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9 Die Vorbereitungen Bereits in den Exil-Briefen des in Reutlingen geborenen Nationalökonomen Friedrich List von 1828 tauchte in der von ihm vorgeschlagenen bayerischen Hauptlinie von Bamberg nach Süden der Zielbahnhof Lindau auf. Doch Bayerns König Ludwig I. war ein Anhänger von Schiffskanälen. Nachdem 1835 zwischen Nürnberg und Fürth die erste Eisenbahn in einem deutschen Staat ihren Betrieb aufgenommen hatte und diese ihren privaten Betrei- bern Gewinne einbrachte, regten sich auch andernorts Kapitalbesitzer, um mit dem neuartigen Transportmit- tel Geld zu verdienen 1 . Noch 1835 wurden in Lindau im Wesentlichen aus der wohlhabenden Bürgerschicht heraus eine Dampf- schifffahrts-Aktiengesellschaft und danach ein Komitee zur Gründung einer Aktiengesellschaft zum Bau einer Eisenbahnstrecke von Lindau nach Augsburg gegrün- det und im Folgejahr auch staatlich genehmigt 2 . Die beteiligten Personen waren in beiden Gesellschaften zu einem großen Teil dieselben. Neben stadtbekannten Fern-, Getreidehändlern und Bankiers sowie Mitglie- dern des Magistrats gehörten zu den Finanziers der Dampfboot-AG auch der aus Ravensburg stammende Maurermeister Johann Jacob Götzger sen., der „Retter des Diebsturmes“ im Jahre 1817, dessen Sohn Johann Jacob jun., städtischer Werkmeister und führender liberaler Kopf des rebellierenden Lindauer Kleinbürger- tums in der Revolution von 1848/49, sowie der da- mals einzige jüdische Lindauer Geschäftsmann Jacob Alexandersohn. Während die 75000 Gulden Startkapital für die Dampfboot-Aktiengesellschaft recht zügig zusammen- kamen 3 , wurden bei der Lindauer Eisenbahn-Aktienge- sellschaft von den 6 Millionen gezeichneter Gulden gerade mal 1 % tatsächlich auch eingezahlt. Nach der Vermessung des Geländes auf Staatskosten waren den Privatinvestoren die finanziellen Risiken dieses „Ge- schäftes“ klarer geworden. 1839 wurde in München bekannt, dass der Württem- bergische König den dortigen Eisenbahnbau staatlich finanzieren ließ und die Hauptstrecke von Heilbronn über Stuttgart und Ulm nach Friedrichshafen an den Bodensee führen sollte. Ein Jahr später entschloss sich Bayerns Ludwig I., nun auch in seinem Königreich den Bahnbau von Hof über Nürnberg und Augsburg nach Lindau staatlich finanzieren und durchführen zu lassen. 1841 wurde in Nürnberg die erste königliche Eisenbahnbau-Commission eingerichtet. Für 54 Millio- nen Gulden sollte die „Ludwigs-Süd-Nordbahn“ von Hof nach Lindau errichtet werden. 1844 begannen die Arbeiten für den Streckenabschnitt Augsburg–Lindau. 1847 konnten die ersten 60 Kilometer bis Kaufbeuren eingeweiht werden. Doch nun bewirkte eine Wirt- schaftskrise Finanzierungsschwierigkeiten, welche süd- lich von Augsburg zur Einstellung der Bahnbauarbei- ten führten. Erst im April 1851 beschloss die 1. Kam- mer des Landtages die weitere Finanzierung. 1852 kam die Verlängerung bis Kempten, 1853 jene bis Immen- stadt und am 1. September 1853 die Eröffnung der Strecke bis Oberstaufen. Der Eisenbahnbau Im Sommer 1851 begonnen, standen die Arbeiten durch das Gebiet des heutigen Landkreises Lindau unter dem technischen Vorstand von Friedrich August Pauli vor etlichen Problemen. Zu den Besonderheiten der Strecke zwischen Oberstaufen und Lindau gehörte die kurvenreiche Überwindung eines Höhenunter- schiedes von 390 Metern auf einer Länge von rund 51 KARL SCHWEIZER 150 Jahre Eisenbahn im Landkreis Lindau

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Die Vorbereitungen

Bereits in den Exil-Briefen des in Reutlingen geborenenNationalökonomen Friedrich List von 1828 tauchte inder von ihm vorgeschlagenen bayerischen Hauptlinievon Bamberg nach Süden der Zielbahnhof Lindau auf.Doch Bayerns König Ludwig I. war ein Anhänger vonSchiffskanälen.

Nachdem 1835 zwischen Nürnberg und Fürth dieerste Eisenbahn in einem deutschen Staat ihren Betriebaufgenommen hatte und diese ihren privaten Betrei-bern Gewinne einbrachte, regten sich auch andernortsKapitalbesitzer, um mit dem neuartigen Transportmit-tel Geld zu verdienen1.

Noch 1835 wurden in Lindau im Wesentlichen ausder wohlhabenden Bürgerschicht heraus eine Dampf-schifffahrts-Aktiengesellschaft und danach ein Komiteezur Gründung einer Aktiengesellschaft zum Bau einerEisenbahnstrecke von Lindau nach Augsburg gegrün-det und im Folgejahr auch staatlich genehmigt2. Diebeteiligten Personen waren in beiden Gesellschaften zueinem großen Teil dieselben. Neben stadtbekanntenFern-, Getreidehändlern und Bankiers sowie Mitglie-dern des Magistrats gehörten zu den Finanziers derDampfboot-AG auch der aus Ravensburg stammendeMaurermeister Johann Jacob Götzger sen., der „Retterdes Diebsturmes“ im Jahre 1817, dessen Sohn JohannJacob jun., städtischer Werkmeister und führender liberaler Kopf des rebellierenden Lindauer Kleinbürger-tums in der Revolution von 1848/49, sowie der da-mals einzige jüdische Lindauer Geschäftsmann JacobAlexandersohn.

Während die 75 000 Gulden Startkapital für dieDampfboot-Aktiengesellschaft recht zügig zusammen-kamen3, wurden bei der Lindauer Eisenbahn-Aktienge-sellschaft von den 6 Millionen gezeichneter Gulden

gerade mal 1 % tatsächlich auch eingezahlt. Nach derVermessung des Geländes auf Staatskosten waren denPrivatinvestoren die finanziellen Risiken dieses „Ge-schäftes“ klarer geworden.

1839 wurde in München bekannt, dass der Württem-bergische König den dortigen Eisenbahnbau staatlichfinanzieren ließ und die Hauptstrecke von Heilbronnüber Stuttgart und Ulm nach Friedrichshafen an denBodensee führen sollte. Ein Jahr später entschloss sich Bayerns Ludwig I., nun auch in seinem Königreichden Bahnbau von Hof über Nürnberg und Augsburgnach Lindau staatlich finanzieren und durchführen zulassen. 1841 wurde in Nürnberg die erste königlicheEisenbahnbau-Commission eingerichtet. Für 54 Millio-nen Gulden sollte die „Ludwigs-Süd-Nordbahn“ vonHof nach Lindau errichtet werden. 1844 begannen dieArbeiten für den Streckenabschnitt Augsburg–Lindau.1847 konnten die ersten 60 Kilometer bis Kaufbeureneingeweiht werden. Doch nun bewirkte eine Wirt-schaftskrise Finanzierungsschwierigkeiten, welche süd-lich von Augsburg zur Einstellung der Bahnbauarbei-ten führten. Erst im April 1851 beschloss die 1. Kam-mer des Landtages die weitere Finanzierung. 1852 kamdie Verlängerung bis Kempten, 1853 jene bis Immen-stadt und am 1. September 1853 die Eröffnung derStrecke bis Oberstaufen.

Der Eisenbahnbau

Im Sommer 1851 begonnen, standen die Arbeitendurch das Gebiet des heutigen Landkreises Lindauunter dem technischen Vorstand von Friedrich AugustPauli vor etlichen Problemen. Zu den Besonderheitender Strecke zwischen Oberstaufen und Lindau gehörtedie kurvenreiche Überwindung eines Höhenunter-schiedes von 390 Metern auf einer Länge von rund 51

KARL SCHWEIZER

150 Jahre Eisenbahn im Landkreis Lindau

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Kilometern. Deshalb entschied die Bau-Commissionbei Beibehaltung der britischen Spurweite von 1435Millimetern die Anwendung des „americanischen Loco-motivsystems“ mit einer möglichen Steigung von mehrals 1:100 und Kurven von weniger als 1000 Fuß Radius.Bei Jungensberg wurde die Obere Argen mit einernoch heute erhaltenen dreibogigen und 52 Meter langen Steinbrücke überquert. In Richtung Bahnhof Harbatshofen sollte der Zwerenberg zuerst untertun-nelt werden, was dann aber durch den tiefen und stei-len Harbatshofener Geländeeinschnitt gelöst wurde.Weiter Richtung Westen musste der Ellhofener Tobelmit einer 33 Meter hohen und 233 Meter weiten Brük-ke überspannt werden, zunächst aus Finanzgründenmit einer Holzbrücke aus Lärchenholz. Auf dem Wegzum Bahnhof Röthenbach wurde der damals längste

Eisenbahndamm, der 901 Meter lange und 53 Meterhohe Rentershofener Damm über den Eisenberg beiOberhäuser aufgeschüttet. Das Gerücht, im Innerender rund 2,2 Millionen Kubikmeter Dammschüttmate-rial befände sich auch eine abgestürzte Materialloko-motive, lässt sich wohl nie mehr eindeutig belegenoder widerlegen4. Bei Maria-Thann wurde die Laiblachmit dem 160 Meter langen und 28 Meter hohen Muthe-ner Viadukt überquert, auch „Hämmerlebrücke“ ge-nannt. Ursprünglich auch aus Lärchenholz errichtet,wurde sie 1881 durch eine eingleisige Stahlbrückeersetzt, der im Jahre 1900 wegen des zweigleisigen Aus-baus eine zweite hinzugestellt wurde, deren gemeinsa-me heutige Form beide durch die Ausbaumaßnahmenvon 1926 erhielten5. Zwischen Hergatz und Hergens-weiler mussten die morastigen und bis 5,20 Metermächtigen torfigen Bereiche des Degermooses, des Sto-ckenweiler Weihers und des Lerchenweihers überwun-den werden. Viel Ausweichraum bot das dort nur dreiKilometer breite bayerische Staatsgebiet nicht. Schluss-endlich wurde die Bodenseefläche zwischen dem Dorfe Aeschach und der Stadt Lindau mit Hilfe eineszunächst eingleisig bebauten, 550 Meter langen undauch bei Hochwasser sicheren Dammes überwunden.

Materialmengen in für damalige Verhältnisse unbe-kannt großen Dimensionen wurden bewegt. Dies inder Regel in Handarbeit und mit einfachem Werkzeug.Die aus der Ziegelei bei Harbatshofen stammendenZiegel für die Hochbauten waren nicht wetterfestgenug und über den Winter teilweise wieder zerfallen.Deshalb musste die staatliche Ziegelei in Biesenbergmit Sonderschichten die entstandene Lücke schließen.Gar mancher Bürger erschrak über die nun erstmaligim Allgäu auftretende Masse lohnabhängiger Arbeiter.Waren beispielsweise für die Arbeiten am Rentershofe-ner Damm ursprünglich bereits 568 Erdarbeiter mit144 Fuhrwerken geplant gewesen, so arbeiteten dannim Raum Röthenbach tatsächlich zeitweise bis zu 1200Arbeiter am Bau der Eisenbahnlinie6. In jenen Jahren,kurz nach der gescheiterten Bürgerrevolution von1848/49, versetzte dies die Obrigkeiten in permanente

Karl Schweizer

Die von Karl Herrle gemalte Öffnung des Einschnittesin den Zwerenberg bei Harbatshofen in schwerer Hand-arbeit sowie mit Hilfe der von der Nürnberger FirmaSpaeth ursprünglich für den Bau des Ludwigs-Kanalsgefertigten Lorenbahn um 1852. (Original im Verkehrsmuseum Nürnberg)

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Beunruhigung: „Ein Teil der Bevölkerung betrachtete dieAnsammlung so vieler Arbeiter, die aus den unterstenSchichten der Gesellschaft stammten, mit unverhohle-nem Misstrauen. Man befürchtete Angriffe auf das Eigen-tum, die Untergrabung der Sittlichkeit, nicht näher erläu-terte Excesse . . .“ 7 Die vom königlichen Landgericht Lindau eigens erlassenen Bestimmungen enthieltenbeispielsweise folgende Vorschriften: „Bei Eintritt derPolizei-Stunde hat jeder Arbeiter sich in seiner Wohnungzu befinden; das Schreien und Lärmen auf öffentlicherStraße ist zu jeder Zeit verboten, und ziehen Übertre-tungen der vorerwähnten Bestimmungen entsprechendeArreststrafe und nach Umständen auch sofortige Arretie-rung nach sich.

Die Zeche in den Wirtshäusern an Sonn- und Feier-tagen vor und während des vormittägigen Gottesdienstesist allgemein verboten und wird daher den Eisenbahn-arbeitern der Besuch der Wirtshäuser während der vor-erwähnten Zeit gänzlich verboten . . .“ 8

Andererseits trieben Händler, Gastwirte und Bauerndie Preise für Getränke, Lebensmittel und Wohnungs-mieten regelmäßig dann in empfindliche Höhen, wennin ihrer Gegend an der Errichtung der Eisenbahnliniegearbeitet wurde. Auch wurde die Pflicht zur pünkt-lichen Auszahlung der Arbeiterlöhne durch Bauunter-nehmen („Akkordanten“) der verschiedenen Bauab-schnitte („Loose“) öfters nicht oder nicht rechtzeitig eingehalten. Dies beantworteten die Arbeiter auch imAllgäu immer wieder mit Kündigung, Wegzug oderauch durch spontane Streiks, so auch im Frühjahr 1852in Knechtenhofen bei Oberstaufen. Der erhalten geblie-bene Bericht der Eisenbahnbau-Commission hierüberliest sich wie folgt:

„War anfänglich von den Unternehmern festgesetztworden, dass alle 14 Tage ausgemessen und bezahlt wer-de, so wurde dies nur selten eingehalten, und gar häufigdie Löhne erst in der 3., noch öfter 4. oder 5. Woche, dannoft nur teilweise bezahlt . . .

Wiederholt traten Fälle ein, wo sämtliche Rollbahn-arbeiter ihre Arbeit einstellten und Bezahlung forderten,gleiches von Seiten der Steinhauer, Maurer und Schmie-

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de, und immer war es eine nicht geringe Aufgabe des Sektions-Vorstandes, die oft aufs heftigste aufgeregtenArbeiter (im 3. Loose 200–300 Mann) wieder zur Ar-beitsaufnahme zu bringen und das gänzliche Verlassender Arbeit zu verhindern. Nicht minder dem Abtrotzenvon noch höheren Löhnen zu begegnen.

Nun ist seit mehr als 14 Tagen keine Auszahlung andie Arbeiter erfolgt . . . Gestern Früh stellten, durch einigeUnruhestifter aufgeregt, sämtliche Erdarbeiter des 3. Loo-ses die Arbeit ein und verließen den Bauplatz, weil dieZahlung für die letzten zwei Wochen nicht erfolgte.

Alle Bemühungen der Akkordanten und des Baufüh-rers, dies zu verhindern, waren vergebens . . . Um diegänzliche Auflösung der benötigten Arbeiterzahl und diedrohenden Exzesse zu verhindern, wurden den Unterneh-mern 4 500 Gulden angewiesen und diese aufgefordert,die nötigsten Zahlungen zu leisten und ihnen zugesagt,dass der Amtsvorstand sich auf den Bauplatz begebe umdie Ruhe wieder herzustellen.

Der ebenfalls in Handarbeit erstellte RentershofenerDammbau bei Röthenbach-Oberhäuser im Jahre 1852,gemalt von Karl Herrle.(Original im Verkehrsmuseum Nürnberg)

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Es wurden die renitenten Arbeiter zusammengerufenund nachdem selbe zur Wiederaufnahme ihrer Arbeit ge-bracht worden waren die Rädelsführer ausgehoben unddem kgl. Landgericht zur Bestrafung oder Weglieferungübergeben. Dann erfolgte die Auszahlung . . .“ .9

Diese Streiks und Proteste waren spontan und bisauf die „Rädelsführer“ in der Regel unorganisiert. DerHauptgrund war, dass König Max II. von Bayern nachNiederschlagung der Revolution 1849 jegliche politi-schen Vereine und gewerkschaftlichen Arbeiterorgani-sationen hatte verbieten lassen. Dieses Verbot wurdevon den königlichen Behörden nachhaltig überwacht.

Lindauer Bodensee-Eisenbahndamm undBahnhof

Bereits bei Immenstadt/Bühl am Alpsee hatte ein 730Meter langer Damm am Seerand und durch dasSumpfgelände gebaut werden müssen. Vor dem späte-ren Leiter der Lindauer Eisenbahnbau-Commission,Sektionsingenieur Ludwig Fries, stand seit Sommer1851 die anspruchsvolle Aufgabe, ausgehend vomAeschacher Ufer die Durchquerung des Bodenseesdurch Errichtung eines Hochwasser sicheren Dammesfür zunächst ein Gleis zum gewünschten Zielbahnhofauf der noch großteils unbebauten „Hinteren Insel“Lind-aus zu erreichen. Zwar gab es einzelne beteiligteIngenieure und eine Minderheit auf der Insel Lindauselbst, welche den Bahnhof lieber auf AeschacherGemarkung in der Nähe des heutigen Carl-Bever-Park-platzes gesehen hätten, doch die Regierung in Augs-burg, Eisenbahnbau-Vorstand Oberingenieur Pauli undvor allem das Lindauer Bürgertum sowie dessen Gre-mien ließen über Jahre hinweg keinen Zweifel daranaufkommen, dass der Bahnhof auf der Insel gebautwerden müsse. So schrieben beispielsweise die Ge-meindebevollmächtigten der Stadt Lindau am 8. Januar1847 an den Magistrat: „Unter der Gesamtbürgerschafttritt der Wunsch, dass der zu erbauende Eisenbahnhof indie Stadt (Insel) verlegt werden müsste, immer lebhafterhervor, und diesseitiges Collegium hat in seiner letztenSitzung den einstimmigen Beschluss gefasst, bei dem löb-lichen Stadtmagistrat den Antrag zu einer gemeinschaft-lichen Sitzung zu stellen, um über diesen wichtigen Ge-genstand Beratung zu pflegen, ob und welche Schrittevon Seiten der Commune in dieser Beziehung bei derallerhöchsten Stelle gemacht werden wollen.“

Das königliche Hafenkommissariat Lindau hielt denGedanken einer Errichtung des Bahnhofes in Aeschachausdrücklich „für einen vollständigen Irrsinn“.10

Der Damm wurde sicherheitshalber im Flachwasser-bereich der „Lindauer Halde“ errichtet, bevor dieseetwas westlich davon in zwei Terrassen um 10 Meterabstürzt. Der Seegrund befand sich seit dem bayeri-

Karl Schweizer

Bauarbeiter, welche 1900/1901 die Anpassung der„Hämmerlebrücke“ des Muthener Viaduktes über dieLaiblach für den zweigleisigen Ausbau der Allgäubahnvollbrachten. (Quelle: Sammlung Staudter, Lindenberg)

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schen Gemeindeedikt von 1818 bereits im Besitz desStaates. Der Bauleitung unterliefen allerdings etlichefolgenschwere Fehler. Baubeginn war 1851 währenddes sommerlichen hohen Wasserstandes. Ohne Befesti-gung des Untergrundes und der Dammränder wurdezunächst viel lösliches Erdmaterial beispielsweise ausdem Schinderloch-Einschnitt zwischen Oberreitnauund Schönau in den See gekippt, wodurch dieses vonder Westströmung abgetragen und im späteren Seearmdes „Kleinen Sees“ verteilt wurde. Erst danach transpor-tierten bis zu 18 große Segelschiffe, Lädinen, Steine derBregenzer Ach, des Rheines und der Argen sowieSchweizer Bruchsteine und Bregenzer Nagelfluh fürden Dammunterbau heran.

Doch auch diese verteilten sich bis 1853 immer wie-der auf dem Seegrund. Eine genauere Untersuchungvon dessen Beschaffenheit brachte zutage, dass dieserzwar im unteren Bereich aus hartem Material besteht,worüber aber eine weichere Schicht lagert, welche aufGrund der Gewichtesbelastungen immer wieder nach-gab und so zu Dammabsenkungen führte. Deshalb

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musste die ursprünglich auf den Namenstag desKönigs, den 12. Oktober 1853, vorgesehene Einweihungder vollendeten Süd-Nordbahn verschoben werden.Doch auch das nun ins Auge gefasste Frühjahr vergingohne eine offizielle Einweihung, welche feierlich erstam 13. Juli 1854 unter Anwesenheit des Königs statt-fand. Für rund 58 Millionen Gulden statt der geplanten54 Millionen war in zehn Jahren eine von Hof bis Lindau ganz Bayern durchquerende Eisenbahnlinie er-schaffen worden. Bereits seit dem 12. Oktober 1853 warallerdings provisorisch ein Bahnbetrieb von der Ge-meinde Aeschach aus gestartet und dieser dann ab dem1. März 1854 planmäßig vom Bahnhof Lindau aus auf-genommen worden.

Um in der Zeit des stockenden bayerischen Bahn-baus ab 1847 den Bahnhofsstandort Lindau-Insel nichtzu gefährden, hatten Magistrat und Gemeindekolle-gium der Stadt am 18. März 1851 beschlossen, freiwilligin voraus eilendem Gehorsam „dem Staate alle die in dem Stadtplane bezeichneten Gemeinde-Realitäten undGebäudlichkeiten, wie solche zur Anlegung des Bahnho-

Der Lindauer Eisenbahndamm gemalt von Karl Herrlezur Zeit seiner Fertigstellung um 1853/1854. Auf demAquarell erkennbar sind auch die anfänglich drei

Wasserdurchlässe und das 1870 wieder abgerisseneEisenbahntor an der Stelle der 1902 errichtetenThierschbrücke. (Original im Verkehrsmuseum Nürnberg)

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fes und der Bahnstrecke in der Stadt erforderlich werden,hiermit eigentümlich zu überlassen, und zwar gratis.“

Zusätzlich wurden 18 private Grund- und Hausbesit-zer auf der „Hinteren Insel“ enteignet, um ausreichendPlatz für die umfangreichen Anlagen des Bahnhofs, derPost, des Zolls und der Bahnmeisterei zu erhalten. Dieerhaltenen Entschädigungen blieben aber derart ge-ring, dass es unmöglich war, davon neue Häuser zukaufen oder bauen zu lassen. Der Magistrat beschlossdeshalb den Ankauf anderer Grundstücke, um diesewiederum günstig an die Enteigneten weiter verkaufenzu können. Die ehemalige Zunft der Schiffer- undFischer erhielt aus der Stadtkasse 3 000 Gulden für ihrabgebrochenes Zunfthaus, um damit die nun ökono-misch in eine prekäre Lage gedrängten Mitgliederunterstützen zu können11.

Der Posthalter und Wirt „Zur Krone“, WilhelmSpaeth, erhielt die Baugenehmigung, am Bahnhofsplatzauf zu erwerbendem städtischen Grund ein repräsenta-tives Hotel erstellen zu lassen, den „Bayerischen Hof“.

Recht bald erkannten die Stadtoberen Lindaus auchzwei fundamentale Auswirkungen des neuen Bahn-dammes auf die Stadt. Bereits 1867 schrieben die Ge-meindebevollmächtigten an den Magistrat, dass auchsie anerkennen, „welch große Bequemlichkeit sowohl fürHiesige, als für Fremde, die ungehinderte Passage überden Bahndamm darbietet“. 1866 war mit Bauarbeitenfür die Verlegung eines zweites Gleises auf dem Dammbegonnen worden. Zur weiteren Benützung für Fuß-gänger wurde nun auf dessen Westseite ein mit einemEisengeländer geschützter Fußweg eröffnet. Noch heu-te sind die dortigen Abschlussplatten auf der Damm-oberseite jene aus dem Jahre 1854.

Andererseits beschwerte sich der Magistrat bereits1858 über die beginnenden Ablagerungen im neuen„Seearm“, dem heutigen „Kleinen See“. Doch das König-liche Oberpost- und Bahnamt in Augsburg verschlosssich den Beschwerden gegenüber, ließ sogar die Schlie-ßung des ursprünglich dritten Wasserdurchlasses zu,und noch 1914, als zur Verlegung eines dritten Gleiseserstmals der gesamte Damm verbreitert wurde, weiger-

te sich die Behörde, der Forderung der Stadt Lindaunach Öffnung des Dammes zum Zwecke einer besse-ren Durchflutung des „Kleinen Sees“ mit Hilfe einer 50 Meter breiten Brücke zu entsprechen.

Die Eisenbahn ändert das Leben

Bahn und Post ergänzten sich ab nun für lange Jahrebeinahe ideal. Deshalb wurde im neuen Bahnhof Har-batshofen auch bereits 1853 ein Postamt eröffnet, imBahnhof Röthenbach 1857. Jenes in Lindau wurdezusammen mit dem Telegrafenamt 1853 aus der „Kro-ne“ in die neuen Bahnhofsgebäude verlegt. Vom Bahn-hof Röthenbach aus wurde 1869 eine Telegrafenleitungnach Weiler verlegt. In Folge der nun rasch wachsen-den Strohhutfabrikation im Westallgäu wuchs das überden Bahnhof Röthenbach versandte Frachtaufkommenkontinuierlich an. Zuliefernde Poststationen kamen inLindenberg 1861 und Scheidegg 1862 hinzu12. Als Bona-ventura König 1897 die Brauerei Simmerberg umbauen

Karl Schweizer

Der Bahnhof Harbatshofen mit Holzverladestelle undGüterhalle. (Quelle: Sammlung Staudter, Lindenberg)

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und auf Dampfbetrieb umstellen ließ, ermöglichte ihmder naheliegende Bahnhof Röthenbach hierzu die Be-auftragung der Münchener Baufirma Kunz. Kein Zufallwar es, dass in Lindau mit dem erhofften Eisenbahn-eröffnungsjahr 1853 auch erstmals eine Tageszeitung herausgegeben wurde.

Das geschäftige Treiben entlang der neuen Verkehrs-ader lässt sich mit Hilfe von Auszügen aus dem vonJoseph Lang verfassten und 1861 erschienenem „Hand-buch für Reisende“ erahnen:

„Harbatshofen, dem Landgerichte Weiler zugeteilt. Ge-wöhnlicher Kreuzungspunkt der Züge mit Wassernahme.Mittlere Personenfrequenz, während sich der Güterver-kehr lediglich auf Käse, Holz und Bretter beschränkt . . .

Röthenbach, Gerichts Weiler, mit 260 Einwohnern undeiner berühmten Lederfabrik, die vortreffliches Saffian-Leder liefert. Ein Teil der in dieser Gegend lebenden in-dustriösen Bevölkerung, wohlhabendem Mittelstande an-gehörend, fertigt Strohgeflechtwaren, besonders Hüte, einanderer spinnt, webt oder stickt Leinen- und Baumwoll-waren; außerdem trifft man hier gute Viehzucht, wäh-rend der Getreidebau unbedeutend ist.

Post- und Bahnexpedition mit durchschnittlich sehrgutem Verkehr, denn auch von hier aus gehen massen-hafte Sendungen von Vieh, Butter, Käse und Bretternnach den schon erwähnten Richtungen. Die Fahrzeit vonund nach Augsburg ist 4 Stunden 37 Minuten und 6Stunden 44 Minuten. Die Verbindung mit Weiler wirddurch einen Postomnibus unterhalten . . .

Hergatz, im Gericht Lindau, Post- und Bahnexpeditionmit Wassernahme und großen Torfmagazinen zur Lage-rung des für die kgl. Bahnverwaltung gewonnenen Tor-fes. Der Personenverkehr leidlich gut, der Gütertransportmittelmäßig; von dem nahen Eisenwerke Neuravensburgwird viel Eisen versandt . . .

Schlachters. Post- und Bahnexpedition mit guter Per-sonenfrequenz, während sich der Güterverkehr bloß aufetwas Obst, Wein und Abstoß von Schlachtvieh nachÖsterreich beschränkt . . .

Oberreitnau, Pfarrdorf und Haltestelle mitten im Dor-fe und rings von Obstbäumen umgeben, mit geringem

150 Jahre Eisenbahn im Landkreis Lindau

Verkehr . . . Einschnitt beim sogenannten Schinderloch,Führung der Bahn im Halbkreis im Tale des Taubenber-ges. Links das, auch wie im Obstbaumwalde gelegeneDorf Schönau; Links ein vorspringender Rebenhügel, andessen Fuße das baumreiche Dorf Bodolz; dann der Hoyerberg, rechts Enzisweiler. Führung der Bahn durchden Bodensee auf einem circa 550 m langen Bahndammeund endlich Einfahrt in das Bahnareal Lindau.

Dieser äußerst freundlich gelegene Bahnhof, mit seinerebenso geschmackvollen Einstieghalle, deren geräumigeCorridors mit roten und weißen Ziegelsteinen belegt sind,während um die massiven eisernen Tragsäulen üppigeWildreben sich schlingen, liegt von Augsburg 5 Stunden40 Minuten und nach Augsburg 8 Stunden 20 MinutenFahrzeit entfernt. Sehenswert ist ferner der großartigeMaximilianshafen, . . . welcher durch die Eisenbahn- undDampfschifffahrtsverbindungen ungemein an Lebhaftig-keit gewonnen hat; . . . Der Güterverkehr ist teils durchden Gewerbs- und Handelsfleiß der Lindauer, welchergroßenteils ihre Wohlhabenheit begründete, teils in Folge des durch die Lage der Stadt bedingten starken Speditions-Geschäftes, ein äußerst lebhafter und ist

Der Bahnhof Schlachters mit Güterlagerhalle auf einerPostkarte von 1898 (Ausschnitt). Repro: Sammlung Schweizer

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namentlich der sehr bedeutende Transit zwischen Italien,der Schweiz, Sachsen und Preußen hervorzuheben. Das gleich lohnende Verhältnis bietet die Personen-frequenz . . .“13

Fuhren zunächst täglich nur drei gemischte Zügevon Lindau nach Augsburg und drei in ungekehrterRichtung, zuzüglich dem täglichen Postzug ab Mai1854, so wurde deren Zahl dem wachsenden Bedarfentsprechend bis 1872 auf sechs Personenzugpaare und ab 1882 auf sieben Zugpaare erhöht. 1869 fuhren38 000 Personen mit der Bahn von Lindau ab, 1867waren es 50 000 und bis zum Jahre 1900 konnte derenZahl auf rund 130 000 gesteigert werden. Die Faszina-tion Eisenbahn erfasste immer mehr Menschen undbot bisher nicht gekannte Möglichkeiten der Massen-mobilität.

Michael Felder, Bauer und Schriftsteller aus Schop-pernau im Bregenzer Wald, schilderte dies für das Jahr1857 mit folgenden Worten: „Wieder warf die scheiden-de Sonne ihre letzten Strahlen auf den stillen See, als ich über die lange Brücke der freundlichen Inselstadt zu-schritt. Ich hörte das Pfeifen und Schnauben des Dampf-rosses und eilte sogleich auf den Bahnhof, während ichwieder einmal recht lebhaft an meinen guten Seppel (Fel-ders Vetter, K.S.) denken musste. Der hatte uns oft vonder Eisenbahn erzählt, aber wir konnten ihm nie rechtglauben. Es war zu traumhaft, zu wunderbar. Und nunsah ich die eisernen Stränge vor mir, die Leipzig undParis und ganz Europa mit dieser Inselstadt verbanden.Mir wurde weit und frei neben den glänzenden Schienen. Es war also doch nicht bloß Geschwätz, was man vondem Siege des Menschengeistes über Raum und Zeit sagte . . .“14

Zahlreiche örtliche Firmen profitierten von der neu-en Transportmöglichkeit im regionalen und überregio-nalen Rohstoff- und Absatzmarkt, darunter auf der„Hinteren Insel“ ab 1865 die Lindauer Gasfabrik undseit 1879 die Inselbrauerei, in Reutin die 1874 eröffneteMilchfabrik in Rickenbach sowie die 1878 von Reicharterworbene „Köchlinfabrik“.

Die Finanzen der Stadt Lindau selbst wurden für et-

liche Jahre durch eine außerordentliche Blüte ihrer Ein-nahmen aus der idealen Ergänzung zwischen Eisen-bahnanbindung und der seit Herbst 1822 wieder imstädtischen Besitz befindlichen Getreideschranne ver-bessert. Da der Höhenunterschied zwischen dem Bahn-hof und dem Oberen Schrannenplatz rund 2,50 Meterbetrug, entfiel zwar ein zunächst geplanter direkterGleisanschluss. Doch wurde am östlichen Gleis nörd-lich der Bahnhofshallen eine Verladerampe errichtet,die später zu einer Verladehalle ausgebaut wurde. Vonderen östlicher Seite wiederum kam das Getreidedurch die Kornkarrer zunächst noch per Pferdefuhr-werk mit bis zu sechs Zentner Ladung zur Schranne,gelegentlich aber inzwischen auch direkt zu den war-tenden Schiffen. Symbolträchtig war die längst brüchi-ge alte Stadtmauer unterhalb des Diebsturmes, die1853 durchbrochen worden ist. 1863 wurde die neueRollbahn auf Schmalspurschienen der Bahn über dieheutige Zeppelinstraße und den Inselgraben für denTransport der stetig wachsenden Getreidemengen alsTransithandel zu den am Mangturm wartenden Last-schiffen in Betrieb genommen. Die Bahn lieferte bis zurLindauer Rampe, die städtische Schranne übernahmdie Lagerung und Verladung auf die Schiffe. Ein jahre-lang lohnendes Geschäft für beide Seiten sowie die pri-vaten Getreidehändler Lindaus.

Karl Martin, Chronist der Lindauer Schranne, schil-derte diese Arbeitssituation zwischen der Verladeram-pe („Podium“) im Bereich des heutigen Filmpalastes,der alten Schranne, den neuen Getreideschuppen unddem Hafen folgendermaßen:

„Inzwischen war aber der Getreideboom schon losge-brochen . . . 1861 meldete der Schrannenmeister einen täg-lichen Wageneinlauf von 120 Güterwagen. Dafür standendann am Podium 80 m Ausladelänge (gleich sechs Wa-genlängen), auf der anderen Seite 16–18 Rollwagen(Ladefähigkeit 50 Ztr. pro Wagen), allerdings erst ab1863, und ein nur im Schrannenbereich zweigleisigesSchienennetz zu Schranne und Hafen zur Verfügung . . .

Jetzt wurde jenseits der heutigen Zeppelinstraße all-mählich ein ganzes Lagerviertel aufgebaut, das fast bis

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zum früheren Loserturm reichte. 19 Getreideschuppenwurden gezählt. Das ermöglichte der Schranne immerhinnoch eine ihrer wesentlichen Aufgaben, die Lagerung, zuerfüllen. Wir hören sogar noch 1870 von einer allerdingsauf acht Tage begrenzten Lagerfreizeit . . .

Als am 1. März 1854 der erste planmäßige Zug ein-fuhr, war Lindau nicht nur mit Augsburg–München ver-bunden, sondern hatte durch die bayerische Transversalenach Hof Anschluss an das norddeutsche Bahnnetz mitden großen Getreidemärkten Leipzig, Berlin, Stettin undKönigsberg gefunden. Fünf Jahre später hatte sich die

150 Jahre Eisenbahn im Landkreis Lindau

Schiene von München aus nach Salzburg vorgeschobenund damit nicht nur die niederbayerischen Getreidebödenberührt, sondern auch über Wien die GetreidesteppenOsteuropas erschlossen . . .15

Das wirtschaftlich beteiligte Privatkapital profitierteinzwischen massiv von der Tatsache, dass die in derRegel mit Steuergeldern finanzierte Errichtung des Eisen-bahnnetzes wie anderswo so auch in Deutschland eine,Preisrevolution‘ zur Folge hatte: Zwischen 1850 und1900 sank demnach der Preis für eine Tonne, die übereinen Kilometer befördert wurde (,Tonnenkilometer‘) aufrund ein Drittel – von 10,2 Pfennige auf 3,7 Pfennige . . .Im gleichen Zeitraum stieg die gesamte Transportleis-tung in der deutschen Industrie und Landwirtschaft umdas 115fache an. Die dafür von Industrie und Landwirt-schaft zu bezahlenden Transportkosten erhöhten sich jedoch nur um das 42fache“ .16

Die Trajektfähren

Die Schweizer Nord-Ost-Bahngesellschaft unter Lei-tung von A. Escher hatte bereits 1866 ein Abkommenzur Errichtung einer Güterzug-Trajektfähre zwischenRomanshorn und dem mit Lindau konkurrierendenFriedrichshafen erreicht. Im Februar 1869 startete daserste selbstfahrende Trajektschiff, erbaut bei Escher-Wyss, auf dem Bodensee seine Fahrten zwischen die-sen beiden Städten.

Bis 1868 zogen auch die Königliche Bayerische Eisen-bahngesellschaft und die Stadt Lindau nach, von derInselstadt aus eine weitere schwimmende Verlänge-rung des Schienennetzes über den Bodensee nach Ro-manshorn zu errichten. Im Januar 1869 lief der ersteLindauer Schlepp-Trajektkahn vom Stapel. Entlang derHafenmole zum 1856 eingeweihten neuen Leuchtturmwurden die Güterwagen zunächst noch per Handwin-de auf die Kähne gezogen. Nach Abriss der Fuchsloch-schanze im Jahre 1870 und entsprechenden Gelände-aufschüttungen wurden vier Trajektgleise zur neuenLadebühne verlegt. Eine Rangierlok belud nun dieSchleppkähne mit den Wagons. Pro Kahn konnten bis

Die Anlagen des Lindauer Güter- und Personenbahn-hofes auf der Insel im Jahre 1886. Gut erkennbar sindu. a. im Norden die Getreideschuppen beim Diebsturm,in der Bildmitte die drei Gebäude von Bahnhof undPost sowie die hölzerne Empfangshalle, am unterenBildrand die Trajektfähren-Anstalt sowie zwischen Hotel „Bayerischer Hof“ und der Zollhalle das Denkmalfür König Max II. aus dem Jahre 1856.(Ausschnitt aus dem Stadtbildplan von P. Pfann und J. Egg)

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zu acht Wagen aufgenommen werden. Ein Personen-dampfer, ab 1874 ein ebenso bei Escher-Wyss & Cie.gebautes Trajektschiff mit eigenem Dampfantrieb, wel-ches ebenfalls 16 Wagen aufnehmen konnte, setzte sobis zu 32 Wagon, also einen ganzen Zug über den See;pro Tag und Richtung bis zu 100 Wagen. Dieses er-weiterte Transportgeschäft rentierte sich für die betei-ligten staatlichen Bahn- und Schifffahrtsgesellschaften.Bereits im ersten Betriebsjahr wurden auf diese Weiseab Lindau 12 200 Wagon transportiert. Durchschnitt-lich wurden jährlich 30 900 Wagen über den See ge-schleppt, 1883, im letzten Jahr vor Eröffnung der kon-kurrierenden Bahnroute durch den Arlbergtunnel gardie Rekordzahl von 47999 Wagon.

Als dritte Trajektlinie kam 1872 die badische zwi-schen Konstanz und Lindau hinzu. Drei Jahre späterwurde ihre Route bis Bregenz verlängert. 1884, im Jahrder Eröffnung der Arlbergbahn und der Inbetriebnah-me einer eigenen staatlichen österreichischen Dampf-schifffahrt wurden von Bregenz aus unter nun öster-reichischer Beteiligung Trajektlinien nach Konstanz, Romanshorn und Friedrichshafen eröffnet. Nachdem1854 der württembergische Staat die dortige Bodensee-schifffahrt übernommen hatte, waren dem im Jahre1863 die Monarchien Baden und Bayern gefolgt. Wur-den innerhalb von 15 Jahren zahlreiche Trajektlinienüber den See eröffnet, so kam deren teilweiser Nieder-gang im Anschluss an die Schließung des Eisenbahn-ringes rund um den See, der bis 1901 vollendeten „Bo-denseegürtelbahn“. Zwischen 1913 und 1917 folgte dieSchließung aller drei ab und nach Bregenz verkehren-den Trajektlinien. Bereits 1899 war der badische TrajektKonstanz–Lindau beendet worden17.

Bahnlinie Lindau–Bregenz ab 1872

Bereits mit Staatsverträgen von 1865 und 1870 hattendie Regierungen der Eidgenossenschaft, Österreichsund Bayerns die Bodensee-Verbindung ihrer Ländermit einem Schienenstrang vereinbart. Eine weitere Be-schleunigung des Waren- und Personenverkehrs rund

um den See war das Ziel. Die Nordostbahn der Schweizhatte von Zürich aus schon 1858 St. Margarethen und1871 bis Kreuzlingen/Konstanz alle Schweizer Boden-seestädte erschlossen.

Auf dem Lindauer Bahndamm war bereits 1866 ein zweites, das spätere „Österreichische Gleis“ verlegt worden. Am 1. Juli 1872 begann der Einweihungsrei-gen. Als Vertreter der Stadt Lindau nahm Bürgermei-ster Britzelmayer zunächst an der ersten Eisenbahn-fahrt von Bregenz nach Bludenz teil. Sein dortigerTrinkspruch im „Adler“ stand etwas im Widerspruchzur militärischen Bedeutung deutscher Eisenbahnenim Krieg gegen Frankreich zwei Jahre zuvor:

„Bald, meine Herren, wird der eiserne Strang, der allepolitischen Grenzen durchbricht, auch die Stadt Lindaumit der Linie verbinden, deren Eröffnung wir heute feier-lich begehen; möge diese Bahn dazu beitragen, Verkehr

Karl Schweizer

Der Bahnhof Lindau-Zech, welcher von 1936 bis 1945den Namen Lindau-Siebertsdorf trug und 1960 geschlos-sen wurde. (Quelle: Sammlung Hans Steinberger; Repro: Schweizer)

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und Wohlstand zu heben und zu befördern, möge sie dazubeitragen, die freundlichen Beziehungen der Nachbargauelebendig zu erhalten und zu festigen.“

Die Eröffnung des 5,94 Kilometer langen Anschlus-ses von der Insel zur Laiblachgrenzbrücke am 24. Ok-tober 1872 fiel hingegen nüchterner aus. Das Tagblattnotierte etwas erstaunt:

„Von privater Seite wird uns mitgeteilt, dass die neueBahnstrecke Lindau–Bregenz durch Ablassung einesZugs der heute Abend 9 Uhr von Bregenz dahier eintrifft,eröffnet wird.

Wie es scheint, fallen die sonst üblichen Eröffnungs-feierlichkeiten dahier weg, wenigstens ist die städtischeBehörde offiziell davon nicht benachrichtigt worden.

Es bleibt aber ohne dies jedermann unbenommen, seine Teilnahme an dem für Lindau nicht unwichtigenEreignisse durch Beflaggen der Häuser etc. kundzutun.“

Das malerische Eisenbahn-Inseltor von 1854 etwa an der Stelle der heutigen Thierschbrücke war hierfür wieder abgerissen worden.

Die Strecke von der Laiblach bis Lindau und der Reutiner Rangierbahnhof wurden an die mit demBetrieb bis zum Stadtbahnhof auf der Insel betrauteK. K. Österreichische Bahngesellschaft verpachtet. Täg-lich verkehrten zunächst jeweils fünf, später sechs Züge in jede Richtung.

Mit der nachfolgenden Eröffnung der Bahnverbin-dung von Bregenz nach St. Margarethen am 23. No-vember 1872 wurde Lindau über die Vorarlberger Bahnan das Schweizer Bahnnetz bis Chur angeschlossenund die geplante Bodensee-Gürtelbahn bereits zurHälfte vollendet.

Zur Bedeutung der neuen Bahnstrecke für denRaum Lindau gehörte, dass die damals noch selbststän-dige Landgemeinde Reutin nun ihren ersten Güter-und Rangierbahnhof erhalten hatte, verbunden miteiner Zollexpositur. Bereits 1878 kam eine Personen-haltestelle „Lindau-Lokalbahnhof“ hinzu, sowie der Bauder 1,77 Kilometer langen Gleisverbindung von Reutinzum Anschluss an die Allgäubahn in Aeschach-Holben.

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Anschluss an das württembergische Allgäu

Jahrelang stockten die Bemühungen insbesondere derStädte Wangen und Memmingen, das württembergi-sche und das bayerische Eisenbahnnetz mit einer Strecke von Memmingen über Leutkirch, Kisslegg undWangen nach Hergatz zu verbinden. KleinstaatlicheOrientierung der königlichen Regierungen an Profitund Kontrolle der jeweils eigenen Warenströme ver-hinderten seit 1865 die Realisierung entsprechenderVorschläge. Von Aulendorf aus hatten Waldsee 1870,Kisslegg 1871, Leutkirch 1872, Isny 1874 und Wangen1881 ihren Bahnanschluss an die württembergischeSüdbahn erhalten. Auf bayerischer Seite war von derLudwig-Süd-Nord-Bahn ausgehend 1874 die StreckeBuchloe–Memmingen eröffnet und bereits 1862 vonUlm/Neu-Ulm kommend die Illertalbahn bis Mem-mingen und ein Jahr später bis Kempten vorgedrun-gen.

Erst als 1887 die Reichs-Heeresverwaltung in Berlinaus militärischen Gründen die Verbindung der beiden

Der Bahnhof Hergatz im Jahre 1914(Bild: Bahnarchiv Hergatz)

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königlichen Eisenbahnnetze im Allgäu einforderte,ging es plötzlich schnell. Noch im gleichen Jahr wurdein München der entsprechende Staatsvertrag abge-schlossen. Die Bauarbeiten ab Memmingen wurden im Herbst 1888 begonnen, jene für die 3,2 KilometerStrecke ab Hergatz bis zur Landesgrenze, bzw. bis zum5,5 Kilometer entfernten Bahnhof Wangen bereits imAugust 1888.

Der amtliche Baubericht schildert dies folgenderma-ßen: „In der Station Hergatz wurde außer verschiedenenkleineren Umbauarbeiten eine große Drehscheibe neufun-diert, die Laderampe, eine kleine Drehscheibe und zweiKrahnen seitlich verschoben . . .Bei diesen Arbeiten warenverwendet in der Höchstzahl 138 Arbeiter, 1 Lokomotivemit 18 großen Rollwagen, außerdem 12 kleine Rollwagenund 3 Pferdefuhrwerke . . .

An Unterbaukies wurden von Röthenbach bei Lindaunoch 2600 cbm beigeschafft und eingebettet.

Behufs Vergrößerung der Warteräume in der StationHergatz wurde bei den Anbauten das Betriebshaupt-gebäude erweitert, ein neues Nebengebäude mit Wasch-küche hergestellt . . .

Ferner wurde ein Dienstwohngebäude, 2 Wohnungenund 2 Dienstzimmer enthaltend, sowie eine Unterstands-hütte neu erbaut . . .

Die Eröffnung des Betriebes hat am 15. Juli 1890 statt-gefunden.“18

Noch lange Jahrzehnte war in Fahrplankonferenzender Bahnbehörde bei der Vergabe von Zugverläufenzwischen München, Augsburg und Lindau die Konkur-renz der Protagonisten der Linien entweder überKempten oder über Memmingen spürbar. Heute zeigtsich dies erneut im Ringen um die Elektrifizierungeiner oder beider Streckenführungen.

Weiler, Lindenberg und Scheidegg erhaltenBahnanschluss

Das Westallgäu um die Orte Simmerberg, Weiler,Scheidegg und Lindenberg erlebte im 19. Jahrhundertseinen bis heute wirkenden grundlegenden Struktur-

wandel. Die Landwirtschaft wurde zunehmend vonFlachsanbau auf Milchwirtschaft umgestellt, dieseselbst aber zunehmend vom Industriekapitalismus inForm von Tabak-, Strohhut- und Textilfabriken, späterdurch die Milch verarbeitende Industrie und Metall-industrie ergänzt bzw. verdrängt, sowie an Wirtschafts-kraft eingeholt und überboten. Der „Fremdenverkehr“erlangte erst im 20. Jahrhundert Bedeutung. Von Lin-denberg ausgehend war im Westallgäu das zunächstbäuerlich-handwerkliche Gewerbe der Strohhutferti-gung seit dem 17. Jahrhundert verbreitet worden. DenBeginn der industriellen Fertigung markierten 1833,1835 und 1860 die Gründungen der Lindenberger Fir-men J. Milz & Co., Aurel Huber und F. Feuerle (Merce-des), in Scheidegg 1865 jene von Anton Gruber. Demüberregionalen Verkauf dienten bereits zu Beginn des

Karl Schweizer

Übersichtskarte des ehemaligen Westallgäuer Eisen-bahnsystems von Weiler über den VerknüpfungsbahnhofRöthenbach nach Lindenberg und Scheidegg sowie zurLudwig-Süd-Nordbahn Lindau–Hof. (Atelier Felle, Isny)(Quelle: Sammlung Schweizer)

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19. Jahrhunderts die Einrichtung von LindenbergerHandelsniederlassungen in Biberach, Ulm und Nörd-lingen. Ab 1878 bediente man sich zum Bezug von qua-litativ besseren Rohstoffen und Vorprodukten erstmalsdes Weltmarktes und bezog, zunächst über London,aus China Strohgeflechte. 1884 wurden LindenbergerStrohhüte bereits bis Südamerika verkauft. Die rundvier Millionen im Jahre 1900 im gesamten Westallgäuproduzierten Hüte konnten nicht mehr länger per Post-kutsche („Omnibus“) zur Bahnstation Röthenbach-Oberhäuser transportiert werden. 1862 waren diese„Kariolpostverbindungen“ ab Lindenberg und Scheid-egg eingerichtet worden, ab Weiler bereits im Jahre1853.

Ein erstes Bahnprojekt von Röthenbach über Weilernach Bregenz um 1867 wurde nicht verwirklicht unddie zahlreichen Weilerer Eingaben der 70er- und 80er-Jahre blieben in München erfolglos. Schlussendlicherhielt die Marktgemeinde Weiler 1891 die staatlicheKonzession für Bau und Betrieb einer in Gemeindebe-sitz befindlichen Bahnlinie. 1893 wurde die 5,7 Kilome-ter lange Strecke bis zum Bahnhof Röthenbach eröff-net, die auf der kurzen Strecke einen Höhenunter-schied von 76 Metern überwand und 347000 Markgekostet hatte. Täglich zunächst vier Züge in jede Rich-tung sicherten jetzt den Anschluss an die „Große Welt“,was anfangs 19 Minuten bei der Bergfahrt und nur 11bei der Talfahrt in Anspruch nahm. Nach dem 2. Welt-krieg ermöglichte der Einsatz stärkerer Lokomotiveneine Fahrzeit von 12 Minuten in jede Richtung.

Die Verwaltung erfolgte durch einen aus Gemeinde-räten und privaten Kapitalgebern bestehenden Be-triebsausschuss. Trotz anfänglicher Fahrpreise von nur8,3 Pfennigen in der zweiten und 5 Pfennigen in der 3. Wagenklasse erwirtschaftete die Lokalbahn sowohlim Personen- als auch beim Gütertransport positiveErgebnisse. 1904 wurde die Betriebsführung den König-lichen Bayerischen Eisenbahnen übergeben, 1920 diegesamte Bahn für 320 000 Mark an den bayerischenStaat zum Weiterbetrieb verkauft.

In Lindenberg erfolgte die Gründung eines Eisen-

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bahnkomitees bereits 1883, zu dessen führenden Köp-fen der Strohhutfabrikant Konrad Reich und der Groß-händler Aurel Kohler aus Großholz zählten. Erst 1896erfolgte die staatliche Baugenehmigung einer Bahnver-bindung von Scheidegg nach Röthenbach-Bahnhof. DieGemeindekassen zahlten aus Steuergeldern die nötigenGrunderwerbungen, welche infolge der Preissteigerun-gen durch private Grundbesitzer die eingeplantenKosten um rund 60 % überstiegen.

Am 1. Oktober 1901 konnte die 9,9 Kilometer langeStrecke mit einem großen Fest eingeweiht werden.Neben den Bahnhöfen in Scheidegg und Lindenberggab es nun die Bahnhaltestellen Auers-Riedhirsch so-wie Goßholz. Sechs Zugpaare verkehrten täglich undbenötigten bei der Talfahrt ab Scheidegg anfangs 35Minuten und bei der Bergfahrt ab Röthenbach 40Minuten. 1914 waren es bereits acht Zugpaare auf der

Festliche Einweihung des Bahnhofes Weiler am 22. Juli1893. (Fotodruck im Verlag Holzer, Weiler)

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mit 28,6 Promille mit am steilsten Bergstrecke einerNebenbahn in Bayern19.

Auch andere Gemeinden mussten hartnäckig undmit vielfältigen Argumenten darum kämpfen, bis sieeinen Bahnhof erhielten, wie 1913 Hergensweiler undHeimenkirch. Bereits am 28. Dezember 1888 fasste des-wegen beispielsweise das offizielle Amtsblatt des Kgl.Bezirksamtes Lindau und Weiler einen privaten Leser-brief aus der Allgäuer Zeitung zusammen. Darin wur-de u. a. argumentiert: „Der Vorwand, dass wegen der zugroßen Bahnsteigung keine Haltestelle errichtet werdenkönne, ist nach eigener Anschauung des Autors diesesArtikels kein stichhaltiger. Denn kürzlich habe in nächs-ter Nähe von Heimenkirch ein Zug gehalten und seidann wieder weiter gefahren. Vielleicht war es eine Pro-be. Also, der Beweis ist geliefert . . .“

Karl Schweizer

Der Lindenberger Bahnhof mit Zollamt auf auf einer Postkarte aus dem Jahr 1901. Original im Verlag Marie Brem,Lindenberg. (Quelle: Stadtarchiv Lindenberg)

Die Scheidegger Bahnhofsanlage auf einem Foto vonKonrad Wieschalla, Scheidegg.

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Vollendung der Bodenseegürtelbahn

Während das schweizerische Bodenseeufer per Bahnbereits 1871 bis Konstanz erschlossen und im Jahr da-rauf über Bregenz auch die Verbindung zu Lindau her-gestellt worden war, bereiteten die drei deutschen Staa-ten am Nordufer der dortigen Streckenführung langeZeit Probleme. In Baden wurde von Westen her 1895Überlingen mit der Bahn erschlossen, die weitereStreckenführung zum württembergischen Friedrichs-hafen aber blieb viele Jahre unklar. Die bayerische Re-gierung fürchtete, dass durch eine Bahnverbindung vonFriedrichshafen nach Lindau der eigenen Strecke Ulm–Memmingen–Kempten–Lindau Konkurrenz erwüchse.Erst der Staatsvertrag von 1895 ermöglichte den Bauder Eisenbahn zwischen den beiden Bodenseestädten.Nach vier Jahren Planungs- und Bauzeit wurde die

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rund 24 Kilometer lange Strecke mit einem bayeri-schen Anteil von 8,9 Kilometer durch einen Festakt undmit Böllerschüssen am 1. Oktober 1899 eröffnet.

Den Baugrund erwarb die Bahn bereits für einenzweigleisigen Ausbau, wenn auch nur ein Gleis verlegtwurde. Der Untergrund bereitete an zwei StellenSchwierigkeiten, unterhalb des Hoyerbergs wegen desfrüher bis dort hin reichenden Bodensees und einesspäteren dortigen Weihers sowie im Moor nördlich desWeihers am Wasserburger Büchel. Wiederholt senktesich der Bahndamm in diesen Bereichen, so beispiels-weise noch Anfang Mai 1899 unterhalb des Hoyerber-ges, als der Damm innerhalb einer Stunde auf einerLänge von 30 Metern abriss und fast spurlos drei bisvier Meter tief in die nebenan liegende Streuwiese ver-sank. Seit der Einweihung 1899 aber senkte sich derDamm nur noch um weitere sechs Zentimeter. AmBüchelweiher erreichten die Senkungen während derBauzeit eine Tiefe von bis zu 18 Metern. Um die Bauar-beiten trotzdem termingerecht beenden zu können,wurden für den Bereich unterhalb des Hoyerbergszusätzlich drei Eisenbahnbaukompanien des bayeri-schen Militärs verwendet und im Lindauer Zeughausuntergebracht. In Hemighofen, dem heutigen Kress-

Das Bahnwärterhäuschen in Wohmbrechts, welches1917/18 abgebrochen wurde und von serbischen Kriegs-gefangenen wieder aufgebaut werden musste. (Quelle: Sammlung Leipolz, Hergatz)

Der Bahnhof Wasserburg mit der Güterhalle kurz nachEröffnung der Bodenseegürtelbahn 1899. Mitten wurde1926 in Wasserburg umbenannt (Ausschnitt).(Quelle: Archiv Dietlein, Lindau)

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bronn, rächten sich Bahnbauarbeiter um den 1. Mai1899 an dem für sein herrisches und schikanöses Ver-halten bekannten Vorarbeiter Breitenbacher in derForm, dass sie diesen während des Schienenlegens fest-hielten und lebensgefährlich auf ihn einschlugen.

Mit Eröffnung der Strecke erhielten Enzisweiler,Wasserburg und Nonnenhorn eigene Bahnhöfe fürPersonen- und Güterverkehr. Der Höhenunterschiedzwischen Lindaus Bahnhof zu jenem in Nonnenhornbeträgt seither 8,51 Meter. Den Betrieb der Streckeübernahmen vertragsgemäß bis zum Lindauer Bahn-hof die württembergischen Eisenbahnen. 14 Tage nachEröffnung wurden in den Stationen Eriskirch undHemighofen Grenzsteuerämter zur Kontrolle der Ein-,Aus- und Durchfuhr von steuerpflichtigen Gütern er-

öffnet. 1901 erfolgte die Einweihung des letzten Stre-ckenabschnittes zwischen Friedrichshafen und Überlin-gen.

Auf der alten Strecke der bayerischen Süd-Nord-Bahn wurden 1901 wegen der guten Erfahrungen mitden bisherigen Lokalzügen zwischen Lindau und Her-gatz weitere Haltestellen eröffnet: In Aeschach am „Hol-ben“ beim Gasthaus Idyll in Richtung Allgäu, in Bodolz,Schönau und Rehlings. Allerdings waren diese Zügedamals noch sehr langsam. Ein Lokalzug benötigte fürdie steile Strecke von Lindau nach Röthenbach bei Ein-rechnung aller 16 Neuanfahrten zwei Stunden und 10Minuten. Tatsächlichen Ärger jedoch bereitete bereitsein Jahr nach der ausdrücklich begrüßten Haltestellen-eröffnung, dass Züge wiederholt Verspätung hattenund trotzdem an diesen Haltestellen noch immer keineWartehäuschen aufgestellt worden waren, so ein Leser-briefschreiber 1902 im „Lindauer Tagblatt“.

Der Lindauer Bahndamm erfuhr 1899 an seinemnördlichen Ende die erste Verbreiterung, um von dortein zweites Gleis nach Reutin abzweigen lassen zu kön-nen. Die Allgäustrecke zwischen Oberstaufen undOberreitnau wurde in den Jahren 1899 bis 1901 zwei-gleisig ausgebaut, was auch eine Verbreiterung derBrückenbauwerke erforderlich machte. Erst 1911 wur-de der Streckenabschnitt zwischen Oberreitnau undAeschach zweigleisig gestaltet.

Inzwischen hatte Lindau Bahnanschluss nach jederHimmelsrichtung zum europäischen Eisenbahnnetz.Dies wirkte sich auch angesichts des entstehenden Tou-rismus aus. So konnten bereits im Sommer 1911 in Lindau täglich 78 ankommende und abfahrende Zügegezählt werden. Immer häufiger erreichten damalsschon Sonderzüge, beispielsweise sogenannte „Blüten-züge“, die Inselstadt.

Andererseits wurden inzwischen auch Kurs- undSchlafwagen des Fernverkehrs über Lindau geführt.Dadurch bestand beispielsweise 1901 die Möglichkeit,die von Berlin über München kommenden Kurswagenüber Zürich und den Gotthard nach Mailand zu benüt-zen. Über Bregenz und Feldkirch bestand Anschluss

Karl Schweizer

Der Bahnhof Nonnenhorn im Juli 2003 ohne die frühereGüteranlage. Der durchfahrende Intercity 2014 Ober-schwaben Lindau–Dortmund (rechts) wird zuschlags-pflichtig seit 2002 aus den Wagen der zuvor erfolgreichund zuschlagsfrei verkehrenden InterRegio-Züge Lindau–Saarbrücken bzw. Lindau–Karlsruhezusammengestellt. (Foto: Schweizer)

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zum täglichen Zug von Zürich über Innsbruck nachWien, über Radolfzell und Basel in das vom deutschenKaiserreich einverleibte Elsass-Lothringen sowie nachFrankreich und über Frankfurt ins Ruhrgebiet sowiedie Niederlande. Von Basel kommend führte eine Ver-bindung über Lindau und München bis Salzburg. ÜberFriedrichshafen und Ulm war der Stuttgarter Raumerreichbar und über Augsburg und München Berlinund Osteuropa. Die erste Blütezeit der Eisenbahn inDeutschland und Mitteleuropa dauerte bis zum Kriegs-beginn 1914. Für die Region um Lindau symbolisierteallerdings spätestens 1910 die Eröffnung der ReutinerSaurer-LKW-Fabrik aus Arbon eine beginnende Sys-temkonkurrenz durch den motorisierten Straßenver-kehr.

Die nun vollendete Einbindung in das europäischeFernstreckennetz führte neben den Millionen „Namen-losen“ und den regelmäßig in der untertänigen Presseerwähnten adeligen Personen auch manch andere pro-minente Persönlichkeit über Lindaus Bahndamm in dieInselstadt und wieder hinaus. Bereits 1898 fuhr die pol-nisch-deutsche Revolutionärin Rosa Luxemburg vonZürich kommend über Lindau nach München sowieBerlin und notierte, dass sie, obwohl im Damencoupereisend, ab Lindau keine Nachzahlung hatte leistenmüssen. Franz Kafka hielt 1911 in „Die erste Eisenbahn-fahrt“ u. a. fest: „In Lindau war im Bahnhof, aber auchwährend der Einfahrt und der Ausfahrt viel Gesang inder Nacht.“ Vielen Lindauerinnen und Lindauern istnoch im Gedächtnis, wie Anfang Juli 1954 die deutscheFußballnationalmannschaft, nachdem sie zwei Tagezuvor in Bern Weltmeister geworden war, mit demSonderzug nach Lindau kam, dort übernachtete undsich vom Publikum feiern ließ, bevor sie nach Mün-chen weiterfuhr20.

Lindau erhält zwei neue Bahnhöfe

1907 erstreckte sich die Anlage des Reutiner Rangier-bahnhofes bereits auf 21 Gleise, 39 Weichen und eineGesamtlänge von über neun Kilometern. Trotzdem

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reichte der Platz für das Transportaufkommen längstnicht mehr. Im gleichen Jahr begannen die Umbauar-beiten für geplante drei Millionen „Goldmark“, anderen Ende 1913 das Bahnhofsareal mit seinem heuti-gen Gesicht stehen sollte. Die Arbeiter der MünchenerFirma Wayß & Freitag baggerten hierzu rund 170 000Kubikmeter Aufschüttgut für ein neues Bahnhofsgelän-de mit Personenbahnhof, eine Güterhalle, ein Maschi-nenhaus, Übernachtungsheim, Kohlenlager, die MühleEgg sowie die neuen städtischen Lagerhäuser im Heu-ried aus dem See.

Reutins selbstständige Gemeindevertretung wünsch-te sich für die neue Anlage mit knapp 24 KilometerGesamtgleislänge den Namen „Bahnhof Reutin“, dochdie königliche Generaldirektion in München setzte1910 den Namen „Lindau Ost“ durch. Am 1. November1911 wurden die auf pfahlfundierten Betonplatten ru-hende Güterhalle an der Ladestraße und das Betriebs-gebäude an der Bregenzer Straße eröffnet, 1912 dasGüterabfertigungsgebäude. 1913 kamen die „Kamel-buckel-Brücke“, das Industriegleis zur Nestle-Milch-fabrik in Rickenbach und die Lokomotivrotunde (halb-kreisförmiger Lokschuppen mit Güterlok-Drehschei-be) am Ostende der Anlage hinzu. Seit 1911 wurdenGüterwagen nur noch dann von Reutin auf die InselLindau gezogen, wenn diese per Trajekt über den Seegesetzt werden sollten oder zur Versorgung der Bahn-hofsanlagen beispielsweise mit Kohlen dienten.

Täglich konnte ab jenen Jahren auch der Lindauer„Orientexpress“ beobachtet werden: „Das Betriebsperso-nal, das am Bahnhof Reutin eingesetzt war, hatte eineneigenen Zubringer, von uns scherzweise Orientexpressgenannt. Er bestand aus zwei alten kleinen Personen-wagen, die von einer D VI gezogen wurden. Das Zügleinstartete an der Betriebswerkstätte auf der Insel und endete an der Lokrotunde in Reutin. Der Kurs wurdewerktäglich zu Arbeitsbeginn und -ende, also viermal amTag gefahren; denn es gab ja eine Mittagspause.

Reutin diente auch als Personenbahnhof. Dort fandeine eingehende Passkontrolle statt, wenn man nachÖsterreich weiterfahren wollte. Zur Visitation musste

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Karl Schweizer

Die Anlage des Reutiner Güterbahnhofes auf einer Luftaufnahme vom 3. August 1954. (Foto: Franz Thorbecke, Lindau)

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man natürlich aussteigen, und es dauerte fast eine Ewig-keit, bis es in Richtung Bregenz weiterging“, erinnertesich Dr. Wilhelm Kinkelin an seine Jugendjahre.

Im Sommer 1911 beschwerten sich „heimatliebendeReutiner“ im Tagblatt per ausführlichem Leserbriefüber die Architektur des Ostteils des neuen ReutinerBahnhofsgebäudes als einem „hässlichen Bau, der jedesAuge beleidigt“. 1921 beschloss Reutins Gemeinderatals Bedingung für den Fall einer Eingemeindung in dieStadt Lindau einstimmig u.a., „dass Reutin Personenan-schlusszüge an die in Lindau beginnenden oder enden-den Schnellzüge erhält und die durch Reutin fahrendenSchnellzüge auch daselbst halten . . . Dem Ortsteil Ri-ckenbach ist der Anschluss am Personenzugverkehr zuermöglichen . . .“21

Die Erweiterungs- und Umbauarbeiten am ReutinerGüterbahnhof lösten bei der Generaldirektion der Königlich Bayerischen Staatseisenbahnen in Münchenim Jahre 1911 erstmals die Überlegung aus, künftig die Fernzüge auf der Strecke München–Lindau–Zürichnicht mehr auf die Insel fahren zu lassen. „Die Zügesollten stattdessen in Reutin halten, wobei der Stadt-bahnhof über Pendelzüge angeschlossen werden sollte . . .

Aber man hatte in München die Rechnung ohne dieLindauer gemacht. Nach vehementen Lindauer Protestenund unter Darlegung der durch definitive Zahlen unter-mauerten Benutzung dieser Züge durch Schiffs- und Um-steigereisende im Lindauer Stadtbahnhof im Verhältniszu den Durchgangsreisenden nahm die Generaldirektionvon dem Plan wieder Abstand . . .“ 22

Die alten Bahnhofsanlagen auf der Insel entsprachenbereits 45 Jahre nach ihrer Einweihung nicht mehr denverkehrstechnischen Erfordernissen und dies obwohl1893 im Bereich der Sternschanze Geländeaufschüttun-gen für Güterabstellgeleise erfolgten und 1895/96 west-lich der Karlsbastion eine Lokomotiv-Rotunde für 16Lokomotiven mit Drehscheibe errichtet worden war.

Die örtliche Presse und zunehmend auch Münche-ner und Augsburger Zeitungen berichteten über dieMissstände in „Bayerns südlichstem Verkehrszentrum“.Lindaus Magistrat und Gemeindekollegium wandten

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sich 1901 mit einer dringenden Petition an „die hoheKammer der Reichsräte der Krone Bayerns“ in Mün-chen. Darin schilderten sie die Verhältnisse in LindausStadtbahnhof als dem Handel und dem Fremdenver-kehr in Stadt und Umland höchst abträglich. Vor denHintergrund der zuletzt 325 000 beförderten Personen,den 2,5 Millionen ab- und antransportierten ZentnernWaren und den inzwischen 121 täglichen Zügen seienbeispielsweise die Wartesäle 2. und 3. Klasse zu kleingeworden, der „Königssalon“ eng und dunkel, die Toi-lettenanlagen wegen Überlastung unhygienisch, derBahnsteig der Bodenseegürtelbahn ohne Überdachung,der Bereich für die Güterverladung zu klein und teilsmit Fäkalien verschmutzt, die Viehverladerampe völligunzureichend und kein ausreichender Kran zur Verla-dung der Weinfässer vorhanden.

Doch erst nach dem Bau des neuen Postgebäudesam Nordrand des Bahnhofsplatzes, der Luitpoldkaser-

Der 1913 bis Ende 1921 erbaute neue Lindauer Bahnhof,seit 1936 Hauptbahnhof, mit dem Raddampfer Hohen-twiel im Vordergrund auf einer Postkarte vom Jahre1929. (Quelle: Sammlung Schweizer)

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ne und der Thierschbrücke im Jahre 1903 und derEröffnung des neuen Reutiner Güterbahnhofes 1911/12sowie der Verlagerung der städtischen Lagerhäuser vonder Zeppelinstraße in dessen Nähe am Heuriedweg1912 wurde im Jahre 1913 mit dem Neubau des Stadt-bahnhofes als Personenbahnhof begonnen. Die Stadthatte sich bereits 1901 „ein geräumiges, zweckmäßigesund auch den Anforderungen der Ästhetik und des Com-forts einigermaßen genügendes“ Gebäude gewünscht.

Der 1. Weltkrieg 1914 bis 1918 bescherte dem Bahn-hofsneubau ab 1915 häufige Unterbrechungen. DerZugbetrieb lief während der ganzen Bauzeit weiter. Dasneue Empfangsgebäude des Stadtbahnhofes wurdedeutlich näher an den Hafen gerückt und erfüllte abseiner Inbetriebnahme am 15. Dezember 1921 samtVorplatz die leicht überzogen lokalpatriotische Prophe-zeiung des Lindauer Tagblattes vom 26. Februar 1901:„Wenn aber erst einmal der Bahnhofsbau vollzogen unddas zukünftige Postgebäude den Maxplatz nach Nordenimposant abschließen wird, da erst wird Lindau sichrühmen können, den anderen Bodenseestädten gleichge-stellt und vielleicht in manchem überlegen zu sein . . .“ Als1922 ein privater Unternehmer die bisherigen hölzer-nen Empfangshallen mit einer Rangierlok abreißenließ, trafen in kürzester Zeit auf dem Gelände zahlrei-che „Helfer“ ein23.

Es war dies jene Zeit, welche ab 1920 mit der Grün-dung der „Deutschen Reichsbahn“ statt der bisherigenLänderbahnen bis zum Beginn des 2. Weltkrieges 1939als die zweite Hochphase der Eisenbahn in Deutsch-land bezeichnet werden kann, eingeschränkt nur durchdie Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise 1929 bis1933. 1922 erreichte die Fußgängerbrücke über dieGeleise des neuen Lindauer Stadtbahnhofes ihre heuti-ge Breite und in den Jahren 1922 bis 1924 wurden dieStellwerke 1, 2, 3 und 4 neu errichtet. 1923 erhieltenselbst die Wagen der 4. Klasse auf der Strecke Lindau–Radolfzell Fenstervorhänge, wenn diese auch öfter zer-rissen wurden. 1929 wurde das Schmücken der Bahn-anlagen behördlich verordnet. 1935 fand die Eröffnungeines neuen Haltepunktes Waldsee zwischen Linden-

berg und Scheidegg statt. 1936 erhielt Lindaus Stadt-bahnhof den Titel Hauptbahnhof, der bisherige Perso-nenhaltepunkt Lindau-Zech wurde in Lindau-Sieberts-dorf umbenannt und der bisher nur für die Strecke Lindau-Röthenbach zugelassene Haltepunkt Lindau-Aeschach wurde auch für die Züge von und nach Frie-drichshafen geöffnet. Lindau und Lindenberg profitier-ten sichtlich von den häufigen Urlauber-Sonderzügender NS-Tourismusorganisation „Kraft durch Freude“.

Nach der Einverleibung Österreichs durch NS-Deutschland 1938 wurde 1939 der PersonenhaltepunktUnterhochsteg geschlossen. Auch die bisherige Eisen-bahntrajektfähre Lindau–Romanshorn wurde 1939 ein-gestellt. Im Vorjahr waren noch 23 500 Wagon mit 163 986 Tonnen Fracht auf diese Weise über den Seetransportiert worden. Andererseits gehörte zur Effi-zienzsteigerung des Schienenweges innerhalb der deut-schen Kriegsplanungen, dass 1939/1940 vom BahnhofReutin bis zum Bahnhof Lochau ein zweites Gleis ver-legt wurde.

Die Eisenbahner

Fotos des Jahres 1902 zeigen am Bahnhof Harbatshofen11 Männer mit Dienstmütze und am Bahnhof Röthen-bach deren 25. Das Adressbuch der Stadt Lindau von1909 führt namentlich 324 Bahnbeamte und Bedienste-te für die Bahnstation, die Güterstation auf der Insel,die Bahnmeisterei, die Maschineninspektion, die Be-triebswerkstätte und die Bahnstation Rangier-BahnhofReutin auf. 16 davon arbeiteten für die K.K. österreichi-sche Bahnvertretung in Reutin.

Das in aller Regel männliche Personal wurde inArbeiter und Beamte unterschieden, wobei die unterenund mittleren Beamten dem Status heutiger Angestell-ten entsprachen und nur rund ein Siebtel den Rangeines höheren Beamten erhielt. Bewerber für den mitt-leren Dienst mussten u. a. nachweisen, dass sie einenSchulabschluss etwa der heutigen Mittleren Reife ent-sprechend besaßen, über genügend Geld verfügten, umsich in den drei Ausbildungsjahren ohne Gehaltsbezug

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selbst versorgen sowie die Behebung von persönlichverschuldeten Schäden aus eigenen Mitteln bezahlenzu können. Die Masse der Bahnarbeitsplätze war imniederen Dienst angesiedelt, welcher u. a. Bahnwärter,Nachtwärter, Schaffner, Kassendiener und Lokomotiv-führer umfasste. Letztere mussten vorher schon eineHandwerkerlehre absolviert haben, am besten alsSchlosser.

Die Arbeiter in den Bahnwerkstätten wurden mitTageslöhnen, Zeitlohn oder Akkordlohn bezahlt. Fürrund die Hälfte der Werkstättenarbeiter, insbesondereSchlosser, bestand die Möglichkeit, nach zehn Arbeits-jahren in den Beamtenstatus übernommen zu werden.Der Aufstieg vom ausgebildeten Schlosser über den

150 Jahre Eisenbahn im Landkreis Lindau

Heizer bis zum Lokomotivführer war in Abhängigkeitvom Wohlwollen der Vorgesetzten möglich.

Erst die Reformen von 1898 ermöglichten Werkstät-tenarbeitern nach dreijährigem Arbeitsverhältnis einenJahresurlaub von drei Werktagen. Auch konnte die Sen-kung der wöchentlichen Arbeitszeit von 65 auf 60 Stun-den erreicht werden. Die Belegschaften wurden penibelstrengen Disziplinregelungen unterworfen. Wer auchnur fünf Minuten zu spät zum Arbeitsbeginn erschien,erhielt ein Viertel des Tageslohnes abgezogen. Für dieQualität der Arbeitsausführung und die Pflege desWerkzeugs hafteten die Arbeiter mit dem eigenenGeldbeutel. Die Aufrechterhaltung der Arbeitsdisziplingegen Streiks und unerwünschte gewerkschaftlicheBetätigung wurde auch dadurch gefördert, dass bei denbayerischen Staatsbahnen rund ein Drittel der Stellendes niederen und mittleren Dienstes für „Militäranwär-ter“, also ehrenhaft aus dem Militärdienst ausgeschie-dene Männer reserviert blieb.

Für die Beamten wurde 1899 eine tägliche Höchstar-beitszeit von 14 Stunden beim Stationspersonal undden Bahnwärtern und von 16 Stunden bei den Schaff-nern und den Lokomotivführern festgelegt. Nur zwei-mal im Monat stand den Stationsbeamten ein 24-stün-diger Ruhetag zu. Fünf Jahre zuvor war der Jahresur-laub für die beiden oberen Gehaltsgruppen auf achtTage, jener der niederen Gehaltsgruppe auf drei Tagefestgesetzt worden. Die Gehälter der unteren Beamtenwaren derart niedrig, dass viele von ihnen zusätzlicheinem Nebenerwerb nachgingen, statt sich in der zukurz bemessenen Freizeit zu erholen, was eine Untersu-chung von Dienstunfällen samt deren Ursachen zuTage förderte24.

Für Lindau beurteilte das Tagblatt vom 9. August1896 die Arbeitsverhältnisse in den Diensträumen desalten Bahnhofsgebäudes folgendermaßen. „Wir glaubennicht zu viel zu sagen, wenn wir behaupten, dass der Auf-enthalt in diesen Räumen, in denen Luft oder Licht ent-weder fast vollständig mangeln oder durch den Rauchder Lokomotiven und den üblen Geruch der Abort- undKehrichtgruben erheblich beeinträchtigt werden, die auch

Heizer Max Bühler (links) und Hauptlokführer Engel-bert Mayer bei der Nachsicht am Triebwerk einer derberühmten bayerischen S 3/6 Dampflokomotiven imBahnbetriebswerk Bw Lindau auf der Hinteren Insel im Jahre 1957. (Foto: W. Tauscher; Quelle: Sammlung H. Weingärtner, Sigmarszell)

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wegen ihrer leichten Bauart im Winter kaum zu erwär-men sind, nicht nur der Gesundheit in hohem Maßenachteilig, sondern auch eines Menschen unwürdig ist . . .“.

Seit 1850 war den Eisenbahnern in Bayern perDienstvorschrift die Mitgliedschaft in vom Staate uner-wünschten Vereinen verboten. Mitgliedschaft gar insozialdemokratischen Gewerkschaften oder der SPDführte zu Eintragungen in der Personalakte und erheb-lichen beruflichen Nachteilen. Trotzdem gehörten gera-de in Lindau auch Eisenbahner zu den Pionieren derselbstorganisierten Arbeiterbewegung.

Bereits 1899 meldete sich der Ortsvorstand des Ver-bandes bayerischer Eisenbahnwerkstätten- und Be-triebsarbeiter beim Magistrat der Stadt an. 1903 schlosser sich dem erst 1898 gegründeten „SüddeutschenEisenbahnarbeiterverband“ an. Als Organisationszweckenthielten die Statuten „die Erzielung möglichst günsti-ger Lohn- und Arbeitsbedingungen, sowie das gute Ein-vernehmen mit allen obrigkeitlichen Staatsbehörden zuunterhalten“. Zudem wurde die Einrichtung von Unter-stützungskassen für erkrankte Mitglieder, außerge-wöhnliche Notfälle und die Begräbniskosten festgelegt.Als Kampfmittel galten Eingaben und Petitionen sowie,im Unterschied zum monarchietreuen „BayerischenEisenbahnerverein“, der Streik. Dem Gründungsvor-stand gehörte auch der Kesselschmied Adam Stoiberan. Dieser war bereits 1896 Gründungsvorstandsmit-glied des „Spar- und Darlehensvereins der Arbeiter inder königlichen Betriebswerkstätte Lindau“ gewesen.1901 wurde er erster Vorsitzender des neu gebildetenLindauer Gewerkschaftsvereins und von 1902 bis 1909Vorsitzender bzw. Vorstandsmitglied der 1899 gegrün-deten Ortsgruppe der SPD. Auch war er Gründungs-mitglied zahlreicher Lindauer Arbeiterkultur- undSportvereine und eröffnete noch vor dem 1. Weltkriegdie „Weinstube Reutin“ auch als Lokal kleinerer Arbei-terversammlungen.

Daneben und zahlenmäßig zunächst deutlich stärkerbestanden die obrigkeitstreuen Verbände, wie der be-reits 1881 gegründete „Lokalverein der Verkehrsbeam-ten Lindaus“, dem es 1899 gelang, die Landesdelegier-

tenversammlung seiner Organisation nach Lindau zuholen. Für die durch Standesdünkel begünstigte orga-nisatorische Zersplitterung des Eisenbahnpersonalswaren die 1902 gegründeten separaten Lindauer Orts-gruppen für Lokomotivheizer sowie Lokomotivführer,verbunden mit den Dampfboot-Maschinisten, verant-wortlich.

Angesichts des eklatanten Wohnungsmangels fürdas Eisenbahnpersonal wurde im Jahre 1900 die „Bau-genossenschaft des bayerischen EisenbahnerverbandesLindau mbH“ gegründet. Bereits 1906 existierten inReutin die ersten Häuser der „Eisenbahnerkolonie“ am„Buttlerhügel“. Davon ausgehend wurde über die Jahreverteilt ein Wohnungsbestand aufgebaut, welcher imJahre 1999 auf den ganzen Landkreis verteilt 198 Woh-nungen der Wohnungsgenossenschaft der EisenbahnerSchwabens umfasste sowie 147 Wohnungen der Eisen-bahn-Siedlungsgesellschaft Augsburg. Letztere wurdenim Rahmen der Bahnprivatisierung im Jahre 2000 end-gültig an den deutschen Zweig des Annington-Kon-zerns verkauft.

Auch das Lindenberger Kindererholungshaus desEisenbahner-Waisenhortes, hervorgegangen aus derVereinigung der Eisenbahnerorganisationen Töchter-hort (1902) und Knabenhort (1922), welches 1936 fürbis zu 150 bedürftige Kinder eröffnet und mit einerBahn-Bedarfshaltestelle ausgestattet worden war, wur-de 2003 verkauft. Das neue Nutzungskonzept bestehtaus einer 60-Betten-Privatklinik.

Unfälle und Kuriositäten

Die bekanntesten Unfälle sind jene, die durch denerheblichen Höhenunterschied der Bahnstrecke imKreisgebiet verursacht wurden, was mehrfach eine Verselbstständigung von Eisenbahnwagons zur Folge hatte. So machten sich beispielsweise während derabendlichen Rangierarbeiten auf dem OberreitnauerBahnhof am 21. Juli 1905 gleich 14 Güterwagen selbst-ständig, da noch keine Runge-Knorr-Luftdruckbremsenverwendet wurden und alles von Hand gebremst wer-

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den musste. Die Talfahrt Richtung Lindau gewann ste-tig an Tempo, teils entgleisten Wagons und wurdenspäter an Kreuzungen wieder auf die Gleise gerissen.Im Stadtbahnhof Lindau konnten noch die Weichen inRichtung Trajektfähre gestellt werden. Dort wartete einbeladener Kahn. Die ersten zwei heranrollenden Wa-gen wurden zertrümmert, die vier nächsten überschlu-gen sich in den See, der siebte blieb auf der beschädig-ten Brücke hängen und der Rest entgleiste davor. Ähn-liches geschah 1908 ab Schlachters durch einen mitSchienen beladenen Güterwagen.

150 Jahre Eisenbahn im Landkreis Lindau

Bereits 1856 wandte sich das im ersten Bahnhofsbauuntergebrachte Telegrafenamt an den Lindauer Magis-trat, da es immer häufiger vorkomme, dass in den längsdes Bahndammes geführten Freiluft-Telegrafenleitun-gen sich die Schnüre Lindauer und Aeschacher Anglerverfingen, „was mannigfache Störungen in der telegrafi-schen Korrespondenz zur Folge habe“. Daraufhin wurdedas Angeln auf dem Damm verboten.

1903 wurde Rangiermeister Preller, Vater von siebenKindern, während der Arbeit der Kopf abgefahren.

Während der Hyper-Inflationszeit 1921 bis 1923

Der Bahnhof Oberreitnau auf einer Postkarte des Verlags W. Roessler, Lindenberg, vom Jahre 1938. (Quelle: Sammlung Schweizer)

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kamen täglich verarmte Lindauer zur Bahnmeisterei,um aus dem Schlackenabfall der DampflokomotivenKoksreste zur Wohnungsbeheizung herauszusuchen.

Im Juli 1923 stießen am Südende des Eisenbahndam-mes ein Güter- und eine Personenzug zusammen. Lok-führer und Heizer des Übergabezuges für den Gütertra-jekt konnten noch rechtzeitig abspringen. Bilanz: EinToter und drei Verletzte. Ursache: Die noch von Handbediente Weiche war falsch gestellt.

1950 verurteilte das Amtsgericht Weiler einen aufder Lokalbahn Röthenbach–Weiler erst seit zwei Jahrenbeschäftigten Hilfsschaffner, welcher aus einem nichtordnungsgemäß verschlossenen Korb zwei Würsteabgezweigt hatte. Zusätzlich entwendete er einem lie-gen gebliebenen Pelzmantel die Geldbörse mit 320Mark und gab nur das Kleidungsstück ordnungsgemäßab. Wegen Amtsunterschlagung wurde er zu drei Mo-naten Gefängnis verurteilt.

Anfang 1966 stieß bei Röthenbach ein Nahgüterzugwegen zu früh geöffneter Schranken auf einen Postom-nibus. Fünf Tote und 26 Verletzte waren zu beklagen.

Zu Jahresbeginn 1973 konnte trotz Gegenwehr miteiner selbstgebauten Pistole der in Bechtersweiler woh-nende Attentäter verhaftet werden, welcher im Juni1970 mit Hilfe eines durchHeu getarnten„Eigenbau-Ent-gleisungsapparates“ aus zwei U-Eisen und zwei Stahl-wellen erfolglos versucht hatte, den aus München kom-menden abendlichen D-Zug rund 1200 Meter oberhalbdes Bahnhofes Oberreitnau zum Entgleisen zu bringen.

Die Eisenbahn und die „große Politik“

Von Beginn an diente der Aufbau des Eisenbahnnetzesgrundsätzlich wie erwähnt den wirtschaftspolitisch undmilitärisch herrschenden Interessen. Punktuell lässtsich dies auch für unsere Region mit Beispielen veran-schaulichen.

So berichtete die wöchentliche „Allgäuer Kriegschro-nik“ 1914 reich illustriert über den Abtransport der Lindauer Soldaten an die deutsche Angriffsfront des 1. Weltkrieges gegen Frankreich. Immer neue Truppen-

transporte folgten. Umgekehrt gelangten zunehmendVerwundete und Tote per Bahn zurück an den Boden-see. Folgerichtig meuterten dann am 28. Oktober 1918die auf ihre Verschickung an die Front wartenden Lindauer Soldaten und riefen „Nieder mit dem Kaiser!Hoch die Revolution! Hoch Wilson!“ Die zehn Tage spä-ter mit der Novemberrevolution an der lokalen politi-schen Macht beteiligten Räte der Soldaten, Arbeiterund Bauern veranstalteten ihre Landkreis weiten Ver-sammlungen 1918/19 in der Regel verkehrsgünstig inden Bahnhofswirtschaften in Röthenbach und Hergatz.In Lindau wurden Kohlenzüge angehalten und derenInhalt an die Bevölkerung verteilt.

Die bewaffnete Konterrevolution in Gestalt des Frei-korps Schwaben traf nach Niederschlagung von Revo-lution und Räterepublik in München und Kempten am17. Mai 1919 mit einem Panzerzug für den Scharfschüt-zentrupp Wolf sowie 2 000 Mann auf fünf Sonderzügensamt Geschützen, Panzerwagen, Infanterie und Reitereiin Lindau ein. Die Verhaftung bekannter Revolutionärebegann.

1921 erregten österreichische Eisenbahner den Un-mut des Lindauer Bezirksamtes, weil sie zum 1. Maiihre Lokomotiven mit sozialistischen Symbolen undKränzen geschmückt hatten. Im Januar 1932 veranstal-tete die aus dem Süddeutschen Eisenbahnerverbandhervorgegangene sozialdemokratische Lindauer Orts-gruppe des Reichsverbandes der Eisenbahner im Ge-werkschaftshaus mit ihrem Bezirksleiter Vogel ausNürnberg eine Veranstaltung gegen die Umtriebe derNSDAP. Die Kommunisten hatten dazu aus Münchenden ehemaligen Eisenbahner Söllner als Diskussions-redner organisiert.

Während der Zeit des NS-Faschismus notierte dieGestapo im Frühjahr 1937, dass „im Bahnhof Lindau-Reutin, früh morgens, mehrere Exemplare der kommu-nistischen Zeitung ,Rote Fahne‘ verstreut gefunden wurden. Die Ermittlungen waren ergebnislos, doch wird mit Sicherheit angenommen, dass diese Streuaktion vonösterreichischen Bundesbeamten durchgeführt worden ist“.

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Robert Schmid schilderte die Verhältnisse auf Lind-aus Hauptbahnhof während des 2. Weltkrieges u. a. fol-gendermaßen: „Ein buntes Gemisch von Völkern machtsich bemerkbar im Bahnhof. Zuerst kriegsgefangeneFranzosen. Da es manchem gelingt, die nahe Schweizer-grenze zu erreichen, kommen sie in das Innere des Lan-des. Dann folgen Serben, später Russen. Alle werden mitGleisarbeiten beschäftigt. Dann folgt der große Schubvon Zivilarbeitern aus den besetzten Gebieten, Männer,Frauen, Kinder. Das Ausländerlager der Bahnmeistereizählte zuletzt 28 Kinder . . .

Züge mit Evakuierten trafen ein, am Schlusse einenoffenen Kohlenwagen mit Bettzeug, Kinderwagen undKoffern. Die Zahl der beschädigten Eisenbahnwagennahm zu . . . Tiefflieger schossen Loks lahm. Die Geschos-se durchschlugen sogar die Bandagen der Räder undnatürlich die Kessel. Der Zugsverkehr schrumpfte zu-sammen . . .“

Auf der Strecke Lindau–Immenstadt standen gegenKriegsende kilometerweit abgestellte Transportzügenach Nirgendwo, voll mit Lebensmitteln, Munition undanderen Militärgütern.

Östlich des Kamelbuckels am Reutiner Güterbahn-hof war im März 1943 ein Barackenlager der Stadt Lindau und der Reichsbahn für Zwangsarbeiter errich-tet worden. Die dort eingesperrten 110 Männer und 72 Frauen aus ganz Europa arbeiteten für die Bahnsowie die Lindauer Industrie- und Rüstungsbetriebe.Eine Sowjetbürgerin diente als Heizerin auf einer Ran-gierlokomotive. Nach dem Ende der NS-Zeit wurdenim gleichen Lager bisherige NS-Größen aus Stadt undKreis inhaftiert.

Ende April 1945 erlitt das Reutiner Bahnhofsgelände,welches als Drehkreuz für die örtliche und regionaleRüstungsindustrie und zahlreiche Kohlenzüge nach Ita-lien gedient hatte, durch alliierte „Jabos“ in vier Luftan-griffen starke Schäden. Die Menschen flohen in dengroßen Bunker, in Keller, unter Wagons und in die Bin-sen. Zehn zivile Tote waren zu beklagen. Kein Flieger-alarm hatte gewarnt. Nachher plünderten Hundertevon Lindauerinnen und Lindauern eine der Bahnhofs-

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lagerhallen, in welcher sich Liebesgaben aus derSchweiz stapelten25.

Die dritte Blütezeit und ein langes Siechtum

Nach dem Krieg diente die Eisenbahn zunächst derfranzösischen Besatzungsmacht.

Ab Oktober 1945 bis Ende 1952 wurde der gesamteBereich des Landkreises Lindau der Reichsbahndirek-tion in Karlsruhe unterstellt. Im September 1945 errich-tete das Bayerische Rote Kreuz im Lindauer Haupt-bahnhof eine Nachforschungsstelle für Flüchtlinge.1949 erhielt die Haltestelle Lindau Siebertsdorf wiederden Namen Lindau-Zech. Die Strecke von Lindau nachBregenz wurde 1954 elektrifiziert.

Die Bahn als Massenverkehrsmittel erlebte bis in die60er-Jahre ihre dritte und bisher letzte Blütezeit. So roll-

Die Lokomotiv-Rotunde mit Drehscheibe aus dem Jahre1896 auf der Hinteren Insel Lindau vor deren Abriss1978. (Quelle: Sammlung Staudter, Lindenberg)

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ten 1952 allein 66 Urlauber-Sonderzüge mit zusammenrund 10 000 Touristen auf die Insel Lindau, zuzüglich155 Tages-Sonderfahrten mit weiteren 44700 Reisen-den. Umgekehrt fuhr beispielsweise 1954 ein Sonder-zug von Lindau aus zum Oberjoch-Bergrennen. Andreas Kleber hielt das umtriebige Leben auf demHauptbahnhof an einem gewöhnlichen Sommertagjener Jahre fest:

„Auf Gleis 1 stand ein ÖBB-Personenzug, welcher ausSt. Margrethen kam und zur Fahrt nach Bregenz–Feld-kirch–Buch bereitgestellt wurde, mit Anschluss in Feld-kirch an den Abend-Expresszug Zürich–Salzburg.

Auf Gleis 2 der D 96 BAVARIA München–Lindau–Zürich–Geneve, der am Schluss des Zuges einen Abmund Bm als Kurswagen München–Freiburg mit sich führ-te; eine V 60 rangierte sie auf Gleis 6.

Auf Gleis 3 der D 161 Lindau–Straßburg–Paris mitseinen Kurswagen aus Innsbruck – bestehend aus einerlupenreinen 4-Wagen SNCF-INOX-Garnitur inklusiveines Liegewagens, bespannt mit einer Villinger V 200.0.

Auf Gleis 4 der D-Zug 75 Lindau–Kiel . . .Auf Gleis 5 ein aus drei Wagen bestehender Eilzug

nach Immenstadt, wo er mit einem aus Oberstdorf kom-menden Eilzug nach München vereint wurde.

Auf Gleis 6 der Eilzug Lindau–Freiburg, welcher fürseine mit dem D 96 aus München gebrachten Kurswagenbereitgestellt wurde.

Auf Gleis 7 der beschleunigte Personenzug Lindau–Kißlegg–Memmingen–Buchloe–Augsburg und auf Gleis8 ein Personenzug nach Friedrichshafen Stadt, welcherhinter den beiden D-Zügen nach Kiel und Paris auf derBodensee-Gürtelbahn fuhr.

Und nicht zu vergessen, am Hafen legten noch zweiSchiffe an, die an all diese Züge Anschlüsse hatten. Dawar ein Kommen und Gehen, da dampfte und zischte es,da brummten die Dieselloks, summten die E-Loks, ertön-ten die Hammerschläge der Rangierer, die nach denBremsen hauptsächlich der SBB, ÖBB und SNCF-Wagenschauten; da hupten laut die Schiffe vom Hafen – undwenn sich alles in Bewegung setzte, war innerhalb von15 Minuten der Bahnhof wieder leer . . . “ .26

1955 existierten im gesamten Landkreis beinahe flä-chendeckend 30 Bahnhöfe, Haltestellen und Halte-punkte der Bahn, davon allein im heutigen StadtgebietLindaus drei Bahnhöfe und fünf Haltepunkte. Davonverblieben bis 2003 im Landkreis sieben Stationen undin Lindau ein Bahnhof sowie ein Haltepunkt.

Ein gewaltiges Übergewicht des motorisierten Indivi-dualverkehrs sowie des Flugverkehrs wurden seitherdurch Politik und Wirtschaft durchgesetzt. Die Gewerk-schaft der Eisenbahner, heute TRANSNET, formuliertelaut „Lindauer Zeitung“ vom 19. Januar 1960 einen Teilder Ursachen angesichts dieser drohenden Perspektivebereits damals in der Lindauer Eisenbahnerkantine:„Wenn die Kriegsfolgelasten – in erster Linie die Versor-gung der Eisenbahner aus den Ostgebieten, die 400 Milli-onen jährlich verschlinge – vom Bund übernommen wor-den wären und man der Bundesbahn, wie es in anderenStaaten geschehen sei, angemessene Mittel zur Befriedi-gung des Nachholbedarfs gegeben hätte, dann wäre die

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Der Bahnhof Hergensweiler mit Güterverladestation aufeiner Postkarte aus dem Jahre 1924. (Quelle: Archiv Dietlein, Lindau)

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Bahn ein gesundes und wirtschaftlich arbeitendes Unter-nehmen. Leider habe sie nicht die gleichen Startbedingun-gen wie die anderen Verkehrsträger bekommen.“

Die falsche, weil nicht konsequent an den Interessender Masse der Bahnkunden orientierte Bahn- und Ver-kehrskonzeption wurde auch dadurch nicht nachhaltigbesser, dass beispielsweise 1969 im Bahnhof Reutineine Verladestelle für Autoreisezüge aus Köln und Düs-seldorf eröffnet wurde, ab dem Frühjahr 1970 am Bahn-hof Lindau Fahrräder ausgeliehen werden konntenoder 1974 der Bahnhof Röthenbach für 1,8 MillionenMark modernst mit Fernsehüberwachung und Druck-tastenstellwerk mit dem Ziel ausgestattet wurde, dieSicherheit zu erhöhen und Arbeitsplätze weg zu ratio-nalisieren, sechs in Röthenbach und drei in Harbats-hofen.

Zum Jahresbeginn 1960 waren allein im StadtgebietLindau die Haltepunkte Zech, Strandbad, Langenwegund Schönau aufgehoben. 1961 wurden die bisherigen

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Haltepunkte Opfenbach, Biesenberg, Bodolz undMaria-Thann aufgelassen. 1985 folgten Heimenkirchund Hergensweiler. 1987 folgte die Schließung Ober-reitnaus auch für den Güterverkehr und 1988 sowie1991 in zwei Schritten jene in Schlachters.

Der Güterbahnhof Reutin mit Personenhaltestelle,auf welchem 1979 von 72 Beschäftigten noch rund 60 000 Tonnen Güter verladen und knapp 50 000Wagons abgefertigt worden waren, sollte 1980 für rund1 Million DM renoviert werden. Doch 1981 kam dasAus für den Personenverkehr und 1988 das Ende desRangier- und Stückgutverkehrs.

Auf der Strecke Röthenbach–Lindenberg–Scheideggwurde in den 50er-Jahren die Antriebsqualität mit demErsatz der neuen Diesellok durch eine kleine Dampflokvermindert, die Anzahl der täglichen Fahrten auf einZugpaar reduziert, der Haltepunkt Waldsee 1961 aufge-hoben und der renovierungsbedürftige Gleisoberbauzwischen Lindenberg und Scheidegg nicht in Standgesetzt. Die Fahrgastzahlen und die transportierte Ton-nage sanken drastisch. So wurde 1965 zuerst der Perso-nenverkehr eingestellt, 1976 der Güterverkehr zwi-schen Lindenberg und Scheidegg und 1993 auch jenerauf der Reststrecke von Röthenbach nach Lindenberg.

Die Strecke Röthenbach–Weiler erhielt nach dem 2. Weltkrieg leistungsstärkere Dampflokomotiven. DasBahnhofsgelände Weiler umfasste drei Gleise, dasBahnhofsgebäude mit Güterhalle, eine zweiständigeLokremise und ein Nebengebäude. Doch bereits 1953wurde die Verbindung auf ein verbleibendes Zugpaarreduziert, zuzüglich eines Reisesonderzuges jährlich.Zur Sicherung des verbliebenen Güterverkehrs verein-barten 1978 DB und die Steinwerke Rudolf eine Min-desttransportmenge von jährlich 15 000 Tonnen. DerOberbau wurde für rund zwei Millionen DM erneuert.„Doch wieder einmal blieb der LKW Sieger im ungleichenWettbewerb, denn die Verladung im großen Stil auf derSchiene unterblieb. Am 1. Mai 1991 wurde der Gesamt-verkehr zwischen Röthenbach und Weiler stillgelegt“27

und dies trotz politischer Gegenwehr aus der Bevölke-rung sowie des MdL Rotter.

Die Bahnhaltestelle Maria-Thann mit durchfahrendemGüterzug auf einem Foto von Gottfried Turnwald vomSeptember 1958.

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Fahrplanauszüge für Stadt und Landkreis Lindau aus dem Winterfahrplan 1950/51.

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Erfolgreicher verliefen bisher die Bemühungen derlandkreisweiten Initiative „Pro Eisenbahn in Stadt undLandkreis Lindau/Westallgäu“, des Kreistages, des Bun-des Naturschutz, der Aktionsgemeinschaft Inselbahn-hof Lindau sowie der Landtagsabgeordneten Rotter(CSU) und Springkart (Grüne), die Absicht der DB-Netz AG zu verhindern, die Strecke von Hergatz bisImmenstadt teilweise nur noch eingleisig zu befahren.Im Frühjahr 2000 verzichtete die DB Netz vorläufig aufdiese Pläne, bis sie über genügend Erfahrungen mitdem geplanten Ausbau der Strecke auf Neigetechnik-betrieb verfüge. Seit 1997 angekündigt und ursprüng-lich für 2001 geplant, wurde mit dessen Bau nun imAugust 2003 begonnen.

Ärgerlicher verlief bisher das Schicksal der Planun-gen der Bayerischen Eisenbahngesellschaft als Bahnbe-

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hörde des Landesverkehrsministeriums auf „Neuein-richtung von Haltepunkten im Allgäu auf der StreckeLindau–Röthenbach“ vom Jahre 1998. Deren Untersu-chung hatte ergeben, dass inzwischen wieder genügendBahnkundenpotential für einen wirtschaftlichen Be-trieb folgender Haltestellen vorhanden wäre: In Zech,Aeschach in Richtung Allgäu, Oberreitnau, Rehlings,Schlachters und Hergensweiler. Doch weder die politi-schen Entscheidungsträger in der Stadt noch im Kreis-tag oder in der Landesregierung entwickelten seitherausreichend Aktivitäten, diese Haltestellen wieder zueröffnen.

Den ausgeprägtesten Widerstand gegen Schlie-ßungsabsichten des DB-Managements gab es bisher inLindau, seit 1997 der DB-Vorstand seine Pläne vortrug,bis zum Jahr 2001 den Hauptbahnhof vom Stadtzen-trum auf der Insel in den Stadtteil Reutin oder an denBahnübergang Langenweg in Aeschach zu verlegen.Ausgehend von der Eisenbahnergewerkschaft GdED,der Aktionsgemeinschaft Inselbahnhof sowie demRunden Tisch Bahnhof entwickelte sich mannigfaltigerund weit verzweigter Einspruch in Form von Kongres-sen, Vorträgen sowie Informations- und Argumenta-tionsweitergabe über Massenmedien. Dadurch wurdeerreicht, dass die anfänglich grundsätzliche Zustim-mung im Stadtrat einer nachdenklichen bis klar ableh-nenden Haltung bei rund der Hälfte seiner Mitgliederwich. Doch die verhandelnden Manager der DB AGlehnten bisher (Stand: Juli 2003) selbst jegliches vonStadtrat und Oberbürgermeisterin vorgetragene Kom-promissangebot ab. Sogar die vom Stadtoberhauptangebotene Minimallösung des Regionalverkehrs zueinem Bahnhof im Nordteil des jetzigen Bahnhofsge-ländes wurde abgelehnt, wissend, dass die Oberbürger-meisterin hier eine Variante anbot, welche der Stadtrat1999 mehrheitlich ausdrücklich abgelehnt hatte. Aufdas im Dezember 2002 von der DB AG eingereichtePlanfeststellungsverfahren für einen neuen Bahnhofauf dem Gelände des ehemaligen Reutiner Güterbahn-hofes bereitete sich die Stadtspitze bisher nur juristischund nicht auch politisch vor.

Die verbliebene Nutzung im Westteil der Reutiner Güter-bahnhofsanlage als Holz- und Autozugverladestelle imApril 2002. (Foto: Schweizer)

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Anmerkungen:1 Stephan Kuchinke „Die Ludwigs-Süd-Nordbahn von Lind-

au nach Hof“, S. 11, Stuttgart 1997.2 Walter Dumcke „Lindau und die Eisenbahn 1853–1953“ im

„Neujahrsblatt 13 des Museumsvereins Lindau“, S. 46 ff,Lindau 1954.

3 Ferdinand Eckert „Aus der Vorgeschichte der Dampfboot-Aktien-Gesellschaft in Lindau“ in „Bodensee-Heimat-Schau“, S. 61 ff, Lindau 1935.

4 Rupert Knestel „Der Bau der Königlichen Nord-Süd-Bahnvon Augsburg nach Lindau“ in „Jahrbuch des LandkreisesLindau 1998“, S. 60 ff.

5 Information durch den Ortsheimatpfleger Anton Leipolzan den Autor.

6 Vgl. Anm. 4, S. 64 und M. Wiedemann „Geschichte desEisenbahnbaues Augsburg–Lindau 1835–1853“ in „Boden-see-Heimatschau“ vom 7. Juni 1930, S. 42.

7 Dorothee Klinsiek „Die Eisenbahnbauarbeiter in der Früh-zeit des Eisenbahnbaus in Bayern“ in „Zug der Zeit – Zeitder Züge“, Berlin 1985, Band 2, S. 251.

8 Stadtarchiv Lindau, Bayerische Akten, Sign. BII/126/2.9 Zitiert nach Alois Lehner „Bahnarbeiter-Streik 1851“ in

„Westallgäuer Heimatblätter“ Nr. 26/1992.10 Vgl. Anm. 2, S. 50 ff und im Stadtarchiv Lindau die Akte

„Die Erbauung einer Eisenbahn von Augsburg nach Lindauauf Staatskosten“, Bayerische Akten, Sign. BI/839.

11 Vgl. Anm. 2, S. 55/56 und Stadtarchiv Lindau Akt „DieGrunderwerbs-Verhandlungen . . .“, Sign. BI/842; Vgl. auchBeatrice Sendner-Rieger „Die Bahnhöfe der Ludwig-Süd-Nordbahn 1841–1853“, Karlsruhe 1989.

12 Vgl. Werner Baumbach „Aus der Geschichte der Bayeri-schen Post im Landkreis Lindau“ in „Jahrbuch des Land-kreises Lindau 2002“, S. 53 ff.

13 Joseph Lang „Führer auf den Königlichen Bayer. Staats-Eisenbahnen“, Augsburg 1861, S. 114 ff; vgl. auch auszugs-weise in Siegfried Bufe „Allgäubahn München-Kempten-Lindau“, Egglham 1991, S. 10/11.

14 Franz Michael Felder „Aus meinem Leben“, Ausgabe Resi-denz-Verlag, Salzburg 1985, S. 195 ff.

15 Karl Martin „Die Schranne zu Lindau – Ihre Geschichte seitdem 18. Jahrhundert“ in „Neujahrsblatt 27 des Museums-vereins Lindau“, Lindau 1982, S. 53 f.

16 Winfried Wolf „150 Jahre Lindauer Inselbahnhof und seinedrohende Aufgabe im Rahmen der Privatisierung derDeutschen Bahn AG“, Lindau/Berlin 2003, S. 12 f.

17 Hans-Wolfgang Scharf/Burkhard Wollny „Die Eisenbahn

am Bodensee“, Freiburg 1993, S. 409 ff; Werner Do-bras/Andreas Kurz „Daheim im Landkreis Lindau“, Kon-stanz 1994, S. 150 f.

18 Vgl. Anm. 17 Scharf/Wollny, S. 116 ff; vgl. auch den Film„Die Bahnstrecke Kißlegg–Wangen–Hergatz 1890 bis 2000“von Ansgar Friemelt, Wangen 2000.

19 Vgl. Hartmut Klust „Die Nebenbahnen im Landkreis Lindau oder Es war einmal“ im Jahrbuch des LandkreisesLindau 1999, Weiler 1999. S. 7 ff; Markus Hehl „Eisenbahnim Allgäu“, Eisenbahn Kurier-Special Nr. 46, Freiburg 1997,S. 52 ff; Anmerkung 12, W. Baumbach, S. 67 ff; NorbertMayer „Die Strohhalm-Connection“ in „Industrielle Revo-lution rund um den Bodensee“, Konstanz 2001, S. 32 ff;Ludwig Scheller „Lindenberg auch Klein-Paris genannt“,Weiler/ im Allgäu 1979, S. 29 ff.

20 Vgl. Anm. 17 Scharf/Wollny, S. 88 ff und 270 ff; „DieBodensee-Gürtelbahn“ in Friedrich Maier/Rudi Müller„Lebenserinnerungen“, Tettnang 1985, S. 295 ff; Ernst Prae-del „100 Jahre Eisenbahnstrecke Lindau–Friedrichshafen“in „Seebote 1999 Bodolz, Nonnenhorn, Wasserburg“, S. 10ff; „Eingesandt“ in Lindauer Tagblatt vom 16. 10. 1902; RosaLuxemburg „Gesammelte Briefe“, Band 1, Berlin/DDR1984, S. 110; Franz Kafka zitiert nach „Annäherungen anLindau" in der Edition Schnittpunkte, Hrg. Manfred Hagel,Lindau 1996, S. 23 ff; Rolf Rietzler „Großer Bahnhof – Fuß-ballweltmeister in Lindau“ in „Lindauer Bahnbote“, Juni2002, S. 1.

21 Vgl. Karl Schweizer „Die Geschichte des Reutiner Bahnho-fes“ in Lindauer Zeitung vom 7. 3. 2002.

22 Vgl. Anm. 17 Scharf/Wollny, S. 216/217.23 Vgl. Robert Schmid „Der Bahnhof Lindau Bodensee“, hand-

schriftliche Chronik im Stadtarchiv Lindau, Sign.: Lit 156.24 Vgl. Dorothee Klinksiek „150 Jahre Eisenbahner in

Deutschland“ in Anm. 7, Band 1, S. 259 ff.25 Vgl. Anm. 23; „Allgäuer Kriegschronik“, Lieferung 4 und 5,

Kempten 1914; Karl Schweizer „Lindau: 1. Weltkrieg, No-vemberrevolution, Räterepublik“, Lindau 1978 und „VonMenschen, Maschinen und Sommerfesten“, Lindau 1991, S. 31 ff.

26 Andreas Kleber, „Freunde der Schiene . . .“, Vortrag auf demKongress „Bock auf Bahnhof“, Lindau 19. 9. 1998, Manus-kript S. 6 f; Vgl. Manfred Maurer „Bahnhof wichtig für denTourismus“, LZ 12.2.2003.

27 Markus Hehl Anm. 19, S. 52; ebenfalls dazu sehr informa-tiv Anm. 19 Hartmut Klust, S. 12 ff; zu allen Stilllegungenim Lkr. Lindau Anm. 17 Scharf/Wollny, S. 208 ff.

Karl Schweizer