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1 Ken Ludwig Otello darf nicht platzen (Lend me a tenor) Eine Farce Deutsch von Ursula Lyn E 352 Bestimmungen über das Aufführungsrecht des Stückes Otello darf nicht platzen (E 352) Dieses Bühnenwerk ist als Manuskript gedruckt und nur für den Vertrieb an Nichtberufsbühnen für deren Aufführungszwecke bestimmt. Nichtberufsbühnen erwerben das Aufführungsrecht aufgrund einer entsprechenden Vereinbarung mit dem Deutschen Theaterverlag, Postfach 10 02 61, D-69 442 Weinheim, und durch den Kauf der vom Verlag vorgeschriebenen Rollenbücher sowie die Zahlung einer Gebühr bzw. einer Tantieme. Diese Bestimmungen gelten auch für Wohltätigkeitsveranstaltungen und Aufführungen in geschlossenen Kreisen ohne Einnahmen. Unerlaubtes Aufführen, Abschreiben, Vervielfältigen, Fotokopieren oder Verleihen der Rollen ist verboten. Eine Verletzung dieser Bestimmungen verstößt gegen das Urheberrecht und zieht zivil- und strafrechtliche Folgen nach sich. Über die Aufführungsrechte für Berufsbühnen sowie über alle sonstigen Urheberrechte verfügt der Gerhard Pegler Bühnenverlag, Athener Platz 8, 81545 München. Für die einmalige Aufführung dieses Stückes ist der Kauf von 9 Textbüchern und die Zahlung einer Gebühr vorgeschrieben. Zusätzliche Rollen können zum Katalogpreis nachbezogen werden. PERSONEN MAX - "rechte Hand" des Operndirektors MAGGIE - Freundin von Max, Tochter des Operndirektors SAUNDERS - Direktor der Städtischen Oper Cleveland TITO MERELLI - ein weltberühmter Tenor, von seinen Fans auch "Lo Stupendo" genannt MARIA - Titos Frau PAGE - ein Page DIANA - eine Opernsängerin JULIA - Vorsitzende der Operngilde ORT UND ZEIT DER HANDLUNG Eine Hotelsuite in Cleveland, Ohio, im Jahre 1934 ERSTER AKT Szene 1: Früher Nachmittag an einem Sonnabend im September Szene 2: Vier Stunden später ZWEITER AKT Szene 1: Derselbe Abend, gegen 23 Uhr Szene 2: Eine Viertelstunde später ERSTER AKT ERSTE SZENE Eine elegante Suite in einem um die Jahrhundertwende erbauten Luxushotel europäischen Stils in Cleveland, Ohio. Früher Nachmittag im September 1934. Zwei Zimmer: ein Salon (rechts) und ein Schlafzimmer (links) mit einer Verbindungstür, die sich ins Schlafzimmer hinein öffnet. In jedem Zimmer hinten eine Tür zum Korridor. Im Salon ein großes Fenster zur (mehrere Stockwerke darunter gelegenen) Straße hinaus und eine Tür zur Kitchenette. Im Schlafzimmer zwei Türen an der linken Außenwand, von denen die hintere in einen Wandschrank, die vordere ins Badezimmer führt. Alles in allem sechs Türen. Hohe, stuckverzierte Decken in beiden Räumen. Die Ausstattung entspricht der Architektur: kostbare Möbel, gute Drucke und goldgerahmte Spiegel. Zur Einrichtung gehören ein Sofa, ein Sessel und ein Couchtisch im Salon und ein Bett und eine Spiegelkommode im Schlafzimmer. Im Salon eine Vase mit prächtigen Blumen, eine Schachtel Pralinen, eine gefüllte Obstschale und ein Radio. Sobald es hell wird, hören wir Musik: eine Schallplattenaufnahme der Arie "La donna e mobile" aus Verdis "Rigoletto", herrlich gesungen von einem Weltklasse-Tenor. In technischer Hinsicht läßt die Aufnahme einiges zu wünschen übrig. Die Salon/Korridortür ist nur angelehnt, die Verbindungstür weit offen. MAX, Anfang dreißig, etwas zerknautscht aussehend, ist im Schlafzimmer. Er geht unruhig hin und her, sieht auf seine Armbanduhr, rückt ein Bild gerade, seufzt. MAGGIE, Mitte zwanzig, sehr hübsch, sitzt im Salon wie hingegossen auf dem Sofa. Den Kopf im Nacken, lauscht sie verzückt der Musik, die, wie uns jetzt klar wird, aus dem Radio kommt. MAX: (über die Musik) Maggie -

Ken Ludwig September - dtver.de · 1 Ken Ludwig Otello darf nicht platzen (Lend me a tenor) Eine Farce Deutsch von Ursula Lyn E 352 Bestimmungen über das Aufführungsrecht des Stückes

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1

Ken Ludwig

Otello darf nicht platzen

(Lend me a tenor)

Eine Farce

Deutsch von Ursula Lyn

E 352

Bestimmungen über das Aufführungsrecht des Stückes

Otello darf nicht platzen (E 352)

Dieses Bühnenwerk ist als Manuskript gedruckt und nur

für den Vertrieb an Nichtberufsbühnen für deren

Aufführungszwecke bestimmt. Nichtberufsbühnen

erwerben das Aufführungsrecht aufgrund einer

entsprechenden Vereinbarung mit dem Deutschen

Theaterverlag, Postfach 10 02 61, D-69 442 Weinheim,

und durch den Kauf der vom Verlag vorgeschriebenen

Rollenbücher sowie die Zahlung einer Gebühr bzw. einer

Tantieme.

Diese Bestimmungen gelten auch für

Wohltätigkeitsveranstaltungen und Aufführungen in

geschlossenen Kreisen ohne Einnahmen.

Unerlaubtes Aufführen, Abschreiben, Vervielfältigen,

Fotokopieren oder Verleihen der Rollen ist verboten. Eine

Verletzung dieser Bestimmungen verstößt gegen das

Urheberrecht und zieht zivil- und strafrechtliche Folgen

nach sich.

Über die Aufführungsrechte für Berufsbühnen sowie

über alle sonstigen Urheberrechte verfügt der Gerhard

Pegler Bühnenverlag, Athener Platz 8, 81545 München.

Für die einmalige Aufführung dieses Stückes ist der Kauf

von 9 Textbüchern und die Zahlung einer Gebühr

vorgeschrieben.

Zusätzliche Rollen können zum Katalogpreis

nachbezogen werden.

PERSONEN

MAX - "rechte Hand" des Operndirektors

MAGGIE - Freundin von Max, Tochter des Operndirektors

SAUNDERS - Direktor der Städtischen Oper Cleveland

TITO MERELLI - ein weltberühmter Tenor, von seinen

Fans auch "Lo Stupendo" genannt

MARIA - Titos Frau

PAGE - ein Page

DIANA - eine Opernsängerin

JULIA - Vorsitzende der Operngilde

ORT UND ZEIT DER HANDLUNG

Eine Hotelsuite in Cleveland, Ohio, im Jahre 1934

ERSTER AKT

Szene 1: Früher Nachmittag an einem Sonnabend im

September

Szene 2: Vier Stunden später

ZWEITER AKT

Szene 1: Derselbe Abend, gegen 23 Uhr

Szene 2: Eine Viertelstunde später

ERSTER AKT

ERSTE SZENE

Eine elegante Suite in einem um die Jahrhundertwende

erbauten Luxushotel europäischen Stils in Cleveland,

Ohio. Früher Nachmittag im September 1934.

Zwei Zimmer: ein Salon (rechts) und ein Schlafzimmer

(links) mit einer Verbindungstür, die sich ins

Schlafzimmer hinein öffnet. In jedem Zimmer hinten eine

Tür zum Korridor. Im Salon ein großes Fenster zur

(mehrere Stockwerke darunter gelegenen) Straße hinaus

und eine Tür zur Kitchenette. Im Schlafzimmer zwei

Türen an der linken Außenwand, von denen die hintere

in einen Wandschrank, die vordere ins Badezimmer

führt. Alles in allem sechs Türen.

Hohe, stuckverzierte Decken in beiden Räumen. Die

Ausstattung entspricht der Architektur: kostbare Möbel,

gute Drucke und goldgerahmte Spiegel. Zur Einrichtung

gehören ein Sofa, ein Sessel und ein Couchtisch im

Salon und ein Bett und eine Spiegelkommode im

Schlafzimmer. Im Salon eine Vase mit prächtigen

Blumen, eine Schachtel Pralinen, eine gefüllte

Obstschale und ein Radio.

Sobald es hell wird, hören wir Musik: eine

Schallplattenaufnahme der Arie "La donna e mobile" aus

Verdis "Rigoletto", herrlich gesungen von einem

Weltklasse-Tenor. In technischer Hinsicht läßt die

Aufnahme einiges zu wünschen übrig. Die

Salon/Korridortür ist nur angelehnt, die Verbindungstür

weit offen.

MAX, Anfang dreißig, etwas zerknautscht aussehend, ist

im Schlafzimmer. Er geht unruhig hin und her, sieht auf

seine Armbanduhr, rückt ein Bild gerade, seufzt.

MAGGIE, Mitte zwanzig, sehr hübsch, sitzt im Salon wie

hingegossen auf dem Sofa. Den Kopf im Nacken, lauscht

sie verzückt der Musik, die, wie uns jetzt klar wird, aus

dem Radio kommt.

MAX:

(über die Musik)

Maggie -

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MAGGIE:

Schscht!

MAX:

(kommt in den Salon)

Stell's doch leiser! Man wird uns hier noch

rausschmeißen -

MAGGIE:

Sei still!

(MAX seufzt. Wieder sieht er auf die Uhr. Die Arie endet.

MAGGIE stöhnt vor Wonne)

ANSAGER:

Das, liebe Hörerinnen und Hörer, war die

unvergleichliche Stimme von Tito Merelli, die wir Ihnen

anläßlich seines persönlichen Auftretens heute abend in

der Städtischen Oper, Cleveland -

(MAX stellt das Radio ab)

MAGGIE:

Oh mein Gott. Oh mein Gott, ist er wunderbar. Bei

diesem letzten Ton ist es mir kalt den Rücken

runtergelaufen. Mir ist fast der Atem weggeblieben - dir

auch?

MAX:

Ich singe genausogut.

MAGGIE:

Also weißt du!

MAX:

Was heißt, "also weißt du"? Du hast mich doch gehört.

MAGGIE:

Ja. Du hast eine sehr hübsche Stimme.

MAX:

Hübsch?! Das glaube ich nicht! Mein Lehrer, der - dem -

dem kommen immer die Tränen -

MAGGIE:

Max -

MAX:

Jawohl. Jede Woche. Er - er - er würgt. Er schluchzt.

MAGGIE:

Aber du singst doch nicht wie Tito Merelli.

MAX:

Nein, natürlich nicht. Ich singe anders. Aber - aber

genausogut.

MAGGIE:

Unsinn. Mach dir doch nichts vor. Tito Merelli ist ein

Star. Er singt in der ganzen Welt. Er war auf dem

Titelblatt von "Life".

MAX:

Schon, aber -

MAGGIE:

Weißt du, wie viele Platten er gemacht hat?

MAX:

Okay, okay. Er ist ein - ein - ein großer Star.

Meinetwegen. Aber ich bin -

MAGGIE:

Was bist du, Max?

MAX:

Ich bin - ich bin wenigstens pünktlich.

MAGGIE:

(mitleidig)

Das bist du.

MAX:

Während er ein - ein - ein so großer Star ist, daß er - daß

er - ich meine, wo bleibt er, hä?

MAGGIE:

Er wird schon kommen.

MAX:

Er hätte vor drei Stunden hier sein sollen!

MAGGIE:

Na wenn schon.

MAX:

Er hat nicht mal angerufen!

MAGGIE:

Er ist ein Genie, Max. Genies befassen sich nicht mit

solchen Banalitäten. Nimm Einstein. Der vergißt seinen

eigenen Geburtstag.

MAX:

Ach so! Du meinst, man kann von ihm nicht erwarten,

daß er die Uhr kennt? ... "Tito. Wieviel Uhr ist es?" "Ich

weiß nicht, Mama. Ich übe meinen Puccini." "Tito, mein

Herzblatt - wenn der große Zeiger auf der Zwölf ist und

der kleine auf der Eins -"

MAGGIE:

Ich wollte damit nur sagen, es besteht kein Grund,

nervös zu werden.

MAX:

Für dich nicht. Du bist ja nicht verantwortlich.

MAGGIE:

Um deinen Job brauchst du keine Angst zu haben.

Daddy feuert dich nie, glaube mir. Dann hätte er ja

keinen, den er anbrüllen kann. Oder zumindest keinen,

der es sich so gefallen läßt wie du.

MAX:

Ja, ja, hack nur immer auf mir rum.

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MAGGIE:

Ich will dir doch nur helfen -

MAX:

Du solltest eigentlich gar nicht hier sein.

MAGGIE:

Pfff! Ich kann sehr wohl hier sein. Ich bin ein freier

Mensch.

MAX:

Ich habe meine Anweisungen.

MAGGIE:

Von Daddy?

MAX:

Genau.

(Sie verzieht das Gesicht)

Na und? Er ist schließlich mein Chef. Ich weiß gar nicht,

was du willst.

MAGGIE:

Er schikaniert dich, Max. Er schubst dich herum, daß es

einem die Schuhe auszieht.

MAX:

Mein Gott, er braucht das eben. Ich meine, er - er muß

doch in Übung bleiben. Für die anderen.

MAGGIE:

(inspiziert sich im Spiegel)

Wie seh ich aus?

MAX:

Hm! Fürchterlich.

MAGGIE:

Sag mal, was ist los mit dir?

MAX:

Mit mir? Was mit dir los ist, möchte ich wissen. Ich

meine, dieses Getue und Gehabe, bloß weil dieser Tito

Merelli kommt.

MAGGIE:

Was redest du ...?

MAX:

Da. Bitte. Du hast eine ganz piepsige Stimme vor

Aufregung.

MAGGIE:

Unsinn. Ich bewundere ihn, das wird ja wohl noch

erlaubt sein. Ich will ein Autogramm von ihm.

MAX:

Ach, so nennt man das. Sei doch wenigstens ehrlich.

Sag, du brennst darauf, ihn kennenzulernen.

MAGGIE:

(verplappert sich)

Wieso, ich kenn ihn doch schon.

MAX:

Du kennst ihn? Seit wann?

MAGGIE:

Seit vorigem Herbst. Als ich mit Daddy in Mailand war.

MAX:

Das hast du mir gar nicht erzählt.

MAGGIE:

War ja auch nichts weiter. Wir haben ihn in "Aida"

gesehen, und danach sind wir dann hinter die Bühne

gegangen.

MAX:

Und?

MAGGIE:

Gar nichts "und". Er stand hinterm Vorhang, in seinem

Lendenschurz, in Schweiß gebadet ... ganz allein. Na,

und dann hat er aufgeschaut und uns gesehen und ist

rübergekommen, und ... ach, ist ja ganz unwichtig.

MAX:

Er ist rübergekommen - und weiter?

MAGGIE:

Und hat meine Handflächen geküßt.

MAX:

Warum?

MAGGIE:

Ich nehme an, das macht man so in Italien.

MAX:

Und dann? Ich meine ... das war alles?

MAGGIE:

Ja.

MAX:

Ach so.

MAGGIE:

Mehr oder weniger.

MAX:

Wieso, was war noch?

MAGGIE:

Nichts weiter.

MAX:

Hat er noch was gemacht?

MAGGIE:

Er nicht. Ich.

MAX:

Du hast seine Handflächen geküßt?

MAGGIE:

Ich bin umgekippt.

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MAX:

Du bist umgekippt?

MAGGIE:

Es muß die Hitze gewesen sein. Ich weiß noch, wie ich

plötzlich dachte, mein Gott, das ist ja wie im Backofen

hier hinten - und wie er mich so komisch angestarrt hat,

als ob er's kommen sah, und dann ... hatte ich einen

Blackout.

MAX:

Na fabelhaft.

MAGGIE:

Ich hätt's dir nicht erzählen sollen.

MAX:

Genau. Wär auch besser gewesen.

MAGGIE:

Also dann vergiß es. Ich komme mir richtig gemein vor.

MAX:

Was glaubst du, wie ich mir vorkomme? Hä? Meine

Verlobte läßt sich von einem - einem verschwitzten

Italiener die Hände küssen und fällt in Ohnmacht.

MAGGIE:

Von der Hitze! Und ich bin nicht deine Verlobte, Max.

MAX:

(verdattert)

... Was redest du? ... Hab ich dich gefragt, ob du mich

heiraten willst oder nicht? Hä? Erinnerst du dich? Oder

hattest du vielleicht gerade einen Blackout?

MAGGIE:

Ich erinnere mich sehr gut, Max. Ich habe nein gesagt.

MAX:

Du hast gesagt, du wirst es dir überlegen.

MAGGIE:

Also schön, ich habe es mir überlegt, und die Antwort ist

nein.

MAX:

Überstürze es nicht. Es ist eine wichtige Entscheidung.

MAGGIE:

Max, ich bin ganz einfach noch nicht soweit. Ich will erst

noch was erleben. Irgendwas Aufregendes und ...

Romantisches.

MAX:

Das glaube ich nicht! Ist - ist Bootfahren um drei Uhr

früh vielleicht nicht romantisch, hä? Der Vollmond, das

schimmernde Wasser. Weit und breit keine Seele.

MAGGIE:

Du hast die Ruder verloren.

MAX:

Aber es hat doch Spaß gemacht! Du hast selbst gesagt,

es hat Spaß gemacht.

MAGGIE:

(achselzuckend)

Es war ganz nett.

MAX:

Und der Zoo? Was ist mit dem Zoo jeden Sonntag? Die

Affen - du guckst doch so gern den Affen zu. Und unser

kleines Kino? Und die Romméabende bei Tante Patty -?

MAGGIE:

Das meine ich nicht. Ich ... es hat noch nie bei mir

geschnackelt, Max.

MAX:

Geschnackelt?

MAGGIE:

Geschnackelt.

MAX:

Ich bitte dich seit drei Jahren - aber nein, du willst ja

nicht. Wie soll da was schnackeln?

MAGGIE:

Das meine ich nicht. Ich hab ganz einfach das Gefühl,

ich müßte ... ein bißchen Erfahrung sammeln.

MAX:

Ach so. Ich verstehe. Du meinst, wie Diana.

MAGGIE:

Diana?

MAX:

Desdemona. Sopran. Große -

(Deutet Busen an)

- große Stimme.

MAGGIE:

Ach die.

MAX:

Bei der hört's gar nicht auf zu schnackeln. Die schnackelt

sich durchs ganze Ensemble. Achte mal auf den Jago

heut abend. Der Mann ist total ausgelaugt.

MAGGIE:

Max -

MAX:

Er kriegt kaum die Beine hoch -

MAGGIE:

Max -

MAX:

Die Bühnenarbeiter geben sich schon ein Warnsignal,

wenn sie in Sicht ist.

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MAGGIE:

Max. Sein wir doch ehrlich. Wenn du mich küßt, hörst

du da je etwas?

MAX:

Nee. Doch ja - die Autohupe.

(Sie starrt ihn an)

Neulich. Weißt du nicht mehr? Als ich dich gegen das

Lenkrad gedrückt habe.

MAGGIE:

Nicht doch. Ich meine, was Besonderes.

MAX:

Zum Beispiel?

MAGGIE:

Zum Beispiel ... Glocken.

MAX:

Du willst Glocken hören?

MAGGIE:

Klingt blöd, ja?

MAX:

Ja. Ziemlich.

MAGGIE:

Also vergiß es.

MAX:

Maggie -

MAGGIE:

Ich habe gesagt, vergiß es!

(Läßt ihn stehen. Ihm wird klar, daß er diesmal wirklich

einen Fehler gemacht hat. Sie ignoriert ihn. Während er

sehnsüchtig zu ihr hinübersieht, beginnen Violinen die

Einführung zu der Tenorarie "Celeste Aida" zu spielen.

Keine Reaktion von MAGGIE - da die Musik nur in

MAXens Kopf ist. Er beginnt zu singen)

MAX:

(singt)

Celeste Aida, forma divina,

MAGGIE:

(über die Musik)

Max!

MAX:

(singt)

Mistico raggio di luce e fior,

MAGGIE:

Max, hör auf!

(Er singt weiter, mit Orchesterbegleitung. Das

Erstaunliche dabei ist - er ist gut. Außerordentlich gut. Er

hat einen weichen, üppigen Tenor, nicht ganz so

hochkarätig wie der Merellis, aber fraglos eine Stimme,

die aufhorchen läßt. MAGGIE hört auf zu protestieren,

während MAX weitersingt)

MAX:

(singt)

Del mio pensiero tu sei regina

Tu di mia vita sei lo splendor.

Il tuo bel cielo vorrei ridarti;

Le dolci brezze del partrio suol;

Un regal serto sul crin posarti,

Egerti un trono vicino al sol!

(Die Arie ist zu Ende)

SAUNDERS:

(kommt vom Korridor her)

Bravo! Bravissimo! ...

(SAUNDERS ist ein stattlicher, gepflegter Mittfünfziger,

jovial und umgänglich, wenn er nicht gerade durchdreht.

Er sieht MAX, bemerkt seinen Irrtum und hört auf zu

applaudieren)

MAX:

Äh, danke.

SAUNDERS:

Du lieber Himmel.

MAX:

Verzeihung.

SAUNDERS:

Lassen Sie diesen Unfug, Max!

MAX:

Sie - Sie haben wohl gedacht, ich sei, na ja, äh -

SAUNDERS:

Lo Stupendo?

MAX:

Ja.

SAUNDERS:

Nein.

MAX:

Nein?

SAUNDERS:

Seien Sie nicht albern.

MAX:

Verzeihung. Tut mir schrecklich -

MAGGIE:

Max!

MAX:

(zu MAGGIE)

Verzeihung, ist mir nur so rausgerutscht.

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SAUNDERS:

(zu MAGGIE)

Was zum Teufel hast du hier zu suchen?

MAGGIE:

Ich darf doch wohl hier sein, wenn ich möchte.

SAUNDERS:

Irrtum.

MAX:

Daddy ...

SAUNDERS:

Wissen Sie, wieviel Uhr es ist?

MAX:

Kurz vor eins, Sir.

SAUNDERS:

Wissen Sie, was das bedeutet?

MAX:

Daß er zu spät kommt.

SAUNDERS:

Das bedeutet, daß er zu spät kommt!!

(Nimmt eine Traube aus der Obstschale)

MAX:

Ich - ich würde mir keine Sorgen machen, Sir. Ich meine,

kommen wird er ganz bestimmt.

SAUNDERS:

Hat es den Anschein, als ob ich mir Sorgen mache, Max?

MAX:

Nein, nein ...

(Schielt unsicher zu MAGGIE hinüber. Sie sieht ihn zornig

an)

Das heißt ... äh ... ja. Ja, Sir.

SAUNDERS:

Ja? Interessant. Verraten Sie uns doch freundlicherweise,

welche Ihrer übersinnlichen Fähigkeiten Sie diesmal

mobilisiert haben, um zu diesem frappierenden und

irrtümlichen Schluß zu gelangen.

(Steckt die Traube in den Mund)

MAX:

Die ist ... die ist aus Wachs.

(SAUNDERS spuckt die Traube in weitem Bogen ins

Zimmer)

SAUNDERS:

Himmelarsch!

MAGGIE:

Daddy!

MAX:

Verzeihung!

SAUNDERS:

Rufen Sie beim Bahnhof an!

MAX:

Ich habe gerade vor ein paar Minuten angerufen -

SAUNDERS:

RUFEN SIE BEIM BAHNHOF AN!

MAX:

Ja, Sir.

(Geht zum Telefon und sucht den Zettel, auf dem er sich

die Nummer notiert hat)

MAGGIE:

Daddy, hast du deine Pillen genommen?

SAUNDERS:

Ja, ja.

MAGGIE:

Daddy, du lügst.

(Kramt in ihrer Handtasche und fördert ein

Pillenröhrchen zutage)

SAUNDERS:

Ich bin durchaus in der Lage, mein Nervensystem auch

so in den Griff zu kriegen. Wo wäre Lauritz Melchior

heute, wenn er Phenobarbital genommen hätte? Er wäre

immer noch in Kopenhagen und würde bei Bar Mizwahs

singen.

MAGGIE:

Mund auf.

SAUNDERS:

Margaret -

MAGGIE:

A-u-f!

(Er streckt die Zunge heraus, sie legt eine Pille darauf,

und er schluckt sie)

MAX:

(findet die Nummer)

Da ist sie ja ...

(Das Telefon läutet. Alle drei erstarren. Dann will MAX

abheben)

SAUNDERS:

Nein! ... Er hat einen Unfall gehabt. Ich fühle es.

(Es klingelt wieder)

Er liegt irgendwo im Rinnstein. Ich weiß es.

(Es klingelt wieder)

Hat sich vollaufen lassen mit Chianti und Pepperoni.

MAGGIE:

(deutet aufs Telefon)

Max.

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SAUNDERS:

Na los! Gehn Sie schon ran!

(MAX hebt ab)

MAX:

(ins Telefon)

Hallo? ... Ja, das sind Sie ... Ach herrje. Das ist ja

schrecklich.

SAUNDERS:

Er hat seine Stimme verloren. Was habe ich gesagt?!

MAX:

(ins Telefon)

Ich verstehe ... Ja, der ist hier.

(Zu SAUNDERS)

Mrs. Leverette. Die Probe fängt an.

SAUNDERS:

Geben Sie her.

(Reißt ihm den Hörer aus der Hand. Ist plötzlich der

personifizierte Charme)

Verehrte Frau Vorsitzende, wie nett, daß Sie anru - ...

Noch nicht, aber es kann sich nur noch um Sekunden -

... Aber natürlich kommt er, Julia ... Jul - ... Juli - ... Julia!

Beruhige dich doch! ... Was? ...

(Seufzt)

Ich verstehe ... Ja, natürlich ist das ein Problem. ... Also,

wenn du gestattest, überlasse ich diese Entscheidung

deinen bewährten Händen. ... Is' gut. Bis nachher.

(Legt auf)

Das Imbißkomitee der Operngilde hat beschlossen, in

der Pause Krabbenmayonnaise zu reichen, und jetzt

streikt der Kühlschrank. Die Temperatur in der Kantine

beträgt 32 Grad.

MAX:

Was machen wir da?

SAUNDERS:

Das hängt davon ab. Bleiben die Krabben rosa, kriegt sie

das Publikum. Färben sie sich grün, geben wir sie den

Bühnenarbeitern.

MAX:

Soll ich beim Bahnhof anrufen?

SAUNDERS:

Unter keinen Umständen! Ich will die Leitung freihalten.

(Zu MAGGIE)

Und du verschwindest.

MAGGIE:

Warum denn?

SAUNDERS:

Weil ich es sage.

MAGGIE:

Daddy! -

SAUNDERS:

Max und ich haben was zu besprechen.

MAGGIE:

Ich bin mucksmäuschenstill.

SAUNDERS:

Wird's bald?

MAGGIE:

Ich warte im Schlafzimmer.

SAUNDERS:

Du wartest nirgends.

MAGGIE:

Aber ich möchte doch hier sein, wenn er kommt. Du

hast gesagt, ich darf. Du hast es mir versprochen!

SAUNDERS:

Ich verspreche viel. Also komm, sei brav und geh.

MAGGIE:

Max, du findest doch auch, ich sollte hierbleiben?

(Keine Antwort)

Max.

MAX:

Nein, das - das finde ich nicht.

MAGGIE:

Vielen Dank.

(Wendet sich ab. Während des Folgenden entdeckt sie

den Zimmerschlüssel neben sich auf dem Tisch und

steckt ihn heimlich ein. Dann geht sie zur Korridortür)

SAUNDERS:

Mach dich hübsch für heut abend.

MAX:

Sei mir ... äh ... sei mir bitte nicht böse.

MAGGIE:

(ohne MAX eines Blickes zu würdigen)

Also dann bis später.

(Geht hinaus und schließt die Tür hinter sich. SAUNDERS

seufzt und starrt aus dem Fenster. MAX kommt sich

schäbig vor)

SAUNDERS:

In sechs Stunden habe ich tausend Fräcke und

Nerzjäckchen im Parkett sitzen und dreißig Mann im

Orchestergraben, habe ich vierundzwanzig Choristen

und acht Solisten auf der Bühne und ein

fünfzehnköpfiges Technikerteam hinter der Bühne, habe

ich in der Kantine etwa fünfzig Pfund verdorbene

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Krabbenmayonnaise, die das Galabuffet in einen

Massenmord verwandeln könnte ... Das einzige, was ich

nicht habe, ist ein Tenor. Uhrzeit.

MAX:

Viertel nach eins.

(Pause)

Es - es tut mir wirklich leid, Sir. Wenn ich - wenn ich

Ihnen nur helfen könnte.

SAUNDERS:

Es ist nicht Ihre Schuld, Max. Leider. Die Frage ist jetzt,

was machen wir, wenn dieses verantwortungslose

Arschloch wirklich nicht kommt.

MAX:

Ich - ich hätte vielleicht eine Idee, Sir.

SAUNDERS:

Tatsächlich?

MAX:

Ja. Ich meine, wenn alle Stricke reißen.

SAUNDERS:

Dann raus damit, Max.

MAX:

Ich dachte, daß ... äh ... na ja, ich meine, im Notfall

könnte ich vielleicht ...

SAUNDERS:

Was könnten Sie?

MAX:

Den Otello singen. Einspringen, sozusagen. Sehen Sie,

ich - ich war bei allen Proben dabei, und ich habe die

Partie studiert, und ich - ich glaube, ich könnte es. Ich

weiß, daß ich es könnte.

SAUNDERS:

Sie. Den Otello.

MAX:

Ja, Sir.

(SAUNDERS überlegt, wie er es ihm sagen soll)

SAUNDERS:

Otello, Max, ist riesig. Verstehen Sie? Überlebensgroß.

Seine Liebe ist ein verzehrendes Feuer - seine

Leidenschaft ein reißender Strom. Wenn er rast, erbeben

die Himmel. Seine Eifersucht ist so fürchterlich, daß wir

dasitzen und unwillkürlich um unser eigenes Leben

zittern ... Das sind Sie nicht, Max.

MAX:

Ich - ich könnte es sein. Ich meine, wenn ich die Chance

hätte ...

SAUNDERS:

"Meine Damen und Herren. Darf ich um Ihre

Aufmerksamkeit bitten. Ich bedaure, Ihnen mitteilen zu

müssen, daß Tito Merelli, der größte lebende Tenor,

dessen einmaliges Gastspiel in diesem Hause das

zehnjährige Jubiläum unserer Oper krönen sollte - daß

Lo Stupendo heute abend leider indisponiert ist. Dafür

habe ich jedoch die Ehre, Ihnen zu eröffnen, daß die

Rolle des Otello von einem durchaus begabten Amateur

gesungen wird, der damit zum ersten Male auf dieser,

beziehungsweise überhaupt einer Bühne stehen wird -

unserem hauseigenen Faktotum und Mädchen für alles,

unserem unentbehrlichen Schlattenschammes ... Max!"

Sehen Sie, wo das Problem liegt?

MAX:

Ja, so betrachtet -

SAUNDERS:

Die älteren Jahrgänge würden zu Tode getrampelt

werden bei der Massenflucht durch die Gänge.

MAX:

Ich verstehe.

SAUNDERS:

Uhrzeit.

MAX:

Zwanzig nach eins.

(Bedrücktes Schweigen. SAUNDERS pflückt eine Traube.

Erinnert sich, legt sie zurück. Das Telefon klingelt. MAX

fragt SAUNDERS mit einem Blick um Erlaubnis.

SAUNDERS nickt, und MAX hebt ab. Ins Telefon)

Hallo? ... Wie bitte? ... Könnten Sie bitte etwas

langsamer sprechen.

SAUNDERS:

Wenn es Julia ist, sagen Sie ihr, sie soll sich ihre Krabben

in den Auspuff stecken.

MAX:

(zu SAUNDERS)

Sir! Er ist dran.

SAUNDERS:

Wer?

MAX:

Der Überlebensgroße. Er ist in der Halle. Er braucht einen

Träger.

(SAUNDERS holt Atem. Lächelt. Greift nach dem Hörer)

SAUNDERS:

(ins Telefon)

Signor Merelli! Ich freue mich! Benvenuto in Cleveland!

Erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, was für eine Ehre, was

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für ein Privileg - ... Wie bitte? ... Hier spricht Henry. ...

Henry Saunders. ... Wie bitte? ... Nein! Man kann Sie

doch nicht da unten stehen lassen! Ich bin sofort bei

Ihnen. Presto. Prestissimo. Bis gleich.

(Legt auf)

So, Max. Auf geht's. Lo Stupendo ist da. Er wartet in der

Halle.

MAX:

Ich weiß.

SAUNDERS:

Sie haben Ihre Anweisungen. Parole, Max.

MAX:

Kleister.

SAUNDERS:

Kleister. Sie werden an ihm kleben wie -

MAX:

Kleister.

SAUNDERS:

Und ihn nicht aus den -

MAX:

Augen lassen.

SAUNDERS:

Sie fahren ihn zur Probe und dann wieder hierher

zurück. Er kann alles haben, was er will, außer -

MAX:

Alkohol und Weibern.

SAUNDERS:

Während der Vorstellung sorgen Sie mir für spontanen -

MAX:

Szenenapplaus.

SAUNDERS:

Und am Schluß für nicht endenwollende -

MAX:

Ovationen.

SAUNDERS:

Und dann bringen Sie ihn hierher zurück und passen

beim Empfang auf, daß er -

MAX:

nüchtern bleibt -

SAUNDERS:

und seine Pfoten -

MAX:

bei sich behält -

SAUNDERS:

und dann kann ihn von mir aus -

MAX:

der Schlag treffen.

SAUNDERS:

Okay.

MAX:

Okay.

(Pause. SAUNDERS geht zur Korridortür, bleibt stehen)

SAUNDERS:

Max!

MAX:

Ja, Sir?

SAUNDERS:

Schaff die Obstschale weg.

(Geht ab und schließt die Tür hinter sich. Gleichzeitig

wird die Schlafzimmer/Korridortür von außen

aufgeschlossen, und MAGGIE kommt leise herein. Sie

sieht sich um, schließt geräuschlos die Tür, läßt den

Schlüssel innen stecken. Sie geht auf Zehenspitzen zur

Verbindungstür und horcht. MAX hat sich inzwischen im

Salon vergebens nach einem Versteck für die Obstschale

umgesehen. Er geht zur Schlafzimmertür)

MAX:

Verdammt!

(MAGGIE hört ihn, flitzt durchs Schlafzimmer und

verschwindet im Bad. Schließt die Badezimmertür gerade

noch rechtzeitig, um von MAX, der ins Schlafzimmer

kommt, nicht gesehen zu werden. Wieder blickt MAX

sich suchend um. Dann hat er plötzlich die Lösung)

Badezimmer.

(Geht schnurstracks zur Badezimmertür und öffnet sie)

Maggie!

MAGGIE:

Hi, Max.

MAX:

Was machst du denn -

(Das "hier" erstirbt ihm auf den Lippen. Entsetzt)

Maggie!!

MAGGIE:

Ist er da?

MAX:

Ja. Er ist auf dem Weg nach oben.

MAGGIE:

(aufgeregt)

Oh Max!

MAX:

Maggie, ist dir klar, wie das aussieht? Ich meine, daß du

im Badezimmer auf ihn wartest!

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MAGGIE:

Ja, ich weiß. Ich dachte, es wär der Wandschrank!

MAX:

Wie kannst du nur?!

MAGGIE:

Die Türen sehen genau gleich aus!

(Es klopft an der Salon/Korridortür)

MAX:

Da ist er!

MAGGIE:

(verzückt)

Oh Max!

MAX:

Mit deinem Vater!

MAGGIE:

Tschüs, Max.

(Tritt zurück ins Badezimmer und schließt die Tür)

MAX:

Maggie!

SAUNDERS:

(von draußen)

Ma-ax. Es ist abgeschlossen, Max.

MAX:

Komme schon!

(Geht zum Salon. Bleibt stehen)

Das Obst!

(Welches er immer noch in den Händen hat. Geht zurück

zum Badezimmer)

Maggie! Mach auf!

MAGGIE:

(kommt heraus, ärgerlich)

Max!

MAX:

Das Obst!

MAGGIE:

Das Obst?

MAX:

Das Obst!

(Gibt es ihr)

MAGGIE:

(nimmt es gerührt)

Danke, Max.

(Tritt zurück ins Badezimmer und schließt die Tür)

SAUNDERS:

(von draußen)

Ma-ax. Machen Sie bitte auf!

MAX:

Komme schon!

(Eilt in den Salon, schließt die Verbindungstür. Bei der

Korridortür bleibt er abrupt stehen. Sammelt sich. Dann

öffnet er die Tür)

SAUNDERS:

(noch von draußen)

MAX!!

(Kommt herein)

MAX:

Hi.

(SAUNDERS sieht ihn an, als wolle er ihn fressen. Dann,

mit breitem Lächeln)

SAUNDERS:

Danke.

(Tritt zur Seite, um MARIA und TITO den Vortritt zu

lassen. MARIA ist ein Sofia Loren-Typ: imponierende

Oberweite, stolz und leicht erregbar. TITO ist

beeindruckend, gutmütig und bemüht, es allen recht zu

machen - wenn ihn nicht gerade etwas ärgert oder er

Sodbrennen oder sonst irgendeinen Kummer hat. Im

Augenblick ist er nicht sehr glücklich. Beide sprechen,

wie nicht anders zu erwarten, mit italienischem Akzent)

Ihre Suite, meine Freunde.

(MARIA wirft ihre Nerzstola auf MAX. Er fängt sie auf)

Ihr kleines Refugium, wo Sie Ruhe finden. Und sich vor

Ihren Fans sicher fühlen werden. Ja, dann will ich Sie

zunächst einmal bekanntmachen, Signora Merelli, die

wir nicht erwartet haben und daher mit umso größerer

Freude begrüßen. Signor Merelli, bei dem es keiner

Vorstellung bedarf. Das ist Max.

MARIA:

Ciao.

TITO:

(gibt MAX seinen Hut und Mantel)

Freut mich, Bagno.

SAUNDERS:

Bagno?

TITO:

Bagno!

MAX:

Tut mir leid. Gitarre - ein bißchen. Banjo leider nicht.

MARIA:

Mein Mann will das ä-Bagno. Er muß sich ä-brechen.

(MAGGIE steckt den Kopf aus dem Badezimmer.

Während des Folgenden geht sie auf Zehenspitzen zur

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Verbindungstür und horcht)

SAUNDERS:

Ach, das Bagno. Ja, natürlich. Kommen Sie. Hier lang.

(TITO folgt SAUNDERS zur Schlafzimmertür)

MAX:

(zu MARIA)

Das Bagno. Wir - wir haben ihn mißverstanden, wissen

Sie. Wir nennen es normalerweise - HALT!!!

(MAGGIE erstarrt. SAUNDERS und TITO bleiben stehen.

Sie sind noch nicht im Schlafzimmer)

Es - es - es ist eins in der Halle. Ein viel schöneres. Viel

sauberer.

SAUNDERS:

Fehlt Ihnen was, Max?

MAX:

Mir? Nein, nein. Ich dachte bloß ... da ist doch so ein

phantastisches Klo unten in der Halle. Einfach sagenhaft.

SAUNDERS:

Ich bin sicher, dies hier tut's auch, Max.

MAX:

Nein, eben nicht. Glauben Sie mir.

TITO:

Bagno!

SAUNDERS:

Hier durch. Ich bitte um Entschuldigung.

(Führt TITO ins Schlafzimmer. MAGGIE, die indessen

begriffen hat, verschwindet im Wandschrank und

schließt die Tür hinter sich)

TITO:

Grazie.

MARIA:

(zu MAX)

Sie müssen entschuldigen mein ä-Mann.

(Schreit)

Er ist stupido!

TITO:

MARIA! GLEICH ES KNALLT!

MARIA:

SOLL ES KNALLEN!

(TITO geht ins Badezimmer und knallt die Tür zu.

Während des Folgenden horcht SAUNDERS besorgt an

der Badezimmertür, und MAX sieht, während er mit

MARIA spricht, immer wieder zum Schlafzimmer hin -

verdutzt, weil nichts passiert. Zu MAX)

Er frißt ä-wie ein Schwein. Wir mittagessen in

Speisewagen. Er stopft hinein. Ein Stunde später wir

ankommen, er will essen Mittag in Bahnhof. "Iß nicht",

ich sage, "wird dir werden schlecht. Dann du wirst ä-

bereuen." Er frißt ä-wie ein Schwein. Ein Portione. Zwei

Portione. Warum, eh? Warum? Weil er liebt ä-Busens.

MAX:

Busens?

MARIA:

Er will ä-Busens. Ist ä-das normal? Sagen Sie. Eh?

MAX:

Na ja, das ist - das ist - ich würde sagen, das ist

ungewöhnlich.

SAUNDERS:

(kommt in den Salon. Jovial)

Was ist denn so ungewöhnlich, Max?

MAX:

Mr. Merelli, äh ... hätte anscheinend gern einen Busen.

SAUNDERS:

Ah ja ...

(Versteht überhaupt nichts)

... Wie schön.

MARIA:

Die Kellnerin ... eh? ... Sie beugt ä-sich vor

(Demonstriert es)

bis da. "Kann ich Sie noch etwas auftun?" Er liebt ä-

Busens, also er sagt, ä-sicher. Er hat ä-kein Hunger! Er

will mehr Busens!

MAX:

Oh.

SAUNDERS:

Ich verstehe.

(Es klopft an der Korridortür)

MAX:

Entschuldigung.

SAUNDERS:

Es ist doch aber nichts Ernstes? Ich meine, er wird doch -

MARIA:

Er wird ä-bleiben leben, glauben Sie mir.

(MAX öffnet die Tür und läßt den HOTELPAGEN herein,

der einen großen Überseekoffer hereinrollt und einen

Handkoffer und eine Kosmetikbox trägt. Kaum

eingetreten, schmettert er los - die berühmte Arie aus

"Der Barbier von Sevilla")

PAGE:

(singt)

Largo al factotum

della citta, largo!

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La ran la, la ran la,

la ran la, la!

SAUNDERS:

Ruhe!

PAGE:

Sind doch alle ganz still.

(Zu MAX)

Wo ist er?

MAX:

Im Bad.

SAUNDERS:

Max!

MAX:

Verzeihung.

SAUNDERS:

Gepäck ins Schlafzimmer, bitte. Wenn Sie singen wollen,

gehen Sie nach Hause, und nehmen Sie ein Bad.

PAGE:

Ja, Sir.

(Zu sich)

Ach Gottchen.

(MAX führt ihn zum Schlafzimmer)

SAUNDERS:

(zu MARIA)

Ich bitte vielmals um Entschuldigung. In diesem Hotel

sollte man bessere Manieren erwarten dürfen.

PAGE:

Ganz meiner Meinung.

MARIA:

Ist doch nix schlimm. Keine Affaire, eh? Das mir passiert

ä-zehnmal am Tag. Telefon klingelt, ich hebe auf, ich

bekomme zu hören Pagliacci. Ich gehe zu Fleischer, er

nimmt ä-mir aus Huhn, er singt ä-mir Carmen.

SAUNDERS:

Also hier passiert es nicht noch einmal, das verspreche

ich Ihnen.

(Der PAGE geht vor der Badezimmertür auf ein Knie

hinunter und gibt sein Letztes)

PAGE:

(singt)

Presto a bottega, che

l'alba e gia, presto!

La ran la, la ran la,

la ran la, la!

SAUNDERS:

MAX!!

(Das Telefon klingelt)

MAX:

(zum PAGEN)

Hey - bitte nicht! Ich - ich habe meine Anweisungen, Sie

verstehen?

SAUNDERS:

(zu MARIA)

Sie gestatten.

(Hebt ab)

Ja?

(MAX hat inzwischen die Pelzstola und TITOs Hut und

Mantel aufs Bett gelegt. Jetzt geht er durch die

Schlafzimmer/Korridortür hinaus, um nach MAGGIE

Ausschau zu halten. SAUNDERS ins Telefon)

... Hallo, Julia ... Ja, is' er ... Ja! Er ist hier oben!

(Zu MARIA)

Mrs. Leverette. Eine alte Freundin. Vorsitzende der

Operngilde.

(Ins Telefon, für MARIA bestimmt)

... Ach, bezaubernd - ganz bezaubernd, alle beide ...

Signora Merelli, seine Gattin. Ist das nicht eine

wundervolle Überraschung? ... Hm? ... Ja, natürlich

verstehe ich das. Wir bringen ihn euch, sobald wir

können.

(Inzwischen hat der PAGE die Tür des Wandschranks

geöffnet und sich wieder zum Bett umgedreht. MAGGIE

streckt die Hand heraus und zieht die Tür zu. Der PAGE

nimmt Mantel, Hut und Stola und wendet sich damit

zum Schrank um. Zu seiner Verwunderung ist die Tür zu.

Er öffnet sie wieder und sieht MAGGIE. Wortlos gibt er

ihr den Mantel und die Stola, stülpt ihr den Hut auf den

Kopf und schließt die Schranktür. Dann erfolgt die

Spätzündung. MAX, der sich im Korridor nach MAGGIE

umgesehen hat und zu dem Schluß gelangt ist, daß sie

sich davongemacht haben muß, hat von all dem nichts

bemerkt. Jetzt verschließt er sicherheitshalber die

Schlafzimmer/Korridortür von innen und steckt den

Schlüssel ein. Während des Folgenden geht der PAGE in

den Salon zurück, gefolgt von MAX, der die

Verbindungstür schließt)

SAUNDERS:

... Julia, sobald wie möglich! Es kann aber noch ein paar

Minuten dauern. ... Nein, es ist alles in Ordnung. ... Julia,

es geht ihm ausgezeichnet! ... Ja!

(Während er telefoniert, winkt er den PAGEN heran und

drückt ihm etwas Kleingeld in die Hand)

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PAGE:

(mit Blick auf das Geld)

Soll wohl 'n Witz sein.

SAUNDERS:

Raus! Auf der Stelle!

PAGE:

Läßt ja tief blicken.

(Wirft SAUNDERS einen vernichtenden Blick zu, geht zum

Korridor ab und schließt die Tür hinter sich)

SAUNDERS:

(ins Telefon)

Nein, natürlich nicht zu ihm. Julia, wofür hältst du mich!

... Ja, wir kommen, sobald er sich frischgemacht hat. Bis

nachher.

(Während des Folgenden kommt TITO mit der Obstschale

aus dem Badezimmer. Er betrachtet sie verwundert. Er

stellt sie auf die Spiegelkommode, holt dann tief Atem.

Es geht ihm offensichtlich nicht sehr gut. Leise, damit

MARIA es nicht hört, öffnet er die Kosmetikbox und

nimmt ein Pillenröhrchen heraus. Er schüttet zwei Pillen

in die Hand, schluckt sie und legt das Röhrchen zurück)

MAX:

Ich hoffe, Mr. Merelli geht es besser.

MARIA:

Pff! Er liebt ä-Busens, er muß ä-büßen, eh? Ich vergieße

keine Träne.

SAUNDERS:

Es wird sich doch aber nicht auf seine Stimme

auswirken. Ich meine, er wird doch auftreten?

MARIA:

Spielen mit ä-Frauen in der Oper?

SAUNDERS:

Frauen? Ja, natürlich.

MARIA:

Wie viele?

SAUNDERS:

Moment ... Desdemona, Emilia, Chor. Vierzehn.

MARIA:

Dann er tritt auf. Wissen Sie, warum? Eh? Weil er hat ein

...

(Sucht das Wort)

... ein ... was ist das ä-Wort? Beginnt mit ä-mit P.

SAUNDERS:

Mit P?

MAX:

Prinzip?

SAUNDERS:

Publicity?

MARIA:

Alle Männer, sie haben dieses Ding. Am Anfang es ist ä-

klein, dann es wird ä-groß. Und es macht ä-Trouble.

SAUNDERS:

... Prestige?

MAX:

Problem?

SAUNDERS:

Potenz?

MAX:

Pasta Sciuta?

MARIA:

Passion! Er hat ein große Passion!

(TITO kommt in den Salon)

MAX:

Mr. Merelli!

SAUNDERS:

Wie fühlen Sie sich?

TITO:

Ich? Sehr gut. Perfetto.

MARIA:

(spöttisch)

Ha!

TITO:

Ich kann ausreißen ä-Bäume.

MARIA:

Sehen Sie ihm an, eh? Sehen Sie! Er ist

hundeelendiglich.

TITO:

Ich bin tip-ä-top.

MARIA:

Bugiardo!

TITO:

Chiudi la bocca!

MARIA:

Pff!

(Während des Folgenden kommt MAGGIE verstohlen aus

dem Wandschrank heraus und sieht sich um. Die Luft ist

rein, und sie hat genug. Sie will weg. Sie geht eilig zur

Korridortür - aber die ist verschlossen. Sie zieht und zerrt

daran - vergebens)

TITO:

Kleine bißchen Magen. Niente. Geht ä-mir gut. Ein paar

Minuten, und es wird ä-mir gehen noch besser.

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SAUNDERS:

Noch besser?

MARIA:

Das ich mir habe gedacht. Ich hole deine Pillen.

(Steht auf)

TITO:

(ein Ritual)

Ich nehme keine Pillen.

MARIA:

Du brauchst ä-Pillen!

TITO:

Ich nehme nicht!

(Zu MAX und SAUNDERS)

Ich bin ein Sänger, eh? Mein Körper, das ist ä-mein

Instrument. Ist mir heilig.

MARIA:

Ein heiliger Körper, eh? Wo? Im Grab?

(Dreht sich um und beginnt, die Verbindungstür zu

öffnen. MAGGIE erstarrt)

TITO:

Nein!! Ich bin Tito Merelli! Tito Merelli sagt ä-nein!

MARIA:

Was ist ä-los? Du hast ä-dadrin eine Mädchen?

TITO:

Ja, sicher. Ich habe eine Mädchen. Ich habe sogar zwei

Mädchen. Alle beide nackt.

(MAGGIE hört das und sieht sich um)

Ecco! Sieh nach!

MARIA:

Eines Tages du wirst aufwachen in deinem Bett, und du

wirst ä-sein ein Sopran.

(MAGGIE klettert in ihrer Panik buchstäblich die Wand

hoch, bemüht, die Tür aufzubekommen)

TITO:

(zu MAX)

Eifersucht, eh? Eifersucht! Es ist ä-schrecklich!

MARIA:

(überlappend, zu SAUNDERS)

Er macht mir ä-krank mein Herz.

TITO:

(überlappend)

Sie ist eine Verrückte.

MARIA:

(überlappend)

Weil er ist ä-dumm. Er hat ä-kein Verstand.

TITO:

(überlappend)

Die ganze Zeit Eifersucht, Eifersucht, Eifersucht.

MARIA:

TITO! GLEICH ES KNALLT!

TITO:

SOLL ES KNALLEN!

(MARIA ist ins Schlafzimmer gegangen und knallt jetzt

die Verbindungstür zu. Im selben Moment verschwindet

MAGGIE wieder im Wandschrank. Während des

Folgenden beruhigt sich MARIA, dann legt sie sich aufs

Bett und blättert in einer "Vogue")

TITO:

(ein Seufzer)

Ach ja.

MAX:

(ein Echo)

Ach ja.

TITO:

Nehmen Sie nicht übel meiner Frau, eh? Sie kann nicht

dafür. Sie hat eine große, äh ... große ... was ist ä-das

Wort? Beginnt ä-mit M.

MAX:

Mit M?

SAUNDERS:

Moral?

MAX:

Marotte?

TITO:

Emotion. Sie hat eine große Emotion. Sie liebt ä-mich zu

sehr, eh?

SAUNDERS:

Natürlich.

MAX:

Das merkt man.

SAUNDERS:

Tja, ich möchte nicht drängen, aber ich glaube, wir

sollten langsam gehen.

TITO:

Sicher. Ist gut. Danke für alles. Bis nachher.

SAUNDERS:

Nein - Pardon - ich meinte, wir alle. Zur Probe.

TITO:

Ich?

SAUNDERS:

Ja, natürlich.

(TITO überlegt einen Augenblick)

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TITO:

Nein. Nein, auf keinen Fall. Um zu sagen die Wahrheit,

es geht ä-mir nicht ä-so gut.

SAUNDERS:

Was ist los?

TITO:

Magen, eh? Ich habe gegessen zu viel. Ich bin ä-dumm.

SAUNDERS:

Signor Merelli. Ich glaube, Sie verstehen nicht ganz. Ich

habe hundert Leute im Theater. Cento persona. Alles

wartet auf Sie.

TITO:

Momento. Sie verstehen nicht. Wenn ich jetzt ä-singe,

ich werde mich brechen auf ä-die Baßgeige.

SAUNDERS:

Das glaube ich nicht -

TITO:

Ich will tot umfallen.

SAUNDERS:

Mr. Merelli, Sie haben einen Vertrag!

TITO:

Ich habe Blähungen!

SAUNDERS:

Oh mein Gott ...

TITO:

Was ist? Keine Sorge, okay? Heute abend ich bin da. Ich

bin Tito Merelli. Tito Merelli versäumt nicht ä-

Vorstellung.

SAUNDERS:

Aber Sie kennen die Regieanweisungen nicht! Die

Tempi! Die -

TITO:

Ich singe Otello über fünfzig Mal! Ich singe ihn mit ä-der

linken Hand.

SAUNDERS:

Und was ist mit der Kostümprobe?

TITO:

Ich bringe mein eigenes. Es ist im ä-Koffer. Wollen Sie

sehen? Ich bringe sogar ä-zwei Kostüme. Für alle Fälle.

SAUNDERS:

Das geht doch nicht -

TITO:

Ich trage mein eigenes Kostüm in Wiener Staatsoper,

Covent Garden. Sie meinen, in Cleveland ich werde mich

ä-quälen?

(Das Telefon klingelt. SAUNDERS hebt unwillig ab)

SAUNDERS:

(ins Telefon)

Ja? ...

(Gereizt)

Ja, Julia, ich höre!

TITO:

(zu MAX)

Er verliert ä-die Nerven. Das ist ä-schlecht, eh?

MAX:

Normalerweise verliert er sie eigentlich nicht -

SAUNDERS:

(ins Telefon)

OH MEIN GOTT!!!

MAX:

- immer.

SAUNDERS:

(ins Telefon)

Ich bin sofort da. Sucht inzwischen weiter. Und Jul - ...

Juli - ... JULIA, KEINE PANIK!

(Legt auf)

Bin ich denn nur von Idioten umgeben?!

MAX:

Was ist passiert?

SAUNDERS:

Sie haben ihre Noten verlegt. Die gesamte Partitur.

TITO:

Das ist ä-nicht gut.

SAUNDERS:

So, jetzt hören Sie mal zu. Ich will eine klare Antwort

von Ihnen, und zwar auf der Stelle. Kommen Sie mit, ja

oder nein?

TITO:

Nein.

SAUNDERS:

Okay. Das wäre geklärt. Max!

MAX:

Ja, Sir?

SAUNDERS:

Wenn es irgendein Problem gibt, rufen Sie mich an. Ich

bin im Theater.

MAX:

Ist gut.

TITO:

Hals- und Beinbruch, eh?

SAUNDERS:

Max!

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(Winkt MAX zu sich heran)

MAX:

Ja, Sir?

SAUNDERS:

Kleister.

MAX:

Kleister. Seien Sie unbesorgt.

(SAUNDERS geht hinaus und schließt die Tür. TITO lehnt

sich auf dem Sofa zurück, im Glauben, allein zu sein.

Dann merkt er, daß MAX noch da ist)

TITO:

Sie bleiben hier?

MAX:

Ja. Das - das - das heißt, wenn Sie nichts dagegen

haben.

TITO:

Sicher. Machen Sie sich ä-bequem.

(Rülpst, klopft sich auf den Magen)

Scusi.

MAX:

Es geht Ihnen aber wirklich nicht gut.

TITO:

Ist okay. Ich bleibe leben. In meinem Dorf sie haben

einen Spruch - "An Blähungen ist ä-noch keiner

gestorben". Und glauben Sie mir, die wissen.

MAX:

Ja, aber - vielleicht sollten Sie doch diese Pillen nehmen.

Ich meine, damit es schneller vorbeigeht.

TITO:

Nein, ä-danke. Ich brauche Schlaf, nicht ä-Pillen. Ich muß

entspannen. Tief atmen. Es ist ä-nicht ä-so einfach, eh?

MAX:

Wieso nicht?

TITO:

Wieso nicht. Heute Cleveland. Morgen New York. Hetzen

von eine Stadt ä-zur anderen. Immer leben in Hotels.

Wenn ich habe ein Kind, es wird zur Welt ä-kommen im

Koffer.

MAX:

Ich verstehe.

TITO:

Ich bin nervoso, mir wird ä-schlecht - und dann ich kann

nicht ä-singen.

MAX:

Nicht singen?

TITO:

Mit ä-das Singen ist es ä-wie mit ä-das Leben, eh? Man

muß sein entspannt. Gelassen. Wenn man ist ä-

verkrampfet, man ist erledigt.

MAX:

Ich weiß, was Sie meinen. Ich - ich singe selbst ... ein

bißchen.

TITO:

Was?!

MAX:

Ja. Ich - ich - ich meine, nicht so wie Sie, natürlich.

Leider.

TITO:

Momento. Machen Sie nicht ä-sich klein. Das ist ä-nicht

ä-gut. Zum Singen Sie müssen glauben an sich. Sie

müssen sagen, ich bin der Größte. Ich bin ä-Max. Ich

singe gut.

MAX:

Ich weiß. Ich - ich - ich meine, das ist das Problem bei

mir. Immer, wenn ich vorsinge, bin ich - bin ich nervös

und - und - und total verkrampft. Ich kann nichts dafür.

TITO:

Ecco! So wie jetzt ich, eh? Mein Doktor er sagt, ä-

nehmen Sie Pillen. Phenobarbital. Aber ich bin Tito

Merelli. Tito Merelli nimmt ä-keine Pillen.

MAX:

(zu sich)

Phenobarbital.

(Während des Folgenden nimmt er SAUNDERS' Röhrchen

mit Phenobarbital vom Tisch, wo MAGGIE es

stehengelassen hat)

TITO:

Ich weiß. Wir trinken etwas. Ein Glas Wein, eh?

MAX:

Wie? Nein! Nein, ich glaube, das sollten wir lieber -

(Sieht auf das Pillenröhrchen)

... Na schön. Meinetwegen.

TITO:

Sicher. Daß ich erst ä-denke daran jetzt! Ich habe ein

guten Chianti. Macht ä-mich schläfrig. Es gibt ä-hier

Gläser?

MAX:

Ich - ich seh mal nach.

TITO:

Aber Sie trinken mit.

(Geht zum Schlafzimmer)

MAX:

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Gut. Okay. Ein Glas!

(Verschwindet in der Kitchenette, während TITO das

Schlafzimmer betritt. MARIA liegt bäuchlings auf dem

Bett, noch immer in ihre "Vogue" vertieft)

TITO:

Ciao.

MARIA:

Ciao.

(Nimmt keine Notiz von ihm. Er sieht sie an.)

TITO:

Eh. Bellezza. Es tut ä-mir leid. Okay?

MARIA:

Pff.

TITO:

Ich bin nervoso. Es ist ä-zuviel. Es ist ä-meine Schuld.

MARIA:

Ja.

TITO:

Maria. Hör zu. Wir machen Urlaub. Bald.

(Setzt sich aufs Bett)

Griechenland, eh? Die Inseln, carissima. Wir nehmen ein

Boot. Werden liegen im ä-Sand. Werden schlafen den ä-

ganze Tag.

(Seine Hände liebkosen ihr Hinterteil)

Nur wir ä-zwei, eh? So wie früher. Muscheln.

Riesenhummer. Werden auslutschen ä-die Beine ...

MARIA:

(erwärmt sich beträchtlich)

Tito ...

TITO:

Bellezza.

(Sie werden zärtlich. Sie küßt seinen Nacken)

MARIA:

Schließ ab die Tür.

TITO:

Eh?

MARIA:

Schließ ab die Tür.

TITO:

Jetzt?

MARIA:

Schließ ab.

TITO:

Maria. Ich habe meinen ä-Magen. Kein Scherz.

MARIA:

Ich weiß ä-die beste Medizin. Überlaß mir.

TITO:

Nein. Bitte! Nicht jetzt, okay? Ich - ich kann nicht!

(Sie hält ärgerlich inne)

MARIA:

Du Schwein!

TITO:

Maria!

MARIA:

Du hast eine Mädchen.

TITO:

Ich habe niemand.

MARIA:

Du hast eine Mädchen! Also lüge nicht!

TITO:

Maria -

MARIA:

Drei Wochen - nix! Nicht ein einziges Mal, eh?

TITO:

Es tut ä-mir leid. Ich bin nervoso. Ich habe meinen ä-

Magen.

MARIA:

Wenn ich will sein eine Nonne, ich eintrete in ä-Kloster.

Kann ich mir vergnügen wenigstens ä-manchmal.

Hymnen singen. Monstranzen putzen.

TITO:

Sie ist ä-verrückt. Meine Frau, sie ist ä-verrückt.

MARIA:

Sicher, ich bin ä-verrückt. Ich hasse Züge, also ich bin ä-

verrückt. Ich hasse Hotels, also ich bin ä-verrückt. Ich

hasse ein leeres ä-Bett, also -

TITO:

Maria, ich bin ein ä-kranker Mann!

MARIA:

DANN NIMM Ä-DEINE PILLEN!

TITO:

(wütend)

Schön. Okay. Ich nehme Pillen!

(Nimmt sein Pillenröhrchen aus der Kosmetikbox.

Du willst ä-Pillen, ich nehme Pillen. Ecco! Zwei Pillen.

Nein. Vier Pillen!

MARIA:

Zwei!

TITO:

Vier!

(Schluckt sie hinunter)

Okay? Zufrieden?

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MARIA:

Pff!

TITO:

Ich nehme Pillen, damit ich habe eine glückliche Frau.

Eine glückliche Ehe!

(Zieht eine Flasche Chianti aus seinem Koffer)

MARIA:

Jetzt wird ä-dir werden schlecht.

TITO:

Na und? Meine andere Mädchen, die was ich habe im

Schrank, die stört ä-das nicht.

MARIA:

Du Schwein!

TITO:

MARIA! GLEICH ES KNALLT!

MARIA:

SOLL ES KNALLEN!

(Knallt die Badezimmertür von innen zu. TITO knallt die

Verbindungstür vom Salon aus zu. Gleich darauf kommt

MAGGIE aus dem Schrank, sieht sich im Schlafzimmer

um, geht zur Verbindungstür und horcht. Sie weiß nicht,

wer im Moment wo ist)

TITO:

Max!

(Läuft bekümmert hin und her)

MAX:

(kommt mit zwei Gläsern aus der Kitchenette)

Alles in Ordnung?

TITO:

Fantastico! Ich habe eine verrückte Frau, einen ä-kranken

Magen und keinen Sex! Ohne das hier ich gleich

explodiere! Machen Sie auf!

(Gibt MAX die Flasche)

MAX:

(nimmt sie)

... Äh, Verzeihung. Korkenzieher?

TITO:

Eh? Ah ja. Korkenzieher. Sicher.

(Schlägt sich an die Stirn)

Stupido!

(Öffnet mit einem heftigen Ruck die Verbindungstür, so

daß MAGGIE entdeckt wird. Während TITO seinen Koffer

durchwühlt, nimmt MAX, der erkennt, daß die Situation

kritisch wird, das Röhrchen mit dem Phenobarbital vom

Tisch und schüttet mehrere Pillen in eines der Gläser.

TITO findet den Korkenzieher und geht, die

Verbindungstür zuknallend, zurück in den Salon. Die

wieder geschlossene Tür gibt den Blick auf MAGGIE frei,

die sich benommen ihren schmerzenden Kopf und ein

blutbeflecktes Taschentuch vor die Nase hält)

Hier!

(Greift sich die Flasche und beginnt, sie zu öffnen.

Währenddessen taumelt MAGGIE zum Bett, kriecht

darüber und bleibt schließlich mit herunterhängendem

Kopf liegen)

MAX:

Ich gieße ein.

(Nimmt TITO die Flasche aus der Hand, wendet ihm den

Rücken zu und füllt TITOs Glas. Um das Auflösen der

Pillen zu beschleunigen, stellt er die Flasche hin und

rührt den Wein mit dem Finger um. TITO läuft erregt im

Zimmer umher und bemerkt es nicht)

TITO:

(während des Obigen)

Eifersucht. Ich ertrage nicht mehr diese ewige Eifersucht.

Mädchen warten auf mich am Bühneneingang. Nette

Mädchen. Wollen Autogramm von dir, weiter nix. Sagen,

hallo Tito. Sagen, wir lieben ä-dich, Tito. Maria, sie sofort

ä-schnappt über.

(MAX gibt ihm sein Glas)

Hey! Sie auch.

MAX:

Ach, ich - ich - ich möchte lieber nicht -

TITO:

Sie auch!

MAX:

Na schön.

(Gießt etwas Wein in sein eigenes Glas.

Also dann ... runter damit.

TITO:

Cheers.

(MAX trinkt einen Schluck - beobachtet dabei TITO. TITO

leert sein Glas in einem Zug, ohne die Pillen zu

bemerken. MAX ist erleichtert)

MAX:

Jetzt werden Sie sich gleich sehr viel besser fühlen.

TITO:

Ich hoffe, eh? Weil schlechter würde sein unmöglich.

(Setzt sich schwer hin und seufzt tief auf.

Währenddessen betupft MAGGIE ihre Nase. Das Bluten

hat aufgehört. Während des Folgenden geht MAGGIE

auf Zehenspitzen zur Badezimmertür und horcht)

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MAX:

Vielleicht - vielleicht können Sie sogar ein Nickerchen

machen. Wer weiß.

TITO:

Sicher. Wer weiß.

(Schenkt sich Wein nach)

Warum soll nicht ä-geschehen ein Wunder, eh?

(MAX versucht, ihm die Flasche aus der Hand zu

nehmen)

MAX:

Mr. Merelli, ich - ich - ich -

TITO:

Tito! Du mich nenne Tito. Weil ich mag ä-dich.

MAX:

Äh ... gut. Tito.

(Zu spät. Der Wein ist eingegossen. TITO stellt die

Flasche hin. MAX nimmt sie schnell)

Guter Jahrgang ...

(Stellt die Flasche so weit wie möglich außer TITOs

Reichweite)

TITO:

Cheers.

(Während TITO trinkt, wird die Badezimmertür von innen

mit einem Wuppdich aufgestoßen, so daß sie MAGGIE

entdeckt. MARIA stolziert ins Schlafzimmer)

MARIA:

(zu sich)

So! Basta! Ich bin ä-fertig mit diese Mann!

(Kramt während des Folgenden einen Stift und einen

Briefbogen aus ihrer Kosmetikbox hervor, setzt sich dann

aufs Bett und beginnt, ihren Abschiedsgruß an TITO zu

schreiben. MAGGIE schlüpft währenddessen hinter der

Badezimmertür hervor, den Kopf im Nacken, das

Taschentuch vor der jetzt wieder blutenden Nase. Indem

sie MARIA im Auge behält, schleicht sie sich an der

Wand entlang und verschwindet im Schrank)

TITO:

(gelöster)

Du, Max. Sing ä-mir was vor.

MAX:

Hä?

TITO:

Du singe, ich höre. Vielleicht ich kann helfen, eh? Dir

geben ä-Tip.

MAX:

Waas! ... Das würden Sie wirklich ... Jetzt?

TITO:

Sicher. Warum nicht? Gratisstunde.

MAX:

Ja also, ich - ich - was soll ich -

TITO:

Avanti. Laß mich hören. Steh auf!

MAX:

(steht auf)

Soll ich, äh, möchten Sie etwas Bestimmtes? -

TITO:

Was du singst am liebsten. Los.

MAX:

Gut.

(Ist nervös und verlegen. Er räuspert sich und hangelt

sich an die richtige Tonlage herein)

Ahem ... Okay ...

(Beginnt zu singen, zaghaft und unsicher. Er hat sich für

die Tenorstimme des Duetts "Dio, che nell'alma

infondere" aus Verdis "Don Carlos" - Akt I, Szene 2 -

entschieden. Er singt ohne Begleitung und nicht sehr

gut. - Singt)

Dio che nell'alma infondere

amor volesti e speme,

desio nel -

TITO:

Stop!

(MAX hält inne)

Okay. Du bist

(Ballt die Fäuste)

so, eh? Also ob du würdest ä-stemmen Gewicht. So es

geht ä-nicht. Du mußt ä-sein ganz locker. Du mußt ä-

sein du.

MAX:

Ich - ich - ich versuche ja. Ich -

TITO:

Okay, erst einmal schüttele dich.

MAX:

Schütteln! So.

(Inzwischen auch stehend, schüttelt TITO seinen Körper

und läßt die Arme kreisen. Eine Sängerübung)

Avanti!

(Zögernd macht MAX es ihm nach)

Jetzt ä-gehen dabei!

(MAX steigt ein. Sich schüttelnd und die Arme kreisen

lassend, bewegen sich die beiden durchs Zimmer)

Gut. Okay. Jetzt ä-die Kehle. Sie ist angespannt. Sie muß

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sein wie aus Gummi. So.

(Läßt den Kopf kreisen und singt dabei einen Ton)

Aaahhh ...

MAX:

(macht es ihm nach und stimmt ein)

Aaahhh ...

(Sie fahren einige Sekunden fort, hören dann auf. MAX

hält sich die Stirn, um das Schwindelgefühl zu

vertreiben)

TITO:

Jetzt ... zusammen.

(Sie singen "ah", lassen die Köpfe und die Arme kreisen

und bewegen sich dabei im Zimmer umher. Nach einigen

Sekunden hört TITO auf und beobachtet MAX, dem erst

nach einem Weilchen bewußt wird, daß er die Übung

allein macht, woraufhin er sie abbricht)

Jetzt - ein Trick, eh? Du mußt ä-hören Musik. Bevor du

singst. Du mußt ä-hören alles. Das Orchester, den Chor -

MAX:

(begeistert)

Ja! Ich - ich - ich weiß, was Sie meinen.

TITO:

Alles! Es ist ä-hier - in ä-dein Herz!

MAX:

Genau!

TITO:

Okay. Schscht! Hör zu.

(Stille. Dann vier Noten, pizzicato, vom Orchester - das

jetzt in ihren Köpfen ist. Eine fünfte Note schwillt an,

und sie beginnen das Duett)

MAX/TITO:

(singen mit voller Orchesterbegleitung)

Dio, che nell'alma infondere

amor volesti e speme,

desio nel cor accendere

tu dei di liberta;

desio accendere, accender nel cor

tu dei i liberta.

Giuriamo insiem di vivere

e di morire insieme.

In terra, in ciel

congiungere ci puo,

ci puo la tua bonta.

Ah! Dio che nell'alma, etc.

(Ihr Duett wird zunehmend sicherer und dramatischer.

Inzwischen hat MARIA ihren Abschiedsbrief zu Ende

geschrieben und ist aufgestanden. Sie überfliegt ihn mit

Tränen in den Augen, faltet den Bogen zusammen und

legt ihn aufs Kopfkissen. - Anmerkung: Der Briefbogen

sollte unverwechselbar und leicht wiederzuerkennen sein

- lavendelfarben vielleicht. - Sie wendet sich um, legt ihre

"Vogue" zurück in ihre Kosmetikbox, schließt diese und

geht damit zur Korridortür, die sie mit ihrem Schlüssel

aufschließt. Ihr fällt ein, daß sie ihre Nerzstola vergessen

hat. Sie geht zum Wandschrank, öffnet ihn und steht

wie vom Donner gerührt. Das Folgende ist trotz des

Gesanges zu hören, da es während der leisen zweiten

Strophe stattfindet)

MAGGIE:

Guten Tag. Ich weiß, es sieht etwas merkwürdig aus,

aber ich kann es erklären -

(MARIA greift in den Schrank, nimmt die Stola und

wendet sich ab)

Das Ganze ist ein Irrtum. Wissen Sie, ich verehre Ihren

Mann, und ich wollte ein Autogramm von ihm, also hab

ich gedacht, ich verstecke mich am besten im

Badezimmer -

(Die Stola in der einen Hand, die Kosmetikbox in der

anderen, rauscht MARIA hinaus)

Warten Sie doch! Es ist nicht so, wie Sie denken! Ich

kenne ihn ja nicht mal! ...

(Läuft MARIA hinterher, schließt die Tür hinter sich. TITO

und MAX beenden unterdessen ihr Duett)

TITO/MAX:

(singen)

Vivremo insiem, morremo insiem!

Grido estremo sara:

Liberta!

TITO:

Haha!

MAX:

Haha!

TITO:

Das ist ä-wundervoll! Das ist ä-großartig! Du singst ä-

großartig!

MAX:

(überlappend)

Ich - ich - ich verstehe, was Sie meinen! Das war ein

tolles Gefühl! Ich - ich war vollkommen entspannt!

TITO:

(läßt sich in einen Sessel fallen)

Ohh! Das ist Arbeit, eh? Huh!

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MAX:

Es war phantastisch!

(Sie beruhigen sich)

TITO:

Max. Weißt ä-du was? Ich glaube, ich bin ä-müde.

MAX:

Oh. Das tut mir leid. Ich -

TITO:

Nein! Das ist ä-gut! Ich werde schlafen.

MAX:

Ach so! Ja, das - das ist prima.

TITO:

(gähnt)

Jaaaahh. Huuuh.

(Steht eine Spur schwankend auf)

Max. Du weckst ä-mich, eh? Sechs Uhr dreißig.

MAX:

Klar. Bestimmt. Können sich drauf verlassen.

(TITO geht zur Schlafzimmertür)

(Du singst ä-gut. Kein Scherz. Du hast ä-Möglichkeiten.

MAX:

Danke.

TITO:

Wir sprechen weiter, nachher. Okay?

MAX:

Klar. Und wenn Sie irgendwas brauchen, rufen Sie.

(TITO geht ins Schlafzimmer und schließt die

Verbindungstür. MAX setzt sich, überglücklich, und

träumt vor sich hin, während er an seinem Chianti nippt.

TITO kann sich jetzt nur noch mit Mühe auf den Beinen

halten - die Drogen tun ihre Wirkung. Er setzt sich aufs

Bett. Dann fällt ihm auf, daß MARIA nicht da ist. Er sieht

sich um. Er ruft in Richtung Badezimmer)

TITO:

Maria! Ich lege mich schlafen. Okay?

(Keine Antwort. Er steht auf und schleppt sich zur

Badezimmertür)

Maria. Ich lege mich schlafen ...

(Klopft)

Okay?

(Keine Antwort. Er schaut ins Badezimmer. Zu sich)

Maria?

(Verwirrt sieht er sich im Zimmer um und entdeckt den

Briefbogen. Er nimmt ihn und liest. Pause. Ein Schrei)

NEIIIIIN!!!

(MAX springt auf und stürzt zum Schlafzimmer)

Nein! Nein! Nein!

(Läßt den Briefbogen auf den Nachttisch fallen)

MAX:

(kommt ins Schlafzimmer gestürzt)

Was ist passiert?

TITO:

Unmöglich!

MAX:

Was denn?

TITO:

NEIN!

MAX:

WAS IST PASSIERT?!!

TITO:

Sie ist ä-weg! Maria!

MAX:

Was heißt weg?

TITO:

(schüttelt MAX)

Weg! Weg! Sie ist ä-weg!

MAX:

Tito!!!

TITO:

(läßt ihn los)

Sie hat ä-mich verlassen! Für immer!

MAX:

Sind Sie sicher?

TITO:

SIE IST Ä-WEG!

MAX:

Moment. Moment. Vielleicht ist sie nur runtergegangen.

Sich - eine Zeitung holen.

TITO:

Da! Da! Kein Koffer!

(Reißt die Schranktür auf)

Kein Pelz!

MAX:

Dann ist sie weg.

TITO:

MARIA!! NEIN! NEIN!

MAX:

TITO! BERUHIGEN SIE SICH!

TITO:

(setzt sich)

Max ... Max ...

MAX:

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Kommen Sie! Wir - wir - wir gehen sie suchen. Wir sehen

mal in der Halle nach -

TITO:

Es ist ä-meine Schuld. Ich mache ihr Kummer. Sie ist ä-

nicht ä-glücklich.

(Weint)

Ich! Ich mache ihr unglücklich!

MAX:

Tito ...

TITO:

Sie haßt ä-mich. Ich will nicht ä-mehr leben!

MAX:

Sie kommt wieder zurück. Ganz bestimmt.

TITO:

Ich bringe mich um!!!

(Springt auf und stürmt in den Salon)

MAX:

Halt!

(Läuft ihm nach. TITO sieht sich mit wildem Blick nach

einem geeigneten Gegenstand für sein Vorhaben um. Er

ergreift die Chiantiflasche. Ungeeignet. Er wirft sie weg,

und MAX fängt sie auf, während er ihm immer noch auf

den Fersen ist)

TITO:

Ich bringe mich um!! Ich kann nicht ä-mehr leben!!

MAX:

Beruhigen Sie sich!

TITO:

Nicht ä-mehr leben!

MAX:

Tito, bitte! -

TITO:

Sie haßt ä-mich! Ich habe so weit ä-getrieben, daß sie

haßt ä-mich!

(Stürmt in die Kitchenette)

MAX:

Nein! Tito!

(Folgt ihm. Geräusche eines Handgemenges. Von

draußen)

Tito, seien Sie vernünftig!

TITO:

(von draußen)

Laß mich!

MAX:

(von draußen)

Nicht doch! ... Hey ...!

(Krachen. Eine Schublade mit Besteck ist auf dem Boden

gelandet. Gleich darauf kommt TITO, eine Gabel

schwingend, herausgestürzt, gefolgt von MAX)

TITO:

Ich bringe mich um!!!

MAX:

Legen Sie die Gabel hin!

TITO:

Sie haßt ä-mich! Es ist alles aus!

MAX:

Tito! Sie sind nicht auf der Bühne! Bitte! Legen Sie sie

hin!

(TITO läßt die Gabel fallen und sinkt erschöpft aufs Sofa)

TITO:

Oh Max! Max!

MAX:

Ganz ruhig. Es wird alles gut.

TITO:

Sie ist ä-weg.

MAX:

Das ist nicht Ihre Schuld.

TITO:

Oh Maria. Maria ...

MAX:

Sie kommt wieder zurück. Sie werden sehen.

(TITO ergreift die Chiantiflasche und beginnt zu trinken)

Hey! Nicht doch! Halt!

(Nimmt ihm die Flasche weg)

TITO:

Max ...

MAX:

Kommen Sie. Stehen Sie auf. Ich bringe sie ins Bett.

TITO:

Ich kann nicht.

MAX:

KOMMEN SIE!

(Zieht TITO auf die Füße und schleppt ihn ins

Schlafzimmer)

TITO:

Max, sie haßt ä-mich.

MAX:

Unsinn. Sie liebt Sie. Sie kommt wieder zurück.

TITO:

Ich bringe mich um.

MAX:

Rein in die Falle. So is' schön.

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(Legt TITO aufs Bett. Während des Folgenden wird TITO

immer schlaffer und wirrer. Er lallt nur noch)

TITO:

Falle ...

MAX:

Jetzt schlafen Sie erst mal. Danach ist alles halb so

schlimm. Sie werden sehen.

TITO:

Schlafen ...

MAX:

Moment. Die Schuhe.

(Zieht TITO mit viel Mühe die Schuhe von den Füßen)

TITO:

Schuhe ...

MAX:

Uff. So, und jetzt schön die Augen zumachen ... Ich bin

gleich nebenan ...

TITO:

Max!

MAX:

Hä?

TITO:

Nicht ä-weggehen! Hierbleiben!

MAX:

Gut. Ich bleibe hier.

TITO:

Hier.

(Immer schwächer)

Nicht nebenan ...

MAX:

Schscht. Ich bin hier - ich bleibe hier. Okay?

TITO:

Okay.

(Pause. Alles ist still. MAX setzt sich auf die Bettkante)

TITO:

Max!

MAX:

(fällt vom Bett)

Ich bin ja hier!

TITO:

Max ... Singen ...

MAX:

Hä?

TITO:

Maria. Sie singt ä-mir - ich einschlafen ...

MAX:

Oh. Ich verstehe.

TITO:

(schwach)

Singen ...

MAX:

Gut.

(Räuspert sich)

Irgendwas, äh ... Bestimmtes?

TITO:

Singen!

MAX:

Singen.

(Überlegt. Ein Waldhorn gibt in seinem Kopf den Ton an.

Er blickt verdutzt auf. Dann beginnt er leise die

Tenorstimme aus dem "Don Carlos"-Duett zu singen)

Dio, che nell'alma infondere

amor volesti e speme,

desio nel cor accendere ... etc.

(TITO schläft ein. MAX tätschelt seine Hand und singt

weiter. Es wird dunkel, wenn das Orchester das Thema

des Liedes übernimmt)

ZWEITE SZENE

Vier Stunden später. Gegen sechs Uhr dreißig.

MAX und TITO schlafen. MAX liegt im Salon auf dem

Sofa, TITO immer noch im Schlafzimmer auf dem Bett,

jetzt mit einer Daunendecke zugedeckt.

Nach wenigen Sekunden klopft es an der

Salon/Korridortür. MAX schreckt auf, weiß im ersten

Moment nicht, wo er ist. Wieder klopft es.

MAX:

Komme schon. Sekunde.

(Steht auf und streicht sich über Haare und Jackett; dann

geht er zur Tür und öffnet. Es ist der PAGE)

PAGE:

Es ist sechs Uhr dreißig. Ihr Weckruf.

MAX:

Sie hätten doch telefonieren können.

PAGE:

Ja, aber so ist es doch viel persönlicher. Wenn ich hier

Manager bin, werde ich darauf bestehen. Wo ist er

denn?

MAX:

Er schläft.

PAGE:

(geht an MAX vorbei)

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Gut. Ich wecke ihn.

MAX:

Nicht doch! Also wissen Sie.

PAGE:

Du liebes bißchen, wie sieht es denn hier aus? Ordnung

ist nicht Ihre starke Seite, hab ich recht?

(Beginnt, das Zimmer in Ordnung zu bringen, die Kissen

zurechtzuklopfen etc.)

MAX:

Hey - was soll das? Das Zimmer ist doch okay!

PAGE:

Finden Sie? Ich hätte es taubenblau eingerichtet, und es

schreit nach mehr Kissen.

MAX:

Hören Sie, ich habe eine Menge zu tun.

PAGE:

Kann ich Ihnen etwas abnehmen? Soll ich das

Schlafzimmer machen?

MAX:

Nein, danke.

PAGE:

(steuert aufs Schlafzimmer zu)

Ich werde ihm ein Bad einlassen, ja? Und die

Unterwäsche rauslegen -

MAX:

Nein!

PAGE:

Dann sagen Sie mir, was ich tun soll.

MAX:

Hören Sie ... Also schön. Wie wär's mit Kaffee?

PAGE:

(setzt sich)

Kaffee? Oh, da sage ich nicht nein. Das war mal wieder

ein Tag ...

MAX:

Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Wenn Sie mit dem

Kaffee wiederkommen, wird Mr. Merelli fertig sein, und

dann stelle ich Sie kurz vor.

PAGE:

Ehrenwort?

MAX:

Ehrenwort.

PAGE:

Ich schwärme nämlich für ihn. Oder hatte ich das schon

erwähnt?

MAX:

Ich habe es mir zusammengereimt.

PAGE:

Ja. Seit ich ihn zum ersten Mal gehört habe. Mein

Patenonkel hat ihn mir zur Konfirmation geschenkt. Die

gesamte Carmen. Eine himmlische Aufnahme, ich war

ganz weg.

MAX:

Apropos weg, wollten Sie nicht -

PAGE:

Von dem Moment an wußte ich, was ich am allerliebsten

werden würde.

MAX:

Ich weiß, was Sie meinen.

PAGE:

Stierkämpfer.

MAX:

Der Kaffee.

PAGE:

Ach ja, richtig.

(Geht zur Korridortür)

Ich bringe meine Kamera.

MAX:

Hey, Moment! Keine Fotos!

(Der PAGE öffnet die Tür - und draußen steht DIANA, im

Begriff, anzuklopfen. DIANA ist Anfang bis Mitte dreißig,

eine männermordende Schönheit mit atemberaubenden

Formen)

PAGE:

Oh ...!

MAX:

Diana! -

DIANA:

Hi, Schätzchen.

PAGE:

Wenn Sie zu Mr. Merelli wollen, müssen wir Sie leider

enttäuschen.

(Zu MAX)

Nicht wahr?

MAX:

Der Kaffee.

PAGE:

Bis gleich.

(Geht ab. DIANA sieht sich im Zimmer um)

DIANA:

Nicht übel.

MAX:

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Nein. Na ja, ich meine ... Tito Merelli.

DIANA:

Eben.

(Kommt gelassen weiter ins Zimmer herein)

MAX:

Haben sich die Noten angefunden?

DIANA:

Welche Noten? ... Ach so, ja. Die waren im Heizkeller.

(MAX erschrickt)

Aber noch nicht im Kessel.

MAX:

Na, Gott sei Dank. Wie war die Probe?

DIANA:

Gar nicht so schlecht. Dafür, daß ich die Duette allein

singen mußte.

MAX:

Ja, das - das tut mir leid. Heute abend wird er aber da

sein. Keine Sorge.

DIANA:

Das wäre eine gewisse Hilfe.

(MAX sieht auf die Uhr)

MAX:

Diana ... kann ich ... äh ... irgendwas für dich tun?

DIANA:

Nein, Schätzchen, ich dachte nur, ich schau mal kurz

vorbei. Ist vielleicht besser, dachte ich, als sich auf der

Bühne kennenzulernen.

MAX:

Das ist - das ist sehr nett von dir. Das Dumme ist nur, er

schläft noch, weißt du. Er war todmüde.

DIANA:

(setzt sich)

Das macht nichts. Ich kann warten.

MAX:

Ja, nur ... ich wollte ihn eigentlich ins Theater bringen

und - und mit allen gleichzeitig bekanntmachen. Ich

meine, ich muß ihn wecken, und er muß sich

fertigmachen, und - und vielleicht möchte er gern allein

sein. Sich konzentrieren und so.

(Pause)

DIANA:

Ist dir klar, was der Mann für mich tun kann, Max? Der

kann mich doch praktisch in jede Position bringen.

MAX:

(kichert)

Hihihi.

DIANA:

Ein Anruf von Tito Merelli, und ich bin am nächsten Tag

an der Met.

MAX:

Ach so.

DIANA:

Deshalb ist es sehr wichtig für mich, ihn

kennenzulernen. Ein Weilchen mit ihm allein zu sein.

Verstehst du?

MAX:

Ja, ja. Absolut. Bloß, jetzt ist es etwas ungünstig, jetzt

muß ich sehen, daß ich ihn ins Theater kriege. Danach -

jederzeit, Diana. Ich meine, er - er ist ja morgen auch

noch hier. Okay?

(Pause)

DIANA:

Du bist sehr süß, Max. Hat dir das schon mal jemand

gesagt?

MAX:

Klar. Meine Mutter. Meine Tante Patty.

DIANA:

Keine unverheiratete Dame?

MAX:

Tante Patty ist unverheiratet. Sie hat allerdings einen

kleinen Gehfehler.

DIANA:

Du läßt mich also nicht zu ihm?

MAX:

Später. Ich verspreche es dir. Ich sorge dafür, daß du ein

Weilchen mit ihm allein bist. Ein langes Weilchen. Okay?

Ich verspreche es dir.

DIANA:

Würdest du ihm etwas ausrichten?

MAX:

Klar. Was?

DIANA:

Das.

(Legt ihm die Arme um den Hals und küßt ihn auf den

Mund: Sehr lange. Er weiß nicht, was er mit seinen

Armen machen soll. Sie läßt ihn los)

MAX:

Uuuuh! ... Ich richt's ihm aus. Hoffentlich wird er's nicht

mißverstehen.

DIANA:

Bis später, Schätzchen.

(Nimmt ihre Tasche und geht ab. MAX schließt die Tür

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und lehnt sich dagegen. Er seufzt erleichtert auf)

MAX:

Nettes Mädchen.

(Sieht auf die Uhr)

Ach herrje.

(Geht zur Verbindungstür und klopft an)

Tito. Sie müssen aufstehen.

(Öffnet die Tür und macht im Schlafzimmer Licht)

Tut mir schrecklich leid.

(Läßt die Tür offen und geht wieder in den Salon.

Während des Folgenden nimmt er die Chiantiflasche und

die Gläser, um sie in die Kitchenette zu bringen. Im

Schlafzimmer rührt sich nichts)

Ich habe Kaffee bestellt, aber wenn Sie irgendwas

anderes wollen, kann ich runterrufen.

(Geht in die Kitchenette und kommt gleich darauf ohne

Flasche und Gläser wieder heraus)

Haben Sie Hunger? Tito?

(Keine Antwort. MAX geht zur Verbindungstür, blickt ins

Schlafzimmer und sieht, daß TITO immer noch schläft)

Tito. Sie müssen aufstehen. Es ist höchste Zeit.

(Geht ins Schlafzimmer und zum Bett. Er schüttelt TITO

sanft)

Hey, Tito. So leid es mir tut, ich muß Sie aufwecken, es

ist Viertel vor sieben.

(Keine Antwort)

Tito ... Wir müssen gehen!

(Zieht TITO an den Armen hoch und läßt ihn los. TITO

sackt zurück aufs Bett)

Was ist denn los mit Ihnen? ... Wachen Sie auf, Tito!

(Schüttelt ihn kräftiger)

Tito!!

(Keine Antwort. MAX richtet sich auf, und während er

auf TITO hinunterblickt, kommt ihm ein furchtbarer

Gedanke. Da fällt sein Blick auf den zusammengefalteten

Briefbogen, der auf dem Nachttisch neben TITOs

Pillenröhrchen liegt. Er zögert, nimmt ihn dann und liest)

... "Wenn du das findest, bin ich für immer fort."

(MAX erstarrt. Er blickt auf TITO, dann wieder auf den

Bogen)

"Nach dem, was jetzt geschehen ist, hält mich hier nichts

mehr. Ich kann dieses Leben nicht mehr ertragen. Mein

Herz ist kein Fußabtreter. Ciao."

(MAX starrt fassungslos auf den Bogen. Dann sieht er

das Pillenröhrchen und greift danach. Es ist leer)

Tito!! ... Wachen Sie auf!

(Schüttelt ihn heftig)

Tito, um Gottes willen!!

(Es klopft an der Salon/Korridortür. MAX hört es nicht.

Ihn weiter schüttelnd)

Tito, können Sie mich hören?!! Tito!! Bitte!! Tito!!

(Preßt das Ohr an TITOs Brust)

SAUNDERS:

(von draußen)

Max!

MAX:

(schüttelt ihn wieder)

Tito, wachen Sie auf!! Bitte, wachen Sie auf!! Mir

zuliebe ...

(Hört plötzlich auf, ihn zu schütteln, da ihm klar wird,

daß es zwecklos ist)

(Mit bleichen Lippen)

Oh mein Gott.

SAUNDERS:

(von draußen, klopft)

Machen Sie auf, Max!

MAX:

(ruft)

K-komme schon! Eine Sekunde!

(Blickt traurig auf TITO. Er hat einen Freund verloren.

Streicht ihm sanft das Haar aus der Stirn)

Tito. Es tut mir so leid.

SAUNDERS:

(von draußen)

Max! Machen Sie auf!

(MAX wendet sich ab und geht in den Salon. Er schließt

die Verbindungstür hinter sich. Benommen geht er zur

Korridortür und öffnet sie. SAUNDERS kommt herein, in

Frack und weißer Fliege)

Danke, Max. Ich hoffe, das war nicht allzuviel Mühe.

(Keine Antwort)

Nun? Wie befindet sich Lo Stupendo? Hat er sich

beruhigt?

MAX:

Beruhigt?

SAUNDERS:

Sie sagten doch was von einem Schock am Telefon. Ist

sie wieder zurückgekommen?

(MAX starrt ihn ausdruckslos an)

Seine Frau, Menschenskind! Wachen Sie auf, Max.

MAX:

Ach so. Nein, die ist nicht, äh ... -

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SAUNDERS:

Hätte mich auch gewundert, offen gestanden, nachdem

ich die beiden miteinander erlebt habe. Ich war absolut

darauf gefaßt, daß einer von ihnen ein Messer zieht.

(Keine Antwort)

Geht's ihm besser? Ist er wieder fit?

MAX:

Sir ... er ist tot.

SAUNDERS:

Wundert mich gar nicht, daß ihm das in die Glieder

gefahren ist. Hätte er die hysterische Kuh doch nur nicht

mitgebracht!

MAX:

Sir -

SAUNDERS:

Na ja, es muß ja nicht die Vorstellung seines Lebens sein.

Hauptsache, wir kriegen ihn auf die Bühne.

MAX:

Sir.

SAUNDERS:

Ich höre.

MAX:

... Er ist tot. Ich meine - ich meine, tot. Er hat sich

umgebracht.

(Lange Pause)

SAUNDERS:

Wer?

MAX:

Tito.

(Pause)

SAUNDERS:

Merelli?

MAX:

(nickt; mit erstickter Stimme)

Er ist im Schlafzimmer.

(SAUNDERS sieht MAX an. Dann geht er zur

Verbindungstür)

SAUNDERS:

Soll das ein Witz sein?

(MAX schüttelt den Kopf. SAUNDERS öffnet die Tür und

geht hinein. MAX folgt ihm zur Tür. SAUNDERS geht

zum Bett. Er schüttelt TITOs Schulter. Keine Reaktion.

Vorsichtig schiebt er eines von TITOs Augenlidern

zurück. Nichts. Pause)

DRECKSACK!

MAX:

(entsetzt)

Sir!

SAUNDERS:

WAS IST PASSIERT??!!

MAX:

Er - er hat sich aufgeregt. Über seine Frau. Er hat das

ganze Röhrchen geschluckt.

(SAUNDERS greift wütend nach dem Röhrchen)

SAUNDERS:

Ich könnte ihn -

MAX:

Er hat eine Nachricht hinterlassen.

(SAUNDERS reißt MAX den Briefbogen aus der Hand. Er

überfliegt ihn, während MAX weiterspricht)

Ich - ich - ich wußte, es ist ihm sehr nahegegangen ... er

war ganz außer sich. Er hat - er hat mit einer Gabel

rumgefuchtelt, und ich hatte schon Angst, aber dann

hat er sich beruhigt und - und wollte sich bloß

schlafenlegen ...

(SAUNDERS blickt mit zusammengekniffenen Augen auf

den Briefbogen)

SAUNDERS:

"Mein Nerz ist kein Fußabtreter"?

MAX:

(sieht hin)

"Herz". "Mein Herz ist kein Fußabtreter. Ciao."

SAUNDERS:

Oh mein Gott.

MAX:

Ich - ich dachte, er übertreibt.

SAUNDERS:

Die werden mich kreuzigen.

MAX:

Es ist doch nicht Ihre Schuld.

SAUNDERS:

Sie werden ihr Geld zurückverlangen.

MAX:

Ja, wahrscheinlich.

SAUNDERS:

Dieses italienische Arschloch. Ich wußte, er wird mich in

die Pfanne hauen.

(Zu TITO)

Bist du jetzt zufrieden?! JA?!

MAX:

Sir -

(SAUNDERS steigt aufs Bett und schüttelt TITO heftig in

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seiner Wut)

SAUNDERS:

BIST DU JETZT STOLZ AUF DICH? GEHT'S DIR JETZT

BESSER??!!

MAX:

SIR, BERUHIGEN SIE SICH DOCH!!

(SAUNDERS nimmt sich zusammen)

SAUNDERS:

Warum mir das? Hätte es nicht bis morgen Zeit gehabt?

Hätte er nicht nach dem Frühstück aus dem Fenster

springen können?

MAX:

Wir haben ein Duett zusammen gesungen. Ich meine,

ich - ich mochte ihn richtig gern.

(SAUNDERS steigt vom Bett)

SAUNDERS:

(bitter)

Tja ... damit ist nun wohl Feierabend. Aus der Traum.

Arrivederci.

(Gibt dem Bett einen Tritt. MAX breitet die Decke über

TITO. SAUNDERS geht in den Salon. MAX folgt ihm)

Ich werde es natürlich persönlich bekanntgeben. Ein

paar kurze Worte, nichts Bombastisches. "Meine Damen

und Herren, ich muß Ihnen eine traurige Mitteilung

machen. Der Star des heutigen Abends, Tito Merelli, ist

vor wenigen Stunden freiwillig aus dem Leben

geschieden. Die Gründe liegen im Dunkeln. Wollte er

seinem Ruf, wie ein Engel zu singen, gerecht werden?

Wollte er einem von uns, weiß der Himmel warum, ein

Schnippchen schlagen? Fest steht, daß er uns mit einem

Finale überrascht hat, wie es an Infamie und Egoismus in

der Geschichte der Oper seinesgleichen sucht!

MAX:

Vielleicht sollte ich es lieber bekanntgeben.

SAUNDERS:

Um Gottes willen!

MAX:

Die Vorstellung wird doch trotzdem stattfinden, oder?

SAUNDERS:

Aber ja! Selbstverständlich! Wir brauchen ihn nur gut

abzustützen und seine Platte zu spielen. Am Anfang

bauen wir ein paar Sätze ein, lassen jemanden sagen,

daß er in der Schlacht von Zypern verwundet worden ist,

und dann tragen wir ihn auf einer Bahre herum.

MAX:

Ich - ich - ich meine, mit der zweiten Besetzung.

SAUNDERS:

Mit der zweiten Besetzung. Natürlich! Mein Gott, Sie

haben das ganze Problem gelöst! Wir geben gar nichts

bekannt, wir legen einen Zettel ins Programmheft - "Die

Rolle des Otello singt Albert Rupp". Und sofern noch

irgend jemand im Zuschauerraum ist, wenn Herr Rupp

sich verbeugt, können sie ihn dann steinigen! Das

optimale Opernerlebnis! Ein einziger donnernder

kollektiver Blutrauschorgasmus! Salome wird einem

danach vorkommen wie "Die Lustige Witwe"!

MAX:

Vielleicht sollten wir - vielleicht sollten wir uns einen

Augenblick hinsetzen. Okay? ... Sir.

(SAUNDERS setzt sich)

Sowas passiert nun mal. Daran sind Sie doch nicht

schuld. Es war - es war ganz einfach Pech. Ich meine, das

müssen die doch verstehen.

SAUNDERS:

Ja, natürlich. Werden sie auch. Und dann werden sie mir

den Stuhl vor die Tür setzen. Ich kenne die Brüder.

(Pause. Der Sturm ist vorbei. Blanke Verzweiflung. Nach

einigen Sekunden jedoch lächelt SAUNDERS, dann lacht

er vor sich hin, um schließlich in echtes, wenn auch eine

Spur hysterisch klingendes Gelächter auszubrechen)

MAX:

Was ist denn so komisch, Sir?

SAUNDERS:

Ohhh! ... Ich dachte nur gerade. Die würden

wahrscheinlich den Unterschied gar nicht merken. Albert

Rupp. Schwarz angestrichen. Ausgestopft.

Wuschelperücke. Wenn wir diesen Idioten im

Zuschauerraum nichts sagen, denken die glatt, er ist Lo

Stupendo.

MAX:

Meinen Sie?

(Denkt darüber nach. Seine Miene hellt sich auf)

Ich glaube, Sie haben recht.

(Muß wider Willen lachen, woraufhin SAUNDERS von

neuem anfängt)

Sie ... sie würden es wahrscheinlich gar nicht merken -

SAUNDERS:

Sie würden ihm Ovationen bringen!

MAX:

Sprechchöre bilden!

(Sie lachen Tränen, stecken sich immer wieder

gegenseitig an. Schließlich)

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Ohhh ...

SAUNDERS:

Ohhh ...

MAX:

Hat nur einen Haken.

SAUNDERS:

Ich weiß.

MAX:

Die anderen würden ihn erkennen. Ich meine, die

Kollegen.

SAUNDERS:

So ist es.

MAX:

Und die ganze Geschichte würde durchsickern -

SAUNDERS:

- und dann könnte ich mich aufhängen. Ja, das ist mir

klar.

MAX:

Wenn er nicht zum Ensemble gehören würde, könnte es

klappen.

SAUNDERS:

Gehört er aber.

MAX:

Ja. Leider.

(Lange Pause. In SAUNDERS' Kopf nimmt langsam eine

Idee Gestalt an. Er prüft sie, dann wendet er den Kopf

und sieht MAX an. MAX reagiert mit einem freundlichen

Lächeln. Dann bemerkt er den starren, besessenen

Ausdruck in SAUNDERS' Augen ... und wird plötzlich

nervös)

SAUNDERS:

(ruhig)

... Max.

MAX:

Vergessen Sie's. Brauchen wir gar nicht drüber zu reden.

SAUNDERS:

Max -

MAX:

Die würden mich in zehn Sekunden erkennen.

SAUNDERS:

Nein, eben nicht.

MAX:

Geben Sie sich keine Mühe, Sir. Die Antwort ist nein.

SAUNDERS:

Max -

MAX:

Sie sind wahnsinnig. Ich sehe doch ganz anders aus.

SAUNDERS:

Schwarzes Gesicht. Wuschelkopf -

MAX:

Moment. Das war doch nur ein Scherz vorhin.

SAUNDERS:

Sie könnten es, Max. Ich weiß, daß Sie es könnten.

MAX:

(gerät in Panik)

Sir. Hören Sie mir - hören Sie mir nur eine Sekunde zu,

ja? Ich spreche nicht italienisch. Ich - ich - ich spreche

kaum meine eigene Sprache.

SAUNDERS:

Sie brauchen nicht italienisch zu sprechen. Nur zu

singen.

MAX:

Stimmt nicht! Ist ja gar nicht wahr!

SAUNDERS:

Es ist eine Chance für Sie, Max. Die Chance Ihres Lebens.

MAX:

Nein. Nein, nein. Nein, es kommt überhaupt nicht in -

SAUNDERS:

Sie könnten Operngeschichte machen. Denken Sie doch

nur ... tausend Leute, die Ihnen zujubeln - sich heiser

brüllen -

MAX:

Moment. Moment. Lassen Sie mich doch mal ... okay?

Sie würden es merken. Sie würden es ganz bestimmt

merken. Daß ich es bin. Max.

SAUNDERS:

Nein, eben nicht! Das ist es ja gerade! Sie haben ihn nie

gesehen. Sie erwarten Tito Merelli, nicht Sie. Sie kämen

gar nicht auf den Gedanken!

MAX:

Aber ich könnte es gar nicht! Ich meine, es ist - es ist -

nicht eine Arie - nicht zwei Arien -

SAUNDERS:

Sie könnten es!

MAX:

Die ganze Oper!

(Seine Stimme überschlägt sich)

Vier Akte!

SAUNDERS:

Sie haben die Partie studiert. Haben Sie mir selbst

gesagt.

MAX:

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Ich kann sie summen! In der Badewanne!

(Das Telefon klingelt)

SAUNDERS:

Sie kennen jede einzelne Note. Erzählen Sie mir nichts.

MAX:

Irrtum! Es gibt eine Stelle am Schluß, da - da komme ich

immer durcheinander -

SAUNDERS:

(triumphierend)

Aha!

(Ins Telefon)

Ja?

MAX:

(läuft umher)

Eine Schnapsidee!

SAUNDERS:

Ja, Julia. Ich höre.

MAX:

Außerdem ist es Betrug. Hochstapelei. Vorspiegelung

falscher Tatsachen ...

SAUNDERS:

(ins Telefon; kann nicht verstehen)

Was sagst du?

(Zu MAX)

Ruhig doch mal.

MAX:

Ich mache mich strafbar.

SAUNDERS:

(ins Telefon)

Nein, Tito geht es viel besser. Er ist frisch und munter.

MAX:

Nein, das ist er nicht. Er ist tot. Wie kann er frisch und

munter sein, wenn er tot ist -

SAUNDERS:

(ins Telefon)

Nein! Nein, bitte, Julia, komm nicht rauf. ... Trotzdem

bleib lieber unten. ... Also offen gestanden, die Sache

mit seiner Frau ist ihm doch ziemlich an die Nieren

gegangen, darum ist es besser, wir treffen dich nachher

im Theater.

MAX:

Viel besser. Viel, viel besser. Weil er nämlich tot ist.

SAUNDERS:

(ins Telefon)

Ach, das war nur Max ... Is' gut. In Ordnung. Bis nachher.

(Legt auf)

MAX:

Das war ein Fehler.

SAUNDERS:

Max ...

MAX:

Nein.

SAUNDERS:

Ich flehe Sie an, Max. Auf den Knien flehe ich Sie an.

(Tut es)

MAX:

Nein!

SAUNDERS:

Sehen Sie mir in die Augen, Max. Sie können es, glauben

Sie mir!

MAX:

Ich kann es nicht!

SAUNDERS:

Tausende Besucher! Jetzt werfen sie sich gerade in

Schale. Sie haben fünfzig Dollar pro Karte bezahlt, Max.

Das sind fünfzigtausend Dollar!

MAX:

Sir -

SAUNDERS:

Meine ganze Laufbahn! Meine Existenz! Mein Leben,

Max. Das Leben meiner Kinder. Alles liegt in Ihren

Händen.

MAX:

... Ach, Scheiße.

SAUNDERS:

Das vergesse ich Ihnen nie, Max.

(Springt auf die Füße und rast ins Schlafzimmer. MAX,

jetzt sprachlos vor Angst, folgt ihm. Während des

Folgenden durchwühlt SAUNDERS TITOs Koffer nach

dem Kostüm und allem, was dazugehört)

Es ist ganz einfach. Wir müssen uns nur an meinen Plan

halten. Sie ziehen sich

hier um. Schminke, das ganze Pipapo, wir fahren so

rüber, daß wir's gerade zum Einläuten schaffen, und

zack sind Sie auf der Bühne.

MAX:

Oh Gott.

SAUNDERS:

Wenn man Sie anspricht, sagen Sie nur das

Allernotwendigste. Angenehm, ganz meinerseits, freue

mich, hier zu sein, aber mehr auch nicht. Lassen Sie sich

nicht fortreißen.

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MAX:

Keine Sorge.

(Während SAUNDERS den Koffer durchwühlt, reißt er

alles, wonach er nicht sucht, heraus und schleudert es

auf den Boden: Socken, Pyjama, Unterwäsche etc.)

SAUNDERS:

Während der Pausen bleiben Sie in Ihrer Garderobe.

Eingeschlossen. Allüren, Atemübungen, ganz egal. Nach

dem letzten Vorhang sofort ins Auto, hierher zurück,

und das war's.

MAX:

Und was ist mit, äh ...

(Kopfbewegung zu TITO)

SAUNDERS:

Kein Problem. Morgen früh geben wir's bekannt. Blitz

aus heiterem Himmel. Er hat die Pillen nach der

Vorstellung geschluckt und ist während der Nacht sanft

entschlafen. Hier ist es.

(Wirft MAX das Kostüm zu. Es ist sehr weit - eine

Unmenge Stoff)

MAX:

Paßt mir nicht. Sehe ich jetzt schon.

SAUNDERS:

(reicht ihm ein Kissen)

Damit ja.

MAX:

Der Stoff kratzt.

SAUNDERS:

Schminke. Stiefel. Perücke. Handschuhe.

(Stapelt einen Schminkkasten, Lederstiefel, eine Perücke

und ein Paar schwarze Handschuhe auf das Kostüm)

Sonst noch was?

MAX:

Ich hoffe nicht.

(Es klopft an der Salon/Korridortür. Beide erstarren)

SAUNDERS:

Wer ist das?

MAX:

Wie soll ich das wissen?

SAUNDERS:

Ich mach das schon. Ziehn Sie sich um, und beeilen Sie

sich.

(Geht zum Salon)

MAX:

Sir?

SAUNDERS:

(bleibt stehen)

Was is'?

MAX:

Wollen Sie mir nicht Glück wünschen?

SAUNDERS:

Nicht nötig, Max. Wir brauchen kein Glück.

MAX:

(gerührt)

Danke, Sir.

(SAUNDERS verläßt das Schlafzimmer und schließt die

Tür)

SAUNDERS:

Wir brauchen ein Wunder.

(Während SAUNDERS zur Salon/Korridortür geht, wankt

MAX ins Badezimmer und schließt die Tür. An der Tür)

Wer ist da?

JULIA:

(von draußen)

Ich bin's, Henry. Mach auf.

SAUNDERS:

Julia! Ich habe dir gesagt, du sollst nicht raufkommen!

JULIA:

(von draußen)

Mach auf, Henry!

(SAUNDERS öffnet die Tür. JULIA kommt herein. Sie ist

um die Fünfzig und trägt eine weiße Abendrobe mit

vielen Rüschen. Sie nimmt eine Pose ein)

Wie sehe ich aus? Die Wahrheit.

SAUNDERS:

Wie ein Hochzeitskuchen.

JULIA:

Ich wußte, es wird dir gefallen.

(Wirbelt herum)

Direkt aus Paris. Haute couture. Sehe ich so verrucht aus,

wie ich mich fühle?

SAUNDERS:

Julia, um Himmels willen -

JULIA:

Ach, sei doch nicht so stur, Henry. Jetzt bin ich schon

mal hier. Außerdem bin ich vielleicht genau das, was er

in diesem Moment braucht. Du weißt, ich habe ein

Talent zum Trösten. Vielleicht kann ich ihn aufrichten.

Seine Lebensgeister wecken.

SAUNDERS:

Höchst unwahrscheinlich.

JULIA:

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Überlaß ihn mir ein paar Minuten, Henry, und du wirst

sehen, sein Kummer ist wie weggeblasen.

SAUNDERS:

Tut mir leid.

JULIA:

Das arme Kerlchen. Du hast ja keine Ahnung, wie man

als Frau empfindet. Ich wünschte, ich könnte sein

heißes, wirres Köpfchen an meine Brust ziehen und ihm

sagen, daß alles wieder gut wird.

SAUNDERS:

Das sollten Sie sich fürs Opernkomitee aufheben, Frau

Vorsitzende.

JULIA:

Das Ganze erinnert mich an - welche Oper ist das doch

gleich, du weißt schon, die mit den Schneeflocken und

den Geigen, wo ich immer so entsetzlich weine.

SAUNDERS:

"La Boheme".

JULIA:

Gä-nau. Sie verläßt ihn, weil ihr sein gräßlicher Vater so

zusetzt, und dann ist irgend so ein Fest, aber sie liegt

nur da und streichelt ihm den Kopf und sagt, daß sie ihn

liebt, und dann stirbt sie an Schwindsucht.

SAUNDERS:

Das ist "La Traviata". Julia, bitte! Hör mir einen Moment

zu!

JULIA:

Ich höre dir die ganze Zeit zu, Henry.

SAUNDERS:

Also. Ich möchte, daß du sofort zum Theater fährst.

JULIA:

Aber wieso? Wo ich schon mal hier bin.

SAUNDERS:

In zehn Minuten bist du im Theater.

JULIA:

(logisch)

Nicht, wenn ich hier bin. Ich kann nicht an zwei Plätzen

zugleich sein.

SAUNDERS:

Das wirst du auch nicht. Du wirst nicht hier sein.

JULIA:

Wieso nicht?

SAUNDERS:

Weil du dort sein wirst!

JULIA:

Wieso die Umstände? Wo ich schon mal hier bin -

SAUNDERS:

Julia, bitte! -

(Es klopft an der Tür. Er geht hin. Unwillig)

Wer ist da?

PAGE:

(von draußen)

Zimmerservice. Zweimal Kaffee.

SAUNDERS:

Wir haben keinen Kaffee bestellt.

PAGE:

(von draußen)

Doch, das haben Sie. Fragen Sie Max!

SAUNDERS:

Dann bestelle ich ihn wieder ab!

JULIA:

Also Henry, das ist doch keine Art.

(Geht zur Tür)

SAUNDERS:

Nicht! -

(Aber sie öffnet die Tür. Der PAGE kommt mit einem

Tablett mit Kaffeekanne, Tassen etc. herein. Eine Kamera

hängt ihm über der Schulter. Er läßt die Tür offen)

PAGE:

Danke, Madam.

JULIA:

Auf den Tisch, bitte.

SAUNDERS:

Und dann raus mit Ihnen.

JULIA:

Er tut nur seine Pflicht, Henry.

SAUNDERS:

Soll er sie woanders tun.

PAGE:

Darf ich einschenken, Madam?

JULIA:

Danke, das wäre sehr nett.

SAUNDERS:

Julia, ich hatte dich gebeten zu gehen.

JULIA:

Wo nur Mr. Merelli so lange bleibt.

PAGE:

(geht zur Verbindungstür)

Vielleicht kommt er mit seinen Knöpfen nicht zurecht.

Sie wissen doch, diese Opernstars, hilflos wie -

SAUNDERS:

Halt!