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Vorwort Die vorliegende wissenschaftliche Arbeit verdankt ihre Entstehung der Tatsache, dass mir im Jahr 2001, in einer Phase einer sich anbahnenden beruflichen Neuorientierung meinerseits, in einem Gespräch mit Dr. Wolfgang Suppan, in dessen Funktion als Vorsitzender des Steirischen Blasmusikverbandes, die Idee näher gebracht wurde, eine Dissertation zu verfassen. Nach kurzer Überlegung wollte ich dieser Idee näher treten und es galt ein geeignetes Thema zu finden. Da ein wesentlicher Teil meines Lebens der Komposition sinfonischer Blasmusik vorbehalten ist, sollte das Thema nach Möglichkeit auch damit zu tun haben. Von weiterer vordergründiger Wichtigkeit war für mich ein Österreich-Bezug. Im oben genannten Gespräch schlug Dr. Suppan vor, das Leben eines der wesentlichsten amerikanischen Komponisten sinfonischer Blasmusik zu erforschen, der seine Wurzeln in Österreich hat, nämlich Alfred Reeds. Ich hatte diesen Namen bis zu jenem Zeitpunkt noch nicht intensiv genug wahrgenommen um behaupten zu können, dass dieser Name mir etwas gesagt hätte. Die Lebensgeschichte eines noch lebenden Komponisten zu erforschen und zu dokumentieren schien mir interessant genug zu sein, um mich damit intensiver auseinandersetzen zu wollen, und es begann eine Zeit spannender Recherchen, informativer Gespräche und arbeitsreicher Tage und Nächte. Vor allem aber durfte ich einen Menschen kennenlernen, der nicht nur mit seiner Musik andere Menschen berührte, sondern vor allem durch seine Persönlichkeit, eben Alfred Reed. Den ersten Kontakt stellte ich Ende 2001 mittels Fax her, in dem ich Alfred Reed darüber informierte, dass ich vor hatte, eine Dissertation über sein Leben und Werk zu schreiben, und ich ersuchte ihn um seine Mithilfe. Seine Reaktion darauf kam umgehend und war überaus positiv. Es folgten Jahre bis zu seinem Tod im September IX

Alfred Reed – Leben und Werk10966/methods/... · Alfred Reed , A Bio– -Bibliography, Greenwood Press, Westport, Connecticut London, 1999 in englischer Sprache und . 2) 村上泰裕、アルフレド・リードの世界

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  • Vorwort

    Die vorliegende wissenschaftliche Arbeit verdankt ihre Entstehung der Tatsache, dass

    mir im Jahr 2001, in einer Phase einer sich anbahnenden beruflichen Neuorientierung

    meinerseits, in einem Gespräch mit Dr. Wolfgang Suppan, in dessen Funktion als

    Vorsitzender des Steirischen Blasmusikverbandes, die Idee näher gebracht wurde, eine

    Dissertation zu verfassen. Nach kurzer Überlegung wollte ich dieser Idee näher treten

    und es galt ein geeignetes Thema zu finden. Da ein wesentlicher Teil meines Lebens der

    Komposition sinfonischer Blasmusik vorbehalten ist, sollte das Thema nach

    Möglichkeit auch damit zu tun haben. Von weiterer vordergründiger Wichtigkeit war

    für mich ein Österreich-Bezug. Im oben genannten Gespräch schlug Dr. Suppan vor,

    das Leben eines der wesentlichsten amerikanischen Komponisten sinfonischer

    Blasmusik zu erforschen, der seine Wurzeln in Österreich hat, nämlich Alfred Reeds.

    Ich hatte diesen Namen bis zu jenem Zeitpunkt noch nicht intensiv genug

    wahrgenommen um behaupten zu können, dass dieser Name mir etwas gesagt hätte. Die

    Lebensgeschichte eines noch lebenden Komponisten zu erforschen und zu

    dokumentieren schien mir interessant genug zu sein, um mich damit intensiver

    auseinandersetzen zu wollen, und es begann eine Zeit spannender Recherchen,

    informativer Gespräche und arbeitsreicher Tage und Nächte. Vor allem aber durfte ich

    einen Menschen kennenlernen, der nicht nur mit seiner Musik andere Menschen

    berührte, sondern vor allem durch seine Persönlichkeit, eben Alfred Reed.

    Den ersten Kontakt stellte ich Ende 2001 mittels Fax her, in dem ich Alfred Reed

    darüber informierte, dass ich vor hatte, eine Dissertation über sein Leben und Werk zu

    schreiben, und ich ersuchte ihn um seine Mithilfe. Seine Reaktion darauf kam

    umgehend und war überaus positiv. Es folgten Jahre bis zu seinem Tod im September

    IX

  • 2005, in denen ich viele Male Gelegenheit hatte, mit Alfred Reed über seine

    Kompositionen zu sprechen und ihn, wie auch seine Frau Marjorie, persönlich näher

    kennenzulernen. Es entwickelte sich eine Beziehung, in der Alfred Reed mir gegenüber

    stets als väterlicher Freund auftrat.

    Ich danke dem Betreuer der vorliegenden Arbeit, o. Univ. Prof. em. Dr. Wolfgang

    Suppan, für seine stets motivierenden Worte, seine an den Tag gelegte Geduld und sein

    umsichtiges Lenken in Zeiten schleppenden Arbeitsfortschrittes.

    Ebenso möchte ich an dieser Stelle Jeni Dahmus (Juilliard School of Music), Yasuhiro

    Murakami und Nancy Cavac (University of Miami) für Ihre Kooperation zur

    Fertigstellung der vorliegenden Arbeit danken.

    Mein ganz besonderer Dank gilt meiner Fau Stefanie, deren selbstlose Unterstützung in

    vielerlei Hinsicht das Entstehen der Arbeit überhaupt erst möglich gemacht hat. Danke!

    Gender Prämisse:

    Der besseren Lesbarkeit wegen wird in der vorliegenden Arbeit in der Regel die

    männliche Form verwendet. Angesprochen sind jedoch immer beide Geschlechter.

    X

  • Einleitung

    Alfred Reed ist mit Sicherheit einer jener Komponisten, die nach dem Zweiten

    Weltkrieg auf dem Gebiet der sinfonischen Blasorchestermusik Bedeutendes geleistet

    haben. Mit seinen mehr als einhundert Originalwerken in unterschiedlichen Gattungen

    (Ouvertüren, Sinfonien, Suiten etc.) für diese Besetzung hat er das Genre maßgeblich

    geprägt und weiterentwickelt.

    Die vorliegende Arbeit versucht einerseits, die Biografie Alfred Reeds ausführlich und

    kritisch darzustellen und andererseits sein umfangreiches kompositorisches Schaffen in

    einem vollständigen und geordneten Werkverzeichnis zu dokumentieren.

    Als Informationsquelle ist als erstes Alfred Reed selbst zu nennen, der in vielen

    Sitzungen in seiner unnachahmlichen Art und Weise eloquent dem Verfasser

    stundenlang Rede und Antwort stand – teilweise auch in deutscher Sprache. Ein großer

    Teil dieser Gespräche, sei es in Alfred Reeds Heimatstadt Coral Gables, Florida, oder in

    Schladming, im Rahmen der seit 1998 alljährlich stattfindenden Mid-Europe Konferenz,

    wurde in den Jahren 2001 bis 2003 auf Video aufgezeichnet. Die aus diesen Interviews

    resultierenden Informationen wurden durch einen intensiven Schriftverkehr mittels E-

    Mail und durch Telefonate und andere Gespräche weiter ergänzt. Außerdem hat Alfred

    Reed dem Verfasser in großem Umfang Aufzeichnungen überlassen, die, aus Reeds

    persönlicher Sicht, einen sehr genauen Einblick in seine umfangreiche Arbeit geben.

    Die oben genannten Interviews und auch weitere, die dem Verfasser von

    unterschiedlichen Quellen, die in der Arbeit auch genannt sind, zugänglich gemacht

    wurden, wurden vom Verfasser transkribiert. Diese Transkriptionen liegen vor und

    können jederzeit eingesehen werden. Darüberhinaus fanden einige Gespräche auch ohne

    Video- oder Audiodokumentation statt. Die Inhalte sind vom Verfasser schriftlich

    festgehalten und als mündliche Mitteilungen an den Verfasser angeführt.

    Für kurze Zeit gab es auch Kontakte zu Alfred Reeds Adoptivsohn Richard Judson

    Reed und Clark McAlister, der bei Masters Music Publications eine führende Position

    immer noch innehat [Oktober 2013, Verf.]. Beide haben ursprünglich dem Verfasser

    Kooperation bei der Fertigstellung seiner wissenschaftlichen Arbeit zugesichert, aber

    aus Gründen, die dem Verfasser nicht bekannt sind, blieb diese weitestgehend aus.

    1

  • Richard Reed beantwortete einige wenige Fragen in einer E-Mail, dann brach der

    Kontakt ab. Bei Clark McAlister, der angeblich den musikalischen Nachlass von Alfred

    Reed verwaltet, war es noch weniger. Es ist vielmehr so, dass der Verfasser Clark

    McAlister seine vollständige, recherierte Liste mit allen Werken Reeds zur Durchsicht

    übermittelte, eine Reaktion Herrn McAlisters blieb allerdings aus.

    Für die Basis-Recherchen zur vorliegenden Arbeit dienten weiters die zwei bislang

    existierenden Standardwerke über Alfred Reed:

    1) Douglas M. Jordan, Alfred Reed – A Bio-Bibliography, Greenwood Press, Westport,

    Connecticut London, 1999 in englischer Sprache und

    2) 村上泰裕、アルフレド・リードの世界 (その人と作品77曲の全解説) [Murakami,

    Yasuhiro, The World of Alfred Reed, All about the Composer and His 77 Compositions]

    (1996), zur Gänze in Japanisch, ausgenommen davon Einträge im Anhang wie etwa

    Werklisten, Personen- und Sachregister. Hierbei erwies es sich als glückliche Fügung,

    dass der Verfasser ein abgeschlossenes Japanologiestudium aufzuweisen hat.

    Douglas M. Jordan versicherte dem Verfasser ebenfalls seine Bereitschaft zur

    Zusammenarbeit, aber genauso wie bei Richard Reed und Clark McAlister war die

    Bekundung dieser Bereitschaft bereits alles.

    Ganz anders war die Situation bei Yasuhiro Murakami. Bereitwillig beantwortete er alle

    Fragen des Verfassers und überließ diesem auch Materialien, die Alfred Reed

    ausschließlich Yasuhiro Murakami für die Erstellung seines Buches im Jahr 1996 zur

    Verfügung gestellt hatte. An dieser Stelle noch einmal herzlichen Dank dafür!

    Die dem Verfasser durch Alfred Reed bzw. Jordan und Murakami zugänglichen

    Informationen wurden mit schriftlichen Quellen verglichen, wobei sich besonders in

    biografischer Hinsicht einige Divergenzen ergaben. Diese dürften einerseits auf

    Erinnerungslücken oder eine verklärte Betrachtung des eigenen Lebenslaufes und

    andererseits auf bewußte Verschleierung und damit verbunden auf unrichtige

    Darstellung Alfred Reeds zurückzuführen sein. Die Motivation für dieses Tun ist nicht

    eindeutig feststellbar. Sehr wahrscheinlich wollte Alfred Reed, der es meisterhaft

    verstand, sich und seine Kompositionen ins rechte Licht zu rücken, manche Details in

    2

  • seinem Lebenslauf einfach „besser“ darstellen, als diese tatsächlich waren. Was den

    biografischen Teil ihrer Arbeiten angeht, verwendeten Jordan und Murakami

    ausschließlich Informationen durch Alfred Reed selbst, kritische Recherchen fehlen.

    Die Biografie Alfred Reeds bildet den ersten Abschnitt der vorliegenden Arbeit. Der

    zweite Teil ist der Analyse ausgewählter Werke für sinfonisches Blasorchester

    vorbehalten. Der dritte Abschnitt bietet schließlich das vollständige Werkverzeichnis

    einschließlich eines thematischen Kataloges zu den originalen Kompositionen für

    Blasorchester. Die folgenden Abschnitte beinhalten noch alle weiteren Werke Alfred

    Reeds, in unterschiedlichen Kategorien, sowie eine Bibliographie mit Schriften von und

    über Alfred Reed. Im Anhang finden sich ein alphabetisches, ein chronologisches

    Werkverzeichnis, eine ausgewählte Discographie, ein Literaturverzeichnis, der

    wissenschaftliche Apparat sowie ein Namens- und Werkregister.

    3

  • Abbildung 1: Alfred Reed, Foto: Alfred Reed

    4

  • 1 BIOGRAPHIE

    1.1 ELTERNHAUS

    […] One morning in April 1987, when my father was four months away from his 12th birthday in August, the five children [Karl Friedmann, Alfred Reeds Vater und seine vier Geschwister, Verf.] were dressing to go to school, and their father came into their rooms and told them that they were not going to school that day, and that they should put on their best clothes. When they asked why, he said that they would be going to a funeral that day […]; they were going to march in a funeral procession for a man that none of the family knew or had ever met, but despite this the five children and my grandfather were to march to the cemetery that day (along with about 5,000 other people from all walks of life as it turned out, I believe). And that was the funeral of Brahms, as my father once told me the story.1

    Die Tatsache, dass, nach Angaben Alfred Reeds, dessen Großvater mit seinen Kindern

    dem Begräbnis von Johannes Brahms beiwohnte, ist grundsätzlich nicht von großer

    Bedeutung, zeigt aber möglicherweise eine Grundeinstellung in der Familie kulturellen

    Geschehnissen gegenüber, die bewusst oder auch unbewusst als wesentlich angesehen

    wurden.

    Die elterlichen Familien Alfred Reeds stammten, so wiederum Alfred Reed im

    Originalton, beide aus Österreich. Sie waren „Weana, nicht Wiener“2, wie er immer

    wieder betonte, um auf den Umstand hinzuweisen, dass es sich dabei um

    alteingesessene Wiener Familien handelte, was allerdings so nicht stimmt, wie aus

    etwas später dargelegten Fakten hervorgeht.

    Alfred Reed charakterisiert seinen Vater Karl Friedmann (bzw. Karl Mark)

    beispielsweise folgendermaßen: „My father was the typical Viennese personality: good

    1 Alfred Reed: E-Mail an den Verfasser, 31.12.2001

    2 Alfred Reed: E-Mail an den Verfasser, 31.12.2001

    5

  • natured, easy-going, „wine-women-and song“ cavalier, perennially optimistic, and

    seemingly content with life and his work.“3

    Weiters berichtet Reed, dass Karl Friedmann das dritte von fünf Kindern war. Er hatte

    noch zwei ältere Brüder, Michael und Leo, und zwei jüngere Schwestern, Erna und

    Sabine.

    Alle drei Brüder emigrierten Anfang des 20. Jahrhunderts in die USA, da sie sich dort

    bessere Lebensbedingungen erhofften. Michael begann seine berufliche Karriere als

    Schaffner im New York City Transit System, Leo war Uhrmacher und arbeitete bei

    einem Juwelier. Karl schließlich war schon in Wien im Gastgewerbe tätig, und auch in

    New York arbeitete sich Reeds Vater in diesem Berufszweig hoch und brachte es

    immerhin, so Alfred Reed, zu einem eigenen Lokal. Erna blieb in Österreich und

    heiratete einen gewissen Alfred Kurz „after whom I was named and who was an

    instructor (in history, I believe) at the University of Vienna“4. Der Verfasser konnte bei

    seinen Nachforschungen an der Universität in Wien keine Bestätigung dieser Aussage

    finden. Möglicherweise unterrichtete Alfred Kurz an einer anderen Lehranstalt wie etwa

    einem Gymnasium. In Nußdorf am Attersee, wo Kurz ein Anwesen mit Villa erworben

    hatte, war er jedenfalls als der Herr Professor 5 bekannt. Karl Friedmanns jüngste

    Schwester, Sabine, kam kurz nach Ende des Ersten Weltkrieges für zwei Jahre in die

    USA, kehrte dann aber wieder nach Österreich zurück. Sie heiratete den Bruder des

    bekannten österreichischen Malers Franz Wolf.

    Manche Quellen geben den Namen von Reeds Vater mit Carl Friedemann von Mark an,

    wobei diese Informationen den Autoren besagter Quellen von Alfred Reed übermittelt

    wurden.

    „Carl Friedemann von Mark, Reeds father, and Elizabeth Strasser, Reeds mother, each

    immigrated to the United States from Vienna, Austria around the beginning of the

    3 Alfred Reed: E-Mail an den Verfasser, 8.12.2002

    4 Alfred Reed: E-Mail an den Verfasser 31.12.2001

    5 Mündliche Mitteilung von Johanna Roither, Tochter einer Bediensteten im Hause Kurz, an den Verfasser, 18.7.2013

    6

  • twentieth century.“6 Diese Aussage stimmt vor allem nicht in Bezug auf Alfred Reeds

    Mutter.

    “Der Vater von Alfred Reed hiess [sic!] ursprünglich Carl Friedemann von Mark […]“7

    Diese Angabe stammt von Michael Müller, dem Autor eines Referates über Alfred Reed

    im Rahmen eines Dirigentenkurses des Aargauischen Musiverbandes aus dem Jahr

    2003. Der Aufbau des Referates orientiert sich großteils an Jordans Biobibliographie

    über Alfred Reed aus dem Jahr 1999. Deshalb lag der Schluß nahe, dass die oben

    zitierte Angabe einfach von Jordan übernommen wurde. Ein Telefongespräch des

    Autors mit Michael Müller vom 18.Jänner 2013 bestätigte diese Annahme.

    „Reeds Eltern kamen schon kurz nach der Jahrhundertwende in die USA. Im Rahmen

    der Einbürgerung lag es dem Vater daran, den ursprünglichen Familiennamen

    Friedemann von Mank [sic!] einzukürzen. Gewählt wurde der kürzest mögliche Name

    daraus: Reed.“8

    In einer E-Mail an den Verfasser schreibt Alfred Reed 2001:

    I do remember seeing an architect’s drawing of a two-story villa, with all elevations clearly shown and some of the working papers as well, and that the name on this set of plans as having been prepared for, was „Carl Friedemann von Mark“. I cannot recall now if there was a date on this set of plans, and if so, what it was. And when I asked my father about all of this, he simply brushed the matter aside as having been only a joke, and took the plans away. I don’t believe I ever saw them again, and they certainly weren’t in the papers I received from him shortly before his death.9

    Yasuhiro Murakami verfasste seinen Text im ersten Kapitel seines Buches über Alfred

    Reeds Kindheit und Jugend auf Grund von Informationen, die er von Alfred Reed

    erhielt.

    6 Vgl. dazu Jordan, Douglas M., Alfred Reed – A Bio-Bibliography, Greenwood Press, Westport, Connecticut London, 1999, Seite 2, fortan zitiert als: Jordan 1999.

    7 Müller, Michael: Referat für den AMV Dirigentenkurs, Oberstufe 2002/2003, http//:blog.mvkuenten.ch/Inhalte/Musiktheorie/Alfred%20Reed.html, 25.6.2013, 19:01

    8 Joachim Buch: Nicht zu lang, etwa 15 Minuten, in Clarino 1/2001, Seite 19

    9 Alfred Reed: E-Mail an den Verfasser, 31.12.2001

    7

  • “父カール・マーク・リード(1885-1956)は、移住してきた当時はレストランのウエイタ

    ーをしていたが、その後レストランを経営するまでになり、母エリザベス・ストラッサー・リ

    ード(1889-1937)は店にときどき顔を出してはいっしょうに歌っていた。”10

    (Nachdem der Vater Karl Mark Reed (1885-1956) [nach Amerika, Verf.] ausgewandert

    war, arbeitete er in Restaurants als Kellner und brachte es später zu einem eigenen

    Lokal. Die Mutter Elisabeth Strasser Reed [1889-1937] zeigte sich manchmal im

    Geschäft und sie sangen gemeinsam.)

    Allerdings trugen weder Carl Friedman noch seine Frau Elizabeth zu irgendeinem

    Zeitpunkt den Namen Reed. Murakami berichtet darüber dem Verfasser:

    My book surely included big errrors as you know […]. I was shocked […] when I read Douglas' book later. The original text I composed, referring [to] other documents, was wrong but Mr. Reed did not correct [it], maybe because I was young and poor at English, and he was a gentle person who did not want to deny a youth's effort.11

    Ebenfalls im Jahr 1996 schreibt Ulrich Ammann12 im schweizerischen Oberländischen

    Volksblatt:

    „Unter dem Titel Evolutions“ gab das Orchester [das Blasorchester des Schweizer

    Armeespiels, Verf.] eine erste einsätzige Kostprobe des ursprünglich aus Österreich

    stammenden und Riedli13 geheissenen Amerikaners zum besten.“14

    10村上泰裕、アルフレツド・リードの世界,Murakami, Yasuhiro, The World of Alfred Reed, All about the Composer and His 77 Compositions, Kosei Shuppansha, Tokyo, 1996, Seite 9, fortan zitiert als: Murakami 1996.

    11 Yasuhiro Murakami: E-Mail an den Verfasser, 19.3.2012

    12 Ulrich Ammann gibt dem Verfasser telefonisch folgende Informationen zu seiner Person: er arbeitete als Arzt in Brienz im Berner Oberland. Er spielte Klarinette in lokalen Blasorchestern, ist unter anderem auch Komponist einiger Märsche. Er schrieb immer wieder Artikel musikalischen Inhaltes für das Oberländische Volksblatt. Ulrich Ammann lebt heute [Stand Jänner 2013] 84 jährig in Interlaken in der Schweiz.

    13 Im Originaltext unter Anführungszeichen

    8

  • Diese biografischen Informationen des Artikels stammen aus einem Gespräch zwischen

    Ulrich Ammann und Alfred Reed.15 Aber weder stammte Alfred Reed aus Österreich

    noch hieß irgendjemand aus Reeds Familie jemals Riedli.

    In gleicher Weise kommen die unrichtigen Angaben über Reeds Eltern, die 1997 in der

    Östserreichischen Musikzeitschrift zu finden sind, von Alfred Reed selbst:

    „[…] die Familie Reed, recte Riedl, [verließ ihre mitteleuropäische Heimat] bereits in

    den wirtschaftlich schwierigen Zeiten zu Beginn der zwanziger Jahre [des 20. Jhdts.,

    Verf].“16 Abgesehen vom unrichtigen Namen, kam Elizabeth Strasser bereits 1889 und

    Karl Mark schon 1912 nach Amerika.

    Joseph Rupp, seinerzeit Bezirkskapellmeister des Steirischen Blasmusikbezirkes

    Deutschlandsberg, bringt 2001 zu Papier, was Alfred Reed im kleinen Kreis nach einer

    Probe mit dem Jugendorchester der Steirischen Musikschulen über seine

    Österreichischen Wurzeln sagt:

    Begonnen hat alles mit Alfred Reed, Komponist sinfonischer Blasmusik von Weltrang, amerikanischer Universitätsprofessor, Dirigent der weltbesten Blasorchester und nach eigenen Worten ein echter „Altösterreicher“. In den 20er Jahren [des 20. Jhdts, Verf.] wanderten Reeds Eltern in die USA aus. Der ursprünglich österreichische Name „Riedl“ wurde bei der Einwanderungsbehörde auf „Reed“ geändert und Alfreds amerikanische Karriere begann.17

    Soweit die bisher zumeist von Alfred Reed selbst in Umlauf gebrachten oder

    unrecherchiert übernommenen Angaben und Anekdoten zu seiner Familie und seiner

    14Ulrich Ammann, Fulminanter Auftakt zum Eidgenössischen Musikfest, in: Oberländisches Volksblatt, 23.4.1996

    15 Ulrich Ammann: Telefoninterview mit dem Verfasser, 24.1.2013

    16 Wolfgang Suppan: Die Heimkehr dreier Mitteleuropäer: Joseph Horovitz, Karel Husa, Alfred Reed, in: Österreichische Musikzeitschrift, Jg. 52, Nr. 7, 1997, S. 24

    17 Josef Rupp: 2001, Sinfonisches Jugendblasorchester geht auf Ferientournee, in: Fortissimo, Zeitschrift der Musikschulen in der Steiermark für elementare, mittlere und höhere Musikerziehung, Ausgabe Nr.1/Juni 2001, Seite 12

    9

  • Herkunft. Dagegen konnte der Verfasser zu diesem Thema erstmals folgende Fakten in

    Erfahrung bringen:

    Reeds Vater, Karl Friedmann kam als uneheliches Kind des Kleinhändlers Izchel Hirsch

    Friedmann aus Ternopil (Ukraine) und einer Deborah Mindel (Minna) Mark in der

    Wohnung der Eltern, Große Sperlgasse 10, in Wien am 11.August 1885 zur Welt.18 Die

    Eintragung im Geburtenbuch der israelitischen Kultusgemeinde hat am 11.August 1885

    allerdings vorerst nur den Vornamen – Karl - vermerkt. Erst in den Spalten Name der

    Mutter und Name des Vaters erfahren wir mehr. Die Mutter ist „angeblich [eine] Debora

    Mindel (Minna) Mark, wohnhaft in Wien II, Novaragasse 21, geboren im Jahr 1857 zu

    Jassy, Tochter des Mordche Izig Mark und der Rifke (Geschlechtsname unbekannt).“19

    Unter Name des Vaters finden wir: Ischel Hirsch Friedmann, Kleinhändler aus Tarnopol.

    Diese Angabe ist eine Ergänzung, die auf Erlass der K.K. niederösterreichischen

    Statthalterei am 17. Jänner 1908 durchgeführt wurde.

    Eine der unterfertigten Zeugen ist eine gewisse Maria Blaustein, ebenfalls Große

    Sperlgasse 10, deren Namen wir später noch einmal auf einer Passagierliste im

    Zusammenhang mit Karl Mark finden werden.

    Karl Friedmann nimmt später den Namen seiner ledigen Mutter an und nennt sich Karl

    Mark. Die Heimatrolle hält zwei Katasterblätter aus dem Jahr 1910. Eines unter dem

    Namen Karl Friedmann und ein weiteres unter dem Namen Karl Mark. Auf dem Blatt

    mit dem Namen Karl Friedmann sind Datum und Ort der Geburt, wie oben erwähnt,

    angeführt. Als Pfarre wird die israelische Kultusgemeinde genannt, als

    Glaubensbekenntnis mosaisch, sein Stand zu diesem Zeitpunkt ledig. In der Spalte

    Charakter oder Beschäftigung finden wir: Kommis. Weiters findet sich der Hinweis:

    „Siehe Kat.[aster]-Blatt ‚Mark‘ Karl“ [der Name Mark ist doppelt unterstrichen, Verf.].

    Auf dem Katasterblatt von Karl Mark wiederum finden wir den Hinweis: (früher

    18 Geburtenbuch der israelitischen Kultusgemeinde in Wien, Seite 1216

    19 Geburtenbuch der israelitischen Kultusgemeinde in Wien, Seite 1216

    10

  • Friedmann). Es ließ sich nicht exakt feststellen, wann die Namensänderung

    vorgenommen wurde.

    Carl Friedemann von Mark ist also eine Komposition Alfred Reeds aus den beiden

    Familiennamen seines Vaters Friedmann und Mark unter Hinzunahme des Buchstaben

    „e“ wie dem nobilitierenden von. Sowohl in seiner Militärzeit als auch an der Juilliard

    School of Music führte er den Namen Alfred Mark Friedman. Es dürfte wohl kaum ein

    Zufall sein, dass Reed als zweiten Vornamen ausgerechnet Mark gewählt hat, denn in

    der Geburtsurkunde ist kein zweiter Vorname vermerkt.

    Nach seiner Studienzeit verzichtete Reed allerdings dann konsequent auf den ansonsten

    in den USA sehr wichtigen middle initial, die Abkürzung eines zweiten Vornamens.

    Vermutlich weil Karl Mark in die USA auswandern wollte, war die Frage der

    Staatszugehörigkeit und, damit verbunden, der Wehrpflicht zu beantworten. Es wurde in

    diesem Zusammenhang ein Verfahren zur Klärung des Sachverhaltes eingeleitet, im

    Zuge dessen aber die Frage der Staatszugehörigkeit nicht sicher beantwortet werden

    konnte. Die Verhandlung darüber wurde schließlich eingestellt. „Der Genannte dürfte

    Rumäne sein.“ [und braucht daher seinen Wehrdienst nicht in Österreich zu leisten,

    Verf.] lautet die Schlussbemerkung auf diesem Katasterblatt.20

    Am 28. September 1912 geht Karl Mark in Hamburg an Bord der S.S. Patricia und

    macht sich auf den Weg in eine ungewisse, aber hoffentlich bessere Zukunft in Amerika.

    Er kommt 27jährig am 10. Oktober 1912 in New York an.21

    Die Passagierliste der S.S. Patricia führt in der Zeile von Carl Mark als nächste

    Verwandte eine Stiefschwester namens M. Blaustein aus Wien an. Carl ist in diesem

    Dokument bereits anglisiert und mit „C“ geschrieben.

    20 Heimatrolle, Wien

    21 http://www.ellisisland.org/search/passRecord.asp?MID=00119438990904631104&FNM=CARL&LNM=MARK&PLNM=MARK&CGD=M&bSYR=1885&bEYR=1885&first_kind=1&last_kind=0&TOWN=null&SHIP=null&RF=1&pID=104754060065, 24.1.2013, 10:52

    11

    http://www.ellisisland.org/search/passRecord.asp?MID=00119438990904631104&FNM=CARL&LNM=MARK&PLNM=MARK&CGD=M&bSYR=1885&bEYR=1885&first_kind=1&last_kind=0&TOWN=null&SHIP=null&RF=1&pID=104754060065http://www.ellisisland.org/search/passRecord.asp?MID=00119438990904631104&FNM=CARL&LNM=MARK&PLNM=MARK&CGD=M&bSYR=1885&bEYR=1885&first_kind=1&last_kind=0&TOWN=null&SHIP=null&RF=1&pID=104754060065http://www.ellisisland.org/search/passRecord.asp?MID=00119438990904631104&FNM=CARL&LNM=MARK&PLNM=MARK&CGD=M&bSYR=1885&bEYR=1885&first_kind=1&last_kind=0&TOWN=null&SHIP=null&RF=1&pID=104754060065

  • In New York angekommen, so berichtete wiederum Alfred Reed, arbeitete Carl Mark

    im Gastgewerbe wie in Wien und verdingte sich als Tellerwäscher, Hilfskellner,

    Zahlkellner und durchlief noch weitere Stufen seines Berufszweiges. Er hatte eine, zwar

    nicht ausgebildete, aber schön klingende Tenorstimme, die ihm zu Jobs in einigen, auch

    bekannten, Restaurants von New York City, wie etwa Feltman’s Restaurant auf Coney

    Island verhalf. Er war einer von vielen singenden Kellnern, die als Attraktion in den

    Gaststätten von New Yorks Lower Eastside und auch im Vergnügungsviertel Coney

    Island die Gäste unterhielten. Angeblich sang Carl Mark gemeinsam mit dem bekannten

    „I’m dreaming of a white Christmas“ - Irving Berlin in einer Gesangsgruppe: „Yes, this

    […] Irving Berlin, before he became successful and famous. They worked together in

    Feltman’s Restaurant, one of the most well known dining places in what was then the

    most fasionable part of Coney Island at the time (1910 – 1915).“22

    Diese Aussage Reeds ist allerdings anzuzweifeln. Irving Berlin war zwar ebenfalls

    bekannt als singender Kellner, aber wie bereits oben erwähnt, gab es deren viele und

    ihre soziale Stellung war de facto nicht vorhanden. „[…] at the bottom of the hierarchy

    came the singing waiters.“23 Dies wollte Irving Berlin, der als Israel Baline 1893 mit

    fünf Jahren mit seiner ganzen Familie dem Exodus der russischen Juden folgend, nach

    Amerika gekommen war, so rasch wie nur möglich ändern, um seinen tristen

    Lebensbedingungen zu entkommen. Berlin verdiente sich als singing waiter ein paar

    Cent in übel beleumundeten Opiumhöhlen in New Yorks Lower Eastside. In Bergreens

    Berlin-Biografie ist zu keinem Zeitpunkt die Rede vom mondänen Coney Island. Eines

    der Lokale, in dem Berlin ständig arbeitete, war The Pelham Cafe, seinerzeit besser

    bekannt unter dem Namen Nigger Mike’s. Auffällig ist hier die Ähnlichkeit der

    Lokalnamen - Pelham und Feltman’s.

    Berlin wollte stets auf die Showbühnen New Yorks. Er verlegte sich also auf das

    Verfassen von Songtexten und erlernte selbst das Klavierspielen. Nach einigen

    Rückschlägen hatte Berlin schließlich 1908 mit seinem Song Sadie Salome, Go Home

    22 Alfred Reed: E-Mail an den Verfasser, 8.Dezember 2002

    23 Laurence Bergreen: 1996 As Thousands Cheer – the life of Irving Berlin, 1st Da Capo Press ed., New York, 1996, S. 22, fortan zitiert als Bergreen 1996

    12

  • einen ersten kleinen Erfolg, der ihm einen Vertrag als Songtexter bescherte. „Finally,

    here was his chance to make a break with the singing waiter trade.“24 1911 kam mit

    Alexander’s Ragtime Band dann der endgültige Durchbruch. Der Song verkaufte sich

    millionenfach und Berlin verdiente die für ihn unvorstellbare Summe von 30.000 Dollar

    innerhalb kürzester Zeit. Spätestens jetzt hatte er es nicht mehr notwendig, als singing

    waiter aufzutreten, und er wollte dieses Image auch so rasch wie möglich loswerden. Zu

    diesem Zeitpunkt war Carl Mark noch nicht einmal in Amerika angekommen.

    Allerdings finden sich einige Parallelen bzw. Verbindungen in den Biografien von Reed

    und Berlin. Diese seien hier kurz skizziert, da in weiterer Folge in der vorliegenden

    Arbeit darauf nicht mehr eingegangen wird. Reed und Berlin waren jüdischer Herkunft;

    Berlin war ein Meister in der Vermarktung seiner Kompositionen wie später auch Reed.

    Berlin hatte in den Catskill Resorts ein Anwesen erworben – Alfred Reed verdiente sich

    seine ersten Dollars als Mitglied einer Tanzkapelle ebendort. Ein ehemaliger Mitarbeiter

    Berlins, ein gewisser Saul Bornstein, gründete den Verlag Bourne Music, in dem auch

    Alfred Reed zwei seiner Stücke verlegt hat. Da Irvin Berlin ab 1920 für mehrere

    Jahrzehnte der amerikanische Songwriter und als solcher praktisch allgegenwärtig war,

    ist mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen, dass auch Alfred Reed die Biografie Berlins

    genau kannte. Möglicherweise hat er sich durch sie auch inspirieren lassen.

    Karl Mark eröffnete während der Zeit des Ersten Weltkrieges ein eigenes Geschäft, ein

    Spezialitätenrestaurant, so Alfred Reed:

    At the times my parents were married, my father still had, I believe, his own restaurant, but shortly after the First World War, with the influenza epidemic and the usual post-war recession he lost his business shortly before I was born, and had to start all over again as either waiter or cashier. This is what sustained us, as my mother did not work again after I was born; she became a housewife pure and simple.25

    Die Volkszählungslisten von 1910 bzw. 1925 und später nennen als Beruf für Carl

    Friedman stets Waiter, also Kellner.

    24 Bergreen 1996, Seite 35

    25 Alfred Reed: E-Mail an den Verfasser, 31.12.2001

    13

  • Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges änderte Carl Mark den Namen auf Carl

    Friedman. „[…] based on what my father told me, he had changed the family name to

    Friedman after the outbreak ofthe first World War, due to the strong anti-German

    feeling in the country at the time, during which period he applied for his U.S.

    citizenship, and that his two brothers did the same.”26

    Am 1. Juni 1921 erhielt Carl Friedman, sein CERTIFICATE OF NATURALIZATION.

    26 Alfred Reed: E-Mail an den Verfasser, 31.12.2001

    Abbildung 2: Carl Friedman, Certificate of Naturalization, Quelle: Alfred Reed

    14

  • Über seine Mutter, Elisabeth Strasser, berichtet Alfred Reed Folgendes: sie war die

    älteste von 1427 Kindern eines Preußischen Restaurantbesitzers. Jordan schreibt darüber:

    „Elizabeth Strasser, the oldest of 13 children […]“28 Sie arbeitete als Buchhalterin im

    Restaurant von Karl Mark. “[…] my mother’s father, I was once told, was originally

    born a Prussian, and he certainly looked and sounded like it, as my mother told me,

    especially in raising so large a family as he did…with an iron hand and a wide

    strap…something which my mother learned from him when it came to raising me.”29

    „She believed in what we would call today“tough love“, and never hesitated to show it

    when she felt it to be needed.“30

    In diesem Zusammenhang widerspricht Reed sich selbst, denn wenn Elizabeths Vater

    preußischer Abstammung war, so kann er keinesfalls gleichzeitig ein echter Weana

    gewesen sein.

    Die Heirat mit Carl Friedman war bereits Elizabeths zweite. In erster Ehe war sie mit

    einem italienischen Einwanderer verheiratet gewesen. Aus dieser Ehe entstammt ein

    Sohn.31 Allerdings existieren außer Reeds Angaben keine Dokumente darüber. „Neither

    my father nor my mother ever discussed this subject with me. My father told my wife

    something about this situation shortly after we were married […] no one else in my

    father’s family ever said a word about it either as I recall.”32

    Erstmals konnten vom Verfasser zu diesem Thema folgende Informationen recherchiert

    werden:

    27 Alfred Reed: E-Mail an den Verfasser, 31.12.2001

    28 vgl. dazu Jordan 1999, 2

    29 Alfred Reed: E-Mail an den Verfasser, 31.12.2001

    30 Alfred Reed: E-Mail an den Verfasser, 8.12.2002

    31 Alfred Reed: Interview mit dem Verfasser, Coral Gables, Florida, 15.7.2003

    32 Alfred Reed: E-Mail an den Verfasser, 8.12.2002

    15

  • Abbildung 3: Elizabeth Strasser als Junge Frau, Quelle: Alfred Reed

    Elizabeth Strasser wurde am 26. November 1888 in Wien geboren. Ihre Eltern,

    Hermann und Pauline Strasser, wanderten mit ihr bereits ein Jahr später 1889 in die

    Vereinigten Staaten von Amerika aus, wo sie sich in New York City ansiedeln.

    Elizabeth Strasser muss die USA aber wieder verlassen haben. Denn einerseits fehlt ihr

    Name in der Liste der Volkszählung von 1900 im Haushalt von Herman (anglisiert nur

    mehr mit einem „n“ am Ende) Strasser, und andererseits heißt es in einem Passantrag

    für eine Reise nach Österreich, zum Besuch von Verwandten, aus dem Jahr 1924: „[…]

    I [Elizabeth Friedman, Verf.] solemnly swear that I was born at Vienna, Austria on or

    about the 26 day of November, 1888; that I have resided in the Unites States

    uninterruptedly, from 1906 to 1924; […]33

    33 National Archives and Records Administration; Washington D.C.; Passport Applications, January 2, 1906 – March 31, 1925; Collection Number: ARC Identifier 583830/MLR Number A1 534; NARA Series: M1490; Roll#: 2519

    16

  • In der Volkszählungsliste von 1910 taucht der Name Elizabeth Strasser wieder im

    gemeinsamen Haushalt mit ihren Eltern Herman und Pauline Strasser auf. Sie ist hier

    aufgeführt als die älteste von insgesamt acht Kindern der Familie Strasser und hat fünf

    Schwestern und zwei Brüder. Den Angaben ist auch zu entnehmen, dass Pauline

    Strasser Mutter von 10 Kindern, die zu diesem Zeitpunkt auch am Leben waren, war. In

    der Liste sind allerdings nur Kinder angeführt, die älter sind als ein Jahr. Da in späteren

    Zensuslisten keine weiteren Kinder der Famlie Strasser namentlich genannt sind als jene

    der Liste aus 1910, ist daraus zu schließen, dass zwei Kinder die ersten Lebensmonate

    nicht überlebt haben.

    Elizabeth Strasser hatte also die USA zwischen spätestens 1900, wahrscheinlich schon

    früher, und 1906, aus nicht näher bekannten Gründen wieder verlassen.

    In der Zeit bis zur Rückkehr zu ihren Eltern, spätestens 1910, besteht sowohl die

    Möglichkeit einer Ehe wie auch die der Geburt eines Kindes, wie Alfred Reed berichtet.

    In der Geburtsurkunde von Alfred Reed finden wir den Hinweis, dass Alfred Friedman

    das zweite Kind Born to This Mother war, wobei in der Spalte Number of Children of

    This Mother Now Living nur die Zahl 1 steht. Reeds, Jordan gegenüber geäußerte,

    Ansicht, er hätte, zumindest eine gewisse Zeit lang, einen Stiefbruder gehabt, ist somit

    unrichtig.34

    Herman Strasser und Carl Friedman arbeiteten beide als Kellner in New Yorker

    Restaurants und Hotels. Da sie auch in der Bronx in relativer Nähe zueinander wohnten,

    ist es naheliegend anzunehmen, dass sich die beiden, und damit auch ihre Familien, in

    ihrem Arbeitsumfeld kennengelernt haben. So kam es wohl zum Zusammentreffen

    zwischen Carl Friedman und Herman Strassers Tochter Elizabeth. Carl und Elizabeth

    heirateten schließlich am 26. Juni 1918.

    34 Vgl. dazu Jordan 1999, Seite 2

    17

  • 1.2 KINDHEIT UND SCHULZEIT (1921 – 1936)

    Alfred Reed wurde am 25. Jänner 1921 in New York als Alfred Friedman geboren. Die

    Wohnung seiner Eltern befand sich zu diesem Zeitpunkt an 234 East 33rd Street

    zwischen Second und Third Avenue, im Bereich zwischen Lower und Upper Eastside

    von Manhattan. In dieser als „[…] three-room cold-water flat […]“ 35 bezeichneten

    Wohnung verbrachte er die ersten sechs Jahre seines Lebens. Die Wohnung war einfach,

    bestand aus drei Zimmern, mit der Toilette auf dem Gang zur gemeinsamen Benutzung

    35 Alfred Reed: E-Mail an den Verfasser, 8.12.2002

    Abbildung 4: Certificate and Record of Birth, Quelle: Alfred Reed

    18

  • von vier Familien. Es gab keinen Strom und keine Heizung mit Ausnahme des

    Gasherdes in der Küche.36

    Aufgewachsen ist Alfred Reed, der Herkunft seiner Eltern wegen, in einem europäisch

    geführten Haushalt. Zu Hause wurde Deutsch gesprochen und wenn man auswärts war

    Englisch.„[…] I spoke more German than English before I went to school […]”.37“[…]

    36 Alfred Reed: Interview mit dem Verfasser, Coral Gables, Florida, 15.7.2003

    37 Alfred Reed: E-Mail an den Verfasser, 31.12.2001

    Abbildung 5: Alfred Reed im Alter von sechs Monaten, Foto: Alfred Reed

    19

  • „[…] es war die Muttersprache in unserem Haus, und ich musste Englisch gar wie ein

    Ausländer lernen!”38

    Reeds Vater war sehr musikinteressiert, weshalb es im zentral gelegenen Raum ein

    Grammophon der Firma Columbia gab - „[…] the kind you would wind up to make go

    […]“ 39 - mit dem Carl Friedmann ständig Schallplatten von Opernaufnahmen und

    Sinfonien vorspielte. An Platten, die noch mit 78 Umdrehungen pro Minute abzuspielen

    waren, gab es „[…] almost the entire recorded repertoire of symphonic and operatic

    music available in those days.“40

    Was den musikalischen Geschmack anlangte, rankte sich alles im Wesentlichen um die

    vier „B“s: Bach, Beethoven, Brahms und Bruckner „[…] with a liberal sprinkling of

    Wagner and all the Strausses mixed in […]“41

    So hörte Alfred Reed täglich mehrere Stunden Musik, wodurch er sehr vertraut war mit

    dem Konzert- und Opernrepertoire, das Anfang der 20er Jahre auf Schallplatte im

    Handel erhältlich war. Alfred Reed stellte immer wieder fest, dass seine Kenntnis der

    Opern und Sinfonien bereits in seiner frühen Kindheit die Basis für seine musikalische

    Karriere bildete.

    1924 beantragte Elizabeth Friedman für sich und Sohn Alfred einen Pass für einen

    Besuch von Verwandten in Österreich, den die Familie Friedman schließlich im

    Sommer 1925 durchführte.

    38 Alfred Reed: Brief an Johann Mösenbichler 8.1.1992

    39 Alfred Reed: E-Mail an den Verfasser, 31.12.2001

    40 Alfred Reed: E-Mail an den Verfasser, 31.12.2001

    41 Alfred Reed: E-Mail an den Verfasser, 31.12.2001

    20

  • Abbildung 6: Elizabeth und Alfred Friedmann, Passfoto 1925, Foto: Alfred Reed

    Dieses Passfoto ließ man „for [the] 1925 trip“42 anfertigen. Es zeigt den jungen Alfred

    Reed mit seiner Mutter.

    In Österreich verbrachte man auch einige Zeit in Nußdorf am Attersee, wo Alfred Kurz,

    Carl Friedmans Schwager, in Zell Nr. 11 ein Grundstück mit Villa und Fischrechten

    erworben hatte. An der Wiener Börse zu Geld gekommen, hatte Alfred Kurz das

    Anwesen 1918 gemeinsam mit zwei weiteren Personen erworben und war von 1930 bis

    1955 alleiniger Eigentümer der Liegenschaft.

    42 Handschriftliche Notiz auf der Rückseite des Passfotos, 1925

    21

  • „Visit to country home in Nussdorf am Attersee, Summer, 1925“. 43 Das Foto

    dokumentiert den Aufenthalt in Nussdorf von 1925. Auf diesem Foto sieht man auf der

    linken Seite Familie Friedmann (Vater Carl, Klein-Alfred und Mutter Elizabeth). Zwei

    der drei Damen auf der rechten Seite der Gruppe sind Alfreds Tanten Erna Kurz und

    Sabine Wolf vor dem als Kurz-Villa bekannten Haus in Zell Nr. 11 bei Nussdorf am

    Attersee. Die dritte Dame konnte nicht identifiziert werden.

    1928 zog Familie Friedman in eine Wohnung, die, wie die vorige, ebenfalls drei

    Zimmer hatte und in der Bronx lag und zwar nach 2078 Mohegan Avenue. Diese

    Wohnung war nur wenige Gehminuten von der Grundschule P.S. 67 entfernt, in die

    Alfred nach dem Kindergarten gehen sollte.

    Alfred Reeds Zugang zur Musik beschränkte sich anfänglich auf die

    Schallplattensammlung seines Vaters. Der Besuch von Konzerten oder

    Opernaufführungen war aus finanziellen Gründen nicht möglich. Zum einen weil Vater

    Friedman zunächst nicht genug Geld verdiente, zum anderen weil später die Krankheit

    43 Handschriftliche Notiz auf der Rückseite des Fotos, 1925

    Abbildung 7: Familie Friedmann vor der Villa in Zell Nr.11 in Nussdorf am Attersee 1925, Foto: Alfred Reed

    22

  • seiner Mutter sich immer mehr verschlechterte und die gesamten Ersparnisse der

    Familie sowie das Einkommen des Vaters aufbrauchten.

    Aus Erzählungen seiner Eltern weiß Alfred Reed, dass er schon als kleines Kind gerne

    und oft sang. Er sang überall, wo er hinkam, sogar auf dem Weg zur Toilette.44

    Carl Friedman war unzweifelhaft derjenige, der den größten Einfluss auf die

    musikalische Entwicklung Alfred Reeds hatte. Carl Friedman lernte in seinem Beruf

    immer wieder Menschen kennen, die später als Alfreds Lehrer in Erscheinung traten. Es

    hat den Anschein, dass es sich bei manchen Personen, wie zum Beispiel bei Paul Yartin

    oder bei Milton Katims, um Leute handelte, die aus einem ähnlichen Umfeld wie die

    Friedmans in die Vereinigten Staaten von Amerika eingewandert waren. Diese waren,

    wie die Familie Friedman, jüdischer Abstammung, wohnten meist in derselben Gegend,

    kannten sich und tauschten wichtige Informationen untereinander aus. Das gemeinsame

    Schicksal verband.

    Im Gegensatz zu Reeds Vater war seine Mutter übervorsichtig und beschützend. Sie

    wollte, dass Alfred sich ständig in ihrer Nähe aufhält, um ihn so besser im Blick zu

    haben. Im Vorschulalter hatte Alfred Reed sehr wenig Freiraum. Reeds Mutter war

    immer zu Hause, sodass er sich rückwirkend betrachtet persönlich eingeschränkt

    fühlte. 45 Diese Eigenschaft seiner Mutter, ständig über Klein-Alfreds Aktivitäten zu

    wachen, kam sicher aus Elizabeths Jugend. Als älteste Tochter einer kinderreichen

    Familie musste sie ständig auf ihre jüngeren Geschwister aufpassen.

    Der Einfluss von Alfred Reeds Mutter war aber in anderer Hinsicht wichtig. Sie sprach

    Deutsch mit ihm und las ihm Geschichten auf Deutsch vor, wodurch er zweisprachig

    aufgewachsen ist. Manchmal wechselte er während eines Gespräches zwischen Deutsch

    und Englisch hin und her, was ihn manchmal zum Gespött anderer Kinder machte, was

    er gar nicht gerne hatte.46

    44 Alfred Reed: Interview mit dem Verfasser, Coral Gables, Florida, 15.7.2003

    45 Alfred Reed: mündliche Mitteilung an den Verfasser 19.7.2003

    46 Alfred Reed: Interview mit dem Verfasser, Coral Gables, Florida, 15.7.2003

    23

  • Mitte der 1930er Jahre wurde ein Radioapparat angeschafft, was für Reed, neben dem

    Grammophon, eine weitere Möglichkeit bot Musik zu hören. Jedes Wochenende machte

    er sich sozusagen sein eigenes Programm. Er hörte Übertragungen aus der Metropolitan

    Opera und Konzerte des NBC 47 Orchesters, das regelmäßig an Samstagabenden

    ausgestrahlt wurde. Weitere Sendungen aus der Radio City Music Hall mit dem dort

    ansässigen Orchester unter der Leitung von Ernö Rapee48 und dem Detroit Symphony

    Orchestra unter Paul Paray.49zählten zu Reeds Favoriten.

    Auf diese Weise lernte Alfred Reed im Laufe der Jahre einen großen Teil jener

    Musikstücke des sinfonischen Weltrepertoires kennen, die später den Grundstock seiner

    eigenen Kompositionsstudien bilden sollten. Während andere Kinder seines Alters

    draußen waren und an den Wochenenden gemeinsam spielten, war Alfred immer

    drinnen und hörte Musik.50

    Familie Friedman wechselte immer wieder die Unterkunft. Der Grund für die

    oftmaligen Wohnungswechsel lag im Wunsch der Mutter, nahe der Schule zu sein, die

    Alfred Reed zu besuchen hatte. Dies begann in der Grundschule und setzte sich dann in

    Junior High School und High School fort.51

    1931 zog die Familie ein weiteres Mal um. Diesmal etwa eine halbe Meile in südlicher

    Richtung nach 1674 Boston Road, nächst dem Crotona Park gelegen. Es war wieder

    eine Drei-Zimmer-Wohnung in der Nähe der Herman Ridder Junior High School, die

    damals ganz neu errichtet worden war.

    47 NBC: National Broadcasting Company, große Rundfunkdanstalt in den USA, gegründet 1926, vgl. dazu http://www.britannica.com/EBchecked/topic/404533/National-Broadcasting-Co-Inc-NBC

    48 Ernö Rapee wurde am 4. Juni 1891 in Budapest als Ernest Rappaport geboren. Er starb am 26. Juni 1945 in New York City. Er war ein US-amerikanischer Pianist, Komponist und Dirigent ungarischer Herkunft. [Quelle: IMDB]

    49 Paul Paray (1886-1979) war ein französischer Komponist und Dirigent. Er war der erste Prix de Rome Preisträger und u.a. Ehrenbürger der Städte Monaco und Detroit. Von 1951 bis 1962 war er Chefdirigent des Detroit Sinfonieorchesters. vgl. dazu http//:www.paulparay.com/bio.htm, 25.1.2013, 08:13

    50 Alfred Reed: Interview mit dem Verfasser, Coral Gables, Florida, 15.7.2003

    51 Alfred Reed: Interview mit dem Verfasser, Coral Gables, Florida, 16.7.2003

    24

  • Alfred war ein ausgezeichneter Schüler. Er hatte daher keinerlei Probleme, auf

    intellektueller Ebene mit anderen Kindern zu kommunizieren, sehr wohl aber,

    erziehungsbedingt, auf sozialer Ebene. Reed orientierte sich deshalb in erster Linie an

    älteren Mitschülern und war in der Gruppe meist der Jüngste. Für Reeds Vater war

    dieses Tatsache durchaus positiv, denn er meinte, Alfred lerne durch diese Situation

    entweder sich zu arrangieren oder er würde untergehen. Reed lernte sich zu arrangieren

    und überlebte.52

    Allerdings war Reed als Jüngster in der Gruppe oft Zielscheibe von Scherzen der

    anderen, was nicht immer angenehm für ihn war. Er entwickelte daher eine Einstellung

    unangenehmen Situationen gegenüber, die es ihm ermöglichten diese durchzustehen.

    Diese Erfahrung kommt ihm sein ganzes weiteres Leben zu Gute. So war es ihm später

    immer möglich kritische Stimmen seinen Werken gegenüber zu hören und diese auch

    anzuerkennen, um dann in kompositorischen Belangen weiter seinen eigenen Weg zu

    gehen.53

    1931, im Alter von zehn Jahren, Alfred Reed war damals bereits in der Junior High

    School, gab es in der Schule eine Instrumentenvorstellung der Firma Conn.54 Es wurden

    Holz- und Blechblasinstrumente präsentiert und es wurde auf diesen auch vorgespielt. „I

    fell in love with the round, shiny Cornet and the sound it produced, went home and told

    my parents that I wanted to play this instrument and study music.“ 55 Allerdings

    verwechselte er den Namen des Instrumentes, denn er erklärte seinen Eltern, er wolle

    Klarinette spielen lernen.56 Bei der Anmeldung an der privaten New York Schools of

    Music stellte sich der Irrtum heraus und Alfred erhielt ein Kornett und ein Lehrbuch für

    zu Hause. Carl Friedman schrieb Alfred in dem Privatinstitut ein. Die Kornettstunden

    kosteten 50 Cent, was in New York zu jener Zeit sehr wenig war, und das Instrument

    wurde ohne weitere Gebühr zur Verfügung gestellt.

    52 Mündliche Mitteilung von Alfred Reed an den Verfasser, 15.7.2003

    53 Mündliche Mitteilung von Alfred Reed an den Verfasser, 15.7.2003

    54Firma Conn:

    55 Alfred Reed: E-Mail an den Verfasser vom 8.12.2002

    56 Alfred Reed: mündliche Mitteilung an den Verfasser, 15.7.2002

    25

  • „There were music schools and private teachers galore in New York as always, but after

    three lessons atone of these schools, my father insisted that I study privately and found

    an excellent teacher for me.“57

    Dieser Lehrer war Abraham Nussbaum. Ein Trompeter, der auch als Dirigent an der

    New York Metropolitan Opera tätig war. Er meinte, dass der Unterricht an der New

    York Schools of Music reine Geldverschwendung wäre, da die Ausbildung qualitativ

    nicht sehr hochstehend sei. Nussbaum bot daher an, Alfred zu unterrichten.

    Für Alfreds musikalische Ambitionen hatte seine übervorsichtige Mutter nicht viel

    übrig. „[…] she would have thought twice about encouraging her only child to become

    a serious musician, let alone a professional one. But my father never hesitated in his

    support of my choice to study music seriously.”58

    Carl Friedman kam in seinem Beruf mit vielen Menschen in Kontakt, darunter auch

    einer großen Zahl an Musikern. Die meisten von ihnen waren entweder arbeitslos oder

    wollten ihr Einkommen durch Unterricht aufbessern. Dadurch konnte man ihre Dienste

    in Anspruch nehmen, ohne die volle Gebühr dafür zahlen zu müssen. Der Unterricht bei

    Nussbaum kostete aber mehr als der in der New York Schools of Music und außerdem

    wollte Nussbaum Trompete unterrichten und nicht Kornett. Reeds Vater kaufte deshalb

    eine versilberte Trompete für 40 Dollar und handelte mit Nussbaum ein

    Sonderarrangement aus: der Unterricht fand einmal pro Woche in der Wohnung der

    Friedmanns statt und Nussbaum erhielt zwei Dollar und ein Abendessen nach dem

    Unterricht.

    Nussbaum war sehr besorgt um die Zähne seiner Schüler. Daher musste Alfred sofort

    alles aufgeben, was mit Sport zu tun hatte. Elizabeth Friedman unterstütze nur zu gerne

    diese Forderung. Für Alfred Friedman bedeutete dies aber das Ende für alles, was in

    irgendeiner Form mit Sport zu tun hatte, wie Baseball oder gar Football.59

    57 Alfred Reed:E-Mail an den Verfasser, 8.12.2002

    58 Alfred Reed:E-Mail an den Verfasser, 8.12.2002

    59 Alfred Reed: mündliche Mitteilung an den Verfasser, 15.7.2003

    26

  • Abbildung 8: Alfred Reed 1934, Foto: Alfred Reed

    „In junior high school I played in the orchestra, in high school in the band for a few

    weeks before my trumpet teacher forbade me to play in the band, claiming that the

    marching band would ruin my embouchure […].”60

    Jordan gegenüber berichtete Reed hingegen, dass er nie in irgendwelchen

    Schulensembles mitgewirkt hat.61

    Reeds Unterricht bei Nussbaum dauerte etwa bis zu seinem 13. Lebensjahr.

    60 Alfred Reed: E-Mail an den Verfasser, 8.12.2002

    61 Vgl. dazu Jordan 1999, S. 6

    27

  • Alfreds nächster Lehrer war Howard Schantzer, ein Berufstrompeter. Dieser hatte

    seinen rechten Arm bei einem Unfall verloren, blieb aber ungehindert dieser Tatsache

    ein gefragter Musiker in New York. Reed bewunderte Schantzers Fähigkeit seine

    Behinderung quasi zu ignorieren und sich ganz auf das Trompetenspiel zu konzentrieren.

    Reed hatte für sich selbst allerdings das Gefühl, dass er größere Fortschritte machten

    hätte können, als es tatsächlich der Fall war. Rückwirkend betrachtet, meinte Alfred

    Reed, dass Schantzer bloß Instrumentalunterricht gab, um seine Einkünfte aufzubessern

    und nicht um seine Schüler weiter zu bringen.62

    Reed blieb daher nur kurze Zeit Schüler bei Schantzer, bis sein Vater einen anderen

    Lehrer fand - Irving „Rudy“ Mink.

    Mink war am Broadway in einem Bühnenorchester engagiert und unterrichtete Alfred

    aus Gefallen für dessen Vater. Mink war ebenfalls nicht wirklich daran interessiert zu

    unterrichten, seine Ambitionen als Lehrer hielten sich in Grenzen. Alfred lernte einige

    populäre Standards spielen, die er als Trompeter ganz gut würde gebrauchen können.

    Allerdings war die Stückauswahl Minks nicht nach dem Geschmack von Alfred Reed

    und daher trennten sich ihre Wege bereits nach kurzer Zeit.

    Parallel zum Instrumentalunterricht bildete Alfred Reed mit einigen gleichgesinnten

    Freunden eine Tanzkapelle, bestehend aus Trompete, Alt-Saxofon, Klavier und

    Schlagzeug, mit der er sein erstes bezahltes Engagement antrat. Reed erinnert sich daran,

    für drei Stunden Arbeit zwei Dollar Gage erhalten zu haben und auch daran, dass ihm

    die Aussicht darauf, dass seine musikalischen Darbietungen sogar bezahlt wurden,

    Freude bereitete.63

    „[…] from the time I was about 14 the small dance group I was playing with began to

    take engagements on a professional basis, and so far the next three years I was earning a

    small income from professional performance.”64

    62 Alfred Reed: Mündliche Mitteilung an den Verfasser, 15.7.2002

    63 Alfred Reed: Mündliche Mitteilung an den Verfasser, 15.7.2002

    64 Alfred Reed: E-Mail an den Verfasser, 8.12.2002

    28

  • Das Spielen in einer Tanz-Band bedeutete auch unterwegs zu sein. Das war seiner

    Mutter wiederum ein Dorn im Auge, denn es gefiel ihr überhaupt nicht, dass Alfred sich

    mehr und mehr ihrer Kontrolle entzog.

    Im Alter von 17 Jahren wollte Alfred Reed seine eigene Band haben, das heißt er wollte

    der Bandleader sein, Arrangements für seine Gruppe schreiben und auch

    dirigieren.„This turned out to be a rather large orchestra for its time (9 men and a girl

    singer) […].“ 65 Tanzkapellen von dieser Größe waren naturgemäß schwieriger zu

    vermarkten als kleinere Bands mit vier oder fünf Musikern – was sich bis zum heutigen

    Tag nicht geändert hat. Aus diesem Grund nahm Alfred Reed die Dienste eines

    Managers in Anspruch, der die Tanzkapelle vermitteln sollte. Dieser Manager meinte

    allerdings „[…] that the name ‚Al Friedman‘ was not sufficiently „commercial“ and

    suggested the name Alan Reed […]”66 Außerdem sei ein Name notwendig, der sich

    leicht merken und buchstabieren lässt. Bis zu jenem Zeitpunkt, als Alfred Reed seinen

    Militärdienst während des Zweiten Weltkrieges antrat, war er daher in professionellen

    Musikerkreisen unter dem Namen Alan Reed bekannt.67 Als Alfred Reed nach dem

    Krieg nach New York zurückkehrte und dort seine Tätigkeit wieder aufnehmen wollte,

    stellte sich heraus, dass ein Bühnen-, Film- und Fernsehschauspieler unter dem Namen

    Alan Reed immer größere Bekanntheit erlangte.

    Da war also dieser Schauspieler namens Alan Reed „[…] and that was also his real

    name, that I decided to change my professional name to Alfred Reed (since I had no

    intentions of going back to popular music by then), and that was the name I was known

    by in the professional circles until I changed my name legally in 1955.“68

    Was den richtigen Namen des Schauspielers Alan Reed anlangt, irrte Alfred Reed

    allerdings. Denn Alan Reed war ebenfalls ein Künstlername. Der in jenen Tagen

    65 Alfred Reed: E-Mail an den Verfasser, 8.12.2002

    66 Alfred Reed: E-Mail an den Verfasser, 8.12.2002

    67 Alfred Reed: mündliche Mitteilung an den Verfasser, 15.7.2003

    68 Alfred Reed: E-Mail an den Verfasser, 8.12.2002

    29

  • tatsächlich immer populärer gewordene Alan Reed war Film- und Theaterschauspieler

    am Broadway und hieß in Wirklichkeit Theodore Bergman.69

    Als der Zeitpunkt gekommen war, dass Alfred Reed in die High School gehen sollte,

    war es wieder an der Zeit umzuziehen. Diesmal bloß fünf Blocks weiter, wieder in eine

    Drei-Zimmer-Wohnung, nach 1712 Longfellow Avenue, in relativer Nähe zur James

    Monroe High School. Diesmal musste er allerdings ein wenig weiter gehen und sogar

    den Bronx River überqueren, um zur Schule zu gelangen, sehr zum Leidwesen von

    Mutter Friedman.

    In dieser Zeit bemerkte Reed, dass er Klänge und Klangmuster in seiner Vorstellung

    wahrnahm, die er mit der Trompete nicht wiedergeben konnte. Er brauchte Zugang zu

    einem Klavier um nachzuspielen, was er hörte. Also kaufte Carl Friedman das erste

    Klavier. Das Instrument wurde für zehn Dollar in einem Geschäft für

    Gebrauchtinstrumente erstanden. Es begann eine Entwicklung einzusetzen, im Zuge

    derer sich Alfred Reed nun mehr dem Klavier zuwandte als der Trompete. Er erlernte

    das Klavierspielen durch Probieren an den Tasten und nahm erst später

    Klavierunterricht, als er an der Juilliard School of Music studierte. Es war ihm aber

    möglich, das zu spielen, was er aufgeschrieben hatte, um so seine musikalischen

    Einfälle für sich auch hörbar zu machen.

    Ein richtiges Konzert konnte Alfred Reed erstmals im Jahr 1935 besuchen, noch in

    seiner Zeit an der High School. Das New York Philharmonic Orchestra spielte im

    Madison Square Garden unter anderem Tschaikowskys 4. Sinfonie. Im Jahr darauf

    spendierte Carl Friedman seinem Sohn eine Karte für ein Konzert der New Yorker

    Philharmoniker als Anerkennung für besondere schulische Leistungen im Fach Deutsch.

    69 vgl dazu http//:www.imdb.com/name/nm0715284/bio Der Schauspieler Alan Reed wurde am 20 August 1907 in New York City, New York, USA als Theodore Bergman geboren. Den Künstlernamen Alan Reed verwendete er Als Film- und Theaterschauspieler am Broadway, seinen richtigen Namen, Theodore Bergman, im Radio. Bekannt wurde Alan Reed, und ist es heute noch, als Synchronsprecher der Zeichentrickfigur Fred Feuerstein. Er war es auch, der die berühmte Feuersteinphrase „Yabba-dabba-doo“ erfand und populär machte. Alan Reed starb am 14. Juni 1977 nach langer Krankheit in Los Angeles.

    30

  • In diesem Konzert stand Musik von Richard Wagner auf dem Programm. Das war der

    Beginn einer Liebe zu Wagners Musik, die Reed sein weiteres Leben begleitete.70

    Als besondere Belohnung war es Carl Friedman gelungen, Karten für eine

    Opernvorstellung für die Frühjahrsspielzeit der Metropolitan Opera in New York zu

    organisieren. Diese Aufführung besuchte Alfred Reed mit seiner Mutter.

    Alfred Reed schloss die High School 1936 im Alter von 15½ Jahren „with an A-

    average“ 71 ab.

    70 Alfred Reed: Mündliche Mitteilung an den Verfasser, 16.7.2003

    71 Alfred Reed: E-Mail an den Verfasser, 8.12.2002

    31

  • 1.3 NEW YORK (1937 – 1942)

    Nach Abschluss der Schulzeit spielte Alfred Reed Trompete in einer neuen Band. Eine

    New Yorker Agentur nahm Musiker unter Vertrag und stellte Tanzkapellen für die

    vielen Lokale einer aufstrebenden Tourismusregion, die knapp 100 Meilen von New

    York entfernt war, zusammen. Diese Region um die Catskill Mountains, bekannt als die

    Catskill Resorts 72 , befindet sich in den Bezirken Sullivan, Orange und Ulster im

    Bundesstaat New York, etwa eineinhalb Autostunden nordwestlich von New York City

    entfernt. Für ein Engagement war Alfred Reeds jüdische Abstammung kein Nachteil,

    denn die Sommerurlaubsorte in den Catskills Mountains im Bundesstaat New York sind

    auch unter den Namen Borscht Belt oder Jewish Alps bekannt gewesen. Eine Reihe von

    zuerst Bungalow-Siedlungen, später auch Hotels wurden von den 1920er bis 1960er

    Jahren von jüdischen Emigranten aus New York, die es zu einem gewissen Wohlstand

    gebracht hatten, als beliebte Urlaubsregion genutzt. In diesen Resorts wurde koscheres

    Essen serviert und zur Unterhaltung traten viele angehende Broadwaymusiker oder auch

    Schauspieler und andere Entertainer auf, die sich am Beginn ihrer Karriere befanden,

    wie zum Beispiel Woody Allen, Mel Brooks, Zero Mostel und Eddie Cantor. Zum einen

    war es eine gute Gelegenheit Erfahrung zu sammeln und Geld zu verdienen, zum

    anderen war auch immer eine Möglichkeit gegeben, für höhere Aufgaben entdeckt zu

    werden. Auch Irvin Berlin kann in diesem Zusammenhang genannt werden. Er trat

    allerdings nirgendwo auf, sondern nutzte die Gegend um sich in ruhiger Lage ein

    Domizil errichten zu lassen, um in stressigen Zeiten gegebenenfalls auszusapnnen.

    Der Leiter der Band musste Elizabeth Friedmann versprechen, sich um Alfred zu

    kümmern und ein wachsames Auge auf ihn zu haben. Ralph Captain, der Bandleader

    war drei Jahre älter als Alfred und mehrere Jahre dessen Zimmergenosse. Das erste

    Catskill Engagement war in einem Lokal, das Alfred Reed als „Pinecrest

    Villa“ bezeichnet. Es existierte ein Bungalow mit dem Namen „Pinecrest“ in der Stadt

    Kershonkson, Bezirk Ulster. Das Engagement brachte 4 Dollar pro Woche, Kost und

    72 vgl. dazu http//:www.terrastories.com/bearings(abandoned-catskills-hotels und http//:catskills.brown.edu

    32

  • Quartier waren frei, und auch die Trinkgelder durfte die Band behalten. Das Ensemble

    bestand aus Violine, Alt-Saxofon, Trompete, Klavier und Schlagzeug. Die Musiker

    mussten jederzeit einsatzbereit sein und manchmal waren die Tage sehr lang. Ein

    typischer Tagesablauf bestand aus Proben tagsüber und etwa einer Stunde Tischmusik

    beim Abendessen mit anschließender Tanzmusik.73

    Es war in jenen Tagen, als Alfred Reed entdeckte, dass er Musik schreiben wollte, mehr

    noch als Musik spielen. Ein einflussreicher New Yorker Politiker, irischer Herkunft,

    hatte sich im Pinecrest angesagt. Die Eigentümer des Hotels traten also an die Band

    heran und teilten den Musikern mit, dass sie in den nächsten Tagen auch ein paar irische

    Stücke ins Programm aufnehmen müssten. Also machte man sich auf, um irgendwo an

    irische Musikstücke zu kommen. Alfred Reed erinnert sich sehr genau, dass er zwar

    nicht mehr wisse, warum er es tat, aber er sagte seinen Musikerkollegen, dass sie sich

    keine Sorgen machen sollten, er würde der Band schon etwas schreiben.74 Es fand sich

    ein Liederbuch mit dem Titel Twice 55 Community Songs, woraus Alfred Reed ein

    Medley von einigen irischen Stücken arrangierte. Der Politiker aus New York dürfte

    zufrieden gewesen sein, denn er zeigte seine Begeisterung, indem er der Band eine

    größere Summe an Trinkgeld zukommen ließ.

    Die Engagements in den Catskill Resorts waren für Alfred Reed eine wichtige Station in

    seiner musikalischen Entwicklung, da er sofort selbst hören konnte, ob das, was er zu

    Papier gebracht hatte, auch tatsächlich gut klang.

    […] during this time, when I was writing arrangements for the groups I was playing with, I had the chance to learn how to write for instruments in a practical and successful manner […] hearing every note I wrote in actual living sound, probably the most important single aspect of any composer or arranger’s development.75

    Es zeigte sich bereits in dieser Zeit Reeds Talent für kreatives Arrangieren. Von damals

    an übte Alfred Reed immer weniger Trompete und begann immer mehr zu schreiben. Er

    73 Alfred Reed: Mündliche Mitteilung an den Verfasser, 16.7.2003

    74 Alfred Reed: Mündliche Mitteilung an den Verfasser, 16.7.2003

    75 Alfred Reed: E-Mail an den Verfasser, 8.12.2002

    33

  • gesteht auch ein, nie ein besonders guter Trompeter gewesen zu sein. Es stellte sich

    heraus, dass er schneller und besser Noten schreiben konnte, als er jemals imstande sein

    würde Trompete zu spielen.76

    Im Jahr 1936 kehrte Alfred Reed vom Sommerengagement in den Catskill Mountains

    nach New York zurück und teilte seinem Vater mit, dass er Komposition studieren

    wolle. Wie schon zuvor bei den geäußerten Wünschen des jungen Alfred, machte sich

    Carl Friedman auf die Suche nach einem geeigneten Lehrer. Dieser wurde in der Person

    eines gewissen John P. Sacco gefunden. Um Alfred Reeds Vater einen Gefallen zu tun,

    begann Sacco Alfred Reed zu unterrichten. Einmal die Woche ging Reed zu Sacco zum

    Unterricht. Reed konnte sich leisten, für den Unterricht zu bezahlen, da er keine

    Trompetenstunden mehr nahm und er daher das Geld für die Kompositionsstunden

    verwenden konnte. Nach etwa einem Jahr endete diese Form von Alfred Reeds

    kompositorischer Ausbildung, da Sacco beschloss, nicht weiter zu unterrichten.

    In einer Zeit, in der es Alfred Reed beruflich, oder besser gesagt wirtschaftlich immer

    besser ging, ereilte ihn ein Schicksalsschlag, der sich zwar schon die letzten Jahre

    abzuzeichnen begann, nun aber den Status der Endgültigkeit erreichte: der Tod seiner

    Mutter. Elizabeth Friedman starb 1937an den Folgen einer Krebserkrankung.

    Anfang 1938 stand für Alfred Reed fest, dass er Komponist werden wollte. Er hatte zu

    diesem Zeitpunkt allerdings noch keine Ahnung, wie man ein solcher wird. Seine

    persönliche Situation war alles andere als zufriedenstellend. Er wollte komponieren,

    spürte einen inneren Antrieb dazu, es fehlte ihm aber das notwendige kompositorische

    Handwerkszeug dafür. Alfred Reed berichtet, dass Geld nach wie vor ein Problem

    darstellte, da der Tod der Mutter, beziehungsweise die lange Krankheit davor einen

    Großteil der Familienersparnisse aufgebraucht hatte. An Privatstunden in Komposition

    war also nicht zu denken. Alfred Reed musste daher weiterhin als Trompeter Geld

    verdienen, um sich über Wasser zu halten, obwohl er doch viel lieber komponieren

    wollte.

    76 Alfred Reed: Mündliche Mitteilung an den Verfasser, 16.7.2003

    34

  • Was die finanzielle Situation der Friedmanns angeht, findet sich in einem Brief Alfred

    Reeds an Johann Mösenbichler aus dem Jahr 1992 folgende Stelle: „Wir hatten eine

    Villa in Nussdorf am Attersee biss [sic!] 1950, wo wir jeden Sommer wohnten. […]“77

    Einerseits erklärte Alfred Reed immer wieder, dass die finanzielle Lage der Familie in

    jenenTagen angespannt war, andererseits sollen er und sein Vater, denn diesen schließt

    er wohl im Wort wir mit ein, jeden Sommer bis 1950 in Österreich verbracht haben. Da

    Alfred Reeds Onkel, Alfred Kurz, oben genannte Villa in Nussdorf besaß, besteht

    natürlich die Möglichkeit, dass die Behauptung Reeds richtig ist, allerdings hat er

    dergleichen in Interviews und anderen Gesprächen nie zur Sprache gebracht. Lediglich

    die Erwähnung in oben genanntem Brief existiert zu diesem Thema. Dies ist insofern

    verwunderlich, da er 1950 bereits 29 Jahre alt war und sich eigentlich an etwaige

    Sommer-Aufenthalte in Oberösterreich hätte erinnern müssen, erinnerte er sich doch an

    viele andere Begebenheiten sehr detailreich. Wahrscheinlich ist eher, dass es diese

    Sommeraufenthalte nicht gab, aber im Zusammenhang mit einer Rückkehr in die

    Heimat seiner Eltern konnte er auf diese Weise eine intensive Verbindung mit

    Österreich darstellen.

    Um als Musiker an Engagements zu kommen gab es eine Einrichtung, die Musicians

    Union Headqarters Local 802. Dabei handelte es sich um die Musikergewerkschaft, die

    sich zum einen um die Rechte von Musikern kümmerte und zum anderen für Jobs in der

    Branche sorgte. Man musste regelmäßig vorstellig werden um nachzufragen, ob

    beziehungsweise wo es Engagements gab.

    Nach einem Termin im Local 802 beschloss Alfred Reed sich in der Radio City Music

    Hall, gegenüber der Musicians Union Headquarters, einen damals neuen Film

    anzusehen. Dieser Film trug den Titel The Waltz King und handelte von eben diesem –

    Johann Strauss. Im Nachspann fiel Reed der Name Arthur Gutman auf, denn dieser war

    der Leiter der Abteilung für Arrangements und Notenvervielfältigung im Local 802.

    Reed beschloss Gutman am nächsten Tag aufzusuchen. Er zeigte ihm seine neuesten

    und, wie er meinte, besten Werke. Nach Begutachtung der Kompositionen schlug

    77 Alfred Reed: Brief an Johann Mösenbichler, 8.1.1992

    35

  • Gutman vor, sich um einen Kompositionslehrer für Reed umzusehen. Es wäre wichtig,

    dass es ein Mann der Praxis sei, der selbst tatsächlich Stücke schreibt und nicht nur die

    Theorie beherrscht. Gutman schlägt schließlich Paul Yartin vor. Ein wesentlicher Punkt

    bei der Auswahl von Yartin war die Tatsache, dass dieser das Honorar danach

    abstimmte, was ein Student in der Lage war zu bezahlen. Und so kam es, dass Alfred

    Reed einen jener Menschen traf, der ihn in mancherlei Hinsicht, vor allem in

    musikalischer, geprägt hat.

    Paul Yartin, „the Hungarian“78, wie Reed ihn wiederholt bezeichnete, wurde 1884 in

    Budapest geboren und studierte von November 1903 bis Juni 1905 am Conservatorium

    für Musik und darstellende Kunst der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien im

    Hauptfach Klavier bei Professor Sturm79. Als Nebenfächer absolvierte er Harmonielehre,

    Geschichte der Musik, Instrumentenkunde und Kammermusik. 80 Yartin schreibt aus

    Budapest einen Brief an den Direktor des Konservatoriums: „Hochverehrter Herr

    Director! Ich möchte den Herrn Director sehr bitten mir mein Reife-Zeugnis womöglich

    sofort ausfolgen [zu] lassen, den [sic] am ersten Juli in der Früh fahre ich fort um einen

    Posten anzutreten […].“81

    Alfred Reeds Berichten zufolge hätte Yartin auch am Pariser Konservatorium bei

    Camille Saint-Saens Komposition studiert.82 Dies kann aber nicht stimmen, da Saint-

    Saens niemals am Pariser Konservatorium als Lehrer tätig war. Möglicherweise hat

    Yartin bei Saint-Saens Privatunterricht genommen.

    Was die Bezahlung der Unterrichtsstunden anlangte, gab es auch mit Paul Yartin, in

    Absprache mit Carl Friedman, eine Sondervereinbarung. Reed diente seine Schulden

    78 Alfred Reed: Interview mit dem Verfasser, Coral Gables, Florida 17.7.2003

    79 Statistischer Bericht über das Konservatorium für Musik und darstellende Kunst, Schuljahr 1903-1904, Verlag des Konservatoriums der Gesellschaft der Musikfreunde, Wien 1904, Seite 93

    80 Statistischer Bericht über das Konservatorium für Musik und darstellende Kunst, Schuljahr 1904-1905, Verlag des Konservatoriums der Gesellschaft der Musikfreunde, Wien 1905, Seite 96

    81 Paul Yartin, Brief an den Direktor des Conservatoriums für Musik und darstellende Kunst in Wien, 27.Juni 1905, Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde Wien, Bösendorferstrasse

    82 vgl. dazu Jordan 1999, S.10

    36

  • dadurch ab, dass er über den Unterricht der zahlreichen anderen Studenten Buch führte.

    Manchmal musste er auch mit Frau Yartin zum Einkaufen.83

    Eine saubere und klare Handschrift ist eines der wichtigsten Dinge, die man als

    Komponist oder Arrangeur haben muss. Auf diese Tatsache wurde Alfred Reed von

    Anbeginn seines Unterrichtes bei Paul Yartin hingewiesen. Reed lernte rasch mit

    Füllfeder und Lineal umzugehen, denn Yartin legte besonderen Wert auf Klarheit im

    Notenbild.

    Paul Yartin war der Meinung, dass Alfred Reed die traditionelle, tonale Musik nicht

    vernachlässigen dürfe und achtete stets darauf, dass Reed nicht den Versuchungen durch

    die Harmonien und Melodien wie etwa von Hindemith oder Strawinsky, also diesen

    neuartigen Modeströmungen jener Tage, erliege und vom wesentlichen Weg

    abkomme.84

    Das Verhältnis zwischen den beiden war eher eines wie zwischen Sohn und Vater als

    zwischen einem Schüler und seinem Lehrer. Yartin nahm sich nur weniger

    vielversprechender Studenten an, dann aber offenbar sehr intensiv. „[…] most of us, as

    a matter of fact, lived with him in his home for a considerable period of time.”85

    Alfred Reed sprach immer sehr respektvoll von und über Paul Yartin. Yartin war klein

    von Statur, erinnerte sich Reed, “[…] he was only five feet tall - it’s about a little bit

    taller than Margie [Marjorie Reed, Alfred Reeds Frau, Verf.] – and had a fifty six inch

    waist line […].”86 Reed lernte bei Yartin etwa zweieinhalb Jahre zwischen 1938 und

    1940, als Yartin und dessen Frau nach Hollywood gingen um eine Aufführung von

    Mahlers Lied von der Erde vorzubereiten. „[…] and there I was without a teacher.“87

    83 Alfred Reed: Mündliche Mitteilung an den Verfasser, 16.7.2003

    84 Alfred Reed: Mündliche Mitteilung an den Verfasser, 16.7.2003

    85 Alfred Reed: Juilliard School of Music, Application for Teaching Fellowship, 11.5.1948

    86 Alfred Reed: Interview mit dem Verfasser, Coral Gables, Florida 17.7.2003

    87 Alfred Reed: Interview mit dem Verfasser, Coral Gables, Florida 17.7.2003

    37

  • Alfred Reed nahm weiter Trompetenunterricht, diesmal bei einem renommierten

    Bühnenmusiker, Harry Berken. Berken dürfte auch aus dem Kreis der Bekannten von

    Carl Friedmann gewesen sein, denn er entstammte ebenfalls einer Einwandererfamilie

    und verdiente sein Geld als Trompeter an vielen Broadwaybühnen. Auch die berühmte

    Schauspielerin Sarah Bernhardt schätzte ihn sehr.88 Aber schon nach kurzer Zeit, in der

    Alfred Reed keine nennenswerten Fortschritte gemacht hatte, erkannte Berken, dass

    Reed in erster Linie Komponist sein wollte und nicht Trompeter. „[…] why are you

    wasting my time and yours? You don’t want to be a trumpet player.”89 Reed nahm zwar

    weiterhin kleinere Engagements als Trompeter an, aber er übte kaum mehr ernsthaft an

    seinem Instrument.

    1938 kam Alfred Reed zum National Youth Administration Radio Workshop, einem

    Projekt der Regierung aus der Zeit der Depression, ins Leben gerufen von Franklin D.

    Roosevelt, dem Präsidenten. In diesem Projekt gab man jungen Berufsmusikern die

    Möglichkeit, in unterschiedlichen Musikensembles zu spielen und Radiosendungen und

    Konzerte zu gestalten, um ihnen später den Weg in ein geordnetes Berufsleben zu

    erleichtern. Diese Ensembles umfassten ein großes Sinfonieorchester, ein

    Kammerorchester, ein Bühnenorchester und auch mehrere Chöre. Im gesamten Projekt

    eingebunden waren aber auch Arrangeure und Notenkopisten. Es gab eine

    Musikbibliothek und Mitarbeiter, die sich um die Produktion beziehungsweise die

    Vermarktung kümmerten. Produziert und ausgestrahlt wurden alle Programme vom

    Sender WNYC.

    Reed arbeitete in unterschiedlichen Bereichen als Komponist, Arrangeur, Dirigent und

    hatte als Assistent der Musikproduzenten Partituren zu lesen und für die

    Radiosendungen mit dem Radio Workshop und Sinfonieorchester vorzubereiten. Sein

    Betätigungsfeld umfasste auch die Planung und musikalische Vorbereitung von, im

    Durchschnitt, zwei Konzerten wöchentlich, und das über einen Zeitraum von etwa

    88 vgl. dazu Michael Leeds, Artikel in der New York Times vom 10.Oktober 1989 über seinen Großvater mütterlicherseits

    89 Alfred Reed: Interview mit dem Verfasser, Coral Gables, Florida 17.7.2003

    38

  • zweieinhalb Jahren. 90 Er nutze seine Position, um Proben und Aufführungen

    beizuwohnen, wann immer es ging. Vielen aufstrebenden Dirigenten wurde die

    Möglichkeit gegeben die Orchester und Ensembles zu dirigieren. Reed war Assistent-

    Dirigent für Leopold Stokowski, Fritz Mahler und andere.

    Für Alfred Reed gab es genügend Gelegenheiten sich mit Musik zu beschäftigen, sei es

    als Arrangeur oder Komponist. Er schrieb unter anderem die Originalmusiken für

    Produktionen des Workshops wie etwa Tale of a City, Promise of America und Creative

    America.91

    In Reeds Zeit beim Radio Workshop sog er alles in sich auf, was mit Musik zu tun hatte.

    Oft waren es Begegnungen mit interessanten Künstlern oder das Kennenlernen von

    neuen Musikstücken. Am wichtigsten aber war, dass er sich sofort anhören konnte, wie

    das, was er notiert hatte, in Wirklichkeit klang. Noch dazu gespielt von den besten

    Musikern, die es in New York gab.92

    In jene Zeit fällt auch die erste öffentliche Aufführung einer Komposition von Alfred

    Reed. Es handelte sich dabei um ein kurzes Stück, das er als Neunzehnjähriger 1940

    geschrieben hatte, Titel: Country Night. Dieses Stück wurde vom NBC

    Sinfonieorchester im Sommer 1941 unter dem Titel Interludium in einer Radiosendung

    aufgeführt. Dirigent war Milton Katims. Die Komposition wurde in ihrer

    Originalversion nie veröffentlicht. Erst Jahre später, 1955, als Alfred Reed für den

    Verlag Hansen tätig war, kam es als Stück für Orgel solo heraus. Damals war es die

    erste Komposition Reeds, die verlegt worden war.93

    Am 20. Juni 1941, im Alter von 20 Jahren, heiratete Alfred Reed Marjorie Beth Deley.

    Die Umstände dieser Heirat waren eher zufällig. Marjories Vater war ebenfalls im

    Gastgewerbe in New York und besaß sein eigenes Lokal am Broadway. Nachdem Carl

    90 Alfred Reed: Full Resume, Manuskript, Seite 4

    91 Alfred Reed: Full Resume, Manuskript, Seite 4

    92 Alfred Reed: Mündliche Mitteilung an den Verfasser, 16.7.2003

    93 Alfred Reed: Mündliche Mitteilung an den Verfasser, 16.7.2003

    39

  • Abbildung 9: Heiratsurkunde von Alfred Friedman und Marjorie Deley, Quelle: Alfred Reed

    Friedman seinen eigenen Betrieb verloren hatte, traf er auf Marjories Vater, der ihn in

    der Folge anstellte. Marjorie arbeitete ebenfalls im Betrieb ihres Vaters und wurde so

    mit Alfred Reeds Vater bekannt. Marjorie war erst vor kurzem von ihrem ersten

    Ehemann geschieden worden und so fragte Carl Friedman, ob sie nicht mit seinem Sohn

    ausgehen wollte. Zuerst wollte sie auf dieses Ansinnen nicht eingehen, aber 1940

    schaffte Carl Friedman es, Marjorie und Alfred zusammenzubringen. Marjorie wollte

    ein Musikinstrument spielen lernen und Alfred sollte ihr dabei behilflich sein. Reed half

    ihr beim Kauf eines Klaviers und stellte sie Paul Yartin vor, bei dem sie dann einige

    Zeit lernte.94

    Alfred und Marjorie verlobten sich im Februar 1941 und heirateten am 20.Juni

    desselben Jahres.

    94 Alfred Reed: Mündliche Mitteilung an den Verfasser, 16.7.2003

    40

  • Marjories Eltern unterstützten das Paar finanziell so sehr, dass es Alfred Reed zu viel

    wurde. Er war der Ansicht, dass er nicht so viel Hilfe nötig hätte und wurde darüber ein

    wenig unruhig. Abgesehen davon wollte Reed versuchen, seine Probleme selbst in den

    Griff zu bekommen. 95

    Anfang der 40er Jahre, nach der Heirat mit Marjorie, während seiner Zeit beim NYA

    Radio Workshop, lernte Alfred Reed seinen nächsten Kompositionslehrer, Vittorio

    Giannini, kennen. Giannini war Dirigent am Workshop, wo Reed auf dessen Musik

    aufmerksam wurde. Er hörte eine Komposition Gianninis mit dem Titel Impressions of

    Travel, die während dessen Aufenthalt an der Amerikanischen Akademie in Rom

    entstanden war. „It was like a kind of follow up to Respighis Fontana [sic!] and Pines

    but the orchestration when we played it with the student orchestra was so brilliant so

    effective that it literally overwhelmed me.“96

    Reed fragte Giannini, ob es möglich sei Kompositionsstunden von ihm zu erhalten.

    Giannini begutachtete einige Kompositionen Reeds und willigte daraufhin ein ihn zu

    unterrichten. Allerdings nicht sofort, denn Giannini schlug vor abzuwarten, ob Reed

    nicht zum Militärdienst eingezogen würde. In diesem Falle wollte Giannini Reed nach

    dessen Militärzeit als Schüler nehmen. Dies stellte sich als eine weise Entscheidung

    heraus.97

    95 Alfred Reed: Mündliche Mitteilung an den Verfasser, 16.7.2003

    96 Alfred Reed: E-Mail an den Verfasser, 8.12.2002

    97 Alfred Reed: Mündliche Mitteilung an den Verfasser, 16.7.2003

    41

  • 1.4 MILITÄRZEIT (1942 – 1946)

    Alfred Reed war gut in der Lage zu erkennen, was in Zukunft auf ihn zukommen würde

    und was er zu tun hatte, um für sich das Beste herauszuholen. Wenn sich der Dienst für

    das Vaterland schon nicht überhaupt vermeiden ließ, dann wollte er wenigstens seine

    Militärzeit als Musiker verbringen. Bereits mehr als ein Jahr vor dem tatsächlichen

    Einrückungstermin war abzusehen, dass Reed seine Pflicht für das Vaterland würde

    erfüllen müssen, und so begann er wieder Trompete zu spielen um seine Lippen in

    Schwung zu bringen.

    Ein paar seiner Freunde waren bereits beim Militär und spielten in der Militärkapelle

    am Stützpunkt in Watertown, Connecticut – etwa 150 Kilometer oder etwas mehr als

    eineinhalb Autostunden nordöstlich von New York City. Seine Freunde wollten etwas

    für Alfred tun und so berichteten sie dem für Öffentlichkeitsarbeit zuständigen Offizier,

    einem gewissen Major Blesser, von Reed als einem erstklassigen Musiker, der in der

    Lage wäre, alle möglichen Musikstücke zu schreiben oder zu arrangieren. Major Blesser

    war interessiert, brauchte er doch ständig Musik für die Unterhaltungsshows der

    Soldaten und so lud er Reed ein, einige Tage am Stützpunkt in Connecticut zu

    verbringen und sich den Betrieb genauer anzusehen. Ferner deponierte er bei den

    zuständigen Stellen des Militärs eine vermeintlich gewichtige Eingabe, die es

    ermöglichen sollte, dass Reed nach Watertown einberufen werden würde. Aber es kam

    anders.

    Reed wurde Mitte September eingezogen. Seine erste Station war das Basislager Camp

    Upton auf Long Island, New York. In Eingangstests, die jeder Rekrut zu absolvieren

    hatte, wurden spezielle Begabungen der jungen Männer festgestellt. Reeds besondere

    Fähigkeit war sein ausgezeichnetes Gehör. All jene, die in den Gehörtests, bei denen es

    darauf ankam Tonhöhen exakt unterscheiden zu können, gut abschnitten, waren

    sozusagen die erste Wahl auf einen Platz bei der Luftwaffe als Funker.

    Alfred Reed wurde dementsprechend im Oktober 1942 der 8th Army Air Force

    zugeteilt. Zur weiteren Ausbildung wurde er in eine Spezialeinheit nach Atlantic City,

    42

  • Abbildung 10: Marjorie und Alfred Friedman in Atlantic City, Herbst 1942, Foto: Alfred Reed

    New Jersey verlegt. Dieser Truppenteil bereitete sich auf einen Einsatz in

    Großbritannien vor und tatsächlich sollte Alfred Reed als Funker eingesetzt werden.

    In seiner Einheit in Atlantic City stellte Reed sich einem Probespiel für eine Stelle in

    der Militärkapelle des Stützpunktes und zwei Wochen nach seiner Ankunft wurde er aus

    der Funker-Ausbildungsgruppe zur Militärkapelle, der 29th Army Air Corps Band,

    transferiert.

    Alfred und Marjorie waren stets zusammen. Sie lebten in einem möblierten Zimmer in

    Atlantic City. Dieses Zimmer war Teil eines Privathauses, das in mehrere kleine

    Apartments aufgeteilt war.

    43

  • Marjorie fand Arbeit in der Werbeabteilung einer Radiostation in Atlantic City. Sie war

    verantwortlich für die Texte der An- und Abmoderation. Weiters hatte sie darauf zu

    achten, dass die Texte, welche von Schauspielern oder Moderatoren für die werbenden

    Firmen zu sprechen waren, von der nationalen Rundfunkkommission auch genehmigt

    wurden.

    Um während der Zeit von Alfred Reeds Militärdienst immer in seiner Nähe sein zu

    können, bewarb sie sich um eine Stelle beim Roten Kreuz in Atlantic City, die sie auch

    bekam. Sie konnte sogar eine Vereinbarung erreichen, die es ihr möglich machen sollte,

    in den USA überall dorthin versetzt zu werden, wo Alfred dienstzugeteilt werden würde.

    Diese Vereinbarung hatte keine Geltung für Einsätze im Ausland, da es hierfür eine

    Verordnung gab, die den Einsatz von Ehepaaren im selben Gebiet untersagte.

    Alfred Reeds musikalische Tätigkeit in Atlantic City beschränkte sich in erster Linie auf

    das Arrangieren von Musikstücken. Für den herannahenden Thanksgiving Feiertag

    schrieb Alfred Reed eine Originalkomposition für Chor, Orgel und die Militärkapelle.

    Er nahm dafür zwei bekannte Hymnen, eine davon war Come ye, thankful people, come,

    und verwob das musikalische Material der beiden miteinander.

    So I had an idea of weaving these two themes together using an organ for an interlude and then coming back with the choir at first almost a capella and then gradually building up to a climax with the band the choir and the organ at the and this was perfomed at the Thanksgiving concert and the audience were extremely enthusiastic about it. So the commander of the band, Lieutenant Reisman, right away, thinking like a soldier, said: “Alfred, you think you can do something like this for Christmas?” Only a month away, and I said: “I’d like to try, Sir.98

    Reed wurde daraufhin von allen weiteren militärischen Pflichten entbunden und

    brauchte sich nur auf seine musikalische Arbeit konzentrieren.

    Christmas Carol war der Titel des entstandenen Stückes. Reed verfuhr dabei wie bei

    oben erwähnte Komposition für Thanksgiving. Er nahm mehrere Weihnachtslieder

    (Good King Wenceslas, It Came Upon the Midnight Clear, The First Noel, Silent Night

    98 Alfred Reed: Interview mit dem Verfasser, Coral Gables, Florida 17.7.2003

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  • und Adeste Fideles) und vereinte sie zu einem neuen Stück. Eine Technik, die er auch

    später immer wieder erfolgreich zur Anwendung brachte.

    “And so because of all of this I found myself doing in the Army practically what I had

    done in civilian life.”99

    Reed brauchte nicht zu exerzieren oder zum Schusstraining mit dem Gewehr zu gehen.

    Er saß an seinem Schreibtisch und arbeitete an Musikstücken. Ab und zu musste er bei

    den großen Paraden, wie am 4. Juli (Memorial Day), Trompete spielen.

    Die meisten Militärstützpunkte verfügten über eine einzige Militärkapelle. Atlantic City

    war eine Ausnahme. Der Stützpunkt war ein sogenanntes Technical Training Command,

    ein technisches Ausbildungszentrum, wo Hilfspersonal für Piloten trainiert wurde. Da

    deshalb die Zahl der stationierten Soldaten und Truppen sehr groß war, gab es zwei

    Militärkapellen mit je 28 Mann Stärke. Die Besetzung dieser Kapellen, für die Alfred

    Reed nun hauptsächlich schrieb, bestand aus: 1 Piccoloflöte, 1 großen Flöte, 6 B-

    Klarinetten, 2 Alt Saxofonen, 1 Tenorsaxofon, 3 F-Hörnern, 5 Trompeten/Kornetten, 3

    Posaunen, 1Bariton, 2 Tuben und 3 Percussions. Zusätzlich gab es noch mehr als 40

    Streicher und ein Drum and Bugle Corps. Die Möglichkeiten, die sich Reed hier boten,

    waren schlichtweg der Traum eines jeden Komponisten. Er konnte alle nur erdenklichen

    Instrumentenkombinationen ausprobieren und dabei auf ausgebildete Musiker

    zurückgreifen.