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König der Deserteure

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Nr. 288

König der Deserteure

Sie gelten als Überlebende einer Schlacht - Atlan und Fartuloon in

der Maske von Toten

von Peter Terrid

Auseinandersetzungen im Innern und Kämpfe gegen äußere Feinde – sie bestim­men gegenwärtig das Geschehen im Großen Imperium der Arkoniden.

Während die imperialen Flottenverbände gegen die mächtigen Methans im schwe­ren Ringen begriffen sind, gärt es auf vielen Welten des Imperiums. Schuld daran ist einzig und allein Orbanaschol, der Brudermörder und Usurpator, der in seiner Ver­blendung und Korruptheit einen politisch völlig falschen Weg beschritten hat.

Die Tage Orbanaschols scheinen gezählt, und es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, wann die Gegenkräfte im Imperium stark genug sind, den Usurpator vom Thron zu stoßen.

Kristallprinz Atlan, der eigentliche Thronfolger, und seine verschworenen Gefähr­ten, die Orbanaschol bisher schwer zu schaffen machten, sind augenblicklich aller­dings nicht in der Lage, gezielt einzugreifen. Kraumon, ihre geheime Stützpunktwelt, wurde von den Methans zerstört.

Atlan ist sich über das Schicksal seiner rund 15.000 Kampfgefährten auf Kraumon im unklaren. Er weiß nur, daß seine Gesinnungsgenossen der Vernichtung entgehen konnten.

Nach dem unfreiwilligen Besuch auf dem Schwarzplaneten kommt der Kristallprinz erneut in Schwierigkeiten. Auf dem Weg nach Arkon gerät er an den KÖNIG DER DESERTEURE …

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Die Hautpersonen des Romans:Atlan und Fartuloon - Der Kristallprinz und sein Lehrmeister in der Maske von Raumsoldaten.Zergan und Kastyr - Zwei kampferprobte Angehörige der Arkon-Flotte.Pysther - Ein verrückter Roboter.Hurtheyn - Eine zwielichtige Persönlichkeit.Kester Hehl - Er nennt sich »König der Deserteure«.

1.

Zum dritten Mal überprüfte ich mein Aus­sehen. Die Biomolplastmaske saß und würde halten, sie konnte uns nicht verraten. Ich warf einen prüfenden Blick auf Fartuloon. Auch bei ihm hatte unser Maskenbildner hervorragende Arbeit geleistet. Zwar hatten sie aus dem dicklichen Bauchaufschneider keinen schlanken Mann machen können, aber ich war sicher, daß selbst gute Freunde geraume Zeit brauchen würden, bis sie uns in dieser Verkleidung wiedererkennen wür­den.

»Fertig, Sohn?« Ich nickte. Wir waren fertig, der Einsatz

war abgesprochen. Ein Beiboot, das kleinste der CRYSALGIRA, brachte uns zu dem Wrack hinüber. Vor wenigen Tagen noch war die DEWAC ein stolzes Schiff gewesen, hochmodern und kampfkräftig. Jetzt trieb die Hülle steuerlos durch das All. In der Bordwand aus Arkonstahl klafften riesige Löcher, eines davon hatte den Namenszug DEWAC halbiert. Von der Besatzung der DEWAC lebte niemand mehr, wir hatten uns davon überzeugt.

Zwei der Toten allerdings wurden jetzt zu neuem Leben erweckt. Ein gewisser Lothor und ein gewisser Premcest hatten angeblich den Totalverlust der DEWAC überlebt. Ich sollte Lothor verkörpern, Fartuloon hatte sich den Namen Premcest zugelegt.

Es hatte diese beiden Männer gegeben, ih­re Unterlagen waren einwandfrei. Von der Positronik an Bord der DEWAC war genug übriggeblieben, um ein Logbuch rekonstru­ieren zu können. Daher wußten wir genau, daß Lothor und Premcest zur Besatzung der DEWAC gehört hatten.

Die beiden Männer trieben durch den Raum und drifteten auf die Sonne zu. Ein gewaltiges Grab für zwei tapfere Männer. Aus Indizien hatten wir rekonstruiert, daß sie bis zum letzten Augenblick gegen die Maahkschiffe gekämpft hatten. Lothor war von einem herumfliegenden Trümmerstück durchbohrt worden, Premcest war an explo­siver Dekompression gestorben. Die Lei­chen hatten fürchterlich ausgesehen. Es wa­ren nicht die ersten Toten des grauenvollen Methankrieges – und es würden auch nicht die letzten sein. Wir kamen der DEWAC nä­her. Die Hülle sah aus, als habe ein Gigant damit gespielt. Beulen und Einbuchtungen waren zu sehen, eine Schleuse stand offen. Im Hangar lag ein völlig zertrümmertes Bei­boot. Darin lagen noch immer zehn Männer.

Wir hatten nur Lothor und Premcest be­stattet und dem Raum übergeben. Die ande­ren Toten lagen noch immer in den Trüm­mern des Wracks und warteten darauf, daß andere Einheiten der Arkon-Flotte kamen, um ihnen die letzte Ehre zu erweisen. »Mehr nach links«, sagte Fartuloon leise. Der Pilot nickte. »Diese Schleuse ist zu zerstört. Neh­men sie den Einschuß dort drüben!«

Die Öffnung war groß genug, um zwei Beiboote durchzulassen. Unser Pilot steuerte das Boot behutsam näher.

»Zeit zum Aussteigen!« murmelte Fartu­loon. Das Beiboot war eng, es war schwie­rig, die kleine Mannschleuse zu erreichen. Die raumfesten Anzüge hatten wir bereits an Bord der CRYSALGIRA angelegt. Pumpen saugten den Sauerstoff aus der Schleuse, dann öffnete sich das kleine Schott. Letzte Reste der Atemluft verwehten, die Stille des absoluten Vakuums umfing uns.

»Sprechprobe!« Fartuloons Stimme war in meinen Kopf­

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hörern klar und deutlich zu verstehen. »Ich höre dich, Fartuloon.« »Premcest«, erinnerte mich der Bauchauf­

schneider. »Ich steige als erster aus.« Gegen den Hintergrund des Weltalls war

die DEWAC kaum zu erkennen. Der Pilot des Beiboots mußte uns mit einem Schein­werfer den Weg weisen. Nacheinander schwebten wir zu dem Wrack hinüber.

»Wir sind am Ziel«, gab ich durch, als ich das Wrack erreicht hatte. »Viel Glück beim Rückflug!«

»Ich wünsche das gleiche«, sagte der Pi­lot. Ich sah, wie die kleinen Flammen der Korrekturdüsen aus den Öffnungen wehten. Das Boot wendete und jagte dann zurück zur CRYSALGIRA.

Die Besatzung der CRYSALGIRA hatte ebenfalls ein präzises Ziel. Sie sollte den Raumbezirk um Kraumon verlassen und wieder Sorkoth ansteuern. Dort sollte das Schiff einige Tage in Wartestellung verbrin­gen. Danach war vorgesehen, daß die CRY­SALGIRA eine Stützpunktwelt des Großen Imperiums anflog und dort Getray von He­lonk absetzte. Die Frau sollte versuchen, sich nach Arkon durchzuschlagen. Es würde uns sicherlich nützen, wenn eine Frau von Getrays Format im Zentrum von Orbana­schols Macht für uns arbeitete. Dann konn­ten wir den Hebel sozusagen von zwei Sei­ten aus ansetzen, von außen und von innen.

Der Abflug der CRYSALGIRA schnitt unsere letzten Rückzugsmöglichkeiten ab. Wenn wir uns verkalkuliert hatten, war uns der Tod sicher.

*

Ein leises Frösteln überkam mich, obwohl der Raumanzug klimatisiert war. Es hatte et­was Gespenstisches an sich, durch ein To-tenschiff zu treiben. Die Antigravanlagen waren ausgefallen, keine Maschine arbeitete mehr. Es war totenstill, kein Leuchtkörper funktionierte noch. Wir bewegten uns durch ein alptraumhaftes Labyrinth aus Schwärze, Schwerelosigkeit und weltraumkaltem Stahl.

Peter Terrid

Und immer wieder stießen wir auf Tote. Männer, die erstickt waren, als die Atemluft explosionsartig in den Weltraum entwichen war. Männer die bei einem Treffer aus den Sitzen gerissen worden waren und sich das Genick gebrochen hatten. Es gab viele Mög­lichkeiten, an Bord eines kämpfenden Raumschiffes zu sterben.

Ich flog voran. Unser Ziel war, einen noch nicht zerstör­

ten Raum im Innern des Schiffes zu finden, der uns als Unterschlupf dienen konnte. Wir sollten diesen Raum, wenn möglich, wieder mit Sauerstoff füllen, damit wir nicht unun­terbrochen in den Anzügen leben mußten. Unsere Experten hatten bei einem raschen Vorstoß festgestellt, daß einige Atemluft­tanks der DEWAC noch unbeschäftigt wa­ren. Wenn es uns gelang, unseren Unter­schlupf aus diesen Tanks zu versorgen, konnten wir einige Wochen überleben. Nah­rungsmittel gab es für uns in unbegrenzter Menge, aber begrenzter Qualität. Wasser stand ebenfalls zur Verfügung. Wenn es ein Problem geben sollte, dann nur mit dem Sauerstoff.

Etwas bewegte sich vor mir. Ich schrie er­schrocken auf, dann sah ich Fartuloons Waf­fe aufblitzen. Der Robot verging in einer lautlosen Explosion. Es war eine jener Ma­schinen, die eine eigene Energieversorgung besaßen. Wahrscheinlich trieben sich noch Dutzende solcher Robots in den verlassenen Gängen und Räumen der DEWAC herum.

»Wir müssen ein wenig aufpassen«, knurrte Fartuloon. Er behielt seine Waffe vorsichtshalber in der Hand.

Wenn mich mein Orientierungssinn nicht trog, hatten wir den Bereich der DEWAC er­reicht, der den Offizieren des Schiffes als Wohnraum diente. Die sorgsam abgestufte Rangordnung innerhalb der Arkonflotte brachte es mit sich, daß Offiziere wesentlich bequemer untergebracht waren als Mann­schaftsdienstgrade.

Dieser Bereich des Schiffes war nicht be­schädigt. Fartuloon brummte zufrieden. Während ich die Räume inspizierte, machte

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er sich an die Arbeit, diesen Bereich des Schiffes vakuumfest abzuschotten. Die Schottsicherung hatte während der Raum­schlacht versagt, nur so war auch der große Verlust an Menschenleben zu erklären. Eine Viertelstunde verging, dann kehrte Fartu­loon zurück.

»Alles in Ordnung«, berichtete er. »Dieser Bereich ist abgeschottet, und die Sauerstoffverbindung ist intakt.«

Wir hielten uns in den Räumen auf, die dem Kommandanten zugewiesen worden waren. Es war üblich, daß wichtige Kontrol­linstrumente in mehrfacher Ausführung ver­wendet wurden, desgleichen bestimmte Reg­ler. Der Alarmknopf beispielsweise, der vor dem Sitz des Piloten in der Zentrale ange­bracht war, hatte ein Gegenstück in der Or­tungszentrale und eines in der Kabine des Kommandanten. Das gleiche galt für die Notaggregate. Wenn die Verbindungen noch intakt waren, mußten wir bald in der Lage sein, die unbequemen Anzüge ablegen zu können.

Ich sah auf das Mehrzweckgerät an mei­nem linken Handgelenk. Die Sauerstoffkon­zentration stieg beständig an. Als die Atem­luft die nötige Dichte erreicht hatte, öffnete ich den Helm. Ich atmete tief ein. Die Luft war schneidend kalt, aber sehr erfrischend. Rasch legten wir unsere Anzüge ab.

Die künstliche Schwerkraft hatten wir nicht reaktivieren können, also mußten wir uns in den Räumen freischwebend bewegen. Fartuloon bastelte an den Schaltern herum, und wenig später flammte auch die Beleuch­tung wieder auf. Rasch sah ich mich um.

Der Kommandant der DEWAC – der frü­here Kommandant, verbesserte ich mich; wir hatten seine Leiche in der völlig zerstörten Zentrale gefunden – war ein Mann, der sich von anderen Offizieren beträchtlich unter­schied. Auf die Prachtentfaltung und den Luxus, der für viele Kommandanten typisch war, hatte er vollkommen verzichtet. Auf ei­nem Tablett, das langsam durch den Raum trieb, sah ich die Reste der letzten Mahlzeit. Der Kommandant hatte Konzentratwürfel

verzehrt, wie jeder normale Raumsoldat an Bord seines Schiffes.

Fartuloon sah auf seine Uhr. »Jetzt bleibt uns nur noch eines übrig«,

sagte er. Ich wußte, was er meinte. Uns stand ein

Kampf bevor, gegen den bösartigsten Geg­ner, den ich kannte – die Langeweile.

*

Wir warteten auf den Flottentender, der das Wrack der DEWAC abschleppen sollte, wenn möglich sofort nach Arkon III. Dort gab es die größten und leistungsstärksten Werften und Docks der bekannten Galaxis.

Nachdem unser Aufenthalt beim Treff­punkt Sorkoth ohne Ergebnis geblieben war, waren wir nach Kraumon zurückgekehrt und hatten rein zufällig festgestellt, daß arkonidi­sche Flottentender damit beschäftigt waren, die im Raum treibenden Wracks zu bergen. Auf diese Entdeckung stützte sich unser Plan.

Er war verwegen, vielleicht sogar waghal­sig, aber nach dem Verlust Kraumons war ich zu jedem Risiko bereit gewesen.

Kraumon vernichtet, die Arbeit langer Jahre in wenigen Stunden zerstört! Dazu kam die Ungewißheit über das Schicksal un­serer Freunde. Auf dem zerstörten Planeten Kraumon hatten wir nur die Nachricht einer Robotsonde gefunden. In knappen Worten war uns geschildert worden, was sich ereig­net hatte. Wir sollten den Treffpunkt Sor­koth anfliegen, dort würden unsere Freunde auf uns warten.

Aber dort hatten wir niemanden gefunden. Mich quälte die Angst, daß die Sonde viel­leicht zu früh programmiert worden war. Es war denkbar, daß meine Freunde noch wäh­rend ihrer übereilten Flucht von einem arko­nidischen Geschwader entdeckt und vernich­tet worden waren. Vielleicht waren sie auch den Maahks in die Hände gefallen.

Das Warten an Bord des Wracks machte die Sache für mich nicht einfacher. Die quä­lenden Gedanken fanden Zeit, sich breitzu­

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machen. Kraumon war verloren, unser wertvollster

Stützpunkt. Mußte ich jetzt ganz von vorne beginnen? Und wenn ich es tat, würde ich wieder Freunde finden? Daß sich nach je-dem kleinen Erfolg zahlreiche Sympathisan­ten fanden, war nicht verwunderlich, aber wie mußte es sich auswirken, wenn bekannt wurde, daß Kraumon verloren war?

Während ich trübsinnigen Gedanken nachhing, hatte sich Fartuloon mit den In­strumenten der DEWAC beschäftigt. Er knurrte zufrieden, als ein Bildschirm auf­flammte und die Umgebung der DEWAC zeigte.

Deutlich waren die anderen Wracks zu er­kennen, auch die zerschossenen Maahkschiffe, die ebenfalls im Raum um Kraumon trieben. Um sie würde sich nie­mand kümmern, höchstens der Nachrichten­dienst. Aber es war nicht zu erwarten, daß sich an Bord der Maahkschiffe Unterlagen finden ließen, die dem Imperium nützlich sein konnten.

»Aha«, machte Fartuloon. Von einer Sekunde zur anderen war ein

neues Schiff aufgetaucht, der Form nach un­verkennbar ein Bergungsschiff. Fartuloon grinste zufrieden.

»Wir werden abgeholt«, verkündete er fröhlich. Unser Plan schien aufzugehen.

»Achtung, die Atemluft wird knapp!« Der Impuls des Extrahirns war von

schmerzhafter Stärke. Sofort griff ich nach dem Kombigerät. Wie nicht anders zu er­warten war, war die Warnung durchaus be­rechtigt. Langsam aber stetig nahm der Sau­erstoffanteil der Luft ab.

»Wir müssen wieder die Anzüge anzie­hen«, informierte ich Fartuloon. Wie nötig diese Maßnahme war, machte sich schon bald bemerkbar. Ich hatte den Anzug noch nicht ganz übergestreift, da spürte ich schon die ersten Anzeichen eines Sauer­stoffrauschs. Ich fühlte mich plötzlich unge­mein fröhlich, kannte keine Angst mehr und bekam eine gefährliche Lust, mit dem Helm zu spielen. Nur die drängenden Impulse des

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Extrahirns hinderten mich daran, zum Nar­ren zu werden, der übergeschnappt kichernd langsam erstickte. Die Helmverschlüsse ra­steten ein, aus den Sauerstofftanks kam Atemluft in ausreichender Dichte. Langsam klärten sich meine Sinne wieder.

Ich sah, daß auch Fartuloon seinen Anzug wieder übergestreift hatte. Auf meinem Kombigerät sank die Anzeige immer tiefer, der Sauerstoffgehalt der Luft verminderte sich erschreckend schnell.

»Ich fürchte«, sagte Fartuloon grimmig, »wir haben uns verrechnet. Die Leitungen zwischen den Sauerstofftanks und diesen Räumen sind offenbar doch defekt.«

Damit hatten wir rechnen müssen. Immer­hin reichte der Luftvorrat in unseren Fla­schen für mehrere Stunden. Bis dahin waren wir längst in Sicherheit. Auf dem Bild­schirm konnte ich sehen, wie sich der Ten­der der DEWAC näherte. Fartuloon grinste hinter der Scheibe seines Helms. Die Anzei­ge des Sauerstofftasters sank auf Null, also war sämtliche Atemluft in das Vakuum ent­wichen.

»Die Schotts sind dicht«, informierte mich der Logiksektor. »Die Zuleitungen sind de­fekt!«

Irgendwo in den kilometerlangen Lei­tungssträngen, die das ganze Schiff durchzo­gen, gab es ein Leck, durch den der Sauer­stoff ins Freie entwichen war. Die Lecks, die durch Trefferwirkung aufgetreten waren, wurden normalerweise von einer Automatik festgestellt und abgesichert. Wir hatten durch unsere Manipulationen diese Siche­rung aufgehoben, jedenfalls für den Teil des Leitungssystems, der die Kommandantenka­bine mit den Tanks verband. Jetzt war es für Gegenmaßnahmen zu spät. Der Sauerstoff hatte sich ins Vakuum verflüchtigt.

Gespannt wartete ich auf die Erschütte­rung, die uns anzeigen würde, daß der Ten­der an der DEWAC festgemacht hatte. Längst war das Schiff aus unserem Blickfeld verschwunden.

Ich sah, wie Fartuloon sich verfärbte. Lei­denschaftslos teilte der Logiksektor mit:

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»Der Tender wird zunächst ein anderes Wrack bergen!«

Diese Nachricht war niederschmetternd. Ich begann durchzurechnen, wie lange es dauern würde, bis der Tender das andere Wrack festgemacht hatte und abfliegen wür­de. Die Reisezeit bis nach Arkon III war ei­nigermaßen genau vorherzusehen, dazu kam die Zeit der Abfertigung, die Neuausrüstung des Tenders, seine Rückkehr in das Gebiet um Kraumon und die Zeit, die vergehen mußte, bis er die DEWAC erreichte.

»Die Atemluft wird früher erschöpft sein«, hatte der Logiksektor berechnet.

Wir saßen in der Falle. Die CRYSALGI­RA hatte längst das System verlassen, und die Distanz zwischen der DEWAC und dem nächsten Wrack, das uns vielleicht bessere Überlebenschancen bot, war entschieden zu groß, als daß wir sie mit unseren Anzügen hätten überwinden können.

»Was nun?« fragte Fartuloon halblaut. Ich zuckte mit den Schultern, soweit das mit dem hinderlichen Anzug überhaupt möglich war.

Bis vor wenigen Minuten hatten wir dar­auf gewartet, daß man uns abholte. Jetzt hieß die Frage, ob man uns überhaupt noch lebend abholen konnte.

Die Mannschaft des Schleppers war her­vorragend eingespielt. Nach kurzer Zeit sa­hen wir, wie sich das Schiff mit einem Wrack im Schlepp auf den Rückweg mach­te. Es war ein entsetzlicher Anblick, zu se­hen, wie der Tender ein Schiff voller Lei­chen abschleppte und ein Wrack zurückließ, in dem zwei Menschen auf den Tod warte­ten.

»Wir müssen diese Räume verlassen«, stellte Fartuloon fest. »Vielleicht können wir sie mit Blinksignalen auf uns aufmerksam machen!«

Der Logiksektor schwieg. Er brauchte nicht zu kommentieren, daß dieser Gedanke absurd war.

Der Tender nahm unverkennbar Fahrt auf. Kurz vor Erreichen der Lichtgeschwindig­keit würde er transitieren. Unser Lichtsignal

hätte eine förmliche Aufholjagd veranstalten müssen, um die davonrasenden Schiffe er­reichen zu können. Da die Stärke dieses Lichtsignals mit dem Quadrat der Entfer­nung abnahm, hatten wir überhaupt keine Chance, den Tender so über unsere Notlage zu informieren.

Mit brennenden Augen sah ich zu, wie die beiden Schiffe im Hyperraum verschwan­den.

Wir waren wieder allein im Raum um Kraumon.

2.

Mein Atem ging stoßweise, vor meinen Augen flimmerte es. Unsere Luft wurde knapp, die Reserven unserer Anzüge würden nicht mehr lange vorhalten. Wir hatten die Schotte wieder geöffnet und das ganze Schiff abgesucht. Nirgendwo hatte sich ein zurückgelassener Raumanzug gefunden, dessen Flaschen unsere erschöpften Vorräte hätte strecken können. Aber die Verzweif­lung trieb uns vorwärts.

Ich wußte kaum noch, in welchem Bezirk des Wracks ich mich herumtrieb. Es konnte mir gleichgültig sein, in welchem Bezirk ich das leise Blubbern hören würde, das das En­de ankündigte. Noch war Sauerstoff in den Flaschen, noch lebte ich.

»Sohn!« Ich hörte Fartuloons Ruf über die Kopfhö­

rer. Jubel schwang in seiner Stimme mit. »Was gibt es, hast du einen brauchbaren

Anzug gefunden?« »Etwas viel Besseres«, frohlockte der

Bauchaufschneider. »Ein Tender ist aufge­taucht, und er hält genau auf uns zu. Du mußt Deck IV anfliegen, dort ist ein großes Leck.«

Ich nahm mein fotografisches Gedächtnis zu Hilfe, um die Stelle finden zu können, die mir Fartuloon bezeichnet hatte. Eine be­drückende Stille umgab mich, als ich durch das Totenschiff schwebte. Ich konnte meine Atemzüge hören, und mir entging nicht, daß ich von Minute zu Minute krampfhafter at­

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mete. Die Angst ließ meinen Puls heftiger schlagen, daher brauchte ich auch mehr Sau­erstoff. Der Gedanke, daß ich durch meine Aufregung entschieden mehr Luft ver­brauchte, als überhaupt nötig war, ließ die Furcht nur wachsen.

Keuchend reichte ich Fartuloon. Der Bauchaufschneider war, soweit ich das be­obachten konnte, ruhig. Er deutete auf einen glitzernden Punkt, der sich rasch gegenüber den Konstellationen der Sterne bewegte. Wäre die Hülle des Tenders nicht von der Sonne beschienen worden, hätten wir den winzigen Punkt kaum bemerkt. Einmal mehr kam mir zu Bewußtsein, wie winzig selbst das größte Schiff im Vergleich zu den Di-mensionen der Natur war.

»Sie steuern gradlinig auf uns zu«, mur­melte Fartuloon.

Er machte eine kleine Bewegung. Ich sah, wie er sich sehr langsam in eine Haltung hineinmanövrierte, in der so wenig Muskeln wie möglich beansprucht wurden.

»Folge seinem Beispiel«, riet mir der Lo­giksektor. »Versuche, die Atemluft durch Selbstversenkung zu strecken!«

Ich befolgte diesen Ratschlag. Bald schwebte ich neben Fartuloon und versuchte mich zu entspannen. Erste Erfolge stellten sich ein, mein Atem ging weniger heftig, der Herzschlag verlangsamte sich.

Ich schloß die Augen, um die Entspan­nung zu vertiefen. Noch immer strömte der Sauerstoff gleichmäßig aus den Flaschen. Während ich mich bemühte, so flach wie nur möglich zu atmen, kalkulierte das Extrahirn die Reserven durch.

»Du hast vier Minuten Zeit«, lautete das Ergebnis. »Gerechnet von dem Zeitpunkt an, an dem die Flaschen leer sind.«

Richtig, es war ja auch Atemluft im An­zug selbst. Sie würde nicht lange reichen, aber im Ernstfall konnten Sekundenbruchtei­le entscheiden. Ich konnte die Luft für viel­leicht drei Minuten anhalten, das zusammen konnte reichen.

Der Tender kam näher. Es war kein sehr moderner Tender, aber

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er erfüllte seinen Zweck. Er bestand aus ei­nem großen Transportfeld, auf dem ein Wrack wie die DEWAC bequem Platz fand. Auf einer Seite dieses Transportfelds war an die Scheibe eine Kugelzelle angeflanscht worden. Von dort aus wurden die Traktor­strahlprojektoren und die Projektoren der Fesselfelder bedient. Unter der Ladefläche waren die gewaltigen Triebwerke versteckt, die den Tender samt seiner Ladung be­schleunigen sollten.

Die Ladefläche kam in Sicht, ein großes Rechteck, auf dem ich einige Robots er­kannte. Männer rannten über die Fläche auf die Projektoren zu, mit denen das Wrack der DEWAC auf die Ladefläche heruntergezo­gen werden sollte.

Ich spürte, wie ein leiser Ruck durch das Schiff ging.

»Sie haben uns im Griff«, flüsterte ich, um Luft zu sparen.

Mit kleinen Handbewegungen sorgte ich dafür, daß ich flach auf den Boden zu liegen kam. Sobald die DEWAC den Boden des Landefelds berührte, würde dort die künstli­che Schwerkraft eingeschaltet werden, wäh­rend Projektoren dafür sorgten, daß das Wrack nicht umkippen konnte.

Es traf mich wie ein Schlag, als die Schwerkraft plötzlich über uns hereinbrach. Sofort beschleunigte sich mein Herzschlag. Ich stand auf.

Der Arm, den ich erhoben hatte, um den Männern auf der Plattform zuzuwinken, sank herab. Ich hörte das Gurgeln in meinem Helm. Die Atemluft in den Flaschen war verbraucht. Jetzt mußten wir die Sekunden zählen.

Ich griff zum Handscheinwerfer und gab Lichtsignale. Sie wurden sofort beantwortet.

»Brauchen Atemluft!« gab ich durch. »Verstanden!« lautete die schnelle Ant­

wort. Ich sah, wie sich zwei Männer auf dem

Landefeld in Bewegung setzten. Sie trugen flugfähige Anzüge. Ich sah, wie sie in die Höhe zu steigen begannen, sie zielten auf das große Einschußloch, in dem wir uns auf­

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hielten. »Ruhe bewahren, Lothor!« hörte ich Far­

tuloon sagen. »Wir haben Zeit!« Ich wunderte mich, woher der Bauchauf­

schneider seine Beherrschung nahm. Nach meiner Schätzung mußte sein Sauerstoffvor­rat schon vor einer Minute aufgezehrt gewe­sen sein. Ein Mann seiner Statur brauchte naturgemäß mehr Luft als ich.

Zwei Männer tauchten vor uns auf. Ent­setzt sah ich, daß sie nicht, wie ich erwartet hatte, Sauerstofflaschen mitgebracht hatten. Trotzdem deutete ich als erstes auf Fartu­loon. Er war in noch größerer Gefahr als ich.

Die beiden Männer packten den Bauch­aufschneider unter den Armen und hoben ihn in die Höhe. Dann verschwanden sie ha­stig mit ihm. Mich ließen sie zurück. Offen­bar hatte der Kommandant des Bergetenders mein Signal falsch verstanden. Er hatte nur mit einem Überlebenden gerechnet.

Ich fühlte, daß ich langsam das Bewußt­sein zu verlieren begann. Meine Lungen keuchten, vor meinen Augen tanzten feurige Punkte. Das Herz hämmerte in meiner Brust. Ich atmete krampfhaft, fühlte, wie mich wie­der die Angst überkam.

Ich spürte noch etwas Hartes, das gegen meine Brust schlug, dann wurde ich ohn­mächtig.

*

Ein bärtiges Gesicht sah auf mich herab, als ich die Augen öffnete. In dem struppigen Bart entstand eine Öffnung. Eine nicht mehr ganz vollständige Zahnreihe grinste mich an.

»Du hast alles überstanden, Junge!« Ich nickte schwach. Ich wußte nicht, wie

lange ich ohne Besinnung gewesen war. Of­fenbar waren doch noch Helfer erschienen. Ich atmete, und diese Tatsache allein genüg­te, um mich wieder aufzumuntern.

»Wo bin ich?« Ich erkannte meine eigene Stimme kaum

wieder, so sehr krächzte ich. »An Bord der KOPHAT, Junge«, sagte

der Bärtige freundlich. »Du hast Glück ge­

habt, wir haben dich gerade noch aus dem Wrack geholt. Eine Minute länger, und du hättest dem Galaktischen Geist die Hand schütteln können!«

»Falls er eine hat«, brachte ich mühsam über die Lippen. Vorsichtig richtete ich mich auf. Man hatte mich in eine Kranken­station gebracht. Der zweite Patient in dem ansonsten leeren Raum war Fartuloon.

»Herzlich willkommen unter den Leben­den«, grüßte er mich. Ich winkte matt zu­rück.

»Wie sieht es aus?« fragte ich den Bärti­gen. »Habt ihr noch andere Überlebende ge­funden?«

Er schüttelte den Kopf und preßte dabei die Lippen zusammen.

»Keine«, sagte er dumpf. »Ihr beide seid die Einzigen.«

Eine Tür wurde geöffnet, und ein Mann betrat die Medo-Station. An den Abzeichen erkannte ich den Kommandanten des Ten­ders.

»Wie geht es den Männern?« fragte er rauh.

»Bestens«, antwortete der Bärtige. »Sie sind noch etwas angeschlagen, aber in eini­gen Stunden wieder voll einsatzfähig.«

»Gut gemacht, Doktor!« sagte der Kom­mandant. Er sah mich an.

»Habt ihr etwas von der Schlacht beob­achten können?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nicht sehr viel, Herr. Wir werden einen

ausführlichen Bericht anfertigen, wenn ihr es wünscht.«

Der Kommandant winkte ab. »Überflüssig«, brummte er. »Die Besat­

zung eines geflüchteten Beiboots hat uns ge­nug berichten können. Seht zu, daß ihr wie­der zu Kräften kommt. Das Imperium braucht jeden Mann!«

Er grüßte knapp und verließ den Raum. Der Arzt sah ihm lächelnd nach, dann wand­te er sich wieder an uns.

»Er ist ein wenig brummig, müßt ihr wis­sen. Eigentlich sollte er einen Schlachtkreu­zer übernehmen, aber weil kein anderer

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Kommandant greifbar war, hat man ihm den Tender gegeben. Sehr erfreut ist er darüber nicht.«

»Es sah ganz danach aus«, murmelte Far­tuloon. »Müssen wir lange hier liegen blei­ben?«

»Wenn ihr wollt, könnt ihr sofort aufste­hen. Man hat euch eine Kabine zugewiesen. Dort könnt ihr euch bis zur Landung erho­len.«

Ich hütete mich aufzuatmen, aber der kur­ze Seitenblick auf Fartuloon verriet dem Bauchaufschneider, wie erleichtert ich war. Vor allem darüber, daß wir keine peinlich genaue Befragung zu überstehen hatten. Zur Not hätten wir uns zwar herausreden kön­nen, schließlich hatten wir einige Zeit unter akutem Sauerstoffmangel gelitten, aber frü­her oder später hätte man uns bei einem gründlichen Verhör sicherlich erwischt. Was wir über die DEWAC und das Gefecht bei Kraumon wußten, war ziemlich dürftig.

Frische Uniformen lagen für uns bereit. Wir zogen uns rasch an und verließen die Medo-Sektion. Der Arzt begleitete uns zu unserer Kabine. Sie war nicht sehr groß, da wir nur einfache Besatzungsmitglieder ver­körperten.

Ich wollte mich gerade auf der schmalen Liege ausstrecken, als ich ein Geräusch hör­te.

Jeder im Großen Imperium, der einmal an Bord eines Schiffes Dienst getan hatte, kannte den an- und abschwellenden Rhyth­mus des infernalischen Heulens.

Maahk-Alarm!

*

Ich zögerte keinen Augenblick, meine Schwache war vergessen. Die Kabinentür stand noch offen. Auf den Gängen wirbelten die Männer durcheinander, vor den Beiboo­thangars zogen die Robotwachen auf. Sie sollten verhindern, daß Feiglinge versuch­ten, das Schiff zu verlassen und zu fliehen. Es war erschütternd zu sehen, daß derartige Maßnahmen neuerdings an Bord von Arkon-

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schiffen nötig waren. Ein Offizier hielt uns auf. »Was wollt ihr hier?« herrschte er uns an. »Wird am dem Wrack gearbeitet?« fragte

ich eilig zurück. Der Offizier nickte unwill­kürlich. Genaugenommen hatte ich mich schuldig gemacht, ich hätte zuerst die Frage des Offiziers beantworten müssen.

»Das obere Polgeschütz ist noch einwand­frei«, erklärte ich dem Offizier hastig. Ein mit Waffen beladener Robot hastete an uns vorbei. Fartuloon angelte zwei Impulsstrah­ler von dem Haufen und steckte einen davon in meinen Gürtel.

»Wenn wir uns beeilen, können wir eine Leitung vom Hauptreaktor zum Polgeschütz zusammenbasteln. Dann haben wir wenig­stens eine Chance. Gegen einen Maahkkreu­zer helfen eure Knallbüchsen nichts!«

Dem Offizier kam nicht zu Bewußtsein, daß ich ihn geduzt hatte. Normalerweise hät­te ich dafür zehn. Tage Arrest bekommen.

»Los, mir nach!« Der Offizier rannte voran. Ich steckte die

Waffe richtig in den Gürtel und folgte ihm, hinter mir rannte Fartuloon.

»Entfernung vierzehn Einheiten!« quäkte es aus einem Lautsprecher. »Feind schließt mit hoher Fahrt auf!«

Es war höchste Zeit. Das Landefeld tauchte vor uns auf. Mit

herrischen Gesten teilte der Offizier zehn Mann vom Bergepersonal ab, dazu ein halb-es Dutzend Robots. Ich kümmerte mich nicht um ihn, sondern rannte auf das Wrack der DEWAC zu. Die große Bodenschleuse war geöffnet, die Antigravanlage an die Ma­schinen der KOPHAT angeschlossen wor­den. Der zentrale Schacht brachte uns zum Polgeschütz hinauf. Ich stöpselte die Sprechleitung ein.

»Gebt mir zuerst Energie für die separate Feuerleitortung!« brüllte ich in das Mikro­phon. Sekunden später liefen die Geräte an.

Ein ganzer Schwarm Maahkschiffe war in der Nähe Kraumons rematerialisiert. Ich zählte allein zwanzig schwere und über­schwere Einheiten, genug, um ein Raumge­

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fecht damit veranstalten zu können. Dieser Übermacht hatten wir nichts entgegenzuset­zen.

Fartuloon hatte hinter der Beobachtungs­kanzel Platz genommen. Leidenschaftslos und ruhig teilte er mir seine Beobachtungen mit.

»Sie haben sich getrennt. Offenbar wollen sie lediglich die Wracks vernichten, damit sie nicht mehr repariert werden können!«

Ich konnte auf meinem Monitor sehen, daß Fartuloon Recht hatte. Feuerbälle ent­standen plötzlich im Raum, dort, wo vor Mi­nuten leblose Schiffshüllen getrieben hatten.

»Sie machen sich einen Spaß mit uns!« stellte er erbittert fest. »Teufel auch, wo bleibt die Energie für die Kanonen?«

»Wir beeilen uns«, hörte ich eine Stimme im Kopfhörer. »Nur noch ein paar Sekun­den!«

Die Maahks hatten eine Abteilung Späh­boote ausgeschickt, um unser Schiff zu zer­stören. Die schwerfälligen Tender hatten keine Chance, solchen Schiffen auszuwei­chen. Die Maahkspähboote waren ziemlich stark bewaffnet und vor allem ungeheuer wendig und schnell.

»Energie kommt!« Die Lichter auf dem Feuerpult vor mir

flammten auf. Auch die Motoren, die die Geschützkuppel drehten, bekamen Energie.

Der Kommandant der KOPHAT schaltete sich in den Sprechfunk ein.

»Werft das verfluchte Wrack los!« schrie er. »Der Schrotthaufen hindert uns!«

Ich brauchte nur meine Finger zu bewe­gen, um die Geschützkuppel zu bewegen. Der Mann hatte seinen Satz noch nicht been­det, da zeigte die Mündung des schweren Impulsgeschützes schon auf die Kuppel des Tenders.

»Ich habe den Befehl nicht ganz verstan­den, Kommandant!« sagte ich eisig. Ich konnte hören, wie der Mann schluckte. Ein Schuß aus diesem Geschütz würde bei der geringen Entfernung ausreichen, um die KOPHAT in Stücke zu reißen.

»Befehl korrigiert!« hörte ich ihn rufen.

»Fahrt die Maschinen hoch, bevor die Maahks uns erwischen können!«

Sein Befehl kam um einige Sekunden zu spät.

»Da sind sie!« stellte Fartuloon nüchtern fest. Mich überkam jene seltsame, eisige Ru­he, die für Arkoniden so typisch war, wenn sie gegen die Methanatmer antreten mußten. In Lagen wie dieser brachten selbst Schwächlinge Dinge zuwege, die ihnen nie­mand zugetraut hätte.

Das Geschütz glitt in eine neue Stellung. Ich faßte die Salve zusammen, ein über­schweres Impulsgeschütz, dazu ein weitge­streuter Fächer von kleineren Desintegrato­ren. Ein Knopfdruck löste die Salve aus, zwei der Spähboote vergingen in kleinen Feuerkugeln.

»Treffer!« meldete der Beobachtungsoffi­zier der KOPHAT. »Schirmfeldbelastung unerheblich.«

Zwei Maahkboote waren geblieben, drei weitere tauchten übergangslos aus dem Hyperraum auf. Sie rasten genau in meine nächste Salve hinein und teilten das Schick­sal ihrer Vorgänger. Ein weiteres Maahkschiff wurde von den kleineren Ge­schützen der KOPHAT vernichtet.

»Was machst du!« schrie mich Fartuloon an.

Ich hörte ihn nicht. Ich war voll auf die Anzeigen konzentriert und auf die Impulse meines Extrahirns. Es berechnete anhand der Ortungsdaten die möglichen Kurse der großen Maahkschiffe. Nach diesen Daten richtete ich die Geschütze aus.

Ich konnte hören, wie der Strukturtaster explodierte, auch den Entsetzensschrei der Besatzung. Unmittelbar neben dem Tender war ein Maahkkreuzer aus dem Hyperraum aufgetaucht, genau dort, wo das Extrahirn vermutet hatte. Ich brauchte nur noch den Feuerknopf niederzudrücken. Der Feuer­strahl des Geschützes raste dem Maahkschiff entgegen.

»Treffer!« stellte Fartuloon fest. Ich sah, wie das Schirmfeld der Maahks

zu flackern begann und dann für Sekunden

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zusammenbrach. Ein zweiter Schuß traf das nun verteidigungsunfähige Schiff und durch­schlug es, eine Serie von Desintegratortref­fern durchlöcherte die Außenhaut.

Der Grek 1 leitete ein Fluchtmanöver ein, aber sein Schiff wurde noch einmal von dem Polgeschütz getroffen. Wie durch ein Wun­der hatte noch kein Waffenstrahl der Maahks eingeschlagen.

Ich sah nur noch eine Feuerwand. Mit ei­nem Schlag wurde ich aus meinem Sitz ge­rissen und flog gegen den heißen Lauf des Geschützes. In meinen Ohren dröhnte der Schlag, der unser Schirmfeld zusammenge­staut hatte. Ich rutschte über den Boden und blieb an einem Pfosten hängen.

»Treffer«, verkündete eine unbeteiligt klingende Stimme. »Schirmfeldbelastung am Grenzwert!«

Ich rappelte mich auf und hastete auf mei­nen Platz zurück. Der Maahk war schwer angeschlagen, aber das hieß nicht, daß er uns nicht vernichten konnte. Seine Offensiv­kraft schien trotz der schweren Treffer nicht gelitten zu haben. Mit Fingerbewegungen, die von der positronisch gesteuerten Hy­draulik sofort ausgeführt wurden, brachte ich das Polgeschütz in eine neue Stellung. Ich drückte den Feuerknopf.

Nichts geschah, die Lichter vor mir verlo­schen.

»Energiefluß zusammengebrochen«, hörte ihn in meinem Kopfhörer.

Bevor ich den Mann anbrüllen konnte, spürte ich den unverkennbaren Schmerz im Nacken. Die KOPHAT transitierte.

Ich stöhnte unterdrückt, als ich mich auf­richtete. Die Transition war in Nullzeit von­statten gegangen. Mir war rätselhaft, wie ein Vorgang, der mathematisch überhaupt keine Zeit in Anspruch nahm, einen derart peini­genden und anhaltenden Schmerz hervorru­fen konnte.

In meinen schmerzerfüllten Kopf drang die Stimme des Kommandanten:

»An die beiden Männer in der Polkuppel der DEWAC: gut gemacht!«

»Danke, Kommandant!« gab ich seufzend

Peter Terrid

zurück. Ich warf einen Blick ins Freie. Die Ster­

nenkonstellationen kannte ich nicht. Es stand aber fest, daß wir Kraumon hinter uns gelassen hatten.

3.

Es ging nicht nach Arkon. Ich war maßlos enttäuscht, durfte mir das aber nicht anmer­ken lassen.

Das Ziel hieß Mirc und war der bedeu­tendste und schönste Planet des Fezzan-Sy­stems. Dieser Rang war unbestritten, das Fezzan-System hatte nur diesen einen Plane­ten. 306 Lichtjahre trennten Mirc von Ar­kon, eine schier unüberbrückbare Distanz – aus der Sicht zweier Mannschaftsmitglieder der wracken DEWAC.

An Bord der KOPHAT wurden Fartuloon und ich mit einem gewissen Wohlwollen be­handelt. Offenbar hatte sich herumgespro­chen, daß das Schiff verloren gewesen wäre, hätten wir nicht die Polgeschütze der DE­WAC zur Verteidigung eingesetzt. Nur der Kommandant der KOPHAT ging uns geflis­sentlich aus dem Weg. Mich wunderte das nicht, schließlich hatte ich ihn aus nächster Nähe in die Mündung des entsicherten Pol­geschützes blicken lassen, und diesen An­blick vergaß keiner so schnell.

»Was sollen wir auf Mirc anfangen?« fragte ich mürrisch.

Fartuloon drehte sich auf seiner Liege herum und knurrte unverständlich. In den letzten Stunden hatten wir Zeit genug ge­habt, um uns von den Strapazen zu erholen. Ich fühlte mich frisch und ausgeruht, mein Tatendrang wurde einzig durch die Tatsache gedämpft, daß sich an Bord der KOPHAT nichts ausrichten ließ. Die Aussichten auf Mirc waren noch geringer.

Die KOPHAT setzte zur Landung an. Mirc war, soweit ich sehen konnte, eine

ausgesprochene schäbige Welt, die keinen besonderen Reiz zu bieten hatte. Es sei denn, man bezeichnete die endlose Reihe von Magazinen, Docks, Werften und Lager­

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13 König der Deserteure

hallen als reizvoll. Auf den ersten Blick mochte dieser Aufwand beeindruckend sein, aber wer die Kapazitäten der Arkon-Welten kannte, war rasch desillusioniert. Mirc war notdürftig als Reparaturwelt hergerichtet worden, alles wirkte sehr improvisiert.

Die Erklärung für diese Tatsache lag auf der Hand. Der gnadenlose Methankrieg wü­tete noch immer in voller Stärke, es war nö­tig geworden, die beschädigten Schiffe so schnell wie möglich wieder herzurichten und an die Fronten zu schicken.

Die Zeit, die verstrich, bis ein defektes Schiff nach Arkon gebracht, repariert und wieder in den Einsatz geschickt werden konnte, war einfach zu groß. Deshalb hatte man zahllose Welten in der Nähe der Fron­ten provisorisch zu Reparaturwelten ausge­baut. Eine dieser Welten war Mirc.

Sanft setzte die KOPHAT auf einem Feld auf, doch damit war ihr Einsatz noch nicht beendet. Jetzt galt es, das Wrack der DE­WAC behutsam in ein Dock zu transportie­ren.

Dutzende von Wracks wurden auf dem gi­gantischen Landefeld bewegt, einige sahen noch übler aus als unsere DEWAC. Lang­sam stieg die KOPHAT mit ihrer schweren Last wieder auf. Ein Lotsengleiter war er­schienen und dirigierte den Tender über das Landefeld. Der Lotse verstand sein Hand­werk, er wirkte jedoch erschöpft. Seine Stimme dröhnte aus den Lautsprechern:

»Mehr nach rechts, halt, nicht so viel! Hat denn hier kein Mensch einen Sinn für Ent­fernungen. Immer diese lausigen Luftkut­scher. Hier muß Millimeterarbeit geleistet werden, Herr!«

Die Stimme des Lotsen überschlug sich. Der Mann hätte längst abgelöst werden müs­sen, er war völlig erschöpft. Fast alle Lotsen waren überlastet, zu viele Schiffe wurden gebracht, die Enge auf dem Landefeld spot­tete jeder Beschreibung. Und natürlich er­wartete jeder Kommandant, daß man sein Schiff bevorzugt behandelte und als erstes in die Docks brachte.

»Aufpassen«, brüllte der Lotse. »Preist

euch glücklich, daß ihr überhaupt ein Dock bekommt, und benehmt euch entsprechend!«

Eine Schimpfkanonade folgte. Sie galt ei­nem Kollegen, der gerade ein notdürftig überholtes Schiff aus einem Dock herausdi­rigierte.

Auf einer Rampe ging es langsam in die Tiefe. Die Hälfte des Docks lag unter der Erde, die andere Hälfte ragte in die Luft. Langsam glitt die KOPHAT auf der Nei­gung in die Tiefe.

Für den Kommandanten eines Bergungs­tenders ergaben sich Probleme, die sich ei­nem normalen Kommandanten niemals stell­ten. Im Extremfall mußte der Tenderkom­mandant einen 899-Meter-Riesen auf zehn Zentimeter genau ins Dock bugsieren. Trotz der ausgefeilten Steuerpositroniken war dies eine Arbeit, die Fingerspitzengefühl, ein Höchstmaß an Konzentration und eine schier unerschöpfliche Geduld erforderte.

»Das Ganze zurück, und dann noch ein­mal von vorn. Gebt auf die Landestütze acht.«

Der Lotse war zu erschöpft, um den Feh­ler des Kommandanten noch kommentieren zu können. Zu allem Überfluß mußte die DEWAC mit dem Heck voran in die Docks gesteuert werden. Der Kommandant mußte also blind steuern. Blind hieß in diesem Fall, daß er die unvermeidlichen Zerrungen und Sinnenstäuschungen eines projizierten Bil­des augenblicklich einkalkulieren und sich entsprechend verhalten mußte.

»Aufpassen, ihr demoliert noch das Dock!«

Der Kommandant der KOPHAT antwor­tete mit einem Schwall von Flüchen. Erst beim dritten Versuch stand die DEWAC richtig.

»Projektoren los!« rief der Lotse, dann stöhnte er auf. »Doch nicht ihr, ihr …«

Die Bedienungsmannschaft der KOPHAT hatte zu früh reagiert. Sie hatten die Traktor­strahlprojektoren eine Winzigkeit zu früh abgeschaltet. Die DEWAC kippte zur Seite und hätte mit ihrem Ringwulst fast die Wand des Docks demoliert, hätten die Ar­

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beiter im Dock nicht bereits mit solchen Fehlern gerechnet. Ich hörte, wie die Ener­gieerzeuger aufheulten, als sie über die Pro­jektoren das Wrack wieder in eine normale Lage brachten.

Von den Fesselfeldern gehalten schwebte die DEWAC im Dock. Fartuloon und ich hatten uns dafür entschieden, an Bord des Wracks zu bleiben. Auf der KOPHAT wür­de uns sicherlich niemand vermissen. Ich konnte sehen, wie die Ladefläche des Ten­ders meterweise unter dem Wrack hervor­kroch. Stück für Stück wurde die KOPHAT aus dem Dock herausgefahren. Als alle Hin­dernisse überwunden waren, ließ der Kom­mandant die Maschinen hochfahren. Mit ho­her Fahrt verschwand er über die Rampe, fast hätte er dabei einen kleinen Kreuzer von der Ladefläche eines anderen Tenders ge­fegt. Ich konnte den Tobsuchtsanfall des an­deren Kommandanten deutlich über die Kopfhörer verstehen.

»Da wären wir nun«, stellte Fartuloon fest. Er hockte sich auf den Boden. Dort hat­ten einmal schnelle Einmann-Jäger gestan­den. Jetzt zeugte nur zerlaufenes Metall da­von.

Eine halbe Tausendschaft von Robots stürzte auf das Wrack los. Wie nicht anders zu erwarten war, kümmerten sie sich als er­stes um die Landestützen. Energie war knapp und kostbar. Wertvolle Megawatt­stunden wurden gespart, wenn das Wrack auf seinen eigenen Beinen stehen konnte und nicht mehr mit gewaltigem Energieauf­wand in der Schwebe gehalten werden muß­te.

Dazu kam eine Hundertschaft von Tech­nikern, die sich daran machten, das Wrack genauestens zu überprüfen. Sie mußten die Anforderungslisten ausfüllen, die Kosten vorherberechnen und der Einsatzzentrale mitteilen, wann ungefähr das Schiff neu be­mannt werden konnte.

Ein älterer, mürrisch aussehender Mann näherte sich uns. Den Abzeichen nach war er Wartungsmeister des Docks.

»Was macht ihr beide hier? Geht an die

Peter Terrid

Arbeit, faule Bande!« »Wir gehören zur Besatzung des Schif­

fes«, erklärte ich freundlich. »Wir warten darauf, daß das Schiff wieder einsatzklar ist.«

Der Mann begann zu lachen. Der Unter­ton ließ deutlich erkennen, daß der Mann überarbeitet war und an Schlafmangel litt.

»Euren Optimismus möchte ich haben«, knurrte er, nachdem er sich wieder beruhigt hatte. »Bis dieser Schrotthaufen wieder fliegt, werden mindestens drei Wochen ver­gehen, wahrscheinlich sogar noch mehr. Wollt ihr solange warten?«

Fartuloon schüttelte den Kopf und stand auf.

»Was sollen wir tun?« fragte er. »Geht zu einem Rekrutierungsbüro und

mustert anderswo an. Männer werden immer gebraucht. Und jetzt verschwindet, ihr stört hier nur!«

Wir zogen uns eilig zurück, getreu der Rolle, die wir zu spielen hatten. Einfache Besatzungsmitglieder widersetzen sich kei­nem Vorschlag, der von einem Ranghöheren gemacht wird.

Niemand hielt uns auf, als wir das Dock verließen. Die Männer und Robots waren zu sehr damit beschäftigt, sich um das Wrack der DEWAC zu kümmern. Sie leisteten her­vorragende Arbeit. Wer erst einmal das scheinbar chaotische Durcheinander durch­schaute, begriff rasch, wie präzise und schnell diese Männer ihre Arbeiten erledig­ten. Ich sah die großen Transporter, die komplette Landestützen aus den Magazinen heranbrachten. Andere Abteilungen verka­belten die DEWAC neu, eine Arbeit, die ebenso langwierig wie kompliziert war.

»Willst du wirklich zum Rekrutierungsbü­ro?« fragte mich Fartuloon, während wir langsam über das Landefeld gingen, wohl­weislich immer an der Abgrenzung entlang.

Ich zuckte mit den Schultern. »Lust habe ich keine«, schrie ich, um den

Lärm eines startenden Nachschubfrachters zu übertönen.

»Wenn wir Pech haben, werden wir zu ir­

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gendeiner Einheit abgeteilt, die monatelang an einer Nebenfront eingesetzt wird, wo wir überhaupt nichts unternehmen können. Ich will nach Arkon.«

»Leicht gesagt«, kommentierte der Bauchaufschneider mißmutig.

Ich verstand seine Gefühle. Wir hatten in den letzten Wochen Rückschläge erleben müssen, die mehr als ausreichend waren, um unsere Stimmung zu senken. Fehlgeschlagen war mein Plan, mich auf dem Umweg über die Amnestie-KAYMUURTES zu rehabili­tieren, und jetzt war Kraumon ausgefallen. Bis zu unserer völligen Niederlage fehlte nicht mehr viel.

Ein Krankentransporter raste mit heulen­den Sirenen an uns vorbei. Er brachte die Verletzten der JURTAND. Das Schiff stand, schwer beschädigt, aber gerade noch flugfä­hig, am Rand des Landefelds. Der Transpor­ter jagte an uns vorbei und raste auf das Por­tal zu.

Es gab kaum Kontrollen auf Mirc, dafür war der Stützpunkt zu hastig improvisiert worden. Zudem gab es hier keine Zivilisten, die man hätte beaufsichtigen müssen. Die Männer die hier lebten, kannten nur eine Aufgabe: Sie wollten alles tun, um den grau­envollen Methankrieg so rasch wie möglich zu einem erfolgreichen Ende zu bringen. Die wenigsten von ihnen ahnten auch nur, wie stark die Maahks wirklich waren und wie schwach die eigene Führung. Noch drei oder vier Jahre Orbanaschol als Imperator, und der Grek 1 konnte fast sorglos seine Schiffe nach Arkon schicken.

Wir marschierten ohne Kontrolle durch das Tor, das das Landefeld von den Unter­künften absonderte. Natürlich gab es auch eine Stadt, die man der Einfachheit halber ebenfalls Mirc genannt hatte. Hier wohnten die Techniker und die Verwaltungsbeamten. Es sprach für die hastige Improvisation des Stützpunkts, daß die Techniker bei weitem zahlreicher waren als die Verwaltungsbeam­ten. Im Lauf der Jahre würde sich dieser Zu­stand ins Gegenteil verkehren.

Außerdem wurde Mirc von einigen zehn­

tausend Raumfahrern aller Dienstgrade be­völkert, die hier auf einen neuen Einsatz warteten.

Die Stadt zerfiel in drei völlig voneinan­der verschiedene Bezirke. Da war zunächst einmal das Gebiet um den Raumhafen, dem Magazine, Lagerhallen, Werften, Docks und Werkstätten angegliedert waren. Zu diesem Bereich zählte auch die weitläufige Anlage des Lazaretts, in dem Tausende von Män­nern medizinisch versorgt werden konnten.

An diesen Bezirk schloß sich der Wohn­bereich an. Dort lebten die Bürger von Mirc, die Beamten und ihre Familien, Genesende und Flottenoffiziere. Im gleichen Bereich la­gen die schmucklosen Unterkünfte für die Mannschaftsdienstgrade.

Den dritten Bezirk hatte die Unterhal­tungsindustrie für sich beansprucht. Es gab Bars und Kneipen, kleine Läden und Eta­blissements, die das Tageslicht zu scheuen hatten. In diesem Rotlichtbezirk konnte ein Mann im Lauf einer Nacht alle nur denkba­ren Laster des Universums auskosten – und am nächsten Morgen mit durchschnittener Kehle in einem Graben gefunden werden.

Das Rekrutierungsbüro lag im ersten Be­zirk der Stadt. Auch dieses Gebäude war aus Kostengründen größtenteils in den Erdboden hineingebaut worden. Auf diese Weise wur­de kostbares Material gespart. Vor dem Ein­gang standen Hunderte von Männern jegli­chen Alters. Altgediente Kämpen, die schon als Knaben gegen die Maahks gekämpft hat­ten und nichts anderes als diesen Krieg kannten, junge Männer, die zum ersten Mal an die Front geschickt worden waren, abge­wirtschaftete Offiziere, die jetzt um Neuver­wendung nachkommen mußten.

»Stellt euch hinten an«, knurrte ein bulli­ger Mann wütend. »Wir müssen auch war­ten!«

Der Ton war alles andere als freundlich, aber ich gehorchte. Fartuloon verschwendete keinen Blick an den Mann, der uns angefah­ren hatte. Neben dem Untersetzten stand ein junger Mann, der ziemlich geistesabwesend dreinsah. Und zwischen den beiden stand

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der klapprigste Kampfrobot, den ich je gese­hen hatte.

»Will er sich auch anwerben lassen?« fragte ich ernsthaft und deutete auf die Ma­schine. Hastig zog ich den Finger zurück. Der Robot hatte blitzartig reagiert und seine Waffe auf mich gerichtet, einen überschwe­ren Kampfstrahler, mit dem er die Schirm­felder von Geländefahrzeugen knacken konnte.

»Er mag es nicht, wenn man auf ihn zeigt«, sagte der Jüngere. »Pysther ist ein sehr sensibler Robot.«

»Was nicht gar«, staunte ich. Fartuloon erlaubte sich ein diskretes Hüsteln. »Wo habt ihr den Burschen her?«

Aus Pysthers Eingeweiden kam ein mürri­scher Brummton.

»Sei ruhig, Pysther«, sagte der Bullige. »Er meint es nicht so.«

Zu mir gewandt, führte er aus: »Pysther gehört zu unserer Einheit, bezie­

hungsweise zu dem, was von der Einheit noch übriggeblieben ist. Er hat ein paar schwere Treffer abbekommen, und wir ha­ben ihn wieder repariert. Pysther bringt uns nämlich Glück, er stammt aus der Bauserie M-131.313.«

»Ja, dann …«, murmelte Fartuloon ge­dehnt. »Wo hat es euch erwischt?«

»Hurthan-System«, sagte der Jüngere dumpf. »Totalverlust, nur wir drei sind da­vongekommen. Und ihr?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Ich kenne das System nicht. Wir kamen

an und waren noch nicht richtig remateriali­siert, da krachte es schon. Jetzt steht die DE­WAC im Dock.«

Den Namen Kraumon erwähnte ich nicht, da ich nicht wissen konnte, wie dieser Planet in den offiziellen Unterlagen der Flotte hieß.

»Wollt ihr euch für ein neues Schiff re­krutieren lassen?«

Fartuloon nickte. »Ein paar Wochen Erholung wäre nicht

schlecht«, knurrte er. »Aber ich gehe lieber an Bord eines Seelenverkäufers, als hier auf Mirc herumzulungern.«

Peter Terrid

Während wir uns unterhielten, kroch die Menschenschlange langsam in das Gebäude hinein. Der Bullige nannte sich Zergan, der jüngere hieß Kastyr. Beide taxierten uns mit Skepsis.

»Ich hoffe, ihr versteht euer Handwerk«, brummte Zergan. »Ich fahre nicht gern mit Grünschnäbeln.«

»Wenn du deinem Blechkasten befiehlst, ruhig zu sein, könnten wir beweisen, daß wir zu kämpfen verstehen.«

Fartuloon sprach sehr ruhig, und das machte erkennbar Eindruck.

»Man wird sehen«, stellte Kastyr fest. Ich begann zu ahnen, daß er bei weitem nicht so weichlich und verträumt war, wie es auf den ersten Blick den Anschein hatte. »Was habt ihr nachher vor?«

Ich wechselte einen Blick mit Fartuloon. Wenn wir auf Mirc Bekanntschaften an­knüpften, konnten wir nur Vorteile gewin­nen. Vielleicht kannte jemand einen Schleichweg, der uns nach Arkon bringen konnte. Vor allem der bullige Zergan war ein altgedienter Kämpfer, der sich auf allen Welten auszukennen schien.

»Gern, wir schließen uns euch an. Nehmt ihr den da auch mit?«

Pysther quietschte empört. Mit seinen Sprechapparaten schien es nicht weit her zu sein, aber ich ahnte, daß der Robot Qualitä­ten besaß, über die sein Äußeres hinweg­täuschte.

»Wir gehen nirgendwo hin, ohne Pysther mitzunehmen«, verkündete Kastyr. Es klang wie eine Drohung. »Pysther ist unser bester Freund!«

Ich traute meinen Augen nicht, als ich sah, wie Zergan mit der linken Hand fast zärtlich über den unförmigen Metallschädel des Robots strich und die Maschine dazu ein Geräusch von sich gab, das sich wie ein heißlaufender Elektromotor anhörte.

Ich kam nicht mehr dazu, mich näher mit unseren neuen Bekannten zu beschäftigen. Wir hatten inzwischen das Innere des Rekru­tierungsbüros erreicht. Hinweisschilder wie­sen uns den Weg.

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Das Büro war kärglich eingerichtet. Eine Reihe von Stühlen für die Wartenden, eine Barriere und dahinter ein Schreibtisch mit einem Anschluß für den zentralen Großrech­ner des Planeten. Wir mußten noch kurze Zeit warten, dann waren wir an der Reihe.

Der Mann hinter dem Schreibtisch glich einem wandelnden Warenlager. Er bestand bestenfalls noch zu vierzig Prozent aus na­türlichem Gewebe, der Rest waren Bioplast­prothesen und dort, wo das Gewebe solche Arbeiten ausschloß, Stahl und Hartplastik. Eines der beiden Augen war künstlich, das Lid des anderen zuckte immer wieder.

»Name, Vorname, Personalkennzeichen, Rang, letzter Einsatz!«

Der Mann sprach mit der Geschwindig­keit einer Druckmaschine. Hastig rasselte ich meine Daten herunter. Die echten Perso­nalpapiere hatten wir wohlweislich ver­schwinden lassen, da sie in einigen Details nicht mit unseren Daten übereinstimmten.

»Sie brauchen also neue Papiere, nach ne­benan!«

Die Prozedur nahm ihren üblichen Ver­lauf. Messungen wurden an uns angestellt, die Individualdaten aufgezeichnet. Alle In­formationen wurden säuberlich gespeichert und dann auf eine fälschungssichere Plastik­karte übertragen. Eine halbe Stunde nach dem Eintreten verfügten Fartuloon und ich über nagelneue Papiere, die fast jeder Über­prüfung standhalten würden.

Der lidzuckende Beamte prüfte die Karten kurz und sah dann auf. Es kostete einige Überwindung, in sein Gesicht zu sehen.

»Wollen Sie sofort ein neues Komman­do?«

Ich grinste anzüglich. »Ganz so eilig haben wir es nicht. Nach

dem Verlust der DEWAC würde uns ein we­nig Ruhe guttun.«

»Meinetwegen«, knurrte der Beamte. »Drei Tage!«

Ich sah Fartuloon an, er zuckte mit den Schultern. Drei Tage waren wenig Zeit, um etwas einfädeln zu können, von dem wir noch nicht einmal wußten, daß dieses Etwas

überhaupt aussehen sollte. »Die SOWSTH wird in drei Tagen star­

ten. Seht zu, daß ihr pünktlich an Bord seid. Wegtreten!«

Wir grüßten und zogen ab, in der Hand die neuen Papiere und einen bedruckten Ein­satzbefehl. Dieses Dokument war nötig, um uns vor der Militärpolizei zu bewahren, die unentwegt auf der Suche nach Deserteuren war.

Auf dem Gang suchten wir nach dem Schwarzen Brett, auf dem die startbereiten Schiffe aufgeführt waren. Wir konnten dem Aushang entnehmen, daß die SOWSTH ein 500-Meter-Großkampfschiff war. Ein Ziel war für das Schiff nicht angegeben, aber mir schwante, daß wir für sehr lange Zeit keinen Planeten mehr betreten würden, wenn wir dort anzumustern hatten.

4.

Es war eine Raumfahrerschänke, wie es sie in der Nähe jedes Landefelds gab, klein, nicht sonderlich sauber, aber stets überfüllt. Weine und Schnäpse aller Himmelsrichtun­gen wurden angeboten, in den Hinterzim­mern wurde um hohe Einsätze gespielt, und wie durch ein Wunder hatten sich auch eini­ge Mädchen nach Mirc verirrt, die in ver­schwiegenen Räumen ihre Dienste anboten.

Robots stampften durch den Raum und servierten die Getränke. Menschliches Per­sonal wäre den Belastungen eines solchen Ansturms bald erlegen, vor allem konnte man es leichter betrügen. Die Robots nah­men jede Währung an, und ihnen konnte man keinen günstigen Kurs vorschwindeln – im Gegenteil, meist waren die Positroniken der Robotkellner entsprechend eingestellt worden.

Fartuloon und ich saßen im entferntesten Winkel des Lokals und beobachteten das lebhafte Bild. Schon bald war uns klar, daß hier mehr als nur gegessen und getrunken wurde. Es wurde auch gehandelt, und zwar vornehmlich unterhalb der Tischflächen. Schmuckstücke, die aus irgendwelchen Beu­

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tezügen stammen mochten, wechselten den Besitzer, Rauschgifte wurden umgeschla­gen. Außerdem gab es, wie ich bei schärfe­rem Zusehen entdeckte, einen schwunghaf­ten Handel mit Adressen. Was für Anschrif­ten es waren, die dort gegen bares Geld ge­tauscht wurden, konnte ich nicht erkennen. Ich vermutete, daß es sich um gewisse Ärzte handelte, die mit Dienstuntauglichkeitsbe­scheinigungen rasch bei der Hand waren. Vielleicht handelte es sich aber auch nur um die Anschriften von Frauen, die bereit wa­ren, gegen entsprechende Bezahlung den Aufenthalt von abgekämpften Soldaten auf Mirc zu versüßen. Szenen dieser Art gab es in nahezu jeder Raumfahrerschänke der be­kannten Galaxis zu sehen. Je weiter diese Örtlichkeiten vom Muttergestirn entfernt waren, desto freier und umfangreicher wur­de dieser illegale Handel.

Ich bestellte zwei Gläser Vurguzz die prompt geliefert wurden. Es war merkwür­dig, wie rasch sich dieses Getränk über die Galaxis verbreitet hatte. Vor einiger Zeit hatte kaum jemand dieses Gebräu gekannt, jetzt wurde es allenthalben ausgeschenkt, und den meisten Gästen ging es wie mir – ich wußte nicht einmal, was dieses Getränk enthielt, woher es stammte, und was der ab­sonderliche Name zu bedeuten hatte.

Fartuloon prüfte mit Kennermiene den Vurguzz und nickte dann zufrieden. Wenn es dem verwöhnten Bauchaufschneider schmeckte, konnte ich wohl auch zufrieden sein. Einstweilen verhielten wir uns ruhig, wir warteten auf unsere neuen Bekannten. In dieser Kneipe wollten wir uns treffen, um unsere Pläne durchzusprechen. Noch wußten wir nicht, welcher Einheit die beiden Män­ner und ihr verrückter Robot zugeteilt wor­den waren.

Es wurde schlagartig still in dem völlig überfüllten Raum, als Zergan, Kastyr und Pysther das Lokal betraten. Die Gelenke des Robots quietschten jämmerlich, sein Kopf pendelte bedrohlich und schien sich in je-dem Augenblick vom Rumpf lösen zu wol­len.

Peter Terrid

Durch die staunenden Raumfahrer hin­durch kam die Gruppe auf uns zu. Kastyr und Zergan machten ausgesprochen mißmu­tige Gesichter, dementsprechend kurz fiel die Begrüßung aus. Sie bestellten zwei drei­fache Vurguzz und kippten das Getränk ha­stig herunter, dann erst machten sie ihrem Unmut Luft.

»Ausgerechnet die SOWSTH«, knirschte Kastyr. »Warum hat man uns nicht gleich in einen Konverter gesteckt, das geht wenig­stens schneller und schmerzt nicht so sehr!«

Ich tauschte einen Blick mit Fartuloon. »Achtung!« gab das Extrahirn durch.

»Der kahlköpfige Mann am dritten Tisch von rechts. Er fixiert euch und hört euch aufmerksam zu!«

Ich wußte mit dieser Warnung nichts an­zufangen.

»Was ist an der SOWSTH besonderes?« wollte Fartuloon wissen. Kastyr ließ einen tiefen Seufzer hören.

»Wir kennen den Kommandanten der SOWSTH ziemlich genau«, informierte uns der bullige Zergan. »Einer der übelsten Leu­teschinder, der die Galaxis unsicher macht. Ein Schuft, ein …«

Er charakterisierte den Kommandanten mit so drastischen Worten, daß mir angst und bange zu werden begann. Es war üblich, daß die Soldaten in der Arkonflotte über ihre Kommandanten schimpften, aber meist ge­schah dies mit einem deutlich erkennbaren Unterton von Respekt. Was Kastyr aber zum Besten gab, war eine Schimpfkanonade, die vernichtend war. Ich hatte noch nie einen Soldaten über einen Vorgesetzten derart flu­chen hören.

Fartuloon und ich grinsten fast gleichzei­tig.

Zergan sah uns verwundert an, dann be­griff er.

»Ihr auch?« fragte er und begann wider Willen zu grinsen. »Allmächtiger, dieser Kommandant und dann noch zwei Grün­schnäbel als Besatzungsmitglieder … von uns wird keiner zurückkehren.«

Er streichelte über Pysthers Kopf. Der

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Robot gab einen erstaunlich echt klingenden Seufzer von sich. Offenbar schien die Nach­richt, daß er zum Dienst an Bord der SOWSTH abkommandiert war, auch das Gemüt des Robots beeinträchtigt zu haben.

»Unfug«, gab das Extrahirn durch. »Eine Maschine kennt keine Gefühle. Achte auf den Kahlkopf, er hat euch nicht aus den Au­gen gelassen!«

Die Warnung war kaum beendet, als sich der Kahlköpfige auch schon in Bewegung zu setzen begann. Er fixierte mich, und seine Züge formten ein Lächeln. Ich wußte sofort, woran ich war. Diese Art von Lächeln gab es nur bei Personen, die berufsmäßig mit vielen anderen Menschen zu tun hatten, bei Ärzten, Vertretern und besonders Politikern. Mit ein wenig Übung ließ sich das Masken­hafte dieser Art Lächeln sofort erkennen. Der Mann mochte uns nicht, er lächelte nur, weil er etwas von uns wollte.

»Darf ich?« fragte der Kahlköpfige. Be­vor einer von uns eine Antwort geben konn­te, hatte er sich bereits gesetzt und den Ro­botkellner herangewinkt. »Fünfmal die Hausmarke!«

Diese grundlose Großzügigkeit machte mich schlagartig mißtrauisch. Ich betrachte­te den Mann prüfend.

Er war von mittlerem Alter und sah so aus, als habe er zeit seines Lebens keine Waffe in der Hand gehalten. Seine Muskula­tur war, soweit ich sie sehen konnte, schwach ausgeprägt und mit einer erkennba­ren Fettschicht überzogen. Dazu wies das Gesicht jene Blässe auf, die man bei aktiven Soldaten niemals traf. Das allein wäre kein Grund gewesen, dem Kahlköpfigen skep­tisch gegenüberzustehen – dieser Mann aber machte auf mich den Eindruck, als treibe er sich stets nur da herum, wo mit wenig Ar­beit und möglichst geringem Risiko ein größtmöglicher Profit für die eigene Tasche zu erzielen war.

Der Robotkellner servierte eine grünlich schimmernde Flüssigkeit.

»Auf die Helden des Großen Methan­kriegs«, sagte der Kahlköpfige und hob sein

Glas. Pysther nahm Haltung an und krächzte: »Danke!« Die aufdringliche Schmeichelei des Kahl­

kopfs verlor damit zusätzlich an Wirkung. Die Hausmarke war wohlschmeckend, aber mir schien, als habe sie einen verdächtig me­dizinischen Nachgeschmack. Ich sah Fartu­loon an. Der Bauchaufschneider kostete das Getränk noch einmal, und seine Gesichtszü­ge drückten höchstes Behagen aus. Nur ich sah, daß er mit dem Zeigefinger der Rechten absonderliche Gebilde auf den Tisch malte.

Mein Extrahirn lieferte mir schnell die Er­klärung. Was Fartuloon da symbolisch auf den Tisch zeichnete, war die Strukturformel eines medizinischen Präparates, meine Ah­nung hatte mich also nicht getrogen. Das fo­tografische Gedächtnis lieferte mir auch eine Beschreibung der Wirkungsweise der Dro­ge. Sie setzte das Entschlußvermögen des Patienten herab.

Der Kahlkopf wollte also etwas von uns, und er wollte etwas, auf das wir uns mit nüchternem Verstand wahrscheinlich nie­mals eingelassen hätten.

»Hurtheyn!« stellte sich der Kahlkopf vor. »Ich hörte – rein zufällig – Ihre Unterhal­tung über Ihr nächstes Kommando.«

Aha, dachte ich. Ich sah, wie Kastyr er­neut zu seinem Glas griff. Ich wollte ihn warnen und trat ihm unter dem Tisch vor das Schienbein. Es war erstaunlich hart, stellte ich fest.

Pysthers Waffenarm zuckte in die Höhe und krachte unter das Serviertablett eines Robotkellners. Gläser und Flaschen flogen durch die Luft und zerschellten auf dem Bo­den. Eine Flasche barst auf einem Tisch, und Sekunden später kräuselte ein bläulicher Rauchfaden in die Höhe. Fartuloons Augen weiteten sich, als er die Wirkung des Fla­scheninhalts auf der hölzernen Tischfläche sah.

Gelächter kam auf und unterdrückte die naheliegende Frage, wieso Pysther plötzlich um sich zu schlagen begonnen hatte. Ledig­lich ein schneller Blick von Zergan verriet

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mir, daß er schnell gefolgert hatte, daß ich versehentlich Pysthers Beine getroffen hatte.

Erneut wurde mir bewiesen, daß der Kahlkopf etwas von uns wollte. Warum sonst hätte er sich freiwillig erboten, die Scherben zu bezahlen, die Pysther auf dem Gewissen hatte?

»Was ist mit unserem Kommando?« woll­te Zergan wissen. »Kennen Sie die SOWSTH und ihren Kommandanten?«

Ein Fuß drückte rhythmisch auf meine Zehen. Ich verfolgte den Morsecode:

»Warnung verstanden!« »Wer würde diesen Kommandanten nicht

kennen«, orakelte Hurtheyn vielsagend. »Ich wüßte – vielleicht – eine Möglichkeit, die­sem Leuteschinder zu entgehen.«

Fartuloon beugte sich vor und stützte sich mit dem Ellenbogen ab.

»Woran hatten Sie gedacht«, fragte er in­teressiert. »Haben Sie Einfluß auf die Kom­mandozuteilungen?«

»Man kann es so nennen«, sagte Hurtheyn und lächelte Fartuloon an. Es sprach für die Qualitäten unserer neuen Freunde, daß sie den winzigen Augenblick, in dem sich Hur­theyn ausschließlich auf Fartuloon konzen­trierte, dazu nutzten, die gefährliche Haus­marke unter den Tisch zu schütten.

»Ich könnte sogar erreichen«, sagte Hur­theyn so leise, daß nur wir ihn verstehen konnten, »daß Sie sozusagen auf Dauer vom Frontdienst befreit werden.«

In Fartuloons Augen trat ein träumeri­scher Schimmer. Einmal mehr stellte ich fest, daß der Bauchaufschneider ein hervor­ragender Schauspieler sein konnte, wenn es nottat.

»Ich höre«, sagte er fasziniert. »Die Sache ist naturgemäß mit gewissen

Risiken und Aufwendungen behaftet«, er­klärte Hurtheyn vielsagend.

»Mit dem Wort Aufwendungen meinen Sie wohl Geld?« warf Zergan ein. Ich sah, daß er sich beherrschen mußte.

»Richtig«, stellte Hurtheyn freundlich fest. »Ich kann mir vorstellen, daß es natür­lich nicht einfach ist, sich von einer be-

Peter Terrid

trächtlichen Summe Geldes zu trennen, aber mir will scheinen, daß es einen wesentlich härter ankommt, sich von seinem Leben zu trennen. Sie stimmen mir zu?«

Allein schon die gekünstelte Sprache des Mannes ging mir auf die Nerven, trotzdem nickte ich.

»Wir sollten Klartext reden«, schlug Far­tuloon vor. »Sie wollen uns zur Desertion verleiten.«

Hurtheyn lächelte. »Verleiten ist nicht ganz das richtige

Wort«, sagte er freundlich. »Und es gibt auch weniger harte Worte, um den Tatbe­stand zu beschreiben. Ich würde es eher so nennen: ich helfe Ihnen, Ihren persönlichen Überlebenskoeffizienten zu erhöhen.«

Eigentlich hätte ich den Mann sofort der Militärpolizei übergeben müssen. Der Ge­danke an Desertion war mir ohnehin zuwi­der. Ein Mann konnte nicht verächtlicher handeln, als Arkon in diesem Augenblick feige den Rücken zu kehren und den ver­zweifelten Kampf des Großen Imperiums anderen zu überlassen. Noch widerwärtiger aber schien mir dieser Mann, der aus der Gefahr für das Imperium und der Nieder­tracht gewissenloser Feiglinge Kapital schlug. Ich beherrschte mich mit Mühe. Zer­gan preßte die Kiefer zusammen, während Fartuloon und Kastyr gleichgültig dreinsa­hen.

»Wieviel?« fragte ich rauh. »Und was bieten sie dafür?«

Hurtheyn kam zu keiner Antwort mehr. Vom Eingang her drang Lärm zu uns her­über. In dem Halbdunkel erkannte ich die Abzeichen der Militärpolizei. Als ich mich wieder zu Hurtheyn herumdrehte, war der Kahlköpfige verschwunden. Ich sah gerade noch, wie in einigen Metern Entfernung eine sehr gut getarnte Tür hinter ihm zufiel.

Ich streckte und reckte mich. Es war klar, was sich in den nächsten Minuten abspielen würde.

Der Haß zwischen Soldaten und Militär­polizei war so alt wie das Imperium selbst, vielleicht noch älter. Beide Parteien konnten

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wenig für den Konflikt, die Männer wurden den jeweiligen Abteilungen zugeteilt. Trotz­dem aber kam es immer wieder zu Konflik­ten. Die Soldaten konnten einfach nicht be­greifen, daß die Militärpolizisten ihnen die Vergnügungen nach dem unglaublich harten Frontdienst nicht gönnten. Dazu kam noch, daß die Polizisten den Fronten selten näher als ein Dutzend Lichtjahre kamen.

Erste Beschimpfungen flogen durch den Raum. Einstweilen bewahrten die Polizisten die Ruhe. Mit versteinert wirkenden Gesich­tern gingen sie durch die Räume und über­prüften die Papiere.

»Freunde«, sagte Zergan hoffnungsvoll. »Gleich geht es los – ich kenne das. Wie steht es mit euch?«

Fartuloon und ich sahen uns an. Unsere Scheinidentitäten waren die zweier normaler Raumsoldaten – und ein Raumsoldat, der sich an einer Keilerei mit der Militärpolizei nicht beteiligte, war schlichtweg undenkbar.

Nachdenklich musterte ich die Militärpo­lizisten. Es waren breitschultrige, hoch ge­wachsene Gestalten. In einigen Gesichtern sah ich, gerade noch erkennbar, dünne helle Streifen. Das sagte mir genug. Die Arkon­medizin brachte es ohne Mühe fertig, die ty­pischen Verletzungen bei Schlägereien rasch zu kurieren und zum Verschwinden zu brin­gen. Erst wenn die gleiche Stelle mehrfach beschädigt oder verletzt worden war, wur­den Narben sichtbar. Unsere Gegner waren also erfahrene Männer, die bereits einige Auseinandersetzungen dieser Art hinter sich hatten. Wir mußten auf alles gefaßt sein.

Ein Mann trat an unseren Tisch. Unter der dünnen Uniformjacke sah ich beeindrucken­de Muskelpakete, an der Hüfte trug der Poli­zist rechts und links je einen Paralysator.

»Die Papiere«, sagte der Uniformierte. »Bitte!«

Zergan stieß Kastyr an. »Hast du das gehört? Er hat bitte gesagt!

Die Militärpolizei ist auch nicht mehr das, was sie früher einmal war.«

»Wenn das so ist«, sagte Kastyr gedehnt und brachte seine Identitätskarte zum Vor­

schein. Sorgfältig prüfte der Polizist die Do­kumente, dann gab er sie zurück und ver­blüffte den fassungslosen Zergan sogar mit einem freundlichen »Danke!«

Die Spannung fiel von mir ab. Mir war es naturgemäß lieber, wenn es zu keiner Schlä­gerei kam, deren Ausgang nie vorherzusa­gen war.

»Zum wem gehört der Robot?« fragte der Polizist und deutete auf Pysther. Er zuckte mit keiner Wimper, als Pysthers Waffenarm hochschnellte und auf seinen Bauch zeigte.

»Das ist unser Freund Pysther«, verkün­dete Kastyr. Es wurde merkwürdig still in der Schänke. Die Gewitterwolken einer Prü­gelei ballten sich am Horizont mit er­schreckender Geschwindigkeit zusammen. »Haben Sie etwas gegen Kampfrobots?«

Wieder lächelte der Polizist. »Überhaupt nichts«, verkündete er lie­

benswürdig. »Ihren Freund Pysther finde ich sogar so sympathisch, daß ich ihn mitneh­men werde. Sie werden ihn begleiten, hoffe ich.«

»Darf ich fragen, warum?« erkundigte sich Zergan. Langsam stand er auf, und im Hintergrund begannen sich Raumfahrer und Militärpolizisten nach handlichen Waffen umzusehen.

»Besitz von regierungseigenen Kampfma­schinen«, erklärte der Polizist freundlich. »Strafbar nach Paragraph XYZ, der Richter wird Ihnen das genauer erklären können.«

Zergan schlug zu. Er legte alle Kraft in den Schwinger, der

in der Magengrube des Polizisten landete. Der Uniformierte fiel nicht um, er trat ledig­lich einen Schritt zurück.

Die nächsten Ereignisse entwickelten sich mit einem unglaublichen Tempo. Noch wäh­rend der Polizist zurücktrat, setzte er zu ei­nem Hieb an, der Zergan präzise am Kinn­winkel traf. Zergan flog einen halben Meter zurück, warf den Tisch um und rollte vor die Füße seines robotischen Freundes. Pysther wurde von den Beinen gerissen und kippte nach vorn.

Eine halbe Sekunde verstrich, in der

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nichts anderes zu hören war als das erregte Atmen der Männer, das leise Kollern einer Flasche auf dem Boden und das Tropfen ei­ner zähen Flüssigkeit, die von einem Tisch herabrann.

Dann hörte ich eine heitere Stimme sagen: »Auf sie, Jungs!« Damit war das Startsi­

gnal gegeben. Es war die Einleitung zu einem Gefecht,

das später als die große Schlacht von Mirc in die Geschichte der Militärpolizei eingehen würde.

5.

Das plötzliche Brüllen der Männer ließ mich erschreckt zusammenfahren. Instinktiv duckte ich mich. Der Hieb des hünenhaften Polizisten zischte über mich hinweg, der Mann stolperte und fiel auf Fartuloon, wor­aufhin die beiden engumschlungen zu Bo­den gingen.

Ich rollte mich zur Seite und warf einen Soldaten von den Beinen, der Inhalt seines Glases rann mir über dem Kopf und verkleb­te meine Haare. Rasch kam ich wieder auf die Beine, aber nur, um einen Tritt in die Magengrube zu empfangen, der mich erneut auf den Boden schickte. Von dem zähflüssi­gen Likör in meinem Gesicht halb geblen­det, sah ich, wie ein Stuhlbein gegen Pysthers Kopf geschleudert wurde. Der Me­tallschädel verlor den Halt und stürzte auf den Boden. Pysther stieß einen entsetzten Schrei aus, während sein Kopf über den Bo­den rollte. Ein Fußtritt beförderte den Schä­del in eine Ecke.

»Mein Kopf!« kreischte Pysther. »Wo ist mein Kopf. Hilfe, Hilfe, ich brauche meinen Kopf. Hat denn niemand meinen Kopf gese­hen!«

Ich kam nicht dazu, mich über die Tatsa­che zu belustigen, daß dieser entsetzte Ruf nicht vom Rumpf Pysthers stammte, sondern aus den Sprechorganen seines Schädels er­klang. Offenbar kam Pysther mit dem Sach­verhalt nicht ganz zurecht.

Ich rappelte mich auf und stürzte mich in

Peter Terrid

das Gewühl. Meine Hände bekamen ein Fußgelenk zu fassen, an dem ich ohne Zö­gern zu drehen begann. Etwas Hartes lande­te in meinen Kniekehlen und ließ mich ein­knicken. Ungefähr auf der Höhe meines Ge­sichts tauchte der haarlose Schädel eines Mannes auf, der schmerzerfüllt aufschrie.

»Laß mich los, du Halunke, du brichst mir den Knöchel.«

Unwillkürlich ließ ich das Fußgelenk fah­ren, daß ich immer noch umklammert hielt.

»Wann gibt mir endlich jemand meinen Kopf zurück«, hörte ich Pysther kreischen.

»Macht den verfluchten Robot stumm!« brüllte eine Männerstimme. »Der Blechkerl regt mich auf.«

Die festgeschriebene Programmierung verbot es Pysther, auf die Kämpfenden zu schießen, aber offenbar hatten unsere neuen Freunde eine Möglichkeit gefunden, dieses Hindernis wenigstens teilweise zu umgehen. Pysther beschränkte sich keineswegs darauf, jämmerlich zu schreien. Er griff alle erreich­baren Gegenstände und schleuderte sie durch den Raum. Da er seine Sehzellen nicht mehr besaß, trafen seine Wurfgeschosse Freund und Feind gleichermaßen. Der Bo­den der Gaststätte war nach kurzer Zeit mit klebrigen Lachen bedeckt, Scherben knirschten unter den Füßen der Kämpfen­den.

Ein Fausthieb traf mich an der Hüfte, ich schlug ungezielt zurück. Längst hatte ich die Übersicht verloren. Wo Fartuloon steckte, wußte ich nicht, und Zergan steckte mit Kas­tyr in einem unentwirrbar scheinenden Knäuel von Gliedmaßen, die unregelmäßig nacheinander schlugen oder traten. Dazwi­schen tauchten Flaschen und hölzerne Trüm­mer des Mobiliars auf, die ziellos auf Köpfe herabsausten.

Gern hätte ich meine Fähigkeiten voll ausgespielt, aber ein gewöhnlicher Raumsol­dat kannte für gewöhnlich keine Dagor-Kampftechniken, also mußte ich mir anders helfen. Als mich erneut ein Faustschlag traf, diesmal am Oberarm, war meine Geduld er­schöpft. Ich griff nach dem nächstbesten

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Körperteil, das in meinem Blickfeld auf­tauchte und setzte einen Hebelgriff an. Zu meinem Leidwesen war es Fartuloon, dessen Arm vor mir aufgetaucht war. Der Bauch­aufschneider beschrieb einen Bogen und landete nach einem wütenden Aufschrei auf den Köpfen zweier Polizisten, die gerade nach ihren Paralysatoren greifen wollten. Fartuloons Ellenbogen kollidierte mit der Nase eines der Polizisten. Der Uniformierte blieb auf dem Boden sitzen und griff nach seiner blutenden Nase.

Der Raum war erfüllt von Lärm. Die Männer beschimpften sich oder forderten ih­re Freunde zu Hilfsmaßnahmen auf, die in diesem Gewühl von vornherein zum Schei­tern verurteilt waren. Darüber ertönte das Kreischen der wenigen Frauen, die sich an die Wände gepreßt hatten und fassungslos dem Getümmel zusahen.

Ich trat um mich, schlug und warf, was meine Muskeln nur hergaben, denn dies war die einzige Möglichkeit, nicht selbst getrof­fen oder gar verletzt zu werden.

»Hierher!« kreischte eine Stimme. »Her zu mir!«

Die Stimme kam von Pysther. Ein mitlei­diger Kämpfer hatte den Kopf des Robots aufgehoben und auf einem Schrank postiert. Pysthers Sehorgane bewegten sich hektisch, während der Robot jetzt verzweifelt nach seinem Körper rief.

Minuten vergingen, in denen sich das Schlachtfeld langsam zu lichten begann. Die kräftigen Polizisten hatten unter den Reihen der Soldaten gewütet, aber deren Überzahl machte sich jetzt immer stärker bemerkbar. Ich sah den hünenhaften Anführer des Poli­zeikommandos, auf den sich gleich zwei Raumsoldaten stürzten, um ihn außer Ge­fecht zu setzen. Obwohl der Polizist Zeit ge­nug gehabt hätte, griff er nicht nach seinen Paralysatoren. Offenbar hätte dies gegen den ungeschriebenen Ehrenkodex solcher Aus­einandersetzungen verstoßen. Schnell wie zwei Robotarme bewegten sich die Arme des Polizisten auf seine Widersacher zu, und ebenso hart griffen seine Hände zu.

Es gehörte eine unglaubliche Körperkraft dazu, die beiden Männer an den ausge­streckten Armen im Kreis herumzuwirbeln. Die beiden Soldaten heulten erschrocken auf, aber bevor sie sich gegen diese unwi­derstehliche Gewalt zur Wehr setzen konn­ten, hatte der Polizist sie bereits losgelassen. Einer der beiden Angreifer krachte gegen ei­ne Seitenwand der Gaststätte und sackte be­wußtlos auf dem Boden zusammen. Der zweite flog genau in die zuschlagbereiten Fäuste eines Militärpolizisten und war eine halbe Sekunde danach ebenfalls kampfunfä­hig.

Ich konnte nicht sehen, was geschah, weil ich einen übereifrigen Raumfahrer, der in seiner Kampfeswut weder Freund noch Feind kannte, mit einem Handkantenschlag in die Magengrube ausschalten mußte, aber mir wurde schlagartig klar, daß sich etwas geändert hatte.

Wie unter einem geheimnisvollen Befehl stehend, hielten die Kämpfer inne. Verwun­dert sahen sie hoch. Ich richtete mich auf und sah den Anführer der Militärpolizei an. Seine Züge hatten sich verhärtet, seine Au­gen waren nur noch schmale Striche.

Sein Blick galt dem Anführer eines neuen Trupps, der auf der Bildfläche erschienen war. Klein, fett und grinsend vor Heimtücke stand der Kralasenenoffizier, im Eingang. Hinter ihm drängten sich seine Männer.

»Dürfen wir mitspielen?« fragte der Offi­zier mit einer fetten Stimme, die vor Hohn förmlich troff.

Langsam schoben sich die Kralasenen in den Raum.

Seit dem Tod des Blinden Sofgart hatte sich die Angst vor seinen uniformierten Bluthunden etwas gelegt, geblieben aber war der Haß.

In der Zeit, die ein Herz für einen Schlag brauchte, wurde ein Bündnis geschlossen, das in der Geschichte der Arkon-Flotte ein­malig war. Die Männer brauchten nicht ein­mal Blicke zu wechseln, um dieses Bündnis zu besiegeln. Mit vereinten Kräften gingen Militärpolizisten und Raumsoldaten auf die

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verhaßten Kralasenen los. Mein Extrahirn lieferte einen warnenden

Impuls von größter Stärke, aber ich ignorier­te ihn. Das plötzliche Bündnis der beiden Erzfeinde Raumsoldaten und Militärpolizi­sten riß mich mit, dazu kam der brennende Haß auf die Kralasenen, denen meine Freun­de und ich soviel Leid zu verdanken hatten. Nur am Rande nahm ich war, daß sich auch Fartuloon auf die Kralasenen stürzte.

Das Gefecht zwischen Polizei und Solda­ten war eine wüste Rauferei gewesen, jetzt wurde ein Gemetzel daraus. Zwar waren die Verbündeten noch besonnen genug, dem Gegner keine schweren oder gar tödlichen Verletzungen zuzufügen, aber die still­schweigend eingehaltenen Spielregeln wa­ren jetzt außer Kraft gesetzt. Nasenbeine brachen mit dumpfem Knirschen, und nach kurzer Zeit landeten die ersten ausgeschla­genen Zähne auf dem Boden.

Ein Kralasene stürzte auf mich zu. Ich wich seinem Schwinger aus und hebelte ihn über mich hinweg. Aus den Augenwinkeln heraus sah ich, wie Fartuloon den Mann mit einem raschen Griff beider Hände an den Hals betäubte.

Es war merkwürdig still geworden in der Gaststätte. Man hörte das Keuchen der Kämpfer, ihr dumpfes Aufstöhnen, wenn ein Schlag getroffen hatte, das Splittern und Krachen von zerbrechenden Stühlen und Ti­schen, das Klirren berstender Gegenstände aus Glas. Die wenigen Frauen hatten sich in sicher erscheinende Winkel verzogen und sahen dem Kampf gebannt zu. Ihre Sympa­thien galten ganz offenkundig den verbünde­ten Soldaten und Polizisten.

Zwei der Frauen hatten sich einen beson­ders sicheren Platz ausgesucht. Sie hatten sich vor Pysthers Füßen auf den Boden ge­setzt. Der Robot drehte sich wie wild auf ei­nem Fleck und wirbelte mit seinen Armen umher. Wer in diesen Wirbel hineingeriet, konnte ernsthafte Verletzungen davontragen, daher hielten die Kämpfer trotz der Hektik und Verbissenheit der Auseinandersetzung gehörigen Abstand.

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Pysthers Kopf konnte ich nicht sehen. Of­fenbar hatte es sogar dem Robot die Sprache verschlagen, denn er war nicht mehr zu hö­ren …

Die Kralasenen kämpften verbissen und mit der ihnen eigentümlichen Hinterlist, aber diese Mittel halfen nicht viel gegen die Wut und den Haß der Verbündeten. Nach einer halben Stunde war der Kampf entschieden.

*

Ich schüttelte dem Uniformierten die Hand, von dessen Uniform nicht mehr viel zu sehen war. Der Anführer der Militärpoli­zei hatte ein blaues Auge, und ihm fehlten drei Vorderzähne. Ich wußte allerdings, daß er bereits am nächsten Morgen mit einem einwandfreien Gebiß seinen Dienst antreten konnte, wenn er bald einen guten Arzt auf­suchte.

Ein Robotkellner näherte sich. Eine seiner Sehzellen baumelte vor seinem metallenen Gesicht. Er balancierte ein mit vollen Glä­sern bedecktes Tablett durch die Menge. Aus den hinteren Räumen drängte sich eine Schar weiterer Kellner in den Raum.

Der feiste Wirt strahlte über das ganze Gesicht, sein Doppelkinn hüpfte vor Freude.

»Ich erlaube mir, ein Glas für jeden aus­zugeben«, erklärte er strahlend. »Von denen da natürlich abgesehen!«

»Die da« waren die Kralasenen, die, säu­berlich verschnürt, auf dem Boden lagen und uns, soweit sie noch bei Besinnung wa­ren, mit haßerfüllten Blicken bedachten.

Die Szenerie war einmalig. Auf dem Bo­den lagen die Kralasenen, in der Gaststätte standen Militärpolizisten und Raumsoldaten friedlich zusammen und klopften einander triumphierend auf die Schultern.

Ich spürte den Schmerz in der Magengru­be nicht mehr. Der starke Schnaps tat eini­ges dazu, die Treffer vergessen zu machen, die ich bei der Auseinandersetzung erhalten hatte. Der Anführer des Polizeikommandos hieb mir auf die Schulter, als wolle er mir das Gelenk zerschmettern.

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Wir mußten im Stehen trinken, sämtliche Stühle, Sitzbänke und Tische lagen in Trüm­mern, aber das konnte die gute Laune des Wirtes nicht beeinträchtigen. Aus einem der hinteren Räume erklang lautes Lachen. Leicht schwankend tauchten Zergan und Kastyr im Rahmen auf. Sie trugen vorsichtig den Kopf ihres Freundes Pysther auf einem Tablett in den Raum. Auf geheimnisvolle Weise war der Kopf des absonderlichen Kampfrobots während der Saalschlacht in die Küche geraten.

»Wir haben ihn aus dem Suppentopf ge­fischt!« verkündete Kastyr kichernd.

Das war nicht zu übersehen. Pysthers Kopf war von einer glänzenden Fettschicht überzogen, das Metall war über und über mit Gemüsestreifen bedeckt.

Der Rest von Pysther stand kerzengrade im Raum und rührte sich nicht.

Vorsichtig trugen Kastyr und Zergan den Kopf ihres Freundes zu seinem Rumpf, mit einem geschickten Griff befestigte Kastyr den glitschigen Schädel am Hals.

»Brssst«, machte Pysther. Vergeblich ver­suchte er, die Fettschicht mit seinen metalle­nen Händen vom Kopf zu wischen. »Ich werde mich beschweren!«

Danach verzog er sich in die Sanitärräu­me. Seine beiden Freunde kamen auf mich zu, auch Fartuloon näherte sich. Vergnügt stießen wir an.

»Was nun?« fragte Kastyr heiter. Zergan sah sich rasch um.

»Wir verschwinden besser von hier«, schlug er vor. »In kurzer Zeit wird es hier von Sicherheitsstreitkräften wimmeln, und mit den Burschen ist nicht zu spaßen. Wenn sie sehen, was wir hier veranstaltet haben …«

Ich nickte hastig. Rasch verließen wir das Lokal, während

in der Ferne Sirenengeheul zu hören war. Der Klang kam auf uns zu, wir hatten uns gerade noch rechtzeitig abgesetzt. Während wir uns in gemächlichem Tempo auf unsere Unterkünfte zubewegten, beratschlagten wir, was zu tun sei. Zu einem Ergebnis kamen

wir nicht. »Mir graut vor der SOWSTH«, murmelte

Kastyr niedergeschlagen. »Wenn ich an den Kommandanten denke, kommt mir der Ge­danke an eine Desertion fast schon ver­lockend vor.«

»Was bieten diese Vermittler eigentlich?« wollte ich wissen.

»Sicherheit«, knurrte Zergan. »Sie brin­gen einen in Sicherheit, allerdings nur gegen Bargeld.«

»Und wie sieht diese sogenannte Sicher­heit aus?«

»Sie verschaffen dir neue Papiere und transportieren dich auf eine Welt, die nur spärlich besiedelt ist oder weitab der norma­len Routen liegt. Dort ist man vor Rekrutie­rungsabteilungen der Flotte sicher.«

»Es sei denn, die Maahks finden eine sol­che Welt«, warf Fartuloon ein. Zergan schüttelte den Kopf.

»Wenig wahrscheinlich«, murmelte er. »Was sollen die Maahks mit einer nur spär­lich besiedelten Sauerstoffwelt. Die wenigen Arkoniden zu jagen, die auf solchen Plane­ten leben, ist viel zu umständlich. Es gibt an­dere Planeten, die zu überfallen sich wirk­lich lohnt. Diese Seelenhändler wissen, was sie zu tun haben. Sie haben wirklich etwas zu bieten, allerdings fordern sie horrende Summen für ihre Leistungen.«

»Was ist, wenn man ihnen auf die Schli­che kommt?« forschte ich. Diesmal grinste Zergan.

»Strafdienst in der Flotte«, verkündete er. »Natürlich in besonders gefährdeten Einhei­ten. Wer erwischt wird, hat kaum noch eine Chance, lebend davonzukommen. Ich finde dieses System ausgesprochen gerecht.«

Ich nickte nachdenklich. »Könnte uns dieser Hurtheyn auch eine

Passage nach Arkon vermitteln?« fragte ich Zergan. Der Bullige sah mich verwundert an.

»Ich wüßte nicht, was das für einen Sinn haben sollte. Auf Arkon wirst du schneller erwischt als auf jedem anderen Planeten der Galaxis. Wenn schon desertieren, dann doch

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nicht nach Arkon!« Ich lächelte verhalten. »Ich will gar nicht desertieren«, eröffnete

ich meinen Begleitern. »Ich will nach Ar­kon, und wenn mir die Flotte dabei nicht helfen will, dann muß mir eben Hurtheyn helfen.«

»Und was willst du auf Arkon?« fragte Kastyr mit einem scheelen Blick. »Hast du Verwandte dort, die dir helfen könnten? Be­ziehungen?«

»Ich will lediglich ein vernünftiges Kom­mando«, log ich. »Eure Berichte über die SOWSTH und ihren Kommandanten haben mich stark beeindruckt.«

Zergan kicherte. »Junge, wenn dich schon die Berichte aus

den Stiefeln heben, dann ist es wirklich bes­ser, du mustert gar nicht erst an. Die Wirk­lichkeit ist nämlich noch wesentlich schlim­mer.«

Er wechselte einen Blick mit Kastyr. »Was meinst du?« Der Jüngere zuckte mit den Schultern. »Es wäre eine Möglichkeit«, überlegte er

laut. Jetzt sah ich Fartuloon an. Was sollten wir

machen, wenn die beiden auf die Idee ver­fielen, uns begleiten zu wollen? Vor allem der auffällige Roboter mußte unsere Chan­cen weit mindern. Und vor allem: was soll­ten wir Kastyr und Zergan erklären, wenn wir uns auf Arkon einfach absetzten? Es fiel mir nicht im Traum ein, mich für ein Schiff der Arkon-Flotte zu melden und darauf zu warten, daß man meine Identität herausfand, mich gefangennahm und den Henkern Orba­naschols überlieferte.

»Was haltet ihr davon: Wir versuchen zu­sammen, nach Arkon zu kommen und dort ein Kommando zu bekommen? Zu fünft ha­ben wir sicher bessere Aussichten!«

Offenbar zählten unsere beiden Freunde den verrückten Robot als vollwertige Per­son. Ich hütete mich, eine Bemerkung zu machen. Pysther war bekanntlich ein sehr sensibler Robot.

Ich zögerte.

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»Zustimmen«, gab das Extrahirn durch. Eine Begründung für diesen Impuls lieferte es nicht.

»Also gut«, erklärte ich. Fartuloon sah mich sekundenlang skeptisch an, dann schi­en er zu begreifen, daß ich nicht ins Blaue hinein geredet hatte. »Versuchen wir es. Als erstes müßten wir allerdings Hurtheyn fin­den oder irgendeinen anderen Mittelsmann.«

Kastyr grinste zuversichtlich. »Laß das unsere Sorge sein«, erklärte er

selbstsicher.

*

Unsere Unterkünfte waren nicht schlecht, vor allem nicht, wenn man berücksichtigte, daß die Anlagen auf Mirc improvisiert wa­ren. In der Nähe des großen Raumhafens hatte man in den Untergrund eine komplette Kleinstadt hineingebaut. Sie hatte alles zu bieten, was man von einer arkonidischen Stadt auf einer Kolonialwelt erwarten konn­te.

Fünfzehn Stockwerke tief reichten die Räume unter die Erde, unterhalb dieses Ni­veaus lagen die Versorgungseinrichtungen: Kanalisation, Energieversorgung, Klimaan­lage und dergleichen. Über unseren Köpfen lagen die Quartiere, in denen die auf Mirc stationierten Offiziere wohnten. Ihnen war der Luxus vorbehalten, die karge Landschaft des Planeten bewundern zu dürfen. Im Ernstfall aber waren ihre Quartiere die er­sten, die von den Geschützen der Maahks vernichtet wurden. Es lag daher im ureigen­sten Interesse der Offiziere, diesen Ernstfall nach Möglichkeit zu verhindern.

Fartuloon und ich hatten eine Kleinwoh­nung zugeteilt bekommen, die wir mit unse­ren Freunden Zergan und Kastyr zu teilen hatten. Natürlich lebte auch Pysther mit uns zusammen. Zum Glück schnarchte er nicht.

Kastyr und Zergan waren unterwegs. Sie wollen versuchen, Hurtheyn aufzufinden. Die beiden Freunde lebten schon seit Mona­ten auf Mirc und kannten sich in den Ört­lichkeiten aus. Wenn es jemanden gab, der

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den Vermittler schnell aufstöbern konnte, dann waren sie es. Zergan und Kastyr waren in den frühen Morgenstunden des planetaren Tages aufgebrochen, jetzt war es früher Nachmittag. Fartuloon hatte es sich in einem Sessel bequem gemacht und schien auf Vor­rat zu schlafen. Im Hintergrund spulte ein Video ein langweilendes Propagandapro­gramm ab. Es waren die üblichen Klischees: der Brudermörder Orbanaschol wurde als Held und Retter des Großem Imperiums ge­feiert. Wenn auch nur die Hälfte der Sieges­meldungen stimmte, hätten die Maahks längst vernichtet sein müssen. Das Gegenteil war der Fall, Thantur-Lok, der große Ster­nenhaufen, der das Arkonsystem barg, schwebte immer noch in höchster Gefahr. Überall trieben sich die schnellen Schiffe der Methanatmer umher und hielten nach leichter Beute Ausschau.

Die Untätigkeit zerrte an meinen Nerven. Für mich selbst und meine Sache konnte

ich im Augenblick herzlich wenig tun, und solange Mirc nicht unmittelbar von den Maahks bedroht wurde, sah ich auch keinen Sinn darin, mich sonderlich für die Interes­sen der Arkon-Flotte zu interessieren. Was konnte ich mit meinen geringen Mitteln auch schon ausrichten? Der Mann an der Spitze, Orbanaschol, der wegen seiner Unfä­higkeit immer größere Gefahren für das Im­perium heraufbeschwor, mußte beseitigt werden, dann erst war das Große Imperium in der Lage, sich seiner Feinde wirkungsvoll zu entledigen.

Zergans Ankunft riß mich aus meinen trübsinnigen Gedanken.

»Wir haben ihn gefunden!« verkündete er strahlend. Hinter ihm erschien Kastyr im Eingang. Mit klirrenden Schritten näherte sich Pysther. Seit sein Schädel im Sup­pentopf gelandet war, waren seine Sehzellen von einem grünlich schimmernden Ring um­geben. Der Robot hatte das Fett nicht völlig entfernen können, und auf dem idealen Nährboden hatte sich ein einheimisches Moos angesiedelt.

Der Lärm, den der Robot bei jedem

Schritt erzeugte, riß Fartuloon aus seinem Dämmerschlaf. Er rieb sich die Augen und sah Kastyr an.

»Mehr Informationen!« forderte er. »Laßt euch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen.«

Zergan ließ sich in einen Sessel fallen. Der schlanke Kastyr baute sich neben sei­nem Freund auf.

»Wir haben Hurtheyn in einer Gaststätte angetroffen«, berichtete der Bullige. »Er hat uns sofort wiedererkannt. Wir sollen uns in drei Stunden mit ihm treffen.«

»Wir alle?« wollte Fartuloon wissen. »Das kann eine Falle sein«, gab das Ex­

trahirn durch. »Die Wahrscheinlichkeit ist allerdings sehr gering. Nimm dich dennoch in acht!«

»Und was soll bei diesem Treffen stattfin­den?« wollte ich wissen.

Kastyr zuckte mit den Schultern. »Angeblich wird Hurtheyn uns einer sehr

wichtigen Persönlichkeit vorstellen«, berich­tete Zergan.

»Das ist eine reichlich zweideutige For­mulierung«, orakelte Fartuloon.

6.

Dumpf erklang hinter uns der stetige Marschtritt, mit dem Pysther uns folgte. Ich hatte es für zu gefährlich gehalten, den Ro­bot mitzunehmen, aber unsere Freunde hat­ten auf Pysthers Begleitung bestanden. Ich wußte inzwischen, daß die beiden Männer, so grundverschieden sie auch aussahen, er­fahrene Kämpfer waren, die schon etliche lebensgefährliche Einsätze überstanden hat­ten. Um so unerklärlicher war mir, daß zwei intelligente Männer mit einem schrottreifen Kampfrobot einen derartigen Aufwand be­trieben.

»Aberglaube«, gab das Extrahirn durch. »Es gibt viele intelligente Menschen, die Ta­lismane oder ähnliches benutzen!«

Über diese Region von Mirc war der Win­ter hereingebrochen. Auf den Straßen wäre es stockdunkel gewesen, hätte es keine auto­matische Straßenbeleuchtung gegeben. Das

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Gebiet, durch das wir uns bewegten, war sehr ruhig. Hier wohnten die höchsten Offi­ziere und die Spitzen der Planetenverwal­tung, daraus erklärte sich die nächtliche Ru­he. In den Mannschaftsunterkünften ging es zur Zeit hoch her. Es lag in der Natur der Sache, daß die Männer, die nicht wissen konnten, ob sie jemals wieder den Fuß auf einen Planeten setzen würden, in den kurzen Kampfpausen versuchten, vom Leben soviel mitzubekommen, wie sich in wenigen Tagen erreichen ließ.

Mißtrauisch musterte ich den Schädel des Vermittlers. Hurtheyn ging voran. Er schritt so gelassen aus, als könne ihm überhaupt nichts passieren. War Hurtheyn tatsächlich so sicher, daß man ihm nicht an den Kragen konnte? Reichte die Organisation, der er an­gehörte, vielleicht bis in die höchsten Spit­zen der Gesellschaft von Mirc? Oder war er so ruhig, weil er uns gradlinig in ein Verlies der POGIM steuerte?

Das Extrahirn wußte auf diese Fragen kei­ne Antwort und schwieg.

Vor einem dunklen, langgestreckten Ge­bäude blieb Hurtheyn stehen und drehte sich zu uns um.

»Wir sind am Ziel«, verkündigte er feier­lich. »Folgen Sie mir!«

Hurtheyn betätigte ein Impulsschloß und flüsterte so leise ein Kodewort in ein Mikro­phon, daß wir keine Silbe verstehen konn­ten. Geräuschlos schwang die Tür auf, Licht strahlte uns entgegen.

Das Licht war gut, daran ließ sich nicht zweifeln. Der Rest des Raumes aber machte einen ganz anderen Eindruck.

»Schäbig«, kommentierte Fartuloon nase­rümpfend. »Ausgesprochen heruntergekom­men!«

»Der Schein trügt«, wehrte Hurtheyn ab. Dem Vorraum schloß sich ein weiterer

Raum an, dessen Ausstattung Hurtheyn so­fort Lügen strafte. Die Wandbekleidungen hingen in Fetzen herab, das Licht des einzi­gen Leuchtkörpers flackerte unstet.

»Herzlich willkommen, mein Name ist Kester Hehl, man nennt mich den König der

Peter Terrid

Deserteure!« Der Sprecher besaß eine beeindruckende

Gestalt, beeindruckend zum ersten der Grö­ße wegen, zum anderen der Fettleibigkeit wegen. Kester Hehl überragte mich um mehr als einen Kopf, seine Schultern waren breit und wuchtig. Die nicht sonderlich rein­liche Kleidung des Mannes hatte alle Mühe, seine Leibesfülle zu bändigen.

Der Boden zitterte ein wenig, als Kester Hehl auf uns zutrat und uns die Hand reich­te. Sein Griff war fest und sicher.

»Was kann ich für euch tun, Freunde?« Die imposante Gestalt des Kester Hehl

hatte einen Schönheitsfehler. Der Mann sprach mit einer fetterstickten Falsettstim­me, die zu dem massigen Körper einen be­trächtlichen Gegensatz bildete.

Bevor wir antworten konnten, fuhr Hehl fort:

»Der Robot allerdings soll draußen war­ten. Man kann in diesen Maschinen Dinge einbauen, die vor Gericht bei Angeklagten wenig beliebt sind, aber um so höher in der Gunst der Anklage stehen. Sie verstehen?«

Kastyr machte ein finsteres Gesicht, Zer­gan zuckte mit den Schultern, dann bedeute­te er Pysther, den Raum zu verlassen. Der Robot gab ein beleidigtes Grunzen von sich und verschwand. An den wuchtigen Tritten konnten wir erkennen, daß er das Gebäude verließ und vor dem Eingang Stellung be­zog.

»Ihr wollt also die ruhmreiche Flotte sei­ner Erhabenheit verlassen«, stellte Kester Hehl fest. Er lehnte sich etwas zurück und balancierte seine Körperfülle mit den Zehen­spitzen aus. Sollte uns das Schauspiel beein­drucken?

»So kann man es nennen«, murmelte Far­tuloon.

Der Bauchaufschneider war noch nie ein Freund von Traurigkeit gewesen und wußte das Leben und seine Annehmlichkeiten sehr wohl zu schätzen. Sein Körper zeigte deutli­che Spuren dieser Genußsucht, aber mit dem voluminösen Leib eines Kester Hehl konnte sich Fartuloon nicht messen. Der Bauchauf­

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schneider schien von dem Fettkoloß sicht­lich beeindruckt.

»Einverstanden«, erklärte Hehl und legte die Hände vor dem Bauch zusammen. »Tausend Chronners pro Nase.«

Das war unverschämt viel, aber sicherlich ein erträglicher Betrag, wenn man daran dachte, daß man sich damit eine – wenn auch nur relative – Sicherheit für sein Leben erkaufte.

»Pysther hat keine Nase«, wandte Kastyr ein. Hehl begann zu lachen, sein ganzer massiger Körper geriet in Schwingungen.

»Ihr wollt die Maschine mitnehmen?« ki­cherte Hehl. »Mir soll es recht sein, für den Robot zweihundert Chronners. Sozialtarif für Mittellose!«

Hehl fand seinen eigenen Witz über alle Maßen erheiternd, er schüttelte sich vor La­chen und kreischte in den höchsten Tönen. Hurtheyn sah dem Schauspiel ohne jede Ge­mütsregung zu, wahrscheinlich kannte er die Allüren seines Chefs bereits seit langer Zeit.

»Habt ihr einen speziellen Wunsch?« wollte Hehl wissen.

Aus einem Panzerschrank förderte er eine staubbedeckte Flasche zutage, aus der er einen gewaltigen Schluck nahm. Das Etikett deutete auf einen hochkonzentrierten Schnaps hin.

»Auch etwas?« Fartuloon und ich lehnten dankend ab,

Zergan nahm einen Schluck, dann trank Kastyr. Sekunden später krümmten sich bei­de Männer, und wieder begann Hehl zu la­chen.

»Euer Humor ist von der feinsinnigsten Art«, stellte Fartuloon sarkastisch fest.

»In diesem Gewerbe muß man humorvoll sein«, prustete Kester Hehl und nahm einen neuen Schluck. Langsam begannen die Ge­sichter von Kastyr und Zergan wieder eine halbwegs normale Färbung anzunehmen.

»Das ist kein Schnaps«, ächzte Zergan wehleidig, »das muß konzentrierte Säure sein. Das Zeug ist viel zu stark!«

»Es gibt keinen zu starken Schnaps«, ver­kündete Hehl sein Dogma, »es gibt nur zu

schwache Männer. Ich werde für euch einen hübschen Kolonialplaneten auftreiben. Dort könnt ihr in Ruhe das Ende des Krieges ab­warten, es sei denn … hahahaha … es sei denn, eine Maahkflotte taucht über eurer Welt auf und kürzt für euch den Krieg auf andere Weise ab.«

Diesen Witz schien er für besonders gut zu halten. Er setzte die Flasche auf den wackligen Schreibtisch zurück und schlug sich mit beiden Händen auf die Schenkel.

»Wir wollen auf keine Kolonialwelt«, verkündete ich. Hehls humoriger Anfall brach jäh ab. Verdutzt sah er mich an.

Seine Stirn legte sich in Falten. »Wollt ihr zu den Maahks überlaufen?«

fragte er entgeistert. Zergan schnaubte wü­tend, während Kastyrs Hand unwillkürlich zur Hüfte ging.

»Wir wollen nach Arkon«, erklärte ich. Kester Hehl erstarrte, dann öffnete er den

Mund. Sein Lachanfall übertraf alles, was ich je­

mals gehört hatte. Kester Hehl hatte Mühe, das Gleichgewicht zu wahren. Seine Stimme war eine Tortur für meine Ohren.

»Nach Arkon wollen sie, nach Arkon!« Hehl schien diesen Wunsch nicht begrei­

fen zu können. Dicke Tränen liefen über sein rundliches Gesicht, mit der linken Hand schlug er immer wieder auf die Platte des Schreibtischs.

»Nach Arkon«, wimmerte Hehl. »Was bei allen Galaxien wollt ihr ausgerechnet auf Arkon?«

»Das ist unsere Sache«, wehrte Fartuloon ab.

»Nach Arkon«, wiederholte Hehl. »Seid ihr Selbstmörder?«

»Überlassen Sie das uns«, knurrte Zergan grimmig. »Können Sie uns helfen, ja oder nein?«

Kester Hehl beruhigte sich. Als erstes leerte er die noch halbvolle Schnapsflasche auf einen Zug, dann wandte er sich mit brei­tem Grinsen wieder zu uns.

»Also gut, nach Arkon soll es gehen.« »Können Sie uns helfen?« bohrte Zergan.

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»Natürlich«, erklärte Kester Hehl. »Der König der Deserteure kann alles, gegen Bar­geld versteht sich. In eurem Fall …«

Kester Hehl begann zu rechnen, und er brauchte geraume Zeit dafür.

»Fünfundsechzig Prozent Aufpreis«, sagte er schließlich.

Ich sah Fartuloon an. Woher sollten wir diese Unsumme nehmen? Das einzige Geld, über das wir verfügten, war ein Vorschuß, den man uns auf den zu erwartenden Sold ausgezahlt hatte. Die auf Arkon üblichen Kreditkarten hatten wir nicht, und sie hätten uns hier auch nichts genützt. Auf Mirc wur­de bar gezahlt – bis eine Auskunft von Ar­kon kam, die einem Kreditkarteninhaber Bo­nität bescheinigte, konnte der Besitzer der Karte schon lange tot sein.

Dreitausenddreihundert Chronners, für unsere Verhältnisse eine utopische Summe.

»Abgelehnt«, warf Zergan ein. »Wir ha­ben nicht soviel Geld.«

»Dann seht zu, daß ihr es euch besorgt«, erklärte Hehl kalt. Von seiner überwältigen-den Heiterkeit war nichts mehr vorhanden, jetzt sprachen wir mit einem eiskalt kalku­lierenden Geschäftsmann.

»Und wo?« fragte Kastyr scharf. »Eure Sache«, erklärte Hehl mit gespielter

Freundlichkeit. »Meinethalben stehlt das Geld oder unterschlagt es. Ohne Geld geht nichts.«

»Was ist besser?« versuchte Zergan zu handeln. »Wenn wir das Geld nicht zusam­menbekommen, können wir Ihre Dienste nicht in Anspruch nehmen – und Sie verlie­ren ihren Profit. Ein wenig Entgegenkom­men könnte Wunder wirken!«

»Junger Mann«, sagte Kester Hehl und richtete sich auf. »In diesem Gewerbe wird nicht gefeilscht, hier wird befohlen und be­stimmt – und zwar von mir. Es gibt genug Leute, die sich förmlich darum raufen, von meiner Organisation vermittelt zu werden. Auf euch bin ich nicht angewiesen, ich, Ke­ster Hehl, König der Deserteure!«

»Was nun?« sagte Zergan und sah mich ratlos an. Hehl mischte sich ein.

Peter Terrid

»Ihr gefällt mir, also werde ich ein wenig entgegenkommend sein. Ich werde sehen, wo ich euch eine geheime Passage verschaf­fen kann. Von den Unkosten, die ich dabei haben werde, wird der endgültige Preis ab­hängen. Meldet euch in zwei Tagen wieder bei mir. Ihr seid entlassen!«

Kester Hehl machte eine hoheitsvolle Ge­ste, mit der er uns förmlich aus dem Raum scheuchte. Selbst ein Übelwollender mußte zugeben, daß der König der Deserteure, wie er sich selbst nannte, eine eindrucksvolle Persönlichkeit war. Wie eindrucksvoll, das zeigte sich, als Fartuloon das Freie erreicht hatte und loszuschimpfen begann.

»Dieser aufgeblasene Wichtigtuer«, fauchte er. »Er ist ein feister, aufgeblasener Verbrecher, nicht mehr und nicht weniger. König der Deserteure, daß ich nicht lache. Wahrscheinlich gibt es auf Mirc mindestens ein Dutzend solcher Gestalten.«

»Kester Hehl ist einzigartig«, sagte Hur­theyn sanft und lächelte dazu. »Ihr könnt mir glauben, es gibt keinen, der ihm gleicht!«

Fartuloon schreckte zusammen. Er hatte nicht bemerkt, daß Hurtheyn ihm gefolgt war und jedes seiner Worte gehört hatte.

»Glaubt mir, Kester Hehl ist einzig in sei­ner Art. Es ist nicht leicht, für ihn zu arbei­ten, aber es lohnt sich. Und noch etwas« – seine Stimme wurde leiser und eindringli­cher – »es ist lebensgefährlich, gegen ihn zu arbeiten. Versucht gar nicht erst, ihn betrü­gen zu wollen!«

Fast lautlos huschte Hurtheyn davon, das Dunkel verschluckte ihn. Nachdenklich trot­teten wir unseren Quartieren entgegen.

»Wie sollen wir diese Riesensummen auf­bringen«, murmelte Kastyr niedergeschla­gen.

Ich grinste. »Laß mich nur machen!«

*

Es war stickig in dem Raum, aber nie­mand achtete auf die schlechte Luft. Mehr als drei Dutzend Menschen hielten sich in

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dem Raum auf, der tief unter den Mann­schaftsunterkünften lag. Hierher hatte sich noch nie eine Aufsichtsperson verirrt. Wel­chem Zweck der Raum früher einmal ge­dient haben mochte, wußte ich nicht – jetzt war es das Stammquartier der Spieler und Hasardeure.

Es gab im unterirdischen Labyrinth ein halbes Dutzend Spielhöhlen, je nach der Art des Glücksspiels, das gewünscht wurde. Ich hatte mich für Thur'dharr entschieden.

Die Regeln waren ebenso einfach wie mörderisch.

Ein Spieler hielt die Bank, genauer ge­sagt, er verteilte aus einem Stapel von 326 Karten nacheinander jedem Spieler bei jeder Runde eine Karte. Die Werte der Karten schwankten zwischen eins und fünfzig. Ziel war die Zahl 111. Kam ein Mitspieler dieser Zahl näher als die Bank, gewann er den Topf, überstieg er die Zahl, verfielen sämtli­che Einsätze der Bank. Da nach der Ausgabe jeder Karte neu gesetzt werden mußte, er­höhten sich die Einsätze von Runde zu Run­de. Unter Umständen hatte ein Spieler zwan­zig bis dreißig Karten mit niedrigen Werten offen vor sich liegen – dann hatte er für jede Karte seinen Einsatz erhöhen müssen.

Natürlich waren die Spielbedingungen so gestaltet worden, daß die Bank einen meß­baren statistischen Vorteil hatte, wie bei al­len Glücksspielen. Ich aber hatte eine Me­thode herausgefunden, mit der ich die Chan­cen ein wenig zu meinen Gunsten verändern konnte, ohne dadurch gegen die Spielregeln zu verstoßen.

Die Bank machte nämlich einen entschei­denden Fehler.

Unter Umständen war eine Runde bereits nach der dritten Karte erledigt, dann näm­lich, wenn ein Mitspieler zwei Fünfziger ge­zogen hatte. Der Bankhalter raffte dann die Karten auf dem Tisch zusammen und ver­staute sie im Auffangkorb des Kartengebers. Anstatt nun aber diese Karten unter die rest­lichen zu mischen und alle Karten völlig neu durchzumischen, spielte die Bank aus dem Vorrat weiter.

Wer also gedächtnisstark genug war, sich genauesten zu merken, welche Karten be­reits in früheren Runden verbraucht worden waren, und welche offen im jeweiligen Spiel auf dem Tisch lagen, konnte sich ausrech­nen, was für Werte noch im Kartengeber steckten. Ganz schlaue Köpfe konnten dann sogar ausrechnen, wie groß die Wahrschein­lichkeit dafür war, eine ganz bestimmte Kar­te zugespielt zu bekommen.

Vor mir lagen einhundert Augen. Nach meiner Rechnung – das Extrahirn

mit seinem fotografischen Gedächtnis sorgte dafür, das dies eine Rechnung und nicht ein­fach eine Schätzung war – steckten noch fünfzehn Karten im Kartengeber, darunter zwei, die ich überhaupt nicht brauchen konnte. Zog ich den Siebzehner oder den Zweiundzwanziger, hatte ich das Spiel ver­loren. Alle anderen Karten brachten mich näher an die magische Zahl 111.

Der Bankhalter grinste mich an. Der Mann war ein Angestellter des Unterneh­mers, der diese Spielhölle betrieb, ein ausge­fuchster Kartenhai, dem man nichts vorma­chen konnte. Die Bank stand bei 108, und nur ich wußte, daß noch ein einziger Dreier im Kartengeber steckte. Zog die Bank diese Zahl, hatte ich verloren – ich hatte wesent­lich mehr Karten gebraucht, um an die Gren­ze zu kommen.

»Karte!« forderte ich und schob einhun­dert Chronners in die Mitte des Tisches.

Zweihundert Chronners besaß ich noch, der Rest einer Gewinnsträhne, die mich im Lauf von vier Stunden von vierzig Chron­ners auf zweitausend gebracht hatte. Im Topf lagen mehr als zehntausend Chronners. Jedem war klar, daß dies das Spiel des Abends war. Verlor ich, war ich pleite, ge­wann ich, kam die Bank in Schwierigkeiten.

Ich brauchte mich nicht anzustrengen, um nervös auszusehen. Der Bankhalter drückte einen Knopf, leise surrend schob sich die Karte aus dem Automaten. Mit seinem typi­schen Grinsen schob der Bankhalter mir die verdeckte Karte hinüber. Ich leckte mir die Lippen.

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Die Chancen standen 15:2, daß ich eine Karte gezogen hatte, die mich verlieren ließ. Langsam drehte ich die Karte herum.

Die Fünf, ich atmete erleichtert auf, dann erwiderte ich das hämische Grinsen des Bankhalters. Natürlich hatte sich der Bank­halter ebenfalls angestrengt, die Verteilung und den Verbleib der Karten zu registrieren, aber darin mußte er mir, wenn er ehrlich spielte, unterlegen sein.

»Die Bank verzichtet«, sagte mein Gegner und erhöhte um weitere einhundert Chron­ners. Ich nickte langsam.

»Karte!« Wieder das gleiche, nervenzerreißende

Spiel. Langsam drehte ich die Karte herum. Die Wahrscheinlichkeit stand 14:2. Ich lächelte nicht, ich atmete nur erneut

erleichtert auf. Die Bank hatte verloren, wenn der Bankhalter jetzt eine Karte forder­te. Vor mir lag der letzte verbliebene Dreier.

Gleichstand, 108:108. Hinter mir erklang ein dumpfes Stöhnen

aus einem halben Dutzend Kehlen. Die Zu­schauer waren nicht weniger aufgeregt als ich.

»Karte!« Jetzt grinste ich. Es sprach für die Fähig­

keiten des Bankhalters, daß er sein stereoty­pes Grinsen auch jetzt nicht verlor, als er die Karte umdrehte. Mit den zusätzlichen sieb­zehn Punkten hatte die Bank verloren. Hätte der Mann in der vorletzten Runde eine Karte gefordert, hätte er die Drei bekommen …

»Ich fordere eine Untersuchung«, sagte der Bankhalter.

Aus den Reihen der Zuschauer erklang ein unwilliges Murren. Es war verbrieftes Recht der Bankhalter, daß ihre Kunden un­tersucht wurden, ob sie Mini-Positroniken eingeschmuggelt hatten, um ihre Chancen zu verbessern. Normalerweise wurden nur Stichproben gemacht, allerdings so häufig, daß sich das Risiko nicht lohnte, einen Mini­rechner einzuschmuggeln. Wer erwischt wurde, landete gewöhnlich mit durchschnit­tener Kehle an einem Straßenrand.

»Einverstanden«, sagte ich lächelnd.

Peter Terrid

Aus dem Hintergrund löste sich eine Ge­stalt und kam hastig näher. Ich erkannte den Inhaber dieser Spielhölle.

»Keine Untersuchung nötig«, entschied er laut. »Wenn unsere Gäste darauf vertrauen, daß die Bank ehrlich spielt, dann sollte das Haus auch einem glücklichen Gewinner ver­trauen!«

Beifall kam auf, fremde Hände schlugen mir auf die Schulter.

»Geschickte Geschäftspolitik«, gab das Extrahirn durch. »Die Nachricht von deinem Gewinn wird die Zahl der Besucher und die Spieleinsätze in die Höhe treiben. Obendrein ist der Verlust der Bank gering, die Masse des Geldes haben deine Mitspieler an dich verloren!«

Ich stand auf und strich meinen Gewinn ein. Meinetwegen hätte man mich durchaus durchsuchen können, eine Mini-Positronik besaß ich nicht. Woher hätte der Bankhalter wissen können, daß ich die Fähigkeiten mei­nes Extrahirns eingesetzt hatte? Ein Arkoni­de mit aktiviertem Extrahirn im Mann­schaftsrang? Unvorstellbar! Arkoniden mit der ARK SUMMIA hatten es nicht nötig, sich in Hinterzimmerspielhöllen zu vergnü­gen, ihnen standen ganz andere Möglichkei­ten offen.

Fartuloon kam näher und half mir, meinen Gewinn zu verstauen. Sein Gesicht war bleich, die Stirn von Schweiß bedeckt. Der Inhaber der Spielhölle sah mich lächelnd an.

»Noch ein Spiel gefällig?« fragte er amü­siert. Fartuloon wehrte sofort ab.

»Das würden meine Nerven nicht aushal­ten«, stöhnte er. »Ich bin schon tausend To­de gestorben, nur vom Zusehen.«

Der Inhaber lächelte wieder. »Auf ein neues!« rief er. »Sie haben gese­

hen, was man hier gewinnen kann!« Die Besucher drängten sich um die Spiel­

tische, größtenteils mit fiebrig glänzenden Augen. Wahrscheinlich hatte das Unterneh­men den Verlust, den es durch mich erlitten hatte, in spätestens einer Stunde wieder aus­geglichen.

»Was werden Sie mit dem Gewinn ma­

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chen«, fragte der Inhaber freundlich. Ein Wahnsinnsgedanke durchzuckte

mich. Vorher hatte ich Chancen kalkuliert und angewandte Statistik und Wahrschein­lichkeitsmathematik betrieben. Was ich jetzt tat, war blankes Hasardieren.

»Narr!« schrie das Extrahirn, bevor ich noch den Mund geöffnet hatte.

»Kennen Sie einen gewissen Kester Hehl?«

Fartuloons Unterkiefer klappte herunter, er gab ein ersticktes Gurgeln von sich.

Der Inhaber begann zu lachen. »Wenn die Sache so liegt, können Sie das

Geld gleich hier abgeben. Hehl ist einer un­serer Stammgäste. Er spielt oft und sehr hoch – und verliert meistens. In seinem Ge­werbe ist er allerdings ein Spitzenkönner. Sie werden Ihre Wahl nicht bereuen!«

Ich lächelte verbindlich, obwohl mir alles andere als wohl zumute war. Wenn mein Gesprächspartner mit der Polizei zusammen­gearbeitet hätte … die Folgen wagte ich mir nicht auszumalen.

7.

Gemächlich gingen wir durch die Gänge des Soldatensilos, wie die Mannschaftsun­terkünfte mit bösem Spott von den Betroffe­nen genannt wurden. Es tat gut, das Gewicht in der Tasche zu spüren. Jetzt konnte ich für uns fünf die Passagiere bezahlen, die Kester Hehl fordern würde. Das Pysther uns beglei­ten würde, war für mich mittlerweile eine fe­ste Tatsache. Ich begann mich an den skurri­len Robot zu gewöhnen, und langsam be­griff ich, warum Kastyr und Zergan sich von der Maschine nicht trennen wollten.

»Zufrieden, Sohn?« erkundigte sich Far­tuloon. Ich wiegte den Kopf.

»Ein Teilziel ist erreicht«, murmelte ich. »Wir haben das Geld, das wir brauchen. Aber was das große Ziel angeht …«

Fartuloon fiel in mein Schulterzucken ein. Es gab wenig, was wir jetzt noch tun konn­ten. Längst hatten wir die Initiative verloren, die Ereignisse wirbelten uns durcheinander,

wir hatten auf den Ablauf der Geschehnisse nur noch einen minimalen Einfluß.

Ich kniff die Augen zusammen. Irgend etwas hatte sich verändert, aber ich

konnte nicht sagen, was. Das Bild vor mei­nen Augen zeigte plötzlich unscharfe Kontu­ren, und ich begann mich zu fühlen, als hätte ich zwei Tage härtester körperlicher Arbeit hinter mir, ohne geschlafen zu haben.

»Was ist das?« murmelte Fartuloon. »Achtung«, warnte der Logiksektor mich.

»Das Phänomen ist nicht auf dich be­schränkt. Fartuloon scheint ebenfalls davon betroffen!«

Ich wischte mir mit der freien Hand über die Augen, als könnte ich so die Schleier entfernen, die mein Blickfeld immer stärker beeinflußten. Die Bewegung half nichts, und das Gefühl des Unwohlseins wurde immer stärker in mir. Ich blieb stehen.

Fartuloon ging noch einige Schritte wei­ter, dann verharrte auch er. Das Gesicht des Bauchaufschneiders zeigte Angst.

Irgend etwas geschah mit uns, aber weder Fartuloons Sachverstand noch die Informa­tionen meines aktivierten Extrahirns reichten aus, dieses Etwas faßbar zu machen.

Etwas traf mich hart im Nacken, ein klei­ner spitzer Gegenstand. Ich griff danach … und erschrak.

Unter meinen Fingern spürte ich einen kleinen, harten Gegenstand, der in meinem Nacken förmlich festgewachsen schien. Ha­stig sah ich mich um.

Niemand schien auf mich geschossen oder nach mir geworfen zu haben. Ich ver­suchte den Gegenstand zu entfernen. Er saß erstaunlich fest. Verwunderlich war, daß meine Finger kein Blut ertasten konnten. Wenn dieses Etwas so fest in meiner Haut stak, dann hätte eigentlich Blut fließen müs­sen. Endlich gelang es mir, das merkwürdige Ding zu fassen.

Meine Augen weiteten sich. In der Hand hielt ich eine Öse aus Metall,

wie sie in altmodischen Flottenstiefeln zu finden waren. Wie kam die Öse in meinen Nacken? Ich hob den Blick und sah zu Far­

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tuloon herüber. Der Bauchaufschneider war bleich, und

ich sah sofort den Grund für sein Er­schrecken.

Ein Löffel hing quer unter seiner Nase, als wäre er dort festgewachsen. Noch bevor ich etwas sagen konnte, kam bereits das nächste Geschoß herangesaust. Der zweite Löffel klatschte gegen meine Schulter und blieb dort hängen.

»Magnetismus!« informierte mich das Ex­trahirn trocken.

Ich versuchte auf Fartuloon zuzugehen, aber das erwies sich als unmöglich. Eine un­sichtbare Kraft drängte mich zurück, und diese Kraft wurde mit jedem Schritt stärker, den ich auf Fartuloon zu machte.

»Was …?« Mehr brachte Fartuloon nicht über die

Lippen. Ich konnte sein Erschrecken gut verstehen.

»Wir müssen uns zurückziehen«, rief ich ihm zu.

Der Grund dafür lag buchstäblich in der Luft. Immer neue Metallteile kamen von ir­gendwoher und hefteten sich an unsere Kör­per. Eßgeschirre, Einzelteile von Maschinen, Büromaterial … die Liste nahm kein Ende.

Meine Befürchtungen wuchsen, als ich merkte, daß dieser Effekt zusehends an Stär­ke zunahm. Ich spürte, wie mich dieser ge­heimnisvolle Magnetismus von Fartuloon wegdrückte. Ich stand bereits mit dem Rücken an der Wand, auf der anderen Seite des Ganges wurde Fartuloon gegen das Ge­mäuer gepreßt.

Ein Spielzeug kam herangesaust, ein handtellergroßes Tier, das von einer Positro­nik im Kleinformat gesteuert wurde. Wie ein Geschoß jagte der Körper auf uns zu. Er ra­ste in das unsichtbare Magnetfeld, wurde ab­gebremst und verharrte nach einigem Hin-und Herschwingen mitten zwischen Fartu­loon und mir. Es knirschte leise als sich der Körper des Spielzeugtieres in seine Bestand­teile zerlegte. Sekundenlang regneten kleine Teile auf den Boden, während andere der Anziehungskraft des Magnetfelds unterlagen

Peter Terrid

und sich an unsere Körper hefteten. Nur mühsam fand Fartuloon seine Fas­

sung wieder. »Wir müssen verschwinden«, flüsterte er

aufgeregt. »Wenn der Besitzer des Maskott­chens hier auftaucht, ist die Hölle los. Geh du nach rechts!«

Ich folgte seiner Aufforderung ohne Zö­gern. Mir war schlagartig klargeworden, daß wir uns in höchster Gefahr befanden. Sobald ein zufällig vorbeikommender Passant uns entdeckte, gab es kein Entrinnen mehr, dann saßen wir in einer planetengroßen Falle.

Natürlich würde man uns zunächst zu hel­fen versuchen, aber dieser Hilfe würde sich mit tödlicher Folgerichtigkeit eine eingehen­de Untersuchung anschließen. Und eine peinlich genaue Überprüfung unserer Perso­nalien war das mit Abstand letzte, was wir gebrauchen konnten.

Zu unserem Glück waren die Gänge fast menschenleer. Es verirrten sich ohnehin nur recht zweifelhafte Elemente in diesen Berei­chen der Unterwelt von Mirc. Dennoch kam ich nur langsam voran. Es schepperte und klirrte bei jedem Schritt, und immer neue Teile kamen herangeflogen und hefteten sich an meinen Körper. Nach meiner Schät­zung schleppte ich mindestens dreißig Kilo Metall mit mir herum, und dieser Betrag wuchs. Jedes zusätzliche Kilo mußte meine Beweglichkeit weiter einschränken, bis ich zum Schluß kein Glied mehr rühren konnte.

Durch das Klappern des Metalls drang ein anderes Geräusch, ein bedrohliches Knir­schen. Zunächst überhörte ich es, dann aber wurde dieser Klang stärker. Feiner Staub be­gann auf mich herabzurieseln.

»Die Metallverstärkungen des Gebäudes werden angegriffen!« teilte mir das Extra­hirn lakonisch mit.

Ich erstarrte für einen Augenblick vor Schreck.

Was waren das für Gewalten, die mich in ihrem Griff hatten? Offenbar war die Stärke des magnetischen Feldes um mich herum so groß, daß sie selbst nach den Stahleinschlüs­sen in den Wänden und Decken griffen.

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Wieder traf mich ein harter Schlag, der abgerissene Waffenarm eines Robots krach­te gegen meinen Brustkorb. Ein Schuß löste sich und bohrte eine handtellergroße Öff­nung in die massive Wand. Eine grüne Wol­ke wehte auf mich zu. Die Waffe war ein Desintegrator gewesen. Der Strahl hatte die Bindung zwischen den Molekülen der Wand aufgelöst, und die metallischen Teile der Konstruktion wurden in Form einer Gaswol­ke ebenfalls von dem Magnetismus angezo­gen. Instinktiv schloß ich die Augen und verhinderte so, daß mich der ungeheuer fei­ne Staub blenden konnte.

Da ich mich nicht mehr bewegte, war das Knirschen nicht mehr zu überhören, mit dem die magnetischen Kräfte in den tragenden Teilen des Gebäudes wüteten. Ein leises Seufzen drang durch den verlassenen Gang, dann löste sich neben mir eine stabil ausse­hende Wand in ihre Bestandteile auf. Schrauben und Muttern flogen mir entgegen.

Dann hörte ich die Sirenen. Strahlungsalarm hieß das Signal. Offenbar griffen die magnetischen Felder

weiter um sich, weit genug jedenfalls, um die Orter an der Oberfläche von Mirc an­schlagen zu lassen. Natürlich würden sich die Soldaten zum Raum hin orientieren, aber es konnte nicht mehr lange dauern, bis die­sen hochqualifizierten Männern auffallen mußte, daß die Quelle der geheimnisvollen Strahlung nicht bei einer angreifenden Maahkflotte zu suchen war, sondern unter dem Boden des Planeten ihre Quelle hatte. Mit den vorzüglichen Instrumenten der Or­ter mußte es ein leichtes sein, den Ausgangs­punkt der Strahlung auf wenige Zentimeter genau zu bestimmen.

Ich setzte mich wieder in Bewegung. Es kam auf jede Sekunde an. Niemand konnte vorhersagen, wie lange dieses Phänomen an­halten würde. Nur eines war klar – wenn mich die Polizei erwischte, war es mit mei­ner angenommenen Identität vorbei.

»Fartuloon!« erinnerte mich das Extra­hirn. »Er strahlt ebenfalls, und das wird die Sucher irritieren!«

Ich konnte nur hoffen, daß diese Überle­gung richtig war. Mühsam schleppte ich mich vorwärts, meine Füße schleiften über den Boden. Ich konnte sie nicht mehr heben, so sehr waren sie bereits von schweren Me­tallgegenständen bedeckt.

Die Szenerie um mich herum begann chaotisch zu werden.

Wände brachen in sich zusammen, Eisen­teile jagten pfeifend durch die Luft und schlugen krachend gegen meinen Körper. Wäre mein Rumpf nicht bereits mit einer dicken Schicht metallener Gegenstände be­deckt gewesen, hätten mich einige der Ge­schosse glatt durchbohren können. So aber wurde der Aufprall von meiner ungewollten Rüstung teilweise aufgefangen. Die Energi­en, die dennoch durchdrangen, reichten aus, mir immer wieder die Luft aus dem Leib zu treiben. Mein Atem ging keuchend und pfei­fend. Schweiß lief mir über die Stirn und brannte in den Augen.

Aus zwei verschiedenen Richtungen ka­men einige Kampfrobots angestürmt. Ledig­lich ihrer Reaktionsschnelligkeit hatten es die Maschinen zu verdanken, daß sie nicht einfach flogen, sondern mit höchster Ge­schwindigkeit Arme und Beine bewegten, als würden sie rennen. Dennoch war ihnen anzusehen, daß sie sich mit aller Kraft gegen den übermächtigen Zug des Magnetfelds zur Wehr setzten.

Vergeblich. Ich konnte mich gerade noch zur Seite

werfen, als mich die Maschinen erreichten. Sie prallten aus verschiedenen Richtungen aufeinander. Teile lösten sich, eingebaute Warnanlagen schickten ihre schrillen Klänge durch die Luft. Sekundenschnell verwandel­ten sich die hochwertigen Maschinen in einen unförmigen, zuckenden Klumpen. Waffenarme wedelten hilflos durch die Luft, schlangen sich um gegnerische Gliedmaßen und wurden aus ihren Gelenken gerissen, Köpfe rollten über den Boden auf mich zu, und aus dem Innern der Metallleiber scho­ben sich die Kabel wie kleine farbige Schlangen auf mich zu. Das Magazin eines

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Desintegrators ging hoch und verwandelte den gesamten Haufen in eine Gaswolke, die auf mich zuwehte.

Ich schrie entsetzt auf. Das Gewicht von einigen Kampfrobotern

– ich hatte fünf Stück gezählt – war mehr, als ich tragen konnte. Wenn sich die Eisena­tome, aus denen die Maschinen bestanden, in Form einer feinen Gaswolke auf meinem Körper sammelten, mußte ich zusammen­brechen. Ich wunderte mich, daß ich bis jetzt noch nicht umgekippt war.

Abwarten, bis dieser satanische Spuk von selbst aufhörte oder mich das Gewicht der Lasten erdrücken mußte?

Oder hinauf, wo man vermutlich bereits auf mich wartete? Ich konnte darauf speku­lieren, daß jeder Soldat eine Schrecksekunde brauchen würde, bevor er seine Waffe auf mich richtete. Diese Zeit konnte durchaus genügen. Bis der Mann sich besann und zur Waffe griff, hing sie bestimmt schon an mei­nem Körper. Trotzdem war nicht von der Hand zu weisen, daß vielleicht doch ein Schuß fallen konnte, gegen den ich mich nicht zur Wehr setzen konnte.

»Du hast Glück«, informierte mich der Logiksektor, »das magnetische Feld entsteht auf deinem Körper, aber nicht darin!«

Das erklärte immerhin, warum die Kräfte, die imstande waren, einen Kampfrobot von den Beinen zu reißen und Wände zum Ein­sturz zu bringen, nicht dazu geführt hatten, daß die Metallteile auf meinem Körper mich einfach zusammenquetschten. Doch diese Information tröstete mich nicht über die Ein­sicht hinweg, daß ich noch immer in Gefahr schwebte. In höchster Gefahr. Noch immer schrillten die Sirenen. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die ersten Soldaten bei mir auftauchen würden.

Ich entdeckte einen Antigravschacht. Tiefer hinab ging es nicht mehr. Ich hatte

die Sohle des Gebäudes längst erreicht. Was sollte ich tun?

Dieses Vielleicht hatte einen tödlichen Beigeschmack, aber ich mußte das Risiko eingehen.

Peter Terrid

Ich stieß mich ab und schwebte langsam in die Höhe. Unter mir begann es wieder zu knirschen dann steigerte sich das Geräusch zu einem Kreischen. Ich kannte diesen Klang – er entstand, wenn Metall gewaltsam in neue Formen gepreßt wurde. So schnell ich es bei meiner Behinderung konnte, sah ich nach unten.

Der Anblick erfüllte mich aufs neue mit Schrecken.

Unter mir zog sich der Antigravschacht regelrecht zusammen. Die Öffnung verrin­gerte sich zusehends. Bald war der Einstieg nur noch so groß, daß lediglich ein Kind ihn hätte passieren können. Und dieser Prozeß machte nicht halt. Es schien, als hätte eine gigantische Faust nach der Antigravröhre gegriffen, um mich förmlich aus ihr heraus­zuquetschen.

Aufgeregt sah ich mich um. Es gab nichts, mit dem ich meine Fahrt in

die Höhe hätte beschleunigen können. Zent­nerlasten schienen an meinen Muskeln zu hängen, ich konnte nur mit größter Kraftan­strengung einen Arm bewegen, zu mehr war ich nicht imstande. Und unter mir wurde der Schacht zugedrückt.

»Keine Panik«, gab das Extrahirn durch. »Die Geschwindigkeit, mit der diese Veren­gung in die Höhe schreitet, ist geringer als deine Aufstiegsgeschwindigkeit!«

Ich atmete erleichtert auf, obwohl ich wußte, daß eine Gefahr weniger in meiner Lage kein sonderlicher Gewinn war. Das Schicksal zerquetscht zu werden, schien ge­bannt, dafür sah ich dem Tod in einem halb-en Dutzend anderer Spielarten entgegen.

Zudem … Der Schacht über mir hatte sich gleich­

falls verengt. Dort war dieser Prozeß nur wesentlich langsamer verlaufen. Jetzt war die Verengung nicht mehr zu übersehen, und es erschien nur logisch, daß sich dieser Pro­zeß beschleunigen mußte, je näher ich kam.

Selbst der Logiksektor wußte keinen Rat mehr. Ich saß in einer Falle, aus der kein Entrinnen möglich schien. Ob ich nach oben schwebte oder nach unten fiel, in beiden Fäl­

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len würde ich zerquetscht werden. Im gün­stigsten Fall hätte ich nur für alle Zeiten in dem Schacht festgesessen.

Übergangslos schaltete sich der Logiksek­tor in meine von Angst überschwemmten Gedanken.

»Das Antigravfeld wird schwächer!« gab es durch.

Jetzt war alles klar. Ich würde in die Tiefe stürzen und im unteren Ende des Antigrav­schachts umkommen. Das Kreischen des mißhandelten Metalls dröhnte in meinen Ohren. Ich konnte sehen, wie sich der Schacht verengte, und ich sah auch, daß der Logiksektor richtig kalkuliert hatte. Mein Aufstieg verlangsamte sich. Ich versuchte zu schätzen, wie tief ich fallen würde.

»Zwanzig Meter!« gab der Logiksektor durch.

Für den Bruchteil einer Sekunde durch­zuckte mich ein Gedanke, der in meiner La­ge völlig absurd war.

Kannte das Extrahirn, das doch ein Teil meiner selbst war, eigentlich keine Angst vor dem Tode? Starb dieses künstlich akti­vierte Bewußtsein mit mir? Mir war uner­klärlich, wie dieses Organ in einem Augen­blick, in dem sich für mich ein unabwendba­res Ende abzeichnete, noch klar und ruhig, ja völlig emotionslos bleiben konnte.

Ich kam nicht dazu, den Gedanken zu En­de zu führen.

Mit einem Aufschrei stürzte ich in die Tiefe. Das Antigravfeld war schlagartig aus­gefallen.

*

Ich konnte mich nicht mehr erinnern, was mich bewußtlos gemacht hatte: die Angst vor dem Tod, die sich in dem schrecklichen Augenblick des Sturzes zu Gewißheit gestei­gert hatte, oder der Aufprall meines Körpers auf den verengten Wänden des Schachtes.

Das erste, was mir bewußt wurde, war ei­ne Tatsache, die ich kaum glauben konnte: ich lebte noch.

Mein Kopf schmerzte, es war dunkel um

mich herum. Außer meinem Atem und dem hämmernden Schlag meines Herzens konnte ich kein Geräusch hören. Jeder Muskel mei­nes Körpers schmerzte, aber ich konnte das Gefühl unterdrücken.

Ich lebte noch, alles andere war unwichtig geworden.

8.

Nur langsam fand ich in die Wirklichkeit zurück. Vorsichtig tastete ich nach meiner Umgebung. Metall wurde spürbar, Metall, das auf sonderbare Art und Weise gewellt war, Risse und Sprünge aufwies.

Die Wand des Antigravschachts fiel mir ein. Jetzt wußte ich auch, wo ich mich be­fand.

»Jedenfalls nicht beim Großen Galakti­schen Geist«, murmelte ich. Es tat gut, eine Stimme zu hören, auch wenn es nur die ei­gene war.

Spitze, harte Gegenstände bohrten sich in meinen Körper. Vorsichtig versuchte ich mich aus den Trümmern zu befreien.

»Das Magnetfeld existiert nicht mehr«, gab der Logiksektor durch.

Das erklärte, warum ich noch nicht zer­quetscht war. Offenbar war das Antigravfeld und das geheimnisvolle Magnetfeld, das von meinen Körper ausgegangen war, gleichzei­tig erloschen.

»Kein kausaler Zusammenhang!« infor­mierte mich der Logiksektor.

Es war mühsam, in dem Schrotthaufen zu suchen, aber nach einiger Zeit fand ich zwei Gegenstände, die ich jetzt sehr gut gebrau­chen konnte. Die Waffe steckte ich in den Gürtel, mit dem Handscheinwerfer leuchtete ich die Umgebung aus.

Ich steckte tatsächlich noch in dem Anti­gravschacht. Langsam leuchtete ich die Höhlung aus. Unter mir war nichts mehr zu sehen. Wenn es noch eine Öffnung gab, dann war sie längst von dem Schrott ver­stopft, den ich mitgeschleppt hatte. Mir konnte das nur recht sein.

Ich hatte ohnehin keine Chance, auf die­

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sem Weg den Schacht zu verlassen, und un­ten warteten mit Sicherheit einige Männer auf mich. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß es dort unten keine Schaulustigen geben sollte, die den mißhandelten Schacht bestau­nen wollten.

Über mir war der Schacht etwa fünfzig Meter hoch, dann zeichnete sich auch dort ab, daß die Höhe zusammengequetscht wor­den war. Vorsichtshalber ließ ich den Strahl des Scheinwerfers nicht bis zum Gipfel wan­dern. Ich hatte keine Lust, jemanden darauf aufmerksam zu machen, daß es im Innern des völlig zerstörten Antigravschachts noch einen Menschen gab, dem man unangeneh­me Fragen hätte stellen können.

Der Schacht war ein ausgesprochener Schnelläufer. Er sollte die Oberfläche und die Sohle des Gebäudes miteinander verbin­den und hatte nur sehr wenig. Ein- und Aus­stiegsöffnungen. Auf einer Strecke von fünf­zig Metern hätte ich normalerweise minde­stens ein halbes Dutzend Ausgänge finden müssen.

Ich begann zu überlegen. Daß ich nicht einfach in dem Schacht

bleiben und darauf warten konnte, daß man mich fand, lag auf der Hand. Die Fragen, die man mir in diesem Fall mit Sicherheit ge­stellt hätte, hätte ich niemals beantworten können. Also mußte ich ausbrechen.

Mit der Waffe in meinem Gürtel müßte es möglich sein, überlegte ich mir, die Wan­dung des Schachtes zu durchstoßen und in einen Nachbarraum zu gelangen. Mein Pro­blem bestand darin, daß ich nicht wissen konnte, wer oder was sich in diesem Raum aufhielt. In jedem Fall mußte ich auf unan­genehme Überraschungen gefaßt sein.

Ich zog die Waffe aus dem Gürtel und überprüfte die Ladung. Das Magazin war erst vor kurzer Zeit ausgetauscht worden. Ich verstellte den Mündungsquerschnitt so, daß der Strahl dünner, dafür aber breiter wurde. Dann gab ich den ersten Schuß auf die Wandung des Antigravschachts ab. Fun­ken sprühten mir entgegen, und nach kurzer Zeit liefen die ersten weißglühenden

Peter Terrid

Schmelzbäche an dem Metall entlang. Es wurde heiß in meiner Nähe.

Obwohl die Hitze immer stärker wurde, begann ich zufrieden zu lächeln. Die Wan­dung des Schachtes war nur dünn und aus miserablem Material gefertigt.

Langsam ließ ich den Strahl über die Wandung gleiten. Auf diese Weise entstand ein kreisförmiger Streifen verglühten Me­talls. Als sich der Strahl der Waffe dem Ausgangspunkt genähert hatte, bedurfte es nur noch eines kräftigen Fußtritts, um die so herausgeschnittene Platte in den Nachbar­raum poltern zu lassen.

Noch glühten die Ränder der Platte hell, sie reichten für kurze Zeit als Beleuchtung aus. Ich sah einen großen Raum, der bis zur Decke mit Kisten und Ballen gefüllt war. Offenbar ein Magazin, dachte ich.

Ich hatte keine Zeit abzuwarten. Über mir wurde allmählich Stimmengewirr laut, of­fenbar begann man damit, den Schacht ge­nauer zu untersuchen. Ich hechtete mich durch die Öffnung und rollte sofort ab.

Ich war weit genug geflogen, um vom ei­genen Schwung über die Platte hinweggetra­gen zu werden, deren Ränder in einem tücki­schen Rot schimmerten. Ich stand auf und schaltete den Handscheinwerfer ein.

Ich war tatsächlich in einem Magazin ge­landet. Die Beschriftungen auf den Waren­ballen verrieten es mir.

Ich stieß einen leisen Pfiff aus. Mirc war eine Welt, auf der Schiffe in­

stand gesetzt wurden und ihre Vorräte auf­füllen konnten. Dieser Aufgabe entspre­chend waren auch die Magazine konstruiert worden.

Ich begann mich aber zu fragen, was die Paradeuniformen des Zarlt­von-Zalit-Regiments in einem unterirdi­schen Magazin auf Mirc zu suchen hatten. Das Regiment diente als Leibwache des je­weiligen Zarlt und war wegen seiner prächti­gen und aufwendigen Uniformen allgemein bekannt. In diesem Regiment dienten nur solche Männer, die in der Gesellschaft von Zalit hohe und höchste Ämter bekleideten

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und über das nötige Geld verfügten. Der Beitritt zu dem Regiment mußte erkauft werden, denn diese Truppe besaß einen ein­zigartigen Vorzug – sie brauchte nicht zu befürchten, im Methankrieg eingesetzt zu werden.

Nichts konnte also unsinniger sein, als Uniformen für dieses Regiment ausgerech­net auf Mirc aufzubewahren.

»Planungsfehler?« überlegte ich halblaut. Es erschien mir wenig wahrscheinlich.

Entscheidungsfehler gab es oft, aber Fehler in der Planung waren eine ausgesprochene Seltenheit. Schließlich wurden diese Aufga­ben von Positroniken übernommen, die sich – bei richtiger Programmierung – nicht irren konnten.

Was hatten also die Uniformen auf Mirc zu suchen?

Ich stöberte weiter herum. Ich fand eine größere Menge Konserven,

genauer gesagt: Coelantheridenfilets von Travnor, eine auserlesene Delikatesse. Nach den Mengen zu schließen, die hier gestapelt waren, wurde in diesem Magazin minde­stens eine Monatsproduktion Travnors auf­bewahrt.

Die Uniformen und Vorräte ließen sich zur Not noch erklären, aber als ich dann auch noch bündelweise erlesene Pelze fand, dazu wertvollen Schmuck und seltene Schwingquarze, die nur auf Arkon sinnvoll verwendet werden konnten, hatte sich mein Verdacht zur Gewißheit verfestigt.

Auf Mirc trieb eine Bande ihr Unwesen, die die Notlage des Imperiums für eigene Zwecke zu mißbrauchen versuchte. Mirc war vielleicht nicht der einzige Depotplanet für diese Bande. Hier stapelten sie das, was sie durch ausgedehnte Schiebungen zusam­mengerafft hatten.

Unwillkürlich knirschte ich mit den Zäh­nen.

Das große Imperium der Arkoniden war in Gefahr, das war allgemein bekannt. Wie groß diese Gefahr tatsächlich war, wurde al­lerdings von der offiziellen Propaganda wohlweislich unterschlagen. Die Männer,

die sich in dieser Notlage bereichern woll­ten, mußten die Gefahr allerdings kennen – umso schlimmer erschien mir deren rück­sichtslose Habgier.

Früher hatte es Fälle dieser Art nur ab und zu gegeben, jetzt schienen Aktionen dieser Art zum Alltag zu gehören. Deutlicher ließ sich schwerlich zum Ausdruck bringen, wie zerrüttet das Imperium unter der Führung Orbanaschols geworden war.

Ich hatte keine Zeit, mich lange und gründlich umzusehen. Ich mußte verschwin­den, und das möglichst schnell und ohne Spuren zu hinterlassen, die mir gefährlich werden konnten.

Das Extrahirn meldete sich. »Die Personen, die dieses Magazin ange­

legt haben«, teilte es mir mit, »werden ver­mutlich höhere Ränge bekleiden. Daher werden sie dafür sorgen, daß sich die Poli­zei nicht intensiv mit dem Lager befassen kann. Das verbessert deine Chancen. Auf der anderen Seite müssen die Schieber aber dafür Sorge tragen, daß der neue Mitwisser ihrer Verbrechen schnellstmöglich ausge­schaltet wird. Diese Gefahrensteigerung für dich ist höher zu bewerten als die Minde­rung der Gefahr durch die erste Kalkulati­on.«

»Schwätzer!« kommentierte ich diese Aussage. Ich hatte Schwierigkeiten genug. Auf eine Gefahr mehr oder weniger kam es im Augenblick wirklich nicht mehr an.

Ich erreichte eine Tür und preßte ein Ohr gegen das Metall. Auf der anderen Seite schien es ruhig zu sein. Ich konnte weder Stimmen noch Fußtritte hören.

»Wachrobots bleiben meist an einer Stel­le!« gab der Logiksektor lakonisch durch.

Dieses Risiko mußte ich eingehen. Die Tür besaß kein Impulsschloß, nur einen ein­fachen Hebel und ein ebenso sinnreiches wie simples Magnetschloß, das von innen ohne Mühe zu öffnen war. Geräuschlos bewegte sich die Tür in den Angeln. Ich trat auf den Gang, er war leer.

Als ich versuchte, die Tür hinter mir zu­zuziehen, mußte ich feststellen, daß dies

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nicht möglich war. Von außen sah der Zu­gang zu dem geheimen Magazin wie ein ganz gewöhnliches Stück Wand aus. Wer nicht wußte, daß hier eine verborgene Tür war, würde sie niemals finden, es sei denn, der Zufall kam ihm zu Hilfe. Ich mußte se­hen, daß ich davonkam. Wenn man mich ne­ben der Geheimtür fand …

Meine Flucht erwies sich als schwieriger, als ich gedacht hatte.

Der Sturz in dem Antigravschacht war nicht ganz ohne Folgen geblieben, ich fühlte mich müde und zerschlagen. Zudem hatte ich seit Stunden weder Nahrung noch Flüs­sigkeit zu mir genommen. Meine Kleidung und mein Körper waren mit mikrofeinem Staub bedeckt, der sich durch Abklopfen nicht entfernen ließ. Da dieser Staub sehr schwer war, zehrte er zusätzlich an meinen Kräften.

Ich bemühte mich, ein freundliches Ge­sicht zu machen, als ich mich langsam ent­fernte. Laufen hätte mich verraten, ganz ab­gesehen davon, daß mir die Kraft dazu fehl­te. Ein gemütliches Schlendern wirkte un­auffälliger und schonte meine Reserven.

Wie ich erwartet hatte, stieß ich bereits nach kurzer Zeit auf Menschen.

Offenbar hatte der Strahlungsalarm den gesamten Stützpunkt in helle Aufregung versetzt. Männer rannten durcheinander, brüllten sich gegenseitig Befehle zu, die kei­ner zu befolgen schien. Das Durcheinander konnte kaum größer werden. Mir war es nur lieb, wenn die Besatzung sich kopflos zeig­te.

»Wo kommst du her?« herrschte mich ein Offizier an. Ich nahm Haltung an; nicht ganz korrekt, wie mir der mißmutige Gesichtaus­druck des Offiziers bewies.

»Von dort hinten«, antwortete ich und deutete mit der Hand über meine Schulter. »Instandsetzungsarbeiten.«

Der Offizier kniff die Augen zusammen. »Ohne Werkzeug?« »Davongeflogen! Ich weiß, es klingt un­

glaublich, aber es ist so.« Der Offizier nickte trübsinnig. Jetzt erst

Peter Terrid

erkannte ich, daß er seine Hosen mit einem Strick am Körper festgebunden hatte. Offen­bar hatte sich seine prächtige Gürtelschnalle aus Metall selbständig gemacht und ihn zu dieser unfreiwillig komischen Notlösung ge­zwungen.

»Und die Waffe?« Ich holte die Waffe aus dem Gürtel und

übergab sie ihm. »Die habe ich gefunden. Sie klebte an der

Wand. Auch das klingt unwahrscheinlich, aber …«

Der Offizier winkte ab. »Verschwinde!« knurrte er grimmig und

wandte sich an einen seiner Untergebenen. Auch dieser Mann hatte sich eines Strickes bedient, um seine Beinkleider befestigen zu können.

Ich machte mich davon. Überall konnte ich sehen, daß der Magnetismus Schäden hervorgerufen hatte. Ich sah verbogene Ge­stänge, geplatzte Leuchtkörper und zerbeulte Verkleidungen. Der Waffenarm eines Kampfrobots war zu einem korkenzieher­ähnlichen Gebilde verdrillt.

»Der Alarmzustand ist beendet!« hörte ich eine Stimme aus einem Lautsprecher quäken. »Alarmzustand beendet!«

Ich atmete erleichtert auf. Ich kannte den Menschenschlag, der Stützpunktplaneten wie Mirc bewohnte. Erfahrene Raumbesat­zungen hätten in jedem Fall weitergesucht, bis sie eine Erklärung für das Phänomen ge­funden hatten. Stützpunktbesatzungen waren an regelmäßige Essens- und Ruhezeiten ge­wöhnt. Die Männer hatten jetzt vermutlich nur ein Ziel – die nächste Verpflegungsstelle oder ein warmes Bett. Niemand schien auf mich zu achten. Die Männer trollten sich langsam und suchten ihre Quartiere auf. Aus den Wortfetzen, die an mein Ohr drangen, konnte ich entnehmen, daß sie sich mehr um die Qualität des Essens als um eine Aufklä­rung der Strahlengefahr kümmerten.

*

Das Wasser war eisig kalt und brannte auf

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der Haut. Ich zitterte ein wenig, aber ich ge­noß jeden Tropfen. Der Staub auf meinem Körper wurde fortgespült, fast glaubte ich fühlen zu können, wie ich mit jeder Minute leichter wurde. In der zweiten Kabine stand Fartuloon, dem es nicht viel besser als mir ergangen war. Nur um Haaresbreite war er einem Wachkommando entkommen, das ihn verhören wollte. Ich grinste, als ich ihn un­terdrückt fluchen und schimpfen hörte. Im­merhin, auch der Bauchaufschneider war oh­ne größere Blessuren aus diesem Abenteuer hervorgegangen.

Ein weites, flauschiges Tuch um die Hüf­ten geschlungen, kehrte ich in den Wohn­raum zurück. In einer Ecke stand Pysther. Zergan und Kastyr hatten es sich in den Ses­seln bequem gemacht. Laut schnaufend ver­ließ Fartuloon die Hygienezelle.

»Habt ihr wenigstens eine Erklärung für dieses Phänomen?« wollte Zergan wissen.

Fartuloon zuckte mit den Schultern. »Der Schwarzplanet!« gab das Extrahirn

durch. Ich gab die Information an den Bauchaufschneider weiter.

»Das wäre möglich«, brummte Fartuloon. Nur mit Schaudern dachte ich an die Dun­

kelwelt zurück. Was wir dort erlebt hatten, hätte als Erklärung für noch absonderlichere Erscheinungen ausgereicht.

»Hm«, machte Kastyr und musterte mich besorgt. »Glaubt ihr, daß es wieder zu sol­chen … Anfällen kommt?«

Diesmal war ich es, der eine Geste der Ratlosigkeit machte. Das Extrahirn schwieg zu dieser Frage.

»Ich weiß es nicht«, gab ich zu. »In jedem Fall dürfen wir deshalb unser Vorhaben nicht aufgeben.«

»Richtig«, stellte Fartuloon fest. Er hatte sich mittlerweile wieder angezogen. »Hast du noch deinen Gewinn?«

Auf diese Frage hatte ich gewartet. Erst nachdem ich unsere Unterkunft wieder er­reicht hatte, war mir das Geld eingefallen. Ich trug es nicht mehr bei mir, wahrschein­lich lag es irgendwo auf dem Grund des An­tigravschachts, der mir fast zum Verhängnis

geworden wäre. Ich schüttelte den Kopf, und Fartuloon

gab ein unwilliges Brummen von sich. An­schließend machte er sich an die reizvolle Aufgabe, eine Mahlzeit zu vertilgen, die für mehrere Männer ausgereicht hätte. Zu sei­nem Glück waren Zergan und Kastyr mäßi­ge Esser, mir selbst hatten die Ereignisse der letzten Stunden den Appetit verschlagen. Fartuloon hatte es zudem fertiggebracht, Pysther als normalen Bewohner unserer Un­terkunft in die Listen zu schmuggeln. Eines stand fest, verhungern mußten wir nicht.

»Vielleicht …« überlegte ich halblaut. »Du kannst nicht noch einmal einen der­

artigen Gewinn machen«, warnte mich der Logiksektor. »Zwei Riesengewinne in so kurzer Zeit sind zu auffällig!«

Gegen dieses Argument gab es nichts ein­zuwenden. Wir mußten also eine andere Möglichkeit finden, den König der Deser­teure zu bezahlen. Oder er mußte uns Kredit gewähren.

»Ein gehetzter Kristallprinz ist keine ak­zeptable Sicherheit«, ernüchterte mich das Extrahirn.

»Man wird sehen«, verkündete ich zuver­sichtlich. »Was habt ihr in der Zwischenzeit erreicht?«

Kastyr grinste mich vergnügt an, dann warf er einen Beutel auf den Tisch. Es klang nach sehr viel Geld.

»Das müßte genügen«, behauptete er ver­gnügt. »Man glaubt nicht, wieviele Men­schen Pysthers Qualitäten unterschätzen. Wir haben einen Wettkampf zwischen Pysther und einem Serienrobot zuwege ge­bracht und Wetten abgeschlossen.«

»Ich verliere nie!« behauptete der Robot. Das Bad im Suppentopf war seiner Stimme nicht sehr gut bekommen, sie klang undeut­lich und verschwommen. Trotzdem, war ein Unterton von Ärger nicht zu überhören. Ich fragte mich, wie unsere beiden Freunde es bewerkstelligt hatten, den Robot umzubau­en. Kampfmaschinen hatten üblicherweise keinen Stimmodulator, mit dem Gemütszu­stände angedeutet werden konnten.

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»Wir können also zahlen«, stellte Fartu­loon fest. Seine Stimme klang undeutlich, weil er dabei seine Mahlzeit nicht unter­brach. »Übrigens, wenn die Soldaten des Großen Imperiums überall einen derartigen Fraß vorgesetzt bekommen, wundert es mich nicht, daß sie gegen die Maahks immer wie­der Niederlagen einstecken müssen. Dieses Essen ist wehrkraftzersetzend!«

Ungeachtet der so bekundeten Ablehnung aß Fartuloon weiter, als sei er halb verhun­gert.

»Geld haben wir. Steht unserer Abreise noch anderes im Wege?«

Kastyr leckte sich die Lippen. Er warf einen scheelen Blick auf Pysther.

»Ja …«, sagte er gedehnt. Er warf Zergan einen hilfesuchenden Blick zu, der ohne Er­widerung blieb. »Da gibt es vielleicht noch ein Problem. Um es etwas zu umschreiben … ein Mitglied unseres Teams hat sich in gewisse Dinge verstrickt, die seine Abreise in Frage stellen.«

Mit dieser Auskunft war mir nicht gehol­fen.

»Werde bitte etwas deutlicher«, forderte ich Kastyr auf. »Geldschwierigkeiten? Ein Disziplinarverfahren? Rede schon!«

Kastyr schluckte heftig. »Es handelt sich um etwas wie eine …«

Das Wort schien nicht über seine Lippen zu wollen.

»Liebesgeschichte«, ergänzte Fartuloon. »Wenn Männer sich wie Idioten aufführen und hilflos stammeln, ist immer ein Weib im Spiel!«

Kastyr lief rot an. Man hätte ihn ohne Schwierigkeiten als galaktisches Leuchtfeu­er benutzen können.

»Wie heißt die Dame?« bohrte Fartuloon. Um Zergans Lippen spielte ein verlegenes Lächeln.

»Es handelt sich nicht um eine Dame«, stotterte Kastyr. »Vielmehr …«

Er brach wieder ab. Fartuloon machte das freundlichste Gesicht, zu dem er fähig war – er sah Kastyr salbungsvoll an.

»Mir soll es egal sein, mit wem du dein

Peter Terrid

Lager teilst, Junge. Aber rede endlich, wo ist das Problem. Wir werden dir helfen.«

»Wieso mir?« empörte sich Kastyr. »Es geht überhaupt nicht um mich!«

Fartuloon schlug die Hände zusammen und sank in seinem Sessel zurück.

»Um wem sonst? Zergan? Nein? Lothor, du etwa? Auch nicht? Ich bin auch nicht be­troffen. Ja, wer bei allen Geistern der Gala­xis … es ist doch keiner mehr …«

Fartuloons Unterkiefer sank herab. Fast synchron drehen sich unserer beiden Köpfe.

»Doch nicht etwa Pysther …?« Kastyr nickte bekümmert.

9.

»Das darf doch nicht wahr sein«, heulte der Bauchaufschneider. »Ein verliebter Ro­boter? Seid ihr übergeschnappt?«

In der Ecke vollführte Pysther Bewegun­gen, die in der langen Geschichte des Großen Imperiums noch nie von einem Ro­bot ausgeführt worden waren. Er wand sich förmlich vor Verlegenheit. Ich wartete fast darauf, daß er rot anlief.

»Weißt du, wir haben Pysther nach eini­gen schweren Verwundungen in eigener Re­gie repariert, und dabei müssen uns wohl ei­nige kleine Fehler unterlaufen sein. Er fühlt sich nicht mehr wie ein Robot, er hält sich für ein normales Lebewesen, und jetzt ist er eben verliebt.«

»In den Zentralrechner vielleicht?« höhn­te Fartuloon. Pysther ließ ein warnendes Schnauben hören. »Sollen wir die große Po­sitronik mitnehmen, damit Pysther seiner Leidenschaft frönen kann?«

»Nein, nein«, wehrte Kastyr ab. »Es han­delt sich nicht um einen anderen Robot, son­dern um einen Mann.«

Diese Eröffnung verschlug dem Bauch­aufschneider endgültig die Sprache. Fas­sungslos sank er in seinem Sessel zurück. Auch mir fehlten die Worte, und es wunder­te mich nicht, daß selbst mein Extrahirn vor diesem Problem kapitulierte.

»Pysther ist nämlich eine Sie, jedenfalls

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das künstliche Bewußtsein, das wir zufällig geschaffen haben.«

»Auch das noch!« stöhnte Fartuloon auf. »Bekomme ich jetzt endlich zu hören, wer der Glückliche ist?«

Kastyr zuckte mit den Schultern. »Sie will uns dazu nichts sagen«, eröffne­

te er uns. »Sie hat nur gesagt, daß sie lieber auf Mirc zurückbleiben möchte!«

Fartuloon schüttelte fassungslos den Kopf, und mir erging es nicht viel besser. Schwierigkeiten hatten wir wahrlich genug, und jetzt wurde uns auch noch ein liebes­kranker Robot serviert.

»Wir beide würden Pysther natürlich lie­ber mitnehmen«, mischte sich Zergan ein. »Vielleicht könnten wir auch zu sechst flie­hen, wenn Pysthers Freund damit einver­standen ist. Man könnte ihn ja wenigstens fragen!«

Ich versuchte mir gerade vorzustellen, was ich als normaler Arkonide sagen würde, wenn man mich aufforderte, mich einem Trupp von Deserteuren anzuschließen, und das hauptsächlich, weil ein durchgedrehter Kampfrobot in mich verliebt sei. Ich konnte es nicht, diese Aufgabe überstieg meine Vorstellungskraft.

Nur eines stand für mich fest – wenn sich für das Problem Pysther nicht bald eine Lö­sung fand, würde mich nichts mehr davor retten, in der gesamten bewohnten Galaxis als Narr zu gelten.

Ein Kristallprinz, der auf der Flucht einen liebestollen, noch dazu weiblichen Robot mitschleppte … unvorstellbar.

*

»Nimm dich zusammen, Pysther!« Kastyr beschwor seinen metallenen

Freund, aber Pysther reagierte nicht. Zu al­lem Überfluß war er – nein, vielmehr sie – auch noch schwermütig geworden. Pysther bewegte sich langsam und schleppend. Ich wartete auf den Augenblick, an dem er an­fangen würde, Liebesgedichte zu verfassen. Auszuschließen war es nicht. Ich konnte nur

hoffen, daß es nicht dazu kam – es würde mich vollends um den Verstand bringen.

Wir standen vor Kester Hehls Büro, mit­samt unserem Gepäck. Uns hielt nichts mehr auf Mirc, wir waren reisefertig.

Ich betätigte den Signalgeber. »Kommt herein!« hörten wir Hehl rufen. Der König der Deserteure stand im Hin­

tergrund des Raumes und blätterte in alten Akten, aus denen eine beachtliche Staubwol­ke hervorquoll.

»Aha«, sagte er und musterte uns ein­dringlich. »Da seid ihr ja. Habt ihr das Geld?«

Wortlos griff Kastyr zum Gürtel und hak­te den Beutel mit dem Geld los. Der Beutel landete auf dem Tisch, und Kester Hehls fei­stes Gesicht nahm einen freundlicheren Aus­druck an. Genüßlich leckte er sich die dicken Lippen, als er den Beutel öffnete und nachzuzählen begann. Er zählte langsam und umständlich. Als er fertig war, verstaute er das Geld wieder in dem Beutel und befestig­te ihn an seinem Gürtel.

»Dieser Punkt wäre erledigt. Ihr habt be­zahlt. Wann wollt ihr starten?«

»Möglichst bald«, versetzte Fartuloon. »Wir fühlen uns auf Mirc nicht sonderlich wohl!«

»Das kann ich verstehen«, murmelte Hehl und grinste. Sein Gesicht schimmerte von Fett.

»Vorsicht!« Der Impuls des Extrahirns kam zu spät.

*

Diesmal überfiel uns das Phänomen mit größter Schnelligkeit, es gab keine Vorberei­tungszeit. Ich hörte Zergan und Kastyr ge­quält aufstöhnen, eine unsichtbare Hand preßte sie gegen die Wände.

Diesmal wirkte der Magneteffekt anders, er stieß alle Metallgegenstände von uns ab, während Fartuloon und ich förmlich vonein­ander angezogen wurden. Kester Hehl kreischte in höchstem Falsett auf, Pysther begann zu wimmern.

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»Hehl ist ein Robot!« Es war nicht zu übersehen. Pysther wurde

von dem Magnetismus förmlich von uns wegkatapultiert, und in seiner Bewegungs­richtung stand Kester Hehl. Der massige Körper des Königs der Deserteure bewegte sich mit einer Geschwindigkeit, die kein le­bendes Wesen erreichen konnte. Aber auch diese Schnelligkeit nützte ihm nichts. Wie ein Geschoß prallte Pysther auf Hehl.

Hehl kreischte noch einmal auf. Dann platzte er auseinander. Metallteile

wirbelten durch die Luft, seine Gliedmaßen wurden kreischend aus den Gelenken geris­sen. Die künstliche Haut platzte an vielen Stellen vom Körper und legte die maschinel­len Eingeweide des falschen Königs der De­serteure frei.

Fartuloon und ich waren fast unfähig, uns zu rühren.

Pysther war offenbar aus besserem Mate­rial hergestellt worden. Obwohl der Robot mit aller Gewalt gegen eine Wand gepreßt wurde und dabei Einzelteile von Kester Hehl zwischen sich und der Wand förmlich zer­malmte, gab keines seiner Einzelteile nach.

»Nein, nein!« hörte ich Pysther wimmern. »Kester!!«

Jetzt begriff ich, wie es zu dem Fehlver­halten des Robots gekommen war. Er hatte Hehls robotische Natur geahnt, deshalb hatte er sich in den König der Deserteure verliebt.

»Helft uns!« keuchte Kastyr. Der junge Mann bekam kaum noch Luft. Er stand neben Zergan an der Wand, die

Hände vor den Magen gepreßt. Der Magne­tismus drückte die metallene Schnalle seines Gürtels gegen seine Magengrube und trieb ihm die Luft aus dem Leib. Er war unfähig, sich zu rühren, auch seine Waffe hing wie festgeklebt an der Wand.

Lediglich Zergan konnte noch eine Hand bewegen, die andere wurde von seiner Uhr an der Wand festgehalten. Wieder hörte ich das unheilverkündende Ächzen. Die Gefahr bestand, daß das Gebäude über unseren Köpfen barst und uns unter seinen Trüm­mern begrub.

Peter Terrid

»Unternimm etwas, Sohn!« ächzte Fartu­loon. Seine Gürtelschlaufe löste sich, fegte gegen die Wand und schlug ein handteller­großes Loch hinein. Meine Waffe hatte ich längst verloren. Kein Lebewesen hätte die Kraft besessen, die Waffe festzuhalten.

»Du hast nicht viel Zeit!« drängte auch das Extrahirn. »Die Orter sind vorgewarnt, sie werden die Strahlungsquelle schneller orten als beim ersten Mal!«

Langsam setzte ich mich in Bewegung. Fartuloon mußte notgedrungen jeden meiner Schritte mitmachen. Wir klebten aneinander, und nichts schien diesen Zustand ändern zu können.

Ich dachte daran, wie lange es gedauert hatte, bis beim ersten Anfall dieser Art die Wirkung sich abgeschwächt hatte. Diese Zeit hatten wir jetzt nicht. Wir hatten nur den einen Vorteil, diesmal nicht mit Zent­nerlasten auf unseren Körper herumlaufen zu müssen.

Die Tür gab von selbst nach. Die Metall­fassung krachte aus dem Rahmen und ent­fernte sich. Ich sah, wie sie über die Straße fegte und in der Dunkelheit verschwand. Ein heftiger Aufprall und ein sich anschließen-der Splitterregen verrieten, daß die Tür in ir­gendein Fenster gekracht war.

Ein Gleiter kam näher. Der Fahrer saß schreckensbleich auf seinem Sitz, neben ihm eine ältere Frau, die gellend schrie. Unwi­derstehlich wurde der Gleiter aus dem Kurs gedrängt, er verließ die Straße und jagte in ein Gebüsch. Erdbrocken flogen durch die Luft, und wenig später war Rauch zu sehen. Ich sah, wie der Mann offenbar unverletzt das Gebüsch verließ und auf uns zurennen wollte, aber er kam nicht weit. Er schrie laut, als ihn der Magnetismus zurückdräng­te.

Die Straßenlaternen verbogen sich, als wir sie passierten. Wir zogen eine Spur durch die Stadt, die man mit verbundenen Augen hätte finden können.

»Wir begleiten euch!« hörte ich eine Stimme rufen. Sie kam aus weiter Entfer­nung und gehörte Zergan. Ich atmete er­

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leichtert auf. Die beiden Männer konnten uns wirklich helfen, wenn es kritisch wurde.

Es sah ganz danach aus, als würde es sehr bald kritisch werden.

Ich hörte Stimmen aus der Luft. Offenbar war auch ein Fahrzeug, das über unseren Köpfen geschwebt hatte, von dem Magnetis­mus abgestoßen worden und hatte seinen Kurs geändert.

»Schickt Truppen her«, hörte ich einen Mann rufen. »Aber schnell, sonst werde ich euch zeigen, wer hier zu befehlen hat!«

Der Stimme und dem Tonfall nach zu schließen, handelte es sich um einen höhe­ren Offizier. Seinen Befehlen würde man selbstverständlich gehorchen, es konnte also nicht mehr viel Zeit vergehen, bis die ersten Soldaten hier eintreffen würden. Wahr­scheinlich …

Ich brauchte die Überlegung nicht zu En­de zu führen, der Offizier nahm sie mir ab.

»Bringt schweres Gerät mit«, hörte ich ihn befehlen. »Gepanzertes Fahrzeug mit Kanonen. Beeilt euch. Ich bleibe hier und beobachte!«

Der Mann hatte Mut, das war nicht zu be­streiten. Ich versuchte mir vorzustellen, wie ich mich fühlen würde in einem Gleiter, der von unerklärbaren Kräften geschoben und gezerrt wurde und nicht mehr korrekt zu steuern war, weil eine unbekannte Kraft auf ihn einwirkte. Daß der Mann dieses Risiko selbst einging und nicht seine Untergebenen vorschickte, sprach für seinen Mut und seine Qualitäten als Offizier. Wenn er sich ent­schlossen auf unsere Fersen heftete, hatten wir kaum eine Chance.

Mehr stolpernd als gehend bewegten wir uns die Straße entlang. Um uns herum schwoll der Lärm an. Scheiben gingen zu Bruch, als sich die metallenen Fassungen verbogen, Leuchtkörper explodierten. Wir hörten die Schreie, mit denen die Anwohner die Verwüstungen in ihren -Häusern kom­mentierten. Ich konnte mir annähernd vor­stellen, wie es in den Wohnungen aussah – alles, was Metall enthielt, wurde gegen die Wände gepreßt und zerbrach dort. Zum

Glück waren wir einigermaßen weit von den Häusern entfernt. Ich konnte die Möglich­keit nicht ausschließen, daß wir sonst einige Gebäude zum Einsturz gebracht hätten.

»Beeilt euch!« hörte ich den Offizier schreien.

Die Stimme war leiser geworden, offen­bar hatte sich der Mann von uns entfernt. Was für Freunde wir gefunden hatten, er­wies sich wenig später. Einer der beiden Männer, Kastyr oder Zergan, hatte den Glei­ter entdeckt und holte ihn mit einem wohl­gezielten Schuß herunter. Ich hörte den Offi­zier erneut schreien, dann brachte er sich mit lautem Fluchen in Sicherheit. Hinter uns stob eine Feuersäule in die Höhe, der Gleiter war in Flammen aufgegangen.

»Es gibt nur eine Möglichkeit«, keuchte Fartuloon. »Wir müssen in die Unterwelt ausweichen. Hier oben sind wir unge­schützt!«

Er hatte Recht. In wenigen Stunden würde es hell werden, dann waren wir die besten Zielscheiben, die sich nur denken ließen. Auf der anderen Seite war zu bedenken, daß der verhängnisvolle Magnetismus unter der Erde weit bedrohlicher werden konnte. Wenn die ungeheure Kraft es fertigbrachte, einen massiven Gleiter mit einer starken Maschine vom Kurs abzubringen, konnte sie sehr wohl auch unterirdische Gänge ausein­anderbersten lassen.

»Einwand teilweise falsch«, gab der Lo­giksektor durch. »Wenn die Gänge viel Me­tall enthalten, könnt ihr sie zum Einsturz bringen. Auf der anderen Seite wird aber ge­rade der Magnetismus euch die Trümmer vom Leibe halten!«

Das war nur zum Teil richtig, und daher half dieser Hinweis uns nur wenig. Es gab keine andere Wahl, wir mußten erneut den Gang in die Tiefe antreten.

»Zergan, Kastyr!« schrie ich. »Wir ver­ziehen uns!«

»Verstanden!« schrie ich die Antwort. »Wir kommen nach!«

Eigentlich wäre es unvorsichtig von mir gewesen, die Namen unserer Freunde so laut

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herauszuposaunen. Immerhin konnten uns die Anwohner hören. Aber mir war längst klar, daß wir keine andere Möglichkeit mehr hatten. Wir mußten Mirc auf dem schnell­sten Wege verlassen, andernfalls waren wir verloren. Das gleiche galt für Kastyr und Zergan. Pysther würde man mit Sicherheit ebenfalls nicht verschonen. Ein dergestalt fehlgeschalteter Robot mußte normalen Ar­koniden beängstigend erscheinen. Man wür­de ihn verschrotten.

Wir erreichten einen Kanaldeckel. Fartu­loon seufzte erleichtert auf.

»Dort hinein?« fragte er. Ich nickte, und das Extrahirn schwieg, also war diese Ent­scheidung richtig. Einmal mehr erwies sich das Organ als Lebensretter. Selbst dann, wenn ich die Nerven verlor oder nicht mehr in der Lage war, einen klaren Gedanken zu fassen, blieb das Produkt der ARK SUM­MIA ruhig, gelassen und vor allem eiskalt logisch.

Es ächzte bedrohlich, als wir in die Tiefe hinabstiegen. Der metallene Deckel hatte sich längst aufgelöst und lag, in Teile zer­trümmert, auf dem Boden des Schachtes. Ei­ne Dunstwolke schlug uns entgegen und nahm mir fast den Atem. Fartuloon verzog angewidert das Gesicht.

Uns blieb keine andere Wahl, wir drangen in die Unterwelt von Mirc ein, eine dunkle, von schlechten Gerüchen erfüllte Welt, aber zur Zeit der sicherste Platz, den wir finden konnten. Wir hatten nicht einmal einen klei­nen Scheinwerfer bei uns, wir mußten uns also stolpernd und tastend einen Weg durch die Finsternis suchen.

Schlimmer noch als die undurchdringliche Dunkelheit und der widerliche Geruch war das Geräusch, das uns umgab. Immer wieder hörten wir das Ächzen und Stöhnen überla­steten Materials. Wir konnten nur hoffen, daß die Wände nicht barsten und uns unter Trümmern begruben.

»Lothor? Premcest?« Das waren die Stimmen von Zergan und

Kastyr. Sie klangen erstaunlich nahe. »Wir sind hier! Könnt ihr uns hören?«

Peter Terrid

»Keine Sorge, wir finden euch. Metall ha­ben wir nicht mehr bei uns. Wartet, bis wir kommen.«

Trotz unserer mißlichen Lage begann ich zu lächeln. Es war ein gutes Gefühl, Freunde zu haben, die uns auch jetzt nicht im Stich ließen. Wenig später hörte ich hastige Atem­züge.

»Ihr habt uns gefunden, Freunde!« sagte ich halblaut. Ich spürte, wie mich eine Hand berührte.

»Endlich!« seufzte Zergan. Ich erkannte ihn an der Stimme. »Wie geht es euch?«

»Lausig!« kommentierte Fartuloon. »Hört ihr nichts?«

Für kurze Zeit wurde es still. Deutlich wa­ren die Geräusche zu hören, der Magnetis­mus griff nach dem Metall in der Nähe und tobte seine Kräfte daran aus.

»Es wird schon gutgehen«, meinte Kastyr. »Was nun?«

»Wir müssen abwarten, bis sich die Wir­kung dieses Phänomens legt, dann suchen wir unsere Quartiere auf!«

»Wo habt ihr Pysther gelassen?« Ich glaubte in der Stimme des Bauchauf­

schneiders fast so etwas wie echte Besorgnis spüren zu können.

»Wir haben ihr befohlen, in die Wohnung zurückzukehren und dort auf uns zu war­ten«, gab Kastyr Auskunft. »Sie machte einen ziemlich niedergeschlagenen Ein­druck, offenbar ist ihr Hehls unerwartetes Ende sehr nahe gegangen.«

Ein Glück, daß uns niemand hören konn­te. Plötzlich kam mir der Gedanke, daß dies vielleicht unsere Rettung sein konnte. Män­ner, die sich mit solcher Ernsthaftigkeit über das Liebes- und Gefühlsleben eines schrott­reifen Kampfrobots unterhielten, konnten geistig nicht in Ordnung sein.

»Man kann Pysther überprüfen und fest­stellen, was mit ihr nicht in Ordnung ist!«

Demnach hatte sich auch der Logiksektor damit abgefunden, daß Pysther ein verliebter weiblicher Robot war. Nicht einmal auf das Extrahirn war mehr Verlaß.

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47 König der Deserteure

*

Zwei Stunden hatten wir im Kanalsystem Mircs verbracht. Mir war mehrfach übel ge­worden, und auch Fartuloon hatte sein aus­gedehntes Abendessen der Kanalisation an­vertrauen müssen.

Als wir in einem ruhigen Winkel der Stadt an die Oberfläche zurückkehrten, wa­ren wir alle reichlich blaß und sehr ver­schmutzt, zudem stanken unsere Kleider er­bärmlich.

»Zwei Bäder innerhalb weniger Stun­den?« fragte Zergan mißtrauisch. »Ist das nicht gesundheitsschädlich? Einmal pro Mo­nat sollte doch reichen.«

»Wenn kaltes Wasser ungesund wäre, gä­be es keine alten Seeleute«, zitierte Fartu­loon. Es war eine Weisheit, von der ich mir nicht vorstellen konnte, daß sie arkonidi­schen Ursprungs sein konnte. Hatte es je­mals eine Zeit gegeben, in der Arkoniden mit primitiven Waffen aufeinander losge­gangen waren? Waren sie selbst einmal ebenso primitiv gewesen wie einige barbari­sche Völker, die ich bereits kennengelernt hatte? Ich beschloß, diese Frage später ein­mal genauer zu untersuchen. In den Archi­ven Arkons lagen sicherlich genug Materia­lien über die Frühzeit und die Vorgeschichte des Großen Imperiums. Später, wenn ich erst Arkon und meine Ziele erreicht hatte, konnte ich mich damit befassen – wenn es dieses Später je für mich geben würde.

Vorsichtig bewegten wir uns auf die Un­terkünfte zu. Wir mußten vermeiden, jeman­dem zu begegnen. Der Gestank, den unsere Kleider verströmten, konnte niemand igno­rieren. Man würde uns anhalten und uns Fra­gen stellen, und daran war uns aus nahelie­genden Gründen nicht gelegen.

Wir hatten Glück, wir erreichten unser Quartier, ohne behelligt zu werden. Zu ver­danken hatten wir diese Tatsache hauptsäch­lich dem Umstand, daß ein tobsüchtig ge­wordener Offizier fast die Hälfte der Besat­zung Mircs dazu aufgeboten hatte, nach dem

Dämon zu suchen, der sein Fahrzeug zer­stört hatte. Ab und zu wehte uns der Abend­wind den fernen Klang von Detonationen herüber.

Fartuloon grinste. »Wahrscheinlich rücken sie sich in ihrem

Übereifer gegenseitig auf den Pelz. Heiliges Arkon, was ist aus dir geworden?«

Kastyr kicherte in sich hinein. Mit einer Handbewegung öffnete er die

Tür zu unserer Wohnung. Merkwürdiger­weise war die Beleuchtung eingeschaltet.

»Zurück!« warnte der Logiksektor. »Eine Falle!«

Mir fiel auf, daß das Extrahirn in letzter Zeit seine Warnungen stets zu spät äußerte. Auch in diesem Fall. Ich spürte etwas Har­tes, das gegen meine Rippen gepreßt wurde, und es bedurfte nicht eines Logiksektors, um herauszufinden, daß es sich dabei um die Mündung einer Waffe handelte.

»Vorwärts!« herrschte mich eine Stimme an, die mir verdächtig bekannt erschien. »In die Wohnung!«

Der Anblick, der sich uns bot, war er­schreckend. Alles war durchsucht worden, jeder Schrank, jede Schublade. Unsere weni­gen Habseligkeiten lagen verstreut auf dem Boden. Unsere Gegner hatten nicht einmal gezögert, das Video-Gerät aufzubrechen, das zur Standardausrüstung der Zimmer gehörte.

»So«, sagte die Stimme. »Und jetzt erwar­te ich eine Erklärung!«

Ich ließ mich langsam in einem Sessel nieder. Ich war sehr viel gelaufen an diesem Tag, war stundenlang in engen Röhren auf allen vieren herumgekrochen – es tat wohl, einmal die Beine ausstrecken zu können.

Als ich den Sprecher ansah, wußte ich auch, was ihn hergeführt hatte.

Ich grinste ihn an. »Sie kommen etwas zu spät«, bemerkte

ich spöttisch. »Wir haben kein Geld mehr. Kester Hehl hat bereits alles kassiert.«

Der Mann, der im Untergrund von Mirc eine geheime Spielbank betrieb, machte eine wegwerfende Handbewegung.

»Das weiß ich bereits«, sagte er scharf.

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»Ich komme gerade von Kester Hehl, genau-er gesagt von dem, was Sie davon übrigge­lassen haben. Warum haben Sie Hehl zer­stört?«

Pysthers Kopf, der in einem Winkel des Wohnraums lag und zur Decke starrte, seufzte vernehmlich.

»Warum haben Sie das getan?« schluchz­te der Robot. Der Bewaffnete sah mich ver­dutzt an, dann faßte er sich wieder.

»Also, ich höre!« »Es war ein Unfall«, berichtete ich.

»Pysther ist versehentlich gegen Hehl ge­rannt, und dabei wurde Ihr robotischer Freund leider zerstört.«

»Das ist nicht wahr!« begehrte Pysther auf. »Niemals könnte ich Kester ein Leid zu­fügen. Du lügst!«

Mein Gegner hatte einige Mühe, den Dia­log zu verdauen. Nicht nur, daß ein Robot einen Arkoniden einfach duzte, er bezichtig­te ihn zudem der Lüge, und das in einem Tonfall, der bei einem Robot nichts zu su­chen hatte.

»Hehl war ein sehr wichtiger Mann in un­serer Organisation. Er nannte sich nicht oh­ne Grund den König der Deserteure.«

»Das glaube ich gern«, antwortete ich. Ich mußte bei der Rolle des jungen Mann­schaftsdienstgrad bleiben, also hatte ich jetzt verschüchtert und verängstigt zu sein. Dies darzustellen fiel mir nicht schwer, meine la­tenten Talente wurden durch die Mündung des entsicherten Strahlers, die genau auf meinen Magen zeigte, lebhaft gefördert.

»Wir wollten Hehl um Hilfe bitten, wa­rum also hätten wir ihn zerstören sollen?«

Der Bewaffnete überging Fartuloons Ein­wand. Zwei schweigsame, ebenfalls bewaff­nete Gestalten hielten Kastyr und Zergan in Schach. Die Männer verstanden ihr Hand­werk, sie blieben so weit von Kastyr und Zergan entfernt, daß diese selbst mit wahren Raubtiersätzen keine Chance hatten, die Wächter anzugreifen.

Der Spielbankbesitzer musterte mich miß­trauisch.

»Warum wolltet ihr ausgerechnet nach

Peter Terrid

Arkon?« fragte er lauernd. »Vielleicht, um der POGIM Hinweise geben zu können?«

Wir brauchten uns nicht anzustrengen, um bei der Nennung der POGIM ein wenig blaß zu werden. Wer die Geheimpolizei Orbana­schols kannte, wußte, was sich hinter diesem Kürzel an Schrecken verbarg.

»Nein, nein«, wehrte ich ab. »Bestimmt nicht. Wir wollen mit der POGIM nichts zu tun haben, oder …«

Der Bewaffnete beantwortete meine un­ausgesprochene Frage sofort.

»Wir gehören nicht zur POGIM, das wer­det ihr noch merken. Könnt ihr Hehl wenig­stens ersetzen?«

»Wie ersetzen?« fragte ich erstaunt zu­rück. »Soll einer von uns seine Rolle über­nehmen, oder wie stellen Sie sich das vor?«

»Ich spreche von bezahlen«, entgegnete er mir. »Kester Hehl war eine Spezialanferti­gung und daher sehr teuer. Wenn ihr uns den materiellen Schaden ersetzt, können wir den Vorfall vielleicht vergessen.«

»Hören Sie«, bat ich. »Ich weiß nicht, was so ein Robot kostet, aber er wird sicherlich sehr teuer gewesen sein. Wir haben kein Geld mehr. Alles, was wir besaßen, haben wir an Hehl zahlen müssen. Können wir nicht vielleicht zurücktreten von dem Ge­schäft – vielleicht reicht das, was wir Hehl bezahlt haben, um den Schaden wiedergutz­umachen?«

Der Bewaffnete lachte auf. »Nicht einmal annähernd«, erklärte er.

»So werden wir uns nicht einig werden. Habt ihr Verwandte, die für euch zahlen könnten?«

Ich schüttelte den Kopf, desgleichen Far­tuloon und Zergan. Kastyr grinste spöttisch.

»Ich habe eine Tante, aber die ist so gei­zig, da würde sich selbst Orbanaschol die Zähne ausbeißen. Bei der alten Dame ist nichts zu holen.«

Der Bewaffnete strich sich über das Kinn. Langsam sah die Angelegenheit nicht mehr ganz so bedrohlich aus. Offenbar waren un­sere Gegner hauptsächlich an Geld interes­siert. Mich überkam ein wahnwitziger Ein­

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fall. »Vielleicht können Sie uns ein paar hun­

dert Chronners leihen?« »Bitte?« Das Gesicht des Mannes drückte Fas­

sungslosigkeit aus. »Dann könnte ich in Ihrer Spielbank noch

einmal mein Glück versuchen. Vielleicht reicht es dann aus?«

»Narr!« schimpfte das Extrahirn. »Wozu ihn zusätzlich reizen?«

Ich kam gerade noch schnell genug aus meinem Sessel, um einem wuchtigen Fuß­tritt zu entgehen.

»Bitte nicht schlagen«, winselte ich. »Ich meinte nur …«

»Der ist tatsächlich so blöde«, kommen­tierte einer der beiden Leibwächter. »Sollen wir die Kerle ein wenig bearbeiten?«

Der Anführer wehrte ab. »Das bringt uns nicht weiter. Aber wir

werden uns schon holen, was uns zusteht!« Rasch griff er an den Gürtel. Ich versuch­

te auszuweichen und wurde noch in der Be­wegung getroffen. Haltlos brach ich zusam­men, dann hörte ich die Paralysatorschüsse, mit denen Fartuloon und die anderen außer Gefecht gesetzt wurden.

»Ruft ein paar Männer und transportiert sie ab«, hörte ich den Anführer kommandie­ren.

»Und was soll mit dem Robot werden?« Ich konnte nichts sehen, da ich auf dem

Bauch lag, aber ich spürte, daß der Mann nachdachte.

»Wir nehmen ihn auch mit. Diese Bur­schen sind nicht blöde. Ohne Grund schleppt man keinen schrottreifen Robot mit. Viel­leicht hat er einen besonderen Wert.«

»Ich muß mich entschieden gegen das Wort schrottreif verwahren«, entrüstete sich Pysther, dann murmelte er leise:

»Ein Fehlschlag nach dem anderen. Was soll aus mir Armen nur werden. Oh Kester!«

In diesem Augenblick verfluchte ich die Eigenschaft eines Paralysators, nur die Mus­kulatur eines Getroffenen zu lähmen, ihm aber Gehör, Geruch, Gesicht und Ge­

schmack zu lassen. Einige Minuten vergingen, dann tauchten

vier weitere Männer auf. Ich konnte hören, wie sie sich im Zimmer bewegten.

»Der Fette muß nach Gewicht bezahlen«, schimpfte eine Stimme. »Wie kann man nur soviel essen!«

Ich war mir sicher, daß sich Fartuloon beizeiten für dieses Kompliment auf seine Weise bedanken würde.

»Und dann noch der Robot. Ideen haben die Leute.«

»Ich verbitte mir Ihre rüpelhafte Sprache, mein Herr. Und fassen Sie mich nicht ausge­rechnet dort an! Sie wissen wohl nicht, was sich gehört!«

Dann hörte ich, wie Metall gegen Metall prallte, danach verstummte Pysther. Kräftige Hände griffen nach mir und hoben mich in die Höhe. Die Umwelt tanzte vor meinen Augen, als ich abtransportiert wurde. Nur schemenhaft konnte ich den Boden erken­nen. Die Männer hoben mich auf einen Wa­gen, auf dem bereits andere Körper lagen, dann breiteten sie eine Decke über uns. Das leise Quietschen von Rollen verriet mir, daß sich das Gefährt in Bewegung setzte.

Unwillkürlich versuchte ich herauszufin­den, wohin man uns schleppte. Das fotogra­fische Gedächtnis half mir dabei.

Wir wurden aus dem Gebäude gebracht und in einen Transportgleiter verfrachtet. Die Fahrt führte aus dem Wohnbereich Mircs hinaus, offenbar war der Raumhafen das Ziel.

Sollten wir von Mirc weggebracht wer­den?

Ich konnte hören, wie der Gleiter einige Kontrollen passierte, dann ging die Fahrt weiter. Arbeitsgeräusche wurden hörbar. Wir befanden uns tatsächlich auf dem Lan­defeld. Diese Geräusche waren nicht zu ver­kennen, das Heulen der Impulstriebwerke, die typischen Raumfahrerflüche und der Ge­ruch nach verbranntem Metall.

Mit Hilfe des Extrahirns enträtselte ich, was danach mit uns geschah. Wir wurden ei­ne Transportrampe hinaufgefahren, offenbar

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in die Ladeschleuse eines größeren Schiffes. Vergeblich versuchte ich herauszufinden, um was für ein Schiff es sich handelte. Groß war es in jedem Fall. Es gab in der Lade­schleuse ein leises Echo, das eine ziemlich gute Schätzung erlaubte. Danach hatte man uns in ein ziemlich großes Schiff verfrach­tet.

Gerüche drangen durch die Decke an mei­ne Nase, schlechte Gerüche. Entweder war der Kommandant des Schiffes aus der Art geschlagen und hielt nicht viel von Sauber­keit, oder es handelte sich um ein Schiff, das ständig übelriechende Materialien transpor­tierte, Felle und dergleichen. Dann konnte es sich nur um einen Frachtraumer handeln.

Auf der anderen Seite gab es nur wenige Transportunternehmer, die Schiffe dieser Größenordnung benutzten. Langsam wurde die Angelegenheit äußerst rätselhaft.

Die Decke wurde weggezogen, rauhe Hände drehten mich um. Ich sah in das Ge­sicht eines bärtigen Raumfahrers.

»Herzlich willkommen«, spottete der

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Kommandant. »Wir werden euch auf eine andere Welt bringen. Dort wird man ent­scheiden, was mit euch zu geschehen hat. Ich wünsche eine angenehme Reise!«

Der Raumfahrer hob höhnisch die Mütze und verschwand dann. Als das Blickfeld frei wurde, sah ich hinter ihm einen Schriftzug. Überall war dieses Emblem zu finden, jedes Teil an Bord war damit gezeichnet:

TUUMAC! So hieß ein bedeutender Pharmaziekon­

zern. Leiter des Riesenunternehmens war ein

gewisser Helcaar Zunth. Dieser Mann hätte eine Frau. Sie hieß Ge­

tray von Helonk! Helcaar Zunth war vor kurzem erst ver­

haftet worden. Damit war das Rätsel komplett, ich be­

griff gar nichts mehr.

E N D E

Lesen Sie nächste Woche ATLAN Nr. 289: Von Xuura kam der Tod von H. G. Ewers Er kämpft mit den Waffen des Geistes – und nicht mit Strahlgeschützen