr! laßt es einen armen Mann nicht entgelten, wenn er

wider Willen Euer Herz durchbohrt. Ich bin ein Fremdling in diesem Lande, aber Euch kenn’ ich

sehr gut, Ihr seid der Vater Karls von Moor.

ALTE MOOR. Woher weißt Du das?

HERMANN. Ich kannte Euren Sohn. –

[58]

AMALIE. Er lebt? Lebt? Du kannst ihn? Wo ist er wo?

ALTE MOOR. Du weißt von meinem Sohn?

HERMANN. Er studirte auf der hohen Schule zu Leipzig. Von da zog er, ich weiß nicht weit, herum.

Fünf Monate darauf brach der leidige Krieg zwischen Polen und den Türken aus, da zog ihn der Hall

von König Matthias’ von Ungarn siegreicher Trommel nach Pest. Erlaubt mir, sagte er zum

[59]

König, daß ich den Tod sterbe, auf den Bette der Helden, ich hab’ keinen Vater mehr! –

ALTE MOOR. Sieh mich nicht an, Amalia!

HERMANN. Man gab ihm eine Fahne. Er flog {mit} Matthias’ Siegesflug mit. Wir kamen zusammen

unter ein Zelt zu liegen. Er sprach viel von seinen Vater und von bessern vergangenen Tagen – und

von vereitelten Hoffnungen – uns standen Thränen in den Augen. Acht

[60]

Tage darauf war ein heißes Treffen – Euer Sohn hat sich gehalten wie ein wackerer Kriegsmann. Er

that Wunder vor den Augen der Armee. Fünf Regimenter mußten neben ihm wechseln, er stand.

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Eine Kugel zerschmetterte ihm die rechte Hand, Euer Sohn stand, er nahm die Fahne in die linke

Hand und stand.

{AMALIE. Und stand, Vater!}

HERMANN. Ich traf ihn am Abend der Schlacht, niedergesunken unter Kugel-

[61]

gepfeife; mit der Linken hielt er das stürzende Blut, die Rechte hatte er in die Erde gegraben. Und

bald darauf hauchte er seine große Seele dem Helden zu.

FRANZ auf HERMANN. Daß der Tod Deine verfluchte Zunge versiegele! Bist Du hierher gekommen,

unsern Vater den Todesstoß zu geben.

HERMANN. Es war der letzte Wille meines sterbenden Kameraden. Nimm dies Schwert, röchelte er,

Du wirst’s

[62]

meinen alten Vater überliefern, das Blut des Sohnes klebt daran; {er ist grochen}, er mag sich wei-

den{!} Sag ihm, sein Fluch hätte mich gejagt in Kampf und Tod, ich sei gefallen in Verzweiflung!

Sein letzter Seufzer war Amalie.

AMALIE. Sein letzter Seufzer,; Amalie!

ALTE MOOR verzweifelnd. Mein Fluch ihn gejagt in den Tod! Gefallen in Verzweiflung!

HERMANN. Hier ist das Schwert und hier ist

[63]

auch ein Porträt, daß er zu gleicher Zeit aus den Busen zog. Es gleicht diesen Fräulein auf ein Haar.

Dies soll meinen Bruder Franz sagte er, – ich weiß nicht, was er damit sagen wollte.

FRANZ. Mir Amaliens Porträt! Mir Karl, Amalia? Mir?

AMALIE. Feiler, bestochener Betrüger!!

HERMANN. Das bin ich nicht gnädiges Fräulein

ALTE MOOR. Mein Fluch ihn gejagd in den Tod

[64]

gefallen mein Sohn in Verzweiflung!

HERMANN. Den Jammer steh’ ich nicht aus. – Lebt wohl, alter Herr! zu Franz leise Warum habt Ihr

auch das gemacht, Junker? Geht schnell ab {links}

AMALIA. Sein letzter Seufzer, Amalia! – Nein, Du bist kein Betrüger! So ist es wahr – wahr – er ist todt!

– Todt! – Karl ist todt. Sinkt um. {ab} {rechts}

ALTE MOOR. Wehe, wehe! verlaß mich nicht meine Tochter! Franz, Franz! gieb mir meinen Sohn wie-

der!

FRANZ.

[65]

Wer war’s, der ihm den Fluch gab? Wer war’s?

ALTE MOOR. Fluch! Fluch! Verderben! Fluch über mich selber. Ich bin der Vater, der seinen großen

Sohn erschlug. Mich liebte er bis in den Todt! Mich zu rächen rannte er in Kampf und Verzweiflung.

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FRANZ. Er ist dahin, was helfen späte Klagen! Höhnisch lachend. Es ist leichter morden, als lebendig

machen.

ALTE MOOR. Scheusal! Scheusal! schaff mir mei-

[66]

nen Sohn wieder!

Will auf FRANZ zu, dieser reißt aus.

ALTE MOOR. {Glocke} Tausend Flüche donnern Dir nach! Du hast mir meinen Sohn aus den Armen

gestohlen. Wehe! Wehe! verzweifeln, aber nicht sterben! Sie fliehen, verlassen mich im Tode – keine

Söhne, keine Freunde mehr, allein und verlassen – verzweifeln aber nicht sterben.

Er sinkt in den Stuhl zurück.

AMALIE erwacht. Steht auf, sieht den ALTEN MOOR.

[Amalie] schreit auf. Todt! Alles todt!

Ab in [67] Verzweiflung.

Der Vor {Glocke} hang fällt.

VERWANDLUNG

Die böhmischen Wälder

Personen: Requisitien:

Karl Blasen

Schweizer Schießen

Kasper Musik

Schufterle

Razmann

Spiegelberg

Grimm

Räuber

Ein Commissarius + ein Schreiber

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[68]

KARL SCHWEIZER KASPER SCHUFTERLE RAZMANN,

SPIEGELBERG, GRIMM, RÄUBER.

KARL. Freiheit! Freiheit! Du bist im Trocken, Kasper! Das hat gegolten!

KASPER. Ja Kinder! das war nichts leichter! denn ich komme direct vom Galgen her. Ich war auch nur

3 Schritte noch von der Sakramentsleiter, auf der ich in den Schooß Abrahams steigen sollte, entfernt.

Dem Hauptmann dank ich Luft, Freiheit und Leben.

[69]

SCHWEIZER. Es war ein Spaß der sich hören läßt. Wir hatten den Tag vorher durch unsere Spione

Wind bekommen, der Kasper liege tüchtig im Salz, und wenn der Himmel nicht beizeit einfallen

wollte, so werde er morgen am Tag – das war als heut’ – den Weg alles Fleisches gehen müssen. Auf!

sagt der Hauptmann; was wagt ein Freund nicht! – Wir retten ihn oder retten ihn nicht, so wollen wir

ihn doch wenigstens eine Todesfackel

[70]

anzünden, wie sie noch keinen König geleuchtet hat, die ihnen den Buckel blau und braun brennen

soll. Die ganze Bande wird aufgeboten. Wir schicken ein Expressen an ihm, ders ihm in einen Zettel-

chen beibrachte, da er ihn in die Suppe warf.

KASPER. Ich verzweifelte an den Erfolg.

SCHWEIZER. Wir paßten die Zeit ab, bis die Passagen leer waren. Jetzt sagt der Hauptmann, brennt an!

Die Kerle flogen wie Pfeile steckten die

[71]

Stadt an 33 Ecken zumal in Brand. Wir indeß Gasse auf, Gasse nieder, wie Furien, die Glocken fan-

gen an zu brummen, und der Pulverthurm knallt in die Luft.

KASPER. Und jetzt sah mein Gefolge zurück – Da lag die Stadt wie Sodom und Gomorha, der ganze

Horizont war Feuer; ein panischer Schreck schmeißt alle zu Boden – jetzt nutz’ ich den Zeitpunkt

und rasch wie der Wind! dann ich war losgebunden und machte Reißaus! Sechzig Schritte weg warf

[72]

ich die Kleider ab, stürze mich in den Fluß, schwimm’ unterm Wasser fort, bis ich glaubte ihnen aus

dem Gesichte zu sein. Mein Hauptmann schon parat mit Pferden und Kleidern – so bin ich entkom-

men. – Karl! Karl! möchtest Du bald auch in den Pfeffer gerathen, daß ich Dir Gleiches mit Gleichen

vergelten kann!

SCHWEIZER. Weißt Du nicht, Schufterle, wie viel es Todte gesetzt hat?

SCHUFTERLE. Drei und achtzig sagt man. Der Thurm allein hat ihrer 60 zu

[73]

Staub zerschmettert.

KARL. Kasper, du bist teuer bezahlt.

SCHUFTERLE. Pah! pah! Ja wenns Männer gewesen wärn, aber so warens alte Mütterchen und Kinder.

Denn was leichte Beine hatte war der Komödie nachgelaufen.

KARL. Oder armen Gewürme!

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SCHUFTERLE. Wie ich an einer Barake vorbei gehe, hör’ ich drinnen ein Gezeter

[74]

ich guk hinein und wie ich es bei Lichte besehe, was war’s? Ein Kind war’s noch frisch und gesund,

das lag auf den Boden unterm Tisch, und der Tisch wollte eben anfangen zu brennen – armens

Thierchen! sagt ich, Du erfrierst ja hier, und warfs in die Flamme –

KARL. Wirklich, Schufterle? Und die Flamme brenne in Deinen Busen, bis die Ewigkeit grau wird! –

Fort, Ungeheuer! Laß Dich nimmer unter meiner Bande sehen

Es entsteht ein Gemurmel.

[75]

Murret ihr? Wer überlegt, wenn ich befehle? – Fort mit ihm, sag’ ich! Es sind noch mehr unter Euch,

die meinem Grimm reif sind. Ich kenne Dich Spiegelberg! Aber ich will nächstens unter euch treten

und fürchterlich Musterung halten.

Alles zitternd ab.

KARL allein auf und ab gehen. Höre sie nicht, Rächer im Himmel! Was kann ich dafür? Geh, geh! Du

bist der Mann nicht, das Racheschwert Gottes zu regieren! Du erlagst bei dem ersten Griffe; hier

[76]

entsag’ ich den frechen Plane, gehe, mich in irgend eine Kluft der Erde zu verkriechen, wo der Tag

meiner Schande zurück tritt.

KASPER kommt eilig. Hols der Teichsel, sieh Dich vor, Hauptmann, es spuckt! Ganze Haufen böhmi-

scher Reiter schwadroniren im Holze herum – {Der höllische Blaustrumpf muß ihnen verträtsch

haben –}

GRIMM kommt eilig.

[GRIMM.] Hauptmann! Hauptmann! Sie haben uns die Spur abgelauert – rings ziehen ihrer etliche Tau-

send

[77]

einen Cordon um den Wald.

SPIEGELBERG kommt eilig.

[SPIEGELBERG.] Weh, weh, weh! Wir sind gefangen, gerädert, wir sind geviertheilt, Viele tausend Husa-

ren, Dragoner und Jäger sprengen um die Anhöhe und halten die Luftlöcher besetzt.

KARL ab.

SCHWEIZER, RAZMANN, SCHUFTERLE und RÄUBER kommen.

SCHWEIZER. Freue Dich, Kasper! Das habe ich mir lange gewünscht, mich mit solchen Commisbrod

Reitern he-

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[78]

rum zu hauen. Ist die ganze Bande beisammen? Wir haben doch Pulver genug?

KASPER. Pulver die schwere Menge. Aber wir sind 80 in allen, und so immer kaum einer gegen 20.

SCHWEIZER. Desto besser. – Wo zum Teufel! ist denn der Hauptmann?

SPIEGELBERG. Er verläßt uns in dieser Noth. Können wir denn nicht mehr entwischen?

SCHWEIZER.

[79]

Entwischen? So wollt’ ich doch, daß Du im Koth erstickest, feige Seele Du! Hast immer ein großes

Maul; aber wenn Du zwei Fäuste siehst Memme, zeige Dich jetzt, oder man soll Dich in eine Sauhaut

nähen und durch Hunde verhetzen lassen.

ALLE. Der Hauptmann! Der Hauptman‹n›!

KARL kommt für sich.

[KARL ] Ich habe sie vollends einschließen lassen; jetzt müssen sie fechten wie Verzweifelte. Laut Kin-

der! Nun gilts! wir sind

[80]

verloren, oder wir müssen Fechten wie angeschossene Eber.

SCHWEIZER. Ja! ich will ihnen mit meinen Fängern den Bauch schlitzen. Führ uns an, Hauptmann! Wir

folgen Dir in den Rachen des Todes.

KARL. Ladet alle Gewehre! es fehlt doch an Pulver nicht?

SCHWEIZER. Pulver genug, die Erde gegen den Mond zu sprengen!

RAZMANN.

[81]

Jeder hat fünf Paar Pistolen geladen, jeder noch drei Kugelbüchsen darzu.

KARL. Gut, gut. Und nun muß ein Theil auf die Bäume klettern, oder sich ins Dickicht verstecken und

auf sie Feuer geben im Hinterhalt – Wir andern, wir Furien, fallen ihn in die Flanken.

SCHWEIZER. Darunter bin ich!

KARL. Zugleich muß jeder sein Pfeifchen hören lassen, im Wald herum

[82]

jagen, daß unsere Anzahl schrecklicher werde; auch müssen alle Hunde los und ihre Glieder gehezt

werden, daß sie sich trennen, zerstreuen und auch in den Schuß rennen, wir 3, Kasper, Schweizer und

ich, fechten im Gedränge.

Ein COMMISSARIUS kommt.

[COMMISSARIUS.] Mit eurer Erlaubniß, ihr Herren. Ich bin ein Bevollmächtigter des Gerichts, und

draußen 800, die jedes Haar auf meinem Kopfe bewachen.

KARL. Sagen sie kurz, was haben

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[83]

sie anzubringen?

COMMISSARIUS. Mich sendet die hohe Obrigkeit, die über Leben und Tod spricht. Ein Wort an Dich –

zwei an die Bande.

KARL. Zum Exempel – Was läßt mir denn der hochwohllöbliche Magistrat sagen.

COMMISSARIUS. Was Du nie werth bist zu empfangen. Schau Dich um, Mordbrenner! Was nur Dein

Auge absehen kann, bist Du eingeschlos-

[84]

sen von unsern Reitern – hier ist kein Erbarmen mehr. – Wirst Du jetzt gleich zu Kreuze kriechen

und um Gnade und Schonung flehen, so wird Dir die Strenge selbst Erbarmen, die Gerechtigkeit eine

liebende Mutter sein.

KASPER. Hast Du es gehört Hauptmann? Den Kerl schnüre ich die Gurgel zusammen, das ihm die

rothe Suppe aus allen Löchern herausquillt.

KARL. Weg von ihm! Wag es keiner

[85]

ihn anzurühren! zum COMMISSAR Sehen Sie, mein Herr! {Hier stehen}{ich habe} 79, deren Haupt-

mann ich bin, und draußen stehen 800 Mann. Jetzt will ich stolz reden. Gehe hin und sage dem

hochwohllöblichen Gericht, daß über Leben und Tod würfelt! – Ich bin kein Dieb – was ich gethan

habe, werde ich ohne Zweifel einmal im Schuldbuch des Himmels lesen; aber mit seinen erbärmli-

chen Verwesern will ich kein Wort mehr verlieren. Sage ihnen: Mein Handwerk ist Wiedervergeltung

– Rache eh ist mein Gewerbe.

[86]

COMMISSAR. Du willst also nicht Schonung und Gnade? – Gut, mit dir bin ich fertig.

{Wendet sich zur Bande}

So höret dann ihr, was die Gerechtigkeit euch durch mich zu wissen thut! – Werdet ihr jetzt gleich

diesen verurtheilten Missethäter gebunden überliefern, seht, so soll euch die Strafe eurer Greuel bis

auf das letzte Andenken verlassen sein. – Frisch also! Bindet ihn und seid frei!

KARL. Hört Ihr’s? Was stutzt ihr? Sie bie-

[87]

tet euch Freiheit, und ihr seid wirklich schon ihre Gefangenen. – Sie schenkt euch das Leben? Denkt

ihr wohl gar mit den Waffen euch noch durchzuschlagen. Oder wollt wohl gar noch als Helden fallen.

Oder glaubt ihr vielleicht, ich werde mich zur Wehr setzen, wenn ihr mich binden wollt ein Kind

kann mich nicht umwerfen. – Wer ist der erste, der seinen Hauptmann in der Noth verläßt.

SCHWEIZER. Und wenn die Hölle uns neunfach umzingelte! Wer kein Hund

[88]

ist, rettet den Hauptmann!

KASPER. Fort Canallie! Wir sind keine Verräther, ich will dir gleich was mit auf Abzahlung mit geben.

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KASPER brügelt den COMMISSAR ab.

ALLE. Rettet! Rettet, den Hauptmann!

KARL freudig. Jetzt sind wir frei, Kameraden! Ich fühle eine Armee in meiner Faust. – Tod oder Frei-

heit! Wenigstens lebendig sollen sie keinen haben.

[89]

Man bläßt zum Angriff, Lärm u. Getümmel Musik Schießen.

Der Vorhang {Glocke} fällt.

[90]

III. AUFZUG.

Wald; Mond = Nacht. Ein altes verfallenes Raubschloß vorn auf der Bühne.

Personen: Requisitien:

Schweizer Dolch ersticht Spiegelberg 1 Schuß

Grimm 3 Schüsse

Kasper Blasen

Razmann 12 Uhr Schlagen

Kosinsky

Spiegelberg

Hermann m[?]/ 1 Korb

alte Moor im Thurm grau

KARL MOOR, RÄUBER

Die Räuberbande gelagert auf den Boden. SCHWEIZER, GRIMM, [91] KASPER, KOSINSKY gesungen bei

geschlossenen Vorhang.

Ein freies Leben führen wir

Ein Leben voller Wonne

Der Wald ist unser Nachtquartier

Bei Sturm und Wind handiren wir

Der Mond ist unsere Sonne

Der Mond ist unsere Sonne

Der Vorhang geht in die Lüfte.

RAZMANN, SPIEGELBERG kommen in ein Gespräch.

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RAZMANN. Es wird Nacht – und der Hauptmann noch nicht da?

[92]

SPIEGELBERG. Ein Wort in Vertrauen, Razmann – „Hauptmann“ sagst Du? Wer hat ihn zum Haupt-

mann über uns gesetzt? oder hat er nicht diesen Titel usupirt, der von Rechtswegen mein ist? –

Komm, ich hab’ mir’s gemerkt, wo er hingeschlichen ist. Komm! zwei Pistolen fehlen selten, und

dann –

SCHWEIZER springt auf, Dolch. Ha! Bestie! Eben recht erinnerst Du mich an die böhmischen Wälder! –

Warst Du nicht die Memme, die anhob zu schmettern,

[93]

als sie riefen: der Feind kommt? – Ich habe damals bei meiner Seele geflucht – Fahre hin, Meuchel-

mörder!

Er ersticht SPIEGELBERG.

ALLE springen auf.

[ALLE.] Mordjo! Mordjo! Was macht Ihr?

SCHWEIZER. Da! – Und so krepir Du! Friede Kameraden! Diese Bestie ist dem Hauptmann immer läs

giftig gewesen.

KASPER. Holst der Teichsel! was wird

[94]

aber der Hauptmann dazu sagen?

SCHWEIZER. Dafür laßt mich sorgen.

1 Schuß.[5]

KASPER. Horch! ein Pistolenschuß!

1 Schuß[6]

Noch einer! Holla der Hauptmann!

KOSINSKY. Nur Geduld! Er muß zum dritten Mal Schießen.

1 Schuß.[7]

GRIMM. Er ist’s! Laßt uns ihn antwor-

[95]

ten.}

Es wird geblasen.[8] KARL kommt.

SCHWEIZER. Sei willkommen, mein Hauptmann, Ich bin eins Bischen vorlaut gewesen, seit Du weg

bist, Sei Du Richter zwischen mir und diesen! Von hinten hat er Dich ermorden wollen.

KARL. O unbegreiflicher Finger der rachekundigen Nemesis. Ich

5 Farbzeichnung einer rauchenden Pistole. 6 Ditto.

7 Ditto.

8 Zeichnung eines Horns von fremder Hand.

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[96]

verstehe, – mein Herbst ist gekommen – Schafft mir diesen aus den Augen!

KASPER. Na, da komme einmal her, du alte Hopfenstange, jetzt kannst dus große Maul nicht mehr

haben.

KASPER schafft ihn fort.

KARL. Jetzt legt Euch schlafen, hinweg! Gute Nacht!

ALLE. Gute Nacht, Hauptmann!

ALLE ab.

KARL. Eine lange – lange Nacht! {Kein

[97]

Morgen wird sie nicht mehr röthen.} Herr Gott! Du kannst mich zu Nichts machen – Diese Freiheit

kannst Du mir nicht nehmen. Doch mein Schicksal will ich gerne dulden!

Geht zur Seite. Es schlägt 12 Uhr.

HERMANN Körbchen.

[HERMANN.] Horch, Horch! grausig heulet der Kauz. Zwölf schlägts drüben im Dorf –

geht an den Thurm.

Kom‹m› herauf, Jammermann! Thurmbewohner. Deine Mahlzeit ist bereitet.

KARL leise.

[98]

Was soll das bedeuten?

Stimme des ALTEN MOOR im Thurm.

[ALTER MOOR.] Wer pocht da? He? Bist dus Herman‹n› mein Rabe?

HERMANN. Bin’s steig herauf ans Gitter und iß. – Alter - - schmeckt dirs?

ALTE MOOR. Hungerte mich sehr. Habe Dank, Rabensender für’s Brod in der Wüste! – Und wie geht

es meinen lieben Kinde, Hermann?

HERMANN. Stille! – Horch! – Geräusch, wie von Schnarchenden – Hörst Du nichts?

[99]

ALTE MOOR. Wie? hörst Du was?

HERMANN. Leb wohl! Leb wohl! – Steig hinunter ins Loch – Nahe Dein Retter! Dein Rächer!

Will fort. KARL tritt vor.

[KARL.] Steh!

HERMANN. Wer da?

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KARL MOOR. Steh! Rede! Wer bist Du? Was hast Du hier zu thun?

ALTE MOOR im Thurm.

[100]

Weh! Weh! Bist Du’s, Hermann, der da redet? Mit wem redest Du, Hermann?

KARL. Drunten noch Jemand. Ich will die Thür erbrechen.

HERMANN. O! wenn du der bist, so sei wollkommen an diesem Thurm!

KARL erbricht die Thür. Prallt zurück.

[KARL.] Entsetzliches Blendwerk! Mein Vater!

ALTE MOOR kommt, ganz grau. Habe Dank, O Gott! Erschienen ist

[101]

die Stunde der Erlösung!

KARL. Geist des alten Moor! Was hat dich beunruhigt in deinem Grabe? Rede! Rede! Ich bin der Mann

der bleichen Furcht nicht.

ALTE MOOR. Ich bin kein Geist. – Taste mich an! Ich lebe. O, ein erbärmliches Leben!

KARL. Was? Du bist nicht begraben worden?

ALTE MOOR. Ich bin begraben worden. Das heißt: Ein toller Hund liegt in meiner

[102]

Väter Gruft – und ich – drei volle Monde schmacht ich schon in diesem finstern Thurme von keinem

Strahle beschienen, von keinem warmen Lüftchen angeweht, wo wilde Raben krächzen und mitter-

nächtige Uhue heulen.

KARL. Rede Alter erkläre mir alles. – Es fängt an zu tagen! Fürchterlich! Fürchterlich!

ALTE MOOR. Man brachte mir eine Unglücksbotschaft, da ward ich ohnmächtig. Man

[103]

muß mich für todt gehalten haben; denn als ich wieder zu mir selber kam, lag ich schon in der Bahre

und ins Leichentuch gewickelt wie ein Todter. Ich kratzt an den Deckel der Bahre. Er ward aufge-

than. Es war finstere Nacht, mein Sohn Franz stand vor mir. – Was? rief er mit entsetzlicher Stimme,

willst du denn ewig leben? – und gleich flog der Sargdeckel wieder zu. Der Donner dieser Worte hatte

mich meiner Sinne beraubt; als ich

[104]

wieder erwachte, fühlte ich den Sarg erhoben und fortgeführt in einem Wagen eine halbe Stunde lang.

Endlich war er geöffnet – ich stand am Eingang dieses Gewölbes, mein Sohn vor mir, und der Mann

der mir das blutige Schwert von Karl gebracht hatte. – Zehnmal umfaßt’ ich seine Kniee und bat und

flehte und umfaßte sie, und beschwur – das Flehen seines Vaters reichte nicht an sein Ohr Herz –

„Hinab mit dem Balg!“ donnerte er, er hat genug gelebt und hi-

[105]

nab ward ich gestoßen ohne Erbarmen, und mein Franz schloß hinter mir zu.

KARL. Ist es möglich, das kann ein Sohn?

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ALTE MOOR. So lag ich zwanzig Stunden, und kein Mensch gedachte meiner Noth. Endlich hörte ich

die Thür wieder aufgehen, dieser Mann brachte mir Brod und Wasser und entdeckte mir, wie ich zum

Tode des Hungers verurteilt gewesen, und wie er sein Leben in Gefahr setze, wenn er {es} heraus-

käme, daß

[106]

er mich Speise. So ward ich kümmerlich erhalten diese lange Zeit; aber der unaufhörliche Frost – der

grenzenlose Kummer – meine Kräfte wichen, mein Leib schwand; tausendmal bat ich Gott mit

Thränen um den Tod – aber das Maß meiner Strafe muß noch nicht gefü{hl}lt sein – daß ich so

wunderbar erhalten worden bin. Aber ich leide gerecht! – Mein Karl! mein Karl – {und er hat noch

keine grauen Haare.}

KARL. Es ist genug. Auf! ihr Klötze, ihr

[107]

Eisklumpen! Auf will keiner erwachen?

Er geht zur Seite, 1 Schuß.

DIE RÄUBER kommen alle.

[RÄUBER.] He, holla! holla! was giebst da?

KARL. Hat euch die Geschichte nicht aus dem Schlummer gerüttelt? Schaut her! Ein Sohn hat seinen

Vater tödten wollen. O seht doch, seht doch! es ist mein eigener Vater, ich will’s nur gestehen. {Doch

daßt es Euch nicht merken, daß ich sein Sohn Karl bin.}

ALLE. Dein Vater? Dein Vater?

KARL.

[108]

Rache! Rache! Rache dir! {grimmig} beleidigter Greis! So zerreiß ich von nun an auf ewig das brüder-

liche Band. Jetzt will ich bezahlen. Schweizer, räche meinen Vater!

SCHWEIZER. Großer Hauptmann! Heut’ hast du mich zum erstenmal stolz gemacht! Gebeut, wo, wie,

wann soll ich ihn schlagen?

KARL. Die Minuten sind gezählt, Du mußt eilends gehen. Lies Dir die Würdigsten aus der Bande und

führe sie gerade nach des Edelmanns

[109]

Schloß! Zerr ihn aus dem Bette, schlepp ihn vom Mahle weg. Aber ich sage Dir, ich schärfe es Dir

hart ein: liefere ihn mir nicht todt! Dessen Fleisch will ich in Stücke reißen und den hungrigen Geiern

zur Speise geben wenn Du ihn ganz und lebendig bringst, so sollst Du eine Million zur Belohnung

haben; ich will sie einem Könige mit Gefahr meines Lebens stehlen, und Du sollst frei ausgehen wie

die weite Luft. – Hast Du mich verstanden! So eile davon!

[110]

SCHWEIZER. Genug, Hauptmann! Du siehst entweder zwei zurückkommen oder gar keinen.

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Ab mit HERMANN und RÄUBER.

KARL. Ihr Uebrigen zerstreut euch im Wälde – Ich bleibe.

Der Vor-{Glocke}hang fällt.

[111]

4. AUFZUG.

In Moors Schloß

Zimmer

Personen: Requisitien

Franz Schloß brennt

Daniel viel Steine

Schweizer zuletzt Rattau

Kasper Musik

Räuber

FRANZ ganz verstört kom‹m›t.

[FRANZ.] Verrathen! Verrathen! Losgerüttelt das Todtenreich aus dem ewigen Schlaf brüllt wieder mich

Mörder! Ja! ja! fürchterlich zischelt’s um mich: Richtet

[112]

droben einer über den Sternen? Nein! sag’ ich. Warum schaudert mirs durch die Knochen? Sterben!

warum packt mich das Wort so? Rechenschaft geben dem Rächer droben über den Sternen! – und

wenn er gerecht ist, - wenn er gerecht ist? –

{links} DANIEL kommt ängstlich.

[DANIEL.] Gnädiger Herr, es jagt ein Trupp feuriger Reiter die Steig herab, schreien Mordjo, Mordjo,

das ganze Dorf ist in Alarm.

FRANZ. Geh, laß alle Glocken zusammen

[113]

läuten, Alles soll in die Kirche – auf die Kniee fallen Alles – beten für mich, – alle Gefangene sollen

los sein und ledig; ich will den Armen alles doppelt und dreifach wiedergeben; ich will – so geh doch,

so ruf’ doch den Beichtvater, daß er meine Sünden hinweg segne – Bist Du noch nicht fort?

Das Getümmel wird hörbarer.

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DANIEL. Gott verzeih mir meine schwere Sünde! Wie soll ich das reimen? Ihr habt ja immer das liebe

[114]

Gebet über alle Häuser hinaus geworfen, habt so manche – – –

FRANZ. Nichts mehr davon – Sterben! siehst Du? Sterben? Es wird zu spät.

Man hört SCHWEIZER toben.

[SCHWEIZER.] Bete doch! Bete!

DANIEL. Ich sagt’s Euch immer, – Ihr verachtet das liebe Gebet so – aber gebt Acht! gebt Acht! Wenn

die Noth an den Mann geht, wenn Euch das Wasser an die Seele geht – – –

SCHWEIZER draußen. Stürmt! Schlagt todt! Brecht ein! Ich sehe Licht, dort muß er sein!

[115]

FRANZ knient. Höre mich beten, Gott im Himmel! – Es ist das erste Mal – Erhöre mich, Gott im

Himmel! Ich bin kein Mörder gewesen, mein Herr Gott!

DANIEL. Gott sei uns gnädig! Auch seine Gebete werden zu Sünden.

Es fliegen Stei[ne] und Feuerbrände. Die Scheiben fallen. Das Schloß brennt.

FRANZ. Ich kann nicht beten steht auf. Nein ich will nicht beten! –

DANIEL. Jesus Maria! Helft – rettet – das

[116]

ganze Schloß steht in Flammen!

FRANZ. Nimm meinen Degen! Hurtig – jag mir ihn rückwärts in den Bauch, daß nicht diese Buben

kommen und treiben ihren Spott mit mir.

Das Feuer nimmt überhand.

DANIEL. Bewahre! bewahre! Ich mag niemand zu früh in den Himmel fördern. reißt aus {links}

Tumult.

FRANZ allein. In die Hölle, willst du {s}agen! – Wirklich! ich wittere so etwas – Sie dringen herauf –

belagern die

[117]

Thüre. Die Thür kracht – stürzt unentrinnbar!

SCHWEIZER, KASPER, GRIMM, {rechts} kommen schnell und nehmen FRANZ gefangen, schleppen ihn fort.

Rattau Musik.

Der Vor-{Glocke}hang fällt.

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[118]

VERWANDLUNG.

Wald wie im vorher gehenden Aufzug.

Personen: Requisitien:

alte Moor 2 mal

Karl Dolch Buntfeuer

Amalia

Schweizer

Grimm

Kasper

Franz in Ketten

Kosinsky

ALTE MOOR sitzt auf einen Stein. KARL.

RÄUBER hin und her im Wald.

[119]

KARL. Er war Euch lieb Euer anderer Sohn.

ALTE MOOR. Du weißt es, o Himmel! Warum läß ich mich durch die Ränke eines bösen Sohnes bethö-

ren? Als ein gepriesener Vater ging ich einher unter den Vätern der Menschen. Schön um mich her

blühten meine Kinder voll Hoffnung. Jedoch der böse Geist fuhr in das Herz meines zweiten, ich

traute der Schlange, – verloren meine Kinder Beide! Wärest Du mein Karl – aber er liegt fern

[120]

im engen Hause, schläft schon den eisernen Schlaf, höret nimmer die Stimme meines Jammers. Ich

habe kein Kind mehr, was mir die Augen zudrücken könnte. Fremdling! Warum zogst du mich aus

dem Thurm?

KARL für sich. Wenn ich jetzt seinen Segen weg sch haschte – hascht wie ein Dieb, und mich davon

schliche mit der göttlichen Beute. – stürzt vor ihn nieder Ich zerbrach die Riegel des Thurmes – Küsse

mich göttlicher Greis!

[121]

ALTE MOOR. Denk, es sei Vater’s Kuß; so will ich denken, ich küsse meinen Karl! – Du kannst auch

weinen!

KARL gerührt. Ich dacht’, es sei Vaters Kuß!

Gemurmel.

KARL springt auf. Horch! Die Rache ruft! Sie kommen!

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SCHWEIZER, FRANZ in Ketten und RÄUBER kommen.

KASPER, GRIMM, RAZMANN. KOSINSKY. SCHWEIZER.

[122]

SCHWEIZER. Triumpf, Hauptmann! Hier ist der Bube – Meine Ehre ist gelöst.

KARL zu FRANZ. Kennst Du mich?

FRANZ giebt keine Antwort.

KARL. Kennst Du diesen?

Auf den ALTEN zeigend.

Diesen Alten führt tiefer in den Wald.

ALTE MOOR wird von RÄUBERN abgeführt.

KARL. Ein Bevollmächtigter des Weltrichters

[123]

steh ich da. – Einen Rechtshandel will ich schlichten, den kein Richter schlichtet, – Sünder sitzen zu

Gerichte. –Ich der größte obenan.

Zu FRANZ.

Sei stolz! Du hast heute Missethäter zu Engeln gemacht! Seine Mutter war auch meine Mutter

Zu SCHWEIZER und KOSINSKY.

Richtet ihn!

SCHWEIZER. Steh ich nicht da wie ein Schulknabe und zermartere mein Gehirn mit Erfindung. – Fre-

[124]

velte er nicht an diesem Thurme? Richten wir nicht an diesem Thurme? Hinunter mit ihm! – in die-

sem Thurme verfaul’ er lebendig.

KARL ernst. Du hast mich zu ihrem Fürsten gemacht!

FRANZ knieet.

Wirst Du mich noch bitten?

ALLE RÄUBER. Hinunter! Hinunter!

KARL. Sohn meines Vaters! Du hast mir meinen Himmel gestohlen. Diese Sünde sei Dir genommen –

[125]

Fahr’ in die Hölle Rabensohn! Ich vergebe Dir, Bruder!

Er umarmt ihn.

Die RÄUBER nehmen FRANZ und schmeißen ihn in den Thurm.

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KARL. Es ist vollendet, Lenker der Dinge habe Dank! – – Wenn dieser Thurm wäre das Ziel gewesen,

zu dem Du mich führtest auf blutvollen Wegen? Wenn ich darum das Haupt der Sünder bin wor-

den? – – – Ewige Vorsicht! hier schaudere ich –

[126]

und bete an! – Wohl’ ich vertraue Dir und mach Feierabend am Ziele. – Laßt mir den Vater kommen.

Die RÄUBER bringen den ALTEN MOOR.

ALTE MOOR. Wohin wollt Ihr mit mir? Wo ist mein Sohn?

KARL. Deinen Sohn hat seinen Platz erhalten. Sei ruhig und setz Dich nieder.

ALTE MOOR setzt sich.

[127]

Kein Kind mehr? Kein Kind mehr?

KARL. Ihr seid zu bedauern alter Mann – Eure Wege sind seltsam und fürchterlich – aber Freudenthrä-

nen am Ziele!

ALTE MOOR. Wo werd’ ich sie weinen.

KARL stürzt ihn in die Arme.

[KARL]. Am Herzen deines Karls!

ALTE MOOR freudig. Mein Karl lebt?

KARL.

[128]

Dein Karl lebt! –

ALTE MOOR. Sind diese Männer Deine Freunde? Fast fürcht’ ich ihre Blicke.

KARL. Alles, mein Vater! – Dieses frage mich nicht.

KASPER AMALIE mit fliegenden Haar, RÄUBER kommen.

KASPAR. Juchhe Karl! ich habe aber ein hübsches Mädel aufgegabelt, guckt nur einmal her, das ist ein

wahrer Engel. Gleich zum anbeisen. Hehe. {ab}

[129]

AMALIE. Die Todten, schreit man, seien erstanden auf seine Stimme – Mein Oheim lebendig – aus

diesem Thurme – Karl wo find ich {sie}Dich?

KARL zurückbebend. Wer bringt dies Bild vor meine Augen? Tödtet sie! – Tödtet ihn! mich! Euch! Alles!

Die ganze Welt geh’ zu Grunde!

AMALIE. Bräutigam, Bräutigam! Du rasest! Ha! vor Entzückung. Wa-

[130]

rum bin ich auch so fühllos?

KARL. Noch liebt sie mich! Sie liebt mich mit all meinen Sünden. Die Kinder des Lichts weinen am

Halse begnadigter Teufel – Ich bin glücklich.

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Umarmt sie.

GRIMM. Halt ein, Verräther! gleich laß den Arm fahren – oder ich will Dir ein Wort sagen, daß dir die

Ohren gellen, und Deine Zähne vor Entsetzen klappern.

SCHWEIZER. An die böhmischen Wälder

[131]

sollst du denken. Treuloser! Wo sind deine Schwüre? Vergißt man die Wunden sobald – da wir Glück

– Ehr und Leben in die Schanze schlugen für dich? Da wir standen wie die Mauern – hobst Du nicht

die Hand auf, zum eisernen Schwur{,} schwurst, uns nie zu verlassen, wie wir Dich nicht verlassen

haben? Ehrloser! Treuvergessener! und Du willst abfallen, wenn ein Weib weint?

[132]

KARL läßt sie fahren.

[KARL.] Es ist aus –Ich wollte umkehren und zu meinem Vater gehen, {und Du Amalie solltest mein

Weib sein}, aber der Himmel sagt: Nein! Kommt! Kameraden!

Dreht sich nach der Bande.

AMALIE reißt ihn zurück.

[AMALIE.] Halt! Halt! einen Stoß! Einen Todesstoß! Neu verlassen. Zieh den Degen und erbarme Dich!

KARL. Willst Du allein glücklich sein? Fort, Ich tödte kein Weib!

AMALIE. Ha Würger! Du kannst nur

[133]

die Glücklichen tödten, den Lebenssatten gehst Du vorüber.

KARL. So nimm ihn hin den Stoß! er muß süß sein, der Tod von Bräutigams Händen!

Er ersticht sie.

Nicht wahr Amalia?

AMALIA. Süß! stirbt

Buntfeuer.

ALTE MOOR. Auch das noch muß ich muß ich sehen! Gott! Meine Kinder! {Karl Du hast Deine

Amalie getötet}

Er stirbt. [134]

KARL. Nun, ihr erbärmlichen Gesellen? Nicht wahr? So hoch schwindelten eure Schurkenforderung

nie? – Ich hab euch einen Engel geschlachtet. – Banditen! wir sind quitt.

ALLE RÄUBER. Ha! Muthloser! Wo sind Deine hochfliegenden Pläne? Sind’s Seifenblasen gewesen, die

beim Todesröcheln eines Weibes zerplatzen?

KARL mit Würde.

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[135]

Untersucht nicht, wo Moor handelt, das ist mein letzter Befehl, und vernehmt mein Testament eures

sterbenden Hauptmann’s. – Ihr seid treu an mir gefangen – treu ohne Beispiel – Hätt’ euch die

Tugend so fest verbrüdert, als die Sünde, ihr wäret Helden worden. Gehet hin und opfert eure Gaben

im Staate. Dienet einem Könige, der für die Rechte der Menschheit streitet – Mit diesem Segen seit

ent-

[136]

lassen. Schweizer und Kosinsky ihr bleibt.

Alle ab bis auf die Drei.

{KASPER. Ei, je, ja, na da kann’s nischt helfen. Na da lebwohl, Karl? Ich wünsche Dir viel Gutes, und

mir noch mehr. ab

KARL zu KOSINSKY. Du bist noch rein, junger Mann. zu SCHWEIZER Schweizer! Du bist rein! Vater

im Himmel, hier geb’ ich sie Dir wieder. Eine Grafschaft ist mir heute zugefallen – ein

[137]

Schatz. Theilt sie unter euch, Kinder: werdet gute Bürger. – Geht – kein Lebewohl – dort sehen wir

uns wieder oder auch nicht wieder – Fort! Schnell! Eh’ ich weich werde.}

SCHWEIZER u. KOSINSKY ab. {Glocke}

KARL allein. Ich erinne mich, einen armen Offizier gesprochen zu haben, als ich herüber kam, der im

Tagelohn arbeitet und 11 lebendige Kinder hat. – Man hat tausend Ducaten gebo-

[138]

ten, wer den großen Räuber lebendig liefert – dem Mann kann geholfen werden. So endet ein Haupt

der Räuber. {Schlaft wohl Ihr Lieben Euer Karl folgt bald nach, er endet durch die Hand des Hen-

kers [139]9 Schweizer Du weißt, eine Grafschaft ist mir heute zugefallen, ich geb‘ sie Dir denn Du

hast meinen Vater gerächt;, thue den Armen Gutes, doch nun leb wohl, dort sehen wir uns wieder,

oder auch nicht. Fort schnell, ehe ich weich werde.}

Knieet nieder. / Buntfeuer. / Adajio.

Der Vorhang fällt!10

Rich. Reissiy [Reissig?]

Heimichen [U4]

Ms.O. 458 / Staatliche Puppentheatersammlung [Stempel:], 0766

9 Zusatz mit Bleistift von fremder Hand geht erstreckt sich auf S. [139]; Zeichnung und Schreibervermerk in Tinten befinden sich noch auf S. [138]. 10 Hinzufügung einer bunten Zeichnung; dargestellt wird ein Kasperls mit Glocke.