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Tuna el-Gebel - Band 4 Kleine Götter – Grosse Götter Festschriſt für Dieter Kessler zum 65. Geburtstag

Kleine Götter – Grosse Götter - m-fitzenreiter.de allen, die nun als ... Mauer(n) (Pharaos)“. Versuch einer Entwirrung 91 Angela von den Driesch† und Joris Peters ... Seth-Baal

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Tuna el-Gebel - Band 4

Kleine Götter – Grosse Götter

Festschrift für Dieter Kessler zum 65. Geburtstag

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Tuna el-Gebel - Band 4

Herausgegeben vonMélanie C. Flossmann-Schütze, Maren Goecke-Bauer, Friedhelm Hoffmann,

Andreas Hutterer, Katrin Schlüter, Alexander Schütze, Martina Ullmannunter Mitarbeit von Patrick Brose

Kleine Götter – Grosse GötterFestschrift für Dieter Kessler zum 65. Geburtstag

Verlag Patrick Brose

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Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National-bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de ab-rufbar.

1. Auflage 2013© 2013 Verlag Patrick Brose, alle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-944207-02-5www.verlag-pb.de

IV TeG 4

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Vorwort

Im Frühjahr 2010, als ich kaum den Ruf an die Ludwig-Maximilians-Universität erhalten hatte, kam M. C. Flossmann-Schütze mit der Idee zu mir, eine Festschrift für Dieter Kessler herauszugeben. Über diese Initiative habe ich mich sehr gefreut. Denn nicht nur verstand ich mich persönlich mit Dieter Kessler auf Anhieb gut, sondern er hatte auch das Institut für Ägyptologie und Koptologie der Ludwig-Maximilians-Universität über viele Jahre geprägt. Dieter Kessler hat jahrzehntelang die Unternehmungen in Tuna el-Gebel geleitet und Generationen von Studierenden im Bereich der ägyptischen Archäologie ausgebildet. Das andere große Interessengebiet des Jubilars ist die ägyptische Gottesvorstellung, vor allem, wie sie sich im Tierkult manifestiert. Unermüdlich hat Dieter Kessler gängige Meinungen in Frage gestellt und die erhaltenen Quellen sozusagen gegen den Strich gebürstet.

Um diese beiden Schwerpunkte im wissenschaftlichen Wirken Dieter Kesslers, Tuna el-Gebel und die Gottesvorstellung, aufzunehmen und zu würdigen, trägt diese Festschrift den Titel „Kleine Götter – Große Götter“ und erscheint als Band der Reihe Tuna el-Gebel.

Das Interesse an einer Festschrift für Dieter Kessler war bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Tuna el-Gebel-Projektes und den übrigen Mitgliedern des Instituts sogleich groß. Aber die Erstellung einer Festschrift bedeutet natürlich auch Arbeit. So blieb es nicht aus, dass sich im Laufe der Zeit aus verschiedenen Gründen so manche dann doch aus dem Kreis der aktiven Herausgeber verabschiedeten und ein „harter Kern“ übrig blieb, der den Band schließlich rechtzeitig vollenden konnte. Ihnen allen, die nun als Mitherausgeber im Titel genannt sind, möche ich an dieser Stelle für ihr großes Engagement und ihren unermüdlichen Einsatz danken.

Mein Dank gilt auch dem Collegium Aegyptium, das den Druck dieser Festschrift finanziell unterstützt hat.

Vor allem aber möchte ich im Namen aller Herausgeberinnen und Herausgeber sowie aller, die einen Aufsatz zu dieser Festschrift beigesteuert haben, Dieter Kessler sehr herzlich zu seinem 65. Geburtstag gratulieren sowie für die Zukunft alles Gute und weiterhin frohe Schaffenskraft wünschen. Möge ihn Tuna el-Gebel, mögen ihn die kleinen und die großen Götter noch zu vielen Entdeckungen führen!

München im Juni 2013

Friedhelm Hoffmann

VTeG 4

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort VInhaltsverzeichnis VII

Sophia Specht und Stephan UnterBibliographie von Dieter Kessler 1

Hartwig AltenmüllerDer rettende Greif. Zu den Bildern des Greifs auf den sog. Zaubermessern des Mittleren Reiches 11

Fathy Awad Ryad und Patrick Brose Ein neu entdecktes Grab am Zuweg zum Tierfriedhof von Tuna el-Gebel 29

Horst BeinlichGötter, Tiere, Statuetten 45

Edith BernhauerZwei Bügelsistren aus Tuna el-Gebel 51

Helmut Brandl, with a contribution by Joachim Friedrich QuackA Bichrome Faience Statuette of Bastet from the Reign of Takeloth III 67

Günter Burkard„Die (fünf) Mauer(n) (Pharaos)“. Versuch einer Entwirrung 91

Angela von den Driesch† und Joris PetersRuhende Götter oder Ibisnahrung?Die Fischfunde aus der Tiernekropole von Hermopolis Magna bei Tuna el-Gebel (Mittelägypten) 105

Mahmoud EbeidThe unknown Hormerti and the archive of his priests in the Ibiotapheion of the Tuna al-Gebel necropolis 113

Martin FitzenreiterNeues vom Netscher 131

Mélanie C. Flossmann-SchützeEine Ibis-Standarte aus der Tiernekropole in Tuna el-GebelEin Zwischenbericht zur Klassifikation von Götterstandarten und ihren Verwendungskontexten 145

Michaela Fuchs und Hugo MeyerMystica SlovenicaVon Nachmietern der Pharaonen, verschwundenen Flüssen, wirklichen Einheimischen und indisierenden Wundertätern 171

Beatrix Gessler-LöhrDie Sonne über dem FalkenBemerkungen zur Ikonographie des Gottes Behedeti (I) 189

TeG 4 VII

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VIII Inhaltsverzeichnis TeG 4

Manfred Görg†Seth-Baal im Bild. Weitere Aspekte zur komparatistischen Betrachtung 229

Zahi Hawass and Kathleen MartinezPreliminary Report on the Excavations at Taposiris Magna: 2005–2006 235

Friedhelm HoffmannDie hieroglyphischen Inschriften der Mensa Isiaca 253

Salima IkramA Curious Case of Canine Burials at Abydos 265

Karlheinz KesslerKār Aššur, Chalas(s)ar, Artemita. Assyrische Festung und griechische Polis in der Apolloniatis 273

Kamal Sabri KoltaDie Moiren und die „Sieben Hathoren“. Schicksalsgottheiten 285

Hugo MeyerWie man über Bräute durch Wein auf den Hund kommtZum uralten Wort Tocke zwischen ungarischer Vitikultur und Albert Einstein 295

Tycho MrsichEin Nachtrag zu „Erenofres Verteidigung“ 309

Frank Müller-RömerMünzgeld im Ägypten der vorchristlichen Zeit 329

Gabriele PiekeDjehutihoteps seltenes Schmuckstück und seine VorläuferAnmerkungen zur Typologie und Tradierung des Bat-Gehänges 341

Joachim Friedrich QuackZorn eines großen oder kleinen Gottes? 361

Silvia M. RabehlZu zwei Götterbezeichnungen aus dem frühen Mittleren ReichHathor und Iunmutef im Grab Chnumhoteps I. aus Beni Hassan 367

Ali RadwanAmenemhat III. als GottI. Göttlichkeitsstufen eines Monarchen zu seinen Lebzeiten und kurz danach 381

Katrin SchlüterEinige unter Vielen. Pavianindividuen aus Tuna el-Gebel 403

Bettina SchmitzIbis und Pavian. Die Tiere des Thot in Hildesheim 417

Regine SchulzDie Fliege. Gedanken zu einem mehrdeutigen Bildikon im alten Ägypten 427

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IXInhaltsverzeichnisTeG 4

Alexander SchützeThotirdis und die Verwaltung Ägyptens in der 30. Dynastie 449

Johanna SiglKleine Götter oder Kuscheltiere? Ein Befund der frühen Römerzeit aus Syene/Assuan 465

Frank SteinmannEin ptolemäerzeitlicher Gefäßtyp in Tuna el-Gebel 477

Heinz-Josef ThissenVon Nubien nach Oxyrhynchos: Dedun, ein kleiner Gott 495

Martina UllmannVon Theben nach Nubien. Überlegungen zum Kultkomplex Ramses’ II. in Abu Simbel 503

Alexandra Verbovsek„Kurz festgehalten“. Allgemeine Gedanken zum Fest und ägyptischen Festgeschehen 525

Christopher WassDas Grab des onX-Or in der Tiernekropole von Tuna el-Gebel 535

Harco WillemsA Note on Circumcision in Ancient Egypt 553

Stefan Jakob WimmerFalsche TiereEin weiteres Exemplar einer nachgemachten Tonstele des Pa-shed aus dem frühen 20. Jahrhundert 559

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Zur Zitierweise:

Sofern in W. Helck/W. Westendorf (Hrsg.), Lexikon der Ägyptologie, Bd. 7, Wiesbaden 1992, XIV–XXXVIII Abkürzungen für Zeitschriften, Reihen oder Monografien angegeben sind, werden diese im vorliegenden Band benutzt.

Darüber hinaus werden folgende Abkürzungen verwendet:

Hannig, HWb – R. Hannig, Großes Handwörterbuch Ägyptisch – Deutsch (2800–950 v. Chr.) – Marburger Edition –, Kulturgeschichte der antiken Welt 64, Mainz 42006.

LGG – C. Leitz (Hrsg.), Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen, 8 Bde., OLA 110–116 und 129, Leuven/Paris/Dudley, MA 2002–2003.

Für etwaige Inkonsequenzen bitten die Herausgeber um Nachsicht.

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1. Ein aus Saqqara stammender, heute in Leiden aufbewahrter Block aus der funerären Ka-pelle eines Ptahmose zeigt im unteren Bildstreifen ganz links den Grabherrn im Kontext einer Vignette, die Motive des Totenbuches aufnimmt (Abb. 1).1 Wie in den Inschriften die-ser Zeit üblich, wird er in allen seinen Beischriften mit der Bezeichnung „Osiris“ vor dem Personennamen ausgezeichnet; hinter dem Namen folgen die Rechtfertigungsaffirmation mAa xrw und dann eines jener wechselnden Epitheta. Im hier interessierenden Fall lautet das Epitheton (Abb. 2): jr=f xpr=f m nTr

Die Schreibung ist ebenso kunstvoll wie die Gesamtkomposition des Textes und der Bild-sequenz, die jede für sich einer längeren Betrachtung Wert wären. Hier soll sich aber auf das kurze Textstück beschränkt werden, das einen zentralen Begriff für die Beschäftigung mit Göttern groß oder klein enthält: das Wort „Netscher“ (so sei im Folgenden der Einfachheit halber geschrieben).

Das Epitheton nimmt auf Formulierungen Bezug, wie sie für die „Verwandlungssprüche“ der funerären Literatur typisch sind.2 In diesen Sprüchen wird die Verwandlung – bzw. mit Hannes Buchberger: Transformation – eines Toten in eine andere Wesenheit einerseits be-schrieben, andererseits magisch affirmiert. Neben diversen namentlich benannten Gotthei-ten (Thot, Hathor, Horus etc.), „Mächten“ (Heka) oder auch Tieren (Falke, Krokodil, Käfer etc.) ist dort auch die Formulierung belegt, sich in jeden gewünschten Netscher zu verwan-deln: jrr z xpr.w m nTr (nb) mrr.w z jr.t xpr.w jm / „dass sich ein Mann in (jeden) Netscher verwandelt, in den sich ein Mann verwandeln will.“3

Allerdings ist das Epitheton bei Ptahmose nicht eine schlichte Übernahme dieses Spruch-gutes, sondern stellt eine bewusst gewählte Assoziation zum Thema der Verwandlungssprü-che her. Im vorliegenden Fall steht die Bemerkung in unmittelbarem Zusammenhang mit der Verehrung des unterweltlichen Sonnengottes sowie der Mehetweret-Kuh und des zau-berkräftigen „Horusauges“. Ziel der rituellen Affirmation durch diese Darstellung und die darin festgeschriebenen Vorgänge ist genau die auch im Epitheton anklingende Transforma-

1 P. A. A. Boeser, Beschreibung der Aegyptischen Sammlung des Niederländischen Reichsmuseums der Altertümer in Leiden, Die Denkmäler des Neuen Reiches, Erste Abteilung, Gräber, Haag 1911, Taf. XXX; Abbildung auch in: H. D. Schneider/M. J. Raven, De Egyptische Oudheid (Katalog), ’s-Gravenhage 1981, 99 (Nr. 86a). Nach freundlicher Auskunft von Marcus Müller vom Totenbuch-Projekt der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste zeigt der Text Anlehnung an Totenbuchspruch 71, stellt in sich aber eine eigenständige Komposition dar. Auch das Bild entspricht in wesentlichen Elementen der Vignette zu Tb 71.

2 H. Buchberger, Transformation und Transformat. Sargtextstudien I, ÄA 52, Wiesbaden, 1993.3 Buchberger, Transformation und Transformat, 104–111, 114.

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Neues vom Netscher

von Martin Fitzenreiter

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tion des Toten.4 Mittels zauberkräftiger und regenerativer Mächte (die sich ständig verändernde Mehetweret-Kuh/Flut und das ebenso oszillierende Horusauge/Mond) wandelt der Tote seine Gestalt und sein Wesen.

Was sagt nun der kurze Text über diese Gestalt und ihr Wesen aus? Zwei Übersetzungen scheinen möglich und sollten vielleicht nicht einmal wech-selseitig ausgeschlossen sein.5

a) xpr wird verbal als „verwandeln / transformieren“ bzw. als nomen ac-tionis („das Verwandeln“) aufgefasst: „der macht, dass er sich verwandelt in einen Netscher“ / „der gemacht hat sein Verwandeln in einen Netscher“.

b) xpr wird als Substantiv („Gestalt, Wesen“ – das Resultat einer Ver-wandlung / Transformation) angesehen: „der seine Gestalt als ein Netscher / zu einem Netscher gemacht hat“.

4 Das klingt auch im Kotext der Passage an, in dem die zauberkräftigen Mächte ange-rufen werden und der in der Unterwelt wirkende Sonnengott in seinen transformato-risch-schöpferischen Potenzen beschworen wird.

5 Wir sollten nicht vergessen, dass die Entscheidung für die eine oder andere Über-setzung in die an Bedeutungsgenerierung aus Wortfeldern heraus recht unprodukti-ve deutsche Sprache (die dafür die langen Wortreihungen liebt) jeweils etliches des Bedeutungsrahmens eliminiert, wie er für den Rezipient in pharaonischer Zeit wohl bestand. Allein der Umstand, dass wohl zwei Lesungen möglich sind (und sogar noch eine dritte Variante, wenn das Determinativ als Teil einer Genitivverbindung mitgele-sen wird, s. u.) deutet an, dass die Hieroglyphenschrift in der Lage ist, ein viel weiteres Bedeutungsfeld zu codieren, als eine sprachlich korrekte Aussage.

132 Martin Fitzenreiter

Abb. 1: Unterer Bildstreifen eines Blocks aus der funerären Anlage des Ptahmose (nach: Boeser, Beschreibung, Taf. XXX)

Abb. 2: Detail der Inschrift von Abb. 1

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Während in der Mehrzahl der Verwandlungssprüche der prozessuale Charakter der Trans-formation nach a) im Mittelpunkt zu stehen scheint (die durch einen affirmativen „Spruch“ performativ gemacht werden soll), scheint mir im vorliegenden Fall die Übersetzung von xpr als ein „Ding“ als die zu präferierende Lesung. Dafür spricht das Determinativ Gardiner A 53, das den dinglichen, resultativen Charakter des determinierten Wortes hervorhebt (im Gegensatz etwa zum eher generischen Käfer Gardiner L 1).6 Das Schrift-Bild ließe sogar eine Lesung als xpr saH=f / „Gestalt/Wesen seiner Mumie“ zu. Wie immer man die Bild-Schrift auf der Wortebene artikulieren und übersetzen mag (um die es bei einer bildschriftlichen Fassung ja kaum primär geht!); die Bedeutung des Textes liegt m. E. darin, genau die Erschei-nungsform des Toten zu beschreiben, in der er zwischen Diesseits und Jenseits steht. Eine Erscheinungsform, deren Fassung das Determinativ andeutet: ein verschnürtes Bild, das im funerären Zusammenhang auch gut belegt ist: eine Mumie.

Erläuternde Zusätze, Epitheta wie das besprochene, stehen in den durchkomponierten Bild-Text-Programmen der funerären Anlagen der Elite immer in einem weiteren Zusam-menhang und ergeben in ihrer Gänze elaborierte theologische Reflektionen und Selbst-beschreibungen.7 Den theologisierenden Kontext und die Feinheiten des Dekorationspro-grammes an dieser Stelle beiseite gelassen, bleibt die interessante Bestimmung der in diesem Transformationsprozess gewonnenen Gestalt. Demnach ist das Resultat des Prozesses: ein Netscher. Interessant auch deshalb, weil das Zeichen Gardiner R 8 ausdrücklich mit dem Bild des sitzenden Gottes determiniert ist. Womit auch wieder bildschriftlich unmissverständlich klassifiziert ist, dass der hier genannte Netscher sich nicht von denen unterscheidet, die sonst mit dieser Zeichengruppe beschrieben werden: von den „Göttern“.

Dass Mumien in die Kategorie der Netscheru fallen können, ist wohlbekannt.8 Das betrifft nicht nur die Mumien von Menschen, sondern auch die von Tieren.9 Sowohl für die Mumien von an Tempeln gehaltenen Einzelexemplaren ist die Bezeichnung als Netscher belegt, als auch für die von massenhaft mumifizierten Gattungsexemplaren (einschließlich den Kom-

6 Allerdings ist auch in anderen Inschriften der Anlage das Wort xpr.w (dort immer so) jeweils mit dem Zeichen Gardiner A 53 determiniert, womit diese Schreibung bei Ptahmose insgesamt als die orthographisch richtige zu interpretieren ist (Boeser, Beschreibung, Taf. XXVI.4c.1, XXVIII 4c.3, XXIX 4a.4 (die beiden letzten sicher als Plural), XXIX 4c.4.) Siehe zur Schreibung von xpr(.w): J. Osing, Die Nominalbildung des Ägyptischen, SDAIK 3, Mainz 1976, 552; Buchberger, Transformation und Transformat, 270 f.

7 Vgl. etwa die berühmte, auf zwei Wandteilen antithetisch platzierte Beschreibung von Wesenheiten des Grabherrn in der Anlage des Amenemhet (TT 82), wobei die beiden Wandbereiche jenseitige Formen (an der Südwand) und diesseitige Erscheinungsformen (an der Nordwand) gegenüberstellen. Die Bezeichnung xpr.w=f / „seine realen, tatsächlich existenten Erscheinungsformen“ an der dem Diesseits zugewandten Nordseite ist dort mit dem Begriff Xnm.w=f „seine potentiellen, noch nicht existenten Erscheinungsformen“ an der „jenseitigen“ Südseite parallelisiert. Der Leichnam (XA.t) erscheint in der Reihe der xpr.w=f und alle Entitäten zusammen, der Süd- wie der Nordseite, werden wohl als Netscheru angesprochen – sofern, das ist die crux dieser wichtigen Inschrift, sich diese Bezeichnung nicht auf Götternamen bezieht, die in der zerstör-ten Einleitung notiert waren (N. de Garis Davies/A. H. Gardiner, The Tomb of Amenemhet, TTS 1, London 1915, 99, pl. XIX, XXIII).

8 L. Troy, Creating a god. The Mummification Ritual, in: Bulletin of the Australian Centre for Egyptology 4, 1993, 55–81.

9 D. Kessler, Die heiligen Tiere und der König, Teil I: Beiträge zu Organisation, Kult und Theologie der spätzeitlichen Tierfriedhöfe, ÄAT 16, Wiesbaden 1989, 7–11.

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posita und Analoga aus anderen Materialien). Es sei nur an die berühmte Parole wa ntr (n) wa,t mgt / „(nur) ein Netscher pro Topf “ erinnert, die der mit der Beaufsichtigung der Tier-mumifizierer von Saqqara beauftragte Hor herausgab,10 oder an die Aufschriften auf Ibissär-gen aus Tuna el Gebel, in denen der Inhalt jeweils als pA nTr (n) + Name /„Netscher des NN (Name dessen, der die Tierleiche übergeben hat)“ bezeichnet ist.11

2. Dass das Zeichen Gardiner R 8 und das Wort „Netscher“ eine etwas andere Bedeutung codieren, als durch das deutsche Wort „Gott“ im rezenten Sprachbezug ausgedrückt wird, ist seit längerem bekannt.12 So können Kultgegenstände der unterschiedlichsten Ausprägung als Netscher bezeichnet werden: Statuen, Flachbilder, Gebäude, aber auch natürliche Ob-jekte wie der König, Tiere, Pflanzen und Steine usw.13 Folgt man diesen Belegen, dann ist ersichtlich, dass Netscher die Bezeichnung für ein Ding ist. Und doch bleibt es erstaunlich, wie wenig sich diese Erkenntnis in der ägyptologischen Alltagspraxis niederschlägt. In phi-lologischen Kommentaren wie in Ausstellungskatalogen wird Netscher fast durchgehend mit „Gott“ übersetzt – was für den nicht einschlägig vorgewarnten Rezipientenkreis im frühen 21. Jahrhundert nichts anderes heißt als: eine transzendente Entität, die weitgehend als „han-delnde Person“ angesehen wird, deren „Handeln … eine gewisse Entscheidungsfreiheit und ein »subjektiv vermeinter Sinn« zugeschrieben“ wird.14

10 J. D. Ray, The Archive of Hor, Texts from Excavations 2, London 1976, 143.11 D. Kessler, Die heiligen Tiere und der König, 209 f.; H.-J. Thissen, Demotische Inschriften aus den Ibisgalerien

in Tuna el-Gebel. Ein Vorbericht, in: Enchoria 18, 1991, 107–113; M. Ebeid, Demotic Inscriptions from the Galleries of Tuna el-Gebel, in: BIFAO 106, 2006, 57–73.

12 Siehe die Untersuchungen zum Schriftzeichen und Wort Netscher bei E. Hornung, Der Eine und die Vielen. Ägyptische Gottesvorstellungen, Darmstadt 1973, 20–30 (6. vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage, Darmstadt 2005, 28–39) und J. Baines, On the symbolic content of the principal hieroglyph for „god“, in: U. Verhoeven/E. Graefe (Hg.), Religion und Philosophie im Alten Ägypten. Festgabe für Phillipe Derchain zu seinem 65. Geburtstag, OLA 39, Leuven 1991, 29–46. Beide Untersuchungen stellen heraus, dass über die Bestimmung des Schriftzeichens oder auch eine Etymologie des Wortes Netscher keine Bedeutungsbestimmung des Begriffes möglich ist. Während Hornung davon ausgeht, dass das Schriftzeichen möglicherweise einen heiligen Gegenstand darstellt, sieht Baines in ihm wenigstens in der Frühzeit die Markierung (Flagge o. ä.) eines sakralen Raumes, die dem decorum der Nichtdarstellbarkeit des sakralen Objektes folgend für das sakrale Feld schlechthin steht. Belege für Netscher und Komposita siehe: LGG IV, 388–574.

13 Netscher als Bezeichnung von Statuen der Götter und des Königs: A. H. Gardiner, The Wilbour Papyrus, Vol. II, Commentary, Oxford 1948, 17; Schriftzeichen/Bilder werden in der berühmten Inschrift im Grab des Nefer-Maat als Netscher bezeichnet: W. M. Flinders Petrie, Medum, London 1892, pl. XXIV; Urk. I, 7, 11; Beispiele für die Bezeichnung von magischen Figuren und Bildern als Netscher bei P. Eschweiler, Bildzauber im alten Ägypten. Die Verwendung von Bildern und Gegenständen in magischen Handlungen nach den Texten des Mittleren und Neuen Reiches, OBO 137, Freiburg (Schweiz) u. Göttingen 1994, 55, 60, 103; zu Tieren als Netscher grundlegend: Kessler, Die heiligen Tiere, 7–15; J. F. Quack, Die Rolle des heiligen Tieres im Buch vom Tempel, in: M. Fitzenreiter (Hg.), Tierkulte im pharaonischen Ägypten und im Kulturvergleich, Internet-Beiträge zur Ägyptologie und Sudanarchäologie IV, Berlin 2003 (http://www2.rz.hu-berlin.de/nilus/net-publications/ibaes4/index.html/)/London 2004, 117.

14 B. Gladigow, s. v. Gottesvorstellungen, in: H. Cancik/B. Gladigow/K.-H. Kohl (Hg.), Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe, Bd. III, Stuttgart 1993, 33.

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135Neues vom Netscher

Ein stichhaltiger Grund für diese alltags- und ägyptologiesprachliche Gleichsetzung von Netscher und „Gott“ ist, dass neben den Belegen dafür, dass Netscher ein Ding bezeichnet, genügend Belege dafür existieren, dass mit demselben Wort eine nichtstoffliche, sakrale Per-sonalität gemeint ist, eben das, was wir heute unter „Gott“ verstehen, und dass dieses Wort auch im Koptischen den christlichen Gott bezeichnet.15 Es liegt in der Natur und Tradition der westlichen Religionsgeschichtsschreibung der letzten beiden Jahrhunderte, dass man den „großen Gott“ transzendenter Natur als Normalfall einstuft und den „kleinen Gott“ dingli-cher Statur als einen erklärungsbedürftigen Sonderfall.16 Wenn im Folgenden die Diskussion um den Begriff Netscher abermals aufgenommen wird, dann mit dem Ziel, den Fokus der Betrachtung etwas zu verschieben: nämlich die Bezeichnung für einen „kleinen Gott“ als den Normalfall und damit Ausgangspunkt der Interpretation zu nehmen und die Bezeichnung für einen „großen Gott“ als erklärungsbedürftigen Sonderfall.

3. Nimmt man Entitäten wie Tiere, Mumien, Statuen u. ä. als den Normalfall, ist die deut-sche Übersetzung „Gott“ unangemessen. Einer in der vergleichenden Religionswissenschaft des späten 19. Jahrhunderts verbreiteten Terminologie nach können diese Objekte als „Feti-sche“ bezeichnet werden, und so wurden sie durch die Ägyptologiegeschichte hindurch auch häufig genannt.17 Es ist nun aus wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive nicht uninteressant festzuhalten, dass das in der Religionswissenschaft (und anderswo) recht bekannte Konzept des „Fetisches“ genau an den Objekten entwickelt wurde, die in pharaonischer Zeit als Net-scheru in einem dinglichen Sinne angesprochen wurden. Es war der französische Gelehrte Charles de Brosses, der den Begriff „fétiche“ in seinem 1760 erschienenen Werk Du culte des dieux fétiches ou Parallèle de l’ancien Religion de l’Egypte avec la Religion actuelle de Nigritie in die Diskussion einführte. De Brosses verstand sein Werk als einen Diskussionsbeitrag in der Auseinandersetzung über die Natur von Religion(en), wie sie im Zeitalter der Aufklä-rung geführt wurde. Im Rahmen der zeitgenössischen Auseinandersetzung stellt de Bros-ses’ Konzept den Gegenentwurf zu einem Modell dar, dass der Missionar Joseph François Lafitau 1724 in seinem Werk Les mœurs des Sauvages Américains comparées aux mœurs des premiers temps dargelegt hatte. Lafitau war im Rahmen seines Wirkens bei den Native Ame-ricans in Kanada und dem Studium weiterer religiöser Vorstellungen in Amerika und an-derswo darauf gestoßen, dass in den Mythologien aller dieser Kulturen die Bezeichnung für einen Schöpfergott existiert, die seinem Verständnis nach eine über den vielen verschiedenen

15 Hornung, Der Eine und die Vielen, 1973, 30/2005, 39.16 So fällt es Buchberger, Transformation und Transformat, 117 offenbar schwerer, den Verwandlungswunsch

in ein Krokodil (oder Vogel usw.) zu akzeptieren, als den in einen Sobek (oder anderen, scheinbar transzendenten „Gott“), und nimmt an entsprechenden Stellen eher „Metonyme von Götternamen“ oder „Textfehler“ an.

17 Siehe bereits programmatisch im Titel bei E. A. Wallis Budge, From Fetish to God in Ancient Egypt, Oxford 1934. Nach H. Kees, Der Götterglaube im alten Ägypten, Berlin 1955, 2, Anm. 1 stellt R. Pietschmann, Der aegyptische Fetishdienst und Götterglaube, in: Zeitschrift für Ethnographie, 10, 1878, 153–182 (non vidi) die erste fundierte Projektion des ethnologischen Fetischbegriffes des 19. Jahrhunderts auf die ägyptische Religion dar.

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Dämonen und Geistern schwebende Gottheit beschreibt.18 Diese transzendente, durch kein Bild oder Gegenstand manifeste Gottheit verglich Lafitau mit dem Gott der Bibel. Seine auf dieser Entdeckung aufbauende These geht davon aus, dass sich der transzendente Gott allen Völkern der Erde am Anfang der Zeit offenbart habe und ihnen entsprechend auch bekannt sei. Allerdings ist der Kult dieser transzendenten Gottheit durch diverse Nebenkulte verun-klärt. Durch entsprechende Reformen könne man aber überall wieder zum ursprünglichen Monotheismus vordringen.

Das Konzept von de Brosses steht dieser Idee eines „Urmonotheismus“19 diametral gegen-über. Nach de Brosses haben sich Religionen in einer Stufenfolge entwickelt, wobei am An-fang die Verehrung von Naturerscheinungen steht, am Ende die rationalistische Durchdrin-gung des Daseins mittels eines aufgeklärten, transzendenten Gottesbegriffes. Eine ursprüng-liche Form der Verehrung von natürlichen Objekten bezeichnet de Brosses als fétichisme. Er bezieht sich dabei auf Seefahrer an der westafrikanischen Küste, die von der Verehrung von lebenden und toten Dingen berichten, die mit Zauberkraft versehen sind (portugiesisch: fetisso, nach de Brosses „verzaubert“)20 und die als die eigentliche Substanz sakraler Macht angesehen werden. Unter fétichisme versteht de Brosses daher eine Stufe religiöser Vorstel-lungswelt, in der das konkrete Objekt tatsächlich als sakraler Gegenstand sui generis begrif-fen und behandelt wird („culte ... de certains objets terrestres et matériels“).21 In der nächsten Stufe, der idolâtrie wird der konkrete Gegenstand bereits als Abbild einer damit transzen-dent gedachten Macht angesehen, die sich – wie in der griechischen Antike – in mehreren Statuen einer Gottheit manifestieren kann.22 In dieser Stufe der idolâtrie – und da steckt der aufklärerische Kern des Konzeptes und der Grund dafür, warum de Brosses sein Werk ohne Ortsangabe und anonym im Ausland drucken ließ – ist die zeitgenössische katholische Kirche stecken geblieben. Erst durch die völlige Lösung vom Gegenstand lässt sich ein phi-losophisch aufgeklärter Begriff von Gott gewinnen. Entwirft Lafitau also eine Theologie und Begründung von Mission, so proklamiert de Brosses eine Theologie der Aufklärung.

18 J. F. Lafitau, Les mœurs des Sauvages Américains comparées aux mœurs des premiers temps, Paris 1724 (http://memory.loc.gov/cgi-bin/ampage?collId=rbfr&fileName=0013//rbfr0013.db&recNum=0; Zugriff Au-gust 2011), 123–128.

19 Der Begriff „Urmonotheismus“ bzw. „ursprünglicher Monotheismus“ wurde erst von Pater W. Schmidt, Der Ursprung der Gottesidee. Eine historisch-kritische und positive Studie 1–12, Aschendorff/Münster 1912–1955 geprägt, der aber an Lafitau anknüpft. Seine Ideen haben die ägyptologische Religionsforschung nicht unwesentlich beeinflusst, siehe z. B. das Bemühen von Hermann Junker, einen ursprünglichen Hochgott im Alten Reich zu finden (H. Junker, Pyramidenzeit. Das Wesen der altägyptischen Religion, Einsiedel/Zürich/Köln 1949: „... aber das Alte Reich besitzt schon als Erbgut die Vorstellung eines höchsten Gottes, die innerlich sogar über der des Echnaton steht. … Die Schwierigkeit, den Befund (der Vielgötterei – M. F.) zu erklären, ändert nichts an der Tatsache, daß der Glaube an einen universalen Gott von alters her bestand und wirksam war.“ (op. cit., 11). Zum Problem des „Monotheismus“ – in Ägypten und überhaupt – siehe grundlegend Hornung, Der Eine und die Vielen, 1973, 4–18/2005, 12–23 mit dem Abriss der Geschichte der Projektion der Monotheismusthese auf die altägyptische Religion.

20 C. de Brosses, Du culte des dieux fétiches ou Parallèle de l’ancien Religion de l’Egypte avec la Religion actuelle de Nigritie, [Paris] 1760 (Corpus des oeuvres de philosophie en langue francaise, Fayard 1988), 15.

21 de Brosses, Du culte des dieux fétiches, 11.22 de Brosses, Du culte des dieux fétiches, 11 f. nimmt genau genommen fétichisme und sabéisme (cult du soleil

et des astres) als die ursprüngliche Form von Religion an, der die idolâtrie folgt.

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Der Streit zwischen den beiden Gelehrten erinnert nicht nur an die produktive Dialektik der Aufklärung, er erinnert auch sehr an das Problem der Ägyptologie, sich nicht zwischen Netscher als „Gott“ (im Sinne von Lafitau) oder als „Ding“ (im Sinne von de Brosses) ent-scheiden zu können. Aus Sicht der Ägyptologie ist zudem interessant, dass de Brosses die These vom Fetischismus zwar anhand von Zeugnissen über religiöse Praktiken westafrikani-scher Völker erarbeitet, sie aber durch Parallelen mit der pharaonischen Religion (Parallèle de l’ancien Religion de l’Egypte) seinem in den Klassikern gebildeten Publikum erläutert. In Ägypten bzw. in dem, was die antiken Autoren und auch die Bibel darüber erzählen, sieht de Brosses dieselbe Stufe der unmittelbaren Verehrung von machtgeladenen Objekten, wie er sie rezent in der Nigritie beobachtet. Vehement spricht er sich gegen die von einigen antiken Autoren angeführte These aus, die Verehrung heiliger Tiere hätte nicht dem Tier gegolten, sondern diese Tiere wären als Stellvertreter, Erscheinungsform o. ä. einer höheren sakralen Macht aufgefasst worden. Nach de Brosses gilt: „Toute cette Zoolâtrie de l’Egypte est fort an-cienne. La Bible nous la peint non comme un emblème ou comme une allégorie, mais comme une pure Zoolâtrie directe.“23

4. De Brosses’ Thesen müssen nicht anhand des derzeitigen Forschungsstandes im Einzelnen veri- oder falsifiziert werden. Interessant bleibt sein evolutionistischer Blick auf die Religi-onsgeschichte und für die ägyptologische Religionsgeschichte das Konzept vom „Fetisch“, welches er an den pharaonischen Tierkulten erläutert hat. Im 19. Jahrhundert spielte der Begriff eine große Rolle in der Ordnung religiöser Phänomene entlang einer aufsteigen-den Linie von primitiven Vorstellungen hin zu einer transzendenten Gottesvorstellung (des Christentums). Der „Fetisch“ wurde jeweils in die Frühphase der Entwicklung eingeordnet. Dieses Modell hat auch die Religionsgeschichtsschreibung der Ägyptologie bestimmt, die etwaige Fetische in Form von Steinmalen, Pflanzen und Tieren der Früh- bzw. Primitivstufe der Religion zuordnet.24

Zeitgleich hatte das Konzept „Fetisch“ im 20. Jahrhundert aber gehörig an Glanz verloren. Die positivistisch orientierte Religionsphänomenologie verwarf die evolutionären Konzep-te einer Stufenentwicklung, indem sie auf die Konstanten religiöser Erscheinungen an je-dem Ort und zu jeder Zeit hinwies. In diesem Zusammenhang wurde der Begriff Fetisch als unmodern und zunehmend auch als pejorativ belastet beiseite gelegt. Dabei schüttete man jedoch mit dem evolutionistischen Bade auch seine Wesensbestimmung als einen Kultgegen-stand aus, der die sakrale Potenz unvermittelt in sich trägt.

Die Frage nach dem Wesen der im Kult verwendeten Objekte ist inzwischen in der neueren Forschung wieder von Interesse. Nachdem man sich von der essentialistischen Idee gelöst hatte, dass es gewissermaßen einen „wahren“ Begriff von Gott gibt, den man hinter den verschiedenen Erscheinungsformen suchen muss, treten die verschiedenen Erscheinungs-formen als der eigentliche Ort der Manifestation von „Gottesvorstellungen“ wieder in den

23 de Brosses, Du culte des dieux fétiches, 53.24 G. Jéquier, Considérations sur les religions égyptiennes, Neuchatel 1946, 14–25; Kees, Götterglaube, 2 f.,

E. Otto, Die Religion der alten Ägypter, Handwörterbuch der Orientalistik. Religionsgeschichte des Alten Orients 1, Leiden/Köln 1964, 1–75.

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Fokus.25 Damit gewinnt im Zuge diverser kulturwissenschaftlicher turns der letzten Jahr-zehnte die Erscheinungsform neue Bedeutung – und damit auch der Begriff des „Fetisches“. In Weiterführung des Ansatzes von de Brosses, der sich damit begnügt festzustellen, dass die Agenten im Fall des fétichisme die sakrale Potenz als im Objekt selbst liegend konzeptualisie-ren, fragt die neuere Forschung danach, wie denn die sakrale Wirksamkeit von steinernen, hölzernen oder eben aus lebenden und toten Substanzen gewonnenen Objekten tatsächlich Realität wird.26 Aktuelle Deutungsmuster ziehen die Ebene der Praxis heran, in der durch die aktive Behandlung solcher Objekte diesen Bedeutung erst zugesprochen und dann wie-der erfahren wird. Verbunden mit Modellen, die sich mit der Art und Weise beschäftigen, wie Objekte, Handlungen und auch Konzepte an Wirkung gewinnen, wie sie scheinbar „von außen“ die Agenten in ihrem Verhalten determinieren (agency of objects / „Eigensinn der Dinge“),27 kommt der Begriff des „Fetisches“ zunehmend wieder en vogue,28 hilft er doch, die „Verdinglichung“ von Ideen/Konzepten in Objekten (aber auch in Handlungsvorgängen und nichtstofflichen Konzepten) in angemessener Weise begrifflich zu erfassen.29

5. Es bleibt jedoch nicht zu übersehen, dass in der Ägyptologie recht zäh an der Idee festge-halten wird, dass hinter den Erscheinungsformen sakraler Macht eine essentialistisch kon-zeptualisierte Quelle dieser Macht wirkt. Oft kann man sich des Eindrucks kaum erwehren, dass die Autoren stillschweigend voraussetzen, es habe ein göttliches Wesen tatsächlich gege-ben, das sich in einer Statue, in einem heiligen Tier oder eben der Mumie entäußert.30 Diese

25 So entfällt in H. Cancik et al. (Hg.), Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe, III das Stichwort „Gott“, und stattdessen werden „Gottesvorstellungen“ behandelt (32–49). Bereits J. Assmann, Ägypten. Theologie und Frömmigkeit einer frühen Hochkultur, Stuttgart 1984 verzichtet darauf, eine essentialistische Bestimmung von „Gott“ vorzunehmen und stellt vielmehr das phänomenologisch inspirierte Konzept der „Gottesnähe“ ins Zentrum seiner Religionsbeschreibung.

26 In der semiotischen Diktion von K.-H. Kohl, Die Macht der Dinge. Geschichte und Theorie sakraler Objekte, München 2003, 28, sind Fetische Kultgegenstände, in denen „Zeichen und Bezeichnetes“ in eins fallen.

27 H. P. Hahn, Materielle Kultur. Eine Einführung, Berlin 2005, 46–49. Von ägyptologischer Seite behandelt von L. Meskell, Object Worlds in Ancient Egypt. Material Biographies Past and Present, Oxford/New York 2004, zum Fetisch bes. 46–50.

28 Siehe die Tagung „Fetisch als heuristische Kategorie“, die im Mai 2010 in Innsbruck stattfand (http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=3195).

29 Ein zentraler Begriff ist in diesem Zusammenhang der der Performanz bzw. das Begriffspaar Performanz/Emergenz. Siehe dazu einleitend E. Fischer-Lichte, s. v. Performativität/performativ, in: Lexikon der Theatertheorie, Stuttgart 2005, 234–242; einen knappen Einblick in die ägyptologische Arbeit an diesem Begriff gibt E. Meyer-Dietrich, Recitation, Speech Acts, and Declamation, in: W. Wendrich (Hg.), UCLA Encyclopedia of Egyptology, Los Angeles 2010 (http://digital2.library.ucla.edu/viewItem.do?ark=21198/zz00252xth).

30 Selten wird das so redlich und selbstreflexiv herausgestellt wie bei Hornung, Der Eine und die Vielen, 2005, 274: „Was auch immer Götter in ihrem Wesen sind oder nicht sind, in welches Bezugs- oder Begriffssystem wir sie einordnen – alle Versuche, sie zu „erklären“, sind Versuche gewesen, in einer anderen und eindeutigeren Sprache die Informationen auszudrücken, die sie uns geben. Hier wird, das spüren wir, Gültiges über den Menschen und die Welt ausgesagt. Aber die Sprache, die es an Reichtum des Ausdrucks mit den Göttern aufnehmen könnte, ist nicht gefunden. So weisen sie uns immer wieder auf sich selbst zurück und zeigen die Grenzen unserer Begriffswelt auf. Noch können wir zur Deutung der Welt die Götter nicht entbehren“.

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Interpretation wird durch Deutungsvorgänge auch massiv suggeriert, die aus pharaonischer Zeit dokumentiert sind. Eine wichtige diesbezügliche Quellen sind Belege, in denen das Kon-zept der „Einwohnung“ einer offenbar transzendent gedachten Gottesvorstellung im Objekt ihrer tatsächlichen Verehrung – einer Statue z. B. – thematisiert ist.31 Über Formulierungen wie hAj „herabsteigen“; aq „eintreten“; Htp ruhen (in)“; sxm „sich niederlassen (auf)“ u. ä. war es ägyptischen Theologen und Magiern möglich, die in einem Objekt wirkenden Kräfte mit einer außerhalb des Objekts liegenden Kraft zu verbinden. Solche Quellen zeigen unmiss-verständlich, dass man bereits in pharaonischer Zeit die Wirksamkeit von sakralen Objek-ten über das Einwirken von externen Kräften erklärte, man also durchaus auch „idolatrisch“ dachte.

Ein in pharaonischer Zeit übliches „idolatrisches“ Konzept ist es, in dem Objekt eine Macht wirken zu sehen, die als Ba angesprochen wird. Der Ba ist demnach als eine Wirkungspotenz konzeptualisiert, die ihre Ursache in einer dem Objekt fernen Quelle hat.32 In einem bemer-kenswerten Text bereits aus der 1. Zwischenzeit wird z. B. die besondere Macht von wilden Tieren als auf der Wirkung der Ba-Macht eines nicht näher definierten „Starken“ beruhend erklärt. In seiner biographischen Inschrift rühmt sich Henqu aus Der el-Gebrawi diverser bemerkenswerter Taten, wozu auch zählt:33

jw gr ssAj.n=j wnS(.w) njw Dw.t Dr.(w)t nj(w)t p.t m xAw n.j aw.t jmrj=(j) bA qn (n)tj jm=s(n)

„Ferner sättigte ich die Schakale des Berges und die Weihen des Himmels mit einem Fleischopfer von Kleintieren, da ich den Ba des Starken, welcher in ihnen ist, liebe.“

Meines Wissens ist dies, wenn die Übersetzung korrekt ist,34 der früheste Beleg für die Erklärung der sakralen Mächtigkeit von lebenden Tieren. Der Text kann auch deshalb ein Schlüsseltext sein, weil er uns hilft, den Prozess der „idolatrischen“ Verknüpfung von theo-

31 Eschweiler, Bildzauber, 287–297, der den Begriff der „Präsentifikation“ vorschlägt; J. Assmann, Einwohnung. Die Gegenwart der Gottheit im Bild; in: ders., Ägyptische Geheimnisse, München 2004, 123–134, der im Fall der „Einwohnung“ in lebenden Wesen auch von „Inkarnation“ spricht (126).

32 Eine exzellente Aufarbeitung des Begriffes bA/bAw bietet J. F. Borghouts, Divine Intervention in Ancient Egypt and Its Manifestation (bAw), in: R. J. Demarée /J. J. Jannsen (Hg.), Gleanings from Deir el-Medîna, Egyptologische Uitgaven I, Leiden 1982, 1–70. Das Phänomen der Ba-Konzeption und seine Übertragung auf die Tierverehrung wurde von Dieter Kessler ausführlich bearbeitet: D. Kessler, Die heiligen Tiere und der König, 12–15; D. Kessler, Die kultische Bindung der Ba-Konzeption, 1. Teil: Die Tempelbindung der Ba-Formen, in: SAK 28, 2000, 161–206; D. Kessler, Die kultische Bindung der Ba-Konzeption, 2. Teil: Die Ba-Zitate auf den Kultstelen und Ostraka des Neuen Reiches, in: SAK 29, 2001, 139–186.

33 N. de Garis Davies, The Rock Tombs of Deir el Gebrâwi. Part II Tomb of Zau and Tombs of The Northern Group, Memoirs of the Archaeological Survey of Egypt 12, London 1902, pl. 24 f.; N. Kanawati, Deir el-Gebrawi I, ACER 23, Warminster 2005, 72 f., pl. 56, 66. Die Übersetzung nach: S. Grunert, Nur für Erwachsene – political correctness auf Altägyptisch? Neue Lesungen und Interpretationen der biographischen Inschrift des Gaufürsten Henqu, in: SAK 37, 2008, 136.

34 Die schwierige Passage wurde mehrfach und auch deutlich divergierend übersetzt; siehe: E. Edel, Untersuchungen zur Phraseologie der ägyptischen Inschriften des Alten Reiches, in: MDAIK 13.1, 1944, 35; W. Schenkel, Memphis Herakleopolis Theben. Die epigraphischen Zeugnisse der 7.–11. Dynastie Ägyptens, ÄA 12, Wiesbaden 1965, 42 f.; M. Lichtheim, Ancient Egyptian Autobiographies Chiefly of the Middle Kingdom, OBO 84, Freiburg (Schweiz) u. Göttingen 1988, 23; Kanawati, Deir el-Gebrawi I, 72 f.

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logischer Deutung und konkretem Objekt – dem Ding – zu erfassen. Henqu weiß um die besondere Macht dieser Tiere, und er erklärt sie damit, dass sie aus der Ba-Macht eines „Star-ken, der in ihnen ist“ resultiert. Diese Erklärung beschreibt nicht nur die besondere Qualität dieser Tiere, sie gibt auch dem Handeln des Henqu erst Sinn. Fleisch an irgendwelche wilden Tiere zu verfüttern ist solange sinnlos, bis man diesen Tieren eine bestimmte Mächtigkeit zuschreibt, die man über eine kultische Handlung (das Opfer) zu manipulieren sucht, oder, wie Henqu es durchaus bekenntnishaft und positiv ausdrückt, weil man diese Macht „liebt“. Diese Mächtigkeit muss man den Tieren aber erst „zusprechen“. Dieses „Zusprechen“ erfolgt über einen konzeptuellen Vorgang, der die besondere Macht mit einer in den Tieren wirken-den Ba-Kraft verbindet.

Wobei zu beachten ist: Diese theologische Erklärung ist offensichtlich ein sekundärer Vorgang, der die bereits in bestimmten Zusammenhängen erfahrene besondere Macht erst nachträglich erklären, deuten, eventuell kontrollieren soll.35 Die Erfahrung der besonderen Macht kann sich dabei auf einen konkreten Vorfall beziehen, den es zu deuten gilt, wie etwa beim Gazellen-Omen, das in der Inschrift M 110 im Wadi Hammamat aus der Zeit Men-tuhoteps IV. dokumentiert ist.36 Sie kann aber auch auf Tradition beruhen, nach der das in Frage kommende Phänomen „schon immer“ als mit besonderer Mächtigkeit begabt erachtet wird, wie bei Henqu zu vermuten. Henqus gesamter biographischer Text ist davon geprägt, dass er fürsorgliches Verhalten gemäß traditioneller Normen herausstellt,37 gerade in einer Zeit der Wirren (ein Topos, der durch das decorum dieser Periode regiert wird).38 Die Her-vorhebung der Sorge um die wilden Tiere der zwei liminalen Zonen Wüstenrand (Schakale) und Himmel (Weihe) steht also in einem Kontext, der gutes Verhalten thematisiert. Wenn er dabei aber den Bezug auf das Konzept des Ba herstellt, der „in ihnen ist“, dann kann man hierin durchaus einen konkreten Akt der Konzeptualisierung, d. h.: der Erklärung, der Deu-tung und damit zugleich: der Sinn-Einschreibung sehen. Henqu theologisiert die traditionel-le Erfahrung. Die Erfahrung der Mächtigkeit des Phänomens selbst ist aber in der Regel das Primäre und kann zu anderen Zeiten, an anderen Orten und durch andere Personen auch anders gedeutet werden.39

35 Siehe die berühmt(-berüchtigt)e Definition von Religion als explanation, prediction, control durch R. Horton, Patterns of Thought in Africa and the West. Essays on magic, religion and science, Cambridge 1993. Zum se-1993. Zum se-Zum se-kundären Charakter der Theologie der Einwohnung, die gewöhnlich Erklärungen der bestehenden Bildpra-xis nachliefert und auch nach wechselnden Mustern die besondere Macht von Objekten erklärt: Eschweiler, Bildzauber, 289 (nach Hans Belting).

36 Das plötzliche Auftauchen einer Gazelle und ihr Niederlassen auf einem Stein, um ein Junges zu gebären, wird hier als sakrales Zeichen für die Steinbrucharbeit gedeutet, diesen Stein für die Grabanlage des Königs zu verwenden (und die Gazelle anschließend zu opfern). Zum Gazellen-Omen und den in seiner Beschreibung angelegten Deutungsvorgängen: I. Shirun-Grumach, Offenbarung, Orakel und Königsnovelle, ÄAT 24, Wiesbaden 1993, 3–8 und passim.

37 Wobei gerade an den Denkmälern und Texten dieser Zeit sehr deutlich wird, dass etliche Parameter dieser „Traditionen“ gerade erst erfunden und als „Tradition“ normativ gestellt werden.

38 Zur Einordnung des Textes: S. Grunert, Erlebte Geschichte – ein authentischer Bericht, in: M. Fitzenreiter (Hg.), Das Ereignis. Geschichtsschreibung zwischen Vorfall und Befund, Internet-Beiträge zur Ägyptologie und Sudanarchäologie X, Berlin (http://www2.rz.hu-berlin.de/nilus/net-publications/ibaes10/index.html)/ London 2009, 125–135.

39 Das Paradoxon, dass die besondere Macht einzelner Tiere durch ganz verschiedene Götternamen erklärt

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Henqu spricht konkret von Tieren und erwähnt den Netscher nicht. Dennoch ist das von ihm herangezogene Konzept der Ba-Macht spätestens im Neuen Reich gut mit dem Begriff Netscher zu verbinden. Denn die Erscheinungsform als Mumie, die Ptahmose im eingangs angeführten Text so präzise als Netscher bezeichnet, ist zu dieser Zeit regelmäßig mit dem Ba des Toten verbunden, dem sie als Ruhe- und wohl eigentlicher Aufenthaltsort dient.40 Die mit nTr-Eigenschaft versehene Mumie ist gewissermaßen der Ausgangspunkt der Ba-Macht eines Toten. So wird auf einem Pfeiler derselben Anlage in einem Hymnus der Sonnengott angesprochen als: jr xpr.w m bA anx r Ssp qbH.w / „Der die Gestalten41 zu einem lebenden Ba macht, um zu / mit der Fähigkeit zum Erlangen der Opfergaben“.42 Das hier verwendete jr xpr.w m bA anx stellt gewissermaßen einen semantischen Parallelismus zum jr=f xpr=f m nTr des oben besprochenen Textes her. Geht es in dem Hymnus aber um den Gestaltwechsel in einen Bewegungsgeist, so affirmiert der Transformationsspruch bei der Totenbuchvignette die Umwandlung in die dazu nötige „sakrale Grundsubstanz“.

Was die Inschrift des Ptahmose so interessant macht, ist darüber hinaus der Umstand, dass er explizit auf den Vorgang der „Verfertigung“ dieser als Netscher beschriebenen „sakralen Grundsubstanz“ eingeht. In dem kurzen Text wird dieser Vorgang durch das Verb jrj „Ma-chen“ ausgedrückt. Das dabei verwendete Personalpronomen der 3. Person Singular stellt den Grabherrn als aktiven Teilhaber, als Initiator der Transformation heraus. Dabei ist unter „Machen“ nicht nur der Prozess der technischen Mumifizierung zu verstehen – dann hätte er davon gesprochen, dass er seine Gestalt zu einer „Mumie“ gemacht habe –, sondern der aufwändige Prozess der Transformation in einen Netscher mit allen dieser Kategorie eigenen Eigenschaften. Diese Transformation wird durch verschiedene technische Handlungen, die der „Verfertigung“ dienen, vollzogen, sie ist aber auch ein kognitiver Vorgang der Konzep-tualisierung, in dem der so verfertigte Gegenstand in seiner Mächtigkeit erklärt und zugleich heraufbeschworen wird. Der bei Henqu nur angerissene Vorgang einer sozusagen „sponta-nen“ Ansprache der Tiere als mit besonderer Macht begabter Wesen bezieht sich in diesem Fall auf einen aufwendigen Transformationsprozess, der den Leichnam schließlich in einen mit wirksamer Macht begabten Fetisch wandelt. Dass das Epitheton „jr=f xpr=f m nTr“ dem Toten genau im Zusammenhang mit einer „zauberkräftigen“ Vignette mit Mehetweret-Kuh und Horusauge eigen ist, korrespondiert in erstaunlicher Weise mit der alten Ansprache der dieux fétiches durch die Seeleute und de Brosse, die in diesen Gegenständen „verzauberte“

wird (so ist der „Bock von Mendes“ nach der Mendes-Stele Ba des Re, Schu, Geb und Osiris, und umgekehrt kann derselbe Götternamen in Assoziation zu ganz verschiedenen Tieren auftreten, z. B. Thot mit Pavian, Affe, Stier und Löwe) hat Dieter Kessler häufig beschäftigt; siehe u. a.: D. Kessler, Der Thot-Stier, in: D. Kessler/R. Schulz (Hg.), Gedenkschrift für Winfried Barta, Münchner Ägyptologische Untersuchungen 4, Frankfurt/Main 1995, 229–245. Siehe auch die verschiedenen Konzeptualisierungsmuster von Tieren in sakralen Zusammenhängen, nicht nur in Ägypten, sondern auch in Indien, Afrika usw.; Beispiele in: M. Fitzenreiter (Hg.), Tierkulte im pharaonischen Ägypten und im Kulturvergleich, Internet-Beiträge zur Ägyptologie und Sudanarchäologie IV, Berlin (http://www2.rz.hu-berlin.de/nilus/net-publications/ibaes4/index.html)/London 2003/2005.

40 Vgl. Assmann, Einwohnung, der dieses Konzept einer „Bildtheologie“ insgesamt aus dem Totenkult herleitet.41 xpr.w wieder mit dem Mumiendeterminativ A 53.42 Boeser, Beschreibung, Taf. XXVI 4c.1.; parallel auf Taf. XXIX 4b.4 an Chepri: jr xpr.w m bA.

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Objekte sahen. Der bewusste, auf ein Objekt gerichtete Akt der willentlichen Verzauberung, der Zu- und Einschreibung von sakralen Eigenschaften, macht aus dem Ding (Statue, Mumie usw.) den Fetisch, den Netscher.

Übertragen wir diesen Vorgang der „Selbstverzauberung“ durch Theologie idealtypisch auch auf die Bildung sakraler Abstrakta, dann lässt sich der vermeintliche Gegensatz zwi-schen einem dinglichen „Fetisch“ und einer transzendenten „Gottheit“ durchaus entspannter sehen. Die als Netscher beschriebene transzendente Gottheit ist, wenn man sie von allen dinglichen Erscheinungsformen befreit, vor allem: ein Name, eine Götterbezeichnung. Auch dieser Name ist letztendlich ein Konzept, dass in einem kommunikativem Vorgang – im Kult, im Mythos, im Moment des Gebetes – durch rituell festgeschriebenes Verhalten er-zeugt, „erzaubert“ wird.43 Medien dieses Prozesses sind dann weniger die Herstellung von Gegenständen, als die Schöpfung von Hymnen und theologischen Traktaten. Es gibt aber auch die Rückübertragung solcher Spekulationen in Bilder.44

6. Es wird kaum so gewesen sein, dass die Agenten in pharaonischer Zeit den Begriff Net-scher unter der Prämisse verwendet haben, dass es sich hierbei um „eine mit sakraler Macht aufgeladene dingliche oder konzeptuelle Entität“ handelt, „die im Zuge religiöser Praxis er-schaffen wurde“. Ganz im Gegenteil: Die Qualität Netscher schreibt der Entität ja genau zu, dass sie von dieser Praxis ganz unabhängig wirksam ist. Die Passage bei Ptahmose bezeugt aber auch, dass es sehr wohl der Handlung, des „Machens“, der „Verzauberung“ bedurfte, um einen Netscher zu schaffen.

Was aus ägyptologischer Perspektive an Fallanlyse interessant sein kann ist, dass sie einige Möglichkeiten bietet, bestimmte Erscheinungen im Befund altägyptischer Religiosität diffe-renzierter zu beschreiben. Dass wir heute in dem Fall, in dem ein Tier oder eine Mumie mit Netscher bezeichnet sind, ungern mit „Gott“ übersetzen, ist verständlich. Der uns geläufige Begriffsapparat bietet ja auch genug Varianten, die Bezeichnung „Gott“ zu umgehen und z. B. von „Fetisch“ oder – hier durchaus auch in der ägyptischen Sprache belegtes Wortmaterial nutzend – von „Macht“ zu reden.45 Es ist aber sehr sinnvoll, sich diesen „fetischhaften“ As-pekt des Wortes Netscher auch immer dann ins Gedächtnis zu rufen, wenn sich scheinbar so schön passend mit „Gott“ übersetzen lässt. Ein gängiger Zusatz zu Götternamen ist z. B. die Bezeichnung nb nTr.w oder auch nsw.t nTr.w, gewöhnlich als „Herr der Götter“ oder „König

43 Ein grammatologisch inspirierter Versuch, das Phänomen der Erzeugung von „Präsenz“ im Zuge der konzeptuellen Er-Schreibung sakraler Entitäten zu generieren wird parallel zu diesem Beitrag im Internet unter http://www.m-fitzenreiter.de/Images/SDs/Netscher%20II.pdf veröffentlicht.

44 Ein Beispiel für die Übertragung des Prinzips der Eigenschaften agglomerierenden Litanei in Bilder sind z. B. die Gruppe der Sachmetfiguren Amenophis’ III. (J. Yoyotte, Une monumentale litanie de granit. Les Sekhmet d’Aménophis III et la conjuration permanente de la déesse dangereuse, in: BSFE 87/88, 1980, 46–75) oder die Kompositgottheiten der Spätzeit (K. M. Cooney, Androgynous Bronze Figurines in Storage at the Los Angeles County Museum of Art, in: S. D’Auria (Hg.), Servant of Mut. Studies in Honor of Richard A. Fazzini, PdÄ 28, Leiden/Boston 2008, 63–72)

45 Zum Begriff sxm „Macht“ als der wichtigsten Vokabel für „Gott“ nach nTr siehe Hornung, Der Eine und die Vielen,1973, 52 f/2005, 58 f.

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der Götter“ übersetzt.46 Die Übersetzung impliziert einen Status besonderer Hervorgeho-benheit, nach dem der so benannte Gott einem (Guts-)Herrn oder König gleich die übrigen Götter als seine Untertanen regiert. Der Begriff suggeriert damit eine Götterhierarchie, die der eines irdischen Staates mit einem Herrscher und vielen Untertanen analog ist.

So einfach ist es aber nicht. Zum einen ist nicht explizit gesagt, dass mit den Netscheru die übrigen „großen“ Götter des pharaonischen Pantheons gemeint sind. Es kann daher sinnvoll sein, auch hier den Begriff Netscher von seiner festgefahrenen Übersetzung als „Gott“ zu lö-sen und ihn vorerst doch wieder mit der Bezeichnung für ein machtgeladenes Objekt, einen „Fetisch“ zu assoziieren. Auch wenn dabei manch „großer Gott“ deutlich kleiner erscheint: Der nb nTr.w / nswt nTrw ist dann nämlich keineswegs der „Herr oder König der (großen) Götter“, sondern er ist der Herr über alle mit (seiner?) sakraler Macht begabten Gegenstände (in seinem Kultbereich?): über Statuen und Male, über Gebäude, Tiere, Pflanzen, Hügel usw. Und eben auch über die Tiermumien, die z. B. in den Satzungen der Kultgenossenschaft des Krokodils von Tebtynis als die nA ntr.w sbk / „die Netscheru des Sobek“ bezeichnet sind.47 Zu erwarten ist, dass der transzendente Sobek als abstraktes Gottes-Konzept als „Herr/König“ dieser Fetische verstanden wurde. Sehr viel öfter als vermutet könnten die ominösen großen „Götter“ des pharaonischen Pantheons recht überschaubare Gegenstände gewesen sein. Und schließlich eröffnen Konzepte, die anstelle des dinglichen Objektes ein „transzendentes Ob-jekt“ setzen, zwar der Theologie unendliche Weiten, im praktischen Kult aber hat man sich zu allen Zeiten doch recht gern an die Objekte, die „kleinen Götter“ dinglicher Statur gehal-ten. Das Problem sah bereits Charles de Brosses in der zeitgenössischen katholischen Kirche und man kann es wohl als eine phänomenologische Konstante ansehen. Man sollte daher vielleicht davon abkommen, die Bedeutung einzelner Begriffe der altägyptischen Sprache allzu eng und eindeutig festlegen zu wollen. Was ein Netscher konkret ist – bzw. besser: was in einem konkreten Fall von denen, die das Wort Netscher nutzen, damit gemeint wird – ist nur durch die Analyse genau dieses konkreten Falles zu klären. Prinzipiell aber, um Missver-ständnissen vorzubeugen, gilt: „Chez les Sauvages les noms Dieu ou Esprit ne signifient point de tout ce quils veulent dire parmi nous.“48

46 LGG III, 675; IV, 333.47 F. de Cenival, Les associations religieuses en Egypte d’apres les documents démotiques, BdE 46, Kairo 1972,

177–190.48 De Brosses, Du culte des dieux fétiches, 103.

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