KERRY GREENWOOD

Kuchen, Killer und Kanonen

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Buch

Seit ihrer letzten Begegnung mit dem Verbrechen gibt es wohl kaumjemanden, der weniger Lust aufs Detektivspielen hat als die Bäcke-rin Corinna Chapman. Schließlich muss sie Brot backen! Und in ih-ren freien Minuten gibt es genügend Katzen zu streicheln, Bäckers-gehilfen zu kontrollieren, und außerdem muss sie auch noch die Türim Auge behalten: Es könnte ja sein, dass endlich wieder Daniel, derMann mit den schokoladefarbenen Augen, in ihr Leben tritt. Fander nicht jedes ihrer vielen Pfündchen einfach hinreißend? Also, wo

ist der Mann?Denn leider ist Daniel seit über einer Woche spurlos verschwunden.Angeblich versucht er gerade, Jugendlichen, die sich irgendwo dort,wo Melbourne ganz schäbig und billig ist, im Dunstkreis des Ver-brechens verloren haben, aus der Patsche zu helfen. Und tatsächlich,als Daniel auftaucht, erzählt er Scheußliches: von einem selbster-nannten Messias, der die einsamen Seelen um sich sammelt, und sei-nen gewaltbereiten Jüngern. Diesen Mann will Daniel stoppen, und

Corinna kann ihm dabei helfen.Doch Corinna hat noch ganz andere Probleme: Juliette Lefebvre,die Besitzerin von »Heavenly Pleasures« und die beste Chocolatièreder ganzen Stadt, fragt sie um Rat. Seit einiger Zeit verunreinigt je-mand ihre erlesenen Schokoladen. Erlaubt sich jemand nur einenganz schlimmen Scherz, oder ist das die Warnung, dass bald nochviel Schlimmeres geschehen könnte? Ehrensache, dass Corinna sich

nicht zweimal um Hilfe bitten lässt …

Autorin

Kerry Greenwood stammt aus Melbourne. Sie studierte Jura an derMelbourne University. Neben ihren Katzen ist eine große Liebe inihrem Leben das Theater: Kerry Greenwood war schon Folk-Sänge-rin, Regisseurin, Übersetzerin, Kostümdesignerin und Köchin derCompagnie. In der Regel aber arbeitet sie als Notarin bei einer kos-

tenlosen Rechtsberatungsstelle und widmet sich dem Schreiben.Weitere Informationen finden Sie unter:

www.earthlydelights.net.au

Lieferbare Titel

Torten, Tod und Teufel. Roman (36457)

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Kerry Greenwood

Kuchen, Killerund Kanonen

Roman

Deutsch vonElfriede Peschel

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Die Originalausgabe erschien 2005 unter dem Titel»Heavenly Pleasures« by Allen & Unwin.

Umwelthinweis:Alle bedruckten Materialien dieses Taschenbuches

sind chlorfrei und umweltschonend.

1. AuflageDeutsche Erstausgabe August 2007 bei Blanvalet,

einem Unternehmen der VerlagsgruppeRandom House GmbH, München.

Copyright © by Kerry Greenwood 2005Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2007

by Verlagsgruppe Random House GmbHPublished by arrangement with Eleanor Wilder.Umschlaggestaltung: HildenDesign, München

Tortencreation von © Bäckerei-Konditorei Elfinger, FahlenbachMD ⋅ Herstellung: Heidrun NawrotSatz: DTP Service Apel, Hannover

Druck und Einband: GGP Media GmbH, PößneckPrinted in Germany

ISBN: 978-3-442-36456-5

www.blanvalet.de

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Dieses Buch widme ich meiner lieben Sister-in-Crime, Carmel Shute. Eine Frau von

bemerkenswerter Entschlossenheit, Freund-lichkeit und ebensolchem Charisma.

Bedanken möchte ich mich bei Jean Green-wood, der außergewöhnlichen Annette

Barlow und allen anderen bei A und U, derGen-X Support Group, Sarah-Jane Reeh undLucifer, David und Dennis und allen anderen.

Dieses Buch ist fiktiv. Sämtliche Figuren sindfrei erfunden und beziehen sich nicht auf reallebende Personen. Auch die Stadt Melbourne

ist ein Produkt meiner Fantasie.

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Verschone das fremde JungeUnd füge ihm zu kein Leid.Nein, grüß es als Schwester und Bruder,auch wenn es noch wehrlos und klein,es könnte die starke Bärindes Kleinen Mutter sein.

Rudyard Kipling aus:»Das Dschungelbuch«, Kaas Jagdtanz

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Habe ich Ihnen schon erzählt, wie ich mich so gegen vierUhr morgens fühle? Qualvoll, elend und voller Angst,dass ich mit dem Zeh gegen die Katze stoßen könnte.

Oh, das habe ich schon? Richtig. Dann setzen Sie bitteals selbstverständlich voraus, dass ich aufgestanden bin,gegähnt, mich gestreckt, gewaschen und meinen XXL-Körper in Trainingshosen der Größe XXXL gestopfthabe, die auch schon bessere Zeiten erlebt haben, wie ichselbst. Ich machte mir Toast und Kaffee, ohne den keinFrühaufsteher oder Schichtarbeiter sich dem Universumund seiner kalten, dunklen Leere stellen kann. Um vierUhr morgens denkt man über seine Sünden nach undzählt seine Wohltaten. Ich dachte nach und zählte.

Ich heiße Corinna Chapman und bin Bäckerin. Ich be-sitze einen kleinen Laden mit dem Namen Irdische Freu-den an der Ecke Flinders Lane und Calico Alley in derStadt Melbourne. Wahrscheinlich haben Sie mein Brotschon mal gegessen, wenn Sie irgendwo in der Nähe derFlinders Street Station arbeiten. Früher war ich mal Wirt-schaftsprüferin im Businessdress mit grotesken Arbeits-zeiten, mit allem beschäftigt, womit eine Wirtschaftsprü-ferin sich eben so herumschlagen muss: Bilanzen ausglei-chen, sich mit den Leuten, die die Daten eingeben, überdie Unversöhnlichkeit des RIRO-Prinzips streiten, sichdie Knie wundscheuern, während man das Finanzamt ummehr Zeit anfleht, dazu die ständige Sorge um den Dol-

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larkurs. Das alles bereitet mir jetzt kein Kopfzerbrechenmehr. Meine Sorge gilt nur noch der Hefe, die, anders alsder Dollar, berechenbar ist und liebevolle Zuwendung zuschätzen weiß.

Ich fand eines Tages heraus, dass Buchführung michnicht mehr interessierte, sondern mein Interesse dem Brotgalt, und da stehe ich nun. Um vier Uhr springen die Öfenmit einem Wumm an, der mich jedes Mal aufweckt. Zu-sammen mit der Buchführung habe ich auch James, mei-nen Ex, verloren. Aber wie das mit manchen Verlusten soist, er war keiner. Ich zog in dieses exzentrische Gebäude,Insula, ein Apartmenthaus im römischen Stil mitten inder Stadt, erbaut von einem Architekten, dessen Mutter,wie Professor Monk behauptet, eine Sueton-Phobie hat-te. Es gibt bei uns Mosaike. Jede Wohnung hat einen rö-mischen Namen, die Geschäfte an der Straße einen grie-chischen. Der Prof sieht darin eine Anspielung auf dieScherze der Römer über griechisches Geschäftsgebaren.Wie auch immer, ich jedenfalls bin Bäckerin und wohnein Hebe, Dienerin der Götter, die Einsamen Schützenwohnen in Hephaistos, Schmied der Götter, die ausge-zeichneten Köche der Familie Pandamus wohnen in Hes-tia, Göttin des Herdes, und meine beste Freundin Meroe,die Hexe, wohnt in Leucothea, die Weiße Göttin, auchunter dem Namen Hekate, Hexenkönigin, bekannt. Wirsind diejenigen, die ganz nach römischer Art zugleichauch Läden an der Straße haben. Der Luxus, über demLaden zu wohnen, ist großartig, wenngleich dies auch oftbedeutet, dass ich für Modebewusste kein toller Anblickbin, ehe der Laden öffnet.

In letzter Zeit ging es in Insula geschäftiger zu als ge-wöhnlich. Im Zeitraum von nur einer Woche, in der icheigentlich nichts weiter tun konnte, als erstaunt nach Luft

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schnappen, kam für mich ein hinreißender ehemaliger is-raelischer Soldat namens Daniel ins Haus geschneit, derarme Andy Holliday in 4A bekam seine verlorene Toch-ter wieder, ich entdeckte, dass es der schreckliche alte MrPemberthy war, der allen Frauen im Haus eine Heiden-angst eingejagt hatte, und spazierte in voller Domina-Montur mit einem Mörder aus dem Goth-Klub. Es wareine Woche, die ich zwar nicht vergessen, aber auch aufkeinen Fall wiederholen möchte, gerade jetzt käme mirein wenig Langeweile ganz gelegen. Nur Backen und Ver-kaufen und vielleicht ein netter Gin Tonic auf dem Dach-garten, während der Rest der arbeitenden Bevölkerunghart ranmuss … ah, Schadenfreude ist doch eine sehr zu-verlässige Freude. Da die Zeitungen ohnehin nur mit Ver-zweiflung, Elend und Irak voll sind und man schließlichnicht unentwegt »Ich hab’s euch doch gesagt, ihr Idio-ten!« sagen kann, brauche ich hin und wieder eine kleinePortion Schadenfreude.

Eine sanfte Pfote auf meinem Knie erinnerte mich da-ran, dass mein Partner Horatio seine Ration Kitty Dinsgefuttert hatte und nun gegen eine Schale Milch nichtseinzuwenden hätte. Horatio ist ein hell getigerter Gentle-man mit tadellosen Manieren und äußerst gepflegt. Soll-ten Katzen einer Religion angehören, dann gehört er zueiner, die Milch verehrt. Ich schenkte ihm eine angemes-sene Portion ein, und er klappte Pfote für Pfote seinenKörper zusammen, ordnete seinen Schwanz zum Gebetund begann mit seiner Andacht.

Nachdem Horatio sich zu einem kleinen Nickerchennach dem Frühstück als Vorbereitung auf seinen Nach-mittagsschlaf entschlossen hatte, klapperte ich in meinenBirkenstocksandalen über die Steintreppe hinunter in dieBäckerei. Jeder Bäcker, der die achtunddreißig erreicht,

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ohne verkrüppelt zu sein, hatte gutes Schuhwerk. Ichmachte mir in Gedanken eine Notiz, dass ich für Jasonnoch ein Paar anständige Schuhe kaufen musste. Manbraucht unbedingt zwei Paar, um sie abwechselnd zu tra-gen, aber er hängt noch immer liebevoll an seinen Turn-schuhen. Wenn Sie verstehen, was ich meine.

Auf der letzten Stufe angekommen, kollidierte dieMäusepolizei in pelzigem Gedränge mit meinen Knö-cheln, weil sie mir unbedingt die Früchte ihrer hartennächtlichen Arbeit zeigen und ihre zusätzliche RationKatzenfutter einfordern wollte. Heckle und Jekyll, zweischwarz-weiße Katzen, sind nach den Cartoon-Krähenbenannt. Mir fiel auf, dass Heckle, ein Straßenkämpferim Ruhestand, ein eingerissenes Ohr hatte, das Jekyll,eine Kätzin im Ruhestand, ihm geleckt hatte. Ich trug et-was Desinfektionslösung auf, die der Tierarzt mir gege-ben hatte – Rattenbisse sind stark infektiös –, doch erschien es gar nicht zu bemerken. Heckle, der alte Kämpe.Seine Ohren haben mehr Löcher eingestanzt als der Nip-pel eines Punks. Er sprang wieder hoch und lenkte meineAufmerksamkeit auf einen Haufen toter Nagetiere. SeitHoratio sie nicht mehr stibitzt, um eine streunende Kät-zin auf dem Dach damit zu versorgen, was an sich schoneine komische Geschichte war, häufen sich die Leichenwieder.

Ich entsorgte die sechs Ratten und vier Mäuse, wuschmir die Hände, fütterte die Mäusepolizei und öffnete dieHintertür zur Calico Alley. Morgen. Kühl und frisch, vorden Auspuffgasen. Nur ein ganz schwacher Geruch nachAbgasen von den Trambahnen.

Die Mäusepolizei stürzte ins Freie und die Gasse hi-nunter, durch vorangegangene Erfahrung davon über-zeugt, dass Kiko oder Ian, die Eigentümer des japani-

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schen Restaurants, für hart arbeitende Katzen Fischab-fälle hätten. Selbst Heckle, normalerweise ein Kater, demman in einer dunklen Gasse nicht in die Quere kommenmöchte, wenn er seiner Ratte auflauert, kann für einenThunfisch zum kuscheligen Fellknäuel werden.

Auf der Treppe wartete Jason, mein fünfzehnjährigerLehrling. Ich bedachte ihn mit meinem frühmorgendli-chen Röntgenblick, der seine Pupillen auf Erweiterungund seine Fingernägel auf Sauberkeit untersuchte. DieAugen strahlten, und die Hände waren sauberer als mei-ne.

»Heute gibt es Ingwermuffins«, sagte er munter, alswir das erste Mehl und die Hefemischung in den Bottichschütteten. »Mir ist nach was Würzigem zumute.«

»Solange du sie backst, Muffinman«, grummelte ich.Jason backt weitaus bessere Muffins als ich, obwohl wirdasselbe Rezept, das gleiche Mehl und denselben Ofenbenutzen. Und obwohl er ein rekonvaleszenter Heroin-abhängiger ist. Es gibt keine Gerechtigkeit. »Ich bin mitRoggenbrot, dann Saatenbrot und danach Hefeweißbrotfür das griechische Restaurant und das Café Delicious be-schäftigt.«

»Danach können wir frühstücken«, meinte er hungrig.Mein Bedürfnis, Menschen zu ernähren, fand seine Ent-sprechung in Jasons Appetit. Trotzdem ist er immer nochso dünn wie ein Wahlversprechen. Seit er dem Heroin ab-geschworen hat, ist sein Haar dichter geworden, und ichkann nicht mehr jede Rippe einzeln zählen. Aber er fälltnoch immer unter Fliegengewicht und braucht eineSchutzhülle, vor allem jetzt, da der Winter vor der Türsteht.

»Hast du noch nichts gegessen?«, erkundigte ich mich,während ich Körner für mein Saatenbrot abwog, eine

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Spezialität und ein Leckerbissen, vor allem mit Blau-schimmelkäse.

»Ein oder zwei Baguette«, gab er zu. »Dazu ein wenigvon diesem Käse und dem restlichen Schinken, den Restder Kräuterbrötchen und ein paar Flaschen Cola. NichtsVernünftiges.«

Ich machte mit dem Brot weiter, und Jason begann,kristallisierten Ingwer zu hacken, um ihn auf seine Muf-fins zu streuen. Die Mäusepolizei kehrte zurück, lecktesich die fischigen Schnurrhaare, schlang die Kitty Dinsmit schmatzender Begeisterung in sich hinein und ließsich zu ihrem hübschen Tagesnickerchen auf ihre Lieb-lingsmatratze nieder, einem Haufen leerer Mehlsäcke. Ich weiß, dass Tiere überall dort, wo Essbares zubereitetwird, streng verboten sind. Aber ich verwende in meinerBäckerei kein Gift und keine Fallen. Die Mäusepolizei istsauber und effizient und arbeitet für Peanuts – oder KittyDins. Zum Teufel mit den Vorschriften des Gesundheits-amts. Wir sind so sauber wie nur irgend möglich.

Die Mischer waren alle in Bewegung, der Teig wuchs –man konnte ihn praktisch aufgehen hören –, und Jasonund ich tranken eine Tasse Kaffee. Nachdem ich nun ei-nen Helfer hatte, kaufte ich für die Backstube eine Kaf-feemaschine. Er bediente sich an den Resten, die er in denRegalen fand.

»War Daniel da?«, fragte er bei der Musterung dessen,was vom gestrigen Backtag übrig geblieben war.

»Noch nicht.« Ich unterdrückte die plötzliche Angst.Daniel arbeitet ehrenamtlich als Bewacher der Suppen-küche, einem Bus, der jede Nacht Melbourne umrundetund die Verirrten und Obdachlosen mit Essen versorgt.Ich lernte ihn kennen, als ein Junkie mit einer Überdosisauf meinem Luftschacht lag. Was kann ein Suppenbus

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immer brauchen? Brot. Dann war er geblieben und hattesich zu mir ins Bett gelegt und mir gesagt, er liebe mich,dann war er wieder verschwunden. An den vergangenendrei Tagen war Jen, die Sozialarbeiterin, gekommen, ummit Ma’ani als ihrem Träger das Brot abzuholen.

Jetzt kam Ma’ani schon wieder. Neuseeland bringtMaoris in zwei Größen hervor, large und extra large,Ma’ani ist extra large. Er muss zwei Meter fünfzehn großund an die neunzig Zentimeter breit sein, ist aber der rei-zendste und sanfteste Mensch, der jemals eine Bäckerindas Fürchten gelehrt hat, indem er sich lautlos anpirsch-te, während sie an ganz was anderes dachte. Ich schrecktefluchend hoch. Er grinste mich an, und seine Zähne bil-deten einen perfekten Halbmond in der dunklen Gasse.

»Musst du dich anschleichen?«, knurrte ich ihn an.Am zeitigen Morgen bin ich nicht die Fröhlichste.

»Entschuldigung«, sagte er und trat von der Tür zu-rück. Ich schleppte einen Sack mit Brot nach draußen,und er schulterte ihn mit Leichtigkeit. Bis zum Kleinwa-gen hätte er alles anmutig hochheben können. Ich knurr-te einen freundlichen Menschen an, also rief ich mich zurOrdnung. Ich wusste, warum ich so bissig war. Ich wollteweder besorgt erscheinen, noch mich nach ihm erkundi-gen, um ja nicht den Eindruck zu erwecken, ich sei hinterDaniel her, aber zugleich wollte ich wissen, wo er steckteund warum ich ihn seit drei Tagen nicht gesehen hatte,also biss ich mir auf die Lippe. Jason blickte von seinenMuffins auf und rettete mich.

»Hey, Ma’ani!«»Hey, Jase.«»Jason«, sagte Jason ernst. Als Abhängiger war er Jase

gewesen. Jetzt als Bäcker war er Jason.Ma’ani grinste. »Jason.«

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»Wo ist Daniel?«, fragte Jason unschuldig. »Ich habden Kerl seit Tagen nicht mehr gesehen.«

Ich hätte diesen kleinen, nach Ingwer duftenden Alles-fresser küssen können.

»Schwester Mary hat ihn irgendwohin aufs Land ge-schickt – nach Ballarat? –, um ein vermisstes Mädchen zuretten«, sagte Ma’ani. »Am Montag hat er mir dieseNachricht für dich gegeben«, fügte er hinzu und zog sieaus seiner Tasche, während er mit einer Hand den Brot-sack festhielt. »Hab’s vergessen, ’tschuldigung. Bis mor-gen«, sagte er und trottete die Calico Alley sanften Schrittshinunter, wie er manchen großen Menschen zu eigen ist.Vermutlich hatte dies in den alten Kriegertagen einen ge-netischen Fortschritt bedeutet. Wahrscheinlich wäre esmir nicht gelungen, mich hinter ihm anzuschleichen undihm mit einem Baguette eins auf die Rübe zu geben, wo-nach mir zumute gewesen wäre. Wir hatten inzwischenDonnerstag.

»Das ist typisch Ma’ani«, sagte Jason. »Und wasSchwester Mary angeht, jeder macht, was sie sagt.«

»Stimmt«, gab ich ihm Recht. Schwester Mary wareine sehr kleine, stämmige, reizende Nonne mit einemgroßen Herz voll christlicher Nächstenliebe und genü-gend Willensstärke, um eine Feder durch einen Marmor-grabstein zu treiben. Oder den Suppenbus trotz der An-wohnerproteste, eines feindlich gesonnenen Stadtratsund einer Reihe nicht zu beeindruckender Polizeibeam-ten weiterhin fahren zu lassen. Es gab wahrhaftig nichts,was Schwester Mary nicht tun würde, um das Los der Ar-men zu verbessern. Wenn sie Daniel angewiesen hatte,nach Ballarat zu gehen, dann würde Daniel auch dorthingegangen sein.

Ich entfaltete die Nachricht: »Ketschele, ich muss nach

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Ballarat, um dort ein Mädchen zu suchen. Ich vermissedich bereits, und ich werde dich noch mehr vermissen.Ich komme so bald wie möglich wieder in deine Arme zu-rück. Dein Daniel.«

Na, das war doch was. Gleich sah der ganze Tag vielrosiger aus. Ich nahm Jekyll hoch und drückte sie anmich. Ich hätte auch Jason umarmt, aber das hätte ihmnicht gefallen. Jekyll gefiel es auch nicht, aber es stand inihrer Arbeitsplatzbeschreibung, deshalb ertrug sie es mitWürde.

Dann widmeten Jason und ich uns wieder unserer Ar-beit. In deren Verlauf aß er vier übrig gebliebene Bröt-chen und den leicht misslungenen Versuch eines Jasmin-kuchens (zu feucht) und trank dazu drei Tassen Kaffeeund den Rest der Milch.

Kätzchen, so nannte Daniel mich immer. Ketschele be-deutet Kätzchen auf Jiddisch. Keiner hat mich je zuvorKätzchen genannt. Dicke Frauen werden nicht mit Dimi-nutiven bedacht. Mein Ex, James, pflegte mich – michwürgt es, dies zuzugeben – Butterkloß zu nennen. Daswar zu der Zeit, als er mich noch mochte. Neulich hat ermich »diese fette Kuh« genannt. Er hat seine Gründe. Ichhabe ihm einen Deal mit einer Bank in Singapur vermas-selt. In seinem ethischen Empfinden entspricht er genaudem, was man sich von einem Wirtschaftsbanker seinerStatur erwartet – waghalsig, risikobereit, testosteronge-steuert –, und ich wartete schon begierig auf den Tag, andem ich seinen Namen unter den Konkursen im Gerichts-verzeichnis las.

Die ersten Laibe in den Ofen, die nächsten zusammen-geknetet und in Ruhestellung, die Zeit verging. Ich ginghoch in den Laden, um die Rollläden zu öffnen, undwunderte mich, warum Kylie oder Goss noch nicht auf-

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getaucht waren. War wohl eine lange harte Nacht mitflaumigen Bürschchen gewesen. Nein, da tat ich ihnenvielleicht unrecht. Eine lange harte Nacht mit Cosmopo-litans und Long Island Teas.

Bei geöffneten Rollläden flutete das Frühmorgenlichtder Flinders Lane herein. Es ist ein hübscher Laden, nurein kleiner Teil der Bäckerei, mit einer Theke, Platz fürLeute zum Anstellen und jeder Menge Regalen, die inKürze mit Brot gefüllt sein würden. Muffins, Brötchen,Laibe, Knoten, französische Zöpfe; kornisches Saaten-brot, italienisches Mandelbrot, walisisches bara brith.Ein köstliches Brot. Ein Lebenselixier. Jason kam mit derersten Ladung herein. Ingwermuffins. Ich nahm eins,roch daran, brach ein Stück ab, um die Krume zu testen,biss dann hinein. Kräftig im Geschmack, ohne einen zuerschlagen.

»Hinreißend«, gab ich ihm auf seinen besorgten Blickhin zur Antwort. Jasons Selbstbewusstsein ist noch einzartes Pflänzchen. »Die Mädchen sind noch nicht da«,sagte ich. »Haben sie irgendwas zu dir gesagt, von wegenspäter kommen?«

»Ne«, sagte er über seine Schulter. »Aber sie redennicht viel mit mir. Sie sind ziemlich sauer, weil ihre Soapverschoben worden ist.«

Da musste ich ihm Recht geben. Kylie und Gossamerteilen sich eine Wohnung und arbeiten in meinem Laden,bis sie in einer TV-Soap anfangen können. Sie glaubten,es mit Rollen in einem »Laufsteg« genannten Magersüch-tigen-Epos geschafft zu haben, doch dieses war mangelsGeldgebern verschoben worden. Ich gab die Hoffnungnicht auf, dies könnte sie ermutigen, doch ein paar Pfundzuzulegen, ehe sie an Unterernährung starben.

Ich starrte Kylie an, als sie nicht in den Laden, sondern

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in die Backstube gerannt kam und schluchzend einen Fet-zen in der Hand hielt, der nach Plüschfell aussah.

»Er ist in den Abfluss gefallen!«, kreischte sie und warfmir das nasse Ding zu. »Ist er tot?«

Es war kein Fetzen Plüsch, sondern es war tatsächlichKylies Kätzchen Lucifer. Die anderen beiden Kätzchen,Soot und Tori sowie Calico, die Mutter, waren sanfte,ernste Geschöpfe, die hübsch posierten, anmutig aßenund in fotogener Gruppe auf der teuerst möglichen Un-terlage schliefen. Lucifer war ein orange-weißer Katermit einem rotblonden Fleck auf seinem kleinen Kopf, derspäter einmal flammend rot würde, sollte er jemals er-wachsen werden, was im Moment zweifelhaft war. Derrote Fleck hatte Meroe dazu bewogen, ihn Lucifer zunennen. Sein riskanter Lebensstil bestätigte ihre Theorie,dass bereits in seiner Zeugung etwas Diabolisches mit imSpiel gewesen sein muss. Er hatte seine tollkühne Karrie-re begonnen, indem er Vorhänge erklomm und dannoben jämmerlich schrie, bis Daniel hochkletterte, ihn ret-tete und für seine Freundlichkeit dann heftig gekratztwurde. Lucifer war so froh gewesen, wieder festen Bodenunter den Füßen zu haben, dass er in einen Küchen-schrank abtauchte, wo jede Menge Töpfe auf ihn purzel-ten. Dann blieb er verschwunden, bis Goss ihn in ihrerSchublade mit Unterwäsche fand, wo er es sich auf durch-löchertem Lycra und durchdacht zerpflückter Strumpf-hose bequem gemacht hatte.

Ich hatte vorgeschlagen, ihm einen Katzenkäfig zukaufen, aber Kylie und Goss fanden die Vorstellung uner-träglich. Jetzt sah es aus, als hätte er das letzte seiner neunLeben verbraucht. Er war triefnass und ganz winzig inmeinen Händen. Armes kleines Wesen. Ich hielt ihn anseinen Hinterbeinen hoch, und es lief etwas Wasser aus

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seinem Maul. Dann legte ich ihn an meine Lippen undstieß sacht ganz wenig Atemluft in seine winzigen Lun-gen.

Nichts passierte. Ich rieb ihn mit dem Händehandtuchab, um wenigstens ein bisschen Nässe aus seinem üppi-gen orangefarbenen Fell zu bekommen. Der kleine Kör-per zeigte keinerlei Reaktion, als ich ihn in meinen Hän-den hin und her rollte. »Tut mir leid, Kylie«, sagte ich. Siebrach in Tränen aus.

»Wirklich schade«, sagte Jason.Wir standen alle da und schauten auf das Kätzchen, als

etwas ganz Erstaunliches passierte. Jekyll erhob sich vonden Mehlsäcken und gab ein komisches Geräusch, fastein Grunzen, von sich. Es war ein Befehl. Wäre er in Wor-ten erteilt worden, hätte er »hierher zu mir« gelautet. Ichlegte das Handtuch auf den Boden und sagte: »Entschul-dige, Jekyll, ich glaube nicht …«

Jekyll hatte für mich nur einen verärgerten Blick. Siepackte Lucifer am Nacken und schüttelte ihn kräftig,dann begann sie ihm sehr grob das Gesicht zu waschen,indem sie ihn mit fester Pfote nach unten drückte. Hecklehatte sich nicht geregt. Er fand offenbar, dass der Pflege-instinkt was für die anderen Katzen war. Ich überlegtenoch, wie überaus traurig es war, dass Jekyll so hinge-bungsvoll versuchte, ein totes Kätzchen wiederzubeleben,da nieste das kleine orange Fellbündel und wand sich un-ter der liebevollen Pfote hervor, nieste noch einmal undkam wackelig auf die Beine. Nass, aber ungebeugt.

»Das war ein Spaß«, schien er zu sagen. »Was machenwir jetzt?«

Kylie nahm ihn hoch und streichelte ihn, ohne auf dasWasser auf ihrem Stretchtop zu achten. Nasse Katzenbinden mehr Wasser als ein Schwamm. Jekyll kehrte zu

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den Säcken zurück und nahm ihr Schläfchen wieder auf.Sie schien kein weiteres Interesse an ihm zu haben. Kat-zen sind höchst rätselhafte Wesen. Denkt man zu vielüber sie nach, kriegt man schon mal Migräne.

»Du boshaftes kleines Ding!«, gurrte Kylie und küssteLucifer auf seinen feuchten Kopf, damit er auch wusste,dass er in Ungnade gefallen war. Er hustete noch etwasWasser aus und grub dankbar sämtliche Krallen in ihrenungeformten Busen. Man erkennt Leute mit jungen Kat-zen immer an ihren Klauen-Tattoos auf sämtlichen zu-gänglichen Hautoberflächen.

»Ooh, der Laden! Ich bin, ach, entschuldige, Corinna!Ich war gerade beim Abwasch und habe ihn auf seinemRegal nicht gesehen, als er auf einmal diesen unglaubli-chen Sprung in die Spüle machte, und der Wasserhahnlief und …«

»Macht doch nichts«, sagte ich. »Wenn dieses Kätz-chen erwachsen wird, grenzt das an ein Wunder. KommtGoss denn heute?«

»Sie hat einen Werbejob gekriegt und ist um fünf loszum Make-up«, sagte Kylie. »Ich bringe ihn nur nochrasch zurück und …«

Wir dachten beide über die möglichen Gefahren nach,die Lucifer unbeaufsichtigt in der Wohnung drohten.

»Steck ihn in den Transportkorb«, sagte ich. »Bloß fürkurze Zeit. Da drinnen ist er wenigstens sicher.«

Jason holte den Katzenkäfig vom Schrank herunter. Erist sehr geräumig, mit einer Tür aus Maschendraht. Wirlegten Lucifer, das Händehandtuch und ein paar KittyTreats hinein und verschlossen vorsichtig die Tür. Ichsetzte den Käfig neben Jekyll ab, aber sie hatte keineneinzigen Blick mehr dafür übrig.

Inzwischen musste das Brot aus dem Ofen geholt wer-

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den, ehe es verbrannte, und der Laden musste aufge-schlossen werden. Kylie eilte nach oben, um die Kleiderzu wechseln, und Jason öffnete die Eingangstür.

Die Leute warteten schon. Arme, überarbeitete Tage-löhner, von denen erwartet wurde, dass sie vor ihremChef im Büro waren und blieben, bis er gegangen war,eine der schädlichsten Doktrinen, die es gibt, um das Le-ben ihrer Befürworter zu vergeuden. Wie viel zusätzlicheArbeit erledigen Leute, die erschöpft und unausgeschla-fen sind und sich nur noch danach sehnen, nach Hause zukommen? Herzlich wenig, wette ich. Der Prof erzähltemir, dass das Spitfire-Werk, als es mit Freiwilligen rundum die Uhr arbeitete, nicht wirklich mehr Flugzeuge pro-duziert hat, trotz deren Hingabe und harter Arbeit. Leu-te, die müde sind, werden langsam und unbeholfen. Siemachen Fehler. Sie verletzen sich. Die Regierung hat he-rausgefunden, dass sie selbst während des Kriegs mehrFlugzeuge gebaut bekam, wenn sie ihre Angestellten nacheiner Achtstundenschicht nach Hause schickte, als wennsie diese zu Tode arbeiten ließ. Wenn das schon in einemSpitfire-Werk nicht funktionierte, dann würde es in ei-nem modernen Büro schon gar nicht klappen. Lasst dieLeute nach Hause gehen, einen Drink zu sich nehmen, dieFamilie sehen und je nach Geschmack Reality TV oderNaked News schauen. Ich bin überzeugt, dass die Weltnach mehr Frieden und Barmherzigkeit, Liebe, frischemWasser, Nahrung und gebildeten Frauen vor allem mehrZeit braucht, die die Arbeiter nach eigenem Gutdünkenvergeuden können. Im Moment arbeiten alle viel zu hart.

Ich eingeschlossen, vermutlich. Der Duft frisch geba-ckenen Brots zog die hungrigen Horden von der kaltenStraße, wo ein garstiges kleines Melbourne-Lüftchen auf-gekommen war und Staub in übermüdete Augen blies.

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Kerry Greenwood

Kuchen, Killer und KanonenRoman

DEUTSCHE ERSTAUSGABE

Taschenbuch, Broschur, 352 Seiten, 11,5 x 18,3 cmISBN: 978-3-442-36456-5

Blanvalet

Erscheinungstermin: Juli 2007

Spannend und romantisch: eine leidenschaftliche Bäckerin wird zur Detektivin wider Willen Wo ist nur Daniel, der Mann mit den schokoladefarbenen Augen? Gerade war er in CorinnaChapmans Leben getreten und hatte feurig versichert, jedes ihrer vielen Pfündchen heiß zulieben, da ist er auch schon wieder weg. Und das ist nicht das einzige Problem der MelbournerBäckerin: Eine Nachbarin bittet sie um Hilfe, deren fantastische Schokoladenpralinés in letzterZeit absichtlich verunreinigt wurden. Ein böser Streich – oder eine gefährliche Warnung? Mit köstlichen Rezepten frisch aus Corinna Chapmans Backstube!