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(K)ein Kompromiss - Reformation in Ravensburg

(K)ein Kompromiss - Reformation in Ravensburg · Martin Luther Martin Luther eröffnet im Jahre 1517 durch seine 95 Thesen das Reformationszeitalter. Seine Thesen zielten v.a. gegen

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(K)ein Kompromiss - Reformation in Ravensburg

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Küchenliederleute, Mitglieder aus der Erzähl- und Schreibwerkstatt lauschen interessiert den Ausführungen von Dr. Schmauder.

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Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ichwar durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremdund obdachlos und ihr habt mich aufgenommen;36 ich war nackt und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich warkrank und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis und ihrseid zu mir gekommen. Matthäus 25, 35 - 36

Dieses Bild befindet sich im Hl. Geist-Spital der StadtRavensburg. Es beschreibt die Vorstellungen der Menschen imMittelalter mit all ihren Sorgen, Sehnsüchten und Ängsten vordem Tod.

Der nebenstehende lateinische Text aus Mt 25,35-36 lautet übersetzt:

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Das Leben der Menschen jener Zeit war in hohem Maße von Religion und Kirche geprägt. Die Kirche forderte von ihren Gläubigen Gottesfürchtigkeit,Nächstenliebe und wies jedem einen Platz in der von Gott gegebenen Ständeordnung zu. Die Sprache der Kirche war Latein, Glaubensinhalte wurdenmittels eines umfangreichen Bildprogramms in Kirchenfenstern und auf Wandgemälden vermittelt.Die Anrufung von Schutzheiligen gehörte zum Alltag der Menschen. Sie lebten in einer Glaubensvorstellung, dass sie durch Werke der Barmherzigkeit,die Fürbitte im Gebet oder den Erwerb von Ablassbriefen von der irdischen Sündenlast befreien werden konnten, um Seelenheil zu erlangen.

Hl. Stephan Maria mit dem Kind Hl. Papst Silvester

Im Mittelalter waren die Heiligenallgegenwärtig, im Gottesdienst, beiHeiligenfesten und Prozessionen. IhreLebensbeschreibungen waren vielenGläubigen bekannt. In allen Lebenslagen,von der Geburt bis zum Tod, wandte mansich an sie. Bei Krankheiten – obGeburtswehen, Halsschmerzen, Magen-leiden oder Todesängsten – rief man siean und richtete seine Gebete an sie.Hohen Stellenwert kam den 14Nothelfern zu.

Das angstvolle und bedrängende Leben der Menschen im Mittelalter

Durch die Fürsprache eines Heiligenerhoffte man sich göttliche Gunst.Angebetet wurden auch die Reliquieneines Heiligen. Verehrung fandeninsbesondere die Knochen oderBlutstropfen eines Heiligen, die mansammelte und auf verschiedenen Kirchenverteilte. Auch glaubte man, dass vonden Reliquien eine schützende undheilende Kraft ausging.

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Bischöfliche Ablassurkunde von 100 Tagen. (1484, befindet sich im Besitz des Stadtarchivs)

Mit dieser Ablassurkunde sicherten gleichmehrere hohe Würdenträger all denjenigen100 Tage Nachlass von Sündenstrafen zu, diean bestimmten Feiertagen die Kapelle desHeilig-Geist-Spitals Ravensburg zum Gebetbesuchten und mit Almosen zum baulichenUnterhalt des Spitals und seiner Kapelle, zurFörderung des Gottesdienstes und zurBeschaffung von Bettzeug für die Armen imSpital beitrugen.

Der Ablassbrief war eine indirekte Belobigung der Stadt Ravensburg durch das römische Papsttum für die Mitwirkung der Stadt bei der frühen „Hexen-verfolgung“ des Jahres 1484 und Unterstützung des päpstlichen Inquisitors Heinrich Institoris. Außerdem sollte durch solche Almosen die Peterskirche in Romgebaut werden.

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Martin Luther

Martin Luther eröffnet im Jahre 1517 durch seine 95 Thesen das Reformationszeitalter. SeineThesen zielten v.a. gegen den Ablass und die Praxis des Ablasshandels. Außerdem strebte er einegrundlegende Erneuerung der ganzen Kirche an. Seine 95 Thesen fanden in der Bevölkerunggroße Zustimmung. Luther widersetzte sich auch der Ämterhäufung bei Geistlichen, Heiligen-und Reliquien-Verehrung. Auch den Zölibat lehnte er ab. Papst Leo X. exkommuniziert ihn 1521und wenig später belegt ihn Kaiser Karl V. mit der Reichsacht. Luther hatte nämlich seine Thesenauf dem Wormser Reichstag nicht widerrufen.

Auf die Wartburg hatte ihn sein Landesherr, Kurfürst von Sachsen, in Sicherheit gebracht. Hier übersetzte er die Bibel in eine Sprache, die auch das einfache Volk verstehen konnte. Letzten Endes führte die Veröffentlich der 95 Thesen und die Bibelübersetzung zur Spaltung der Kirche.

Bildarchiv Preußischer KulturbesitzOriginal: Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum

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Mit den drei sogenannten reformatorischen Hauptschriften entwickelte Martin Luther ein theologisches Programm, das die Grundlage des späteren Luthertums bildete.

➢ Reform des Papsttums und des kirchlichen Lebens insgesamt➢ des Klosterlebens➢ der Messe ➢ des Ablasswesens➢ Reform der Sakramente mit Beschränkung auf Taufe Abendmahl, Buße➢ Betonung der Freiheit eines Christenmenschen gegen alle Autoritäten➢ Der Kirchenstaat, das Bischofsamt, das Sakrament der Priesterweihe und der

Zölibat sollten abgeschafft werden➢ Die Geistlichen sollen nur den Gottesdienst und den Schulunterricht der

Gemeinde leiten

Mit dem neuen Massenmedium Buchdruck, fand das theologische Programm Luthers enorme Verbreitung.

Das theologische Programm Martin Luthers

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Diese Bibel-Ausgabe von 1729 befindet sich im Stadtarchiv der Stadt Ravensburg.

Ravensburg wird evangelische Reichsstadt

Im Jahre 1546 führten Bürgermeister undRat auf Drängen der zünftischen Bürger-schaft die Reformation in Ravensburg ein.Zunächst gestatteten sie dem Helfer KonradKonstanzer gegen den Willen des Pfarrersvon Liebfrauen und des Abts vonWeingarten in evangelischem Sinne zupredigen und traten schließlich demprotestantischen Schmalkaldischen Bundbei. Damit war Ravensburg evangelischeReichsstadt geworden und verpflichtete sichder lutherischen Reformation. Durch dieRücken-deckung des SchmalkaldischenBundes gestärkt, erfolgte seit April 1546 dieAuflösung der „Papstkirche“ in der Stadt:altgläubige Geistliche wurden entlassen,altgläubige Riten und Zeremonien abge-schafft, in der Karmeliterkirche fandenlutherische Gottesdienste statt, das Klosterwurde aufgehoben.

Eine zentrale Rolle bei der Einführung derReformation in Ravensburg spielte dieBefragung der Pfarrer, Kapläne und kath.Helfer durch den Rat der Stadt. Er wollteeindeutig wissen, ob sie sich der Refor-mation anschließen, das Zusammenlebenmit ihren Haushälterinnen unterbinden undsich der christlichen Ordnung gemäß ver-halten wollen. Von elf zitierten Geistlichenwollten sechs dem alten Glauben treubleiben. Sie mussten sogleich die Reichs-stadt binnen acht Tage verlassen.Andere, wie der Pfarrer von St. Jodokversuchten beiden Seiten gerecht zuwerden.Jetzt stand der Rat der Stadt vor demProblem nicht genügend Pfarrer für die neueLehre bereitzustellen.

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Die Confessio Augustana, auch Augsburger Bekenntnis, 1530 genannt.Diese Ausgabe befindet sich im Stadtarchiv

In diesem Schreiben ist das grundlegendeBekenntnis der lutherischen Reichsstände zuihrem Glauben geregelt. Noch heute gehört eszu den verbindlichen Bekenntnisschriften derlutherischen Kirchen.

Die Auswirkungen der Reformation auf die Stadt Ravensburg

Ravensburg, 1546

Evangelisch

Katholisch

Gezwungenermaßen evangelisch

1 Fahne entspricht 20 Einzelpersonen.

Die Freie Reichsstadt Ravensburg wird, auf Beschluss des Stadtrates,evangelisch, mit all den daraus sich ergebenden Konsequenzen. DieKarte zeigt dies sehr anschaulich.

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LiebfrauenkircheHerrenstraße

Ravensburg ist auf Beschluss des Rates der Stadt 1546 überwiegend evangelisch.

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Zuchtordnung

Im Jahre 1546 erließ der Rat der Stadt, zum Abschluss der reformatorischenMaßnahmen, eine Zuchtordnung, die das politische Gemeinwesen durch Gesetzund Zucht zur Ehre Gottes „verchristlichen“ sollte. Die Ordnung enthielt Artikelgegen Schwören, Fluchen, Spielen, Ehebruch und vieles andere mehr. Darüberhinaus regelte sie die Einrichtung dauerhafter Institutionen, die denErziehungsgedanken der Ordnung begleiten sollte.Diese Zuchtordnung legte die Grundlagen für ein geregeltes Schulwesen, einzentrales Anliegen der Reformatoren, dass alle Christen die Bibel selbst lesenkonnten. Ravensburg erhielt eine deutsche Knabenschule und eine Lateinschule.Auch das Fürsorgewesen wurde neu geregelt:Alle Stiftungen, Jahrtage und Vermögen von Bruderschaften flossen in einen„Kasten“, von dem aus der Rat Almosen nach Bedürftigkeit zuteilte.

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Die Einführung des Katechismus

Das Fundament für eine eigene lutherischeLandeskirche in Ravensburg war mit derEinführung eines speziellen RavensburgerKatechismus geschaffen. Bürgermeister undRat beauftragten – zur Verankerung derneuen evangelischen Lehre – denevangelischen Prediger Thomas Lindnereinen Katechismus – ein Handbuch zurUnterweisung in den Grundfragen derneuen evangelischen Lehre - zu verfassen.

Damit sollte das Bekenntnis zu neuenGlaubenssätzen eingeübt werden. Lindnerfasst in seinem Ravensburger Katechismusden gesamten Glaubensinhalt in Frage- undAntwortform zusammen, in dem er auchkomplexe Fragestellungen wie die nach demAbendmahl treffend beantwortet: „Was istdas Sakrament des HL. Abendmahls? Es istder wahre Leib und das wahre Blut unseresHerrn Jesu Christi, unter dem Brot undWein, uns Christen, zu Essen und Trinken,von Christus selbst eingesetzt.“

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Ravensburg, 1555

Evangelisch

Katholisch

1 Liebfrauenkirche2 St. Jodok3 Franziskanerinnen4 Ev. Stadtkirche/

Karmeliter

1 Fahne entspricht 20 Einzelpersonen.

Durch politische- und militärische Veränderungen gestaltete sich die Lage in der Stadt im Jahre 1555 neu, wie die Karte zeigt.

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Verhinderung der ReformationKaiser Karl V. stärkt die Katholiken in Ravensburg

Nach den militärischen Erfolgen im Schmalkaldischen Krieg versuchte Kaiser Karl V.mit allem Nachdruck, die reformatorischen Errungenschaften wieder rückgängig zumachen. Als Stadtherr befahl er den Ravensburgern, die katholische Minderheitanzuerkennen und katholische Messen wieder einzuführen. Mit dem Interim zwanger die Stadt Ravensburg, das katholische Leben wieder vollumfänglich zuzulassen.Sein Ärger richtete sich vor allem gegen die Zunfthandwerker, welche dieReformation mit aller Macht unterstützt und gefördert hatten.Mit einer Verfassungsänderung löste er die Zünfte und deren Zunfthäuser auf undverschaffte den überwiegend katholischen Patriziern eine Mehrheit im Stadtrat.

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Zwei Konfessionen in einer Stadt

Im Jahre 1548 ließ Kaiser Karl V. inRavensburg und den anderen Reichs-städten die volle Ausübung deskatholischen Lebens wieder ein-führen. Dies war deswegen möglichgeworden, weil die kaiserlichenTruppen im Krieg gegen dieevangelischen Fürsten und Reichs-städte die Oberhand gewonnenhatten.Die Bürgermeister und Ratshäuserwurden mehrheitlich mit Katholikenbesetzt. Das kaiserliche Vorhabenscheiterte jedoch wenig später anden militärischen Erfolgen derevangelischen Seite.2016: Das Nebeneinander der Konfessionen in Zahlen

Die freie Reichsstadt Ravensburgsetzte auf religiöse Neutralität, aufein Nebeneinander, zwischen beidenKonfessionen. Im Augsburger Reli-gionsfrieden entschied sich Ravens-burg mit Augsburg, Biberach undDinkelsbühl für die Ausnahme-regelung des Simultanstädteartikels,die ihrem Status quo entsprach:Gleichberechtigung für evangelischund katholisch. Die 1555 festgelegteBikonfessionalität bestimmte überJahrhunderte das Leben inRavensburg.

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EndeDie vielfältigen Informationen habe ich der Sonderausstellung des Museum Humpis - Quartier in Ravensburg entnommen.Kurator: Prof. Dr. Andreas Schmauder

(K)ein Kompromiss - Reformation in Ravensburg 28. Oktober 2016 bis 16. März 2017

Herbert Stoll