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Klaus-Dieter Baumann (Hg.) Fach - Translat - Kultur

Klaus-Dieter Baumann (Hg.) Fach - Translat - Kultur (2011) - Multimodale... · 'eine vernetzung von emotionen, pragmatik und fachanliegen 21 i. jfach i 11. fach als rahmen des translats

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Klaus-Dieter Baumann (Hg.)

Fach - Translat - Kultur

Forum für Fachsprachen-Forschung Hartwig Kalverkämper (Hg.)

Band 98

Klaus-Dieter Baumann (Hg.)

Fach - Translat - Kultur

Interdisziplinäre Aspekte der vernetzten Vielfalt

Band 1

~ Frank & Timme Verlag rur wissenschaftliche Literatur

ISBN 978-3-86.596-209-6 ISSN 0939-8945

C Frank & Timme GmbH Verlag für wissenschaftliche Literatur Berlin 2011. AUe Rechte vo,rbehalten.

00.5 Werk ei,nschlieBlich aller Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung au8erhalb der engen Grenzen des Urheberrechts­g,esetzes ist ohn,e Zustimmung des Verla.gs unzulässig und strafbar. Das gilt in.sbesondere für VervielfaJtilllngen, Übers,etzungen,

Mikroverfilmungen. lind die Einspeich.erung und Verarbeitung in el.ektronischen Systemen.

Herstellu,ng durch das atelier eilenberger,. Taucha bei Leipzig.

Prinled in Germa,ny. Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier.

www.fra.nk-c.imme.de

HARTWIG KALVERKAMPER

ZUM 60. GEBURTSTAG

GEWIDMET

--=

Inhaltsverzeichnis -I _111 __

I UBERBLICK

Ein Anlass - drei Komponenten - siebzehn Aspekte - zwei Bücher:

'Eine Vernetzung von Emotionen, Pragmatik und Fachanliegen 21

I. jFACH I

11. FACH ALS RAHMEN DES TRANSLATS

IH. I TRANSLAT

* * '"

BAND,2

IV. TRANSLAT UND KULTUR: TRANSLATJONSKULTUR

V. I KULTUR I - HISTORISCHE UND DISZIPLINÄRE DIMENSIONEN

DES KOMMUNIKA TIVEN VERHALTENS

VI. KULTUR UND FACH: KULTURAUTÄTUND INTERKULTURALITÄT

IN FACHLICHEN KONTEXTEN

VII. DIALOG

ZWISCHEN WORT, TEXT,. WISSEN UND HANDELN:

Fachkommunikatlonsfors,ehung, Translationswissenschaft,

83

447

485

717

833

1223

Kulturwissenschaft 1345

SCHRIFTENVERZEICHN]S Hartwig Kalverkämper 1976,- 2012 1447

Die AUTORINNEN und AUTOREN der B.eiträ.ge 1547

7

_._--~

Inhaltsverzeichnis - MAKR,QSTRUKTUR

BAND 1 Klaus-Dieter BAUMANN

Ein Anlass - drei Komponent,en - siebzebn Aspekte- zwei Bücher: Eine Vernetzung von Emotionen~ Pra.gmatik und Fachanliegen 21

I. IFACH I 1. Wissen und Vernetzung

2. Fachtex.te und ihre Fachtextsorten

3. Kommunikation-in-Funktion

n. FACH ALS RAHMEN DES TRANSLATS

BI. I TRANSLAT I 1. Theorie des lnter- für das translatorische Handeln

1.1. Identitäten

1.2. Methodologie

1.3. DiszipHngeschichte

2. TranslatorischePraxis

83

85

275

361

447

485

487

489

566

590

643

IV. TRANSLAT UND KULTUR: TRANSLATIONSKULTUR 717

v. I KULTUR I - HISTORISCHE UND DlSZlP'LlNÄRE DIMENSIONEN

DES KOMMUNIKATIVEN VERHALTENS 833

1. Sprachkultur 835

1.1. Kommunikationspragmatik - historisch und modern 837

1.2. Medienrhetorik 900

1.3. Sprachkritik und Sprachpl:anung 949

1.4. Bildung durch La.tein als Fremdspra,che 1001

2. Literatur- und Kunstgeschichte 1055

3. Mentalitätsgeschichte: Mythos und Medium ] 159'

9

VI. KULTUR UND FACH: KUL TURALIT Ä T UND INTERKULTURALIT Ä T

IN FACHLICHEN KONTEXTEN

1. Kulturenkontraste in Fachtextsorten

2. Fremdsichten und Kulturwissen

*

w. DIALOG -

ZWISCHEN WORT, TEXT, WISSEN UND HANDELN:

Fachkommunikationsforschung, Translationswissenschaft

1223

1225 1299

KuUurwissenschaft 1345

*

SCHRIFTENVERZEICHNIS Hartwig Kalverkämper 1976 - 2012 1447

Die AUTORENNEN und AUTOREN der Beiträge 1547

10

- -

Inhaltsverzeichnis DETAILSTRUKTUR

Klaus-Dieter BAUMANN

Ein Anlass - drei Komponenten - sh~bzehn Aspekte - zwei Bücher:.

Ein,e Vernetzung von Emotionen~ Pragmatik und Fachanliegen 21

Danksagung als Bandherausgeber

I I. FACH

1. JJ1issen und Verne'tzung

Pcter KASTBERG (Arhus)

Argos und Polyphem:

Zum Komplexitätsanspruch der Wissenskommunikation

Eva-Maria JAKOBS (Aachen)

Muhimodale Fachkommunikation

Klaus-Dieter BAUMANN (Leipzig)

Fachliche Intertextualität-

ein interdisziplinärer Untersuchungsansatz

Emest W. B. HESS-LüTTlCH (Bern)

Fachtext-Netzwerke in der Gesundheitskommunikation

Anastasiya KORNETZKI (Bochum)

Interdisciplinary Approach to the Study of Genre Networks

from Intertextual Perspective

Christopher KURZ (München)

Tenninologie und Tenninologie-Management

82

87

106

125

170

205

230

11

I

Marcus ULLRICH (Leipzig)

Sprachkonventionen, Sprachevolution

und stilistische Gestaltungsmittel in Programmiersprachen

Silke JAHR (Greifswald)

Strategien zur Manipulation des Lesers in Ratgeberliteratur

Ingrid WIESE (Leipzig)

277

322

Die Textsorte Editorial in medizinischen und technischen Fachzeitschriften 341

Klaus SCHUBERT (Hildesheim)

Optimierung als Kommunikationsziel: Bess,ere Sprachen 363

Hans~R. FLUCK (Bochum)

"Bitte kein Fachchinesisch, bin Laie" - Sprachreflexive Ausdrücke

zur Bezeichnung von Unverständlichkeit im Umkreis der Fachsprachen 393

Martin NIELSEN I Marianne GROVE DITLEVSEN I Jan ENGBERG / P·eter KASTBERG

Hocbs,chuUebre im Spanßungsfeld zwischen

Fachsprachenforschung und Kompetenzennachfrage der Wirtschaft 415

Peter SANnRlN1 (Innsbruck)

Wie fachHch ist das WWW?

Zum Facblichkeilsgrad web-gebundener Translationsaufträge

Yvonne GRIESEL (Berlin)

Fachtexte zappeln in Vemetzung

449

467

1. . ThelJ"ie des INTER- für das translatorischeH andeln

1.1. Identitiiten

Larisa SCHIPPEL (Wien)

Weltbilder und Selbstbilder. Translation und Diskurs

Cbristiane NORD (Heidelberg)

Funktionale Translationswissenschaft: Wohin geht der Weg?

Belen SANTANA LOPEZ (Salamanca)

Worthülse, Desiderat, Realität oder Vergangenheit?­

Eine kritische Bestandsaufnahme der

489

510

Interdisziplinaritäts-Diskussion in der Translationswiss·enschaft 536

1..2. Methodologie

Reiner ARNTZ (Hildesheim)

Die Informationsflut nutzen -

Das Potential interlingualer Textvergleiche in der Sprach- und Übersetzungsdidaktik

1.3. Disziplingeschichte

Silvia RUZZENENTI (Berlin I Bologna)

Übersetzung und Klassische Philologie zur Zeit des deutschen Historismus.

Ulrich von Wilamowitz-MoeUendorffs Reflexionen

.: : .~.,

.- . - ~,.. ' '.

Alexander KÜNZLI (Geneve)

Plädoyer für eine auff3llige Untertitelung

566

59'0

645

13

Stefania CAVAGNOLI (Macerata) I Anny SCHWEIGKOFLER (Weingarten)

'Urteilsanmerkung' und nota a sentenza:

Translate im interlingualen Vergleich

Alexei DÖRRE (Hürth)

Translationsgerichtete Korpusnutzung

in der Ausbildung von Übersetzern und Dolmetschern

Stephan THEILIG {BerIiß)

Historische Migrationen aus dem venneintlichen "Orient" -

668

702

Transfonnations- und Translationsprozess,e in Theorie und Praxis 719

Lorenza REGA (Trieste )

EU-Texte mit Kontaktfunktion

in multUingualer und multikultureller Hinsicht

Markus RAMLOW (Berlin)

Übers,etzungssysteme als Mittler zwischen Kulturen:

Zur Übersetzung von Kulrurspezifika

743

im. Kontext der mas,chinellen Übersetzung 762

Adriana ZA V AGUA / Jo,äo AzENHA I Tinka REICHMANN (Sio Paulo)

Cultural Markers in LSP Translation 785

ReginaBouCHEHRI (BerUn)

Titel als bikultureUe Herausforderung.

Zur Belitclungspraxis des, europäischen Kulturkanals ARTE 809

1. Sprilchkllltur"

1.1. Kommunikationspragmatik

Christoph STROSETZKI (Münster)

Schweigen oder Scherzen? -

historisch und modern

Konventionen der Seriosität im Frankreich des 17. Jahrhunderts 837

Heinz L. KR.ETZENBACHER (Melboume)

Mikropragmatik in kommunikativen Gattungen und

plurizentrischer Sprachkultur: Zur Anrede im Deutschen

1.2. Medienrhetor;k

Gregor KAuvoDA (Tübingen)

Werbung - Image ~ Event.

Zu Rhetorik und Ethik der Public Relations

1.3. Sprachkrit;k und Sprachno'rmung

Christian SCHMITT (Bonn)

Das Französische in einer vemetzten We1t. Die 'engagierte Presse'

860

900

und ihr Einsatz für die Standardisierung des Wortschatzes 949

Stefanie UNGER (Leipzig)

Aktuel1e Tendenzen zur geschlechtergerechten Sprache

in spanischen Zeitungsartikeln 977

15

1.4. Bildung durch Latein als Fremdsprache

julia LEWANDOWSKI (München)

Der Stellenwert von Latein im französischen Schulsystem

Michael NIEDERMEIER (Berlin)

Druiden in Arkadien. Honore d'Urfes Aslree-Roman (1627) und

die Inszenierung patriotischer Abstammung

in bukolischen Landschaften Europas

Annette DORGERLOH (Berlin)

Arkadien als Alternative -

1001

1057

Schäfer und Liebespilger in der Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts 1106

'.i.;'Me"tfllitlJtig;~~j,kj,iiFiJßr.o~iiii~M'Ci~'9'Jfr~;,;E::'~~J';i .... :· .. ~."~.~.t ." . ~ , _ ,".: _) - I i-c c':: -.. ; ._ , __

Cindy WELLMANN (Berlin)

Jeanne d'Arc im Film:

M,ediale Inszenierungen von Verhaltensweisen

Marianne AUSSENAC-KERN (Leipzig)

16

InterkuhuraHtät in juristischen Fachtexten und Handlungen -

am Beisp,iel des französischen und deutschen Rechts

1161

1227

Valeria TSCHERNIAVSKAIA (St. Petersburg)

Interkulturelle Differenzen von wissenskonstituierenden Texten:

Deutsche und russische Zeitschriftenaufsätze - kontrastiv

Brigitte HORN-HELF (Münster)

'Literaturhinweise' ;

Ein Indiz für konventionelle Interkulturalität im Fach

2~·Fremdsichtenllnd Kultu,w;ssen, .. '.

Jin ZHAO (Shanghai)

Das deutsche ChinabHd in der Wirtschaft.

Journalistische China-Artikel in gehobenen Printmedien

Wilfried WIEDEN (Salzburg)

Language Competence Planning

in Multicultural Corporate Environments

Andrea MÖWIUS (Berlin )

Vita in scientiis - Artes in vita.

Dicta et facta memorabilia:

Ein Wissenschaftsgespräch mit Hartwig Kalverkämper

------ ------

1241

1271

1301

1330

1347

17

I ,_

I:

SCHRIFTENVERZEICHNIS Hartwig Kalv,erkämper

1976 - 2012

Die ABBILDUNGEN auf den Strukturseiten der Hände

D'ie AUTORINNEN und AUTOREN der Beiträge

18

I

1447

-

1539 i

1547

I. FACH 1. Wissen und Vem,..

Eva-Maria Jakobs

Multimodale Fachkommunikation

: I. Gegenstand und Anliegen 2. Zur MultimodaUtät von Fachkommunikation 3. Muhimodale Kommunikationsarbeit in der Industrie

3.1. Sprachlich-kommunikative Anteile industrieller Prozesserhebung und -rnodellierung

3.2. Untersuchungskontext und -daten: Das Projekt IMIP 3.3. Multimodale Interaktionsketten 3.4. Methodische und theoretische Herausforderungen

4. Fazit und Ausblick Literarurverzeichnis

1. Gegenstand und Anliegen

Dil,e Fachkommunikationsforschung kann auf eine lange ertragreiche Forsch ... zurückblicken. Sie wurde maßgebHch von Linguisten wie Hartwig Kalver~

kämper vorangetrieben, der sie mit etlichen Weggefährten, so KlaUS-bieter

Baumsn", über viele Jahre geprägt hat. Eine wesentliche Leistung waren (und.

s.ind) seinie Beiträge zur MultimodaHtät fachlicher Kommunikation,. .genauer

zum Zusammenspiel semiotischer Codes in kulturen wie institutionen gePrilatea

Kontex.ten. Di:e Ausleinandersetzung mit Multimodalität fokussiert unter and,erem die we~chselseitigen Beitr.äge sprachlicher und visueller Abteile schrift~ich oder mündlich konstituierter Fachkommunikation. Bezogen auf .. '

Schrifilichkeit rkhtet sich die Diskussion auf die Interaktion sprachlich uad visulcU repl1i.s,entierter Fachtextanteile, z. B. Text-Bild-Relationen (Kalver'-"

klm.per .1993. 1998). Bezogen auf Mündlichkeit interessiert Kalverkilnper

dagegen das V,erhlltnis auditiv-sprachlicher Interaktionsanteile und spfaCJlt.

begleitender Körperkommunikation. so z. B. der Anteil von Mimik, G\estike,

B~i,ckri'chtung und Körperhaltung an der Konstitution mündlicher F.~

kommunikation. In beiden FäUen - Schriftlichkeit und Mündlichkeit - gebt a~

106

E.~M. JAKOBS Muhimodale Fachkommunikation

um di.,e semiotische Leistung, Eigenständigkeit und wechselseitige Bezogenheit

der genannten Ausdruckssysteme in ihrer Einbettung in kulturelle Kontexte

(Kalverkämper 2000).

Der vorliegende Beitrag weitet den Blick auf hochkomplexe berufliche Inter­

akti,onsketten, in deren Verlauf die Aktanten phasenweise versetzt,. sich über­

J'append oder simultan schriftlich, mündlich und visuen agierend Sichten auf die

Wdlt konstituieren, verhandeln und ratifizieren. Er diskutiert derartige Inter­

aktiollskett,en am Beispie.1 sprachlich-kommunikativer Anteile von Methodiken

dier Prozessoptimierung in Unternehmen. Von der Qualität ihrer Realisierung

hingt wesentlich die Erfüllung übergeordneter Ziele, in diesem Fan die

Optjmi~,erung wertschöpfender Prozesse ab.. Betrachtet man die einschlägige

Fachliteratur zum Thema, so zeigt sich, dass die ingenieurs- wie wirtschafts­

whisenschaftHche Literatur diesen Aspekt weitgehend übersieht bzw. ihm mehr

oder weni.ger konzeptJos begegnet. Dies verwundert nicht weiter, Kommuni­

kation gehört nicht zu den Forschungs- und Ausbildungsgegenständen dieser

Disziplinen. Hilfe und Unterstützung kann dagegen die Angewandte Linguistik

bileten~ die viel faltige Zugänge, Verfahren und Deutungsmuster rur die Wahr­

n,ehmung, Gestaltung und Unterstützung sprachlicher Anteile beruflicher

Arbeitsaufgaben bietet. Im Gegenzug liefern die in der Arbeitswelt beobacht­

beließ Phänomene eine Vielzahl theoretisch, methodologisch und methodisch

interessanter Fragestellungen tur die sprachwissenschaftliche Forschung. Dies

gi~l in ausgeprägtem Maß,e fiif die von Hartwig Kalverkämper in verschiedenen

Arbeiten skizzierte Multimodalität von Fach- und Arbeitskommunikation.

2. Zur Multimodalitätvon Fachkommunikation

mn den J·etzten zwanzig Jahren hat sich die Anzahl der Arbeiten, die sich mit

multimodalen Aspekten von Kommunikation befassen, exponentiell erhöht. Das

dabei abgedeckte Spektrum an Phänomenen und Einzelfragestellungen ist breit

(Bucber 2010 [im Druck]); die Vielfalt der verwendeten Beschreibungsansätze

und Theorien entziehen sich zunehmend dem Überblick Einzelner. Insgesamt

dliJ'Jlgtsich der Eindruck auf, dass sich die Annäherung dabei entweder auf primär

mlO:ndl!ich oder primär schriftlich konstituierte Kommunikationsversuche kon-

107

J. FACH L Wissen und Vemetzla.!

zentriert Dies gilt meines Wissens zumindest für den Ber,eich der Fachspra.cbem.

forschung und ist insofern nicht verwunderlich, als jeder der genannten Bereicbe

an. si,ch vielgesta.ltig und dementsprechend beschreibungsintensiv und -aufwind.

ist. In bei'den FäHen- MÜßdJichkeit wie Schriftlichkeit - handelt es sich um

Fonnen der Anwendung von Spra.che in fachlichen Kontexten, die durch den.

Einsatz breiter Miuelinventare eine hohe Komplexität .aufweisen (können).

Ein zweites Charakteristikum der Betrachtung ergibt sich mit der Entscbeidunc

fUr jeweils eine von mehreren. möglichen Betrachtungsperspektiv,en. DiesäuJ3ert

sich - zumindest im Bereich der SchriftlichkeH - in der Entscheidungftir 'eine produk1- oder proz.essgerichtete Sich~ I·etztere bezogen auf Prozesse der

Erzeugung oder Verarbeitung schriftHcber Komrnunikate. Ähnliches gilt fUr den

Bereich visueller Fa,chkommunik.ation, hier bezogen auf GestaltungsmerkmaJe

und ih.re Interpretation. In jüngeren Arbeiten werden zunehmend auch Konstel_

lationen thematisiert, die simultan verschiedene Modalitäten nutzen, z. B. Facb­

vorträg,e mit Powerpoint oder technis,che Wartungssituationen mit Augmented-.

Real'. ily-Anwendung,en ..

Bezogen auf di,e Komplexität primär mündlich oder schriftlich konstituierter

Kommunikationsversuche erweist sich die Beschränkung auf eine Persp,ektive

als durchaus hHf·· und segensreich. Lange Zeiträume der Auseinandersetzung

mit. Text haben ei.n reiches,. ausdifferenziertes Instrumentarium an Besdu-'ei ..

bUDgs- und AnaJ,ysekategorien hefVorgebra.ch~ das es erlaubt, T,exte Schicht ft:lr Schicht minutiös zu erfassen (vgl. etwa Sandig 2006). Susanne Göpferich (19981 SchUlerin von Hartwig KaJverkä.mper,. zeigt dies, ganz an dessen Arbeite.

orientiert, am .ß.ei.spiel technischer Dokumentation; Hartmut Stöckl (2007)fQr

P'roduklk.8a.aloge; StöckJ (2006) für di:,e multimodal,e Textana.lyse; Klaus-Di,eter

BaumBnn I( 1992) generell mi.t s,c'incm int,egrativen Bcschreibungsansotz fttr fachspmchli.,che Text,e. Der Bes!chreibungsaufwand wie auch das Beschreibungs,_

inventar haben s,i.ch U.a. deutlich erweitert durch die Akzeptanz der Tatsacbe;.

dass Texte ilmmer aucb eine visuene Gestalt aufweisen. Das Sinnang,ebot eines

Tex.tes ergibt sj·chDli,cht n.uc durch das ges,chriebene Won, sondern auch durch

Typogra.phile und Lay,out, Farben und form.elemente, Zeichnungen, TabeUen~

Diagramme uu,d Bilder un,terschi:edlichster Art. Eben diese visuellen Eige.ns.chaf:..

108

E.-M. JAKOBS Multimodale Fachkommunikation

ten tragen dazu bei, dass Texte über Jahrhunderte hinweg multimodal gestaltet

siDd (dazu. der nach wie vor lesenswerte Überblick von Raible 1991).

EbensO' wie Texte sind mündliche Interaktionen in der Regel multi modal

konstituiert und als komplexes Zusammenspiel semiotischer Codes in gege­

benen! Kontexten beschreibbar. In verschiedenen Arbeiten hat sich Hartwig

KaJ'Verkimper mit diesem Phänomen, bezogen auf einerseits körpersprachHche

Ausdrucksinventare und andererseits deren geregelte "Vertextung" (Kalverkäm­

per 2003), auseinandergesetzt (u.a. Kalverkämper 2000, 2007). Er beschreibt

I(facbsprachliche wie fachbezogene) Körpersprache als eigenständiges semioti­

sches System, das prinzipielle Ähnlichkeiten zur Verbalsprache zeige (Kalver­

klmper (2000: 47 ff.; detaillierte Parallelauflistung in 22008). Strukturelle Paral­

tel,en ergeben sich durch "segmentierbare (d.h. isolierbare) Grundeinheiten mit

Ausdrucksseite (fonnaler Ablauf, z. B. einer Geste) und Inhaltsseite ('Bedeu­

tulIg', z. B. einer Geste)" als "zeichenhafte Vokabeln eines Lexikons oder semio­

tiscben Repertoires", die im Kommunikationsprozess nach bestimmten Regeln

(Grammatik) (sequentieU) verknüpft werden (Syntax körperlichen Verhaltens).

Kommunizierende nutzen diese Regeln, wenn sie sich kommunikativ verhalten

f'Enkodierung') und wenn sie verstehen wollen ('Dekodierung'). Die ganzheitli­

ebe kommunikative Wirkung ergibt sich durch Kohärenzen und Relationsstif­

amgenzwischen Ausdruckselementen (ebd.). Körpersprachliche Konstellationen

UIK'I. rege.hafte Abfolgen lassen sich Kalverkämper zufolge 'Gattungen' oder

~extsolrten' zuordnen (z. B. Beleidigung[smitteilung]). Durch die notwendige

Bimldun.gan Kommunikationssituationen und die "interpretierende Einbeziehung

der Partnerreaktionen" ergeben sich Analogien zu Registern als Teil einer

,(Kommunikations-)Pragmatik. Der Einsatz von Körpersprache vollzieht sich

schließlich in kulturell geprägten Kontexten (Kulturspezifik) und folgt kulturel­

len Konventionen ("Kultureme";. Kalverkämper 1995).

Die Einbeziehung körpersprachlicher Phänomene genießt zunehmendes Inter­

esse. Einen viel versprechenden Ansatz verfolgt u.a. Reinhold Schrnitt (2005,

201) 0), der die Betrachtung verbaler Interaktion als komplexes multi modales

KmJstrukteinfordert. Er beschreibt verbale Interaktion als ganzheitliches Phäno­

IDCII, bei dessen Analyse und Beschreibung die Körperlichkeit des Sprechers

und dann gebunden,e Modalitäten (Gesten, ete.) genauso zu berücksichtigen

109

... __ .. __ . __ ._-_._--------·",l#

I. FACH 1. Wissen und Veme~

sind wie Größen der sIe einbettenden komplexen audio-visuellen &ealiUit

(Schmitt 20] 0). In der Konsequenz plädiert er dafür, "in theoretischer,. metho­

dologischer und methodischer Hinsicht die Konzentration auf den verbal'eD

Anteil von Interaktion aufzugeben und durch eine muhimodale Sicht auf die faktische Komplexität interaktiver Vorgänge zu ergänzen" (Schmitt 2010: 17).

Die Konzeptualisierung verbaler Interaktion als komplexes muhimodales Kon­strukt zieht eine Reihe von Konsequenzen nach sich. Die Einlösung des damit

verbundenen Fors,chungsprogramms bedingt Technologien, die die Erhebung.,

Aufbereitung und Auswertung audiovisueller Daten ermöglichen und unterstüt_

zen. Es gibt diese Technologien bereits, sie markieren jedoch eher die Ant'ange

,einer in den nächsten Jahren zu leistenden interdisziplinären technologiSChen

Entwicklungsarbeit. Was wir dringend benötigen, sind neue GenerationenVOD

Tools, die elaborierte maschinen gestützte Erhebungs-, Aufbereitungs- und Aus­wertungsverfahren für elektronisch repräsentierte Daten unterschied~icher

Modalität bereitstellen (z. B. Annotationswerkzeuge). Die von Schmitt (2ooS - "

2010) - zu Recht - eingeforderte Ganzheitlichkeit der Analyse mündlicher

Intemktionsvorkommen ist in der Forschungspraxis bisher nur mühsam UlllSetz­

bar (vgl. aber Weinrich 1992; dazu Kalverkämper 1994). Die aufeinander

bezog,ene Interpretation sprachlicher und visueller Daten erhöht wesentlich deo

bei der Da.tenerhebung,. -bearbeitung und -analyse zu leistenden forscheris.cbea

Aufwand. Unter anderem sind Transkripte durch Bildaufnahmen oder Video..

ausschnitte und/oder die Notation im Bild sichtbarer, kommunikationsrdevanter

Phänomene zu ergänzen, um ein systematisches· Inbeziehungsetzen verbaler und körperspra,chlicher Ausdrucksmittel zu erlauben. Die rekonstruierten Phäno­

mene erfordern ein Überdenken, Modifizieren und Ergänzen des Inventars

kliassischer Beschreibungskategorien. Schmitt (2005) demonstriert dies u.a. am Beisp,iel der Kategorie des turn taking und ihrer Erweiterung durch visuell beob­achtbare "kinesische Turn-Beanspruchung" als Variante eines multi-modale"

overlap (Schmin 2005: 45).

Der Ansatz von Schmitt hat ein hohes Potential für die Analyse kooperativer

Arbeitsbeziehung,en. Er demonstriert dies u.a. anband des Mitschnitts einer

Arbeitssitzung, in der drei Akteure gemeinsam ein Filmdrehbuch entwickeln.

Die Einbezi.ehung desvisueU beobachtbaren Anteils von Gruppeninteraktionen

no

E.-M. JAK.OBS Multimodale Fachkommunikatiol1

,(etwa die Analyse des Agierens derer, die aktueH nicht durch Gesprächsbeiträge

prlSent sind) ergibt interessante Hinweise auf parallel zum verbalen Geschehen

ablaufende kognitive Tätigkeiten wie das aktive Wahrnehmen des (kreativen)

Handelnsanderer, das mentale Nachverfolgen im Gespräch entstandener Ideen

und ibr zeitgleiches Weiterdenken, das sich - zeitversetzt - in eigenen Gesprächs­

bei!trägen äuß,ert. Die sich im Inneren der Beteiligten abspielenden Prozesse

binterlassen Spuren an der Oberfläche (z. B. auf der Ebene mimischen und

g,estischen Verhaltens oder der Körperhaltung), die in der Analyse zu beruck­

si,chtigen sind .. Schmitt (2000, 2010) geht weit über das bisher Gesagte hinaus,

etwa in seiner Analyse raum- und szenariobezogener Phänomene, die hier

jedoch nicht weher ausgeführt werden sollen.

In der beruflichen Praxis finden sich zahlreiche Beispiele rur hochkomplexe

multimodal konstituierte Kommunikations- und Interaktionsversuche, die den

B,etrachter beim Versuch ihrer ModeHierung schnell mit den Grenz,en bisheri­

ger Beschreibungs- und Analyseansätze konfrontieren. Dies zeigt sich beson­

ders deutlich bei der ganzheitlichen Betrachtung komplexer Kommunikations­

v,erläufe über die Zeit, in denen Handlungen des Sprechens, Schreibens und

Visualisierens, des Zuhörens, des sich Bewegens und Deutens im Raum oder

des Nachles,ens in handlungsbegleitend entstehenden Notizen und Skizz.en sich

abwechseln, sich phasenweise überlappen oder simultan ablaufen.

In dem nachfolgend dargestellten Beispiel handelt es sich um einen solchen Fal1,

in dem sich Produktions- und Rezeptionsprozesse,. mündlich, schriftlich und

visuell konstituierte Prozesse und Produkte in einem vielfiiltigen, spannungs­

reichen,. in der Zeit herausbildenden dynamischen Beziehungsgeflecht begeg­

nen. Bezeichnend ist nicht nur der Einsatz unterschiedlicher Modi, sondern auch

uDterschiedlicher Medien - berufliche Kommunikation ist nicht nur multimodal,

sie is1 darüber hinaus häufig auch multimedial Die Konzentration auf eine

P,ersp,ektiv,e, ein Medium und/oder eine Modalität fUhrt häufig zu defizitären

Erklirungen und Modellen. Zu den Herausforderungen an die Forschung gehört

dl,e Entwicklung von Modellen, die komplexe Kommunikationsabläufe als

dynamisches, sich we,chse]seitig beeinflussendes Zusammenspiel mündlich,

schriftlich und/oder visuell konstituierter Kommunikation beschreiben (Jakobs

2011).

111

I. FACH 1. Wissen und Vern~

3. Multimodale Kommunikationsarbeit in der Indu:strie

Viele Arbeitsprozesse sind kommunikationsintensiv . In eInIgen Fällen ist

Kommunikation der eigentliche Zweck oder Gegenstand der Arbeit (etwa im

Falle des Schreibens von Berichten), in anderen Fällen gilt Kommunikati1oD

als die "eigentliche Arbeit" begleitende (empraktische) Tätigkeit (Ul~,a.

Brünner 2000). Die genannten Varianten markieren lediglich Pol.c eines: br,eiten Spektrums (Jakobs 2006, 2007). T,eil des Spektrums sind komplCX!8

berufliche Handlungsketten, in deren Verlauf kommunikative Hand.ungea

wesentliche Funktionen ruf die Erreichung nicht-kommunikativer HandlunKs~

ziele (z. B. Steigerung von Umsätzen, Reduzieren von Ausschuss et,e.), ~ ..

sitzen. Zu diesem Typ gehören kommunikative Anteile der Methodik der

industrieHen Prozesserhebung und -mode lIierung, die wir in einem interdis_

ziplinären Projektverbund von Psychologen, Arbeitswissenschaftlem, Sprach­

und Kommunikationswissenschaftlern in Kooperation mit einem Unterneh­

men der produzierenden Industrie untersuchen. Zum besseren Verständnis der

zu beschreibenden Phänomene (Kapitel 3.3.) und ihrer fachlich-methodischen

Herausforderungen (304.) werden der Gegenstand (3.1.), das dazugehörige

Projekt und die Datenbasis (3.2.) kurz vorgestellt.

3,.1. SprachUch-kommunikative Anteile industrieller

Proz,esserhebung und -modelIierung

Unternehmen a.gieren in dynamischen, sich ständig verändernden Kontexten. Sie ergeben sich u.a. aus küneren P'roduktlebenszyklen, internationaler KonkurreiD2

und steigendem Kostendruck. Um Erfolg zu haben, müssen Unternehmen ler­

nen, damit mö'g~ichst effizient umzugehen. Ein besonders erfolgreicher Lösunas_

ansatz wird in einer prozessorientierten Unternehmensorganisation gesehen (u. a.. Schuh 1996, 2006), die flexibel auf sich verändernde Bedingungen reagiert und

ihre zentralen Prozesse, insbesondere die wenschöpfenden (Produktions-)Ph>­

zesse kontinuierlich überpdift und verbessert. Teil des Konzeptes ist das systema_

tische Einbeziehen der an den Pmzessen beteiligten Akteure - der Mitarbeiter des

Unternehmens -, insbesondere ihfes Wissens und ihrer Erfahrung.

112

E.-M. JAKOBS Multimodale Fachkommunikation

Für die systematische Erhebung, Überprüfung und Verbesserung von Geschäfts­

prozessen wurden in den Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaften verschie­

dene Vorgehensmodelle entwickelt (vgl. Miebach 2009). Stark vereinfacht

umfasst ein Vorgehensmodell mehrere Phasen, deren Ausprägung abhängig vom

Zi,el der Methodenanwendung, dem Anwendungshereich und dem zugrunde­

Hegenden Managementkonzept variieren kann.

:Kö6til'll~iediCb~, . ;Proz~H~anagement

Abb. ]: Einfaches Vorgehensmode 11 zur Geschäftsprozessoptimierung (nach AUweyer 2009: 97)

Das oben vorgestente VorgehensmodeU umfasst fünf Phasen, die bedarfsabhängig

i:terativ umzusetzen sind (vgl. AUweyer 2009):

In Phase 1 werden Arbeitsteams gebildet, die Ziele der Prozessüberprüfung und -

verbesserung diskutiert (wohin will das Unternehmen) und das weitere Vorgeben

(die Methoden) festgelegt.

In Phase 2 werden die Ist-Zustände der zu betrachtenden Prozesse (z. B. die

Herstellung eines Bebälters von der Anlieferung des Materials bis zur Aus­

lieferu.ng des Produkts in Kisten) analysiert und die erhobenen Informationen

modelliert. Die Erhebung von Prozessabläufen erfolgt durch so genannte

Prozesserhebungsmethoden. Die erhobenen Daten werden mit Hilfe graphischer

NOltati.on.ssysteme oder -sprachen (etwa K3) in visuell dargestellte Prozess­

modelle (Abb. 2) überfUhrt und dokumentiert.

ProzessmodeHe erfassen, vereinfacht formuliert, den Zustand von Aufgaben,

Ablaufen und Ressourcen in ihrer wechselseitigen Abhängigkeit, den Einsatz

von Arbeits- und Betriebsmitteln und/oder Tätigkeiten von Mitarbeitern als

Tei,l ablauforganisatorischer und arbeitsptatzbezogener Prozesse des Unter-

113

I. FACH 1. Wissen und V

nehmens. Die Ziele der Erhebung und Modellierung können variieren:

Prozessmodelle dienen der Analyse und Optimierung von Arbeitsabläufen;

sie werden im operativen Geschäft genutzt, für Prozessablaufbeschreibungen

bei Zertifizierungsmaßnahmen oder für den Aufbau "geteilter" mentaler

Modelle als Basis der Diskussion im Team. Die erhobenen Prozesse werden

nach Bedarf (und Zielstellung) verbessert und implementiert (Phase 3), erneut

überprüft und gegebenenfalls verbessert (Phase 4) und dann in den

Arbeitsalltag überführt (Phase 5).

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Abb.2: Ausschnitt eines visualisierten Prozessmodells (nach Schuh 2010: 31)

Unsere Literaturstudien wie auch unsere empirischen Daten zeigen, dass die

Umsetzung der beschriebenen Phasen hochgradig kommunikationsintensiv ist

(Jakobs / Spanke 2010 [im Druck]). Die Qualität der geleisteten Komnmnika

tionsarbeit hat wesentlichen Anteil am Erfolg oder Misserfolg des (Jesanntv,or­

habens. Störungen in der Kommunikation der beteiligten Akteure (Missverständ­

nisse, Fehlinterpretationen, Nichtkommunikation etc.) können fatale Folgen:

haben, bezogen auf einzelne Phasen des Vorgehens wie auch für das intendierte

Endresultat (z. B. Minderung von Ausschuss oder Ausfallzeiten in der Pro­

duktion).

114

JAKOBS Multimodale Fachkommunikation

Untersuchungskontext und -daten: Das Projekt IMlp1

In einem interdisziplinären2 Verbundprojekt (IMIP) untersuchen Sprach- und

Kommunikationswissenschaftler, Psychologen und ArbeitswissenschaftIer in

Kooperation mit einem Industriepartner sprachlich-visuelle Kommunikations­

anteile der industriellen Prozesserfassung und -prozessmodellierung. IMIP

fokussiert damit Phase 2 ('Erhebung von Ist-Zuständen') des oben beschriebenen

Gesamtverfahrens. Ziel des Projektes ist die empirische Ermittlung von

Störungen, die sich aus der Handhabung sprachlich und/oder visuell konsti­

tuierter Verfahren und Praxen der beteiligten Akteure ergeben, ihrer Ursachen

sowie die Entwicklung von Interventionen zu ihrer Vermeidung (Schulungen,

Leitfaden etc.). Aus übergeordneter Sicht intendiert das Projekt die interdis­

ziplinäre Weiterentwicklung von Prozessmodellierungsmethoden, etwa im Sinne

geringerer Störanfalligkeit. Weitere Ziele betreffen die Weiterentwicklung fach­

spezifischer Theorien und Methoden, etwa der Technik- und Unternehmens­

kommunikation (Jakobs 2008).

Das Interesse der Arbeitswissenschaftler richtet sich auf den Gesamtprozess an

sich, die dabei genutzten Tools und ihre Handhabbarkeit sowie Fragen der Ver­

mittlung der Methodik. Die Arbeit der Psychologen fokussiert die Gestaltung

und Nutzung graphischer Notationssysteme für die Dokumentation von Ist-Zu­

ständen der erhobenen Prozesse. Der Beitrag der Sprach- und Kommunikations­

wissenschaft besteht in der Analyse sprachlich konstituierter Verfahrensanteile,

insbesondere bei der Erhebung von Prozessdaten, die in die Visualisierung

einfließen.

Die Analyse sprachlicher Anteile der Prozesserhebung und -modelIierung stützt

sich auf verschiedene Daten. Den Ausgangspunkt bildet eine umfangreiche

Literaturstudie, die die Sicht der Experten (Ingenieure, Wirtschaftswissen­

schaftler) auf den Gegenstand erhebt. Im Anschluss wurden mehrere Datensätze

zum Einsatz der Methodik der Prozesserhebung erhoben. Die Methodik wurde

IMIP (Interdisziplinäre Methoden der industriellen Prozessmodellierung) wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Förderschwerpunkt "Wechselwirkung zwischen Natur- und Geisteswissenschaften" gefördert. In diesem Zusammenhang sei Reinhard Fiehler für die profunde Beratung und fachliche Begleitung des Projekts gedankt!

115

I. FACH 1. Wissen und V

nehmens. Die Ziele der Erhebung und Modellierung können variieren:

Prozessmodelle dienen der Analyse und Optimierung von Arbeitsabläufen;

sie werden im operativen Geschäft genutzt, für Prozessablaufbeschreibungen

bei Zertifizierungsmaßnahmen oder für den Aufbau "geteilter" mentaler

Modelle als Basis der Diskussion im Team. Die erhobenen Prozesse werden

nach Bedarf (und Zielstellung) verbessert und implementiert (Phase 3), erneut

überprüft und gegebenenfalls verbessert (Phase 4) und dann in den

Arbeitsalltag überführt (Phase 5).

, : Wiederhol- ,

: konstrukti<?~ 5% ; I l : manuell '1 6Wo I:,'

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Abb.2: Ausschnitt eines visualisierten Prozessmodells (nach Schuh 2010: 31)

Unsere Literaturstudien wie auch unsere empirischen Daten zeigen, dass die

Umsetzung der beschriebenen Phasen hochgradig kommunikationsintensiv ist

(Jakobs / Spanke 2010 [im Druck]). Die Qualität der geleisteten Komnmnika

tionsarbeit hat wesentlichen Anteil am Erfolg oder Misserfolg des (Jesanntv,or­

habens. Störungen in der Kommunikation der beteiligten Akteure (Missverständ­

nisse, Fehlinterpretationen, Nichtkommunikation etc.) können fatale Folgen:

haben, bezogen auf einzelne Phasen des Vorgehens wie auch für das intendierte

Endresultat (z. B. Minderung von Ausschuss oder Ausfallzeiten in der Pro­

duktion).

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JAKOBS Multimodale Fachkommunikation

Untersuchungskontext und -daten: Das Projekt IMlp1

In einem interdisziplinären2 Verbundprojekt (IMIP) untersuchen Sprach- und

Kommunikationswissenschaftler, Psychologen und ArbeitswissenschaftIer in

Kooperation mit einem Industriepartner sprachlich-visuelle Kommunikations­

anteile der industriellen Prozesserfassung und -prozessmodellierung. IMIP

fokussiert damit Phase 2 ('Erhebung von Ist-Zuständen') des oben beschriebenen

Gesamtverfahrens. Ziel des Projektes ist die empirische Ermittlung von

Störungen, die sich aus der Handhabung sprachlich und/oder visuell konsti­

tuierter Verfahren und Praxen der beteiligten Akteure ergeben, ihrer Ursachen

sowie die Entwicklung von Interventionen zu ihrer Vermeidung (Schulungen,

Leitfaden etc.). Aus übergeordneter Sicht intendiert das Projekt die interdis­

ziplinäre Weiterentwicklung von Prozessmodellierungsmethoden, etwa im Sinne

geringerer Störanfalligkeit. Weitere Ziele betreffen die Weiterentwicklung fach­

spezifischer Theorien und Methoden, etwa der Technik- und Unternehmens­

kommunikation (Jakobs 2008).

Das Interesse der Arbeitswissenschaftler richtet sich auf den Gesamtprozess an

sich, die dabei genutzten Tools und ihre Handhabbarkeit sowie Fragen der Ver­

mittlung der Methodik. Die Arbeit der Psychologen fokussiert die Gestaltung

und Nutzung graphischer Notationssysteme für die Dokumentation von Ist-Zu­

ständen der erhobenen Prozesse. Der Beitrag der Sprach- und Kommunikations­

wissenschaft besteht in der Analyse sprachlich konstituierter Verfahrensanteile,

insbesondere bei der Erhebung von Prozessdaten, die in die Visualisierung

einfließen.

Die Analyse sprachlicher Anteile der Prozesserhebung und -modelIierung stützt

sich auf verschiedene Daten. Den Ausgangspunkt bildet eine umfangreiche

Literaturstudie, die die Sicht der Experten (Ingenieure, Wirtschaftswissen­

schaftler) auf den Gegenstand erhebt. Im Anschluss wurden mehrere Datensätze

zum Einsatz der Methodik der Prozesserhebung erhoben. Die Methodik wurde

IMIP (Interdisziplinäre Methoden der industriellen Prozessmodellierung) wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Förderschwerpunkt "Wechselwirkung zwischen Natur- und Geisteswissenschaften" gefördert. In diesem Zusammenhang sei Reinhard Fiehler für die profunde Beratung und fachliche Begleitung des Projekts gedankt!

115

I. FACH 1 .. Wissen und Veme~

vom arbeitswissenschaftlichen Partner in verschiedenen Varianten (Durcbfi1b~

rung durch Experten, Schulung von Mitarbeitern, Durchführung durch gescbulte

Mitarbeiter; ausführlich Jakobs I Spanke 2010 [im Druck]) beim Partnerunter­

nehmen angewandt. Zum Teil wurden die beteiligten Akteure retrospektiv

befragt.

Die erhobenen Datensätze sind alle multimodal bzw. multisemiotisch. Die Metbo­

denanwendungen wurden per Video aufgezeichnet, die verbalen Videoanteil'e

transkribiert sowie Skizzen und Notizen,. die die Akteure bei Anwendung der

Methode produzierten, eingescannt. Insgesamt liegen mehr als 40 Videostundeo

vor, tausende von Transkr1ptseiten und mehr als 80 Scans .. Die Auswertung erfolgt

primär gesprächsanalytis,ch, zum Teil auch inhaUsanalytisch .. Im Folgenden werden

ausgesuchte Ergebnisse sowie Herausforderungen des Materials bezogen auf seine

Ana.lyse und die ModeHierung der beobachtbaren Phänomene dargestellt

3.3. M ultimoda.e Intera.ktionsketten

Erste Auswertungen zeigen, dass die bei der Prozesserfassung eingesetzten

Verfahren ein komplexes Zusammenspiel mündlich, schriftlich und visuell konstituierter Interaktionszus.ammenhänge erzeugen. Die Phase der Erhebung

und -modelHerung von Geschäftsprozessen (hier: Produktionsprozessen) ist ein

Paradebeispiel für muhimodale Interaktion als integraler Bestandteil Von

Arbeitsprozessen. Sie ist p,er s,e kommunikationsreich und -intensiv, damit aber

auch hochgradig störanfällig. Die kommunikativ .zu erbringende Leistung riChtet

sich zum einen auf das Erheben von Daten zu dem zu modellierenden Pro'duk_

tionsprozess, zum anderen auf ihre Aufbereitung ruf Nachfolgehandlungen - um Prozesse gemeinsam diskutieren und optimi,eren zu können, ist es notwendig· ., Grundla.genfii.r das Sprechen über diese zu schaffen, indem man die bisherige

Praxis ,erhebt und beschreibt.

Die Ausdrücke 'IErheben'" undl'Beschreiben" stehen in dem hi,er betrachteten

Zusammenhang für Handlungskompl,exe: Bei der Erhebung müss,en sich di'e

Bet.eiHgten organisieren, ihr Vorgehen klären wie auch Beziehungen. Themen

und Inhalte müssen gemeinsam erarbeitet, fokussiert und ausgehandelt werden.

Die erhobenen Daten müssen bewertet,. selektiert,. abstrahiert, sequenziert und in

116

L

E.-M. JAKOBS Multimodale Fachkommunikation

Beziehung gesetzt werden. Für das Ergebnis dieser Schritte muss schließlich

eine Darstellungsfonn gefunden werden, die eine belastbare und eindeutige

Au.sgangslage für Interpretationsleistungen anderer bietet.

Die Prozess erhebung erfolgt vor Ort im Unternehmen in verteilten RoHen (z. B.

Prozesserheber - befragter Mitarbeiter). Eine wesentliche Herausforderung

besteht im Abgleich von Perspektiven auf den zu modellierenden Prozess und

den Vorgang der Erhebung und ModeBierung selbst, der auf beiden Seiten - der

Seite der Prozesserhebenden wie auch der beteiligten Mitarbeiter - hohe

Kooperativität voraussetzt. Der Abgleich bezieht sich nicht nur auf die Sichten

und Vo,rannahmen der Interagierenden (Prozesserheber - Befragter), sondern

aucb auf die der befragten Mitarbeiter und das Zusammenführen ihrer Angaben

.zu einem "big pictur,e" des Produktionsprozesses.

Für die Erhebung von Prozessinfonnationen stehen verschiedene Verfahren und

daran g,ebundene Modi zur Verfügung. Der Erhebende beobachtet Produktions­

abläufe und Tätigkeiten, er (selten sie) misst Zeiten, erfragt Praxen, erschließt

lesendanhand von Finnendokumenten Hintergrundinfonnationen, trägt Angaben

der Befragten (und ihre Sichten auf das Geschehen im Einzelnen wie im

Ganzen) zusammen, bewertet sie, macht sich Notizen, abstrahiert und verdichtet

]Dfoßllationen. Er befragt Einzelne oder Gruppen mündlich oder schriftlich. Im

Verlauf des Erhebungsprozesses entstehen erste Versuche der Visualisierung des

Erhobenen - als Fonn der Selbstverständigung (was hängt mit wem zusammen,

was kommt zuerst, was danach, wer arbeitet wem zu) oder als Schritt hin zur

graphischen Darstellung des Gesamtprozesses. Im zeitlichen Verlauf der

P'rozess,erfassung und der schrittweisen Verarbeitung der beobachteten, gemes­

sen,en, mündlich und/oder schriftlich erhobenen mental, schriftlich und/oder

visuell repräsentierten Daten und Angaben nimmt der Informationsgehalt des

Erhobenen ab. Die erhobenen Angaben werden reduziert, dekontextuaHsiert und

absttahiert. Jeder einzelne Schritt ist - wie erwähnt - störanfällig, insbesondere

bezogen auf die zu leistende Rekonstruktionsarbeit. Diese Einsicht findet sich -

zumindest in Ansätzen - auch in der ingenieurwissenschaftlichen Fachliteratur,

hier beschrieben als Erfahrungswissen:

"ln zahlr,ei,chen Fanbeispielen bildeten sich vier mögliche Fehlerquellen heraus:

Di,e Infonnationen können im Interview vom interviewten Mitarbeiter falsch oder

117

I. FACH

unvollständig gesendet werden. von Bera.tem fa.lsch oder unvoUständig

emprangen werden, vom Mitarbeiter als ideal,er Zustand anstatt 3.ls Realitäts­

zustand r'ekonstruiert werden oder 3uch vom Beral.er als Ideal- anstattals

Realitätszustand rekonstru.iert werden. t. (Schuh 2006: 57)3

Interessant ist u. a., dass sich das Interesse und die Aufmerksamkeit der

Expe.rten aus den Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaften primär auf denAkI

der Viisuahsierung der erhobenen Daten mit Hilfe von Notationssprachen und

-cools richten. Die spra.chlichen Aspekte interessieren kaum bzw. sind nicht i 111

Bewusstsein der Akteure. Hier zeichnen sich deutliche modale Präferenzen ab.

Visualisierungen gelten in der Weh der Technik als weitgehend "sprachfrei" und

daher aJs feMerann. Dass di,ese Annahme nicht zutriffi, zeigen u. a. Studien des

Projektpartners, aus der Psychologie, in denen u .. a. die Verarbeitung von

Notationselementen unter dem Aspekt ihrer Verständlichkeit (hi,er: K3) getestet

wurde (Aming / Ziefle 2009). Die Srudie zeigt, dass die Interpretation von Ikoißs und Symbolen ähnlich störanfällig ist, wie die Interpretation verbaler Äußerun­

en. Dile meisten getesteten p.ersonen konnten nur einen Teil der ihnen prisen­

ierten Elemente der Notationssprache fehl.erfrei deuten.

Was in der Literatur wie in der Praxis übersehen wird, ist, dass der der Notation

vorausgehende primär spracMich realisierte Prozess des Erhebens von Daten

wes,entlich die Qua.lität des Inputs im Notationsprozess be,einflusst. Wie unsere

Daten zeigen, entstehen hier Verluste durch Fehler und Mäng,el in der Vor­

bereitung der kooperativ zu erbringenden Komrnunikationsarbeit, bei der

ThemenprogressioD, auf der Ebene der Beziehungsgestaltung und de.r verbalen

Arbeitsorganisation. Es wird weiter übersehen, dass Notationssysteme an siclh.

nicbt Ilmonomodal" sind" sondern in der Regel mehrfach kodiert. werden dun:b

die Kombination graphischer, numerischer und verbaler Gesta~tungse~emeDte

(Fonnen,. Pfeile, leons;. Zahlen; Einzelausdrücke, Phrasen) (vgt Abb. 2 oben).

3

118

Simplifi.zierende Sender-Empfanger~ModeUe scheinen ungebrochen die Arbeits­welt der Ingenieure zu dominieren.

,

I I ;

MuUimodale Fachkommunikation

lA:. Methodische und theoretische Herausforderungen

Aal der Sicht angewandter Linguistik besteht die fachliche Herausforderung

J'JIIIIlemen in der Erhebung bisher wenig oder nicht diskutierter Phänomene

(Dalenezbebung und -aufbereitung), zum anderen in ihrer ModeUierung und der

Uatmucbungsrnethodik, die dem dynamischen Charakter des Gegenstandes wie

aadI, Medialitätswechseln Rechnung tragen muss. Eine wesentliche Heraus­

feIdenm,g istt das Zusammenspiel komplexer kommunikativer Interaktions­

ZII!II8IDfIlenh.änge im Auge zu behalten und einen Bezugsrahmen zu schaffen, der

.. erlaubt, Einzelphänomene im Gesamtkomplex der ablaufenden Kommu­

aitationspro,zesse zu verorten.

Aus Sicbt der Angewandten Linguistik stellen sich die beschriebenen Hand­

~n als komplexer iterativer Prozess dar, in dessen Verlauf Sichten auf

CIie Welt in einem Nach- und Miteinander konzeptionen wie medial differieren­

... komDlurukativer Handlungen konstruiert und rekonstruiert, verhandelt, rati­

fiziert· und modifiziert werden. Müller (2006) spricht in ähnlichen Zusammen­

IJInp von einem Interaktionskontinuum, einer Produzenten-Rezipienten-Inter­

""ten~Kette. Sie sind u. a. beschreibbar als ereignisstruktureB bedingte Ab­

foIpn von Handlungen, die - abhängig von Handlungsorientierungen der

.... igten - Affinitäten zwischen Modalitäten erkennen lassen (vgl. Müller

2006: 200). Im hier untersuchten Fall zeigt sich dies z. B. in der Praxis der

.,..~,. sich im Verlauf der Themenprogression explizit auf früher

.."aclJsbegleitend entstandene Notizen ( eigene, fremde) zu beziehen oder zur

V:eRleutlichung des Gemeinten zu Visualisierungsversuchen überzugehen, die

_*Ieich oder .~eitversetzt kommentiert werden.

ModeUierungsbedürftig ist die Verschränkung von Kommunikationscodes und

.. SM"n wie auch die Verschränkung produktiver und rezeptiver Prozesse und

illrer Ergebnisse. Es entstehen schriftlich und visuell konstituierte Kommuni­

kalte" die sich - zeitlich versetzt oder verschränkt - in vielfacher Weise aufein­

,"er bezi,eben, so z. B. in ihrer Funktion als Input für nachfolgende Schritte der

Hadlungs~ette. Relevant ist, wie sich im Zuge von Interpretationen Sachver­

Wte" Meinungen und Sichten auf die verhandelte Welt verändern. In der

.onehung fehlen - wie eingangs erwähnt - zum einen Modelle zur Beschrei-

119

I. FACH 1. Wissen und Vem~

bang komplexer dynamischer Handlungsketten, die es erlauben, das Zusamm~

spiel mündlich. schriftlich und visuell realisierter kommunikativer Handlungen

in der Zeit zu erfassen und zu beschreiben, und Erklärungsansätze für sich dabei

herausbildende oder vererbende Störungen bieten. Es feh1t zum anderen eillC

integrative Methodik zur Ennittlung und Analyse dieser Störungen (bezogen auf

Einzelverfahren, ihre Verknüpfung und Transfonnationsprozesse in der Zeit)..

Von besonderem Interesse ist die ModeUierung von modalen Overlap,s. und

Modalitätswechseln (ihre Ursachen, Funktionen, Potentiale und Störungen).

4. Fa.zit und Ausblick

Eine adäquate Betrachtung komplexer, dynamischer Handlungsketten wie oben

beschrieben erfordert u. a. Multi- und Interdisziplinarität. In gewisser Weise

beginnt si,e im eigenen Fach. Die Ausdifferenzierung der Linguistik in eioe

Vielzahl hoch spezialisierter Teilgebiete erschwert dem Einzelnen zunehmend.

einen profunden Überblick über aktuelle Fachdiskurse, Methoden und ModeUe.

Der in Kapitel 3 beschriebene Gegenstand erfordert die Zusammenarbeit VOll

Gesprächs~ bzw. Ko,nversationsanalytikern, Texdinguisten, Semiotikem und

P'sycholiogen. Fragen der Darstellungsleistung und der Nutzung gra.phiscber

Nota.tionssysteme sind - bezogen auf ihre visuellen Anteile und Verarbei~ ...

fragen - prim.är Gegensta.nd der Psychologie, bezogen auf sprachliche Angabea

Gegenstand der (Fa.ch-)TextHnguistik. Für die Analyse von Prozessen des

Notierens ei.gnen sich Ansätze der Textproduktionsforschung. Das Wissen der Arbe.itswissens,chaftl,er ist gefragt, wenn es um die Einschätzung des Einflusses

von Gro,ßen des Managementansatzes oder der situativen Einbettung im Unter ..

nehmen geht. Die Liste lieUe sich fortführen.

Aus der Sicbt der Forschung wäre ein Forum wünschenswertt das den interdi,s,_

zilplinären Austausch über (fa.chlicbe) muItimodal,e Kommunikationsproz~

insbesondere Model.le und Untersuchungsmethoden fördert. Eine wesentliche

Herausforderung ist die EntwickJung intellig.enter, nutzerfreundlicher elektroni­

scher Annotations~ und Analys,ewerkzeuge, die insbesondere die Bearbei~

großer Datenmengen unterstützen.

]20

.·4pi

E.-M. JAKOBS Multirnodale Fachkommunikation

ei,e genannt,en Forderungen markieren wesentliche Schritte bei der Fortsetzung

des facbli,cb-methodischen Wegs, dessen Fundamente Hartwig Kalverkämper -

wie eingangs skizziert - visionär schon früh gelegt hat.

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schung + Unterricht. Serie A. 36).

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BAUMANN Fachliche Intertextualität

Klaus-Dieter Baumann

Fachliche Intertextualität -

ein interdisziplinärer Untersuchungsansatz

1. Einleitung 2. Konzeptionelle Weiterungen des fachlichen Intertextualitätsbegriffs 3. Die Sichtung verschiedener Analysekonzepte von Intertextualität 4. Die Entwicklung eines interdisziplinären Ansatzes fachlicher Intertextualität

4.1. Die Bezugsebene der Kultur( en) 4.2. Die Bezugsebene der Sozialität 4.3. Die Bezugsebene der Situativität 4.4. Die Bezugsebene der Intermedialität 4.5. Die Bezugsebene des Fachdenkens 4.6. Die Bezugsebene des Fachinhalts 4.7. Die Bezugsebene der Funktion 4.8. Die Bezugsebene der Fachtext(sorten)strukturen 4.9. Die Bezugsebene der Syntax und Morphologie 4.10. Die Bezugsebene des Stils 4.11. Die Bezugsebene der Lexik und Semantik 4.12. Die Bezugsebene der Grafik 4.13. Die Bezugsebene der Orthographie 4.14. Die Bezugsebene der Phonetik und Phonologie

Literaturverzeichnis

1. Einleitung.

Zu Beginn der 1980er Jahre haben die beiden Textlinguisten R. de Beaugrande

und W. Dressler die wechselseitigen Beziehungen und Abhängigkeiten, die

zwischen Texten bestehen, als ein konstitutives Kriterium von (fachlicher)

Textualität erkannt (1981: 192 ff.). Aus wissenschaftshistorischer Perspektive

gehören beide zu den Vertretern der sich zu dieser Zeit etablierenden

kommunikativen Textlinguistik, die das Konzept der Intertextualität aus metho­

dologischen Beschränkungen der Literaturwissenschaft herausführen und es für

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