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KARUNA e. V. ist eine HIlfsorganisation für Kinder und Jugendliche
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KARUNAZukunft für Kinder und Jugendliche
»KARUNA unterstützt junge Menschen bei ihren Bemühungen, ein Leben in Würde zu verwirklichen, ihre Persönlichkeit zu entfalten und damit aktiv an der Gemeinschaft teilzuhaben.«
Hannelore Elsner - Schirmherrin des KARUNA e. V.
Hannelore Elsner beim Besuch des KARUNA-DRUGSTOP-Mobils
Editorial
Der neue Namenszusatz des gemeinnützigen Trägers
KARUNA - Zukunft für Kinder und Jugendliche in Not e. V.
verdeutlicht einmal mehr den Schwerpunkt der Arbeit
unserer Hilfsorganisation: Perspektiven sollen nicht nur
aufgezeigt, sondern Alternativen zu den Erfahrungen
von Gewalt, Missbrauch und Drogenkonsum erfahrbar
gemacht werden. Ein Netzwerk von Angeboten und Hil-
feeinrichtungen hat das Ziel, die Mädchen und Jungen
zu eigenverantwortlichem Handeln und einem selbstbe-
wussten Leben zu führen.
Die Konzepte des KARUNA e. V. setzen dabei zunehmend
auf Prävention und Frühhilfe, sparen aber auch ambu-
lante Hilfe und stationäre Therapie, Bildungs- und Ar-
beitsangebote nicht aus.
Das vorliegende Heft stellt nur einen Ausschnitt aus
der Arbeit unserer Organisation dar. Es soll in Text und
Bild verdeutlichen, KARUNA hat sich verändert, hat auf
gesellschaftliche Veränderungen adäquat und zeitge-
mäß reagiert. Wir haben uns weiterentwickelt und sind
uns doch treu geblieben. Unverändert ist unser Engage-
ment für die verletzlichsten Mitglieder unserer Gesell-
schaft: die Kinder und Jugendlichen in diesem Land.
Auch Sie, liebe Leser können helfen!
KARUNA e. V.
Spendenkonto 3540607
bei der Bank für Sozialwirtschaft
BLZ 100 205 00
Oder unterstützen Sie dauerhaft unsere Arbeit
und werden auch Sie Fördermitglied.
Ihre
Kirsten Hager und Eric Moss,
Vorstand des KARUNA e. V.
Gabriela Schützler und Jörg Richert
Geschäftsführung des KARUNA e. V.
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Hilfe sofort
Christain Geurden steht am Anfang aller
Hilfen. Er ist derjenige bei KARUNA, den
die Jugendämter oder andere Institutionen
anrufen, der als erster von verzweifelten Eltern
kontaktiert wird und an den die Drogenberatungs-
stellen verweisen.
Es geht um Jugendliche, die nicht zur Schule ge-
hen, keine Berufsausbildung haben, problemvoll
Drogen konsumieren, bereits abhängig sind oder
andere Probleme im Zusammenhang mit Sucht-
mitteln haben.
Hier ist der KARUNA e. V. nun besser als bisher in
der Lage, für jeden Jugendlichen einen individuel-
len „Fahrplan“ zu erstellen.
Alle Beteiligten, wie Eltern, Jugendämter, die Be-
troffenen selbst und natürlich nicht zuletzt die Lei-
ter der KARUNA-Einrichtungen werden einbezogen.
So gelingt es, auf die Jugendlichen zugeschnittene
und mit den Arbeitspartnern abgestimmte Thera-
pieverläufe zu organisieren. Hierbei kann das ge-
samte Angebotsspektrum des KARUNA e. V. von
der Orientierungs- und Besinnungsphase über
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Christian Geurden im Gespräch
eine Entgiftung und Therapie bis hin zu Wohn- und
Bildungsangeboten einbezogen werden. Dieser
Hilfeverlauf ist nicht nur für die Kinder und Jugend-
lichen eine wirksame Chance, sondern auch eine
Alternative zu dem eher schlecht kooperierenden
Jugend- und Suchthilfesystem in Deutschland.
Eine Besonderheit dabei ist, dass Christian Geurden
mit seinem Projekt Personenbezogene Hilfen*
oftmals direkt in die Elternhäuser geht. In Erwei-
terung der traditionellen Auffassung von aufsu-
chender Straßensozialarbeit erfordert dies viel
Einfühlungsvermögen und Fingerspitzengefühl.
Hierfür ist immer eine persönliche Einladung der
Eltern Voraussetzung. Der so gewonnene Einblick
in das unmittelbare Umfeld ist von unschätzbarem
Wert für die Einschätzung der Situation des jewei-
ligen Mädchens oder Jungens. Viele Eltern und
ihre Kinder haben damit erstmalig die Chance,
einen realen Einstig in das Hilfesystem zu finden.
*Das Projekt Personenbezogene Hilfen wird unter-
stützt durch die Aktion Mensch
In der KARUNA-EInrichtung KOMMA 7
Von Farbfindern und Vielfarben
Die Arbeit des KARUNA-Projekts DRUGSTOP
ist facettenreicher geworden. Betritt man
die Räumlichkeiten der Einrichtung bemerkt
man sofort die kreative Atmosphäre in den neu ein-
gerichteten Werkstätten Farbfinder und Vielfarben.
Konzentriert arbeiten Jugendliche an Nähmaschi-
nen, schrauben an Fahrrädern, bedrucken T-Shirts
oder bemalen Keramik. Mädchen und Jungen, die
vor kurzem noch auf der Strasse gelebt oder kei-
ne Kontinuität und Geborgenheit in ihren Familien
erlebt haben, sind hier täglich bei handwerklicher
und künstlerischer Tätigkeit anzutreffen.
Die Profilschärfung des DRUGSTOP-Konzepts war
mit dem Umbau der Arbeits- und Sozialsysteme in
diesem Land notwendig geworden. Mit der Durch-
setzung der Hartz-IV-Gesetzgebung wurden in den
Job-Centern zunehmend Jugendliche im Alter von
16 bis 21 Jahren auffällig, die vom Jugendhilfesys-
tem nicht erreicht oder abgewiesen und auch von
den Sozialämtern nicht mehr gefördert wurden. Die
Mitarbeiter der ehemaligen Arbeitsämter sahen sich
mit diesen Mädchen und Jungen überfordert. Die ur-
sprünglich für dieses Alter vorgesehenen Maßnah-
men von Berufsorientierung und Ausbildung kamen
für jene Jugendlichen kaum in Frage. Diese Jugend-
lichen haben in ihrem Leben oft Gewalt erlebt, die
sie nun mit ihrem Drogen- und Alkoholkonsum „ver-
gessen“ machen wollen. Weitere daraus resultieren-
de gesundheitliche Schädigungen, wie manifeste
psychische Erkrankungen, machten deutlich, dass
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anders geholfen werden muss. Das Job-Center Fried-
richshain-Kreuzberg fand sich geradezu in einer Vor-
reiterrolle wieder, als die ersten Gespräche und prak-
tischen Maßnahmen in der Zusammenarbeit mit dem
KARUNA e.V. zustande kamen.
Schon bald wurde klar, dass es Übergangsphasen
geben muss, die es den Mädchen und Jungen unter
sozial kompetenter Begleitung möglich machen, zur
Ruhe zu kommen und sich von Stress, Druck und Ver-
sagensängsten zu entkoppeln. So entstand das Kon-
zept der DRUGSTOP-Werkstätten in enger und sehr
kollegialer Zusammenarbeit mit den Jobcentern.
Den Mädchen und Jungen kreative Erfolge zu ermög-
lichen ist Schwerpunkt der Arbeit in den Werkstätten.
Geübt wird auch, wie man sich in einem Team verhält,
wie Konflikte gewaltfrei ausgetragen werden - in ei-
nem alkohol- und drogenfreien Umfeld.
Wenn man die ruhige und schöpferische Atmosphäre
der DRUGSTOP-Werkstätten erlebt, wird klar, dass der
Ansatz richtig ist. Dies haben auch weitere Jobcenter
und Jugendämter Berlins erkannt. Das erwachte Inte-
resse verschiedenster Bezirke hat dazu geführt, dass
es demnächst einen Umzug in größere Räumlichkei-
ten geben wird.
Angestrebt wird ein weiterer Ausbau des Konzeptes
mit einem Netz verschiedenster handwerklicher und
künstlerischer Werkstätten hin zu einer „Straßenkin-
der-Akademie“. Dieser Arbeitstitel, der vermeintlich
Unvereinbares in sich trägt, deutet es unmissver-
ständlich an: Wenn diese Kinder und Jugendlichen
ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten entdecken und ihre
Sucht- und Gesundheitsprobleme bewältigen, kön-
nen sie zu sich selbst finden und eine eigene positive
Identität entwickeln.
Bildung ist dann realistische Zukunft.
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Kunstfreunde für Straßenkinder
Vor gut 10 Jahren, als gerade ihr erstes Kind
geboren wurde, erfuhren Gabriele und
Joachim von Ribbentrop von der Situation
der Straßenkinder in Berlin.
Ohne lange zu überlegen beschlossen sie, diesen
Kindern und Jugendlichen direkt zu helfen und ihr
Projekt Streetkids ins Leben zu rufen.
Gemeinsam mit den Galeristen Gerd Harry Lybke
von der Galerie Eigen + Art und Ben und Hannes
Kuckei von der Galerie Kuckei + Kuckei organisier-
ten sie daraufhin Jahr für Jahr ein Kunstevent zu-
gunsten der betroffenen Kinder und Jugendlichen.
Zusammen mit den Galeristen wählen Gabriele
und Joachim von Ribbentrop Künstler aus, die
Kunstwerke eigens für diese Veranstaltung schaf-
fen und verkaufen. Der Erlös kommt den KARUNA-
Hilfsprogrammen zugute, wie zuletzt beim Aus-
bau des DRUGSTOP-Mobils. Mit diesem Kleinbus
versorgen die Mitarbeiter Straßenkinder in Berlin
u. a. mit Essen und Trinken. Mitfinanziert wurden
in den letzten Jahren auch die Kreativwerkstatt
Vielfarben und die Ausstattung der Cleanklasse,
eine KARUNA-Einrichtung zum Nachholen von
Schulabschlüssen.
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Das DRUGSTOP-Mobil des KARUNA e. V.
Mit Hilfe der Familie von Ribbentrop ausgestattet: die KARUNA-Einrichtung CLEANKLASSE
Das Gesamtkonzept von KARUNA sei sehr schlüs-
sig, meint Gabriele von Ribbentrop. Sowohl die
medizinische und therapeutische Hilfe als auch
den Ausbau der Präventionsarbeit findet die aus-
gebildete Ärztin sehr sinnvoll.
Gemeinsam mit KARUNA entstand dabei die Idee,
einen Nothilfefond für Kinder, Jugendliche und
Familien zu gründen. Unter Nutzung des Engage-
ments und der Kontakte der Familie von Ribben-
trop und ihrer Freunde wäre es damit möglich,
Spenden zu sammeln und somit in dringenden
Fällen sofort zu helfen.
Immer wieder kommt es vor, dass Eltern das Schul-
geld für einen Platz in unserer integrativen Grund-
schule nicht aufbringen können oder Jugendämter
nicht in der Lage sind, therapeutische Unterbrin-
gungen zu finanzieren. In diesen Situationen kann
der Soforthilfefond schnell und unbürokratisch
Hilfe leisten.
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KARUNA macht Schule
Emil ist Detektiv, wie der Name schon sagt.
Darüber hinaus ist er einer der ersten Schü-
ler der neuen Integrativen Montessori-
Grundschule-Pankow des KARUNA e. V.
Emil geht in den Unterrichtspausen gern auf Ent-
deckungsreise durch die Flure des frisch sanierten
roten Backsteinbaus und ist wie viele andere seiner
Mitschüler auch häufig im Kindercafé STERNEN-
WIESE auf dem Hof der Schule anzutreffen. Hier
„managen“ Kinder und Eltern den Café-Betrieb
derzeit noch gemeinsam, stehen hinter dem Tresen
und verkaufen Kuchen, Kekse und andere Leckerei-
en. Die Schüler lernen auf diesem Weg praktisch
und aktiv den Umgang mit Mengen und Zahlen.
In Zukunft sollen dann die Eltern die Gäste sein.
Dieses Beispiel ist exemplarisch für das Bildungs-
konzept Maria Montessoris, dem KARUNA mit
der Einrichtung seiner Schule folgt: Es geht vom
Grundvertrauen in die Kinder aus. Denn Kinder
sind keine passiven, rezeptiven Wesen, die im
45-Minutentakt mit vorsortiertem Wissen gefüllt
werden wollen. Sie sind Persönlichkeiten mit gro-
ßer Eigenaktivität und Konzentrationsfähigkeit,
die eine kaum zu bändigende Lernbereitschaft be-
sitzen, die es zu unterstützen und zu fördern gilt.
Maria Montessori sprach vor nunmehr 100 Jah-
ren vom inneren Bauplan über den jedes Kind
verfügt. Es gibt Perioden mit einer besonderen
Empfänglichkeit, also Sensibilität für bestimmte
Lernvorgänge und Umwelteinflüsse. Diese sen-
siblen Lernphasen sind optimal für ganz bestimm-
te Funktionen, die Umwelt zu beherrschen und
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Das Motiv des Kindercafés STERNENWIESE
sich mit ihr auseinander zu setzen. So lernen Kin-
der Lesen, Verben beugen, Rechnen etc. fast von
„allein“, durch Beobachtung und dem eigenen For-
scherdrang sowie dem Willen nach Nachahmung.
Dies geschieht in einem demokratischen Erzie-
hungsstil, innerhalb dessen die Kinder befähigt
werden, sich gegenseitig zuzuhören und die Kom-
petenz zu erlangen, Probleme in ihrer Lerngruppe
anzusprechen und gemeinsam nach Lösungswe-
gen zu suchen.
Schon die untersten Jahrgänge können selbständi-
ge Entscheidungen treffen und Verantwortung für
ihr Lernpensum und ihre Mitschüler übernehmen.
Die Idee, mit KARUNA eine Schule zu gründen
reifte nach mehreren Jahren erfolgloser Versu-
che, moderne Präventionsansätze in vorhandene
Schulstrukturen zu integrieren. Die pragmatische
Umsetzung des Gedankens, Prävention und Integ-
ration von Beginn an zum Bestandteil eines realen
Schulbetriebs zu machen, konnte nur mit einem
eigenen Projekt gelingen. Die hier gemachten
Erfahrungen und Erkenntnisse sollen künftig in
weitere Vorhaben des KARUNA e. V. im Bildungs-
bereich einfließen.
Denn darüber sind wir uns bei KARUNA einig,
effektive Präventionsarbeit mit allen Facetten,
einschließlich Frühintervention und sozialer Inte-
gration ist nur über die Institution Schule möglich.
Erfolgreiche Sozialarbeit im Kinder und Jugend-
bereich anderer europäischer Staaten beweist,
dass eine enge Anbindung an die traditionellen
Bildungsträger unumgänglich ist. Allerdings ist
es dringend geboten, umzudenken und bereit zu
sein, eingefahrene Wege zu verlassen.
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Parcours Champions
Spannung liegt über den Räumen des
KARUNA PR|EVENTS-Zentrums in der Frank -
furter Allee. Rund 250 Berliner Schülerin-
nen und Schüler sehen mit wachsender Aufre-
gung der Verkündung der diesjährigen CHAMPION
AWARDS des Tabakpräventionsparcours „Rauchst
du noch oder lebst du schon“ entgegen.
Als Moderator Alexander Troppa endlich die ers-
ten Preisträger bekannt gibt, entlädt sich die
gespannte Erwartung im Saal in Jubel, Applaus
und gelegentlichem Füßestampfen.
Voller Stolz nehmen die Repräsentanten der
jeweiligen Gewinnerklassen die begehrten Tro-
phäen entgegen und präsentieren unter lautstar-
kem Beifall - aber auch gelegentlichen Buhrufen
der Konkurrenz - die AWARDS und die Urkunden
mit den Fotos der Siegergruppen. Es herrscht eine
ausgelassene Stimmung…
Mit diesen Faktoren - dem Setzen auf Spaß, Aktivi-
tät und spielerischen Ehrgeiz - hat KARUNA in den
letzten zwei Jahren im Suchtpräventionsbereich
den Durchbruch erreicht.
Rund 40.000 Schüler der Klassenstufen 5 bis 10
durchlaufen jedes Jahr die beiden Mitmachpar-
cours „Volle Pulle Leben - auch ohne Alkohol“
und „Rauchst du noch oder lebst du schon“.
Die Arbeit des jungen KARUNA PR|EVENTS-Teams
um Projektleiter Holger Hönck hat es erstmals
ermöglicht, dem Thema Suchtprävention ein neu-
es interessantes Image zu geben. Das Konzept
Spannend: Der KARUNA-Präventionsparcours VOLLE PULLE LEBEN - AUCH OHNE ALKOHOL!
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An der Parcours-Station DRUNKBUSTER
baut auf persönliche Ansprache und Wettstreit der
Kinder und Jugendlichen. Für die Parcours-Besucher
steht der virtuelle Wettbewerb im Vordergrund. Die
Punktzahlen der einzelnen Wissensstationen sind heiß
umkämpft. Gleichzeitig aber werden fast unmerklich
Wissenslücken z. B. über das Gefahrenpotential von
Alkoholabhängigkeit oder Schadstoffen im Tabakrauch
geschlossen. Schüler und Lehrer begrüßen ausdrück-
lich die Einheit von Entertainment und Lerneffekt.
Erfreulicherweise ist zu beobachten, dass oft nach
dem ersten Besuch gleich ein zweiter Termin verabre-
det wird.
Zusammen mit dem in der Entwicklung befindlichen
dritten Mitmachparcours zum Thema Gesunde Ernäh-
rung und Bewegung will KARUNA zukünftig erreichen,
dass Berliner Schulklassen alle 3 Parcours durchlau-
fen und sich somit dem Feld der Prävention als Ge-
samtthema widmen.
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Warum wir uns einmischen werden...
Warum wir uns zukünftig stärker in politische Zusammenhänge einmischen
werden? Aus Effektivitätsgründen.
Die von KARUNA ins Leben gerufenen Projekte und Einrichtungen sind mit
wachsenden Zahlen und zunehmend härteren Fällen von Problemen der Kinder und
Jugendlichen konfrontiert. Wir glauben, dass es für unsere zukünftige Betreuungsar-
beit eine Katalysatorwirkung haben wird, wenn wir uns mit den Ursachen von Fehl-
entwicklungen beschäftigen.
Fast wöchentlich sind wir konfrontiert mit Fällen von Vernachlässigung, Verwahrlo-
sung und psychischen Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen. Die Statistik be-
legt, dass in Deutschland alle 4 Tage ein Kind getötet wird. Eine Häufung von Fällen,
die Betroffenheit auslösen und die Frage aufwerfen: Wie konnte das passieren? Es
gibt darauf keine einfachen Antworten. Aber klar ist auch: Ein wesentlicher Grund
ist darin zu sehen, dass die Kinder- und Jugendproblematik seit den 90er Jahren das
„Stiefkind“ einer jeden Haushaltsdebatte ist.
Fast groteske Züge nimmt der Zustand der Jugendhilfe in Berlin an. Ein seit Jahren
währender Reformprozess hin zu einer Sozialraumorientierung, die im Grundsatz völ-
lig richtig ist, wurde benutzt um dem Jugendhilfesystem über 160 Millionen Euro zu
entziehen.
Das einst funktionierende System zur Hilfe von in Not geratenen Familien ist nahezu
handlungsunfähig - knocked out!
Dies ist keine dramatische Übertreibung. Praxis ist z. B., dass die aus dem Berliner
Landeshaushalt zur Verfügung gestellten Mittel massiv zweckentfremdet werden.
Statt ihrer vorgesehenen Verwendung werden Haushaltslöcher der Bezirke damit
gestopft und gleichzeitig Mitarbeiterstellen der zuständigen Ämter gekürzt. Die mitt-
lerweile hauchdünne Finanz- und Personaldecke von Jugendämtern hat nicht nur zur
Folge, dass Mitarbeiter teilweise 100 bis 150 Familien betreuen müssen, sondern
führt auch zu Verunsicherung und Verwirrung in den Sozialräumen sowie zur Schlie-
ßung von Einrichtungen und Projekten.
Politiker auf Bundesebene bringen Diskussionen um neue gesetzliche Regelungen
ins Spiel, Kinderrechte sollen gar im Grundgesetz verankert werden. Wir sagen: Es
gibt diese gesetzlichen Grundlagen bereits seit Jahrzehnten! Das Deutsche Kinder-
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und Jugendhilfegesetz (KJHG) hat weltweit Vorbildcharakter. Was hilft es aber, wenn
es auf Grund von Haushaltslagen Gang und Gebe ist, diese Gesetze, gelinde gesagt,
zu beugen. Jugendsamtsleiter und andere Verantwortungsträger kommen nicht um-
hin, Rundschreiben herauszugeben mit Wortlauten wie: „...Ab sofort keine Hilfen
mehr an....!“ - „ ...Keine Hilfen über 100 Euro...! - „...Kleinstkinder aus Kinderheimen
herausnehmen, sofort! ... in die Herkunftsfamilien umsetzen ... nur bei Fällen von
akuter Kindswohlgefährdung an den Kindernotdienst verweisen...!“ usw.
Hier werden Rechtsbrüche begangen und - da es keine Lobby für Kinder und Jugend-
arbeit gibt - auch nicht geahndet.
An diesem Punkt wollen wir ansetzen. Mittels unserer Erfahrungen sowohl an sozia-
len Brennpunkten wie auch im Präventionsbereich gelingt es uns in der letzten Zeit
zunehmend besser, mit politisch Verantwortlichen ins Gespräch zu kommen und Kau-
salitäten klar zu machen. Diskussionen offenbaren elementare Dinge, die so man-
chem, der in die Tagespolitik involviert ist, erst jetzt klar werden: Präventionsarbeit,
Frühintervention, Beziehungsarbeit sind Investitionen in die Zukunft. Andersherum
gesehen: Nimmt man den Jugendlichen Jugendfreizeitheime, die Arbeitsgemein-
schaften an den Schulen, die Probenräume ... wird man in 5 - 10 Jahren bitter dafür
bezahlen. Zunehmende Jugendgewalt, Verwahrlosung, Drogen- und Alkoholmiss-
brauch sind an der Tagesordnung, die einzig relevante „Beziehungsarbeit“ wird dann
von der Polizei geleistet.
Für rechtspopulistische Parteien wie der DVU oder der NPD erleichtert ein solches
kinder- und jugendpolitisches Desaster den Zugang zu den verunsicherten und zu-
rückgelassenen Jugendlichen.
Es mangelt uns nicht an Ideen, an Vorschlägen. KARUNA hat sich immer durch Un-
konventionalität und Kreativität ausgezeichnet.
Das und unsere Erfahrungen sind es, was wir stärker in die politische Diskussion mit
einbringen werden.
Wir sagen nicht pauschal: Gebt mehr Geld in die Kinder und Jugendarbeit... Wir sa-
gen: Lasst uns überlegen, wie wir die Mittel sinnvoll und zweckgebunden einsetzen.
Menschen und Berufsgruppen, die in diesem gesellschaftlichen Feld arbeiten, dürfen
nicht zerrieben werden. Ein großer Teil der direkten Arbeit mit den Kindern, Jugendli-
chen und Familien sollte von NGOs qualifiziert geleistet werden. Die Mitarbeiter der
Jugendämter sollten sich auf die Qualitätssicherung konzentrieren.
Das System der Jugendhilfe kann wieder funktionieren wenn es Finanzierungssicher-
heit gibt.
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»Punks and Dogs« - ein Gemeinschaftsprojekt des Job-Center Friedrichshain-Kreuzberg
mit dem KARUNA e. V.
Auszüge aus einem Brief des KARUNA e. V. an den Bundespräsidenten Horst Köhler
Sehr geehrter Herr Bundespräsident,
mit großer Sorge um die strukturelle Krise der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland möchte ich mich an Sie wenden. Die
schrecklichen Ereignisse der letzten Tage, Wochen und Monate, die sich in den Familien unseres Landes abspielen und die Kinder
und Jugendliche auch mit ihrem Leben bezahlen müssen, sind auch Auswirkungen veralteter Strukturen der Jugendämter, der
ernormen Verknappung finanzieller Mittel und einer sich etablierenden Mentalität in breiten Kreisen aller Hilfesysteme, dass
vor allem Jugendliche ihre Chancen auf Integration selbst verwirkt hätten. Ihnen wird mit dem Hinweis auf ihr Alter keine oder
nur unzureichende Hilfe gewährt… Das Jugendamt sieht sich nicht mehr in der Pflicht. Das ist nicht die Haltung der dort tätigen
MitarbeiterInnen, sondern die Auswirkung eines vielschichtigen Drucks, der die SozialarbeiterInnen der Jugendämter gegen ihr
Gewissen entscheiden lässt.
Diese Handlungen sind nicht nur ein klarer Verstoß gegen unser Kinder und Jugendhilfegesetz, sondern gefährden letztendlich
den sozialen Frieden und schwächen die Demokratie. Diese zurückgelassenen Mädchen und Jungen, oft psychisch erkrankt,
suchtmittelabhängig und ohne Schulabschluß, können an der Entwicklung unserer Gesellschaft nicht teilhaben…
Im Namen aller von uns betreuten Kindern, Jugendlichen und Familien, im Namen aller bei uns ehrenamtlich tätigen Bürger und
unserer MitarbeiterInnen möchte ich Sie sehr herzlich bitten, das Thema des Umgangs mit - und der Fürsorge für - benachtei-
ligte Kinder, Jugendliche und deren Familien in die Öffentlichkeit zu tragen um somit eine ethische, eine moralische Diskussion
anzustoßen und zu verstärken.
Sehr geehrter Herr Bundespräsident, darf ich sie einladen sich in Berlin eine unserer Jugendhilfeeinrichtungen anzusehen, um
gemeinsam ins Gespräch zu kommen?
Ihre Aufmerksamkeit wäre uns eine unschätzbare Hilfe und würde dazu beitragen, diese Kinder und Jugendlichen öffentlich
wertzuschätzen.
Haben Sie herzlichen Dank für ihre Aufmerksamkeit,
Ihr Jörg Richert
Mitgründer und Geschäftsführer
des KARUNA - Zukunft für Kinder und Jugendliche in Not e. V.