18
Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung Zur Bedeutung sozialarbeiterischer Kompetenz für die Anwendung und Entwicklung rechtlicher Regelungen

Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung - Uni Trier · 2013. 8. 18. · Gissel-Palkovich 2011: 105) Erziehungskompetenz: •Elterliche Fähigkeiten und Einstellungen, die dazu beitragen,

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung - Uni Trier · 2013. 8. 18. · Gissel-Palkovich 2011: 105) Erziehungskompetenz: •Elterliche Fähigkeiten und Einstellungen, die dazu beitragen,

Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung

Zur Bedeutung sozialarbeiterischer Kompetenz für die Anwendung und Entwicklung rechtlicher Regelungen

Page 2: Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung - Uni Trier · 2013. 8. 18. · Gissel-Palkovich 2011: 105) Erziehungskompetenz: •Elterliche Fähigkeiten und Einstellungen, die dazu beitragen,

Begriffe Kindeswohl u. Kindeswohlgefährdung im Jugendhilfe- und Familienrecht

• § 8a SGB VIII: „Werden dem Jugendamt gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen bekannt, so hat es das Gefährdungsrisiko im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte abzuschätzen (…)“

• § 27 Abs. 1 SGB VIII: „Ein Personensorgeberechtigter hat bei der Erziehung eines Kindes oder eines Jugendlichen Anspruch auf Hilfe (Hilfe zur Erziehung), wenn eine die dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist.“

Page 3: Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung - Uni Trier · 2013. 8. 18. · Gissel-Palkovich 2011: 105) Erziehungskompetenz: •Elterliche Fähigkeiten und Einstellungen, die dazu beitragen,

• § 1666 Abs. 1 BGB: „Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes (…) gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzu-wenden, so hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwehr der Gefahr erforderlich sind.“

• § 42 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII: „Das Jugendamt ist berechtigt und verpflichtet, ein Kind oder einen Jugendlichen in seine Obhut zu nehmen, wenn (…) eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen die Inobhutnahme erfordert (…).“

Page 4: Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung - Uni Trier · 2013. 8. 18. · Gissel-Palkovich 2011: 105) Erziehungskompetenz: •Elterliche Fähigkeiten und Einstellungen, die dazu beitragen,

Dimensionen des Kindeswohls • „Kindliche, altersabhängige Bedürfnisse

(körperliches, geistiges und seelisches Wohl)

• Tun oder Unterlassen der Eltern oder Dritter

• Zeitweilige und dauerhafte Belastungen und Risikofaktoren

• Zeitweilig oder dauerhaft vorhandene Ressourcen u. Schutzfaktoren

• Folgen bzw. erwartbare Folgen für die kindliche Entwicklung.“ (Nothhafft 2008: 616)

Page 5: Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung - Uni Trier · 2013. 8. 18. · Gissel-Palkovich 2011: 105) Erziehungskompetenz: •Elterliche Fähigkeiten und Einstellungen, die dazu beitragen,

Ziele jugendamtlichen Handelns im Aufgabenfeld der Kindeswohlsicherung

• Gefährdungen erkennen und abwehren

• Erziehungskompetenz der Eltern entwickeln, fördern und stabilisieren

• Sozialarbeiterische Interventionen (ethisch, sozialarbeitswissenschaftlich) und rechtlich absichern

• Fachlichkeit gewährleisten

(vgl. Gissel-Palkovich 2011: 105)

Page 6: Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung - Uni Trier · 2013. 8. 18. · Gissel-Palkovich 2011: 105) Erziehungskompetenz: •Elterliche Fähigkeiten und Einstellungen, die dazu beitragen,

Erziehungskompetenz:

• Elterliche Fähigkeiten und Einstellungen, die dazu beitragen, dass eine dem Wohl des Kindes angemessene Versorgung, Eltern-Kind-Beziehung und Erziehung gewährleistet wird

• Zu diesen gehören u.a. Zuverlässigkeit, Empathie, Selbstdisziplin, Toleranz

(vgl. Gissel-Palkovich 2011: 105)

Page 7: Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung - Uni Trier · 2013. 8. 18. · Gissel-Palkovich 2011: 105) Erziehungskompetenz: •Elterliche Fähigkeiten und Einstellungen, die dazu beitragen,

Professionelles Handeln im Rahmen der Kindeswohlsicherung bedeutet:

• wertschätzendende, verständigungs-, beteiligungs-, ressourcen- und befähigungsorientierten Ausrichtung des Krisen-Interventionsprozesses auf der Grundlage einer Wissenschaftlichkeit

• sich um Kooperationsansätze bemühen , die der jeweiligen Situation und den individuellen Fähigkeiten angemessen sind

• Ohne dabei die deutliche u. nach außen wahrnehmbare Übernahme von Verantwortung für die Kontrolle u. Sicherung des Kindeswohls zu vernachlässigen

Page 8: Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung - Uni Trier · 2013. 8. 18. · Gissel-Palkovich 2011: 105) Erziehungskompetenz: •Elterliche Fähigkeiten und Einstellungen, die dazu beitragen,

Rahmenbedingungen, die Einfluss auf Erziehungskompetenz haben • Ökonomische Ressourcen • Teilhabe an und Bedingungen der Erwerbstätigkeit • Lebensperspektiven • Qualität des Wohnraums • Eingebundenheit der Familie in soziale Netzwerke • Qualität der Paarbeziehung • Erwünschtheit der Schwangerschaft • Alter der Eltern • Bildungsstand der Eltern • Psychische Gesundheit • Familiale Beziehungserfahrungen der Eltern (vgl. Bender/Lösel 2005 a u. 2005 b; Deneke 2005;

Scheithauer u.a. 2000; Schone u.a. 1997)

Page 9: Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung - Uni Trier · 2013. 8. 18. · Gissel-Palkovich 2011: 105) Erziehungskompetenz: •Elterliche Fähigkeiten und Einstellungen, die dazu beitragen,

Risikofaktoren für Kindeswohlgefährdungen

Merkmale des Umfeldes/der Lebenssituation

• geringe finanzielle Ressourcen/Einkommensarmut/

• Abhängigkeit von staatlicher Unterstützung

• Arbeitslosigkeit

• fehlender, schlechter Wohnraum

• fehlende Lebensperspektiven

(vgl. Seus-Sebrich 2006: 21)

Page 10: Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung - Uni Trier · 2013. 8. 18. · Gissel-Palkovich 2011: 105) Erziehungskompetenz: •Elterliche Fähigkeiten und Einstellungen, die dazu beitragen,

Risikofaktoren für Kindeswohlgefährdungen

Merkmale der Eltern

• Massive Konflikte/Probleme in der Paarbeziehung

• Unerwünschtheit der Schwangerschaft

• Jugendliches Alter der Mutter/Eltern

• Geringe Bildung

• Psychische Erkrankung der Eltern

• inadäquate Interaktionserfahrungen

• unverarbeitete, traumatische Erfahrungen

(vgl. Bender/Lösel 2005; Wegner 1997; Dornes 2002)

Page 11: Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung - Uni Trier · 2013. 8. 18. · Gissel-Palkovich 2011: 105) Erziehungskompetenz: •Elterliche Fähigkeiten und Einstellungen, die dazu beitragen,

Erziehungsfähigkeit u. – kompetenzen (wieder-)herstellen, fördern und stabilisieren

• Aufbau einer tragfähigen Arbeitsbeziehung zwischen der Fachkraft u. d. Eltern, ohne dass diese die Sicherung des Kindeswohls aus den Augen verliert

• Soziale Arbeit kann auch innerhalb eines durch „Unfreiwilligkeit“ geprägten Handlungsrahmens verständigungsorientiert, partizipativ sowie die Eigenverantwortung der Eltern, Kindern und Jugendlichen stärkend ausgerichtet sein

→ transparente Arbeitsweise zur Legitimierung des Handelns gegenüber allen Beteiligten

→ angemessene Methodenkompetenz (vgl. Hesser 2001: 26)

Page 12: Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung - Uni Trier · 2013. 8. 18. · Gissel-Palkovich 2011: 105) Erziehungskompetenz: •Elterliche Fähigkeiten und Einstellungen, die dazu beitragen,

(Weiterentwicklungs-)Perspektiven für einen gelingenden Kinderschutz (Gissel-Palkovich 2011)

1.Theorie und Methoden • Stärkere Berücksichtigung u. Reflexion der

zwangskontextuellen Elemente der Sozialen Arbeit im Rahmen einer lebenswelt-, dienstleistungs-, u. verständigungsorientierten Jugendhilfe

• Reflexion dienstleistungsorientierter Konzepte im Hinblick auf modernistische Verkürzungen, Herausarbeitung adressatenbefähigender Aspekte

• Weiterentwicklung von Methodenkonzepten für durch „Unfreiwilligkeit“ u. Zwang geprägte Handlungsfelder

• (Weiter-)Entwicklung fachlich fundierter systematisierender Instrumente u. verfahren und deren kontinuierliche Kritische Reflexion auf der Basis von Theoriekonzepten

Page 13: Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung - Uni Trier · 2013. 8. 18. · Gissel-Palkovich 2011: 105) Erziehungskompetenz: •Elterliche Fähigkeiten und Einstellungen, die dazu beitragen,

(Weiterentwicklungs-)Perspektiven für einen

gelingenden Kinderschutz (Gissel-Palkovich 2011) 2. Professionalität

• Hinterfragung der Passung des Selbst- und Handlungsverständnisses von SozialarbeiterInnen in Bezug auf das Feld der Kindeswohlsicherung und zwangskontextueller Anteile

• Beachtung und Bedeutung des professionellen „Standings“

• Klarheit über die eigene professionelle Rolle und Kompetenzbereiche/die anderer Professionen/Berufe

• Reflexion der Chancen und Risiken teilstandardisierender Verfahren und Instrumente für die professionelle Leistungserbringung und Profession

Page 14: Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung - Uni Trier · 2013. 8. 18. · Gissel-Palkovich 2011: 105) Erziehungskompetenz: •Elterliche Fähigkeiten und Einstellungen, die dazu beitragen,

Weiterentwicklungs-)Perspektiven für einen gelingenden Kinderschutz (Gissel-Palkovich 2011)

3. Organisationen und Management/Politik • Anerkennung der fachlich angemessenen

Rahmenbedingungen durch Leitungsebenen/Politik

• Bezahlte Reflexion/Supervision der Fachkräfte • Kompetenz für fachlich-kollegiale Beratung • Gewährleistung der Einhaltung von fachlichen

Verfahrensstandards durch Leitungsebene • niedrigschwellige Rechtsberatung in den

Jugendämtern für Fachkräfte • Angemessene Fehler- und Feedbackkultur in der

Sozialen Arbeit

Page 15: Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung - Uni Trier · 2013. 8. 18. · Gissel-Palkovich 2011: 105) Erziehungskompetenz: •Elterliche Fähigkeiten und Einstellungen, die dazu beitragen,

Sozialarbeiterische Kompetenz und Kindeswohlgefährdung

• SozialarbeiterInnen /SozialpädagogInnen sind mehr als ErmittlungsgehilfInnen der Richer, Ihnen kommt eine wichtige Aufgabe im Verfahren nach § 1666 BGB zu

• Können den Begriff der Kindeswohlgefährdung viel besser konkretisieren als Richter

• Diese Kompetenz selbstbewusst gegen JuristInnen vertreten

• Rolle der Sozialen Arbeit im Gesetzgebungsverfahren

→Lobby- und Policy-Arbeit!!! (vgl. Goldberg 2011:183)

Page 16: Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung - Uni Trier · 2013. 8. 18. · Gissel-Palkovich 2011: 105) Erziehungskompetenz: •Elterliche Fähigkeiten und Einstellungen, die dazu beitragen,

Literatur: • Bender, D./Lösel, F. (2005 a):Misshandlung von Kindern:

Risikofaktoren und Schutzfaktoren. In: Deegener, G./ Körner, W. (Hrsg.): Kindesmisshandlung und Vernachlässigung. Ein Handbuch. Göttingen. Hogrefe, S. 317-346

• Bender, D./Lösel, F. (2005 b): Risikofaktoren, Schutzfaktoren und Resilienz bei Misshandlung und Vernachlässigung. In: Egle, U.T./Hoffmann, S.O./Joraschky, P.(Hrsg.): Sexueller Missbrauch, Misshandlung, Vernachlässigung. Stuttgart: Schattauer, S. 85-104

• Deneke, Ch. (2005): Misshandlung und Vernachlässigung durch psychisch kranke Eltern. In: Deegener, G./ Körner, W. (Hrsg.): Kindesmisshandlung und Vernachlässigung. Ein Handbuch. Göttingen. Hogrefe, S. 141-154.

• Dornes, M. (2002) Die frühe Kindheit. Entwicklungspsychologie der ersten Lebensjahre. Frankfurt: Fischer.

• Gissel-Palkovich, I. (2011): Die Sicherung des Kindeswohls. Überlegung zu konzeptionellen und strukturellen Voraussetzungen für die öffentliche Kinder- und Jugendhilfe. In: Goldberg, B./ Schorn, A. (Hrsg.): Kindeswohlgefährdung. Wahrnehmen-Bewerten-Intervenieren. Beiträge aus Recht, Medizin, Sozialer Arbeit, Pädagogik und Psychologie. Opladen & Farmington Hills. Verlag Barbara Budrich. S.103-142.

Page 17: Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung - Uni Trier · 2013. 8. 18. · Gissel-Palkovich 2011: 105) Erziehungskompetenz: •Elterliche Fähigkeiten und Einstellungen, die dazu beitragen,

• Goldberg, Brigitta(2011): Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung. Zur Bedeutung sozialarbeiterischer Kompetenz für die Anwendung und Entwicklung rechtlicher Regelungen. In: . In: Goldberg, B./ Schorn, A. (Hrsg.): Kindeswohlgefährdung. Wahrnehmen-Bewerten-Intervenieren. Beiträge aus Recht, Medizin, Sozialer Arbeit, Pädagogik und Psychologie. Opladen & Farmington Hills. Verlag Barbara Budrich. S. 143-168.

• Hesser, K.-E.H. (2001): Soziale Arbeit mit Pflichtklientschaft - methodische Reflexionen. In: Gruppinger, M. (Hrsg.):Soziale Arbeit mit unfreiwilligen KlientInnen. Linz: Ed. Pro Mente, S. 25-41.

• Seus, Sebrich, E. (2006): Welche Rolle spielt soziale Benachteiligung in Bezug auf Kindeswohlgefährdung? In: Kindler, H./ Lillig, S./ Blüml, H./Meysen, Th./ Werner, A, (Hrsg.): Handbuch Kindeswohlgefährdung nach § 1666 BGB und Allgemeiner Sozialer Dienst ((ASD). München. Verlag Deutsches Jugendinstitut e.V. Kap. 21.

Page 18: Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung - Uni Trier · 2013. 8. 18. · Gissel-Palkovich 2011: 105) Erziehungskompetenz: •Elterliche Fähigkeiten und Einstellungen, die dazu beitragen,

• Scheithauer, H./Niebank, K./Petermann, F. (2000): Biopsychosoziale Risiken in der frühkindlichen Entwicklung: das Risiko- und Schutzfaktorenkonzept aus entwicklungspsychologischer Sicht. In: Petermann, F./Niebank, K./ Scheithauer, H. (Hrsg.): Risiken der frühkindlichen Entwicklung. Entwicklungspathologie der ersten Lebensjahre. Hogrefe: Göttingen, S. 65-100.

• Schorn, A.(2011): Die Sicherung des Kindswohls durch bindungsorientierte Frühprävention oder Warum die Stärkung der elterlichen Beziehungskompetenz so wichtig ist. In: Goldberg, B./ Schorn, A. (Hrsg.): Kindeswohlgefährdung. Wahrnehmen-Bewerten-Intervenieren. Beiträge aus Recht, Medizin, Sozialer Arbeit, Pädagogik und Psychologie. Opladen & Farmington Hills. Verlag Barbara Budrich.S. 187-214.

• Schone, R./Gintzel, U./Jordan,E./Kalscheuer, M./Münder, J. (1997): Kinder in Not. Vernachlässigung im frühen Kindesalter und Perspektiven für die Soziale Arbeit. Münster. Votum.

• Wegner, W. (Hrsg.) (1997): Mißhandelte Kinder. Grundwissen und Arbeitshilfen für pädagogische Berufe. Weinheim. Beltz.