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Kinderrechte für Flüchtlingskinder ernst nehmen! Gesetzlicher Änderungsbedarf aufgrund der Rücknahme der Vorbehalte zur UN-Kinderrechtskonvention

Kinderrechte für Flüchtlingskinder ernst nehmen! · 2015-08-11 · In der UN-Kinderrechtskonvention werden die grundlegenden Rechte zum Schutz der Kinder weltweit festgelegt. Sie

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Kinderrechte für Flüchtlingskinder ernst nehmen!Gesetzlicher Änderungsbedarf

aufgrund der Rücknahme der Vorbehalte

zur UN-Kinderrechtskonvention

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INHALT

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

I. Von der Ratifikation bis zur Rücknahme der Vorbehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

II. Rechte nach der UN-Kinderrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

III. Gesetzlicher Handlungsbedarf zur Umsetzung

der UN-Kinderrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

1. Handlungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

2. Zurückweisung und Zurückschiebung an der Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

3. Altersfeststellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

4. Flughafenverfahren / -transit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

5. Dublin-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

6. Clearingstellen und Unterbringung von

unbegleiteten Minderjährigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

7. Asylverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

8. Soziale Teilhabe: AsylbLG, Unterbringungssituation

und Residenzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

9. Kinder- und Jugendhilfe/Gesundheitsversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

10. Familieneinheit mit Familienangehörigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

11. Humanitärer Abschiebungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

12. Bleiberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

13. Kinder ohne Papiere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

14. Ausweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

15. Abschiebungshaft und Abschiebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

16. Vorrang des Kindeswohls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

17. Anhang: Auszug aus der UN-Kinderrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40

»Kinderrechte sind die Rechte aller Kinder,

auch der Kinder auf der Flucht.«

(Prof. Dr. Lothar Krappmann, Schirmherr der

Kampagne »Jetzt erst Recht(e)«, von 2003 bis 2011 Mitglied

im UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes)

VORWORT

Über ein Jahr nach der in New York am 15. Juli 2010 besiegelten Rücknahme der Vor-

behalte zur UN-Kinderrechtskonvention verharrt die Bundesregierung nach wie vor in

Untätigkeit. Damit verstößt die Bundesrepublik Deutschland weiterhin gegen zentrale

Bestimmungen der Kinderrechtskonvention und verletzt ihre Fürsorgepflicht gegen-

über den ihrer Obhut anvertrauten, auf den besonderen Schutz und die Hilfe des

Staates angewiesenen Flüchtlingskindern. Will die Bundesregierung dem – auch von

UN-Gremien – erhobenen Vorwurf der systematischen Ausgrenzung von Flüchtlings-

kindern und ihrer staatlich verweigerten Integration glaubwürdig begegnen, besteht

dringender politischer und gesetzlicher Handlungsbedarf.

So werden minderjährige Flüchtlinge in andere EU-Staaten abgeschoben, selbst wenn

ihnen dort – wie z.B. in Italien – unmenschliche Lebensbedingungen drohen. Das

diskriminierende Asylbewerberleistungsgesetz gewährt minderjährigen Flüchtlings-

kindern ein Drittel weniger als Kindern im Hartz-IV-Bezug. Dieses gehört ebenso abge-

schafft wie die Pflicht, in Lagern leben zu müssen. Zudem muss die Verfahrensmündig-

keit in asyl- und ausländerrechtlichen Verfahren, die bisher bereits ab dem 16. Lebens-

jahr beginnt, dringend auf achtzehn Jahre heraufgesetzt werden.

Die Gleichgültigkeit gegenüber Flüchtlingskindern muss endlich beendet werden. Es

ist an der Zeit, die rechtlichen Hindernisse zu beseitigen, die Flüchtlingskindern seit

1992 die in der Konvention garantierten Rechte verwehren.

Hubert Heinhold, Heiko Kauffmann, Marei Pelzer

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regierung zur Berücksichtigung und Zuleitung an die Landesvolksvertretungen über-

wiesen.

Dennoch wurde in der Vergangenheit die Rücknahme stets mit Verweis auf die ableh-

nende Haltung der Bundesländer von der jeweiligen Bundesregierung abgelehnt.4 Am

26. März 2010 hat der Bundesrat seine Blockade endlich aufgegeben und sich für die

Vorbehaltsrücknahme ausgesprochen. Mit der Rücknahme der Vorbehalte ist nun end-

lich der Weg frei, auch Flüchtlingskindern alle Rechte der UN-Konvention zu gewähren.

Der Bundesgesetzgeber ist gefordert, die deutsche Rechtslage den Anforderungen der

UN-Kinderrechtskonvention anzupassen. Äußerungen von Seiten der Bundesregie-

rung5 und der Innenministerkonferenz6, es bestehe kein legislativer Anpassungs-

bedarf, entbehrt jeder Grundlage. Auch dort, wo einzelne Regelungen der Verwal-

tungspraxis Spielräume bieten, ist Handeln geboten. Andernfalls besteht die Gefahr

uneinheitlicher Standards innerhalb Deutschlands. Die ablehnende Haltung vieler

Landesinnenminister lässt befürchten, dass sonst die Rechte aus der KRK weiter igno-

riert würden. Die UN-Kinderrechte sind Menschenrechte und müssen endlich für alle in

Deutschland lebenden Kinder realisiert werden.

5

4 Vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen;

BT Drs. 16/6076; 13.7.2007; http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/16/060/1606076.pdf

5 Plenarprotokoll 17/39 vom 5. Mai 2010

6 Im Protokoll der 190. Innenministerkonferenz heißt es: »19. Bericht des BMI zur Rücknahme der

Erklärung der Bundesrepublik Deutschland zur VN-Kinderrechtskonvention

Beschluss:

Die Innenminister und -senatoren der Länder nehmen den Bericht des Bundesministers des

Innern zur Rücknahme der Erklärung der Bundesrepublik Deutschland zur VN- Kinderrechts-

konvention zur Kenntnis.

Protokollnotiz BW, BY, HH, HE, MV, NI, NW, SL, SN, SH und TH: Die genannten Länder begrüßen

die Zusicherung des BMI, dass mit der Rücknahme der Erklärung keine Änderung des Aufent-

halts- und Asylverfahrensrechts verbunden ist.«

I. VON DER RATIFIKATION BIS ZUR

RÜCKNAHME DER VORBEHALTE

Am 20. November 1989 verabschiedeten die Vereinten Nationen das Übereinkommen

über die Rechte des Kindes, die UN-Kinderrechtskonvention (KRK). Deutschland hat die

Konvention am 5. April 1992 nur unter Vorbehalt ratifiziert.1 Bei der Hinterlegung der

Ratifikationserklärung wurden Vorbehalte eingelegt, welche sich auch auf die Geltung

der KRK im Asyl- und Ausländerrecht bezogen. Und zwar sollten die UN-Kinderrechte in

Deutschland nicht auf Regelungen der Einreise, des Aufenthalts und der Aufenthalts-

beendigung von Ausländern anwendbar sein. Weiterhin wurde eine Gleichbehandlung

von ausländischen Kindern mit deutschen Kindern ausgeschlossen. Ob das Einlegen

eines solchen Vorbehalts rechtlich korrekt erfolgte, war unter Juristen höchst umstrit-

ten. Mit gewichtigen Argumenten haben Völkerrechtsexperten die Wirksamkeit der

Vorbehaltserklärung angezweifelt.2 Unbeeindruckt davon haben sich die jeweiligen

Bundesregierungen – gleich welcher Couleur – achtzehn Jahre nicht zur Rücknahme

der Vorbehalte zur UN-Kinderrechtskonvention durchringen können. Schließlich ent-

schied die schwarz-gelbe Bundesregierung im Mai 2010, die Vorbehalte zurückzuneh-

men. Am 15. Juli 2010 wurde die Rücknahmeerklärung bei den Vereinten Nationen in

New York hinterlegt.

Sehr spät hat die deutsche Bundesregierung damit auf die Kritik von PRO ASYL,

Kinder- und Menschenrechtsorganisationen, Wohlfahrtsverbänden, internationalen

Experten und Fachgremien und des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen reagiert.

Der zuständige Ausschuss für die Rechte des Kindes in Genf hatte bereits im ersten

Staatenbericht zur Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1995 deutliche Kritik ge-

übt und empfohlen, die Rücknahme der Vorbehalte zur Kinderrechtskonvention zu

überprüfen. Ebenso hat der Deutsche Bundestag mehrfach die Rücknahme der Vor-

behalte angemahnt. Bereits am 26. September 2001 hatte der Petitionsausschuss

des Deutschen Bundestages einer von PRO ASYL eingelegten Petition3 zur Rücknah-

me der Vorbehalte zur Kinderrechtskonvention stattgegeben und sie an die Bundes-

4

1 BGBl. 1992 II, S. 990.

2 Erich Peter, Die Rücknahme des deutschen Ausländervorbehalts zur UN Kinderrechtskon-

vention im Spannungsfeld verfassungsrechtlicher Kompetenzzuweisung, ZAR 2002, 144-151;

Christian Tomuschat, Die Vorbehalte der Bundesrepublik Deutschland zum Übereinkommen

über die Rechte des Kindes, 2004

3 Pet. 1-14-06-26-027123

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II. RECHTE NACH DER UN-KINDERRECHTS-

KONVENTION

In der UN-Kinderrechtskonvention werden die grundlegenden Rechte zum Schutz der

Kinder weltweit festgelegt. Sie gelten für alle Menschen, die das 18. Lebensjahr noch

nicht vollendet haben, soweit die Volljährigkeit nach dem auf das Kind anzuwenden-

den Recht nicht früher eintritt (Art. 1). Gemäß Art. 3 Abs. 1 KRK ist bei allen Maßnahmen,

die Kinder betreffen, »das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berück-

sichtigen ist.« Die Achtung des Kindeswohls ist eine wichtige Vorgabe der KRK, die um-

fassend in allen Bereichen der Rechtsordnung zu beachten ist. Eine zentrale Vorschrift

ist auch Art. 12 KRK. Sie verspricht dem Kind, sich in allen seinen Angelegenheiten sich

frei zu äußern, legt den Vertragsstaaten die Pflicht auf, die Meinung des Kindes ange-

messen zu berücksichtigen und ihm Gelegenheit zu geben, in allen es betreffenden Ge-

richts- und Verwaltungsverfahren unmittelbar oder durch einen Vertreter gehört zu

werden.

Ausdrücklich werden in der KRK die speziellen Rechte von Flüchtlingskindern normiert,

die besonderen Gefährdungen und Belastungen ausgesetzt sind und deshalb beson-

derer Schutz- und Hilfsmaßnahmen bedürfen. Darauf nimmt Art. 22 KRK direkt Bezug.

Nach Abs. 1 sind »geeignete Maßnahmen [zu treffen], um sicherzustellen, dass ein Kind,

das die Rechtstellung eines Flüchtlings begehrt oder […] als Flüchtling angesehen

wird, angemessenen Schutz und humanitäre Hilfe bei der Wahrnehmung der Rechte

erhält, die in diesen Übereinkommen oder in anderen internationalen Übereinkünften

über Menschenrechte oder über humanitäre Fragen, denen die genannten Staaten als

Vertragsparteien angehören, festgelegt sind, und zwar unabhängig davon, ob es sich in

Begleitung seiner Eltern oder einer anderen Person befindet oder nicht.«

Für unbegleitet eingereiste Flüchtlingskinder ergibt sich aus Abs. 2 des Art. 22 KRK die

Verpflichtung der hiesigen Behörden, Eltern oder andere Familienangehörige des Kin-

des ausfindig zu machen, bzw. dann, wenn dies nicht möglich ist, dem Kind denselben

Schutz zu gewähren, »wie jedem anderen Kind, das aus irgendeinem anderen Grund

dauernd oder vorübergehend aus seiner familiären Umgebung herausgelöst ist.«

Flüchtlingskinder sollen also – ganz unabhängig von der Frage der ausländerrecht-

lichen Situation – ebenso behandelt werden wie elternlose deutsche Kinder. Solche

Kinder haben einen Anspruch auf besonderen staatlichen Schutz und Beistand (Art. 20

KRK). Als Form der Betreuung von elternlosen Kindern kommt die Aufnahme in eine

Pflegefamilie, die Adoption oder die Unterbringung in einer geeigneten Kinderbetreu-

ungseinrichtung in Betracht (Art. 20 Abs. 3).

Weiterhin wird das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit gewährleistet (Art. 24). Mit

Art. 28 erkennen die Vertragsstaaten das »Recht jedes Kindes auf Bildung« an.

Weitere Artikel der KRK sind für Flüchtlingskinder von Bedeutung: das Diskriminie-

rungsverbot (Art. 2); die Verpflichtung zur Familienzusammenführung (Art. 9 und 10);

das Recht auf Leistungen der sozialen Sicherheit (Art. 26) sowie angemessene Lebens-

bedingungen und Unterhalt (Art. 27); eine Freiheitsentziehung darf bei einem Kind nur

als letztes Mittel und für die kürzeste angemessene Zeit angewendet werden (Art. 37).

6 7

Art. 3

Bei allen Maßnahmen,

die Kinder betreffen, … ist das

Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt,

der vorrangigzu berücksichtigen ist.

Schutzrechte

Art.:

2, 8, 9, 16, 17, 22,

30, 32, 33, 34, 35,

36, 37, 38

Förderungsrechte

Art.:

6, 10, 15, 17, 18,

23, 24, 27, 28, 30,

31, 39

Beteiligungsrechte

Art.:

12, 13, 17

Art. 1:

Geltung für Kinder;

Begriffsbestimmung

Art. 4:

Verwirklichung

der Kinderrechte

Art. 42:

Verpflichtung zur

Bekanntmachung

Art. 44:

Berichtspflicht

© National Coalition (www.national-coalition.de)

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Im Folgenden werden zentrale Bereiche dargestellt, in denen es einer kon-

kreten Umsetzung der UN-Kinderrechte durch den Gesetzgeber bedarf.

1. Handlungsfähigkeit

Nach § 80 AufenthG sind ausländische Kinder und nach § 12 AsylVfG minderjährige

Asylsuchende bereits ab Vollendung des 16. Lebensjahrs handlungsfähig. Dies bedeu-

tet einerseits, dass sie fähig sind, Verfahrenshandlungen selbst vorzunehmen, anderer-

seits, dass auch ihnen gegenüber Verfahrenshandlungen und Zustellungen, die Fristen

in Lauf setzen können, vorgenommen werden können. Infolgedessen ist auch in sozial-

hilferechtlichen Verfahren eine Handlungsfähigkeit gegeben (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB X).

Umfasst wird davon z.B. die Fähigkeit, einen rechtswirksamen Asylantrag zu stellen, ei-

nen Rechtsanwalt zu bevollmächtigen oder Klage zu erheben. Ebenso besteht die

Fähigkeit, behördliche oder gerichtliche Entscheidungen entgegenzunehmen. Dies ist

nicht nur ein rechtlicher Vorteil. Denn Konsequenz dieser Verfahrensmündigkeit ist,

dass den Minderjährigen auch alle denkbaren negativen Folgen seiner Entscheidungen

bzw. unterlassenen Handlungen treffen. Reagiert er z.B. nicht auf den ablehnenden

Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge und verpasst es, fristgerecht

Klage zu erheben, dann hat er die Möglichkeit auf Rechtsschutz verloren.

Die Verfahrensmündigkeit von Minderjährigen ist abgesehen vom Asyl- und Aufent-

haltsrecht der deutschen Rechtsordnung weitgehend fremd. Minderjährige sind im

Alter zwischen sieben und achtzehn nur beschränkt geschäftsfähig und können des-

wegen in der Regel keine für sie nachteiligen Rechtshandlungen vornehmen. Dement-

gegen ist im Asyl- und Aufenthaltsrecht dieser Schutz nicht gegeben.

Eine andere Frage als die der Handlungsfähigkeit ist die nach der Qualität der vor-

mundschaftlichen Vertretung. Die Probleme, die aufgrund von im Asyl- und Aufent-

haltsrecht schlecht ausgebildeten oder überlasteten Amtsvormündern teilweise vor-

handen sind, bestehen für unter 16-Jährige gleichermaßen und müssen insgesamt für

alle Minderjährigen gelöst werden. Unabhängig von der Frage, ob allen Minderjährigen

der Schutz durch eine Vormundschaftsvertretung garantiert wird, ist dafür Sorge zu tra-

gen, dass die vormundschaftliche Wahrnehmung der Interessen von Minderjährigen

kompetent und sachgerecht erfolgt.

9

III. GESETZLICHER HANDLUNGSBEDARF

ZUR UMSETZUNG DER UN-KINDERRECHTE

Es stellt sich die Frage, was aus der Rücknahme der Vorbehalte folgt. Können sich

Flüchtlingskinder nun unmittelbar auf ihre Rechte nach der KRK vor den Behörden und

Gerichten berufen? Oder müssen sie darauf warten, dass der deutsche Staat endlich sei-

nen Verpflichtungen aus der KRK nachkommt und die deutschen Gesetze an die Anfor-

derungen der KRK anpasst?

Klar ist, dass die KRK als völkerrechtlicher Vertrag Staatenverpflichtungen begründet:

Die Vertragsstaaten sind verpflichtet, den Vertrag einzuhalten und für die Erreichung

seiner Ziele und die Umsetzung des Inhalts zu sorgen. Dies ergibt sich auch unmittelbar

aus Art. 4 KRK.

Diskutiert wird, inwieweit Regelungen der KRK unmittelbar anwendbar sind. Der Völ-

kerrechtler Hendrik Cremer vom Deutschen Institut für Menschenrechte kommt in

einem Rechtsgutachten zu dem Ergebnis, dass auch die verschiedenen Rechte nach

der Kinderrechtskonvention einen individualrechtlichen Charakter haben.7 Diese sind

demnach unmittelbar zugunsten der Betroffenen von deutschen Behörden und Ge-

richten zu beachten. Unabhängig davon gilt bei der Anwendung nationaler Gesetze

das Gebot der völkerrechtsfreundlichen Auslegung.8 Deswegen müssen das Asyl- und

Aufenthaltsrecht sowie die Sozialgesetze, aber auch alle anderen Bestimmungen, ent-

sprechend der KRK ausgelegt und angewendet werden.

Dies entlässt jedoch den Gesetzgeber nicht aus seiner Pflicht, die Kinderrechte auch

durch konkrete Gesetzesänderungen zu realisieren. Denn der Staat ist verpflichtet, im

Wege der Änderung innerstaatlichen Rechts die Umsetzung des Vertragsinhalts sicher

zu stellen.9

Auf Dauer darf der Gesetzgeber es nicht den Rechtsanwendern überlassen, die Völker-

rechtskonformität staatlichen Handelns sicherzustellen. Dies würde den Anforderun-

gen der Konvention nicht genügen.

8

7 Cremer, Hendrik, Die UN-Kinderrechtskonvention, Geltung und Anwendbarkeit in Deutsch-

land nach der Rücknahme der Vorbehalte, 2011.

8 BVerfGE 74,0358, 370: BVerfGE 111, 307, 318.

9 Lorz, Alexander, Gutachten »Der Vorrang des Kindeswohls nach Artikel 3 der UN-Kinderrechts-

konvention in der deutschen Rechtsordnung«, S.46

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Gerichte beachten Kinderrechtskonvention

Einige Gerichte haben nach der Rücknahme der Vorbehalte in ihrer Rechtspre-

chung die Kinderrechtskonvention unmittelbar beachtet. Mehr als naheliegend

sah es z.B. das Familiengericht Gießen an, dass 16- und 17-Jährige nicht mehr als

verfahrensmündig behandelt werden dürfen:

»Zwar hat der Minderjährige das 16. Lebensjahr bereits vollendet. Gemäß § 80 Abs.

1 AufenthaltsG und § 12 Abs. 1 AsylVerfG ist er damit selbst handlungsfähig und

steht einem Volljährigen gleich.« Nach der bisherigen Rechtsprechung des Ober-

landesgerichts Frankfurt (DAVormund 2000, 485) kam die Bestellung eines Ergän-

zungspflegers für die Vertretung in ausländer- und asylrechtlichen Fragen daher

nicht in Betracht.

Die rechtliche Situation hat sich jedoch aktuell geändert.

Die Regelungen in § 80 Abs. 1 AufenthaltsG und § 12 Abs. 1 AsylVerfG stehen im

Widerspruch zur UN-Kinderrechtskonvention, die jeden Mensch, der das 18. Le-

bensjahr noch nicht vollendet hat, als Kind ansieht, soweit nicht die Volljährigkeit

nach dem auf das Kind anzuwendenden Recht früher eintritt.

Die Konvention ist für die Bundesrepublik Deutschland am 05.04.1992 in Kraft ge-

treten, allerdings mit Vorbehalten, die u.a. das Asyl- und Ausländerrecht betrafen.

Nachdem die Bundesregierung Anfang Mai 2010 die Vorbehaltserklärung zurück-

genommen hat, ist kurzfristig auch mit entsprechender Anpassung des Aufent-

haltsgesetzes und des Asylverfahrensgesetzes zu rechnen.

Unter diesen veränderten Umständen kann die bisherige Praxis der Ungleichbe-

handlung von Kindern unter und über 16 Jahren nicht aufrechterhalten werden.

Es war vielmehr für den Minderjährigen ein Ergänzungspfleger für asyl- und aus-

länderrechtliche Angelegenheiten zu bestellen.« (AG Gießen – Familiengericht –

Beschluss v. 16.7.2010, Az. 244F 1159/09 VM)

11

■ Verletzte Kinderrechte:

Die Festlegung der Handlungsfähigkeit ab sechzehn Jahren ist mit der KRK nicht ver-

einbar.

Nach Art. 1 KRK ist jeder Mensch ein Kind, der das achtzehnte Lebensjahr noch nicht

vollendet hat. Dort ist zwar vorgesehen, dass »die Volljährigkeit nach dem auf das Kind

anzuwendenden Recht« auch früher eintreten kann. Damit ist jedem Staat die Möglich-

keit eröffnet, die Volljährigkeitsgrenze anders zu bestimmen. Verboten ist aber eine

Differenzierung nach bestimmten Kategorien, insbesondere also zwischen eigenen

Staatsangehörigen und Ausländern. Die vorgezogene Verfahrensfähigkeit benach-

teiligt diese gegenüber den deutschen Kindern, welche in den sie betreffenden Ange-

legenheiten den vollen Schutz der KRK genießen.

Die Ungleichbehandlung ist ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 2

KRK. Danach sind die Rechte der KRK ohne jede Diskriminierung aufgrund der nationa-

len Herkunft oder des sonstigen Status des Kindes zu gewährleisten. Die Festsetzung

der Handlungsfähigkeit ab sechzehn Jahren gefährdet dies, da die Wahrnehmung der

Rechte insgesamt vom Alter abhängt, z.B. bei der Unterbringung oder bei der Gewähr-

leistung von sozialer Sicherheit.

Auch ein Verstoß gegen Art. 3 KRK liegt vor. Die Folgen der herabgesetzten Grenze für

die Handlungsfähigkeit können zu schwerwiegenden Nachteilen führen. Fragen des

Asyls und Aufenthalts sind oftmals von existentieller Natur, etwa wenn dem Kind im

Herkunftsland Genitalverstümmelung, Missbrauch oder Verwahrlosung droht. Auch

das besondere Schutzgebot des Art. 22 KRK für Flüchtlingskinder ist verletzt, wenn

schon 16-Jährige wie Erwachsene behandelt werden.

■ Empfehlungen:

§ 80 Abs. 1 AufenthG und § 12 Abs. 1 AsylVfG sind zu streichen. Folgeanpassungen von

Normen im AufenthG und AsylVfG, die das 16. Lebensjahr statt die Volljährigkeit in Be-

zug nehmen, sind konsequenterweise vorzunehmen.

10

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schiebung nicht entgegen stehe. Folge ist, dass auch unbegleitete Minderjährige nach

§ 15 AufenthG an der Grenze zurückgewiesen werden dürfen.

Immer wieder sind Fälle zu beklagen, bei denen Minderjährige abgeschoben werden,

obwohl nicht bekannt ist, wo sich ein erziehungsberechtigter Verwandter aufhält. Das

Gesetz lässt es zu, dass Minderjährige abgeschoben werden dürfen, wenn ihr gesetzli-

cher Vertreter nicht in Deutschland lebt oder sein Aufenthaltsort unbekannt ist (§ 80

Abs. 2 S. 2 AufenthG).

■ Verletzte Kinderrechte:

Mit der Möglichkeit, unbegleitete Minderjährige bei dem Versuch der Einreise zurück-

weisen zu können, werden ihre Rechte als Flüchtlingskinder gem. Art. 22 KRK verletzt.

Zwar schließt die Stellung eines Asylantrages eine Zurückweisung aus. Es muss aber

sicher gestellt sein, dass sie hierzu rechtlich imstande sind – also ein Vormund bestellt

ist. Hinzu kommt, dass Minderjährige oftmals nicht in der Lage sind, sogleich nach der

Einreise einen Asylantrag zu stellen, z.B. weil sie traumatisiert sind.

Statt einer Einreiseverweigerung bedarf es deswegen eines Clearingverfahrens, in dem

die Bedürfnisse des Kindes und mögliche Rechtsschritte abgeklärt werden. Eine

Zurückweisung ist mit dem Recht aus Art. 22 KRK nicht vereinbar, weil sie die Möglich-

keit unterläuft, den Flüchtlingsstatus zu begehren. Durch die gesetzliche Erlaubnis,

auch verfahrensunfähige und nicht betreute Minderjährige abschieben zu können,

sind die Kinder in ihren Rechten auf rechtliches Gehör aus Art. 12 KRK verletzt.

■ Empfehlungen:

§ 80 Abs. 2 AufenthG ist zu streichen. In § 15 Abs. 1 AufenthG ist folgender Satz 2 ein-

zufügen »Unbegleitete Minderjährige dürfen nicht an der Grenze zurückgewiesen

werden.«

1312

2. Zurückweisung und Zurückschiebung an der Grenze

Nach China zurückgewiesen: Minderjährige am Frankfurter Flughafen

Anfang Juni wurden drei Minderjährige aus China am Frankfurter Flughafen von

der Bundespolizei festgehalten und an der Einreise nach Deutschland gehindert.

Zwei der Minderjährigen waren unter sechzehn Jahre alt und damit verfahrens-

unmündig. Der dritte Minderjährige war siebzehn Jahre alt. Sie alle mussten ohne

die Möglichkeit, einen Asylantrag stellen oder mit einem Vormund oder Rechtsan-

walt sprechen zu können, innerhalb weniger Tage nach ihrer Ankunft wieder nach

China zurückkehren. Das alarmierte Jugendamt und ein ebenfalls eingeschalteter

Rechtsanwalt hatten zwar an das Familiengericht appelliert, schnell einen Ergän-

zungspfleger einzusetzen, damit dieser für die Minderjährigen wichtige Verfah-

rensschritte einleiten kann. Das Familiengericht handelte jedoch nicht sofort,

sondern ließ sich nur telefonisch von der Bundespolizei zusagen, dass die Minder-

jährigen zunächst nicht zurückgeschoben würden. Der tatsächliche Ablauf stellte

sich dann jedoch anders da: Die chinesischen Minderjährigen wurden noch bevor

der Anwalt als Ergänzungspfleger bestellt worden ist nach China ausgeflogen.

Selbst konnten die Minderjährigen dies nicht verhindern: Die unter 16-Jährigen

waren rechtlich nicht befugt, etwa einen Asylantrag zu stellen. Der ältere Jugend-

liche wurde de facto von einer Antragstellung abgehalten. Die chinesischen

Minderjährigen befanden sich in einem rechtsfreien Raum – der Willkür der

Bundespolizei hilflos ausgesetzt. Ihr Schicksal nach ihrer Ankunft in China ist un-

gewiss.

Nach geltender Gesetzeslage dürfen unbegleitete Minderjährige bei dem Versuch, nach

Deutschland einzureisen, an der Grenze zurückgewiesen werden. Erlaubt ist auch die

Zurückweisung von unter 16-Jährigen, die mangels Handlungsfähigkeit z.B. keine Asyl-

anträge im eigenen Namen stellen können. Dies führt zu dem Problem, dass eine

Zurückweisung möglich ist, ohne dass sich der Minderjährige etwa durch einen Asylan-

trag und einen Eilantrag vor Gericht dagegen zur Wehr setzen kann. Ein Vormund (oder

bei über 16-Jährigen ein Ergänzungspfleger) wird ihnen in solchen Situationen nicht ge-

währt.

Die problematische Praxis beruht auf § 80 Abs. 2 AufenthG: Der besagt, dass die man-

gelnde Handlungsfähigkeit eines Minderjährigen seiner Zurückweisung und Zurück-

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■ Verletzte Kinderrechte:

Eine unzutreffende Altersfeststellung führt dazu, dass die KRK und die aus ihr abge-

leiteten Schutzrechte nicht zur Anwendung kommen. Die Praxis verletzt auch Art. 17

Abs. 5 der EU-Asylverfahrensrichtlinie10, die eine ärztliche Altersuntersuchung von der

Einwilligung des Flüchtlings und/oder seines Vertreters abhängig macht und gleich-

zeitig klarstellt, dass eine Verweigerung der Einwilligung alleine nicht zur Ablehnung

des Asylantrags führen darf.

■ Empfehlungen:

§ 49 Abs. 6 S. 2 AufenthG ist zu streichen.

In § 49 AufenthG und in § 16 AsylVfG ist jeweils gleichlautend ein neuer Absatz einzu-

fügen:

»Zur Feststellung der Minderjährigkeit eines Ausländers sind grundsätzlich die An-

gaben des Ausländers zugrunde zu legen. Eine Überprüfung der Angabe findet nur

statt, wenn offenkundige Zweifel an der Richtigkeit der Altersangaben des Ausländers

bestehen. Das Verfahren zur Feststellung des Alters ist auf Grundlage gesicherter medi-

zinischer Erkenntnisse und unter Beachtung der Würde der Betroffenen durch aner-

kannte Fachkräfte (z.B. Kinderärzte, Kinderpsychologen, zusammen mit Vormund und

geschultem Personal) durchzuführen. Der Ausländer ist vor Durchführung des Verfah-

rens umfassend aufzuklären. Es ist nur zulässig, wenn er oder sein gesetzlicher Vertreter

eingewilligt hat. Wird ein Altersfeststellungsverfahren durchgeführt, sind nicht nur

medizinische Feststellungen, sondern auch die psychologischen und pädagogischen

Erkenntnisse zu berücksichtigen. Im Zweifel sind die Angaben des Ausländers als wahr

zu unterstellen. Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit sind unzulässig.«

15

10 Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 01.12.2005

14

3. Altersfeststellung

Mirjam: verstoßen von der Familie, in Deutschland älter gemacht

Mirjam kommt aus einem kleinen Dorf in Äthiopien. Dort wurde sie von mehreren

Jungen vergewaltigt. Einige Zeit lebte sie zurückgezogen bei ihrer Familie – bis

diese entschied, dass sie nicht mehr bei ihnen bleibe könne. Ihre Familie hing

der Vorstellung an, dass das Vergewaltigungsopfer »Schande« über die Familie

bringe. Mirjam floh nach Deutschland. Hier sagte sie, dass sie siebzehn sei – doch

der Mitarbeiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge notierte in den

Akten, dass sie volljährig ist. Keiner fragte sie, wie es kam, dass sie allein geflohen

ist. Eine sensible Anhörung, die auch ihr junges Alter in Rechnung gestellt hätte,

hätte es ihr vielleicht ermöglicht, über das zu sprechen, was ihr in ihrer Heimat

widerfahren war. Aber keiner fragte und Mirjam traute sich nicht, es zu erzählen. Ihr

Asylantrag wurde abgelehnt.

Den Minderjährigenschutz können nur diejenigen in Anspruch nehmen, deren Minder-

jährigkeit von den Behörden anerkannt wird. Deswegen kommt der Feststellung des

Alters eine zentrale Bedeutung zu. In der Praxis wird den Angaben von Flüchtlings-

kindern regelmäßig nicht vertraut. Urkunden und eidesstattliche Versicherungen von

Angehörigen werden bezweifelt, den Einschätzungen der pädagogischen Betreuer

und Psychologen wird kein Gewicht beigemessen. Stattdessen erfolgt eine fiktive

Altersfestsetzung.

Die Praxis der Bundesländer ist unterschiedlich. In Bayern etwa schätzen Mitarbeiter der

Bezirksregierung das Alter aufgrund ihrer angeblichen Erfahrung, in anderen Bundes-

ländern legen Mitarbeiter der Ausländerbehörde bei Zweifeln an dem angegebenen

Alter des jungen Flüchtlings ein fiktives Geburtsdatum fest. Bei der sog. Altersfiktiv-

setzung wird das Geburtsdatum allein aufgrund von äußeren Merkmalen bestimmt,

etwa der Körperbehaarung und des Körperwuchses. Manchmal erfolgen auch radiolo-

gische Untersuchungen der Handwurzeln, der inneren Schlüsselbeine und der Zahn-

wurzeln. Als Rechtsgrundlage wird § 49 AufenthG angeführt, dessen Abs. 6 die Alters-

feststellung durch körperliche Eingriffe erlaubt, sofern der Ausländer das 14. Lebensjahr

vollendet hat. Ausdrücklich ist zudem geregelt, dass Zweifel an der Vollendung des

14. Lebensjahres zu Lasten des Ausländers gehen.

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1716

4. Flughafenverfahren/-transit

Gem. § 18a AsylVfG ist das Flughafenverfahren für Asylsuchende vorgesehen, die sich

nicht mit einem gültigen Pass oder Passersatz ausweisen, sowie für Personen, die aus

einem »sicheren Herkunftsstaat« einreisen.

Mit dem Erlass des damaligen Bundesinnenministers Kanther vom Juli 1994 wurde das

ein Jahr zuvor eingeführte Flughafenverfahren auch auf minderjährige Asylsuchende

angewandt. In den letzten Jahren wurden wieder verstärkt Fälle bekannt, in denen

sogar unter 14-Jährige im Transit festgehalten wurden.

»Deutschland ist Schlusslicht in der EU bei der Beachtung

des Kindeswohls« – Interview von PRO ASYL mit Javad Adineh,

Flughafensozialdienst Frankfurt am Main

Der kirchliche Flughafensozialdienst übt Kritik am Umgang mit unbegleiteten minder-

jährigen Flüchtlingen, denen am Frankfurter Flughafen die Einreise verweigert wird. Sie

werden in Gewahrsam genommen und müssen das sogenannte Flughafenverfahren

durchlaufen. Dieses beschleunigte Asylverfahren findet im Transitbereich des Flug-

hafens statt. Nach der Gesetzesverschärfung im Jahr 2007 dient die Flughafenunter-

kunft auch als Abschiebungshaftanstalt.

PA: Sie arbeiten seit vielen Jahren für den kirchlichen Flughafensozialdienst am

Frankfurter Flughafen. Wie hat sich die Situation der untergebrachten Minderjähri-

ge im Flughafenverfahren in jüngster Zeit entwickelt?

Adineh: Obwohl wir seit Jahren darauf hinweisen, dass die Unterbringung am

Frankfurter Flughafen für Minderjährige nicht geeignet ist, sind die Zahlen der

untergebrachten Minderjährigen konstant hoch geblieben, im Verhältnis zur

Gesamtzahl sogar tendenziell angestiegen. In den letzten fünf Jahren waren hier

400 Minderjährige untergebracht. In mehr als 50 % der Fälle waren sie jünger als

sechzehn Jahre. Seit gut einem Jahr stellen wir fest, dass in Einzelfällen sogar unter

14-Jährige im Flughafentransit länger als vorher festgehalten werden. Dies ist eine

Verschärfung der Praxis, die seit 1999 eigentlich als überwunden galt.

PA: Warum halten Sie die Unterbringung der Minderjährigen im Flughafentransit

für falsch?

Adineh: Die Unterbringung ist für Minderjährige schlicht nicht geeignet. Die Kin-

der und Jugendlichen werden weder ausreichend pädagogisch betreut noch kön-

nen sie zur Schule gehen oder die staatliche Unterstützung erhalten, die ihnen als

Minderjährige zustehen würde. Sie werden zusammen mit Erwachsenen unter-

gebracht. Hinzu kommt, dass seit August letzten Jahres die Unterbringung als

Abschiebungsgewahrsam für abgelehnte Asylbewerber fungiert. So gesehen be-

finden sich die Jugendlichen in einer Haftanstalt. Im letzten Jahr wurde bei einem

15-jährigen Jugendlichen aus Ghana für drei Monate Haft angeordnet. Mit dem

Kindeswohl ist dies nicht vereinbar.

PA: Welchen Einfluss haben die Asylrichtlinien der EU auf die Problematik?

Adineh: Die EU-Richtlinie für die Aufnahmebedingungen sieht einige Standards

vor, die am Frankfurter Flughafen missachtet werden. Jugendliche und Kinder, die

jünger als 16 Jahre sind, dürfen zum Beispiel nicht in einer Einrichtung für Erwach-

sene untergebracht werden. Sie sollen vorrangig bei Verwandten, Pflegefamilien

oder speziellen Einrichtungen für Minderjährige untergebracht werden. Außer-

dem haben Minderjährige nach der Richtlinie einen Anspruch auf Zugang zum

Bildungssystem. Der Schulbesuch darf nicht länger als drei Monate nach Asyl-

antragstellung verweigert werden. In der Praxis hatte dies leider noch keine Konse-

quenzen. Rechtlich gesehen ist das aber nicht hinnehmbar.

PA: Und was ist mit den über 16-Jährigen – dürfen sie wie Erwachsene behandelt

werden?

Adineh: Auch sie haben ein Recht auf Schulunterricht. Die Unterbringung im

Flughafentransit unterschreitet die Standards der meisten anderen Länder der EU.

Die Kommission hat in ihrem Bericht über die Umsetzung der Aufnahmericht-

linie festgestellt, dass nur drei Mitgliedstaaten der Union – Deutschland, Schweden

und Portugal – über 16-Jährige in Erwachseneneinrichtungen unterbringen.

Ich denke, dass Deutschland nicht länger Schlusslicht in der EU bei der Beachtung

des Kindeswohls sein darf. Kinder und Jugendliche müssen raus aus dem Flug-

hafentransit und ihren Bedürfnissen entsprechend behandelt werden.

(Das Interview wurde erstmals im Heft zum Tag des Flüchtlings 2008

von PRO ASYL veröffentlicht.)

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5. Dublin-Verfahren

Zenawi E. – Opfer des Verschiebebahnhofs Europa

Im Oktober 2003 flieht der 17-jährige Zenawi E. aus Eritrea nach Deutschland. Beim

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge äußert der Jugendliche seine Bitte

um Asyl und gibt gleichzeitig an, dass sein Vater sich in Deutschland aufhalte.

Doch das Bundesamt fühlt sich für den 17-Jährigen nicht zuständig. Italien soll den

Asylantrag bearbeiten, da der Jugendliche über italienisches Territorium nach

Deutschland gelangt ist. Es setzt das europäische Verteilverfahren nach der

»Dublin-II-Verordnung« in Gang. Dabei übergeht das Bundesamt Artikel 6 der

Dublin-II-Verordnung. Danach wäre Deutschland für den Asylantrag zuständig,

weil Zenawi noch minderjährig ist und sein Vater rechtmäßig in Deutschland lebt.

Auch humanitäre Gründe, aufgrund derer das Bundesamt freiwillig die eigene Zu-

ständigkeit für das Asylverfahren erklären kann, will das Bundesamt nicht sehen.

Acht Monate vergehen, in denen Zenawi wie ein erwachsener Asylbewerber in

einem Flüchtlingslager untergebracht ist, während der Vater sich um ein Aufent-

haltsrecht für seinen Sohn bemüht. Statt dessen stehen eines Nachts Polizisten an

Zenawis Tür. Die Abschiebung nach Italien steht an. Im Schock springt der Jugend-

liche aus dem Fenster. Dabei verletzt er sich so schwer, dass er mehrere Wochen im

Krankenhaus verbringt. Trümmerbrüche und offene Wunden drohen zum Verlust

eines Beines zu führen. Dies hindert jedoch die Behörden nicht daran, die Abschie-

bung des Jungen quasi auf der Krankenbahre zu vollziehen. Im August 2004 findet

sich Zenawi in einem italienischen Flüchtlingslager wieder: immer noch ohne

seinen Vater und auch ohne die dringend notwendige ärztliche Versorgung.

Weitere Wochen vergehen, in denen PRO ASYL sich gemeinsam mit Zenawis Vater,

seinem Rechtsanwalt und dem in Deutschland behandelnden Arzt bei den verant-

wortlichen Stellen für eine Rückkehr des Jugendlichen einsetzt. Währenddessen

verschlechtert sich die gesundheitliche und psychische Situation des jungen

Eritreers zusehends. Nach einem Vaterschaftstest und einem Antrag auf Familien-

zusammenführung erhält Zenawi schließlich doch noch die Einreisegenehmigung

nach Deutschland, kurz danach endlich auch eine Aufenthaltserlaubnis. Damit hat

ein europäisches Verfahren der abgeschobenen Verantwortung ein Ende gefun-

den. Für die Betroffenen ist dieses Ende freilich nicht nur glücklich: Zenawi wird

eine dauerhafte Gehbehinderung davontragen.

19

■ Verletzte Kinderrechte:

Das Flughafenverfahren widerspricht bei unbegleiteten minderjährigen Asylsuchen-

den dem Grundsatz, dass diese zunächst in Obhut genommen werden müssen und

dass vor Asylantragstellung ein Clearingverfahren durchzuführen ist. Hier sind sowohl

die Rechte als Flüchtlingskind gem. Art. 22 KRK beeinträchtigt als auch das Kindeswohl

gem. Art. 3 KRK (siehe hierzu unten Nr. 6). Es verstößt auch gegen Art. 20 KRK, der in sei-

nem Abs. 1 jedem Kind »den besonderen Schutz und Beistand des Staates« verspricht

und in Abs. 3 eine Unterbringung in einer Pflegefamilie oder einer geeigneten Kinder-

betreuungseinrichtung verlangt. Im Flughafentransit ist auch das Recht auf Bildung

gem. Art. 28 KRK nicht gewahrt. Aber auch für begleitete Minderjährige ist das Flug-

hafenverfahren unter Gesichtspunkten des Kindeswohls nicht hinnehmbar. Die Tran-

situnterkunft stellt eine Erwachsenunterbringung dar, die für Minderjährige keinen

hinreichenden Schutz garantiert. Die Transitunterbringung ist eine – zumindest – haft-

ähnliche Unterbringung, die nach Art. 37 KRK nur als »letztes Mittel« zulässig ist. Da eine

Unterbringung in Kinderbetreuungseinrichtungen möglich ist, sind mildere Mittel vor-

handen, so dass ein Verstoß gegen Art. 37a, b KRK vorliegt. Auch bei einer Einreise auf

dem Land- oder Seeweg ist die kindgerechte Behandlung nicht immer gewährleistet.

■ Empfehlungen:

In § 18 AsylVfG, der die Aufgaben der Grenzbehörden regelt, sollte ein neuer Abs. 2 ein-

gefügt werden. Die nachstehenden Absätze verschieben sich um eine Ziffer. Der neue

Absatz lautet:

»(2) Ist der schutzsuchende Ausländer noch minderjährig, ist er in Zusammenarbeit mit

der zuständigen Jugendschutzbehörde unverzüglich gemäß § 42 Abs. 1 Nummer 3

SGB XIII in Obhut zu nehmen. Von Maßnahmen gemäß den Absätzen 3, 4 und 6 ist ab-

zusehen.«

In § 18a Abs. 6 AsylVfG wird eine Nr. 5 eingefügt:

»5. es sich um einen Minderjährigen handelt. Wird der Minderjährige von seinen Eltern,

Großeltern, volljährigen Geschwistern oder sonstigen nahen Familienangehörigen be-

gleitet, ist auch diesen die Einreise zu gestatten.«

18

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2120

Die Dublin II-Verordnung der EU legt die Zuständigkeit des Mitgliedstaates für das Asyl-

verfahren fest. Nur wenige Regelungen tragen den besonderen Bedürfnissen von Min-

derjährigen Rechnung. So sollen unbegleitete Minderjährige, wenn möglich, mit ihren

Familienangehörigen zusammengeführt werden, nach Art. 6 Dublin II-VO. Wenn dies

nicht möglich ist, ist der Ort der Asylantragstellung entscheidend für die Zuständigkeit.

Kinder und Eltern werden auf der Flucht oft getrennt. Den hier ankommenden Kindern

ist der Verbleib der Eltern nicht bekannt. Nur selten wird in der Praxis nach den Famili-

enangehörigen gesucht. Wird die Zuständigkeit eines anderen europäischen Staates

festgestellt, etwa weil das Kind unterwegs einen Asylantrag gestellt hat oder ein solcher

fingiert wird (wie dies in manchen EU-Staaten nach einem Aufgriff Praxis ist), werden

Minderjährige in den »zuständigen« Mitgliedstaat auch gegen ihren Willen und ohne

Kenntnis des Aufenthaltsorts der Eltern zurückgeführt. Dies ist ebenso wenig akzep-

tabel wie die Anordnung von Haft zur Sicherstellung der Überstellung.

Die Dublin II-VO bietet mit Art. 3 Abs. 2 die Möglichkeit, die Zuständigkeit auch ohne

besondere Voraussetzungen an sich zu ziehen. Davon wird jedoch zu selten Gebrauch

gemacht.

■ Verletzte Kinderrechte:

Abschiebungen sind ein schwerer Eingriff und wirken nicht selten traumatisierend.

Wenn die Abschiebung in Länder stattfindet, in denen Kindern keine adäquate Unter-

bringung und Jugendfürsorge gewährt wird, stellen die Dublin-Überstellungen eine

Gesundheits- und Kindeswohlgefährdung dar, die mit Art. 24, Art. 19 und Art. 3 KRK

nicht zu vereinbaren sind.

Soweit nur unzureichend der Versuch unternommen wird, Familienangehörige des

Kindes ausfindig zu machen, stellt dies einen Verstoß gegen Art. 22 KRK dar.

■ Empfehlungen:

Durch eine Änderung des § 27a AsylVfG wird sichergestellt, dass im Zweifel das Asyl-

verfahren in Deutschland durchgeführt wird. Es werden neue Absätze 2, 3 und 4 in

§ 27a AsylVfG eingefügt:

»(2) Absatz 1 kommt nicht zur Anwendung, wenn es sich um den Asylantrag eines Min-

derjährigen handelt. Nach Angehörigen des Minderjährigen wird sowohl in Deutsch-

land als auch in anderen Staaten im Sinne von Absatz 1 intensiv gesucht.

(3) Wird die Anwesenheit von Eltern oder sonstigen sorgeberechtigten Personen in

einem anderen Staat im Sinne von Absatz 1 festgestellt, ist die Familienzusammen-

führung zu ermöglichen, sofern dem nicht das Kindeswohl entgegensteht.

(4) Werden die Eltern oder sonstige sorgeberechtigte Personen in einem anderen Staat

im Sinne von Absatz 1 nicht gefunden, wird das Asylverfahren in Deutschland durch-

geführt, sofern der Minderjährige dies wünscht.«

6. Clearingstellen und Unterbringung

von unbegleiteten Minderjährigen

Gem. § 42 Abs. 1 Nr. 3 SGB VIII ist das Jugendamt berechtigt und verpflichtet, ein Kind

oder einen Jugendlichen in seine Obhut zu nehmen, wenn ein ausländisches Kind oder

ein ausländischer Jugendlicher unbegleitet nach Deutschland kommt und sich weder

Personensorge- noch Erziehungsberechtigte im Inland aufhalten.

§ 42 Abs. 3 Satz 4 SGB VIII sieht vor, dass im Fall des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 3 unverzüglich

die Bestellung eines Vormunds oder Pflegers zu veranlassen ist.

Diese Regelungen werden ergänzt durch Vorschriften der EU-Aufnahmerichtlinie11, die

allerdings bisher noch nicht vollständig ins innerstaatliche Recht umgesetzt wurden.

Art. 19 Abs. 2 Aufnahmerichtlinie bestimmt, dass asylsuchende unbegleitete Minder-

jährige nach folgender Rangordnung aufgenommen und untergebracht werden soll-

ten:

– primär bei erwachsenen Verwandten,

– wenn dies nicht möglich ist, dann in einer Pflegefamilie.

Erst dann, wenn eine Unterbringung in einer Pflegefamilie nicht möglich ist, sollen die

Kinder und Jugendlichen in Aufnahmezentren untergebracht werden, die jedoch im

Hinblick auf die Aufnahme und Betreuung von Minderjährigen spezialisiert sein müs-

sen bzw. in anderen für Minderjährige geeigneten, dem Wohl des Kindes entsprechen-

den Unterkünften, in denen jeweils im Sinne von Art. 19 Abs. 4 der Aufnahmerichtlinie

eine Betreuung des Kindes durch ausgebildetes Personal gewährleistet ist.

11 RL 2003/9/EG des Rates vom 20. Juli 2001

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■ Empfehlungen:

In § 80 AufenthG wird als neuer Abs. 4 eingefügt:

»(4) Hält sich ein Kind ohne seine Eltern oder eine sonst sorgeberechtigte Person im

Bundesgebiet auf, ist es einer Jugendhilfeeinrichtung als Clearingstelle zuzuführen. Die

Clearingstelle klärt ab, ob das Kind seinen Eltern oder anderen sorgeberechtigten

Personen zugeführt werden soll und welche sonstigen Maßnahmen zum Kindeswohl

erforderlich sind. Die Clearingstelle leitet die erforderlichen Maßnahmen ein. Solange

kein Vormund oder Betreuer bestellt ist, ordnet das Jugendamt dem Kind einen Rechts-

anwalt als Vertreter bei; danach kann ihm ein Rechtsanwalt beigeordnet werden. Die

Vorschriften über die Gewährung von Prozesskostenhilfe gelten entsprechend.

Wird das Kind während des Clearingverfahrens volljährig, ist das Verfahren gleichwohl

fortzuführen. Die für erforderlich gehaltenen Maßnahmen sind einzuleiten.

In § 81 AufenthG wird ein Abs. 6 angefügt:

»(6) Ist ein Kind zum Aufenthalt in einer Clearingstelle berechtigt (§ 80 Absatz 4), gilt

sein Aufenthalt ab der Meldung bei der Ausländerbehörde oder einer anderen Behör-

de bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde oder der Stellung eines Asylantrages als

erlaubt.«

In § 53 AsylVfG wird ein neuer Abs. 2 eingefügt, der lautet:

»(2) Minderjährige dürfen nicht in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden.«

Als Folgeänderungen sind die Absätze neu zu nummerieren und ist im bisherigen

Abs. 2 S. 3 des § 53 AsylVfG zu streichen: »und die minderjährigen Kinder«.

23

Die Bundesregierung lehnt die Umsetzung dieser EU-Norm für 16- und 17-Jährige ab

und beruft sich darauf, dass die Richtlinie es den Mitgliedstaaten erlaubt, abweichend

von der obigen Rangfolge Minderjährige ab sechzehn Jahren in Aufnahmezentren für

erwachsene Asylbewerber unterzubringen. Die Bundesregierung blendet jedoch aus,

dass die Ausnahme für 16- und 17-Jährige nur auf Druck Deutschlands aufgenommen

wurde, um die durch die Vorbehaltserklärung zur KRK geprägte deutsche Praxis auch

unter der Richtlinie fortsetzen zu können. Da mit der Rücknahme der Vorbehalte zur

KRK nun auch der volle Schutz für Minderjährige bis zur Volljährigkeit zu gewähren ist,

gibt es in Deutschland keinen Grund mehr, von den in der Aufnahmerichtlinie vorge-

sehenen Ausnahmen Gebrauch zu machen.

In der Praxis reichen die vorhandenen Regelungen zur Durchsetzung des Kindeswohls

nicht aus. In manchen Bundesländern finden keine Clearingverfahren statt.12

Weiterhin werden unbegleitete MInderjährige im Alter von sechzehn und siebzehn

Jahren in Gemeinschaftsunterkünften, die ohne Betriebserlaubnis nach Vorgabe SGB

VII betrieben werden, in Obhut genommen. In Unterkünften für Erwachsene ist ein

Schutz der Kinder vor Situationen, in denen Alkohol- und Drogenmissbrauch, Prostitu-

tion, körperliche Auseinandersetzungen und eine Dominanz der Erwachsenen prägend

sein können, nicht gewährleistet. Problematisch ist eine Unterbringung in solchen Ein-

richtungen, weil sie oftmals keinen Rückzug ermöglichen, da in der Regel nur Mehr-

bettzimmer vorgesehen sind.

■ Verletzte Kinderrechte:

Das Kindeswohl gem. Art. 3 KRK ist nicht gewährleistet, wenn kein Clearingverfahren

durchgeführt wird. Während des Clearingverfahrens bedarf es einer aufenthaltsrechtli-

chen Sicherheit. Eine Gefährdung des Kindeswohls, insbesondere der körperlichen und

seelischen Unversehrtheit, liegt vor, wenn eine Unterbringung von Minderjährigen mit

Erwachsenen erfolgt.

22

12 3. und 4. Staatenbericht zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention, S. 37 ff.

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7. Asylverfahren

Die geltende Praxis bei der Durchführung von Asylverfahren wird der speziellen Lage

von Minderjährigen nicht gerecht. Sie verstehen oft die Bedeutung der Anhörung

nicht, insbesondere wenn sie mehrfach befragt werden, und wissen nicht, welche An-

gaben relevant sind. Nicht wenige sind traumatisiert und von Angst erfüllt. Die Teil-

nahme des Vormunds oder Betreuers an behördlichen oder gerichtlichen Terminen ist

nicht gewährleistet. Die Anhörungen werden oft nicht kindgerecht durchgeführt.

Das Asylverfahren: weit von einem kindeswohlgerechten Ablauf entfernt

Niels Espenhorst vom Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge

sieht einige Fortschritte im Umgang mit den sog. UMF – so sei etwa die Sensibilität

beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge für das Thema Kindersoldaten ge-

stiegen. Dennoch sei das Asylverfahren in Deutschland weit von einem konse-

quent kindeswohlgerechten Ablauf entfernt: »Auch die Umstände der Anhörung

sind noch nicht überall auf die Bedürfnisse und Fähigkeiten von Jugendlichen aus-

gerichtet. Und auch hier kommt erschwerend hinzu, dass viele Jugendliche nur

schwer verstehen, wofür das Bundesamt zuständig ist und was vorgetragen wer-

den muss.

Eine empirische Studie des Bundesfachverbands UMF zu Vormundschaften zeigt

beispielsweise, dass die jungen Flüchtlinge auch nach längerem Aufenthalt nicht

wissen, was ihr Vormund eigentlich macht, und von wem er bezahlt wird (Ver-

mutung: Vereinte Nationen). Diese Unklarheit wird verstärkt, wenn die Jugendli-

chen an verschiedenen Stellen mehrfach ihre Geschichte wiederholen müssen,

und wenn die Anhörung beim Bundesamt eine unter vielen ist.«

(Vortrag auf den Nürnberger Tagen zum Asyl- und Ausländerrecht 2010)

■ Verletzte Kinderrechte:

Art. 12 KRK gewährleistet das Recht des Kindes, sich zu allen es berührenden Angele-

genheiten frei zu äußern und gehört zu werden, insbesondere in allen es betreffenden

Gerichts- und Verwaltungsverfahren. Dementsprechend sieht die Asylverfahrensricht-

linie in Art. 17 Abs. 1 die umgehende Bestellung eines gesetzlichen Vertreters für den

unbegleiteten Minderjährigen vor, der diesen »bei Prüfung des Antrags vertritt

und/oder unterstützt« (Art. 17 Abs.1a), ihn über die Bedeutung und Möglichkeit seiner

persönlichen Anhörung aufklärt und vorbereitet (Art. 17 Abs. 1b) und gleichzeitig das

Anwesenheits-, Frage- und Rederecht des Vertreters vorschreibt (Art. 17 Abs. 1b).

■ Empfehlungen:

§ 17 AsylVfG ist zu erweitern. Die Überschrift lautet: »Sprachmittler und gesetzlicher

Vertreter«. In Abs. 3 wird angefügt: »Ist der Ausländer minderjährig, ist bei der An-

hörung und bei den Maßnahmen nach § 16 ein gesetzlicher Vertreter hinzuzuziehen,

soweit es sich nicht um unaufschiebbare Maßnahmen handelt.«

In § 24 Abs. 1 AsylVfG ist ein Satz 6 einzuführen: »Ist der Ausländer minderjährig, hat die

Anhörung in Anwesenheit des gesetzlichen Vertreters oder Beistands zu erfolgen, so-

fern dieser nicht schriftlich erklärt hat, dass die Anhörung ohne ihn stattfinden soll.«

§ 25 Abs. 1 AsylVfG ist um einen Satz 3 zu ergänzen: »Ist der Ausländer minderjährig, hat

die Anhörung in einer altersgemäßen Form zu erfolgen; die Schutzrechte für Minder-

jährige gemäß der UN-Kinderrechtskonvention sind zu beachten.«

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8. Soziale Teilhabe: AsylbLG, Unterbringungssituation

und Residenzpflicht

Aufgewachsen im Lager: Die Kinder von Ali A.

Die Kinder von Ali A. wachsen in einer »Gemeinschaftsunterkunft« für Flüchtlinge

auf. Ihre Eltern kamen vor 12 Jahren nach Deutschland. Mit ihnen leben Fatima

(11), Rabab (8), Fuat (4) und Dana (1) in einem einzigen Zimmer, das neben vielen

anderen von einem langen Flur abgeht. In diesem Zimmer wird geredet, gestritten,

für die Schule gelernt, ferngesehen, gespielt, gegessen, geschlafen. Zwei Mal in der

Woche erhält die Familie Lebensmittelgutscheine und einen monatlichen Bar-

betrag von etwa je 40 Euro für Vater und Mutter und je 20 Euro für die Kinder –

Geld, von dem vor allem die Asylrechtsanwältin bezahlt werden muss. Die sa-

nitären Einrichtungen befinden sich außerhalb des Privatbereichs der Familie eine

Etage tiefer, sechs Toiletten sind dort für insgesamt 50 Hausbewohner/innen. Das

Haus liegt zwischen einem ausgedienten Gewerbegelände und freiem Feld, durch

eine Bundesstraße vom Wohngebiet getrennt.

Asylsuchende, Kinder von Asylsuchenden, Geduldeten oder Personen mit bestimmten

humanitären Aufenthaltserlaubnissen fallen unter das Asylbewerberleistungsgesetz

(AsylbLG). Dort liegen die Regelleistungen mehr als ein Drittel unter den entsprechen-

den Hartz-IV-Sätzen. Für sechsjährige Kinder ist die Diskrepanz am größten: Sie erhalten

monatlich Leistungen in Höhe von 132 Euro, das sind ganze 47 % weniger als der Re-

gelsatz eines gleichaltrigen Kindes nach Hartz-IV (251 Euro). Ausgegeben werden die

Leistungen überdies oft als »Sachleistungen« – in Form von Essenspaketen, Altkleidern

oder Gutscheinen, was weitere Einschränkungen mit sich bringt. Rund 88.00013

Menschen in Deutschland lebten zum Stichtag 31.12.2008 von eingeschränkten Sozial-

leistungen nach AsylbLG, 28.000 der Betroffenen waren Minderjährige. Die Zahlen sind

zum Stichtag 31.12.2009 leicht – um ca. 5 % - zurückgegangen.14 Das sog. Sachleis-

tungsprinzip führt dazu, dass über 16-Jährige oft in Sammelunterkünften unterge-

26

13 Statistisches Bundesamt, Stand Ende 2008. Diese Zahlen beziffern nur einen Teil der potenziell

Betroffenen: Insgesamt fallen rund 128.000 Flüchtlinge und Geduldete unter das AsylbLG,

rund 40.000 Menschen davon erhalten inzwischen Leistungen „analog“ SGB XII. Auch diese

Leistungen werden vielfach – möglicherweise rechtswidrig – als Sachleistungen in Gemein-

schaftsunterkünften gewährt.

14 Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr.344 vom 27.09.2010, siehe www.destatis.de

bracht sind (selbst wenn sie unbegleitet sind); in Begleitung der Eltern werden sie wie

diese in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht. Etwa 10.000 Kinder in Deutschland

leben auf engstem Raum mit Eltern und Geschwistern in Aufnahmeeinrichtungen und

Sammelunterkünften. Weiterhin unterliegen auch Minderjährige der sogenannten

Residenzpflicht. Gem. § 56 AsylVfG ist einem Asylbewerber der Aufenthalt nur in dem

Bezirk bzw. Landkreis gestattet, in dem die für ihn zuständige Ausländerbehörde liegt.

Für Geduldete ist gem. § 61 AufenthG der Aufenthalt zunächst nur auf das jeweilige

Bundesland beschränkt, kann aber durch weitere Auflagen zusätzlich eingeschränkt

werden.

Nicht in allen Bundesländern besteht eine Schulpflicht für Flüchtlingskinder15, was

dazu führen kann, dass Anträge auf Schulbesuch abgelehnt werden. Die Berufsschul-

pflicht wird nur von einigen Bundesländern bejaht.

Das Recht auf Kindergartenbesuch besteht für Kinder ohne Papiere nicht, weil nach

§ 6 SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfegesetz) Ausländer nur dann Anspruch auf Leistun-

gen haben, wenn sie sich rechtmäßig oder ausgestattet mit einer Duldung in Deutsch-

land aufhalten.

Das AsylbLG und die Residenzpflicht bewirken, dass Flüchtlingskinder in Deutschland

unter Bedingungen heranwachsen, die ihnen elementare Bildungs- und Lebenschan-

cen vorenthalten, sie von Gleichaltrigen isolieren und ihnen gesellschaftliche Ableh-

nung signalisieren. In einer abseits gelegenen Unterkunft, in großer Armut und ohne

Bargeld ist eine Teilnahme am sozialen Leben nicht möglich.

■ Verletzte Kinderrechte:

Die Lebensbedingungen von Flüchtlingskindern widersprechen dem Recht auf Bildung

nach Art. 28 KRK. Sie stehen nicht im Einklang mit Art. 27 KRK, wonach jedes Kind ein

Recht auf einen seiner körperlichen, geistigen, seelischen, sittlichen und sozialen Ent-

wicklung angemessenen Lebensstandard hat. Ebenso wird die gem. Art. 26 KRK garan-

tierte soziale Sicherheit nicht gewährleistet. Schließlich gefährden in vielen Fällen die

Lebensbedingungen unter dem AsylbLG das Kindeswohl und stellen eine Verletzung

des Diskriminierungsverbotes dar.

15 Committee on the Elemination of Racial Discrimination, Concluding observations,

22 September 2008.

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■ Empfehlungen:

Das Asylbewerberleistungsgesetz darf nicht auf Kinder angewandt werden; hierzu ist

§ 1 AsylbLG ein Abs. 4 anzufügen, der wie folgt lautet:

»(4) Minderjährige sind nicht leistungsberechtigt. Sie erhalten Leistungen nach SGB XII,

sofern nicht Leistungen nach anderen Gesetzen vorrangig sind.«

Als Folgeänderungen sind Streichungen in § 1 Abs. 1 Nr. 6, § 3 Abs. 1 S. 4, § 3 Abs. 2 S. 2

Nr. 2 u.3, § 6 Abs. 2 AsylbLG (»unbegleitete Minderjährige«) vorzunehmen, § 2 Abs. 3

AsylbLG ist insgesamt zu streichen.

Minderjährige dürfen nicht in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden.

Deshalb wird – wie bereits oben (unter Nr. 6) vorgeschlagen - in § 53 AsylVfG ein neuer

Abs. 2 eingefügt, der lautet:

»(2) Minderjährige dürfen nicht in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden.«

Als Folgeänderungen sind die Absätze neu zu nummerieren und ist im bisherigen

Abs. 2 S. 3 des § 53 AsylVfG zu streichen: »und die minderjährigen Kinder«.

Auch die Residenzpflicht für Minderjährige ist zu streichen. Deshalb wird in § 56 Abs. 1

AsylVfG ein Satz 2 eingefügt, der lautet:

»(1) 2 Dies gilt nicht für Minderjährige.«

In § 61 AufenthG wird sowohl in Abs. 1 als auch in Abs. 1a jeweils ein zweiter Satz ein-

gefügt, der lautet:

»(1) 2 Dies gilt nicht für Minderjährige.«

28

9. Kinder- und Jugendhilfe / Gesundheitsversorgung

Wenn nicht ein Jugendhilfebedarf bejaht wurde, unterliegen auch Jugendliche der

eingeschränkten Gesundheitsversorgung gem. § 4 AsylbLG. Danach besteht nur bei

akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen ein Anspruch auf medizinische Behand-

lung. Insbesondere bei chronischen Krankheiten ist eine Behandlung nur schwer zu

erreichen. Auch psychotherapeutische Behandlungen werden nur selten gewährt.

■ Verletzte Kinderrechte:

Die medizinische Notversorgung widerspricht Art. 24 Abs. 1 KRK, wonach das erreich-

bare Höchstmaß an Gesundheit gewährleistet wird. Weiterhin ist das Kindeswohl ge-

fährdet und es liegt eine Diskriminierung vor.

■ Empfehlungen:

Durch die vorgeschlagene Herausnahme von Kindern und Jugendlichen aus dem

Geltungsbereich des AsylbLG (s. o.) ist das Problem gelöst.

Im SGB VIII ist klarzustellen, dass auch ausländische Kinder, unabhängig von ihrem

Status, einen Anspruch haben auf Gewährung von Kinder- und Jugendhilfe, auf Teil-

habe (ggf. kostenlos) am Gesundheitssystem und Gewährung therapeutischer Hilfen.

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31

10. Familieneinheit mit Familienangehörigen

Kinderodyssee

Die yezidischen Eheleute M. fliehen 2001 mit einem schwer behinderten Sohn vor

der Verfolgung durch Saddam Husseins Schergen nach Deutschland. Vier halb-

wüchsige Kinder müssen sie bei der überstürzten Flucht in der Obhut von Ver-

wandten zurücklassen. Im Asylverfahren wird Burhan M. 2002 als Flüchtling aner-

kannt. Die Eheleute atmen auf und bereiten den Nachzug ihrer Kinder vor. Doch

die deutsche Botschaft in Syrien lehnt – rechtswidrig – den Visumsantrag der Kin-

der ab. Der Nachzug der Kinder wird zum Spießrutendauerlauf: Nicht weniger als

drei Mal werden sie zwischen 2004 und 2008 aus den deutschen Botschaften in

Syrien und später Jordanien, zurück in das Bürgerkriegsgebiet Irak geschickt. Die

Botschaft in Amman verlangt von den Minderjährigen immer neue Papiere und

Nachweise. Schließlich behauptet sie im Juni 2008, ihre Ausweise seien gefälscht.

Psychisch völlig am Ende organisiert und bezahlt die Familie einen Gentest, der die

Verwandtschaft belegt. Im November 2008 können die Eheleute M. ihre Kinder in

die Arme schließen – nach sieben Jahren Trennung und vier Jahre, nachdem sie

das Recht auf erleichterten Kindernachzug erhielten.

Das Recht auf Familiennachzug ist für anerkannte Flüchtlinge gewährleistet. Wird der

Elternnachzug zu Flüchtlingen gestattet, erklären manche Auslandsvertretungen und

Ausländerämter vorab, dass die Eltern, nachdem ihre Kinder die Volljährigkeit erreicht

haben, wieder zurückkehren müssen.

Ein Familiennachzug ist für subsidiär Schutzberechtigte oder Personen mit einem

humanitären Aufenthaltsstatus nur sehr schwer zu erreichen. § 29 Abs. 3 S. 3 AufenthG

verbietet einen Elternnachzug, wenn das Kind nur im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis

nach § 25 Abs. 4 bis 5 oder § 104a Abs. 1 S. 1 und § 104b AufenthG ist. Erst mit Erreichen

der Niederlassungserlaubnis besteht theoretisch die Möglichkeit des Familiennach-

zugs. Dann allerdings ist – nach in der Regel 7-jähriger Wartezeit – oftmals die Voll-

jährigkeit eingetreten, so dass aus diesem Grund kein Anspruch auf Familiennachzug

mehr besteht. Ist das Kind im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach §§ 22, 23 Abs. 1

oder 25 Abs. 3 AufenthG findet ein Elternnachzug ebenfalls nur unter eingeschränkten

Voraussetzungen statt, nämlich dann, wenn völkerrechtliche oder humanitäre oder

politische Gründe vorliegen. In der Praxis wird dies selten zugunsten der Minderjähri-

gen angenommen.

30

Ein Kindernachzug scheitert, wenn geschiedene oder nicht verheiratete Elternteile

nicht das alleinige Sorgerecht im deutschen Sinne haben. Denn das deutsche Recht

verlangt ein gemeinsames Sorgerecht, das manche Staaten (im deutschen Sinne) nicht

kennen. Die Rechtsprechung16 gestattet in diesen Fällen einen Kindernachzug nur bei

Vorliegen einer »außergewöhnlichen Härte« gemäß § 36 AufenthG – und die wird fast

immer verneint.

Selbst wenn eine Familienzusammenführung ermöglicht wird, scheitert diese nicht sel-

ten an den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen der Lebensunterhaltssicherung

und dem Vorliegen von ausreichendem Wohnraum. Im Ergebnis findet der Familien-

nachzug in vielen Fällen nicht statt. Darüber hinaus ist das Verfahren sehr bürokratisch

und dauert oft viele Monate.

■ Verletzte Kinderrechte:

Diese Situation widerspricht Art. 10 Abs. 1 KRK, wonach eine wohlwollende, humane

und beschleunigte Bearbeitung von Anträgen auf Familienzusammenführung ge-

währleistet wird.

■ Empfehlungen:

Der Deutsche Anwaltsverein hat schon im Februar 2010 Vorschläge gemacht, wie die

Familieneinheit von Kindern mit ihren Angehörigen durch Ergänzungen des AufenthG

verbessert werden kann. Diesen Vorschlägen schließen wir uns weitgehend an.

Folgende Änderungen sollten erfolgen:

Dem § 32 Abs. 3 AufenthG ist ein Satz 2 anzufügen, der lautet:

»Von dem Erfordernis der alleinigen Sorgeberechtigung kann abgesehen werden,

wenn die Eltern nicht oder nicht mehr verheiratet sind; hiervon ist abzusehen, wenn

nach dem ausländischen Recht ein alleiniges Sorgerecht zugesprochen wurde, auch

wenn dies vom Umfang her nicht dem deutschen Sorgerecht entspricht.«

Es wird ein neuer § 32 Abs. 3 S. 2 AufenthG eingeführt:

»Beim Nachzug von Eltern zu einem minderjährigen Kind ist § 31 entsprechend anzu-

wenden.«

16 BVerwG vom 28.08.2008, 1 C 31.07 und vom 07.04.2009, 1 C 17.08

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3332

Es wird ein neuer § 32 a AufenthG eingeführt:

»Die Aufenthaltserlaubnis ist dem ausländischen Elternteil eines Kindes abweichend

von § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 zu erteilen, wenn eine schutzwürdige familiäre Gemein-

schaft im Bundesgebiet gelebt wird und es unzumutbar ist, den Ausländer und das

Kind darauf zu verweisen, die Lebensgemeinschaft im Ausland zu leben. § 5 Abs. 1 Nr. 2

steht der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nur entgegen, wenn das persönliche Ver-

halten des Ausländers eine schwerwiegende, tatsächliche und gegenwärtige Gefahr

darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Die Aufenthaltserlaubnis be-

rechtigt zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit.«

Es wird ein neuer § 32 b AufenthG eingeführt:

»(1) Dem Elternteil eines minderjährigen ledigen Kindes, welches auf nicht absehbare

Zeit mit einem Aufenthaltstitel nach dem fünften Abschnitt im Bundesgebiet lebt [und

welches zum Zeitpunkt der Antragstellung das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet

hat], ist zur Herstellung und Wahrung einer schutzwürdigen familiären Gemeinschaft

eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.

(2) Von den Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 3 wird abgesehen. Die Ertei-

lung der Aufenthaltserlaubnis ist ausgeschlossen, wenn das persönliche Verhalten des

Elternteils eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellt, die ein

Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

(3) Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit.«

11. Humanitärer Abschiebungsschutz

Die Abschiebungsverbote des § 60 AufenthG setzen eine politische oder menschen-

rechtliche Verfolgung von erheblichem Gewicht voraus. Verlangt ist eine konkrete Ge-

fährdung an Leib und Leben. Sonstige Beeinträchtigungen, auch wenn sie schwerwie-

gender Art sind, führen regelmäßig nicht zur Gewährung von Abschiebungsschutz. Der

besonderen Situation von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen wird die gesetz-

liche Regelung nicht immer gerecht.

■ Verletzte Kinderrechte:

Die kinderspezifischen Freiheitsrechte der KRK – Recht auf Leben (Art. 6), Recht auf

Achtung der Identität und der Familienbeziehungen (Art. 8), Meinungs- und Informa-

tionsfreiheit (Art. 13), Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Art. 14), Minderhei-

tenrechte (Art. 37), die allgemeinen Leistungsgarantien, etwa das Recht auf Förderung

bei Behinderungen (Art. 23), Gesundheit (Art. 24), Bildung (Art. 28) oder Schutz vor wirt-

schaftlicher Ausbeutung (Art. 32) – sind in vielen Staaten nicht gewährleistet. Im Fall

einer Abschiebung droht eine Verletzung dieser Rechte. Art. 22, der die Rechtsstellung

von Flüchtlingskindern regelt, garantiert dem elternlosen Kind dieselben Schutzge-

währungen wie jedem anderen Kind, das dauernd oder vorübergehend aus seiner

familiären Umgebung herausgelöst ist. Kann die Inanspruchnahme der Rechte aus der

KRK im Herkunftsland nicht sichergestellt werden, muss dies ein Abschiebungsverbot

begründen.

■ Empfehlungen:

§ 60 AufenthG wird ein Abs. 12 angefügt, der lautet:

»(12) Ein minderjähriger Ausländer darf nicht abgeschoben werden, wenn die Eltern

oder andere zur Sorge fähige und bereite enge Familienangehörige nicht ausfindig

gemacht werden können und dem Minderjährigen im Herkunftsstaat eine Verletzung

seiner Rechte aus der UN-KRK droht.«

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■ Empfehlungen:

Es wird ein neuer § 25 Abs. 6 AufenthG eingefügt:

»Einem ausreisepflichtigen Ausländer wird eine Aufenthaltserlaubnis erteilt, wenn er im

Zeitpunkt seiner Einreise nach Deutschland minderjährig war und sich mindestens zwei

Jahre in Deutschland aufgehalten hat.«

13. Kinder ohne Papiere

Die Situation von Kindern, die nicht einmal eine Duldung besitzen, sondern völlig ohne

Papiere in Deutschland leben, ist besonders bedenklich. Aus Angst vor der Abschie-

bung schrecken ihre Eltern davor zurück, sie in die Schule oder zu einem Arzt oder in ein

Krankenhaus zu schicken. Denn die Abschiebung könnte wegen der Datenübermitt-

lungspflichten die Folge sein. Der Gesetzgeber hat nun Schulen und andere Bildungs-

einrichtungen von den Übermittlungspflichten ausgenommen. Dies könnte dazu

führen, dass zumindest der Schulbesuch ermöglicht wird. Für andere staatliche Einrich-

tungen, wie etwa Krankenhäuser, gelten die Übermittlungspflichten jedoch fort. Insge-

samt bleibt das Leben in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität geprägt von der Angst

vor der Entdeckung und Abschiebung. Die psychische Belastung eines solchen Lebens,

aber auch die materielle Armut ist bei diesen Kinder besonders hoch.

■ Verletzte Kinderrechte:

Kindern, die in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität leben, werden aus diesem Grund

fundamentale Menschenrechte faktisch versagt. Neben dem Recht auf eine eigene

Identität (Art. 8 KRK), dem Recht auf eine ausreichende Gesundheitsversorgung (Art. 24

KRK), auf Zugang zur Bildung (Art. 29 KRK), auf soziale Sicherheit (Art. 26 KRK) und auf an-

gemessene Lebensbedingungen (Art. 27 KRK) wird das Kindeswohl (Art. 3 KRK) massiv

gefährdet.

■ Empfehlungen:

Die Übermittlungspflichten nach § 87 Abs. 2 AufenthG sind ersatzlos zu streichen.

Kinder ohne Papiere müssen in die geltende und künftige Bleiberechtsregelung für

geduldete Minderjährige mit einbezogen werden.

3534

12. Bleiberecht

Vater straffällig geworden: sechs Kinder vom Bleiberecht ausgeschlossen

Das Ehepaar P. flieht im August 1992 aus dem Kosovo nach Deutschland. Zwischen

1993 und 2006 kommen sechs Kinder hier zur Welt. Anträge auf Aufenthaltser-

laubnisse nach der Bleiberechtsregelung scheitern daran, dass Herr P. in Deutsch-

land straffällig wurde und der Lebensunterhalt für die Familie nicht gesichert ist.

Die Kinder sollen somit für die Verfehlungen ihres Vaters bestraft werden. Sie

haben Kosovo noch nie gesehen, sprechen Deutsch besser als die Sprache ihrer

Eltern und würden aus ihrem gewohnten Umfeld und Freundeskreis herausge-

rissen.

Am 17.11.2006 hat die Konferenz der Landesinnenminister eine Bleiberechtsregelung

verabschiedet. Ihr folgte eine gesetzliche Altfallregelung, die im Rahmen des Richt-

linienumsetzungsgesetzes vom Gesetzgeber beschlossen wurde und am 28.8.2007 in

Kraft trat. Beide Regelungen haben nicht dazu geführt, dass der überwiegende Teil der

langjährig Geduldeten einen Aufenthaltsstatus erhielt, der sie vor Abschiebung schützt.

Restriktiv gefasste Ausschlussgründe und die Festlegung auf einen Einreisestichtag

ließen viele Geduldete von vorneherein ohne Chance auf ein dauerhaftes Bleiberecht.

Junge Flüchtlinge werden durch einen über Jahre andauernden ungesicherten Aufent-

halt desorientiert und in ihrer Entwicklung gehemmt und geschädigt. Der neu ein-

geführte § 25a AufenthG ermöglicht zwar eine Aufenthaltssicherung für qualifizierte

geduldete Jugendliche. Die Anforderungen – sechsjähriger »erfolgreicher« Schul-

besuch in einem bestimmten Alterskorridor grenzt jedoch eine große Zahl von minder-

jährigen Duldungsinhabern von vornherein aus.

■ Verletzte Kinderrechte:

Die Vorenthaltung eines legalen Aufenthaltsstatus trotz Verwurzelung in die hiesige

Gesellschaft verletzt Art. 16 KRK, wonach ähnlich wie in Art. 8 EMRK der Schutz der

Privatsphäre garantiert ist.

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37

14. Ausweisung

Nach geltender Rechtslage kann ein Minderjähriger oder junger Erwachsener gem. § 55

Abs. 2 Nr. 7 AufenthG ausgewiesen werden, wenn er Hilfe zur Erziehung oder Hilfe für

junge Volljährige nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch erhält.

■ Verletzte Kinderrechte:

Die Inanspruchnahme von Kinder- und Jugendhilfe mit der Ausweisung zu sanktio-

nieren, widerspricht Art. 26 und 27 KRK, wonach soziale Teilhabe und angemessene

Lebensstandards garantiert sind.

■ Empfehlungen:

Der Ausweisungsgrund (§ 55 Abs. 2 Nr. 7 AufenthG) der Inanspruchnahme von Kinder-

und Jugendhilfe nach SGB VIII wird gestrichen.

15. Abschiebungshaft und Abschiebung

16-jähriger Syrer wartet in Haft auf Überstellung nach Italien

Juli 2011: Seit zwei Monaten sitzt der unbegleitete minderjährige Flüchtling M. aus

Syrien in Abschiebungshaft in Stadelheim.

Der 16-Jährige soll aufgrund der Zuständigkeitsverordnung Dublin II nach Italien

überstellt werden. Das Leben in Italien ist bereits für erwachsene Flüchtlinge

schwer erträglich: Italien überlässt die überwiegende Mehrheit von Flüchtlingen

sich selbst ohne staatliche Unterstützung. Viele landen in der Obdachlosigkeit,

in slumähnlichen Verhältnissen. Für Minderjährige ist die Situation noch drama-

tischer; manche werden Opfer von Zwangsprostitution. Um eine solche Überstel-

lung nach Italien auch gegen den Willen der Betroffenen durchzusetzen, werden

immer mehr Asylsuchende in Haft genommen. Im Fall von M. lassen sich die Behör-

den nicht einmal von der Minderjährigkeit des Betroffenen abschrecken. Verschär-

fend kommt hinzu, dass die für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zuständi-

gen Stellen nicht informiert wurden. Dabei liegt eine kindgerechte Alternative auf

der Hand: Die Tante von M. lebt in Magdeburg und ist bereit, ihn aufzunehmen.

36

Nach geltender Rechtslage wird die Anordnung von Abschiebungshaft nicht auf Er-

wachsene beschränkt. Infolgedessen wird Abschiebungshaft auch bei Minderjährigen

angewandt – teilweise sogar gegenüber unter 14-jährigen Kindern, die strafunmündig

sind. Da die Anwendung der Abschiebungshaft Ländersache ist, gibt es bundesweit

eine sehr unübersichtliche und uneinheitliche Ausgangslage. Die meisten Bundeslän-

der haben Abschiebungshaft in der Vergangenheit auch gegenüber Minderjährigen

angewendet. Eine ganze Reihe von Ländern sehen vor, dass unter 16-Jährige nicht

inhaftiert werden sollen.17 Einige Länder schließen nur die Inhaftnahme von unter

14-Jährigen aus.18 Andere verweisen lediglich darauf, dass eine »Einzelfallprüfung« zu

erfolgen habe19 oder machen gar keine Vorgaben20. In einigen Ländern wird die Be-

achtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips gefordert. Es wird festgestellt, dass die Haft

nur angeordnet werden darf, wenn kein milderes Mittel – beispielsweise die Unter-

bringung in einer geschlossenen Jugendeinrichtung – möglich ist. Bundesweit wurden

zwischen 2005 und 2007 in 377 Fällen unbegleitete Minderjährige inhaftiert.21

Nach einer Gesetzesnovelle22 sieht § 62 AufenthG Abs. 5 nun vor, dass Minderjährige

nur in Ausnahmefällen und nur für die kürzest mögliche angemessene Dauer in Ab-

schiebungshaft zu nehmen sind. Damit sollen Vorgaben der EU-Rückführungsricht-

linie23 umgesetzt werden.

Nicht nur bei der Abschiebungshaft, auch bei der Abschiebung selbst sind die Rechte

von Kindern gefährdet. Nicht selten werden Familien zum Zwecke der Abschiebung ge-

trennt in der Erwartung, dass durch die Abschiebung eines Familienangehörigen –

meist des Vaters – die zurückbleibenden Familienangehörigen sich genötigt sehen,

»freiwillig« das Land zu verlassen.

17 Bremen, Hessen, NRW, Schleswig-Holstein, Thüringen

18 Bayern, Baden-Württemberg

19 Berlin, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland, Sachsen

20 Brandenburg, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen

21 Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Josef Philip Winkler

u.a., Drucksache 16/11384.

22 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts-

rechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvor-

schriften an den EU-Visakodex

23 Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008

über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal auf-

hältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 vom 24.12.2008, S. 98)

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■ Verletzte Kinderrechte:

Die geltende Rechtslage verletzt Art. 37 KRK. Demnach dürfen Freiheitsentziehungen

bei einem Kind »nur als letztes Mittel und für die kürzeste angemessene Zeit« an-

gewendet werden. Weiterhin ist das Kind von erwachsenen Häftlingen zu trennen. Es

hat einen Anspruch auf umgehenden Zugang zu einem rechtskundigen oder anders-

gearteten Beistand.

Obwohl die KRK also in engen Ausnahmefällen eine Inhaftierung von Kindern zulässt,

ist eine Inhaftierung aufgrund des Bestehens der Ausreisepflicht oder wegen eines an-

geblich unzulässigen, missbräuchlichen oder verspäteten Asylantrags als unverhält-

nismäßig anzusehen. Es stehen stets mildere Mittel zur Zweckerreichung zu Verfügung,

da es ja hier nur um die Sicherstellung der Ausreise und nicht etwa eine strafrechtliche

Sanktionierung geht. Die Schaffung einer bloßen ultima-ratio-Formel, wie durch die

Gesetzesnovelle vorgesehen, ist deswegen nicht ausreichend. Es ist vielmehr generell

auf eine Inhaftierung von Minderjährigen in asyl- und ausländerrechtlichen Verfahren

zu verzichten.

Zwar verbietet die KRK die getrennte Abschiebung eines Familienangehörigen nicht

absolut, doch stellt Art. 19 Abs. 1 KRK klar, dass eine Trennung eines Kindes von einem

Elternteil nur ausnahmsweise und nur dann zulässig ist, wenn die Trennung »zum Wohl

des Kindes notwendig« ist. Dies ist allenfalls bei einer Abschiebung bei schwersten

Straftaten der Fall, nicht aber beim Vollzug des Ausländerrechts.

■ Empfehlungen:

Eine einheitliche Rechtsanwendung kann nur erreicht werden, wenn die bundes-

gesetzliche Rechtsgrundlage neu gefasst wird.

In § 62 AufenthG wird ein neuer Abs. 2 eingefügt:

»(2) Abschiebungshaft gegen Minderjährige ist unzulässig.«

§ 60a Abs. 2 AufenthG ist ein Satz 4 anzufügen, der lautet:

»(4) Dies ist der Fall, wenn hierdurch eine Familie getrennt würde, ohne dass schwer-

wiegende Gründe, insbesondere das Kindeswohl, eine solche Trennung gebietet.«

16. Vorrang des Kindeswohls

Das in Art. 3 Abs. 1 KRK normierte Gebot, das Kindeswohl vorrangig zu berücksichtigen,

wurde aufgrund der Vorbehalte zur KRK in Deutschland lange Zeit gering geachtet.

Dieses Gebot, das in den anderen Artikeln der KRK eine Konkretisierung gefunden hat,

ist bei jeder asyl- und ausländerrechtlichen Entscheidung zu berücksichtigen. Dies

bedeutet nicht, dass andere Gesichtspunkte stets nachrangig sind, wohl aber, dass das

Kindeswohl als ein Gesichtspunkt vorrangig zu beachten ist.

■ Empfehlungen:

Um das Bewusstsein der Rechtsanwender zu schärfen, ist dies in den allgemeinen Tei-

len des Aufenthalts- und des Asylverfahrensgesetzes festzuschreiben.

Deshalb wird § 1 Abs. 1 AufenthG ein Satz und § 1 AsylVfG ein Absatz angefügt, der

lautet:

»Bei der Anwendung dieses Gesetzes ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der

vorrangig zu berücksichtigen ist.«

38 39

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17. Anhang: Auszug aus der UN-Kinderrechtskonvention

ÜBEREINKOMMEN ÜBER DIE RECHTE DES KINDES

UN-Kinderrechtskonvention im Wortlaut

Texte in amtlicher Übersetzung

vom 20. November 1989

am 26. Januar 1990

von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet (Zustimmung von Bundestag und

Bundesrat durch Gesetz vom 17. Februar

1992 - BGB1. II S.121) am 6. März 1992

Hinterlegung der Ratifikationsurkunde beim Generalsekretär der Vereinten Nationen

am 5. April 1992

für Deutschland in Kraft getreten

(Bekanntmachung vom 10. Juli1992 - BGBl. II S. 990)

– Auszüge –

Artikel 2 [Achtung der Kindesrechte; Diskriminierungsverbot]

(1) Die Vertragsstaaten achten die in diesem Übereinkommen festgelegten Rechte und

gewährleisten sie jedem ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Kind ohne jede Diskrimi-

nierung unabhängig von der Rasse, der Hautfarbe, dem Geschlecht, der Sprache, der

Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen, ethnischen oder

sozialen Herkunft, des Vermögens, einer Behinderung, der Geburt oder des sonstigen

Status des Kindes, seiner Eltern oder seines Vormunds.

(2) Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen, um sicherzustellen, daß

das Kind vor allen Formen der. Diskriminierung oder Bestrafung wegen des Status, der

Tätigkeiten, der Meinungsäußerungen oder der Weltanschauung seiner Eltern, seines

Vormunds oder seiner Familienangehörigen geschützt wird.

Artikel 3 [Wohl des Kindes]

(1) Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder

privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder

Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt,

der vorrangig zu berücksichtigen ist.

(2) Die Vertragsstaaten verpflichten sich, dem Kind unter Berücksichtigung der Rechte

und Pflichten seiner Eltern, seines Vormunds oder anderer für das Kind gesetzlich ver-

antwortlicher Personen den Schutz und die Fürsorge zu gewährleisten, die zu seinem

Wohlergehen notwendig sind; zu diesem Zweck treffen sie alle geeigneten Gesetzge-

bungs- und Verwaltungsmaßnahmen.

(3) Die Vertragsstaaten stellen sicher, daß die für die Fürsorge für das Kind oder dessen

Schutz verantwortlichen Institutionen, Dienste und Einrichtungen den von den zustän-

digen Behörden festgelegten Normen entsprechen, insbesondere im Bereich der

Sicherheit und der Gesundheit sowie hinsichtlich der Zahl und der fachlichen Eignung

des Personals und des Bestehens einer ausreichenden Aufsicht

Artikel 9 [Trennung von den Eltern; persönlicher Umgang]

(1) Die Vertragsstaaten stellen sicher, daß ein Kind nicht gegen den Willen seiner Eltern

von diesen getrennt wird, es sei denn, daß die zuständigen Behörden in einer gericht-

lich nachprüfbaren Entscheidung nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften und

Verfahren bestimmen daß diese Trennung zum Wohl des Kindes notwendig ist. Eine

solche Entscheidung kann im Einzelfall notwendig werden, wie etwa wenn das Kind

durch die Eltern. mißhandelt oder vernachlässigt wird oder wenn bei getrennt leben-

den Eltern eine Entscheidung über den Aufenthaltsort des Kindes zu treffen ist.

(2) In Verfahren nach Absatz 1 ist allen Beteiligten Gelegenheit zu geben, am Verfahren

teilzunehmen und ihre Meinung zu äußern.

(3) Die Vertragsstaaten achten das Recht des Kindes, das von einem oder beiden Eltern-

teilen getrennt ist, regelmäßige persönliche Beziehungen und unmittelbare Kontakte

zu beiden Elternteilen zu pflegen, soweit dies nicht dem Wohl des Kindes widerspricht.

(4) Ist die Trennung Folge einer von einem Vertragsstaat eingeleiteten Maßnahme, wie

etwa einer Freiheitsentziehung, Freiheitsstrafe, Landesverweisung oder Abschiebung

oder des Todes eines oder beider Elternteile oder des Kindes (auch eines Todes, der aus

irgendeinem Grund eintritt, während der Betreffende sich in staatlichem Gewahrsam

befindet), so erteilt der Vertragsstaat auf Antrag den Eltern, dem Kind oder gegebenen-

falls einem anderen Familienangehörigen die wesentlichen Auskünfte über den Ver-

bleib des oder der abwesenden Familienangehörigen, sofern dies nicht dem Wohl des

Kindes abträglich wäre. Die Vertragsstaaten stellen ferner sicher, daß allein die Stellung

eines solchen Antrags keine nachteiligen Folgen für den oder die Betroffenen hat.

Artikel 10 [Familienzusammenführung; grenzüberschreitende Kontakte]

(1) Entsprechend der Verpflichtung der Vertragsstaaten nach Artikel 9 Absatz 1 werden

von einem Kind oder seinen Eltern zwecks Familienzusammenführung gestellte Anträ-

ge auf Einreise in einen Vertragsstaat oder Ausreise aus einem Vertragsstaat von den

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Vertragsstaaten wohlwollend, human und beschleunigt bearbeitet. Die Vertragsstaa-

ten stellen ferner sicher, daß die Stellung eines solchen Antrags keine nachteiligen Fol-

gen für die Antragsteller und deren Familienangehörige hat.

(2) Ein Kind, dessen Eltern ihren Aufenthalt in verschiedenen Staaten haben, hat das

Recht, regelmäßige persönliche Beziehungen und unmittelbare Kontakte zu beiden

Elternteilen zu pflegen, soweit nicht außergewöhnliche Umstände vorliegen. Zu die-

sem Zweck achten die Vertragsstaaten entsprechend ihrer Verpflichtung nach Artikel 9

Absatz 1 das Recht des Kindes und seiner Eltern, aus jedem Land einschließlich ihres

eigenen auszureisen und in ihr eigenes Land einzureisen. Das Recht auf Ausreise aus

einem Land unterliegt nur den gesetzlich vorgesehenen Beschränkungen, die zum

Schutz der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung (ordre public), der Volksge-

sundheit, der öffentlichen Sittlichkeit oder der Rechte und Freiheiten anderer notwen-

dig und mit den anderen in diesem Übereinkommen anerkannten Rechten vereinbar

sind.

Artikel 12 [Berücksichtigung des Kindeswillens]

(1) Die Vertragsstaaten sichern dem Kind, das fähig ist, sich eine eigene Meinung zu

bilden, das Recht zu, diese Meinung in allen das Kind berührenden Angelegenheiten

frei zu äußern, und berücksichtigen die Meinung des Kindes angemessen und ent-

sprechend seinem Alter und seiner Reife.

(2) Zu diesem Zweck wird dem Kind insbesondere Gelegenheit gegeben, in allen das

Kind berührenden Gerichts- oder Verwaltungsverfahren entweder unmittelbar oder

durch einen Vertreter oder eine geeignete Stelle im Einklang mit den innerstaatlichen

Verfahrensvorschriften gehört zu werden.

Artikel 22 [Flüchtlingskinder]

(1) Die Vertragsstaaten treffen geeignete Maßnahmen, um sicherzustellen, daß ein

Kind, das die Rechtsstellung eines Flüchtlings begehrt oder nach Maßgabe der anzu-

wendenden Regeln und Verfahren des Völkerrechts oder des innerstaatlichen Rechts

als Flüchtling angesehen wird; angemessenen Schutz und humanitäre Hilfe bei der

Wahrnehmung der Rechte erhält, die in diesem Übereinkommen oder in anderen

internationalen Übereinkünften über Menschenrechte oder über humanitäre Fragen,

denen die genannten Staaten als Vertragsparteien angehören, festgelegt sind, und

zwar unabhängig davon, ob es sich in Begleitung seiner Eltern oder einer anderen Per-

son befindet oder nicht.

(2) Zu diesem Zweck wirken die Vertragsstaaten in der ihnen angemessen erscheinen-

den Weise bei allen Bemühungen mit, welche die Vereinten Nationen und andere zu-

ständige zwischenstaatliche oder nichtstaatliche Organisationen, die mit den Vereinten

Nationen zusammenarbeiten, unternehmen, um ein solches Kind zu schützen, um ihm

zu helfen und um die Eltern oder andere Familienangehörige eines Flüchtlingskinds

ausfindig zu machen mit dem Ziel, die für eine Familienzusammenführung notwendi-

gen Informationen zu erlangen. Können die Eltern oder andere Familienangehörige

nicht ausfindig gemacht werden, so ist dem Kind im Einklang mit den in diesem Über-

einkommen enthaltenen Grundsätzen derselbe Schutz zu gewähren wie jedem ande-

ren Kind, das aus irgendeinem Grund dauernd oder vorübergehend aus seiner fami-

liären Umgebung herausgelöst ist.

Artikel 37 [Verbot der Folter, der Todesstrafe, lebenslanger Freiheitsstrafe,

Rechtsbeistandschaft]

Die Vertragsstaaten stellen sicher,

a. daß kein Kind der Folter Oder einer anderen grausamen, unmenschlichen oder

erniedrigenden Behandlung oder Strafe unterworfen wird. Für Straftaten, die von

Personen vor Vollendung des achtzehnten Lebensjahrs begangen worden sind, darf

weder die Todesstrafe noch lebenslange Freiheitsstrafe ohne die Möglichkeit vorzeiti-

ger Entlassung verhängt werden:

b. daß keinem Kind die Freiheit rechtswidrig oder willkürlich entzogen wird. Fest-

nahme, Freiheitsentziehung oder Freiheitsstrafe darf bei einem Kind im Einklang mit

dem Gesetz nur als letztes Mittel und für die kürzeste angemessene Zeit angewendet

werden;

c. daß jedes Kind, dem die Freiheit entzogen ist, menschlich und mit Achtung vor der

dem Menschen innewohnenden Würde und unter Berücksichtigung der Bedürfnisse

von Personen seines Alters behandelt wird. Insbesondere ist jedes Kind, dem die Frei-

heit entzogen ist, von Erwachsenen zu trennen, sofern nicht ein anderes Vorgehen als

dem Wohl des Kindes dienlich erachtet wird; jedes Kind hat das Recht, mit seiner Fami-

lie durch Briefwechsel und Besuche in Verbindung zu bleiben, sofern nicht außerge-

wöhnliche Umstände vorliegen;

d. daß jedes Kind, dem die Freiheit entzogen ist »das Recht auf umgehenden Zugang zu

einem rechtskundigen oder anderen geeigneten Beistand und das Recht hat, die

Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung bei einem Gericht oder einer, anderen zustän-

digen, unabhängigen und unparteiischen Behörde anzufechten, sowie das Recht auf

alsbaldige Entscheidung in einem solchen Verfahren.

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Page 23: Kinderrechte für Flüchtlingskinder ernst nehmen! · 2015-08-11 · In der UN-Kinderrechtskonvention werden die grundlegenden Rechte zum Schutz der Kinder weltweit festgelegt. Sie

Jetzt erst Recht(e) für Flüchtlingskinder!

Flüchtlingskinder werden

im Vergleich zu Kindern

mit deutschem Pass massiv

benachteiligt – unter ande-

rem in der Gesundheits-

versorgung und bei der

Schul- und Berufsbildung.

Ihre Ausbildungsmöglichkeiten und ihre Bewegungsfreiheit werden einge-

schränkt, auch wird oft verhindert, dass sie mit ihrer Familie oder ihren

Verwandten zusammenwohnen können.

Anlässlich des Internationalen Kindertages am 1. Juni haben PRO ASYL

und über 40 weitere Organisationen gemeinsam die Kampagne »Jetzt erst

Recht(e) für Flüchtlingskinder!« gestartet. Ziel der Kampagne ist es, ein Jahr

lang mit kreativen Aktionen, Öffentlichkeitsarbeit und politischem Druck

Gesetzesänderungen und konkrete Verbesserungen für Flüchtlingskinder

in Deutschland zu erreichen.

www.jetzterstrechte.de

Herausgeber:

Förderverein PRO ASYL e.V.

Postfach 160624

60069 Frankfurt/M.

Telefon: 069 / 23 06 88

Fax: 069 /23 06 50

Veröffentlicht im November 2011

Internet: www.proasyl.de

E-Mail: [email protected]

Spendenkonto-Nr. 8047300

Bank für Sozialwirtschaft Köln

BLZ 370 205 00