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414 ZeitEichrift fur anorganische und allgemeine Chemie. Band 205. 1932 Keto-enoltautomerie als Polymorphiemodell Von C. WEYGAND Polymorphe Modifikationen der gleichen Substanz sollen iden- tische Losungen oder Schmelzen liefern, von Isomerem erwartet man, daB sie auch in isotropen Zustanden verschieden bleiben. Um in zweifelhaften Fallen den Isomeriebeweis zu fiihren, hat man an den Losungen oder Schmelzen, die ausgehend von den verschiedenen festen Phasen einer strukturchemisch einheitlichen Substanz erhaltlich sind, irgendwelche Unterschiede nachzuweisen. Andererseits wird hiiufig ein Polymorphiebeweisl) als erbracht angesehen, wenn es zu zeigen gelingt, daB in Losungen oder Schmelzen einer struktur- chemisch einheitlichen Substanz die verschiedenen festen Phasen im allgemeinen weiterwachsen (Impfwirkung) und daB metastabile feste Phasen durch bloBe Beriihrung mit stabileren umgewandelt werden (K e i mwir k ung). Beide Erscheinungen finden sich indessen ebenso wie bei Poly- morphen auch bei Gleichgewichtsisomeren. Vor einiger Zeit hat K. SCHAUM~) kurz uber Beobachtungen dieser Art am Ace t y 1 - dibenzoy lmethan berichtet, doch liegen die Verhaltnisse kompli- zierter, als sie 1. c. geschildert sind. Das Acetyl-dibenzoylmethan-enol existiert in vier verschiedenen Formen, die Schmelzpunkte liegen bei 57O, 59O, 61O und SOo, die Stabi- litatsfolge ist die gleiche. Far das Keto-enol stehen die Struktur- symbole (I) und (11) zur Verfiigung, jedes von beiden kann als cis- und trans-Form geschrieben werden. Athylen-stereomerie ist indessen bei den innerkomplexe Enolate liefernden Keto-enolen auszuschliel3en. Ob die vier Enolformen auf beide Struktursymbole zu verteilen sind oder ob sie einem einzigen entsprechen, ist nicht sicher. Wahrschein- licher ist das letztere, da sie in buchstabengetreuer Parallele zu den vier stabilsten p’-Methylchalk~nformen~) mit den Schmelzpunkten 55O, 56O, 57O und 75O sich dem allgemeinen Polymorphensystem der Chal- I) Vgl. besonders W. DUFRAISSE u. A. GILLET, Compt. rend. 183 (1926), 746; Ann. chim. phys. [lo16 (1926), 295; I1 (1929), 5; ferner C. WEYQAND, Ber. 62 (1929), 562. 2, K. SCHAUM, Lieb. Ann. 462 (1928), 204. 3, C. WEYQAND u. H. BAUMGARTEL, Lieb. Ann. 469 (1929), 230.

Keto-enoltautomerie als Polymorphiemodell

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414 ZeitEichrift fur anorganische und allgemeine Chemie. Band 205. 1932

Keto-enoltautomerie als Polymorphiemodell Von C. WEYGAND

Polymorphe Modifikationen der gleichen Substanz sollen iden- tische Losungen oder Schmelzen liefern, von Isomerem erwartet man, daB sie auch in isotropen Zustanden verschieden bleiben. Um in zweifelhaften Fallen den Isomer iebeweis zu fiihren, hat man an den Losungen oder Schmelzen, die ausgehend von den verschiedenen festen Phasen einer strukturchemisch einheitlichen Substanz erhaltlich sind, irgendwelche Unterschiede nachzuweisen. Andererseits wird hiiufig ein Polymorphiebeweis l ) als erbracht angesehen, wenn es zu zeigen gelingt, daB in Losungen oder Schmelzen einer struktur- chemisch einheitlichen Substanz die verschiedenen festen Phasen im allgemeinen weiterwachsen ( Impfwirkung) und daB metastabile feste Phasen durch bloBe Beriihrung mit stabileren umgewandelt werden (K e i mwir k ung).

Beide Erscheinungen finden sich indessen ebenso wie bei Poly- morphen auch bei Gleichgewichtsisomeren. Vor einiger Zeit ha t K. SCHAUM~) kurz uber Beobachtungen dieser Art am Ace t y 1 - d ibenzoy l m e t h a n berichtet, doch liegen die Verhaltnisse kompli- zierter, als sie 1. c. geschildert sind.

Das Acetyl-dibenzoylmethan-enol existiert in vier verschiedenen Formen, die Schmelzpunkte liegen bei 5 7 O , 59O, 61O und SOo, die Stabi- litatsfolge ist die gleiche. Far das Keto-enol stehen die Struktur- symbole (I) und (11) zur Verfiigung, jedes von beiden kann als cis- und trans-Form geschrieben werden. Athylen-stereomerie ist indessen bei den innerkomplexe Enolate liefernden Keto-enolen auszuschliel3en. Ob die vier Enolformen auf beide Struktursymbole zu verteilen sind oder ob sie einem einzigen entsprechen, ist nicht sicher. Wahrschein- licher ist das letztere, da sie in buchstabengetreuer Parallele zu den vier stabilsten p’-Methylchalk~nformen~) mit den Schmelzpunkten 55O, 56O, 57O und 75O sich dem allgemeinen Polymorphensystem der Chal-

I ) Vgl. besonders W. DUFRAISSE u. A. GILLET, Compt. rend. 183 (1926), 746; Ann. chim. phys. [lo16 (1926), 295; I1 (1929), 5; ferner C. WEYQAND, Ber. 62 (1929), 562.

2, K. SCHAUM, Lieb. Ann. 462 (1928), 204. 3, C. WEYQAND u. H. BAUMGARTEL, Lieb. Ann. 469 (1929), 230.

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krone zwanglos einfiigen und das Keto-enol nach (11) in der Tat als a-Acetyl-P-Oxychalkon aufzufassen ware. Die zwischen den vier Enolformen moglichen sechs Umwandlungsvorgange

GO. C,H5 60. CH3

60 - CH,

stellen also entweder samtlich oder doch zum Teil Metamorphosen von polymorphen Modifikationen dar. Die vier zur absolut stabilen Triketoform (111) fuhrenden Urnwandlungen dagegen sind regelrechte, chemische Umlagerungen von Hylotropisomeren.

Alle insgesamt zehn Umwandlungsvorgange verlaufen qualitativ und quantitativ vollig vergleichbar, obwohl man ihr Fortschreiten bei den sechs Enol-metamorphosen nur physikalisch, bei den vier Ketisie- rungen aber auBerdem, mit HiIfe der Eisenchloridreaktion, jederzeit chemisch verfolgen kann. Es ist also nicht moglich, auf Grund der Keimwirkung aus einer Mannigfaltigkeit von Umwandlungen, die sich innerhalb einer Gruppe von teils im Isomerie- teils im Polymorphie- verhaltnis stehenden Formen vollziehen, die polymorphen Meta- morphosen von den Isomerisationen abzusondern.

Ebensowenig gelingt dies mit Hilfe der Impfwirkung, denn die Schmelzen und geeignete Losungen des Acetyl-dibenzoylmethans, gleichgiiltig von welcher der festen Phasen man ausgeht, lassen sich sowohl mit der Triketoform als auch mit dreien der vier Keto-enole beliebig animpfen.

Impfwirkung und Keimwirkung sind also ungeeignet, Polymorphis- mus und Isomerie experiment ell gegeneinander abgrenzen zu helfen. Man konnte sonst ebensogut von einem ,,Polymorphiebeweis" fur anerkannte Isomere sprechen und das ,,Acetyl-dibenzoylmethan" als eine pentamorphe Substanz bezeichnen.

An dem System Acetyl-dibenzoylmethan/Acetyl-dibenzoylmethan- Enol als Polymorphiemodell zeigt sich besonders deutlich, daB man, wie es K. SCHATJM seit langem gefordert hat, den Ubergang zwischen Isomerie und Polymorphismus bei der Gleichgewichtsisomerie suchen muB.

Versuchel) Da gewohnliches Glas bekanntlich die Gleichgewichtseinstellung von anelo-

tropen Modifikationen katalysiert, wurden keine Versuche iiber die Keimbildung

l) VgL C. WEYGAND, Lieb. Ann. 472 (1929), 173; C. W. u. W. GRUNTZIQ, Mikrochemie 10 (1931), 1.

C,& CO .C : C(0H) .CH3 (I) CBH5. CO *C : C( OH) CGH, (11)

CSH5 * CO - CH . CO - CCH, (111)

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in Abhilngigkeit von der thermischen Vorbehandlung angestellt. Die Kristtllli- sationsgeschwindigkeiten wurden unter dem Mikroskop bei 220 gemessen.

Enol57O erscheint in der Schmelze beiZ.-T. fast ausschlieDlich, in Gestalt sehr feinfaseriger Sphiirolithe, ist offenbar mit der von K. SCHAW~) beobachteten Enolform identisch. K.-G. etwa 1 u/sec. Enol59O erscheint sehr selten und nur in vorsichtig bereiteten Schmelzen, bildet breitere F1B;chen aus, K.-G. etwa 0,5 u/sec. Enol 61* entsteht aus Enol57O beim Lagern, urn so schwerer, je reiner das Material ist. Die von K. SCHAUM~) als Triketoform angesprochene Modifikation ist nach den von ihm gegebenen Kennzeichen: Auftreten von klaren rhombisch begrenzten Fllchen in der triiben Grundmasse, Ausloschungsschiefe, Wachstum nach der Diagonale mit dieser Phase identisch. Sie vermag in der freien Schmelze nur schwierig zu wachsen, Enol 80° erscheint niemals spontan in der Schmelze, jedoch manchmal beim Lagern in weniger stabilen Enolpriiparaten. Identisch mit dem bei der Synthese nach L. CLAISENS) anfallenden Material. Wilchst oberhalb von 60° in breiten Nadeln, bei Z.-T. infolge des Bla~enphanomens~) iiuBerst verwickelt. K.-G. etwa 0,8 u/sec. 1st anscheinend unbegrenzt haltbar (bisher ll/z Jahre). Die Triketoform erscheint niemals spontan in der freien Schmelze. Man schmilzt einen wachsenden 570-Spharolithen mit warmer Luft auf und halt bei 60°, vom ehe- maligen Kristallisationszentrum strahlen 5uBerst feine Nadeln sternformig aus, die Erscheinung zeigt deutlich,, daB es sich nicht um das Erstarren einer im strengen Sinne einheitlichen Schmelze handelt, sondern vielmehr um die Abscheidung aus einer Losung. Schmelzpunkt etwa 110 O (unter teilweiser Enolisierung). K.-G. < 0,03 u/sec.

Die Enolformen ketisieren sich freiwillig bei Z.-T. um so schwerer, je stabiler sie sind, Enol57O u. U. schon nach wenigen Stunden, Enol 80° erst kurz unterhalb seines Schmelzpunktes. Meistens fiihren die Ketisierungen im Lauf cler Zeit zur Ausbildung einer klaren Umwandlungsgrenze. Diesseits ist die Eisenchlorid- reaktion negativ, jenseits positiv. Zur Prufung sprengt man das Deckglas ab und laDt aus einer sehr feinen Kapillare alkoholische Eisen-3-chloridlosung ansaugen.

l) K. SCRAUM 1. c. 2, K. SCHAUM 1. c. 3, L. CLAISEN, Lieb. Ann. 277 (1893), 191; 291 (1896), 25. 4, C. WEYQAND, Ber. 62 (1929), 573.

Leipxig , Aus aem Chemischen Laboratorium deer Universitht.

Bei der Redaktion eingegangen am 10. Marz 1932.