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Kinder des Ungehorsams Die Liebesgeschichte des Martin Luther und der Katharina von Bora Roman Bearbeitet von Asta Scheib 1. Auflage 2016. Taschenbuch. ca. 272 S. Paperback ISBN 978 3 423 21660 9 Format (B x L): 12 x 19,1 cm schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte.

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Kinder des Ungehorsams

Die Liebesgeschichte des Martin Luther und der Katharina von Bora Roman

Bearbeitet vonAsta Scheib

1. Auflage 2016. Taschenbuch. ca. 272 S. PaperbackISBN 978 3 423 21660 9

Format (B x L): 12 x 19,1 cm

schnell und portofrei erhältlich bei

Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft.Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programmdurch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr

als 8 Millionen Produkte.

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BB 1 21660

Als im Jahre 1525 der ehemalige Mönch MartinLuther und die ehemalige Nonne Katharina von Boraheiraten, ist das für die Kirche eine ungeheuerlicheProvokation und löst selbst bei Anhängern und Ver-trauten Luthers Befremden aus. Doch das Paar lässtsich nicht beirren. Mit großer Einfühlung für ihre Fi-guren und untrüglichem Gespür für die aufgewühlteAtmosphäre der Reformationszeit erzählt Asta Scheibdie bewegte und bewegende Geschichte dieser beidenaußergewöhnlichen Menschen.

Asta Scheib arbeitete als Redakteurin und Journalistinfür Zeitschriften und Zeitungen. Ihr literarischesWerk umfasst Kurzgeschichten, Erzählungen undRomane. Die vielseitige und erfolgreiche Schriftstel-lerin erhielt diverse Auszeichnungen und lebt inMünchen. Bei dtv sind u. a. erschienen: ›Das Schönste,was ich sah‹ (21272); ›Sonntag in meinem Herzen‹(21557); ›Frost und Sonne‹ (21630).

Asta Scheib

Kinder desUngehorsams

Die Liebesgeschichtedes Martin Luther undder Katharina von Bora

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Neuausgabe 20173. Auflage 2017

© 1996 Asta Scheibdtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

Erstveröffentlichung: 1985 Nymphenburger Verlagshandlung,München

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten.Umschlaggestaltung: dtv unter Verwendung von Bildern

von bridgemanart.comGesetzt aus der Garamond 10 /14.

Gesamtherstellung: Druckerei C.H.Beck, NördlingenGedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier

Printed in Germany · isbn 978-3-423-21660-9

Ausführliche Informationen überunsere Autoren und Bücher

www.dtv.de

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Katharina, ich habe Angst.«»Ich auch, Ave.«

In der Zelle ist es ungewöhnlich finster. Diese Oster-nacht, es ist die Nacht vom 4. auf den 5. April des Jah-res 1523, diese Nacht schickt nur wenig Licht durchdas kleine, vierteilige Zellenfenster. Es ist kalt. Zu kaltfür die Jahreszeit. Ist das die Strafe? Katharina fühlt,wie sich das Zittern ihrer wieder bemächtigen will.»Dort wird Heulen und Zähneklappern sein.« Nurjetzt nicht den Kopf verlieren. Nicht diese Nacht.

»Mir ist kalt«, flüstert Ave.Katharina rollt sich geräuschlos aus dem Bett. Sie

hat es gelernt. Ohne Laut schlüpft sie zu Ave, die ihrdas Deckbett öffnet wie eine Kammertür. Die Tür ei-nes Schlupfwinkels. Zärtlich umschlingen sie einan-der. Wie schon in vielen Nächten vorher. Doch in die-ser Nacht tragen sie Schleier, Chorkleid und Gürtel.Bereit zur Flucht.

Ave presst ganz fest Katharinas Hand: »Glaubst du,dass uns der Teufel holen wird?«

Katharina, heftig: »Wenn wir hierbleiben, holt unsder Teufel bestimmt.«

Beide liegen wieder still, lauschen. Seit vier Uhr in

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der Frühe sind sie wach. Wie jeden Morgen, wennvom Dachreiter die Ave-Glocke zum Angelus Dominiruft. Meist noch wie betäubt vom Schlaf huschen sieaus dem Dunkel des Dormitoriums durch die Kreuz-gänge zum Gotteshaus. Die Psalmen, Tag um Tagbeschworen, gleiten von allein über die Lippen: »Ichdarf wandeln vor dem Herrn im Lande der Lebendi-gen.«

Die anderen Nonnen sitzen schon im Chor. ImKerzendämmer der Kirche scheinen sie wie schwarz-köpfige Tauben auf- und niederzuschweben. Wie lei-ses Rauschen von Wassern wogt es: »Gott merk aufmeine Hilfe, Herr, eile mir zu helfen.«

Das ist Katharinas Tagesbeginn gewesen. Seit fastzwanzig Jahren. Bis zur heutigen Nacht.

»Hilf mir, Herr!« Wieder legt sich die Angst heißund schwer auf Katharina. Heute noch, gleich, wenndas Zeichen ertönt, wird sie mit Ave und den anderenaus dem Kloster entfliehen. Der Plan, bis ins kleinsteDetail festgelegt, erscheint Katharina jetzt wahnwit-zig. Todesstrafe steht auf die Entführung und Fluchtvon Nonnen. Was, wenn Leonhard Koppe den Mutverliert? Er ist Ratsherr und Schösser in Torgau. EinSteuerbeamter des Kurfürsten, der Ordensfrauen hilft,aus dem Kloster zu entkommen. Wird er sein Worthalten?

»Katharina, hörst du es?«Ave hat sich aufgerichtet im Bett. Auch Katharina

lauscht jetzt angespannt. Ein Käuzchen schreit imKlostergehölz. Das sind sie. Koppe, sein Neffe Leon-

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hard und Wolf Dommitzsch, ebenfalls Ratsherr inTorgau.

»Schnell!« Katharina nimmt Aves Hand.Beide schleichen aus der Zelle. Da kommen Vero-

nika und Else aus der Nachbarzelle. Schräg gegenüberhuschen Magdalene und Laneta schon zur Tür, diezum Garten hinausgeht. Wenn das Dormitorium nichtim Hinterkloster läge, wenn vom Dormitorium nichteine Tür zum Klostergarten hinausführte, wenn derKlostergarten nicht ans Klosterholz angrenzen würde,wenn, wenn, wenn …

Alle neun sind sie jetzt im Garten, Ave Grosse istschon drüben im Gehölz, alle rennen und stolpern inihren weiten schwarzen Chorkleidern die wenigenMeter bis zum Wäldchen. Gott sei Dank. Offenbarhat niemand sie gesehen. Schweigend marschieren siejetzt, so schnell es eben geht, durch das dichte Ge-hölz. Es ist finster im Wald. Sie bräuchten eine Fa-ckel. Doch das wäre Aberwitz. Katharina zieht Avehinter sich her. Sie sucht den Weg durch das dichteUnterholz. Jetzt sind sie schon am Weiher. DieOberfläche des Wassers glitzert grausilbrig durch dieBäume. Weiter. Sie wissen, dass sie erst in KoppesPlanwagen sicher sein können. Jede Sekunde kannim Kloster ihr Verschwinden entdeckt werden. Kanndie Glocke läuten, den Torwächter Thalheim alarmie-ren. Alle würden erwachen. Die Leute im Brauhaus,im Backhaus, im Schlachthaus. Die in der Schmiedeund die in der Mühle. Der Vorsteher in der Propsteimit dem Vogt und dem Schreiber. Die beiden Beicht-

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väter – alle würden als Erstes das Wäldchen durch-suchen.

Schneller, noch schneller. Durch die Bäume siehtKatharina das kleine Haus des Holzhackers und Hel-lenheißers. Er, der mit seinen rußigen Händen dieKlosteröfen zum Glühen und Bullern bringt, er würdedie anderen irreführen … Sein Haus liegt ruhig imDunkel. Auf dieser Höhe des Waldes liegt auch dasKlostergut mit dem Vorwerk und den sechs kleinenHöfen, die dazugehören. Hier leben die Ackerknechte,die Kuh- und Schweinehirten, die Käsemütter undMägde, die dem Kloster dienen. Eine große Schafherdegehört dem Kloster und mindestens sechzig StückRindvieh. Dreißig Pferde und hundert Schweine. ImMoment sind nur vierzig Schweine da, denn dieSchweinepest hat gewütet. Alles, was man im Um-kreis des Klosters sieht, gehört den geistlichen Jung-frauen. Der Kranz von Dörfern, Gütern und Vorwer-ken rund um das Kloster ist der lebensspendendeRahmen. »Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, undGott, was Gottes ist.« Katharina weiß, dass mit demWeizen und Roggen, mit der Gerste, den Erbsen undRüben, dass mit Hanf, Flachs und Hopfen auch vielund immer mehr Bitterkeit und Gift ins Kloster ge-liefert werden. Die zinspflichtigen Bauern geben dieButter, die Eier, die Hühner und Kapaunen nichtmehr gutwillig ab. Es gibt immer neue Anzeichen fürAufruhr und Hass gegen die Nonnen und die Geist-lichkeit.

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Jetzt, da Katharina atemlos durch den Wald hetzt,jetzt, da sie die Häuser der Bauern still und schutzlosim Dunkel liegen sieht, fällt ihr wieder der Sonnabendim Februar ein. Die Schwestern sitzen im Refekto-rium. Die Ehrwürdige Mutter teilt die Suppe aus. Allelöffeln schweigend. Da, von der Propstei her kom-mend, zuerst ein Raunen und Poltern, dann lautegrobe Stimmen, grobes Schreien. Alles übertönendder Torsteher Thalheim. »Raus, Pack, raus hier!«

Katharina sieht, wie das Gesicht der Domina füreinen Moment starr wird. Dann erhebt sich die Ehr-würdige Mutter. »Bleibt ruhig, Kinder, ich kommegleich zurück.«

Doch da kommen sie schon herein, voran UlrichSchmid und Hans Galster sowie der bucklige JobstWeißbrod und Lazarus Ebner. Katharina sieht, dasssie ihre besten Kleider tragen. Und jetzt drängen sichKatharina Ebnerin und Klara, die Hausfrau des Gals-ter, zwischen die drei Männer, die vor der Ehrwür-digen Mutter stehen. Die Stimmen der Frauen zitternvon lang aufgestauter Wut und gleichzeitiger Angst:»Lasst uns vom Pachtzins ab, Ehrwürdige Mutter!«

Fast scheint es, als sei die Ebnerin selbst erschro-cken über ihren Mut. Doch die Galsterin setzt raschhinzu: »Wir wollen Euch auch keine Hühner undHennen und Eier mehr geben.« Die Ebnerin: »Undunsere Männer sollen nicht länger zum Dienst ge-zwungen werden. Ihr habt uns geschunden und ge-schabt.«

Jetzt schieben sich die Männer vor die Frauen. Doch

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ehe sie etwas sagen können, hat die Domina sich wie-der gefasst: »Ich habe nicht die Macht, dem Klosterdas Seine zu mindern. Es befremdet mich, dass ihrmir das zumutet. Doch – lasst mich sehen, wie es dieanderen Klöster jetzt mit ihren Untergebenen ma-chen. Ich habe im Übrigen nicht das Gefühl, als ob icheuch so unerträglich beschwere, dass ihr solchen Auf-ruhr machen und die anderen auch gegen uns aufwie-geln müsst. Ich bitte, damit aufzuhören, wenn nichtdas Kloster und damit wir alle ins Unglück kommensollen.«

Erst sind die anderen stille. Dann jedoch reden alledurcheinander. Männer und Weiber: Sie reden vonAdam und Moses. Davon, dass alle, die sich im Klos-ter wohl sein lassen, auch arbeiten sollen und nichtnur Bauern. Und dass sie für das Kloster nun nichtmehr den Mist breiten, mähen und schneiden wollen.Dass sie das Korn nicht mehr einfahren und dreschenwollen. Sie wollen für das Klosterbier keinen Hopfenmehr pflücken. Sie wollen nicht mehr Flachs undHanf raufen und rösten. Sie wollen nicht mehr Krautstechen und hacken. Sie wollen nicht mehr Holz fürdie Nonnen schlagen. Nicht mehr den Mühlgrabenvon Schlamm und Eis frei machen. Nicht mehr dieHunderte von Schafen scheren.

Die Leute reden sich immer mehr in Wut.Noch bevor die Domina etwas entgegnen kann,

baut sich der Torwächter Thalheim zwischen der Ehr-würdigen Mutter und den Bauern auf: »Ich bin eineinfacher Mann und kann nicht einen Buchstaben

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schreiben. Wie ihr alle. Ich weiß auch nicht viel ausder Bibel zu vermelden. Aber eins will ich euch sagen.Ihr irrt! Es steht geschrieben: Gebt dem Kaiser, wasdem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört.«

Und gemeinsam mit dem inzwischen dazugekom-menen Vogt und den Schreibern kann er die Bauernzurückschicken.

Dieses Mal noch gehen sie, zwar scheltend, weg.Doch zu Oculi am 19. März sind sie wieder da. Undam Montag nach Lätare, dem 27. März, kommen siemit Pferd und Wagen zurück. Sie nehmen das Korn,den Most, das Bier und viel Trockenfleisch mit. DerHofmeister meldet es zornbebend der Domina. DieEhrwürdige Mutter kommt aus der Klausur, bedeutetder Priorin und der Subpriorin, sie in den Klosterhofzu begleiten. Katharina, Laneta, Ave und Else laufenhinter den Schwestern her. (In der Aufregung verbietetes ihnen niemand.) Im Klosterhof sind eine AnzahlBauern mit ihren Weibern dabei, Säcke, Flaschen undSchüsseln wegzutragen. Der Torwächter Thalheimbrüllt: »Ihr kommt allesamt an den Galgen, ihr elendesGesindel! Wartet, bis der Herr Abt davon erfährt undder Kurfürst! Alle werdet ihr hängen!« Da tritt dieGalsterin ganz nah vor die Domina. Ihr ausgemergel-tes Gesicht ist hochrot. Sie schreit: »Wir wollen nichtmehr jeden Tag Kraut essen! Wir wollen unsere Fische,unsere Hühner und unsere Butter selber haben! Undam Sonntag anstatt Wasser unseren Most, den wir ge-keltert haben! Alles gehört uns! Und der Teufel holtnicht uns, sondern Euch! Der Luther hat es gesagt!«

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Die Ebnerin schreit womöglich noch lauter: »Wirwollen Herrin sein genau wie Ihr! Und wenn Ihr un-sere Männer töten lasst, wollen wir Euch würgen.Geht Ihr doch hinaus auf die Felder und in die Ställe,geht! Zieht unsere kratzigen Joppen an und melkt dieKühe! Wir wollen dafür im Kloster sitzen und betenund warme Pelze tragen! Wir wollen Euch zu denHuren treiben, Eure weißen Kleider wollen wir überEuren Köpfen zusammenbinden! Und dann sollendie Männer über Euch herfallen! Ihr sollt Kinder ha-ben und Wehen gleich uns!«

Wie weiß das Gesicht der Ehrwürdigen Mutter ist.Sie sagt kein Wort. Dreht sich schließlich um undgeht. Alle gaffen mit offenen Mäulern der Dominahinterher. Auch die Bauern und ihre Weiber verlassenden Klosterhof.

Die Subpriorin hat rote Flecken am Hals: »Dakönnt ihr es sehen, Kinder, das sind die Früchte desNeuen Evangeliums. Niemandem mehr gehorsam sein,sich aufbäumen und empören an allen Orten, sichzusammenrotten, geistliche und weltliche Obrigkeitberauben und erschlagen.«

»Bitte, schweig«, sagt die Mutter Äbtissin.Nie wird Katharina das weiße Gesicht der Ehrwür-

digen Mutter vergessen.Warum war keine Wut in ihren Augen? Warum hat

sie die Bauern nicht verfolgen lassen? Warum hat sienicht einmal den Abt Peter unterrichtet? Wieder hatKatharina den Gedanken, dass die Domina …

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Nein, der Gedanke ist absurd. Katharinas eigeneAngst, ihre ständigen Selbstzweifel haben ihr diesenGedanken eingegeben. Wenn die Ehrwürdige Mutterdie Flucht ihrer Nonnen entdeckt, wenn sie erkennt,dass neun ihrer Kinder das Gelübde brechen. »SüßeMutter Gottes, hilf!«

Die Mädchen taumeln jetzt endlich aus dem schüt-zenden Wald heraus. Vor ihnen liegt die Straße nachGrimma. Hier soll Leonhard Koppe mit dem Wagenwarten. Doch, wo ist er? Alle drängen sich um Katha-rina, keuchend von der Anstrengung des Marsches,zitternd vor Angst. Was, wenn Koppe nicht kommt?Wenn er im letzten Moment Luthers Bitte doch nichtentspricht? Laneta von Gohlis beginnt laut zu schluch-zen. Still. Da sind doch Schritte. Im undeutlichenLicht der Nacht wird die Gestalt eines Mannes sicht-bar, der sich bisher im Gebüsch verborgen hielt. »Ichbin Koppe. Im Namen Luthers. Macht rasch.«

Zwei Männer, der junge Koppe und WolfgangDommitzsch, führen jetzt vorsichtig einen Planwa-gen aus dem Dunkel des Waldrandes. Sie helfen denMädchen hinauf. Auf einer dicken Schicht Stroh, überdas Säcke gebreitet sind, drängen sich die völlig Er-matteten und Verängstigten aneinander. Die drei Män-ner steigen auf den Kutschbock. Sie ziehen die Planeauch vorne fest zusammen.

»Heilige Mutter Maria, danke.«Sie schluchzen, weinen und beten durcheinander.

Dann ist es still. Nur das Ächzen und Ruckeln des Wa-gens, das Klappern der Hufe. Else von Canitz erbricht.

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»Sie kotzt sich den Teufel aus dem Leib«, sagt Ave.»Keinen Streit jetzt«, fleht Veronika von Zeschau.

Alle sind müde, und sie möchten eigentlich nur schla-fen. Doch das Rütteln und Holpern ist zu stark. Undauch die Angst.

Ostermontag in Torgau.Ob ich in der Welt ein anderer Mensch werde? Ka-

tharina weiß nicht, ob sie diesen Satz geträumt hat.An der Grenze zwischen Schlaf und Erwachen, da,wo Freude, aber auch Angst und Trauer die Seele soheftig erschüttern, dass man Geträumtes und Wirkli-ches nicht zu trennen vermag, da hat sie das Fegefeuergesehen. Oder was ist es sonst gewesen?

Katharina kann aus ihrem Traum nicht erwachen.Obwohl sie das will, hält er sie fest. Sie hat von MartinLuther geträumt. Durch die Erzählungen Margaretesund Veronikas, deren Oheim ihn des Öfteren gesehenhat, ist in Katharinas Kopf ein Bild von dem berühm-ten Reformator entstanden. Sie hat gehört, dass erblitzende Augen haben soll, einen hageren Körper,von Sorgen und Studien erschöpft. Dass er mit seinerscharfen, deutlichen Stimme seine Feinde widerlegt.Sie sagen, er tue das unbesorgter und bissiger, als dasfür einen Theologen schicklich sei. Sie sieht im TraumMartin Luther zu Pferde über den Friedhof des Klos-ters reiten. Sein Pferd ist fahl im Nachtlicht, doch eshat reiches Zaumzeug. Luther sprengt über die Grab-steine. Er hat das Schwert gezogen. In seinem Gefolgeein Heer von Toten, die mit ihren Leichentüchern

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bekleidet sind. Katharina sieht, dass Ave, Veronika,Margarete, Else und die anderen zu den Toten gehö-ren. Sie sind mit Äxten, Sensen und Knüppeln be-waffnet. Ihre Totenköpfe lächeln. Sie selbst, Katha-rina, trägt eine Lanze. Soldaten und Bauern sind amWege, sie bitten um Erbarmen. Katharina fühlt nochim Erwachen Angst. Bedeutet der Traum, dass sie allemit Luther sterben müssen? Unruhig wälzt sich Ka-tharina auf ihrem Strohsack. Die anderen sollen jetztauch wach werden. Sie hat nicht länger Lust, sich Ge-danken zu machen. Wäre sie doch nur mit Ave alleingeflüchtet. Jetzt hat sie die anderen am Hals. Katha-rina vergisst für einen Moment, dass ohne Veronikaund Margarete von Zeschau vermutlich alles beimAlten geblieben wäre. Hätte nicht deren Oheim, derEdelmann Wolfgang von Zeschau, immer wiederLuthers Schriften ins Kloster geschmuggelt, woherhätten sie dann die Wahrheit erfahren? Erst letztesJahr ist er, der Prior des Augustiner-Klosters Grimma,mit einer Anzahl Ordensbrüdern ausgetreten. Er istjetzt Spitalmeister des Johanniterhospitals zum Heili-gen Kreuz in Grimma. Er hat seine Nichten regelmä-ßig besucht und niemals mit leeren Händen.

Was für ein Tag, als er die erste Flugschrift mit-brachte! Vier Schriften sind es, die Margarete vonZeschau aus der Besucherstube mitbringt. Sie hat dieRollen im weiten Ärmel ihres Kleides mühelos ver-borgen. Sie sind schon geschickt im Verbergen. ImSuchen nach Verstecken, wo sie mit brennenden Wan-gen und Ohren lesen: ›Den Sermon von den guten

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Werken‹. ›An den christlichen Adel deutscher Nation,von des christlichen Standes Besserung‹. ›Von derbabylonischen Gefangenschaft der Kirche‹. ›Von derFreiheit eines Christenmenschen …‹

Zu dieser Zeit ist Luther ihnen allen schon vertraut.Er sitzt mit im Chor beim Angelus, er hält die Tischle-sung, er lobt Gott in der Non. Alle wissen, dass derBann des Papstes drohend über Luther hängt. Offi-ziell darf im Kloster sein Name nicht erwähnt werden.Katharina weiß jedoch, dass die Domina in der Klau-sur die Schriften Luthers studiert. Und Katharinaweiß auch, wo diese Schriften aufbewahrt werden.Jedesmal, wenn die Ehrwürdige Mutter mit der Prio-rin und der Subpriorin nach Torgau gefahren ist, ummit dem Ratsherrn abzurechnen und für das Klostereinzukaufen, dann hat Katharina mit klopfendemHerzen und hämmernden Schläfen von dem großenKampf gelesen, den ein Mönch begonnen hat und dersich jetzt mit ungeheurer Gewalt entwickelt. Die hö-heren Stände und der gemeine Mann haben sich glei-chermaßen erhoben, um mit dem Mönch zu streiten.

Martin Luther. Katharina hat viele Bilder von ihmin ihrem Kopf. Sie wandeln sich. Sie kennt aus LuthersSchriften den kleinen Martin, wie er in der Stube sei-nes Elternhauses sitzt und sich mit einer lateinischenFibel abmüht. Er weiß, dass es gemeine Rutenschlägesetzt, wenn er nicht konjugieren kann. Martin fürch-tet sich vor der Schule. Er kann seine Gedanken oft-mals nicht zusammenhalten. Deklination, Syntax,Metrik, Schläge, Angst, Jammer.

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Vater, ich hab Euch lieb. Die Schläge tun weh, Va-ter. Ich will morgen besser lernen, Vater. Mutter, wirdmich der Alb holen, wird er mir das Herz abdrücken?Erzähl mir von den guten Wichtelmännern, Mutter,kann ich auch so ein Tarnkäppchen haben? Dannkönnen mich die bösen Hexen nicht finden und ver-zaubern, nicht wahr, Mutter, dann können sie mirnichts tun. Mutter, ist es denn wahr, hat die KlaraNutzlin unsere Schwester verhext? Hat sie sich da-rum zu Tode geschrien? Hat sie den Hagel geschicktund den Kühen die Milch abgesogen? Mutter, kannsie in der Nacht durch die Luft reiten? Mir die Luftabwürgen, Mutter? Katharina weiß, was den kleinenLuther geängstigt hat in den Nächten und an dunklenTagen. Sie selbst hat mit pochendem Herzen denSchilderungen Schwester Angelas gelauscht, die ihrden Hexenwald in allen Winkeln ausmalte: Da ho-cken sie am Boden, junge und alte Hexen, mit prallenoder hängenden Brüsten. Sie zerstoßen giftige Kräu-ter im Mörser, bereiten Zaubertränke, mit denen sieMensch und Vieh verderben. Mit schauerlichen Ge-sängen und mit schrillem Gelächter reiten sie nacktdurch die Lüfte. Sie holen kleine Mädchen, um sie zuHexen zu machen und auf ewig der Hölle zu weihen.

Angst, blinder Gehorsam, Strafe. Das ist auch Ka-tharinas Kinderwelt. Sie ist fünf Jahre alt und starrtauf die hölzerne Tür, deren Riegel gerade zugescho-ben wird. Sie darf nicht hinaus. Sie will auch nicht. Dadraußen hockt die Angst in allen Winkeln. Da ist esdunkel, kalt. Mutter ist nicht mehr da. Ihr faltenrei-

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cher Rock raschelt nicht mehr durchs Haus. IhrSchritt klingt nicht mehr auf den Dielen. Ihre weichenArme nehmen Katharina nicht mehr auf. Mutter liegtim Vorderhaus. Sie lassen Katharina nicht hinein zuihr. Seit zwei Tagen nicht mehr. Katharina darf sichwie immer zu den Hühnern in den Hof hocken. Siehört aber nichts von deren Lärm. Die Sonne zeichnetSchatten auf den Sandboden, doch in Katharina wirdes nicht warm. Mutter. Da ist so ein Schweigen imHaus. Dann wieder ein Wispern, das rasch vor Katha-rina verstummt.

Und jetzt rattert und holpert da draußen der Roll-wagen ab. Katharina könnte hochklettern an dem höl-zernen Sims, sich hineinhocken in die tiefe Fensterni-sche. Sie könnte hinausschauen. Katharina will es undwill es nicht. Sie möchte weinen. Doch da ist ein Steinin ihr. Der liegt oben im Hals und lässt die Tränennicht hinaus.

Die andere Frau mit den anderen Röcken schläftnun beim Vater. Sie hat keine weichen Arme. Aberharte Hände. Sie kleidet Katharina für die Fahrt an.

»Du wirst ins Kloster reisen«, sagt der Vater. »Dasist ein großes Haus mit vielen Frauen und Mädchen.Und Gott wohnt da.«

Katharina kennt Gott. Manchmal geht er mit sei-nen großen Stiefeln im Himmel umher, und danndonnert und blitzt es. Katharina hat sich früher davornicht gefürchtet. Mutters warmer weicher Rückenwar die Antwort auf alle Fragen, der Schutz vor allerFurcht.

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Katharinas neues Kleid kratzt auf der Haut, derGürtel drückt. Nur dies Unbehagen spürt sie, als mansie auf den Wagen hebt. Der Vater sitzt stumm, dieFrau auch. Katharina müsste dringend auf den Lokus.Die Frau hat sie vor der Abreise daran gemahnt. Jetztdrängt das Wasser in Katharinas Blase, doch sie wirdnichts sagen. Ihr ist schwindlig vom Schütteln desWagens, vom Juckreiz, vom Drang in der Blase. Ka-tharina presst fest die Lippen zusammen. Verstohlenklemmt sie einen Fuß zwischen die Schenkel. Nie-mand kann es sehen unter dem langen Rock.

Die Kutsche ruckt und rüttelt Katharina in einenHalbschlaf, aus dem sie hochfährt, als es ihr heiß dieBeine herunterrinnt. Katharinas Herz klopft, ihr Kopfscheint zu platzen. Sie schaut zum Vater, doch der isteingenickt, sein Kopf pendelt haltlos hin und her.Aber die Frau. Sie hat es gesehen. Sie schaut Katha-rina an mit dem Blick, den sie immer hat, wenn derVater nicht dabei ist. Die Frau schaut und schweigtund hat einen schmalen Mund. Katharina rückt sichin der unangenehmen Nässe zurecht. Sie wird vonnun an nicht mehr für die Frau beten. Nie wieder.

Über all diesen Erinnerungen ist Katharina noch maleingeschlafen. Sie hat von ihrer Mutter geträumt, wiees ihr häufig geschieht. Katharina erwacht jedes Malmit einem starken, schmerzlichsüßen Gefühl der Liebe.Sie ist dann weich und sanft gestimmt … In derSchlafstube ist es inzwischen taghell geworden. Ge-rade ist die Magd hereingekommen, um den Ofen zu

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reinigen und neu anzuzünden. Das junge Mädchenträgt über einem derben braunen Hemd eine hellereSchürze. Um den Kopf hat sie ein rotes Tuch gebun-den. Jetzt stemmt sie die Fäuste in die Hüften: »HabtIhr im Kloster auch immer so lange geschlafen?«

Undeutlich vor sich hin schimpfend, macht sie sicham Ofen zu schaffen. Kehrt den Ruß heraus, dass esnur so poltert und staubt.

Alle sind jetzt wach. O Gott, was wird der Tag unsbringen? Else von Canitz jammert vor sich hin. Ka-tharinas weiche Stimmung verfliegt sofort. Der Teufelsoll sie alle holen. Alle, außer Ave natürlich.

Die anderen mit ihrem ständigen Geheul, Geplärrund Gezänk sind ihr lästig. Besonders aber Else.Falsch wie die Schlange im Paradies. Ständig vonHysterie heimgesucht. Sie stopft unmäßig viel Essenin sich hinein. Dann speit sie wieder alles aus. So gehtdas dauernd. Keine will bei ihr schlafen. Else sollteauch nicht mit. Doch sie hat alles belauscht. Katha-rina sieht Else an. Die unruhigen Augen der Neun-zehnjährigen sind jetzt stark gerötet. Ihre Nase auch.Sie ist offenbar erkältet. Katharina selbst fühlt sichebenfalls fiebrig. Der Lauf durch den Wald gestern,schweißüberströmt hat sie auf dem Wagen gehockt.Die kalte Luft. Katharina hat einen dumpfen, schwe-ren Kopf. Das fehlt gerade noch, dass sie jetzt krankwird! Laneta neben ihr hustet, und Margarete klagtüber heftige Halsschmerzen. Der Ratsherr Koppewird sich bedanken. Neun entlaufene Nonnen in sei-nem Haus, und alle krank.