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Sonntag Aktuell, 3. August 2014
27ÜBERS REISEN
VON SUSANNE HAMANN
Der Code des Zahlenschlosses ist eigentlichganz einfach zu merken. Geburtstag undmonat des Besitzers. Idiotensicher, denn dasGeburtsjahr mag mancher verdrängen, abernicht das Datum des Tages. Und dennochgeht der Koffer partout nicht auf. Nervös drehen die Finger an den kleinen Rädchen, wieder und wieder. Zum Glück ist die Reiseschon vorbei, der heimische Schrank istgefüllt mit ausreichend Kleidung. Zwischenden Hartschalen stecken schmutzige Klamotten, darunter ein noch nasser Badeanzug.Mitbringsel für die Kinder sind auch darinund werden dringend erwartet. Doch dasSchloss will und will nicht aufgehen. Was
nun? Mit Gewalt aufbrechen? „Bloß nicht“,sagt KofferDoktor Götz Tielsch. „Am bestenversucht man es mit benachbarten Zifferndes persönlichen Zahlencodes. Wahrscheinlich hat sich nur was verstellt.“ Widerspenstige Schlösser landen jeden Tag auf dem Tischdes Gepäckfachmanns. Dazu Trolleys mit abgefahrenen Rädern, verbeulte Aluminiumkoffer, Hartschalenkoffer mit verbogenenTeleskopstangen, Lederkoffer, an denen dieGriffe abgerissen sind. Für fast jeden Patienten gibt es Hoffnung. „Am besten ruft manvorher an und schickt ein Foto von der kaputten Stelle. Ich kann dann sofort sagen, ob waszu retten ist“, sagt Götz Tielsch (48).
Der KofferDoktor hat seine Werkstatt ineinem Hinterhof, der in einem Wohngebietvon Sindelfingen liegt . Der Weg in die kleineAnliegerstraße, vorbei an Dutzenden Garagen, ist schwer zu finden. Etwa 25 Koffer landen jeden Tag bei Götz Tielsch, der hauptsächlich für den Hersteller Rimowa tätig istund dessen Schadenfälle in ganz Süddeutschland bearbeitet. Tielsch hat kaum Konkur
renz, nur rund ein Dutzend KofferDoktorengibt es in ganz Deutschland.
Die meisten Gepäckstücke werden im Auftrag von Fluggesellschaften oder Lederwarengeschäften nach Sindelfingen geschickt.Die Fahrer der Logistikunternehmen freut’s –bei nur einem Empfänger werden sie aufeinen Schlag eine ganze Ladung Pakete los.Manche Kunden lassen es sich aber nichtnehmen, ihren geliebten Koffer, an dem soviele Erinnerungen hängen, persönlich vorbeizubringen: Vielflieger, Flugbegleiter, Geschäftsreisende der Firmen im Umkreis,Urlauber auf der Durchreise im Taxi. Einmalkam der Konsul eines südamerikanischenLandes mit PolizeiEskorte vorgefahren. Allesind froh, jemanden zu haben, der ihr Problem lösen kann. „Jeder Koffer hat eine Geschichte. Während die Leute warten, erzählen sie mir, wohin sie fahren, woher sie kommen oder wo sie und ihr Koffer schon überallwaren“, sagt Götz Tielsch. Die weiteste Reisehatte das Gepäck eines AntarktisForschershinter sich: Er kam aus der AmundsenScottSüdpolstation. Packt einen bei all diesen Geschichten und Koffern nicht das Fernweh?„Ich reise auch viel, aber am liebsten mitdem Auto und kleinem Gepäck“, sagt GötzTielsch. Kürzlich urlaubte er mit seiner Familie auf der italienischen Insel Elba. ZwischenPfingsten und Ende September kann erjedoch nicht weg – ReparaturHochsaison.
Der KofferDoktor ist eigentlich gelernterEinzelhandelskaufmann. Nach der Lehrearbeitete er im familieneigenen Lederwarengeschäft in Sindelfingen. „Wenn damals Reklamationen kamen, mussten die Koffer zuden Herstellern geschickt werden. Zum Teilging das bis nach Belgien“, erzählt der48Jährige. Hohe Portokosten für ein Ersatzteil von wenigen Cent – das fand der Juniorunwirtschaftlich und wenig kundenfreundlich. Also baute er einen eigenen Reparaturservice auf und ließ sich von den Herstellernschulen. Vom einstigen Laden ist heute nurnoch das Logo übrig geblieben, Götz Tielschaber repariert immer noch. Das Geschäftbrummt. „In wirtschaftlich schlechten Zeitenhabe ich viel zu tun, weil die Leute wenigerneue Sachen kaufen und lieber reparierenlassen. In wirtschaftlich guten Zeiten läuftder Laden, weil mehr gereist wird und dabeimehr Koffer beschädigt werden.“
Die meisten Schadenfälle sind mit wenigen Handgriffen erledigt. Ein gezielter Hammerschlag und die Beule im Alukoffer ist verschwunden. Ein paar Umdrehungen mit demAkkuschrauber und das Rad ist ausgewechselt. „Das größte Problem ist, das richtige
Ersatzteil zufinden. Jeder Hersteller hat andere Rollen, andere Bodenfüße, andere Zipper am Reißverschluss“, erklärt Tielsch. In mannshohen Metallregalen seiner Werkstatt lagert der KofferDoktor daher Tausende Nieten, Rollen oderSchrauben. En gros im Internet ersteigert,meist aus Geschäftsaufgaben. Oft muss GötzTielsch kreativ sein und ein Ersatzteil basteln, indem er etwa ein RollerbladeRad ausdem Sportfachhandel zur Kofferrolle umfunktioniert. Der KofferDoktor hat den Ehrgeiz, alles wieder hinzubekommen. „Ich tragemit meinen Reparaturen zur Müllvermeidung bei. Das ist nachhaltig. Man muss nichtgleich alles wegwerfen“, sagt der 48Jährige.
Manchmal aber kommt jede Hilfe zu spät.„Der hier ist ein Totalschaden“, sagt GötzTielsch und zeigt auf ein dunkelblaues Plastikmodell. Hat sich irgendwo auf dem Wegzwischen Flugzeug und Gepäckband verklemmt, wurde bös gestaucht und zerquetscht. In diesem Fall stellt der Fachmanneine Art Totenschein aus. Dank dieser Expertise bekommt der Kunde den Zeitwert desKoffers von der Fluggesellschaft ersetzt. Imberechtigten Garantiefall kann auch ein neues Gepäckstück herausspringen – die Firmamit den Rillen ist großzügig und gibt fünfJahre Garantie. „Wichtig ist, dass man denKaufbeleg aufbewahrt und am besten auchauf Reisen dabeihat. Dann wird einem beijedem offiziellen Reparaturservice weltweitgeholfen“, sagt Götz Tielsch. Zur Not habenhochwertige Markenkoffer aber auch eineeingestanzte Nummer, anhand der man dasProduktionsjahr feststellen kann. Der Fachmann sieht das natürlich mit einem Blick.„Achtziger Jahre“, sagt Götz Tielsch und deutet auf ein Alumodell in der Werkstattecke.Der daneben stamme aus den Neunzigern.Ultraleichte Polycarbonatkoffer sind neuesten Datums. Einen verschlossenen Kofferkann Götz Tielsch, ohne Schaden anzurichten, übrigens in wenigen Sekunden öffnen.Den Trick verrät er leider nicht. Nur so viel:„Zur Not muss man eben alle Kombinationendurchprobieren. 999 Zahlen bei einem dreistelligen Code hat auch der Laie in 20 Minuten durch.“ So schlimm ist der Fall unseresverschlossenen Koffers zum Glück nicht. Tatsächlich hatte sich nur eine Ziffer verstellt.Der Geburtstag war um einen Tag vorverlegtworden.
Der KofferDoktorGriff abgebrochen,Rollen abgefahren,Delle imDeckel,
Zahlenschloss defekt –GötzTielsch löst (fast) jedesProblem
mit demReisegepäck.
Bis zu 25 ramponierte Koffer landen jeden Werktag bei KofferDoktor Götz Tielsch. Um beschädigte Koffer zu reparieren, genügen oft wenige Handgriffe. Das größte Problem sind diepassendenErsatzteile. FOTOS: PETSCH (5), FOTOLIA (1)
Probieren geht über ZerstörenEin von außen einstellbarer Kofferverschluss (TSA
Schloss) kann sich leicht verstellen. In diesem Fall
sollte man zunächst alle möglichen Kombinationen
durchprobieren und mit benachbarten Zahlen des
persönlichen Codes beginnen. Wenn nichts hilft,
kann man die Ösen der Reißverschlusszipper mit
einer Zange aufbiegen und so den Verschluss auf
brechen. Auf keinen Fall den rundherum eingenäh
ten Reißverschluss aufschneiden. Ein neues Schloss
kostet circa 20 Euro, ein kaputter Reißverschluss
kann hingegen oft nicht ersetzt werden.
Beschädigungen sofort meldenWenn ein Koffer ramponiert vom Gepäckband
kommt, sollte man den Schaden am besten sofort
bei der Fluggesellschaft melden. Eine solche Anzei
ge ist auch telefonisch möglich und muss innerhalb
von sieben Tagen erstattet werden. Dazu benötigt
man das Ticket sowie den Gepäckabschnitt.
Gemäß der internationalen Beförderungsbestim
mungen ersetzt die Airline jedoch nur den Zeitwert.
Das heißt, pro angefangenem Nutzungsjahr werden
vom Neupreis zehn Prozent abgezogen.
Kaufbelege aufhebenWichtig ist, dass man die Rechnung des Koffers auf
bewahrt. Hersteller von hochwertigem Markenge
päck geben bis zu fünf Jahre Garantie ab Kaufdatum.
Wer sichergehen möchte, dass ihm auch am Ferien
ort geholfen wird, sollte die Belege im Handgepäck
mitführen. Mängel werden oft auf Kulanz behoben.
Tipps für den Notfall
999 Zahlen für den dreistelligen Codeschafft auch ein Laie in 20Minuten
Ich trage durch meine
Reparaturen zur
Müllvermeidung
bei. Das ist
nachhaltig.“
GÖTZ TIELSCHKOFFERDOKTOR
Fernbusse bald teurer?
Berlin – Reisen in Fernbuslinien werdennicht immer so günstig bleiben. Es kommefrüher oder später zu einem Tarifsprung,sagt Wolfgang Steinbrück, Präsident desBundesverbandes Deutscher Omnibusunternehmer (BDO). Preise von unter zehnEuro für eine Strecke wie Berlin–Hamburgseien nicht von Dauer. Bei Strecken vonrund 300 Kilometern hält der Experteeinen Fahrpreis zwischen 25 und 30 Eurofür „realistisch, wenn der Bus zur Hälfte
REISENACHRICHTEN
besetzt ist.“ Im April hatte eine Analyse derSuchmaschine Checkmybus ergeben, dassFahrten auf Fernbuslinien innerdeutsch – jenach Reiseziel – zwischen 3,6 und 10,4 Centpro Kilometer kosten. TDT
Telefonieren in den Lüften
Frankfurt am Main – Telefonieren imFlugzeug ist für die Mehrheit der Deutschen keine gute Sache: 57 Prozent sind dagegen – und nur 16 Prozent dafür. Der Rest,so geht aus einer repräsentativen Befragungdes Instituts für Demoskopie Allensbach
weiter hervor, hat dazu keine Meinung. Beieiner repräsentativen Umfrage des Bundesverbandes Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom)im März hatten sich zwei von drei Deutschen für die Nutzung von Handys imFlugzeug ausgesprochen. Drei Jahre zuvorwaren noch 55 Prozent dagegen gewesen.Airlines ist es mittlerweile freigestellt, denGebrauch von Mobiltelefonen im Flugmodus zu erlauben. Die Maschinen brauchendazu eine Basisstation an Bord, die übereine Außenantenne mit einem Satellitenkommuniziert. Dazu ist aber eine Flughöhe
von 3000 Metern nötig, damit die Handynetze am Boden nicht gestört werden. TDT
Gästekarten eher Mangelware
Berlin – DeutschlandUrlauber stoßen aufzu wenige Gästekarten. Mit diesen ServiceAusweisen lässt sich das Ferienziel mitdem öffentlichen Nahverkehr bequem zumNulltarif erkunden. Es brauche bundesweit„mehr Kooperationen“, fordert ReinhardMeyer, Präsident des Deutschen Tourismusverbandes (DTV). Als gelungenesBeispiel nennt der Experte das „Konus“
Modell im Schwarzwald. Dort haben Urlauber freie Fahrt, wenn sie mindestens eineÜbernachtung bei einem von mehr als10 000 Gastgebern buchen. TDT
Flughafen kassiert „AtemSteuer“
Caracas – Wer in Venezuela vom internationalen Flughafen der Hauptstadt Caracasabfliegt, zahlt neuerdings „AtemSteuer“ inHöhe von 127 Bolivar, umgerechnet knapp15 Euro. Die Betreibergesellschaft will soihre neue Klimaanlage finanzieren, derenOzonsystem die Luft verbessern soll. TDT
Ersatzschlüssel fürKofferschlösser.Nieten zumBefestigen vonKofferfüßen.DerHammer ist einwichtigesWerkzeug.