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Universität Hamburg Seminar Scores (Kooperation mit dem Tanzquartier) Wintersemester 2011/12 LV-Nr.: 47-806 Prof. Dr. Gabriele Klein Mit Beiträgen von Heike Broeckerhoff Christine Grosche Birte Heinecke Jonas Leifert  Juliana Oliveira Kerstin Pietsch Jenny Schmidt Helen Schoerder Hannah Wischnewski Jonas Woltemate

KollektivArbeit Scores

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Ohne TitelBirte Heinecke ............................................................................ 2

Occupy Vienna Jenny Schmidt ............................................................................ 3

Körper im Protest Christine Grosche ......................................................................... 12

Résister, c’est créer.Heike Broeckerhoff ....................................................................... 15

How to... Juliana Oliveira .......................................................................... 22

Am 07. Dezember bin ich durch Wien spaziert Jonas Leifert ............................................................................... 28

Ohne TitelHannah Wischnewski .................................................................. 32

A Group is coming to existence now Jonas Woltemate ........................................................................ 33

Let's break togheter!Helen Schroeder ......................................................................... 36

KüchengesprächeKerstin Pietsch ............................................................................ 39

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Mit der Gründung der facebook-Gruppe „occupy austria“ setzte sich die

Protestbewegung „Occupy Wall Street“ das erste Mal auch in Österreich durch. Der

virtuelle Aufruf des Onlineportals, das sich als Teil dieser internationalen

Demokratiebewegung versteht, forderte zur Teilnahme des globalen Protesttags am

15. Oktober 2011 auf. Neben Protesten in Steyr, Graz, Salzburg, Linz, Innsbruck

fand mit ca. 1400 Teilnehmern der größte Demonstrationszug in Wien statt, der sichvom Heldenplatz, über den Westbahnhof zum Ballhausplatz bewegte. Dabei war

dieser Protesttag nur der Anstoß für die Occupy-Bewegung in Wien. Ein Anstoß, der

von der virtuellen Internetaufforderung zu einer körperlich sichtbaren Aktion der

Protestierenden führte und den Protest real erfahrbar werden ließ. Ohne die

körperliche Präsenz wäre, wie es Kubicek formuliert, „[e]ine ausschließlich digitale

Partizipation mit dem Internet als einzigem Medium […] nicht effektiv und politisch

nicht vertretbar“1 gewesen. Indem aber die Protestierenden die öffentlichen Plätze

besetzten und sich mit „Trommeln, Trillerpfeifen, Megaphone[n]“2 auch akustisch

bemerkbar machten, durchbrachen sie die bestehende räumliche und soziale

Ordnung und schufen sich einen Wahrnehmungsraum. Gleichkommend einer

theatralen Inszenierung wurden die Demonstranten zu Akteuren und die Fußgänger

und Passanten zu ihrem Publikum 3 , wobei unklar blieb, auf was überhaupt

aufmerksam gemacht wurde. Zwar richtet sich die progressive Occupy-Bewegung in

ihrem globalen Kontext betrachtet gegen die Macht der Finanzindustrie und der

superreichen Oberschicht sowie gegen soziale Ungerechtigkeit4, jedoch wurde für

die Wiener Öffentlichkeit bzw. die Zuschauenden daraus nicht ersichtlich, welche

1 Kubicek, Herbert: Der Mix macht`s, in: oekom e.V. – Verein für ökologische Kommunikation (Hg.):Bürgerbeteiligung 3.0., Zwischen Volksbegehren und Occupy-Bewegung, Bd. 29, München 2011, S. 57.2 http://occupyvienna.at/about/(Letzter Zugriff: 15.03.2012).3 Vgl. Klein, Gabriele: Bewegung denken. Ein soziologischer Entwurf, in: Dies. (Hg.): Bewegung. Stadt- undKulturwissenschaftliche Konzepte, Bielefeld 2007, S. 151.4 S.a. Amann, Melanie: Der Maskenmann, in: Frankfurter Allgemeine (2011), Nr. 49, S. 48.

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konkreten Ziele und Forderungen sich dahinter verbargen. Einerseits lässt sich daran

ablesen, dass entgegen einer bestimmten Forderung also sehr vielschichtige und

individuelle Motive, Probleme und Intentionen die Protestierenden zum Handeln

veranlasst haben. Anderseits zeigt sich daran das inherente Wesen der Occupy-Bewegung, welches im Prozesshaften liegt.

Infolge dessen, dass die Protestierenden in Wien das Modell von „Occupy Wall

Street“ übernahmen, adaptierten sich auch dessen Organisations- und

Handlungsstruktur und dessen Normenkodex und ließen den globalen Protesttag

nicht zu einem einmaligen Ereignis werden.

In Bezug auf die Organisation und Planung weiterer Proteste in Wien wurdenzunächst vom Blogbetreiber Oliver Osagie die lokale Plattform „occupy vienna“

gegründet, sowie die gleichnamige Gruppe im sozialen Netzwerk facebook ,

wodurch nicht nur alle relevanten Informationen verbreitet werden konnten und

zugänglich wurden, sondern außerdem die Möglichkeit zum Austausch aller

Teilnehmenden geboten wurde. Die bis heute anhaltende Funktion und Relevanz

dieser Onlineportale ist eng an den normativen Code geknüpft, dass die Bewegungkeiner Führung unterliegt bzw. keinen Führer hervorbringen will. 5 Demzufolge

impliziert die Entsagung einer hierarchischen Struktur zum einem eine große

Autonomie und Verantwortung für jeden Teilnehmer und zum anderen erfordert die

Verwirklichung des autonomes Handelns ein hohes Maß an Selbstständigkeit, sowie

eine dezentrale Arbeitsweise. Das Vorbild jener Herangehensweise und des

sozialen Gefüges lässt sich nach Sitrin als Prinzip der Horizontalität beschreiben:

[D]ie Horizontalität [ist ein] Weg, um andere Dinge zu erreichen, aber auch […] einZiel an sich. Ein Werkzeug, um Teilhaberrechte, basisdemokratische, horizontaleTeilhaberrechte zu verwirklichen, mit der Absicht, sich im Rahmen dieses Prozessesauch selbst zu verändern. Die Menschen [Protestierende gegen dieWirtschaftspolitik in Argentinien 2001] berichteten davon, ihre Idee des ››Ich‹‹ habesich verändert, während sie ein neues ››Wir‹‹ erlebten, und

5 S.a. Amann, Melanie: Der Maskenmann, in: Frankfurter Allgemeine (2011), Nr. 49, S. 48.

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dieses gewandelte››Ich‹‹ habe dann wiederum das ››Wir‹‹ transformiert.6 

Das „Occupy Vienna“ diesen Prozess durchschreitet und dem Konzept von „Occupy

Wall Street“ folgt, lässt sich an den bisherigen bzw. nachfolgenden Protesten sehr

gut nachzeichnen. Ihre Handlungsfähigkeit und ihr Fortbestehen erlangt die

Bewegung u.a. durch die Ablehnung von Gewalt und dem Anspruch jedem

Teilnehmer die Möglichkeit zu geben, seine Meinung öffentlich zu äußern. Dies

geschieht in Form der Asamblea einer „basisdemokratische[n] Versammlung auf

einem öffentlichen Platz“7. „Occupy Vienna“ realisierte die Asamblea durch eine

Vollversammlung am 27. Oktober 2011 im Epizentrum, wo mithilfe von talking

sticks8 jeder Beteiligte zu Wort kommen durfte und weitere Vorhaben von „Occupy

Vienna“ geplant werden konnten. Darüber hinaus finden (ebenfalls mit talking

sticks) regelmäßig Redekreise statt, die bisher entweder am Heldenplatz oder am

Stephansplatz abgehalten wurden. Die offenen Gesprächsrunden dienen dem

Kennenlernen, der Ziel- und Themenfindung und kreieren im Sinne Sitrins einen

Gesprächsraum für eine „echte, direkte und partizipatorische Demokratie“ 9 .

Desweiteren wird der Gesprächsverlauf bei den Versammlungen maßgebend vonder „occupy-eigenen“ Zeichensprache bestimmt, die neben den Ausdrucksformen -

wie den Zeltstädten und der Straßenkunst – und der Bildsprache, die sich bei den

Aktivisten im Tragen der Guy Fawkes-Masken widerspiegelt, zu den

charakteristischsten Elementen der Occupy-Bewegung gehört. 10 Mithilfe der

nonverbalen Kommunikation wird verhindert, dass der Sprechende in seinem

Redefluss akustisch unterbrochen wird und ohne Störung die Gesprächsführung anjemand anderen abgegeben werden kann.

6 Sitrin, Marina: „Ein Nein! Viele Jas! Occupy Wall Street und die neuen horizontalen Bewegungen“, in:Blumenkranz, Carla [u.a.](Hg.): OCCUPY! Die ersten Wochen in New York. Eine Dokumentation, Berlin 2011, S.63- 64.7 Oekom e.V. – Verein für ökologische Kommunikation (Hg.): Bürgerbeteiligung 3.0., Zwischen Volksbegehrenund Occupy-Bewegung, Bd. 29, München 2011, S. 18.8 Der hölzerne, mit Perlen und Federn verzierte Redestab – eine Erfindung der Aborigines - wird im Kreis

herumgereicht und erteilt dem Redestabhalter das alleinige Rederecht.9Sitrin, M.: „Ein Nein! Viele Jas! Occupy Wall Street und die neuen horizontalen Bewegungen“, S. 61.

10 S.a. Amann, Melanie: Der Maskenmann, in: Frankfurter Allgemeine (2011), Nr. 49, S. 48.

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Um einen Überblick zu erhalten, werden nun im folgendem die wichtigsten

Handzeichen aufgelistet, 11 die das soziale Handeln bestimmen und

dementsprechend eine Interaktionsordnung etablieren:

•  Die Hände neben dem Kopf halten, die Finger

vollführen schlängelnde Bewegungen.

•  Wie oben, nur die Hände nach unten halten

•  : Die Hände vor dem Körper halten.

•  Arme vorm Körper verschränken, Hände zu Fäusten geballt,

signalisiert: „Ich kann diese Entscheidung nicht mittragen.“•  Hände oder Unterarme vor dem

Körper rollen, vergleichbar dem Zeichen beim Sport, wenn Spieler ausgetauscht

werde.

•  I Ausgestreckten Zeigefinger heben - nicht bei

Einwänden oder Fragen benutzen, sondern nur wenn man über zusätzliche

Informationen verfügt, die dem Sprecher offenbar fehlen.•  Aus den Fingern ein Dreieck über dem Kopf formen,

signalisiert: „Der Ablauf wird vom Sprecher nicht beachtet. Bitte auf das Thema und

den Ablauf zurückkommen. Zeit einhalten!“

Die körperliche Bewegungsregulierung, die durch das Ausführen der

Zeichensprache erzeugt wird, entspricht demnach nicht mehr nur der kulturellen und

der spezifischen gesellschaftlichen Codierung von Normen, sondern dem globalen

Normenkodex der Occupy-Bewegung. Indem die „Occupy Vienna“- Aktivisten die

körperliche Praxis von „Occupy Wall Street“ rezipieren und produzieren und sich

an dieser orientieren, entziehen sie sich dadurch teilweise ihren eigenen kulturellen

Körpertechniken und stellen die Lesbarkeit ihres sozialen Habitus in einen globalen

Kontext. Und obwohl die Protestierenden das gesellschaftliche Ordnungssystem, die

11 Die Angaben entstammen einer Übersicht zur Occupy-Knigge.Oekom e.V. – Verein für ökologische Kommunikation (Hg.): Bürgerbeteiligung 3.0., S. 18.

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Machtverhältnisse sowie die Bedeutungsstrukturen unterwandern, begeben sie sich

im Zuge dessen in Jene der Occupy- Bewegung.12 

Letztlich fungiert die Zeichensprache jedoch als ein Instrumentarium der

Gleichberechtigung und Autonomie. Erst im Prozess des geduldigen und langenZuhörens, des Kritikübens und der Konsensfindung können überhaupt für „Occupy

Vienna“ eigene relevante Themen, Ziele und Forderungen generiert werden. Denn

wie es Kubicek konstatiert, sind die entscheidenden Erfolgskriterien solch einer

Bewegung eine klare Zielsetzung und ein „Thema hoher Dringlichkeit“13. Allein

durch die Übernahme der Occupy- Slogans „We are the 99 Percent.“, „Empört

Euch!“ oder Transparenten wie beispielsweise „Gegen Staat, Kapital und schlechtesWetter“14 wird für Außenstehende und das Publikum nicht erkenntlich, wogegen ein

Widerstand geleistet wird. Wichtige Mittel, um die Absichten von „Occupy Vienna“

transparent werden zu lassen, waren bzw. sind zum einem die Redekreise und

Versammlungen, bei denen bisher auch Gastredner wie der Tierrechtaktivist Martin

Baluch, der Kabarettist Roland Düringer und der WU-Professor für

Unternehmensrechnung Franz Hörmann aufgetreten sind. Zum anderen werden diesozialen Netzwerke facebook , twitter  usw. genutzt und Diskussionsforen wie

EthiPad15, um bisherige Positionen ebenso auf nationaler Ebene dokumentieren zu

können. Den bedeutendsten Schritt gelang „Occupy Vienna“ aber am 15. Januar

2012 mit der Demonstration „15J Global Change – Empört Euch!“ auf dem

Stephansplatz, bei welcher sie das erste Mal konkrete Forderungen formulierten und

somit die Hinter- und Beweggründe ihres Protests offenlegten. Angeführt unter dem

Slogan „occupy the streets, occupy the hearts, occupy the world!“ setzten sie sich

für die folgenden Punkte ein: “Für mehr Bildung und soziale Sicherheit, Für eine

12 Vgl. Klein, G.: Bewegung denken. Ein soziologischer Entwurf, S. 140.13 Kubicek, H.: Der Mix macht`s. Kommunikationswege der politischen Kommunikation, S. 55- 61.14 http://www.ceiberweiber.at/index.php?type=review&p=articles&id=2233&area=1&print=1(Letzter Zugriff: 16.03. 2012).15  EthiPad  ging online, nachdem am 21.1.2012 in Linz ein erstes Treffen von „Occupy“- Aktivisten aus Innsbruck,Salzburg, Wien, Linz und Dornbirn organisiert wurde, um Positionen zu formulieren und Aktionen für 2012 zu

 planen. S.a. http://pad.ethify.org/p/occupy (Letzter Zugriff: 15.3. 2012). 

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gesellschaftliche Teilhabe aller Menschen, Für einen bewussten Umgang mit

Verantwortung, Für die Entscheidungshoheit der Bürgerinnen und Bürger weltweit!“.

Wenngleich noch sehr allgemein gehalten, gewinnt die Bewegung dennoch an Profil

und Identität. Schließlich sind schon weitere Aktionen geplant. So beginnt – initiiertvon dem Internetforum Plattform 20.000 Frauen – am 12. Mai die Demonstration

„Occupy Patriarchy!“, welche ausschließlich von und für Frauen angedacht ist.

Hierfür wird eine Zeltstadt an einem öffentlichen Platz errichtet, um einen

Kommunikationsraum für Diskussionen, eigene Themen sowie zum Austausch und

zum Vernetzen zu etablieren. Damit nutzt „Occupy Vienna“ nicht nur die

Ausdrucksmöglichkeit von „Occupy Wall Street“, sondern beweist, dass sie aktiv anihrer Selbstgestaltung arbeitet, sich für ihre eigenen Ziele engagiert und

eigeninitiativ handelt.

Diese dezentrale und autonome Arbeitsweise reflektiert sich auch in den

Streetactions, die als „Mic Check Vienna“ bezeichnet werden und meist von Mili

Badic und Sebastian Eichholzer organisiert und durchgeführt werden. Hinter

Aktionen wie Interviews oder „Occupy dance“ in der U-Bahn, im Donauzentrum undim Museumsquartier steht primär die Intention auf „Occypy Vienna“ aufmerksam zu

machen und herauszufinden, welche Themen, Probleme, Missstände die Menschen

in Wien bewegt. Überdies kommen Sing- und Promotionsevents zum Einsatz. So

geschehen am 10. Dezember 2011, als keine Genehmigung für einen

Demonstrationszug zum Westbahnhof erteilt wurde. Aufgrund dessen, dass keine

Lautsprecher erlaubt waren, bedienten sich die Aktivisten des talking megaphones.

Analog zum human mircophone von „Occupy Wall Street“ wurde der Beitrag jedes

Einzelnen satzweise von einem Sprechchor wiederholt.16 Ein großer Vorteil des

talking megaphones bringt der langsamere Redefluss mit sich, der für ein besseres

Textverständnis sorgt und die Reden auf dem gesamten Platz – in diesem Fall dem

Stephansplatz - hörbar macht. Im Ausüben dieser Methode bilden die Aktivisten

einen eigenen rhythmischen Klangkörper und mobilisieren im Sprechakt einen

16S.a.Oekom e.V. – Verein für ökologische Kommunikation (Hg.): Bürgerbeteiligung 3.0., S. 18.

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nachhaltigen Resonanzraum, der die alltägliche Geräuschkulisse und akustische

Ordnung (des Stephansplatzes) durchbricht. Folglich liegt in dieser Störung das

Potenzial den Wahrnehmungsfokus der Passanten auf „Occupy Vienna“ zu lenken

und eine soziale Wirksamkeit zu entfalten.

Abgesehen von ihrer spezifischen Zeichensprache und ihren besonderen

Ausdrucksmöglichkeiten definiert sich „Occupy Wall Street“ und dementsprechend

„Occupy Vienna“ über ihre Bildsprache. Das auffälligste Symbol sind die Guy

Fawkes Masken, die regelmäßig auf Occupy-Protesten getragen werden und in

ihrem Design der Comicverfilmung „V wie Vendetta“ nachgeahmt sind. Die GuyFawkes-Masken wahren einerseits – zumindest in optischer Hinsicht- die Anonymität

und kommen einem öffentlichen Schutzschild gleich, andererseits repräsentieren sie

ebenso die tausend Gesichter der Occupy-Bewegung, welche sich nicht auf eine

bestimmte Altersgruppe, soziale Schicht, ethnische Herkunft oder eine

Geschlechtskategorie reduzieren lässt. „Occupy Viennas“ Diversität ihrer Anhänger

manifestiert sich neben den „Anonymous-Masken“ außerdem in bereits organisiertenGruppen, z.B. Samba Attac, der SLP oder den PalästinenserInnen, die ebenfalls

visuell hervorstechen und an den Protestzügen teilnehmen.17 Unabhängig davon,

dass so viele Interessen, Wünsche und Forderungen aufeinander treffen, was durch

die zahlreichen Transparente, Plakate, Piratenfahnen usw. während der Proteste

zum Ausdruck kommt, und sich daraus ein sehr heterogenes Bild der „Occupy

Vienna“-Aktivisten herauskristallisiert; verleiht erst die Präsenz der Beteiligten und

ihre körperliche Interaktion „Occupy Vienna“ einen Zeit- und Handlungsraum, der

ihre Daseinsberechtigung legitimiert. In ähnlicher Weise positioniert sich Judith Butler

in ihrer Rede für „Occupy Wall Street“:

Es ist wichtig, dass wir als Körper – als die körperlichen Wesen, die wir sind – zusammen in der Öffentlichkeit auftreten, dass wir uns in der Öffentlichkeit versammeln. Wir kommen zusammen auf den Straßen und Plätzen als eine Allianz

17S. a. http://www.ceiberweiber.at/index.php?type=review&p=articles&id=2233&area=1&print=1(Letzter Zugriff:16.03. 2012).

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der Körper. Als Körper leiden wir, benötigen wir Nahrung und ein Dach über demKopf; […]. Daher ist das, was hier passiert eine Politik des öffentlichen Körpers, der Bedürfnisse des Körpers, seiner Bewegung und seiner Stimme.18 

Obgleich „Occupy Vienna“ ihre Verhaltensnormen, Zeichensprache undOrganisationsstruktur von „Occupy Wall Street“ übernommen hat und sich somit in

einen globalen Kontext stellt, hat sie sich längst mit ihrem eigenem öffentlichem

Körper als selbstständige Protestbewegung etabliert, die im kontinuierlichen Aus-

und Verhandlungsprozess ihre eigenen Themen, Forderungen, Ziele und

insbesondere Identität sucht und findet (bzw. suchen und finden muss) und sich dafür

autonom und kämpferisch einsetzt.

18Das Zitat stammt aus der autorisierten Fassung von Judith Butlers Rede, die sie am 23. Oktober 2011 im ZucottiPark gehalten hat. Blumenkranz, Carla [u.a.](Hg.): OCCUPY! Die ersten Wochen in New York. EineDokumentation, Berlin 2011, S. 35- 36.

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Amann, Melanie: Der Maskenmann, in: Frankfurter Allgemeine (2011), Nr. 49, S.

48.Klein, Gabriele: Bewegung denken. Ein soziologischer Entwurf, in: Dies. (Hg.):

Bewegung. Stadt- und Kulturwissenschaftliche Konzepte, Bielefeld 2007, S. 131-

154.

Kubicek, Herbert: Der Mix macht`s. Kommunikationswege der politischen

Kommunikation, in: oekom e.V. – Verein für ökologische Kommunikation (Hg.):

Bürgerbeteiligung 3.0., Zwischen Volksbegehren und Occupy-Bewegung, Bd. 29,

München 2011, S. 55- 61.

Oekom e.V. – Verein für ökologische Kommunikation (Hg.): Bürgerbeteiligung 3.0.,

Zwischen Volksbegehren und Occupy-Bewegung, Bd. 29, München 2011.

Sitrin, Marina: „Ein Nein! Viele Jas! Occupy Wall Street und die neuen horizontalen

Bewegungen“, in: Blumenkranz, Carla [u.a.](Hg.): OCCUPY! Die ersten Wochen in

New York. Eine Dokumentation, Berlin 2011, S. 60- 64.

Internet

http://www.ceiberweiber.at/index.php?type=review&p=articles&id=2233&area=1

&print=1

(Letzter Zugriff: 16.03.2012).

http://occupyvienna.at/about/(Letzter Zugriff: 15.03.2012).

http://pad.ethify.org/p/occupy (Letzter Zugriff: 15.03.2012).

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Oh,was steht denn daaus luftig leichtem Materialgar aus Nylon und flexiblen StäbenEine bunte Hülle zum Verkriechenmodrig hölzern riechendSchon wird es kalt und kälterSie bleibenDie von Menschen gefüllten Behälter

Was ist denn dasWarum denn noch

Man hört man sieht nicht vielEs stört und empört nicht vielEs bleibt und weilt

Im Jahr 2011 beginnen ungewohnte Raumobjekte das Bild unserer Innenstädte zuirritieren. Kleine, bunte, fragile Schlupflöcher bestücken die Plätze zwischen denglänzenden zum Himmel ragenden Baublöcken.Die Zelte wirken wie kleineharmlose Körper, die nur dort sind, um dem Menschen auf Zeit Zuflucht zu

gewähren, und um dann auch wieder zu verschwinden. Die temporären, mobilenWohnorte aber bleiben und mit ihnen die Bewohner.

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Nicht zuletzt deshalb, weil die Menschen der Occuppybewegung permanent ihreZeltstadt vor Wind und Wetter schützen und beständig halten. So als wären diepräventiven Baumaßnahmen die einzige sichtbare Handlung, die den Protest vordem Kollabieren rettet. Aber wahrscheinlich ist es das momentan auch.

Gerade weil noch keine eindeutigen Ziele formuliert sind, die die Bewegung in einebestimmte Richtung handeln lässt, geht es zunächst darum, einen konkreten Raum inder Öffentlichkeit zu etablieren und diesen zu halten.Auf den ersten Blick wirken die bunt zusammengewürfelten Zeltstädte der OccupyBewegung unbeständig und orientierungslos. Auf Grund ihrer Eigenschaften derMobilität und dem flexiblen Material stehen sie im Kontrast zu den unumstößlichenGlasfassadenbauten, die unsere Innenstädte schmücken. Gebäude, welchearchitektonisch oft so geplant wurden, dass sie nach außen hin beeindrucken und

rein optisch das Stadtbild aufpolieren.Die Funktionalität und der Nutzen stehen oft erst an zweiter Stelle. Das Zelt vonhingegen fungierte zunächst rein praktisch, als Lebensraum der Menschen vonOccupy. Spätestens jetzt, nach den harten Wintertagen, steht der leichteRaumkörper dabei nicht mehr nur für eine zeitweilige Bleibe, sondern für daskonsequente Ausharren und für einen fundierten Treffpunkt zum Austausch überWiderstand. Das Zelt gliedert sich spielerisch in das System Stadt ein, wird zumWiedererkennungsmerkmal des Protests und gewinnt symbolisch an neuer

Bedeutung.Und zugleich ist es ein Fremdkörper, der sich eingenistet hat. Rund um die Zeltstadtwirken Grenzen. Diese sind mental, entstehen aus der Spannung zwischenZelt/Protest/antikapitalistisch und Hochhaus/Shopping/kapitalistisch oder auch ausder Markierung des Territoriums auf dem Gerhart-Hauptmann-Platz. Geht manallerdings von der Position des beobachtenden Passanten aus einen Schritt weiterund betritt das Camp, kommt man schnell mit den Bewohnern in Kontakt. Viele derDauercamper zeigen sich offen für Diskussionen und geben gerne detaillierte

Informationen über die Beweggründe, die sie dazu brachten, auch bei Eiseskältedraußen im Zelt zu verharren.Entgegen der bequemen Variante des „Armchairactivism“, welcher zuhause vordem Computer im Netz betrieben wird, geht es bei Occupy in erster Linie darum,sich in der Öffentlichkeit zu zeigen. Einen Standpunkt zu haben, bedeutet hier nichtnur, diesen zu artikulieren, es geht vielmehr darum, mit seinem Körper seine Haltungöffentlich zu vertreten.“ Sich zeigen“ bezieht sich dabei nicht auf die Entblößungindividueller Meinungsvertreter; im Gegenteil, die Kraft liegt in der Ansammlung von

Menschen, die finden, dass irgendetwas in unserer Gesellschaft nicht mehr stimmt,die unser komplexes System nicht mehr durchblicken und deren Vorstellung von

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Gerechtigkeit in der Demokratie anders ist. Darüber diskutieren sie in wöchentlichenVollversammlungen, die öffentlich sind und an denen jeder teilnehmen kann, mittenim Zentrum der Großstädte.Immer wieder muss Occupy Hamburg wegen kommerzieller Veranstaltungen den

Gerhart-Hauptmann-Platz räumen. Nach dem Weihnachtsmarkt heißt es nun, Zelteabbauen für das anstehende Weinfest im Frühjahr. Die transportablen und flexiblenEigenschaften sind nicht zu unterschätzen, denn entgegen der derzeitigen Situationdes Weltmarktes hat die Occupy Bewegung das Potential weiter zu wachsen undsich zu entwickeln, ohne dabei auf Rohstoffe angewiesen zu sein. Hier entsteht einRaum, der noch nicht übersättigt ist, sondern gerade noch damit beschäftigt, sichgeschmackvoll zu zeigen. So spekulieren die derzeitigen Occupier darauf, dass mitsteigenden Temperaturen, die vor der Kälte Zuflucht suchenden Obdachlosen durch

ein paar mehr aktivistische Schönwettercamper ersetzt werden.Wer auch immer sich hinter der “Guy Fawkes”-Maske verbirgt, der Zeltkörperwurde zum Symbol des Protests. Wo der Zeltkörper anfangs nur den Raummarkierte, entsteht nun ein zu bezeichnender Ort: Sobald in den Medien Bilder vonbunten Zelten auftauchen, werden diese mit dem Protest der Occupybewegungassoziiert. Die langfristige Präsenz des okkupierenden Widerstands allein reichtjedoch bald nicht mehr aus. Auf Dauer gliedert sich das „Zelt“ in diearchitektonischen, innerstädtischen Sehgewohnheiten ein und verliert an

symbolischer Wirkung. Deshalb muss der Zeltkörper vielleicht Körperpflegebetreiben, Haare verlieren, Fingernägel schneiden. Konkreter werden in seinenZielen, sich formieren und trotzdem tun, was die die große Chance dieserBewegung ist, veränderlich bleiben und‚ dauern.

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Im Interview: Yovan Gilles, Philosoph und Chefredakteur der Zeitschrift LesPériphériques Vous Parlent  sowie Akteur im gleichnamigen Kollektiv. Mit einemHorizontblick auf Scores N° 5 zum Thema CHÁOS. Künstlerisch-theoretischer Parcours zu gesellschaftlich-choreografischen Un-/Ordnungen und in ‚kritischer‘Auseinandersetzung mit Scores N°4 UNTER PROTEST. Künstlerisch-theoretischer Parcours zur Handlungsfähigkeit des Körpers sprechen wir über Chaos, dasPolitische und Widerstand als Moment künstlerischen Handelns. Von HeikeBröckerhoff  

Étant donné que votre groupe artistiques’appelle « génération chaos », on peutcommencer par la notion du chaos…

Ihre Künstlergruppe nennt sich„Generation Chaos“. Ein guter Grundum bei dem Begriff des Chaos zubeginnen…

Ce qui est intéressant c'est que dans lechaos, l'ordre est un moment dudésordre. Je pense que dans l'art il y ades moments d'équilibre qui peuvent

naître du désordre, du hasard...En français il y a un je de mots qui esttrès drôle, c'est : désordre, c'est lepluriel d'ordre : des - ordres. Non pasl'ordre, mais une pluralité d'ordres, quipour moi exprime beaucoup ce qu'estl'acte artistique.

C'est tout ce travail autour d'une grandesensibilité, vulnérabilité des modesd'expression entre eux. Ce n'est pas parexemple pour le danseur, se caler surun rythme, ou que la musique fasse uneillustration, mais c'est créer une relationorganique entre les mots, le langage, lecorps, le mouvement, l'univers sonore,etc.

Spannend am Chaos ist das Momentder Ordnung in der Unordnung. Ichdenke, dass es in der Kunst Momentedes Gleichgewichts gibt, die aus der

Unordnung, aus dem Zufall entstehen…Im Französischen gibt es ein witzigesWortspiel:désordre, c'est le pluriel d'ordre : des -ordres. (le désordre – Unordnung, desordres – Ordnungen). Nicht dieOrdnung, aber eine Vielzahl vonOrdnungen, die für mich sehr starkausdrücken, was der künstlerische Akt

ist.Es ist all die Arbeit, die diese großeEmpfindlichkeit, Verletzlichkeit derAusdrucksweisen untereinander,umgibt. Für den Tänzer zum Beispielgeht es nicht darum, sich an einenRhythmus zu klammern oder von derMusik bebildern zu lassen, sonderndarum eine organische Verbindungherzustellen zwischen den Worten, derSprache, dem Körper, der Bewegung,

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dem akustische Raum, usw.

L’art pour vous, c’est une pratique de larencontre ?

Kunst ist für Sie eine Praxis derBegegnung?

De la rencontre et de la relation, faire larelation. C'est une esthétique, bien sûr.Mais c'est aussi une manière d'agir, devivre, de sentir les choses, et une formede pensée : ne pas séparer ce quisemble séparé. Dans la politique,lorsqu'il se produit des chosesextraordinaires, cela dépasse lepolitique et devient esthétique... Etlorsque les gens veulent changerquelque chose, c'est toujours par uneforme artistique que leur conviction estla plus forte, la plus puissante. Seul l'artpeut faire changer véritablement.

On a fait beaucoup de projetspolitiques. Mais pour nous, l'art joue un

rôle fondamental dans le politique.Souvent l'art est considéré comme uneanimation, une distraction, dansbeaucoup d'organisations. Nous non,jamais. C'est un mode d'action, commeun discours, une conférence; on atoujours construit nos manifestations enpensant que l'art n'était pas simplementune force de représentation, mais une

manière de rendre visible, tangible, cequi est invisible.

Eine Praxis der Begegnung und derBeziehung, die Beziehung herstellen. Esist natürlich eine Ästhetik. Aber aucheine Art zu handeln, zu leben, dieDinge wahrzunehmen und eineDenkweise: nicht zu trennen, wasgetrennt erscheint. In der Politik, wennsich etwas Außergewöhnliches herstellt,übersteigt es das Politische und wirdästhetisch… Und wenn die Leute etwasverändern wollen, ist es diekünstlerische Form, in der dieÜberzeugungen am stärksten undwirksamsten werden. Einzig Kunst kannwahrhaftig Veränderung bewirken.

Wir haben viele politische Projektegemacht. Aber für uns spielt die Kunst

eine fundamentale Rolle für dasPolitische. Oft wird Kunst alsUnterhaltung oder Zerstreuungbetrachtet, in vielen Organisationen.Bei uns nicht, niemals.Es ist ein Handlungsweise, wie einDiskurs, ein Vortrag; wir haben schonimmer unsere Veranstaltungen mit derÜberzeugung gestaltet, dass Kunst

nicht einfach ein Mittel derRepräsentation ist, sondern eine Art,sichtbar und berührbar zu machen,was unsichtbar ist.

Vous parliez déjà du politique et de lapolitique. Pour vous, c’est quoi ladifférence?

Sie haben bereits das Politische und diePolitik erwähnt. Welchen Unterschiedsehen sie?

Dans la politique il y a une lutte pour lepouvoir, c'est un métier, c'est important.

In der Politik gibt es den Kampf um dieMacht, das ist ein Beruf, das ist wichtig.

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Mais le politique c'est la capacité detous les citoyens de s'organiser, de créerdes collectifs, et de changer l'ordre dujour des grandes questions sociétales.

Ça pour moi c'est le politique. C'est deposer une question qui engage lasociété toute entière, et rendre cettequestion commune. La poser sans devoirpasser par les organisations, les partis.ET c'est aussi une capacité d'autotransformation. Dans l'action humaine tute formes, tu résistes, mais aussi, tutransformes. La grande difficultéaujourd'hui c'est que c'est de plus enplus difficile d'arriver à s'organiser : onest capable de le faire. Pour moi lesgrands changements sociaux ne peuventpas passer par la politique. Il y a tropde conflits d'intérêt, de lobbying...Ceuxqui arrivent à se révolter contres lesgrands Lobby (industriels,

pharmaceutiques, etc.) ce sont descollectifs de citoyens, qui ne disent passimplement, "il y a danger", mais "voilàcomment on peut faire autrement!". Lepolitique c'est une forme de démocratiedirecte, Athénienne...

Aber das Politische ist die Fähigkeitaller Bürger, sich zu organisieren, sichzusammenzuschließen, dieTagesordnung der großen

gesellschaftlichen Fragen zu verändern.Das ist für mich das Politische. Esbedeutet eine Frage zu stellen, die diegesamte Gesellschaft einbezieht unddiese Frage zu einer geteilten,gemeinsamen machen. Sie zu stellen,ohne den Umweg über Organisationenund Parteien machen zu müssen. Undes ist die Fähigkeit derAutotransformation. Im menschlichenHandeln, formst du dich, du leistestWiderstand, aber du verwandelst dichauch. Die große Schwierigkeit heute ist,dass es immer schwieriger wird sich zuorganisieren: wir sind dessen fähig.Meiner Meinung nach werden diegroßen politischen Veränderungennicht von der Politik gemacht. Dort gibt

es zu viele Interessenkonflikte,Lobbying… Diejenigen, die sich gegendie großen Lobbys (Industrie,Pharmazie, etc.) zur Wehr setzen, sindBürgervereinigungen, die nicht nursagen „das ist gefährlich“, sondern„schaut mal, wie wir es anders machenkönnen!“. Das politische ist eine Artdirekte Demokratie, athenisch…

Qui est citoyen ? Celui qui est reconnucomme tel ?

Wer ist Bürger? Derjenige, der alssolcher anerkannt ist?

Tout le monde qui travaille dans unpays, est citoyen de droit. On parleaussi de devenir citoyen. C'est undevenir. Deleuze parle du peuple àvenir. Pour moi en France, on a été unpeuple, mais depuis quelques années onest une population.

 Jeder, der in einem Land arbeitet, istBürger rechtlich gesehen. Wir sprechenauch von Büger werden. Es handeltsich um ein Werden. Deleuze sprichtauch vom peuple à venir (zukünftigesVolk; Volk, das im Kommen ist). Ichdenke, dass wir in Frankreich mal ein

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Volk waren, seit einigen Jahren sindwir eine Bevölkerung.

Comment devenir citoyen, comment

devenir peuple ? Est-ce à nouveau unequestion de la relation ?

Wie Bürger werden, wie Volk werden?

Ist auch das wieder eine Frage derBeziehung?

Oui, c'est comment on produit de larelation c'est la question de Praxis chezHanna Arendt, les relations sociales nesont pas données. On a des relationssociales très déterministes, maiscomment on se rend capable d'autresrelations, c'est la question, le problèmedu politique. Cela demande un travailde sensibilisation, de formation. Mais àtravers l'action.

Il faut trouver des manièresd'organisation. Il faut toujours délibérer,au sein d'un collectif, lorsque l'on faitune action, de la forme d'organisation

qu'on veut adopter. La place singulièredu sujet dans une organisation c'est unequestion politique, et non pragmatique.C'est là que les gens sont frustrés oùs'épanouissent. C'est pourquoi à chaquefois qu'on monte une action « Travail-Démocratie », à chaque fois on se poseavant tout la question : comment ons'organise? C'est toujours permettre

plusieurs Leaderships. Le monde est tropcompliqué aujourd'hui pour qu'il n'y enait qu'un seul. Mais surtout : il fauttravailler pour que les gens soientcapables à leur tour de devenir unleader. Une autonomie. Le mondepolitique ne veut pas l'entendre. Il y aencore cette paternité, et le mondepolitique est un monde phallique de lamaitrise. Il faut introduire du féminin,une capacité à écouter, à réfléchir, à

 Ja, es geht darum, wie Beziehungenhergestellt werden, die Frage nach derPraxis bei Hannah Arendt;gesellschaftliche Beziehungen sind nichtgegeben. Wir haben sehrdeterministische soziale Beziehungen,aber wie können wir zu anderenBeziehungen fähig werden, das ist dieFrage, das Problem des Politischen.Das erfordert eine Arbeit derSensibilisierung und an der Bildung.Aber im und durch das Handeln.Man muss Wege und Formen finden,sich zu organisieren. Im Inneren einesKollektivs muss für jede Aktion immerneu darüber beraten werden, welche

Organisationsform man annehmen will.Der Platz des Einzelnen in einerOrganisation ist eine politische Frage,keine pragmatische. Dort entscheidetsich, ob die Leute frustriert sind oderaufblühen. Deshalb fragen wir unsjedes Mal bevor wir eine Aktion zuArbeit-Demokratie angehen: wieorganisieren wir uns? Es bedeutet

immer mehrere Führerschaftenzulassen. Die Welt ist heute zukompliziert, als dass man nur eineFührung haben könnte. Und vorallem:Man muss daran arbeiten, dass dieMenschen fähig werden, selbst eineFührung zu übernehmen. Autonom.Das will die politische Welt nicht hören.Dort gibt es noch die männlicheHerrschaft, die politische Welt ist eineunterliegt der phallischen Herrschaft.

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analyser.S'organiser, c'est un acte de création.Toute résistance est une formed'existence.

Hier muss man Weiblicheseinschleusen, die Fähigkeiten,zuzuhören, nachzudenken, zuanalysieren. Sich organisieren ist ein

schöpferischer Akt. JeglicherWiderstand ist eine Art zu existieren.

Nous arrivons au sujet de Scores N°4.Comment traduisiez-vous le titre dufestival ? Unter Protest. Contestation ouRésistance?

Wir nähern uns dem Thema von ScoresN°4. Wie übersetzen Sie den Titel desFestivals? Unter Protest. Contestation oder Résistance?

 Je préfère résistance. Marc’O, monmetteur en scène, a pris les armescontre les allemands. C'était un résistantdans une situation tragique. Ce n'est pasla même situation lorsqu'un peupleconteste dans la rue. Mais j'aime biencette expression. Cela vient aussi deDeleuze « résister c'est créer ». On créeparce qu'il y a quelque chose quirésiste. Un véritable acte de création estépuisant. Pour qu'il y ait créativité il faut

un obstacle dont on cherche les détours.Ce n'est pas un affrontement.

Césaire m'avait dit : les esclaves ontlutté avec les armes de l'imaginaire: les

instruments de musique des maîtres.Inventer une langue. Comme le créole.On invente une langue qui ressemble àcelle du maître, mais qu'il ne peut pascomprendre. C'est l'art du détour. Lesruses, les armes de l'imaginaire. Celapeut être une bonne manière de résister.

 J'ai l'impression que les affrontementsdirects ont leurs limites. Proposer, plutôtque de dire : "à bas!". Il faut montrer unhorizon. On utilise les armes de ceux à

Ich bevorzuge Résistance. Marc’O,mein Regisseur, hat zu den Waffengegriffen im Krieg gegen dieDeutschen. Er war einWiderstandskämpfer in einertragischen Situation. Das ist nichtdasselbe, wenn ein Volk auf die Straßegeht, um zu protestieren. Aber ich maggern diesen Ausdruck. „Sichwidersetzen heißt schöpferisch sein“(« résister c'est créer ») – auch das ist

von Deleuze. Man erschafft etwas, weilsich etwas widersetzt. Ein wahrerschöpferischer Akt ist erschöpfend.Damit es Kreativität geben kann,braucht es ein Hindernis, an dem ichmeine Umwege suche. Das ist keineKonfrontation, kein Zusammenstoß.Césaire sagte zu mir: die Sklavenhaben mit den Waffen des Imaginären

gekämpft: mit den Musikinstrumentenihrer Herren. Eine Sprache erfinden.Wie das Kreolisch. Wir erfinden eineSprache, die der unseres Herrenähnlich ist, aber die er nicht verstehenkann. Das ist die Kunst des Umweges.Die List, die Waffen des Imaginären.Das kann eine gute Möglichkeit desWiderstandes sein. Ich habe denEindruck, dass direkte Angriffe ihreGrenzen haben. Eher Vorschläge

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qui on s'oppose.

Il ya plein de manières de s'organiser. Je pense que c'est le politique. Et celapeut inspirer la politique.

machen als zu sagen: Nieder mit dir!Man muss einen Horizont aufzeigen.Wir benutzen die Waffen unsererGegner.

Es gibt viele Wege, sich zuorganisieren. Ich denke, das ist dasPolitische. Und davon kann sich diePolitik inspirieren lassen.

Parlons de la question du corps… Sprechen wir mal über den Körper…

Francisco Barilla raconte uneexpérience. Tu prends deux petits chats,tu les mets dans une pièce, l'un ne peutpas bouger, tandis que l'autre peut sepromener partout...Celui qui ne peutpas bouger, il voit. Mais cela ne lui sertà rien. Dès que tu lui redonnes laliberté, il se cogne partout. Il n'a pas faitl'apprentissage corporel de laperception. Tandis que l'autre, il s'estcogné partout, mais il a maintenantl'intelligence de l'espace. Là on voit que

la perception n'est pas seulement laconscience. C'est la corporéité quicompte.

Ainsi on ne peut pas dire que la dansen'est pas le langage du corps, comme lecinéma n'est pas le langage de l'image,

c'est un art de la réalité. De ce point devue là, la danse est quelque chose defondamental, dans l'être au monde...

La danse, pour moi c'est la vie. C'est unrapport au monde, certes toujoursmédiatisé par des signes, destechniques. Mais c'est fondamental.C'est intéressant parce que si on

Franscisco Barilla erzählt von einemExperiment. Du nimmst zwei kleineKatzen, bringst sie in einen Raum, einevon ihnen kann sich nicht bewegen,während die andere im Raumumherspazieren kann… Die, die sichnicht bewegen kann, schaut. Aber dasbringt ihr überhaupt nichts. Sobald dusie wieder freilässt, stößt sie sichüberall. Ihr fehlt die körperlicheErfahrung bei der Wahrnehmung. Dieandere hingegen, hat sich zwar

zunächst überall gestoßen, verfügtaber jetzt über ein Wissen, eineIntelligenz des Raumes. Hieran siehtman, dass Wahrnehmung nicht nurBewusstsein ist. Es ist die Körperlichkeit,die zählt.Also können wir auch nicht über denTanz sagen, er sei nicht die Sprachedes Körpers, wie wir über das Kino

sagen, es sei nicht die Sprache desBildes. Der Tanz ist eine Kunst derRealität.Von diesem Standpunkt aus, ist derTanz fundamental im „In der WeltSein“…Der Tanz für mich, das ist das Leben.Das ist ein Verhältnis zur Welt,sicherlich immer mediatisiert durchZeichen und Techniken. Aber er istgrundlegend. Es ist interessant, denn

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regarde dans l'histoire il y a beaucoupde codes qui naissent de la nécessité, etpas simplement de l'arbitraire, du simplesouci esthétique. Le Tango, par

exemple, était une danse interditeinitialement. Beaucoup d'arts martiauxont évolué vers la danse. On part ducombat, de la nécessité, et ensuite on vavers l'esthétique. Mais on n'a pasl'inverse, des danses, qui deviennent dessports de combats.

wenn man die Geschichte betrachtet,findet man viele Codes, die ausNotwendigkeit heraus entstehen undnicht nur aus einer Willkür oder der

einfach ästhetischer Sorge. Der Tango,zum Beispiel, war ursprünglichverboten. Viele Kampfkünste habensich zu einem Tanz hin entwickelt. Manbeginnt beim Kampf, derNotwendigkeit und bewegt sich auf dasÄsthetische zu. Umgekehrt gibt es dasnicht, Tänze, aus denenKampfsportarten werden.

Ce n'est pas bizarre de se retrouver ici,dans ce cadre protégé, pour discuter derésistance?

Ist es nicht seltsam, sich hier, in diesemgeschützten, institutionellen Rahmen,zusammenzufinden, um überWiderstand zu diskutieren?

Non, nous ne sommes pas dans deslieux marchands, ce sont des lieux pourle public.Il faut utiliser les institutions parce que

ce sont des espaces au service dupublic. Et s'il y a de l'argent pour laculture, tant mieux.

Nein, wir sind hier nicht an einemkommerziellen Ort, sondern an einemöffentlichen. Man muss die Institutionennutzen, weil sie im Dienste der

Öffentlichkeit stehen. Und wenn esGeld für die Kultur gibt, umso besser.

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A 55 minutes conversation in which Juliana Oliveira talks with Manuel Pelmus abouthis presentation on the 9th December 2011, at the platform Scores n°4 - UnderProtest in the Tanzquartier (Vienna). They discussed his work, the popular dance fromRomanie, the Manele, the political situation in Europe and his position as an artist.

_ Yesterday I saw thepresentation, which was a little bit

different from your other projects. Youwere kind of a moderator. What is yourposition and your role as an artist inrelation to what we saw yesterday?

_ When I did thepresentation, at the beginning I said “Weare Romanian Dance History”. TheRomanian Dance History (RDH) can

sometimes be a performance, butmanifests itself in very different ways. Itshould never be like my own project.RDH is or RDH does.I did it for the first time in Bucharest in2010. And since then there were moreepisodes, but it is also something peoplecan take over. So it is not about Romaniaand Romanian dance. For example,Norwegian and Italian choreographersalso did it, and so it has nothing to dowith some kind of "being Romanian". Italso echoes this other project, that alsocame about in 2010, I think, which iscalled Swedish Dance History19. It was

19(The Swedish Dance History a collective

choreography of 1000 pages organized byINPEX and MyChoreography in Stockholm on the

29th of April 2009. The book was printed in2000 copies and distributed for free. The projectproblematizes the making of national history and

perhaps more visible. They releasedthese big books, silver books.

Some years ago I was supposed topresent a research on Romanian danceduring the totalitarian period, but therewas nothing recorded... How to deal withthis almost total absence of images orpictures, when you try to do an archive?Then I thought, maybe this is good,maybe this absence is my main

dramaturgical tool. So I started inventinga lot of things. Later I got to knowSwedish Dance History. We do not havethe means to produce thousands ofbooks. There is no funding. But it couldbe also interesting to highjack thiscontext. We thought it is a good strategy.

This was in 2010 in Bucharest, when thefinancial crisis was quite strong. At thesame time the only space that we had inBucharest for the contemporary dancecommunity was threatened to bedemolished and we were supposed to bethrown out. Which happened one yearafter.

history of dance. Since then there were moreactions concerning these aspects under the nameof The Swedish Dance History)

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In the main avenue from Bucharest, whichwas usually very commercial, everybodywas leaving their shops. So you had a lotof spaces, which looked like shops, with

a big window, but totally empty andwhite.So we put a banner in front of one of thisold shops: "This is Romanian DanceHistory", and that’s it. We declared it "Romanian Dance History". For 3 dayswhatever happened there was RomanianDance History. I curated three days ofevents. The things I invited were dealinga lot with invented biographies andhistories. And we could invent, declareand put things there, which do not have aplace, which usually are not accepted. Atthe same time, we were saying "Ok thecrises emptied all this, but maybe it couldbe used for something else."

There is always this discourse. You find alot of theory about hegemony in the arts:

western cannon, who writes history andwho can write history. At this momentthere is a dominance of the westerncannon, which always wrote the history.The position is much stronger, through allthe institutional frame. Off course I oftenwent through a lot of theory stuff, but wefelt our action should be somethingperformative. Otherwise we always stay

in this position of the victim, who wants todo some kind of justice to the past. This ishow we did the first action in Vienna, atImpulstanz, after a premiere by Rosas.So basically we were in the audience, webought tickets, we waited, and then weasked for permission. We said"Romanian Dance History is small, thereis not so much history, and actually itcould be performed in 3 minutes and ifyou don't mind we could just do it" and

then they kicked us off the stage. But wedid it several times, which worked.Then there was a moment when I heardabout Manele, which is a very

controversial and confrontationalphenomena. Manele is kind of officiallybanned, even though it is very popular,because it is always associated withoriental influences, which are refused. Italso involves a huge level of racismtowards the Roma. For me this issomehow an act, maybe unconscious, ofa certain pride, self affirmation,resistance and justice.When Sandra Noeth told me about thisprogram, I thought: "I'm looking at thisnow, and I think it could be good to do a“manelization” of Austria."Public intellectuals talk about the“manelization” of Romanian culture.They see it as an impurity that isperverting Romanian culture withvulgarity. Some kind of crazy fantasy.

They create the conditions for a whitespread racist argumentation. As soon asthese intellectuals launched thisexpression, it was taken by themainstream journalists, and then it reallyspread out. In Europe you also have thiswith the expression "islamization” ofEurope.

_ I think it has also a lot to do with asentence I found, while reading aboutDeleuze, which said "Culture is likewater, because it  is taking over emptyspaces, is spreading on the horizontaland on the vertical." Is the institualizationof art or culture, petrifying it andavoiding the natural development ofexpression? How to deal with it?Specially when we are talking aboutmixtures and extending the limits. I think

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this is maybe happening with Manele,because on the one hand things arecoming together, which are not used tobe seen together, and on the other hand

the produced discourses say that thesethings shouldn't be put together.

_ Sure. When I started working withthis there was this stigma "the officialculture", just with the chosen things,which stay closed. I was going in clubs tosee Manele. But for me it is veryproblematic to just simple put it on stage.How to approach it? Aesthetics arerelated to politics. I was seeing incredibledancers and the music sometimes isincredible. But just to bring them in ablack box? It’s exoticism.Last night, the conceptual frame was todeclare the presentation part of the RDH.To have another chapter with Manele.This is unwanted in a way, even byfellow? artists.

RDH can be this contemporary dance orwhatever you call it. When I heard aboutthe case of these ladies, who simply justwanted to give a course at the University,I just simply went there and invited themand brought them here.

_ Are you also doing thispresentation in Romania?

_ Yes, the first one was in a galleryin Cluj Napoca, Romania. It was a bitdifferent. Clux is in the north and thereare more... There is a huge tensionbetween the ones, who wanted and stillwant a modern Romania, which steps inpace??? with the West and rejects theoriental influences and the ones whodon't. In the North of the country theylook at Bucharest as being the South,

near Turkey, the gates of the Orient andwhere everything is a little bit dirty.So we went to Cluj Napoca where theyperceive themselves as being close to

Austria, middle Europe. There, like inTimisoara, the City Wall even bannedManele from the taxis. Taxi drivers arenot allowed to play it.We had a Soundtrack of 45 Minutes ofonly Manele. I invited three Maneledancers that I met in the clubs and someof my colleagues, dancers, who werealready in the Festival in Cluj, to jointogether and dance for 45 minutes. Wetried to copy and to learn from the guysfrom the clubs and we danced as goodas we could.

_ I can recognize different things inthis projects you are doing. On the onehand, I recognize this resistance througha certain way of writing history, which ismore an internal concern about

Romania. But then I also see a resistanceto the domain of the western cultural andeconomical system, through the inventionof new possible histories. This is differentfrom trying to revive some historicalthings which were marginalized andreconstructing history, which you are alsodoing.

_ You know it is very delicate to usethis expressions "east" and "west",because we artists are also being framedin a certain way. Eastern artists, in thebeginning of the years 2000 wereinvolved in a lot of these westernprograms or festivals, which had a bit ofEastern Europe focus. This is problematicbecause it reaffirms it, labels it in order topresent it. Now in 2011 is quite different,the region has changed and also the

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politics. Now it is a lot about theperipheries of the European Union andvery much about north and south.Somehow we thought we could address

some issues without falling in this kind ofself-victimization. Where could weproduce some sort of interruption in acertain narrative, could this beperformative practice, and what?

We should produce some kind of a realsituation and some possible debate,erase issues and activate thesediscourses, instead of being submitted tothis victim situation.Once I read something nice from FrantzFanon, a famous philosopher who wasan activist and militant for blackemancipation. He is the main name in thepost-colonial studies. He says: "Well Icannot do anything about my brothers,slaves, that were killed in the last century.I cannot bring it back. I cannot really

make justice. What I can do is to try tospeak about those conditions now, whatis happening now. To make a kind of adifference for the situation as it is now."One should find tactics or strategies tothink what could be a gesture that couldincorporate some of his theory.

_ The presentation yesterday rises a

lot of questions. I thought there were alot of paradoxes inside. And I also askedmyself "is this true?". Maybe they are justvery good actresses. I was veryintrigued about everything.The Manele is a movement, which also isvery difficult to catch and to put oncategories. The Manele itself raises thequestion "what is this?", "how do I putthis in my head, into categories?". I thinkwhat you are doing with the RDH is also

trying to find new ways of how to escapethe categorisations. Is this some kind ofprotest action? What does it means nowthat a Norwegian choreographer is

doing RDH too. Is it already anautonomous instrument, which shows thedispositive of a system, not only from thewestern society but from a local logic?When you enter the theatre and take therisk, that you maybe stay there or not, it'sa demonstrating how theatre and thedance institutions are actually workingnowadays, as a public structure. It shouldbe a place for freedom and expression,but it is often not like this. These actionsare producing an irritation, becausepeople cannot organize it anymore.

_ What can be a subversive gesturetoday? I mean performance andaesthetization of politics is everywhere.

 You don't need artists. I mean anypolitician, any city wall, or any mayor is

always thinking about what they do, likefrom the point of view of a spectacle.Everything is immediately recorded,reproduced instantly on media and sothey don't need artists. Protest andradicality are easily integrated in thedominant discourse representations (thissentence is very difficult to understand). Itbecomes quite difficult to think of what it

could be to stabilize a subversiveposition.Nowadays you see much about protestgoing around, with the "indignados" andoccupy movements. I find interestingwhat is happening, because there is aviolent claim of the private space. Theviolence is through the logic of howprivate property in capitalism works. Theriots in London have been accused bymany thinkers, that they do not have

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explicit political agenda and is it anexpression of a frustration. It think thereis an interesting aspect, when you say"enough". You just say enough, but you

do not formulate a list of demands tohand it to the power, because themoment you do this you recognize thepower as such. With the recognition yougive it a possibility to enter in anegotiation.

Now in Europe financial decisions arevery heavy and they are taken withoutany participation of the people, who aresupporting all those measures. Somemovements are asking for a radical shiftin the system. Is not about improvement,is about trying to imagine anothersystem. It is a level of politicalimagination, but it is difficult to knowwhat it could be. They occupy, they wantto speak and to act for something thateven if it is not visible or clear, still

doesn't mean they should not try toimagine it.

_ Do you want to change something?

_ In Bucharest, in this colective groupof the project "Presidential Candidate",we are a lot. Usually we write texts orany of us can write under this name. It is

a collaboration without consent.I am questioning the position of the artistpractice: What kind of collaborators arewe? The artist is in a way per excellencethe model of the new liberal action: he isself entrepreneur, self managed, flexible,works on short contracts, does not havesocial security, is movable, nomad,precarious, practices self exploitationbut is creative. So it offers a circularsymbolic capital. Some philosophers, like

Franko Biffo Berardi and some moreradical Italians, use a term: cognitarycapitalist, which says, what is put at worktoday is the soul, your affects and your

subjectivity. The artist is a model forcapitalism. Of course I am thinking offwhat position I am in and what mypractice is in this context.

_ What about being here. Being atScores. Is this a platform for interchangeand dialog, but not also fornormativization?

_ Ya, of course. With the Manele,we enter the cultural field, but of course itis also political. Negotiation betweencultures is full of traps and is alwaysproblematic. To speak in the name ofsomeone or something, to appropriate orassume that you know something abouthow the things work, speaking always"we" and "them". These things might

make you think twice and keep somedistance. At the same time, I think thatactually there is no way to pretend itdoesn't happens or to not get involvedsomehow with the Arab Spring and allthe issues, which were named in Scores.The "how" is, of course, highlydebatable. How to do it? What itactivates? What it means? What it

produces? We should go where thesethings are happening, and we should putit on the table. Why not? Like Foucault,he went to Iran, when there was therevolution. They were constantlytravelling and trying to support certainpositions, specially the leftists ones. Sothey where kind of trying to practicethese politics and get involved. Foucaulthas a nice text, written after is Iranexperience "Inutile de se surleve?"

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("Useless to revolt?"). He makes adistinction between revolt, which is thisuprising like you saw in Tahrir (Egipt), apure occupation and dismantling of

power. And that moment before anotherpower takes over, a kind of Vacuum,where it is possible...

_ ... to make anything. We discussedthis a lot in Portugal, because we alsohad a revolution in the seventies. Afterwhich there has this vacuum and then wetook the way of the European Unionorientated politics, in which we are stillliving today. Our culture vanished,

because after forty enclosed years ofdictatorship, turned on the inside, therewas a violent opening. Everything, whichwas before was just forgotten. Not only

the History, but also the culture andtraditions. People wanted to experiencethe Idea of a supposed freedom...

... and walk through thecontemporaneity. Andre Lepecki hassome texts addressing this, the demandsfor the body to modernize and to work inpace with the time. Who sets this? Theclock?

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Es war kein alltäglicher Spaziergang, er war gedacht als künstlerisches Experiment.Im Rahmen von wurden Studierende desStudiengangs an der Universität Hamburg vom

eingeladen um gemeinsam mit Studierenden derdas Programm zu begleiten. Wir Studierenden trafen unsimmer am Vormittag um zu diskutieren, uns gegenseitig kennenzulernen und aneiner Präsentation zu arbeiten, die bereits im Programm angekündigt war.

An diesem 07. Dezember in Wien hatten wir uns dazu entschlossen, uns nach demMittagessen vor dem Tanzquartier zu treffen, um schweigend als Gruppe durch dieStadt zu laufen. Es gab bewusst kein Ziel. Die Gruppe sollte sich eigenständig einen

Weg durch die Stadt bahnen, um nach zwei Stunden irgendwo das Experiment zubeenden. Alle hatten in ihren Mobiltelefonen den Alarm auf 16 Uhr programmiert,damit wir gleichzeitig an das Ende der Performance erinnert wurden. Ich kann michnicht mehr genau an die Zeiten erinnern und habe in meinem Handy ein Fotogefunden, das in dem Café aufgenommen wurde, in dem wir uns nach unseremSpaziergang ausgetauscht haben. Unter Informationen heißt es:

Wir begannen unseren Spaziergang durch Wien nach meiner Erinnerung mit etwasVerspätung nach 14:00 Uhr in einem Hof des Museumsquartiers. Es dauerte einwenig bis sich die Gruppe schweigend in Bewegung setzte. Langsam schlendertenwir durch die Höfe bis zum Haupteingang. Die Gruppe bahnte sich ihren Weg durchden Torbogen auf einen langgezogenen Platz der zwischen dem Museumsquartierund einer breiten Straße liegt. Um mich besser an diesen Spaziergang zu erinnern,liegt vor mir mein Stadtplan von  , den ich damals in Wien gekauft habe. Den Museumsplatz betraten wir aus dem Torbogen heraus und zu meinerLinken sah ich ein älteres Ehepaar, die – wie ich jetzt beim Schreiben dieses Textes 

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– gemeinsam in ihren Stadtplan schauten, um sich zu orientieren. Die Gruppewandelte leicht unentschlossen nach links, den langen Platzt entlang. Am Endeüberquerten die Ersten langsam eine Straße. Die restlichen Mitglieder der Gruppefolgten gemächlich. Ich habe geöffnet. In einem Fenster hinter 

diesem Textdokument warten die Satellitenbilder von Wien nur darauf, mich vonmeinem Text abzulenken - mich gleichzeitig aber auch an diese Stadt zu erinnern.Ich erkenne einen verschwommenen Zebrastreifen, dort wo wir vor mehr als 3Monaten die Straße überquerten. Nun werden meine Erinnerungen klarer . DieGruppe war sich sehr unschlüssig, ob wir nach links die lange Einkaufsstraße hinaufoder doch weiter geradeaus die große Steintreppe hinab gehen sollten. Nacheinigen unentschiedenen Bewegungen folgten die Meisten doch in Richtung derTreppe.

So bahnten wir uns unseren Weg durch die Stadt: mal zögerlich und bedächtig, malschnell und entschlossen, durch Galerieräume, an Fensterscheiben vonKaffeehäusern vorbei, durch den öffentlichen Weihnachtsschmuck der Stadt,rennend durch Gassen, langsam Straßen überquerend, in einer Menschenkette überden Naschmarkt schlängelnd. Ich versuche die Eindrücke des Spaziergangschronologisch zu ordnen. Bei meiner Recherche im Internet wundere ich mich, dassvon Wien keine Ansicht von bereitgestellt wird. Doch

schnell werde ich über die Websuchmaschine auf die Seite  aufmerksam gemacht. Eine rumänische Firma hat laut Forumsbeiträgen Wienabfotografiert und ich kann unsere Route virtuell im Internet nachlaufen. Dies ist aber nicht ganz präzise möglich. Ich kann die Steintreppe nicht herunter schreitenund den Naschmarkt nicht überqueren. Das Haus, von dem uns damals dieBauarbeiter herunter gepfiffen hatten, ist nicht eingerüstet. Auf den Fotografien desvirtuellen Wien-Spaziergangs ist in weiß eingeblendet. Ich begeheden virtuellen Spaziergang also nun ein Vierteljahr später und bin doch mehr als 2

 Jahre zu früh. Im Internet sind die Bäume dunkelgrün, die Straßen sind von der grellen Sonne erleuchtet. Die Passanten auf den Fotos tragen kurze Hosen,Sonnenbrillen und Flip-Flops. Es muss Hochsommer sein in diesem virtuellen Wien im Jahre 2008. Unser Spaziergang fand am 07. Dezember 2011 statt. Im Nachhineinfindet sich leider kein Wetterbericht von diesem Tag im Internet. Ich erinnere mich,dass ich schon meine Winterjacke getragen habe. Es war dennoch ein sonniger Tagmit einigen Wolken, die über die Stadt hinweg zogen.Ich verfolge unseren Spaziergang weiter im Internet durch Straßen, an die ich mich

nicht mehr erinnern kann. Es fehlen besondere Ereignisse, spezielle Erfahrungen

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oder Absurditäten. Ich komme an einer Kirche raus, an die ich mich gar nicht erinnern kann. Ich muss mich falsch durchs Internet navigiert haben. Also mit demMousepad zurück scrollen und in eine andere Straße einbiegen. Und hier erinnereich mich wieder, wie wir tänzelnd über den Bürgersteig gehüpft sind, und ein Kind

im Kinderwagen zu verzückten. Ich fahre die Straße auf und ab; hier muss dochirgendwo die Telefonzelle sein, in die wir uns mit 6 Personen gequetscht haben.Erst, als ich mich das dritte Mal durch die Straße klicke, entdecke ich vor dem

den grauen, unscheinbaren Kasten. Ich bin wieder richtig in meiner Erinnerung.

Ein bisschen weiter die Straße rauf kommen mir zwei Bänke entgegengeplottet . Hiersaßen ein paar ältere Männer und vielleicht auch Frauen, umgeben von

prallgefüllten Plastiktüten. Jemand von uns Studenten saß zwischen ihnen. Nach undnach verteilten sich die Anderen der Gruppe auf dem Platz. Ich setzte mich aufeinen Treppenabsatz im Eingang eines Drogeriemarktes. bestimmt diesen Punkt mit dem Breiten- und Längengrad:  . Von hieraus konnte ich die gesamte Umgebung gut einsehen. Je mehr sich die Einzelnen derGruppe auf diesem Platz verteilten und je länger sich diese Szenerie für uns hinzog,um so schöner wurde dieser Platz für mich. Aus sechs verschiedenen Richtungenliefen Einbahnstraßen auf unseren Standtort sternförmig zu. Der Platz war eigentlich

vielmehr eine Straßenkreuzung. Die Häuser begrenzten die Kreuzung wieSchiffsbuge, die auf denselben Punkt zusteuern. Es gab eine kleine Verkehrsinsel inder Mitte, die durch zwei Zebrastreifen durchschnitten wurde. Auf der rechten Seitezog sich der Bürgersteig spitz in die Straßenkreuzung hinein. Hier gab es eineBushaltestelle. Ein bemerkenswerter Platz der durch unsere schweigendeAnwesenheit zur absurden Szenerie wurde und zeitlich im Schweigen erstarrte.

Dieser Platz wurde bevölkert von verschiedenen Lebenssituationen. Auf den Bänken

saßen Menschen, die den ganzen Tag damit verbrachten dort zu sitzen, sich zuunterhalten und das Straßentreiben zu beobachten. Autos durchfuhren mitgedämpftem Tempo den Platz. In den Seitenstraßen waren überall nur 30 km/herlaubt. Auch Fahrradfahrer überquerten aus allen Richtungen die Kreuzung. Eskamen Kunden in den Drogeriemarkt, die nur schnell etwas einkaufen wollten. Einpaar Leute standen an der Bushaltestelle. Der Rhythmus ihrer Bewegung durch Stadtwurde ausgebremst und sie verharrten wartend an der Bushaltestelle. EineStraßenkreuzung, an der sich verschiedene Zeitstrukturen überschneiden. Neben

dem Drogeriemarkt gab es einen Tabakhändler, es gab zwei Cafés, einen

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Oberbekleidungsladen für Berufsbekleidung, ein Einrichtungshaus, eine kleineBuchhandlung und eine Apotheke. Diese willkürlich gefundene Ecke in der Stadtwurde für mich nicht nur zu einem soziologischen Forschungsfeld, sondern vielmehrzu einem Gesamtunstwerk. Ich habe beim Beobachten die gesamte Szenerie, samt

der Architektur, den Passanten, dem Licht, den Geräuschen und Gerüchen in meinenGedanken in Bronze gegossen: die Zeit, die plötzlich zäh hinweg floss wie Honig;die Strahlen der untergehenden Sonne, die den Schauplatz in einenmelancholischen Sepia-Ton färbte, fast wie eine Super-8-Erinnerung; die Absurditätder schweigenden Personen, die auf der gesamten Kreuzung verteilt einemerkwürdige, unterschwellig angespannte Atmosphäre verbreiteten; die saniertenGründerzeit-Fassaden, die mich einerseits an das kulturelle und administrativeZentrum der k. u. k. Monarchie erinnerten aber gleichzeitig auch von postmoderner

Stadtplanung und Gentrifizierung erzählten.Diese Straßenkreuzung gerann für mich zu einem ästhetischen Ort, der mich dazuaufforderte Wirklichkeit wirken zu lassen, wahrzunehmen und nachzudenken; meineGedanken spazieren gehen zu lassen, sie treiben zu lassen ohne Ziel, wie wir, diewir uns damals haben treiben lassen: durch Straßen und Gassen, durch Architekturund Gebäude, durch Getümmel und Leere, durch Verkehr und Geräusche. Heutesitze ich hier mit meinen verklumpten und verkrusteten Erinnerungen in Blei. DieseErinnerungen halten aber dennoch diesen Platz - irgendwo in Wien zwischen

Stadtplänen, Fotografien, virtuellen Modellen und Wirklichkeit - für mich lebendig.

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In den Straßen

gehen Menschen,

keiner tanzt.Manche stehen

manche sitzen.

In der einen Straße gehen Viele,

in der anderen ganz wenig.

In manchen Straßen geht kaum mal eine lang.

Ich gucke mir immer die Blumentöpfe an, wenn da welche rum stehen.

Aus Protest.

Huch, da kommen wir Studenten auf einmal alle zusammen in die Straßen rein.

Wir gehen anders durch die Straßen. Es ist ganz neu. Wir schauen uns ganz schönum.

Manche sehen aus Protest nicht zu uns hin.

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Es ist 16.00 h am Sonntag. Wer sofrüh schon da ist, besucht die ersteVeranstaltung am letzten Tag vonScores N°4 im Studio 2. Jetzt sind wirdran. Eine Stunde Zeit. Eher einehalbe. Ein Kommentar zu den letztenTagen im Tanzquatier. Ein Kommentarzum Thema: „Unter Protest“. Überunsere gemeinsame Arbeit mit denWiener Studenten sprechen? Über dasProgramm sprechen? Über Protestsprechen? Überhaupt sprechen?„Dialog mit Studierenden“ heißt es imProgramm. Die Projektion spricht, wirschweigen. Protest?Es sind nicht viele gekommen, aberdie da sind, holen ihre Handys rausund folgen dem Text an der Wand:

. Und dann steht da noch:

MystischeWorte. Vielleicht nicht unmittelbarspürbar, aber wahr ohnehin."

fordert dieProjektion. Wir stehen aber liebernoch einen paar Minuten vereinzeltund unentschlossen herum, weil es erstkurz nach vier ist.

Immerhinwird schon geschwiegen undschließlich setzen WIR uns auch inBewegung. Als Gruppe? Eher als Teileeiner solchen, versammelt man sichnach und nach vor dem Tanzquatier.

Und wieder warten. Auf 10 nach 4?Darauf das einer losgeht? Auf die, die

A GROUP IS COMING TO EXISTENCE NOWvon Jonas Woltemate

Citizens of theRussian Federationshall have the rightto gatherpeacefully, withoutweapons, and tohold meetings,rallies,demonstrations,marches and

pickets.(Artikel 31 der russischenVerfassung)

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Lieber weitergehen. Jetztsind wir in der Stadt. Die Gruppesucht nach Formationen, nachMöglichkeiten der Kommunikation.Nonverbal. Im Handeln. Man setztsich hin oder schaut gemeinsam ineine Richtung, man bildet Reihen oderKreise, man klettert auf Bänke undbeobachtet Passanten. Alles ein wenigstatisch. Es braucht halt etwas Übungals Gruppe, und Vertrauen. Trotzdemerhöht sich auf der anderenStraßenseite der Schwierigkeitsgrad:Höhere Geschwindigkeit underheblich mehr Menschen.Kann das funktionieren? Ausgerechnethier, im engen Gedränge derTouristen kommt die Gruppe inBewegung, steigert das Tempo und

sucht die Lokomotion. Das verlangtAufmerksamkeit.

Ein Mann von der städtischenEntsorgung eilt mit einer Mülltonnevorbei. Wir folgen entschlossen. Eine

noch mitkommen wollen?

Walter Heun erklärt Sandra Noethnoch schnell die Regeln. So war dasaber nicht gedacht! – Oder doch?

.Na gut, dann los:

Zunächst ganz langsam,bewegen sich Einzelne, bewegt sichdie

Gruppe, verändert ihre Struktur,verändert ihre Konstellation.Zwischen den Gebäuden imMuseumsquatier beginnt sie sichlangsam im Raum zu organisieren.Schweigend. Man schlendert, bleibtstehen, schaut sich um und beobachtetdie anderen. Es klappt! Zumindesthier. Das Museumsquatier ist nichtWien.

stand da noch an der Wand.Und das wird spannend, mitten inWien in der Vorweihnachtszeit.Wir durchschreiten die Mauern desMuseumsquatiers und haben dasBedürfnis uns bemerkbar zu machen:Wir klatschen für ein Kleinkind. Fühltsich seltsam an.

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klare Entscheidung. Die der Gruppe.Wir beschleunigen, wir verlangsamen

das Tempo und für ein paar Minutengibt es keine Verständigung, keineBlicke, keine Vorschläge. Wirentscheiden intuitiv, jeder für sich, imSinne aller. Eigentlich entscheiden wirgar nicht. Es passiert einfach. –Zweifelsohne gewinnt die Menge anKraft, wenn sie aufhört aus Einzelnenzu bestehen. Und sie macht den Platzsichtbar den sie einnimmt, den siebesetzt.Einen kurzen Moment darauf kippt dieschwarmartige Bewegung in so etwaswie Intervention. In Bilder, die das Bildstören wollen.die nach Aufmerksamkeit suchen, nachReaktionen und die auch bekommen.Wir bilden ein S alier und winken die

einen freut es, die anderen regt esauf. Kein besonders starkes Bild, aber

es reicht, um das Wundern zuprovozieren.Ein paar Schritte voraus steht einPolizeifahrzeug und alle spüren eswohl: Das könnte die Chance sein zuüberprüfen wie groß die Provokationist. Wir versuchen mit Nachdruck, unssichtbar zu machen und werdenvollkommen ignoriert. DieStaatsgewalt hat wichtigeres zu tun,als sich provozieren zu lassen. Vielesind wir auch nicht gerade und ohneProtest obendrein.

. Wir lösen uns auf.

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Vom Impuls des Willens eine bestimmte Handlung auszuführen bis zur bewusstenEntscheidung vergeht eine halbe Sekunde. Das heißt, der Wille ist schon vor demBewusstsein da. Und es vergeht noch mal eine halbe Sekunde, bevor die Handlungtatsächlich zur Umsetzung kommt. In dieser zweiten halben Sekunde liegt also dasPotential, sich gegen etwas zu entscheiden, sich zu widersetzen, eine bestimmteHandlung eben nicht auszuführen oder die Aktion im Verlauf abzubrechen, eineBewegung zu unterbrechen oder abzuwenden in etwas anderes. UnserProtestpotential manifestiert sich in dieser zweiten einen halben Sekunde, in dem

Raum ‚dazwischen’. Könnte man diesen Raum ausdehnen, es wäre spannend zubeobachten, wie viele Prozesse im Gehirn ablaufen, die erklären, wie und warumwir beispielsweise nicht mit dem Kopf nicken, obwohl unser Bewusstsein schonangemeldet hat, dass wir mit dem Kopf nicken sollen. Das heißt, es gibt keinenfreien Willen, aber einen freien Unwillen. Der Wille ist unfrei, aber der Unwille istfrei. Wir werden von unserem Selbst ununterbrochen mit Handlungsanweisungenbombardiert gegen die wir uns wehren müssen. Wir kämpfen mit uns selber. Diesehalbe Sekunde ist unsere ganz persönliche innere deposition, die nach Sandra

Noeth entlang der Etymologie des Wortes weitergesponnen, „eine Bewegungbeschreibt, die eben das Verlassen der eigenen Position zur Voraussetzung macht,um einen Standpunkt einnehmen zu können und eine Aussage erst zu ermöglichen.“Wenn unser Gehirn tatsächlich nach diesen Strukturen funktioniert, dann sind wirgenau genommen den ganzen Tag damit beschäftigt, uns in permanent aufeinanderfolgenden Sekundenbruchteilen gegen uns abzuwehren und uns selbst in Frage zustellen. Das Ich befindet sich in einem unaufhörlichen Protestzustand oder in einerProtestbewegung. Wie würde eine Welt aussehen, in der wir immer unserem ersten

Impuls folgten? In der wir zu allem, was uns begegnete, Ja sagten und danachhandelten? Wo alle anderen aus ihrem ersten Impuls heraus auf unser Handelnreagierten? Vielleicht würden wir uns alle die Köpfe einschlagen, der Protest würdesich mehr nach außen verlagern. Aber wahrscheinlich würden wir uns alle aus lauterLangweile angähnen, weil uns die Bewegung von innen heraus fehlte, die sich dannin einer äußeren Bewegung fortsetzte u.s.w.Zum Glück gibt es da noch diese eine zweite halbe Sekunde. Es geht um dieHandlungsfähigkeit, um die Handlungsfähigkeit des Körpers oder besser gesagt dieHandlungsfähigkeit im Körper.

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Und natürlich gibt es da auch noch eine Menge Handlungsunfähigkeit, über die ichnoch gar nicht gesprochen habe und über die ich noch ganz viel erzählen könnte,weil sie natürlich die Schwächere von beiden ist und mich mit ihrem immanentenMangel tatsächlich viel mehr bewegt und aufregt. Ich denke da an Momente der

Haltlosigkeit, der Orientierungslosigkeit und der Überforderung.„Sozial unbeholfenes“ Verhalten sehen Polleschs Figuren nämlich als die einzig nochmögliche Form des Widerstands, den einzig noch realisierbaren Ausdruck überhauptvon Individualität an: Expression und Aggression in einem.Und um mit ein paar wunderschönen Songzeilen von Helge Schneiderabzuschließen, die noch einen weiteren Blick auf Protest erhellen„I break together, I break together, I break together? zusammen, funky funky“ blicke ich zurück auf eine aufregende Wienexpedition und glaube, dass jeder von

uns für sich, sei es als Performer, Künstler, Wissenschaftler, als Performer-Künstler-Wissenschaftler oder einfach als Mensch seinen ganz persönlichen Protestweggehen wird.Ihr da draußen, hier spricht die Stimme aus dem Off und ich bin on Air....vielleichtkennt ihr den Nachtfalken noch....wenn es Probleme gibt......wenn der Wind deineHoffnung verweht und dein kaltes Bett dich nicht schlafen lässt......dich was bewegtund es dir unmöglich erscheint, um diese absurde Zeit von zwölf Uhr Mitternacht bisdrei Uhr morgens einen Ausdruck dafür zu finden.....dann sing ich dir durchs

Radio......

 Immer wenn ich Fernsehen guck, schalt ich schnell um.Ein Mann küsst eine Frau, dann eine Explosion.Der Papst küsst ein Kind, und ein Raumschiff zerschellt.Was ist denn das für eine erbärmliche Welt.

In dem einen Programm kommt Fettsaugen.Im Quizstudio sind sie schon am SaugenIch will noch was gucken, ich schalte um.

 Jemand haut mit’m Vorschlaghammer auf’n Auto rum.

I break together, i break togetherI break together ? zusammen

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Funky funky

Auf der Straße ist richtig was los.Eine Frau haut ihr Baby. Ein Mann geht bei Rot.

Die Welt ist krank, und der Arzt hat frei.Schnell ein Brötchen und Kartoffelbrei.Der Mann mit dem Stock wird vom Dobermann gebissen.Auf die Verkehrsinsel hat jemand geparkt.Eine Horde Kühe auf der Chanselise.Das hört sich ganz gut an, dann ist ja alles okay.

I break together, i break togetherI break together ? zusammenFunky

Wellensittich brüht n Kükenadler aus.Gerichtsvollzieher ziehen von Haus zu haus.Im alten Steinbruch wird ein Portmonee gefunden.Der Apotheker braucht für jeden Kunden zwei Stunden.Der Elefant aus dem Zirkus haut alles kaputt.Ein fremder Mann.Die Frau vom Sozialamt ist plötzlich Millionär.In Afrika gibt?s keine Affen mehr.

I break together, i break togetherI break together ? zusammenFunky, funky

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Studentischer Austausch zwischen Performance Studies Studierenden und Studentender AkBild in Wien.

In dem Hörstück „Küchengespräche“ tauschen sich der Wiener Student derHochschule für Bildende Kunst Matthias Marille mit der Performance StudiesStudierenden Juliana Oliveira aus Hamburg aus. Geführt wurde dieses Gesprächvon der Performance Studies Studierenden Kerstin Pietsch in deren Küche. DasGespräch fand im April 2012, vier Monate nach dem eigentlichen Austausch imRahmen des Scores Festivals im Tanzquartier Wien statt und zeugt somit über einenüber das Festival hinaus gewachsenen studentischen Austausch. In dem Gesprächvergleichen die Masterstudierenden ihren künstlerischen und wissenschaftlichenWerdegang sowie ihr derzeitiges Studium und sprechen über ihreZukunftsperspektiven und Erwartungen.

http://soundcloud.com/pollypotter/kuechengespraeche

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