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Forschung CO.med Juli | 2015 61 Kognitive Intervention im hohen Lebensalter u. a. mit Kinesiologie (Gesund durch Berühren und Brain Gym) Eine psychologische und bildungswissenschaftliche Analyse (Teil 2) Ingeborg L. Weber MSc und Dr. Dimitrios Kampanaros In seiner Dissertation untersucht Dimi- trios Kampanaros mit dieser These, wel- che Effekte verschiedene Bildungsange- bote auf die kognitiven Leistungen älte- rer Menschen haben und stellt dar, wel- chen Einfluss die Persönlichkeit auf diese Effekte ausübt. Darüber hinaus wird auf- gezeigt, wie diese Erkenntnisse bei der Planung und Durchführung von Interven- tionen in der Erwachsenenbildung einge- setzt werden können. Im Kontext des de- mographischen Wandels werden diese Überlegungen immer wichtiger. Im Teil 1 (CO.med 5/2015) wurde die sozio-demo- grafischen Daten dargestellt und die Struktur des Studiendesigns sowie die Durchführung. Ergebnisse der Interventions- effekte der verschiedenen Bildungsangebote auf die kristalline und fluide Intelligenz Die Tabelle 1 zeigt, dass Fremdsprachen- und Computertraining, Körpermeditation sowie Kinesiologie die besten Ergebnisse, d. h. eine Zunahme sowohl der fluiden als auch der kristallinen Intelligenz, erbrach- ten, herkömmliches Gedächtnis- und kör- perliches Training nur eine Zunahme der fluiden, nicht aber der kristallinen Intelli- genz, und dass in der Kontrollgruppe keine Veränderungen auftraten. Die einzelnen Interventionsmaßnahmen wurden mit ihren Effekten auf die kristalline und fluide Intelligenz untersucht. Es wurden jeweils t-Tests für die Unterschiede zum ers- ten Messzeitpunkt vor der Intervention und zum zweiten Messzeitpunkt nach der Inter- vention gerechnet. Kinesiologie In der Gruppe der Teilnehmer des Dritten Le- bensalters wurden bei der kristallinen und fluiden Intelligenz hochsignifikante Effekte dargestellt. Die basale Stimulation des Gehirns durch neue sensomotorische Funktionsabläufe kann möglicherweise als zentraler Mechanis- mus der positiven Wirkung kinesiologischer Übungen gedeutet werden. Der Wechsel von Stimulation und Erholung wirkt sich den Daten entsprechend positiv auf die Mechanik der Intelligenz aus und rechtfertigt die Annahme, dass die gezielte Aktivierung bestehender und der Aufbau neuer neuronaler Netzwerke die neuronale Plastizität im Gehirn in einem Maße fördert, welches Menschen in die Lage versetzt, neu- artige kognitive Anforderungen effektiver zu bewältigen. In der Gruppe der Hochaltrigen über 80 Jah- re zeigten sich hochsignifikante Verände- rungen in der fluiden Intelligenz – aber nicht, wie bei den Teilnehmern des Dritten Lebensalters, auch bei der kristallinen In- telligenz. Eine Besonderheit der Kinesiologie-Gruppe ist, dass diese Effekte nicht nur im „Dritten Lebensalter“, sondern auch im „Vierten Le- bensalter“ erkennbar sind. Dieses Gesamtergebnis zeigt, dass die Kine- siologie sich als kognitive Interventions- form hervorragend eignet. Es zeigt darüber hinaus, dass die neuronale Plastizität bis ins höchste Lebensalter besteht. Auch wenn sie geringer ausgeprägt ist als in früheren Le- bensaltern, ist damit nicht ausgedrückt, dass alte Menschen kein Potenzial zum Neu- lernen mehr besäßen. (Kliegl, Smith und Baltes, 1989; Singer und Lindenberger, 2000) Auch über 80-jährige Menschen be- sitzen dieses Potenzial. Einfluss der verschiedenen Bildungsange- bote auf Persönlichkeitsfaktoren In dem Fünf-Faktoren-Modell von McCrae und Costa (1987) werden die sogenannten Big Five genannt: 1) Neurotizismus, 2) Ext- raversion, 3) Offenheit, 4) Gewissenhaftig- keit, 5) Verträglichkeit. Nach McCrae und Costa (1995) ist die Ausprägung dieser fünf Persönlichkeitsdimensionen vor allem ge- netisch determiniert. Situative Einflüsse spielen für die Entwicklung der Persönlich- keit eine untergeordnete Rolle. Costa und McCrae haben sowohl in Quer- schnitts- als auch in Längsschnittanalysen zahlreiche Belege für die Stabilität von grundlegenden Dimensionen der Persön- lichkeit gefunden (Costa und McCrae 1980, 1988; Costa et al. 1986, 2000; Costa und McCrae 1992; McCrae und Costa 1995). Die Kurs fluide Intelligenz kristalline Intelligenz Fremdsprachen Zunahme, p = 0,003 Zunahme, p = 0,000 Computer Zunahme, p = 0,008 Zunahme, p = 0,008 Gedächtnistraining Zunahme, p = 0,003 keine Veränd., p = 0,177 Körpermeditation Zunahme, p = 0,000 Zunahme, p = 0,003 Kinesiologie Zunahme, p = 0,000 Zunahme, p = 0,000 Kinesiologie > 80 J. Zunahme, p = 0,001 Zunahme, p = 0,212 körperl. Training Zunahme, p = 0,001 keine Veränd., p = 0,456 Kontrollgruppe keine Veränd., p = 0,811 keine Veränd., p = 0,056 Tab. 1: Unterschiede in der fluiden und kristallinen Intelligenz bei den verschiedenen Inter- ventionen

Kognitive Intervention im hohen Lebensalter u. a. mit ...€¦ · Big Five genannt: 1) Neurotizismus, 2) Ext-raversion, 3) Offenheit, 4) Gewissenhaftig-keit, 5) Verträglichkeit

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Forschung

CO.med Juli | 2015 61

Kognitive Intervention im hohen Lebensalter u. a. mitKinesiologie (Gesund durch Berühren und Brain Gym)Eine psychologische und bildungswissenschaftliche Analyse (Teil 2)Ingeborg L. Weber MSc und Dr. Dimitrios Kampanaros

In seiner Dissertation untersucht Dimi-trios Kampanaros mit dieser These, wel-che Effekte verschiedene Bildungsange-bote auf die kognitiven Leistungen älte-rer Menschen haben und stellt dar, wel-chen Einfluss die Persönlichkeit auf dieseEffekte ausübt. Darüber hinaus wird auf-gezeigt, wie diese Erkenntnisse bei derPlanung und Durchführung von Interven-tionen in der Erwachsenenbildung einge-setzt werden können. Im Kontext des de-mographischen Wandels werden dieseÜberlegungen immer wichtiger. Im Teil 1(CO.med 5/2015) wurde die sozio-demo-grafischen Daten dargestellt und dieStruktur des Studiendesigns sowie dieDurchführung.

Ergebnisse der Interventions-effekte der verschiedenenBildungsangebote auf diekristalline und fluide Intelligenz

Die Tabelle 1 zeigt, dass Fremdsprachen-und Computertraining, Körpermeditationsowie Kinesiologie die besten Ergebnisse,d. h. eine Zunahme sowohl der fluiden alsauch der kristallinen Intelligenz, erbrach-ten, herkömmliches Gedächtnis- und kör-perliches Training nur eine Zunahme derfluiden, nicht aber der kristallinen Intelli-genz, und dass in der Kontrollgruppe keineVeränderungen auftraten.

Die einzelnen Interventionsmaßnahmenwurden mit ihren Effekten auf die kristallineund fluide Intelligenz untersucht. Es wurdenjeweils t-Tests für die Unterschiede zum ers-ten Messzeitpunkt vor der Intervention undzum zweiten Messzeitpunkt nach der Inter-vention gerechnet.

Kinesiologie

In der Gruppe der Teilnehmer des Dritten Le-bensalters wurden bei der kristallinen undfluiden Intelligenz hochsignifikante Effektedargestellt.

Die basale Stimulation des Gehirns durchneue sensomotorische Funktionsabläufekann möglicherweise als zentraler Mechanis-mus der positiven Wirkung kinesiologischerÜbungen gedeutet werden.

Der Wechsel von Stimulation und Erholungwirkt sich den Daten entsprechend positivauf die Mechanik der Intelligenz aus undrechtfertigt die Annahme, dass die gezielteAktivierung bestehender und der Aufbauneuer neuronaler Netzwerke die neuronalePlastizität im Gehirn in einem Maße fördert,welches Menschen in die Lage versetzt, neu-artige kognitive Anforderungen effektiverzu bewältigen.In der Gruppe der Hochaltrigen über 80 Jah-re zeigten sich hochsignifikante Verände-rungen in der fluiden Intelligenz – abernicht, wie bei den Teilnehmern des DrittenLebensalters, auch bei der kristallinen In-telligenz.

Eine Besonderheit der Kinesiologie-Gruppeist, dass diese Effekte nicht nur im „DrittenLebensalter“, sondern auch im „Vierten Le-bensalter“ erkennbar sind.

Dieses Gesamtergebnis zeigt, dass die Kine-siologie sich als kognitive Interventions-form hervorragend eignet. Es zeigt darüber

hinaus, dass die neuronale Plastizität bis inshöchste Lebensalter besteht. Auch wenn siegeringer ausgeprägt ist als in früheren Le-bensaltern, ist damit nicht ausgedrückt,dass alte Menschen kein Potenzial zum Neu-lernen mehr besäßen. (Kliegl, Smith undBaltes, 1989; Singer und Lindenberger,2000) Auch über 80-jährige Menschen be-sitzen dieses Potenzial.

Einfluss der verschiedenen Bildungsange-bote auf Persönlichkeitsfaktoren

In dem Fünf-Faktoren-Modell von McCraeund Costa (1987) werden die sogenanntenBig Five genannt: 1) Neurotizismus, 2) Ext-raversion, 3) Offenheit, 4) Gewissenhaftig-keit, 5) Verträglichkeit. Nach McCrae undCosta (1995) ist die Ausprägung dieser fünfPersönlichkeitsdimensionen vor allem ge-netisch determiniert. Situative Einflüssespielen für die Entwicklung der Persönlich-keit eine untergeordnete Rolle.

Costa und McCrae haben sowohl in Quer-schnitts- als auch in Längsschnittanalysenzahlreiche Belege für die Stabilität vongrundlegenden Dimensionen der Persön-lichkeit gefunden (Costa und McCrae 1980,1988; Costa et al. 1986, 2000; Costa undMcCrae 1992; McCrae und Costa 1995). Die

Kurs fluide Intelligenz kristalline Intelligenz

Fremdsprachen Zunahme, p = 0,003 Zunahme, p = 0,000

Computer Zunahme, p = 0,008 Zunahme, p = 0,008

Gedächtnistraining Zunahme, p = 0,003 keine Veränd., p = 0,177

Körpermeditation Zunahme, p = 0,000 Zunahme, p = 0,003

Kinesiologie Zunahme, p = 0,000 Zunahme, p = 0,000

Kinesiologie > 80 J. Zunahme, p = 0,001 Zunahme, p = 0,212

körperl. Training Zunahme, p = 0,001 keine Veränd., p = 0,456

Kontrollgruppe keine Veränd., p = 0,811 keine Veränd., p = 0,056

Tab. 1: Unterschiede in der fluiden und kristallinen Intelligenz bei den verschiedenen Inter-ventionen

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62 Juli | 2015 CO.med

Autoren zeigen in ihren kulturvergleichen-den Studien (Allik und McCrae 2004, Costaet al. 2001, McCrae 2002) auf, dass ihr Fünf-Faktoren-Modell interkulturelle Gültigkeithat, da die Anforderungen an die Individueneiner Kultur im Wesentlichen vergleichbarseien.

Zusammenfassend zeigt sich, dass der psy-chische Zustand signifikante oder hochsig-nifikante Zusammenhänge mit vier (Neuro-tizismus, Extraversion, Offenheit, Verträg-lichkeit) der fünf im NEO-FFI erfasstenPersönlichkeitsfaktoren aufweist.

Nur bei den beiden Dimensionen Offenheitzeigt sich ein p-Wert von <0,001, r = 0,261bei der fluiden Intelligenz wie auch bei derkristallinen Intelligenz ein p-Wert <0,001r = 0,338 und der Dimension Extraversionzeigt sich beim p-Wert das gleiche Er-gebnis.

Es besteht ein hoch statistischer Zusam-menhang zwischen Schulbildung und Offen-heit p <0,001, r = 0,275.

In Übereinstimmung mit den Analysen vonGow et al. (2005) sowie von Moutafi et al.

(2005) zeigen die Ergebnisse einen engenZusammenhang zwischen kristalliner undfluider Intelligenz einerseits und dem Per-sönlichkeitsmerkmal Offenheit anderer-seits. In Bezug auf die kristalline Intelli-genz hat die Offenheit eine ähnlich großeBedeutung wie die Schulbildung. In Bezugauf die fluide Intelligenz gewinnen Alterund Schulbildung ein größeres Gewicht alsdie Offenheit.

Daraus lässt sich schließen, dass eine höhe-re Schulbildung auch langfristig die Offen-heit für neue Anforderungen fördert.

Darüber hinaus weisen drei Merkmale derPersönlichkeit einen hoch signifikanten Zu-sammenhang zur Lebenszufriedenheitauf: Extraversion p <0,001, r = 0,484; Ver-träglichkeit p <0,017, r = 0,155; Gewissen-haftigkeit p <0,001, r = 0,344.

Daraus ergibt sich eine enge Beziehung.

Diskussion der Ergebnisse

Die hier vorgestellte Querschnittstudie um-fasst folgende Aufgabenstellungen:

1) Kognitive Veränderungspotentiale imhohen und sehr hohen Alter bei ver-schiedenen Interventionsformen

2) Einfluss von Persönlichkeitsmerkmalenauf die kognitiven Veränderungen

3) Einfluss des Bildungsstandes auf die ko-gnitiven Veränderungen

Bei allen Interpretationen der Ergebnisse istzu berücksichtigen, dass die querschnittlicherhobenen Daten nicht auf der Grundlagelängsschnittlicher Analysen verfolgt wurden.

Kognitive Veränderungspotenziale im ho-hen und sehr hohen Alter bei verschiede-nen Interventionsformen

Über die Zusammenhänge zwischen fluiderIntelligenz und Lebensalter wird bereits seitJahren berichtet, aber die Zusammenhängezwischen Alter und kristalliner Intelligenzerschienen lange Zeit als nicht eindeutig.Die Berliner Altersstudie zeigte, dass einRückgang der kristallinen Intelligenz im„Vierten Lebensalter“ erkennbar ist, aller-dings mit einer hohen Variabilität der Leis-tungen in diese Lebensphase (Lindenberger,2001). Diese Tatsache des signifikantenRückgangs der kristallinen Intelligenz im

Gepaarte Differenzen Signifikanz (2-seitig)

Mittelwert Standard-abweichung

Standardfehler des Mittelwertes

Paar1

FluideIntelligenz -0,463 0,264 0,050 -9,26 27 0,000

Paar2

KristallisierteIntelligenz -0,400 0,319 0,060 -6,62 27 0,000

Tab. 2: Unterschiede zwischen dem ersten und zweiten Messpunkt in der fluiden und kristallisierten Intelligenz nach dem Besuch von Kinesi-ologiekursen in der „jüngeren Altersgruppe“ (N=52: vorwiegend Teilnehmerinnen und Teilnehmer unter 80 Jahren). – Ergebnisse des t-Testsfür gepaarte Stichproben.

Gepaarte Differenzen Signifikanz (2-seitig)

Mittelwert Standard-abweichung

Standardfehler des Mittelwertes

Paar1

FluideIntelligenz -0,256 0,399 0,072 -3,52 29 0,001

Paar2

KristallisierteIntelligenz -0,093 0,401 0,073 -1,27 29 0,212

Tab. 3: Unterschiede zwischen dem ersten und zweiten Messpunkt in der fluiden und kristallisierten Intelligenz nach dem Besuch von Kinesi-ologiekursen in der „älteren Altersgruppe“ (N=35: vorwiegend Teilnehmerinnen und Teilnehmer über 80 Jahren). – Ergebnisse des t-Tests fürgepaarte Stichproben.

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Forschung

CO.med Juli | 2015 63

sehr hohen Alter lässt sich auch als Hinweisauf eine verringerte kognitive Leistungska-pazität deuten. Damit verbunden könnenEinbußen in der Lernkapazität sein – ein As-pekt, der Baltes (1999) zufolge die beson-dere Verletzlichkeit des sehr hohen Alterscharakterisiert. Aus diesem Grund sollte dieBesonderheit des sehr hohen Alters (80 Jah-re und älter) daraufhin untersucht werden,inwieweit die Veränderungskapazität in die-ser Lebensphase – verglichen mit jener im„Dritten Lebensalter“ – reduziert ist.

Die Ergebnisse zeigen enge Zusammenhän-ge zwischen fluider Intelligenz und Lebens-alter. Die Zusammenhänge zwischen kristal-liner Intelligenz und Lebensalter sind eben-falls eng, aber nicht so stark ausgeprägt.Damit bestätigt der Befund das Ergebnis derBerliner Altersstudie, wonach Verluste imsehr hohen Alter in der kristallinen und flui-den Intelligenz erkennbar sind. (Lindenber-ger, 2001)

Einfluss von Persönlichkeitsmerkmalenauf die kognitiven Veränderungen

Zusammenfassend zeigt sich, dass der psy-chische Zustand signifikante oder hochsig-nifikante Zusammenhänge mit vier der fünfim NEO-FFI erfassten Merkmale der Persön-lichkeit aufwies (Neurotizismus, Extraversi-on, Offenheit, Verträglichkeit).

McCrae und Costa weisen in ihren Arbeitenauf eine hohe Stabilität der Persönlichkeits-merkmale über den gesamten Lebenslaufhin. Beide gehen von der Annahme aus, dassdiese sich bereits in frühen Lebensabschnit-ten bilden, so dass hier die Schulbildung Ein-fluss nehmen kann. Bildungsprozesse kön-nen zu den prägenden Erfahrungen zählen.

Einfluss des Bildungsstandes auf diekognitiven Veränderungen

Bei der Zuordnung der Ergebnisse entspre-chend dem Bildungsstand zeigen sich beider fluiden Intelligenz p <0,001 und derkristallinen Intelligenz p <0,001. Aus die-sen Befunden lässt sich folgern, dass derBildungsstand ein zentrales Merkmal bei In-terventionen auf die kristalline und fluideIntelligenz ist.

Schulbildung und Lebensalter

Die Befunde der Untersuchung zeigen deut-liche Zusammenhänge zwischen kristallinerund fluider Intelligenz einerseits und derSchulbildung andererseits. Im Detail ist

hervorzuheben, dass der Zusammenhangfür die kristalline Intelligenz mit der Schul-bildung deutlich größer ist als der Zusam-menhang mit dem Lebensalter. Bei der flui-den Intelligenz wurden ähnlich starke Zu-sammenhänge zwischen Schulbildung undAlter ermittelt.

Schulbildung und Verträglichkeit

Es besteht ein statistischer Zusammenhangzwischen Schulbildung und dem Persönlich-keitsmerkmal Verträglichkeit. Dieses deutetdarauf hin, dass eine höhere Schulbildungsich positiv auf die Gestaltung von Bezie-hungen und sozialen Kontakten auswirkt.Ältere Menschen mit höherer Schulbildungneigen in geringerem Maße dazu, ihre Situa-tion als „fremdbestimmt“ anzusehen.

Schulbildung und Offenheit

Weiter zeigte sich ein hoch statistischer Zu-sammenhang zwischen Schulbildung und Of-

fenheit. Das Persönlichkeitsmerkmal Offen-heit besonders für neue Anforderungen undneue Erfahrungen sowie lebenslange Bil-dungsprozesse fördert die Anpassungsfähig-keit des Menschen und verhilft zu neuen Be-wältigungsstrategien. Resilienz ist die Fä-higkeit des Menschen, seine Ressourcengezielt zum Funktionserhalt, zur Reparaturoder zum Verlustmanagement einzusetzen.Resilienz lässt sich im Sinne eines „Beein-trächtigungs-Ressourcen-Systems“ interpre-tieren. (Staudinger, Marsiske und Baltes,1995)

Empirische Arbeiten deuten auf die auchim hohen und sehr hohen Alter gegebeneResilienz hin. Trotz der Verluste in dieserLebensphase ist die Lebenszufriedenheitder betreffenden Menschen nicht geringer.Belastungsstörungen und somatoformeStörungen treten nicht häufiger auf als beijüngeren Menschen. (Heuff, Kruse und Ra-debold, 2006, Kruse 2005c, Kruse und Re,2005).

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bert

Knes

chke

nadja.schmidt
Notiz
Inserat
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64 Juli | 2015 CO.med

Literaturhinweis

Ausblick

Perspektiven für die Erwachsenenbildung

Die für die Erwachsenenbildung grundle-gende Aussage zur Bildungsfähigkeit wieauch zur Bildungsnotwendigkeit über diegesamte Lebensspanne (Bellon 2004, Kal-bermatten 2004, Klauer 2000, Kruse 2001,Staudinger 2003, Staudinger und Schindler2002) wird durch die Ergebnisse der Unter-suchung eindeutig gestützt: Die Teilnehmerder Studie haben von den Bildungsangebo-ten im Hinblick auf ihre kristalline und flui-de Intelligenz in hohem Maße profitiert –dies weist auf die Bildungsfähigkeit im ho-hen und sehr hohen Lebensalter hin.

In persönlichen Beratungsgesprächen wur-de von den Personen für sich selbst auch dieBildungsnotwendigkeit erkannt.

Ein großer Teil der in der Erwachsenenbil-dung unterbreiteten und evaluierten Ange-bote konzentriert sich auf das Gedächtnis-training und das körperliche Training. Deren

Effekte sind – so z. B. durch die Interventi-onsstudie SIMA (Oswald et al. 1998, 2002) –gut belegt und konnten auch in der hier vor-gestellten Studie nachgewiesen werden.

Diese Studie erweist sich in mehrfacher Hin-sicht als sehr innovativ:

• Die systematisch evaluierten Bildungsan-gebote wurden erweitert auf bisher unbe-rücksichtigte Treatments (QiGong, Kinesi-ologie, Computertraining, Fremdspra-chenerwerb).

• Ein breites Spektrum von kristallinen undfluiden Intelligenzmerkmalen wurde ein-gesetzt.

• Die Persönlichkeitsmerkmale wurden un-tersucht, um ihren Einfluss auf den Aus-prägungsgrad der Effekte abzubilden.

Es konnte nachgewiesen werden, dass sehrverschiedenartige Bildungsangebote posi-tive Interventionseffekte im hohen und sehrhohen Lebensalter bedingen. Die hier vor-

Weber, Ingeborg L.; Kampanaros, Dimitrios (2015): Ko-gnitive Intervention im hohen Lebensalter u.a. mit Kine-siologie (Gesund durch Berühren und Brain Gym) - Einepsychologische und bildungswissenschaftliche Analyse(Teil 1). CO.med Fachmagazin (20)5:59-62.Das vollständige Literaturverzeichnis erhalten Sie beidenAutoren oder der CO.med-Redaktion

gestellte Untersuchung geht über bisherigeInterventionsstudien hinaus, indem sie An-gebote als Treatment berücksichtigt, diebislang noch keinen Eingang in die Inter-ventionsforschung gefunden hatten, wiez. B. Qi Gong, das u. a. auf meditativer Tech-nik beruht, und Kinesiologie mit speziellerStimulation sensomotorischer und kogniti-ver Funktionen im Kontext des kontinuierli-chen Wandels zwischen Spannung und Ent-spannung.

Zudem sind Angebote zum Computertrai-ning anzuführen, die bislang in ihren poten-ziellen Effekten auf die Intelligenz nochnicht in einer Untersuchung vergleichbarerDifferenziertheit erfasst wurden. Ähnlichesgilt für die Angebote zum Fremdsprachener-werb.

Die Teilnehmer hatten die Wahl, sich für dasBildungsangebot zu entscheiden, das sie alsinteressant, stimulierend und herausfor-dernd erlebten.

Für die Erwachsenenbildung ergibt sich ausden Befunden und Ergebnissen die Konse-quenz, ein differenziertes Bildungsangebotbis ins hohe Alter zu entwickeln, das eineWahlmöglichkeit eröffnet, so dass die Teil-nehmer motiviert sind.

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass dieTeilnehmer nicht nur aus höheren und mitt-leren Bildungsschichten stammen, sondernauch Menschen mit Volksschulabschlussentsprechende Angebote nutzen. Diese Er-kenntnis ist auch deswegen so bedeutsam,weil sie zeigt, dass Angebote der Erwachse-nenbildung Benachteiligungen hinsichtlichder schulischen Qualifikation zumindest inTeilen zu kompensieren zu vermögen.

Im Zuge des demographischen Wandels ver-bessert sich das Bildungsniveau kontinuier-lich, so dass die proaktive Gestaltung der in-frastrukturellen und kulturellen Umwelt inZukunft noch größere Bedeutung gewinnenwird als in der Vergangenheit. Bildungsträ-ger können mit dieser psychologischen undbildungswissenschaftlichen Analyse ihrenBildungsauftrag optimieren.

Akademischer Abschluss „Diplom“ imFachgebiet Erziehungswissenschaft,Philosophie und Psychologie (Nationa-le und Kapodistrische UniversitätAthen). Anschließend Aufbaustudien-gang „Gerontologie“ im Institut für Ge-rontologie an der Universität Heidel-berg und unmittelbar danach Erlan-gung des Doktortitels. Seit 2006betreibt er ein eigenes Altenpflege-heim in Griechenland mit einer Kapazi-tät von 200 Plätzen. Außerdem arbeiteter seit 2010 als Sonderberater des Bür-germeisters in der Kommune Ilioupolisauf dem Gebiet der Sozialpolitik und alsExperte bei der Wohlfahrtsstiftung „Ti-ma“, die sich nur mit Fragen des Alternsund Alters auseinandersetzt.

Kontakt:www.neathalpi.gr

Dr. phil.Dimitrios KampanarosMSc (Health Sciences und Child De-

velopment) und Diplom-Gerontologin.Seit 1993 als Heilpraktikerin in eigenerPraxis tätig. Ausbildung in Kinesiolo-gie. U. a. Gründung und Leitung der In-ternationalen Kinesiologie Akademie inFrankfurt und des Steinbeis-Transfer-Instituts, Institut für KomplementäreMethoden, sowie Gründung und 1. Vor-sitzende Europäischer Verband für Ki-nesiologie e.V. Koordinatorin für denForschungsschwerpunkt Kinesiologieam Interuniversitären Kolleg für Ge-sundheit und Entwicklung Graz /Schloss Seggau.

Kontakt:Internationale Kinesiologie AkademieCunostr. 50-52, D-60388 FrankfurtTel.: 06109 / 7239-41, Fax: [email protected],www.kinesiologie-akademie.de

HP Ingeborg L. Weber