Kiltz, Schatten

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    Schatten ber den AnfngenWie viel sagen frhislamische Quellen ber das aus,

    was wirklich war?

    David Kiltz

    1 EinleitungQuellenlage

    Die Quellenlage zur Entstehung und Anfangszeit des Islam ist bekannter- undanerkanntermaen schwierig. Diese Anfangszeit beginnt mit dem traditionell frdie Prophetenttigkeit Muhammads angenommene Periode von 610 bis 632 nachder Zeitenwende und dauert bis zum Ende der umayyadischen Herrschaft imOrient 750. Dem Historiker stehen hier im Wesentlichen drei Quellentypen zurVerfgung:

    1. Die innerislamischen literarischen Quellen,2. die auerislamischen literarischen Quellen und3. Realien beziehungsweise Inschriften und bildliche Darstellungen, wobei bei

    letzteren Mnzen eine besondere Bedeutung zukommt.

    Zu den bedeutendsten innerislamischen literarischen Quellen gehrt Ibn IshqsSrat rasl allh in den berlieferungen von Ibn Hishm und al-Tabar sowieYnus Ibn Bukayr, welche etwa 150 Jahre nach dem Tod Muhammadsverschriftlicht wurden. Diese Autoren berufen sich auf ltere Quellen wie etwaUrwa Ibn al-Zubayr Ibn al-Awwm, der etwa 635 geboren wurde und somitrelativ nah an den Ereignissen zur Zeit des Propheten ist (Grke/Schoeler 2008).Die wichtigsten auerislamischen literarischen Quellen wurden 1997 von RobertG. Hoyland in Seeing Islam As Others Saw It. A Survey and Evaluation of Chris-tian, Jewish and Zoroastrian Writings on Early Islam gesammelt. Das Werk

    beinhaltet griechische, lateinische, syrische, armenische, koptische und chinesi-sche Quellen. Darunter finden sich Texte von Anastasius Sinaita, Thomas von

    Marga, Thomas dem Presbyter, Willibald von Eichsttt oder die historische En-zyklopdie Tongdian aus der Zeit der Tang-Dynastie in China. Die ltestenQuellen sind zeitgleich mit den letzten Lebensjahren Muhammads oder kurznach seinem Tod entstanden. Mnzen und einige Inschriften aus der Frhzeit desIslam liegen dem Historiker ebenfalls in geringer Menge vor.

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    All diese Quellen haben ihren spezifischen Nutzen und nicht wenigerwichtig ihre Schwierigkeiten. In der Tat bedingt oft gerade die Bewertungdieser Quellen die vielleicht grten Unterschiede zwischen den verschiedenenVorstellungen zur islamischen Frhzeit. Die hauptschlichsten Interpretations-richtungen sollen im Folgenden kurz skizziert werden.

    2 Schulen1. bersicht

    Etwas vereinfacht, lsst sich von drei Hauptstrmungen sprechen:

    1. Traditionalisten2. Revisionisten3. IntegrativistenDie Traditionalisten in der islamischen Welt folgen im Wesentlichen der inner-islamischen berlieferung, das heit der Tradition, welche als weitgehend histo-risch korrekt angesehen wird. Es sei hier allerdings erwhnt, dass es natrlichauch innerhalb der islamischen Welt hufig im Detail vielfltige Unterschie-de darin gibt, auf welche Aspekte der berlieferung das zu beziehen ist. In der

    traditionellen westlichen Islamwissenschaft werden die klassischen islamischenWerke nach kritischer Sichtung ebenfalls als wesentliche Basis fr die frhisla-mische Geschichte verwendet. Daneben finden sich so genannte revisionisti-sche Schulen. Was diese Denkrichtungen ausweist, ist ihre mehr oder minderradikale Ablehnung der traditionellen Darstellungen und in der Folge die Revisi-on der darauf basierenden Geschichtsauffassung. Darber hinaus gibt es schlie-lich Schulen, welche zwischen den ersten beiden pendeln beziehungsweise dieintegrative Modelle bevorzugen und dabei eine Synthese mit weitgehenderVereinbarkeit der einzelnen Quellen sehen. Die Bezeichnungen traditionell undrevisionistisch sind nicht wertend zu verstehen. Der Autor ist sich bewusst,dass die Begriffe vereinfachend sind. Sie sollen lediglich dazu dienen, bestehen-de Unterschiede sichtbar zu machen und zusammenzufassen.

    In der westlichen Islamwissenschaft wurde beim Versuch, die historische

    Entwicklung des Islam nachzuzeichnen, reichlich Gebrauch von islamischenQuellen gemacht. Sie wurden kritisch durchleuchtet mit dem Ziel, Geschicht-lichkeit von Legende beziehungsweise Hagiographie zu trennen. Diese klassi-sche Schule wurde zum Beispiel durch William Montgomery Watt in seinenWerkenMuhammad. Prophet and Statesman undIslam. A Short History ausden

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    Jahren 1961 und 1999 sowie 1957 von Rudi Paret in seinem Buch Mohammedund der Koranprominent vertreten.

    Die revisionistischen Schulen hingegen lehnen die islamischen Propheten-biographien und Erzhlungen zu historischen Ereignissen gnzlich als heilsge-schichtliches Konstrukt ab. Das heit, so meint man, hier werde im Grundekeinerlei Geschichte verarbeitet, sondern nur eine Heils- und Begrndungsge-schichte des Islam geschrieben, welche durch und durch konstruiert sei. JohnWansbroughs Buch Quranic Studies (1977) hat den revisionistischen Stein invielerlei Hinsicht ins Rollen gebracht. Wansbrough argumentiert weitgehend

    anhand literarischer Oberflchenmerkmale (Sinai 2009) , der Koran sei nachund nach entstanden und habe seine endgltige inhaltliche Form wohl erst nachdem Jahr 800 und zwar in Mesopotamien erhalten. Auch Patricia Crone schlosssich inHagarism. The Making of the Islamic World (1977)gemeinsam mit Mi-chael Cook diesem Szenario an. Ihr zufolge fanden die expandierenden arabi-schen Stmme ein sektiererisches Milieu vor, aus welchem sie dann ihre eigeneReligion konstruierten, deren Ursprung aus politischen Grnden in den po-lytheistischen Hijz verlegt wurde. Wesentlich fr Wansbroughs Argumentationist die von ihm angenommene enge Verflechtung von Koran, tafsr- (exegeti-schen Werken) und sra-Literatur (Prophetenbiographien). Crone versucht ganzohne traditionelle islamische, vielmehr nur mit auerislamischen Quellen eineRekonstruktion der frhislamischen Geschichte.

    Einen Schritt weiter geht Jehuda Nevo in Crossroads to Islam (2003), wel-

    ches nach seinem Tode von Judith Koren herausgegeben wurde. Hier wird nichteinmal mehr von arabischen Eroberungen ausgegangen, sondern von einem ge-zielten Rckzug der Byzantiner, deren Gebiet dann von sektiererischen Arabernbernommen wurde. Nevo lehnt die innerislamischen literarischen Quellen eben-falls als vllig nutzlos und unglaubwrdig ab und sttzt sich auf frhislamischeInschriften im Negev und auf Mnzlegenden. Im deutschen Raum fhrt eineGruppe um den Saarbrcker Emeritus fr Religionswissenschaft Karl-HeinzOhlig und den Numismatiker Volker Popp die Thesen von Nevo weiter (Oh-lig/Puin 2005). 622 bis 627, nach dem Sieg des byzantinischen Kaisers Heraklei-us gegen die persischen Sassaniden, soll der kurz zuvor von letzteren besetztesyrisch-palstinische Raum von den Byzantinern aufgegeben und von zum Teildort bereits ansssigen arabischen Stmmen in Besitz genommen worden sein.Als Abgrenzung zum byzantinischen Reich htten sie ein nicht-trinitres Chris-

    tentum bernommen, welches dann zum Islam ausgearbeitet wurde. Offenbarverorten die Autoren den Ursprung des Islam mittlerweile in der Gegend umMarw im Ostiran. Das Gesamtbild bleibt zumindest fr den Autor dieses Bei-trags unklar. Einen Propheten Muhammad hat es nach dieser Schule nichtgegeben; dieser These hat sich neuerdings auch der Islamwissenschaftler Mu-

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    hammad Sven Kalisch angeschlossen; fr eine andere Sichtweise, die fr einefrhere, traditionellere Datierung der Entstehung des Islam eintritt, lohnt sichein Blick in Fred Donners The early Islamic conquests (1981).

    2. Diskussion

    A. EinleitungLeider kann hier nur recht kursorisch auf die Diskussion eingegangen werden.

    Man beachte die Literaturhinweise am Ende.Wansbroughs Verdienst ist es fraglos, einen allzu unbekmmerten Umgangmit islamischen Quellen zu problematisieren. Richtig ist sicher die grundstzli-che Feststellung, dass es sich bei derSra, der Prophetenbiographie, nicht primrum eine Chronik, sondern um ein soziopolitisches Werk handelt, welches auchauf Fragen des 8. respektive 9. Jahrhunderts antwortet und neue Elemente (etwadie Isrliyyt, Erzhlungen aus der hebrischen Bibel) aufnimmt. Die Sraenthlt gewiss legendre Bestandteile. Trotzdem ist Wansbroughs Argumentati-on oft zirkulr (siehe Versteegh 1993; Sinai 2009: 25); der Text des Koran passtsehr wohl in ein klassischeres Szenario (dazu unten mehr). Das gleiche vorallem der Vorwurf der Zirkularitt gilt auch fr Nevo (siehe Foss 2005; Johns2003; Sinai 2009: 27). Ohligs und Popps Zweifel an der Existenz eines Prophe-ten Muhammad hat kaum Anhnger, die Lokalisierung von arabischenfoedera-

    ti (Hilfstruppen) im Marw hat kaum eine Basis.B. Religise Pluralitt im Hijz.Der Hijzals Ausgangsort des Islam ist keineswegs unwahrscheinlich. Er stelltsich heute nicht als tabula rasa dar, sondern als Ort, an dem jdische, christlicheund heidnische Elemente aufeinandertrafen; unter heidnisch sind hier die ver-schiedensten Richtungen zu verstehen wie unabhngige Mono- oder doch zu-mindest Henotheisten, Polytheisten und andere. Jedenfalls war die Religionszu-sammensetzung heterogen und nicht im Sinne einer organisierten Religionfestgelegt. Vom ProjektCorpus Coranicuman der Berlin-BrandenburgischenAkademie der Wissenschaften (corpuscoranicum.de) und auch von vielen ande-ren konnten Einflsse auf den Islam festgestellt werden, die nicht nur aus dem

    Norden und ein wenig aus dem Osten, sondern auch aus dem Sden der arabi-

    schen Halbinsel stammten. Diese Einflsse weisen recht zuverlssig auf eineEntstehung des Islam in der Mitte der arabischen Halbinsel hin. So wird etwa dasWort rahmn nicht nur, wie die Tradition es sieht, als Beschreibung Gottes mitder Barmherzige benutzt, sondern quasi als eigenstndiger Name neben Allah .Im Koran heit es: Sagt bei der Anrufung Allh oder Rahmn, was ihr auchsagt, Er hat die schnsten Namen (Sure 17:110, bersetzung des Autors).

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    Gleichzeitig gibt es etliche Suren, in denen ausschlielich rahmn als Bezeich-nung fr den monotheistischen Gott gebraucht wird. Der Gottesname rahmnfindet sich nun zugleich in nrdlicher jdischer Literatur, vor allem im Jemen.Auch die Prophetenrivalen Musaylima (Maslama) und al-Aswad beispielsweise

    predigten den rahmn. Allh hingegen ist wiederum genuin arabischer Herkunft,allerdings mit Anklngen an das Syrische allh (Kiltz 2010).

    Wenn im Koran gegen polytheistische Inhalte argumentiert wird, dannmag das auch zum Teil auf frhere Praktiken weisen und zum Teil auf anderemonotheistische Gruppen zielen wie etwa trinitre Christen (Hawting 1999). Das

    heit, die Ermahnungen knnen sich nicht nur auf tatschlich noch lebendigeheidnische Kulte beziehen, sondern auf mehr oder weniger monotheistischeGruppen, denen vorgeworfen wird, sie setzten zum Teil in anderer Form alte,polytheistoide Traditionen fort. Trotzdem sind gewisse heidnische Elementefr Mekka anzunehmen (Saleh 2009). Im Koran werden mushrikn (Menschen,die Gott etwas beigesellen, folglich seine einzige und alleinige Stellung verws-sern oder leugnen, also Heiden oder vielleicht nicht ausreichend monotheisti-sche Gruppen) direkt angesprochen. Unter anderem werden sie gemahnt, dieWunder des Einen Gottes anzuerkennen. So heit es in Sure 16, Vers 11: Damit[mit dem Regen] lsst Er fr euch Korn sprieen und den lbaum und die Dat-telpalme und die Trauben und Frchte aller Art. Wahrlich, darin liegt ein Zei-chen fr nachdenkende Leute. Crone wendet nun ein, dass angenommene Po-lytheisten und andere in Mekka nicht als Kultivatoren von Oliven, Weizen und

    Datteln in Frage kmen, da man dort zwar Viehzucht betrieben habe, aber keineLandwirtschaft. Es sei daher zweifelhaft, ob dieser Offenbarungsdiskurs tatsch-lich in Mekka oder nicht doch an einem anderen Ort stattgefunden habe. So wr-den Oliven beispielsweise in Palstina angebaut, nicht aber auf der arabischenHalbinsel. Dieser Einwand ist aus Sicht des ProjektsCorpus Coranicum nichtstichhaltig. Zum einen waren am Handelsplatz Mekka sicherlich Leute aus Ge-genden anwesend, an denen die genannten Erzeugnisse wuchsen. Noch wichtigerist aber zum anderen, dass es sich um symboltrchtige Produkte handelt, diegewiss begehrt waren und eingehandelt wurden. Somit nennt der Koran in einemuniversalistischen Ton exquisite Erzeugnisse, an denen sich der Mensch labt;mit euch (lakum) sind wohl auch Leute allgemein gemeint. Im folgendenVers 14 wird von der Dienstbarmachung des Meeres gesprochen. Das muss e-

    benso wenig implizieren, dass alle Mekkaner Seefahrer gewesen sind oder der

    Ort des Offenbarungsdiskurses an eine Hafenstadt verlegt werden muss.Mekka liegt von Orten umgeben, die hinsichtlich der Religion (mit starkem

    Monotheismus), der Kultur und der dort vorhandenen Erzeugnisse vielfltig unddivers geprgt sind. Sdlich, im Jemen finden wir Reiche mit zum Judentumkonvertierten Herrschern (etwa Dh Nuws) und Eroberungen christlicher thio-

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    pier. Die nrdlich lebenden arabischen Stmme waren zum Teil schon frh zumChristentum verschiedener Prgung bergegangen. Vorislamische Dichtung, sozum Beispiel die des aus Tif, einer nur eine Tagesreise von Mekka entferntliegenden blhenden Oase, stammenden Dichters Umayya Ibn Ab al-Salt,bein-haltet ebenfalls biblische Motive (Seidensticker 1996: 412). Der Osten der arabi-schen Halbinsel war persisch besetzt. Nicht zuletzt sei bemerkt, dass auch islami-sche Quellen von Konversionen zum Christentum in Mekka und Medina

    beziehungsweise (Handels-)Kontakten mit Christen kurz vor dem Islam sprechen(Osman 2005). Mekka hatte also Handelsbeziehungen, die Anknpfungspunkte

    zu einer Vielzahl von Menschen und Ideen beinhalteten, sowie typischerweiseeine relativ groe religise Pluralittstoleranz. Es spricht also alles dafr, dass diesptantiken religisen Hauptdiskurse durchaus auch in Mekka zu hren waren.

    C. Die Situation des ProphetenDa nun Muhammad Prophet einer weiteren abrahamischen Religion ist, ist auchder Begriffumm (Sure 7, Vers 157 und 158: nab wa-rasl umm) als Bezeich-nung des Propheten verstndlich. Die in der islamischen Tradition vorherrschende(jedoch keineswegs einzige) Interpretation als illiterat ist schon rein sprachlichkaum zu halten. Im obigen Zusammenhang ist vielmehr eine Bedeutung Prophetder Vlker, hebrischgym, syrisch amm vorzuziehen. Muhammad ist demnachalso ein Prophet fr ein Volk, welches vorher noch keine Schrift erhalten hat.

    Die Vorstellung der Einteilung in Buchreligionen versus Heiden ist in der

    jdischen und christlichen Sptantike blich. Der Koran als kitb, Schrift inarab mubn, in klarem Arabisch, zeigt die massive Relevanz der abrahamischenBuchreligionen, aber auch, dass die Araber sich noch nicht alle diesen zugehrigfhlten beziehungsweise offen fr eine eigene, arabische Version waren.

    D. MnzenNicht unerwhnt bleiben soll ferner die Rolle von Mnzen in der revisionisti-schen Diskussion. Die frhen Mnzen aus islamischer Zeit weisen noch knapp

    bis ans Ende des 7. Jahrhunderts christliche, im Osten sassanidisch/zoroastrischeSymboliken auf, und erst in den 680er Jahren finden sich Aufschriften wie Mu-hammad und der Gesandte Gottes im Osten des islamischen Machtbereichs.

    Nevo und dann Ohlig und Popp wollen hierin eine Besttigung ihrer These se-hen, wonach es sich beim frhen Islam gar nicht um eine neue Religion, sondern

    um eine christliche Hresie gehandelt habe. Das Argument der christlichen Hre-sie wird allerdings schon allein dadurch unwahrscheinlich, dass die bereits be-stehenden Mnzen nmlich byzantinische und sassanidische einfach bloweiter im Umlauf geblieben sind. Zumindest die Mnzen im Osten mit eindeutigzoroastrischer Symbolik (etwa dem Feueraltar) wren damit nicht zu erklren.Tatschlich ist der Befund gar nichts Ungewhnliches. Wie zum Beispiel Stefan

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    Heidemann (2007, 2009) darlegt, sind Mnzen konservativ. Eine Mnzumstel-lung braucht zumal in einer vorindustriellen Gesellschaft schlicht Zeit. Dieschrittweise bergang von sassanidischer beziehungsweise byzantinischer Sym-

    bolik zu einer gnzlich islamisch geprgten lsst sich anhand der Mnzfunde gutnachvollziehen ohne, dass hier von einer spteren Konstruktion einer neuenReligion ausgegangen werden muss. Als Beispiel fr einen hnlich gelagertenFall sei hier der bergang von der Seleukidenherrschaft zu der der iranischenArsakiden genannt. Die Seleukiden sind Nachfolger von Alexander dem Groenund bedienten sich auf ihren Mnzen der griechischen und hellenistischen Sym-

    bolik. Die Arsakiden berufen sich wieder auf rein iranische Traditionen. Hierfindet also ein religiser und dynastischer Umbruch statt. Das Griechische ist alsHerrschaftssprache nicht mehr in Gebrauch, ja es ist sogar zumindest im Osten

    die Sprache des grten Widersachers der Arsakiden, nmlich der Rmer.Trotzdem sind Mnzen mit griechischer Aufschrift noch ber 200 Jahre lang inGebrauch. Verglichen damit ist die Umstellung in der islamischen Welt sogarals sehr zgig zu bezeichnen (circa 70 Jahre). Die Beispiele lieen sich beliebigvermehren. Ein administrativer Normalfall, wie es die Anpassung von Mnzenan neue politische und religise Gegebenheiten ist, soll hier also als Kronzeugefr falsche Geschichtsschreibung herhalten.

    E. Auerislamische literarische QuellenEine sehr wichtige Rolle spielen natrlich auch die auerislamischen literarischen

    Quellen. Doch gerade diese Quellen bestrken die traditionelle Datierung und auchdie Existenz eines Propheten Muhammad. So fasst Patricia Crone in einem 2008erschienenen Artikel zusammen: Es gibt keinen Zweifel, dass Mohammad exis-tiert hat, trotz gelegentlicher Versuche dies zu leugnen. Paraphrasiert fhrt sieweiterhin aus: Frhe, auerislamische literarische Quellen berichten ber Mu-hammad. Bereits um etwa 632 bis 634 beschreibt die Doctrina Jacobi, ein fal-scher Prophet ist unter den Sarazenen aufgetreten. DieDoctrina weist ihn freilichals einen Scharlatan zurck, denn Propheten kmen nicht mit Schwert und Streit-wagen (Droche 1991: 57). Mglicherweise haben wir hier einen noch zeitgens-sischen Bericht ber Muhammad. Muhammads Tod wird traditionell gregorianischauf das Jahr 632 datiert. Es gibt jedoch muslimische Quellen, welche den Anfangder islamischen Zeitrechnung nicht auf 622, sondern auf 624 bis 625 setzen. Damitfiele der griechische Bericht in die letzten Lebensjahre des Propheten.

    Der Hinweis auf die kriegerische Ttigkeit deckt sich mit islamischenSchriften. Eine armenische Quelle aus der zweiten Hlfte des 7. Jahrhundertsidentifiziert Muhammad namentlich und beschreibt erkennbar seine Lehren.Ergnzend sei hier Thomas der Presbyter (Mitte des 7. Jahrhunderts) genannt,der ebenfalls Eroberungen durch die [Araber von] Muhmd im Jahre 635 bis.

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    636 beschreibt; die Araber von, syrisch tayyy d-, ist eine Ergnzung vonHoyland/Palmer (1993). Die Lesung MWHMD ist jedoch sicher. Der arabische

    Name Muhammad muss im Syrischen so geschrieben werden, eine andere Le-sung ist nicht mglich.

    Es gibt allerdings auch hier Details, die sich nicht eins zu eins mit der isla-mischen Tradition decken. So verkndet nach derDoctrina Jacobi der Anfhrerder Araber den Messias und hat eine jdische Gefolgschaft. Nun sind auch dieauerislamischen Quellen, ebenso wie die innerislamischen immer vor dem Hin-tergrund ihrer politisch-religisen Storichtung zu sehen. Im vorliegenden Fall

    handelt es sich um eine antijdische Schrift in der Jakob, ein Jude, zum Christen-tum bergetreten ist. Die generell freundliche Aufnahme der arabischen Erobe-rung durch die jdischen Bewohner Palstinas Palstina wird hier im Sinne derrmischen beziehungsweise spter byzantinischen Provinz gebraucht mag hiermitschwingen.

    F. Integrative SchuleDie dritte, die integrative Schule sieht die Herkunft des Propheten Muhammadaus Mekka als wahrscheinlich an und versucht, nach Meinung des Autors erfolg-reich, die verschiedenen Quellen zu harmonisieren. Dabei hilft nach den WortenAngelika Neuwirths nur die Aufarbeitung des bestehenden Forschungsdefizits:es gilt von auen, historisch, das kulturelle und religise Umfeld [des Korans]in seiner ganzen Komplexitt sichtbar zu machen. Es gilt aber auch, den Gegen-

    weg einzuschlagen und den Koran selbst zwar nicht als historisch unmittelbarauswertbare Quelle, aber doch als literarisch-kodierte Aussage ber seine Zeitund ber seine Genese ernst zu nehmen. (2004:132) Was kann also der Text,der sicher als Diskurs innerhalb einer Gemeinde in statu nascendi und spterdann in statu affirmandi entstand, ber die Zeit, die Umstnde und den Ort seinerEntstehung sagen? Hierbei sind als uere Quellen nicht nur die historischenWerke und Realien heranzuziehen. Es istvielmehr ebenso notwendig, die geisti-ge Umwelt des Koran zu rekonstruieren. DiesenAnsatz verfolgt neben GabrielSaid Reynolds (2008), Michael Cuypers (2009) und anderen auch das ProjektCorpus Coranicum. Hier werden unter anderem Intertexte untersucht. Dabeihandelt es sich etwa um christliche und jdische religise Abfassungen aus derzeitlichen und geographischen Umwelt des Koran. Diese Texte finden imKoranAnklang und werden in ihm diskursiv reflektiert. Das heit, es sind Texte, die

    bekannt waren und als relevant im Koran aufgearbeitet und gedeutet werden.Demzufolge wurden die Strmungen nicht kopiert oder passiv aufgenommen,wie das infrheren Werken oft angenommen wird. Der Koran behandelt Themenund nimmt Stellung; ein Beispiel fr eine integrative Haltung in Bezug auf dieSra, also die Prophetenbiographie, ist Andreas Grkes und Gregor Schoelers

    Die ltesten Berichte ber das LebenMuhammads (2008).

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    3 AusblickNeben der Aufarbeitung der bereits genannten Quellen wrden wohl auch ar-chologische Ausgrabungen auf dem Gebiet der arabischen Halbinsel reichenErkenntniszugewinn bescheren. Von dieser Grundlage aus, einem literarisch-linguistischen und soweit mglich archologischen Panoptikum, kann dannauch der weitere Verlauf der Geschichte betrachtet werden. Es ist das Verdienstder revisionistischen Richtung auf Probleme in der traditionellen Geschichts-schreibung hinzuweisen. Manchmal scheint es allerdings, als sei hier das Kind

    mit dem Bade ausgeschttet worden. Oftmals wird obscurum per obscurius er-klrt, so im Falle der angenommenen Entstehung des Koran im Marw. AuchWansbroughs oder Nevos Annahmen passen nicht nur nicht zu der islamischenberlieferung, sondern ebenso wenig zur zeitgenssischen auerislamischenLiteratur. Um zu einem kohrenteren Bild zu kommen, sollte die islamischeberlieferung kritisch integriert werden, statt sie komplett auszublenden (sieheauch Neuwirth 2004: 132). Es gilt, alle Quellen, aber auch alle Probleme dertraditionellen berlieferung mit kritischem Abstand ernst zu nehmen so wiedas von der berwltigenden Mehrheit der Forscher auch betrieben wird. Wie dieobigen Ausfhrungen zeigen, hat die Islamwissenschaft in den letzten Jahreneine deutliche Belebung erfahren. Letzten Endes kann ein dialektischer Prozessdes Austauschs zwischen den verschiedenen Denkrichtungen in Bezug auf diefrhislamische Geschichte wie er mittlerweile auch schon stattfindet nur

    Gewinn bringen.

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