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Komet der Geheimnisse

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Atlan - Der Held von Arkon

Nr. 213

Komet der Geheimnisse

Im Untergrund von Arkon II - Ra, der Barbar, lernt das Rätsel Blahurs

kennen

von Peter Terrid

In einer Zeit, die auf Terra dem 9. Jahrtausend v. Chr. entspricht, steht es mit dem Großen Imperium der Arkoniden nicht zum Besten, denn es muß sich sowohl äuße­rer als auch innerer Feinde erwehren.

Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Im­periums durch überraschende Schläge schwere Verluste zufügen. Die inneren Fein­de Arkons sind Habgier und Korruption der Herrschenden, die – allen voran Impera­tor Orbanaschol III. – nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind und das Gemein­wohl völlig außer acht lassen. Gegen diese inneren Feinde des Imperiums ist der jun­ge Atlan, der rechtmäßige Thronerbe und Kristallprinz von Arkon, der eine stetig wachsende Schar von verschworenen Helfern um sich sammeln konnte, bereits mehrmals erfolgreich vorgegangen.

Gegenwärtig ist Atlan jedoch nicht in der Lage, den Untergrundkampf gegen den Usurpator und Brudermörder Orbanaschol persönlich weiterzuführen, denn durch die Einwirkung einer Geheimwaffe der Maahks gelangte er erneut in den Mikrokosmos, wo er inzwischen von Ischtar, der Goldenen Göttin, und seinen alten Kampfgefährten Fartuloon, Corpkor und Eiskralle gesucht wird.

Ra, der Barbar, hingegen nimmt an der Suche nach Atlan nicht teil. Er hatte sich schon vorher abgesetzt und hält sich gegenwärtig zusammen mit dem Con-Treh Bei Etir Baj im Arkon-System auf. Dort nähert sich der KOMET DER GEHEIMNISSE …

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Die Hautpersonen des Romans:Ra - Der Barbar lernt den Untergrund von Arkon II kennen.Regir da Quertamagln - Ein Verräter wider Willen.Perytlth - Ein Krüppel und ein Denunziant.Pathor Margib und Mahn Sulk - Zwei Männer der POGIM.Orbanaschol III. - Der Imperator läßt sich weissagen.Yagthara - Atlans Mutter.

1.

Daß Perytlth für die POGIM arbeitete, hatte ein paar einfache Ursachen. Der Zaliter in arkonidischen Diensten war äußerst un­glücklich verheiratet, mit einer reinblütigen Arkonidin, die es dem Schicksal nie verzei­hen würde, daß es nur zu einem Zaliter ge­reicht hatte. Die Tatsache, daß sie keinen besseren Mann hatte finden können, mußte Perytlth täglich büßen. Der zweite, stichhal­tigere Grund war die brutanthsche Knochen­pest, an der Perytlth litt. Diese furchtbare Krankheit nahm ihren Anfang in einer Ent­zündung der Gelenke im unteren Bereich der Wirbelsäule. Dann arbeitete sie sich langsam in die Höhe.

Die unerträglichen Schmerzen führten da­zu, daß der Betroffene sich krümmte und versuchte, eine Haltung einzunehmen, in der er möglichst wenig Schmerzen litt. In dieser Haltung erstarrte der Kranke schließlich, vornübergebeugt, kaum noch fähig zu atmen oder zu gehen. Die Gelenke, in denen sich die Rippen beim Atmen an der Wirbelsäule bewegten, entzündeten sich in der Regel auch und machten jeden Atemzug zur Qual.

Perytlth litt seit etlichen Jahren an dieser Krankheit, die von den Ärzten schlicht als »idiopathisch« bezeichnet wurde, was eine hochwissenschaftliche Umschreibung für die Tatsache war, daß die Ärzte keine Ah­nung hatten.

Perytlth litt, an Körper und Geist, und darum störte es ihn auch nicht, wenn andere leiden mußten. Im Gegenteil, es bereitete dem Krüppel größtes Vergnügen, kräftige, gesunde Männer an die POGIM auszuliefern und sicher zu sein, daß diese Männer, wenn

überhaupt, in ähnlicher Verfassung wie er selbst die Folterkammern der POGIM ver­lassen würden.

Natürlich kam niemand auf den Gedan­ken, in dem gichtbrüchigen Mann einen PO­GIM-Spitzel zu vermuten. Perytlth war eini­germaßen beliebt, auch bei den Männern und Frauen, die er zu verraten gedachte. Was den Mann störte, war nur die Tatsache, daß er ihnen nicht verraten durfte, daß aus­gerechnet er, der Krüppel, sie ans Messer lieferte. Perytlth konnte nur dann sein schmutziges Geld verdienen, wenn er im Schutze einer völligen Anonymität arbeitete. Einmal von den Gegnern durchschaut, hätte der Mann aufgeben müssen. Die POGIM würde ihn fallenlassen, und was man dann mit Perytlth anstellen würde, war leicht aus­zurechnen.

Feigheit, gepaart mit einem alles verzeh­renden Haß, das waren die herausragenden Charaktermerkmale des Zaliters. Die Feig­heit machte ihn vorsichtig, der Haß gefähr­lich.

Am Rand der großen Raumhäfen, die die Oberfläche von Arkon II bedeckten, gab es für den alten Zaliter genug zu schnüffeln. Für reguläre Polizeieinheiten war es ein Ding der Unmöglichkeit, die riesige Zahl von Menschen genau zu kontrollieren, die täglich auf Arkon landete und wieder abflog. Rings um die Landefläche gab es, wie über­all im Imperium, eine unbestimmbare Grau­zone, in der die Reden freier geführt wurden als anderswo. Dort war Perytlths Revier.

Auch an diesem Abend war Perytlth un­terwegs. Der kleine Gleiter, der ihn trug, war speziell für ihn angefertigt worden, eine Art freibeweglicher Sessel. Antigravfelder hiel­ten die Konstruktion eine Handbreit über

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dem Erdboden in der Schwebe, so daß Pe­rytlth nur kleine Bewegungen mit der Hand auszuführen brauchte, um sein seltsames Gefährt in Bewegung zu setzen. Das Metall des Krankengleiters war verschrammt und unansehnlich geworden, und aus dem Innern ertönten in unregelmäßigen Abständen Ge­räusche, die jeden Uneingeweihten vermu­ten lassen mußten, daß der Reaktor des Glei­ters im nächsten Augenblick detonieren würde. Wer Perytlth kannte, wußte aber, daß diese Gefahr einstweilen nicht bestand, ob­wohl die mechanischen Krämpfe des Ge­fährts von Mal zu Mal geräuschvoller und bedrohlicher ausfielen.

Perytlth allein wußte, daß die hinfällige Schale einige positronische Finessen ent­hielt, die für jeden Unvorsichtigen zur tödli­chen Falle werden konnte. Manch ein Raumfahrer war Tage nach seiner Verhaf­tung mit Tonaufzeichnungen konfrontiert worden, die seine staatsfeindlichen Ansich­ten mehr als deutlich bewiesen. Perytlths klappriger Gleiter verbarg unter anderem auch Geräte, mit denen man Hirnschwin­gungsdiagramme aufzeichnen konnte, dazu Stimmspektrographen, Kameras und eine ansehnliche Sammlung von Waffen, die Pe­rytlth durch einfachen Knopfdruck betätigen konnte.

Ein Raumfahrer ging pfeifend an Perytlth vorbei, stutzte dann und grüßte den Zaliter mit einer Handbewegung.

»Hier hast du etwas«, rief er und warf Pe­rytlth eine Münze zu.

Perytlth grinste zurück und fing die Mün­ze auf, obwohl ihm die schnelle Bewegung des Armes starke Schmerzen bereitete. Dies war einer der rauhen Scherze, die man mit dem Krüppel trieb, vielleicht aus Bosheit, vielleicht aber auch aus Unkenntnis. Perytlth hatte sich nie die Mühe gemacht, seine Mit­menschen genau über seine Krankheit auf­zuklären.

Hätte der Raumfahrer den Blick sehen können, den der Krüppel ihm nachschickte, wäre er erschrocken. Perytlth kniff die Au­gen zusammen, dann drückte er den Fahrt-

Peter Terrid

hebel leicht nach vorne. Kreischend setzte sich das Fahrzeug in Bewegung; ein kleines Pelztier, das aus einem Kanalrohr hervorlug­te, suchte erschreckt das Weite.

Perytlths Weg war in den vergangenen Jahren fast zu einem Ritual geworden. Hätte es keine vollpositronische Zeitabstimmung gegeben, die Wirte hätten ihre Uhren nach Perytlths Auftauchen und Verschwinden stellen können. Stets um die gleiche Zeit er­schien der Mann in seinem Stammlokal, be­kam seine Almosen, trank etwas und ver­schwand wieder. Auch die Reihenfolge, in der der Mann seine Stammkneipen aufsuch­te, war festgelegt.

Erstes Ziel an jedem Abend war eine je­ner verrufenen Spelunken, die bevorzugt wurde von einer Sorte Männer, die im Raum tagtäglich ihr Leben aufs Spiel setzten und sich so eine beneidenswerte Freiheit der Ge­danken erhalten hatten. Gerade die Besat­zungen von privaten Prospektorenschiffen dachten nicht daran, ihre Zungen zu zügeln. Für manchen wurde dieser Leichtsinn ver­hängnisvoll, andere wiederum blieben unge­schoren, um der POGIM Gelegenheit zu ge­ben, tiefer in die subversiven Kreise einzu­dringen.

Der Wirt begrüßte Perytlth mit einem freundschaftlichen Handschlag, dann winkte er dem Servierrobot zu, dem Gast etwas zu trinken zu bringen.

»Was machen die Geschäfte, Alter?« fragte der Wirt und machte es sich in der Nähe des Zaliters bequem. »Wenn du Hun­ger hast, dann sag es mir.«

Perytlth lächelte. Er hatte lange ge­braucht, bis dieses Lächeln so ausfiel, wie er es brauchen konnte. Dank mußte zu erken­nen sein, ein Schuß melancholischer Weis­heit, Resignation – Perytlth konnte sich des Erfolges sicher sein, wenn er dieses Lächeln produzierte.

»Es könnte besser sein«, murmelte Pe­rytlth schwach. »Aber auch wesentlich schlechter. Ich bin's zufrieden. Und du, hast du genügend Umsatz?«

Der Wirt sah flüchtig durch das Lokal,

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dann zuckte er mit den Schultern. »Ich habe schon bessere Abende erlebt«,

stellte er fest. »Hunger?« Perytlth schüttelte den Kopf und nahm

einen Schluck aus dem Glas, das der Robot neben ihm abgestellt hatte. Anerkennend verzog er das Gesicht.

»Ein guter Tropfen«, lobte der alte Zali­ter. »Es würde mich wundern, wäre der Weg, den dieser Wein bis zu deiner Spelun­ke zurückgelegt hat, ein gerader gewesen.«

Unwillkürlich sah sich der Wirt um, als befürchte er, daß irgend jemand den Alten gehört haben könnte.

»Psst!« machte der Wirt und sah Perytlth vorwurfsvoll an. »Du weißt, hier haben die Wände Ohren!«

Perytlth grinste unverschämt. Mit Bemerkungen dieser Art hatte sich

der Krüppel den Ruf eines boshaften Spöt­ters und Regimegegners verschafft. Er galt als bissig, aber ungefährlich. Perytlth wußte aus sicherer Quelle, daß bei der nahegelege­nen Dienststelle der Hafenpolizei ein um­fangreiches Dossier über ihn geführt wurde. Dort hielt man ihn für einen Kritiker des Im­perators, und der Alte wußte dieses Image zu schätzen.

»Jeder hier«, behauptete Perytlth anzüg­lich, »weiß, daß deine Getränke entweder gepanscht oder geschmuggelt sind. Nun ja, mich geht es nichts an. Ich bin nur ein ar­mer, kranker Mann, der für jeden wärmen­den Schluck dankbar sein muß.«

In Wirklichkeit hatte der Wirt Perytlth ei­niges zu verdanken. Der Krüppel, der tags­über ständig an den Landefeldern herumlun­gerte und Raumfahrer anbettelte, hatte sich als Schlepper hervorragend bewährt. Hun­derte von zahlungskräftigen Gästen waren nur dank der Tips des Alten in diese Kneipe gekommen und hatten den Kontostand des Wirts erhöht.

Daß sich der Wirt für die Dienste des Krüppels revanchierte, verstand sich von selbst. Allerdings sprachen die beiden Män­ner nie offen über ihre gegenseitigen Ge­schäfte; diese Dinge erledigten sich diskret

und unbeobachtet fast von selbst. Ab und zu bat der Wirt seinen Gast, bei einem wichti­gen Brief stück Kurier zu spielen, und in den Umschlägen fand Perytlth dann das Entgelt für seine Schlepperdienste.

»Irgendwelche neuen Gesichter?« erkun­digte sich Perytlth, während er den heißen, belebenden Wein schlürfte. »Ich habe lange keine gute Geschichte mehr gehört.«

Der Wirt deutete mit einer kaum wahr­nehmbaren Handbewegung auf einen Tisch im Hintergrund des weitläufigen Lokals. Das Gasthaus war vierstöckig und bestand aus insgesamt vierzehn verschiedenen Knei­pen, Gaststätten und Restaurants, sorgfältig den einzelnen Geschmäckern angepaßt. Im Keller befand sich das von den lokalen Be­hörden stillschweigend geduldete Geheim­zimmer, in dem um hohe Einsätze gespielt wurde. Der Tisch, auf den der Wirt gedeutet hatte, gehörte zum Bereich des Lokals, der für das normale Lauf publikum gedacht war, für Männer, die schnell einen Drink nehmen wollten, bevor sie zur Arbeit oder nach Hau­se gingen. Stammgäste zogen andere Räum­lichkeiten des Etablissements vor.

»Ein komischer Vogel«, murmelte der Wirt. »Trinkt nichts, jedenfalls nichts, was Alkohol enthält. Sitzt da, grinst die Leute an und hört allen Gesprächen mit auffallendem Interesse zu. Vielleicht ein Spitzel der PO­GIM.«

Der Krüppel war daran gewöhnt, sich so wenig zu bewegen, wie es irgend möglich war, da er keine Körperbewegung mehr aus­führen konnte, ohne von kleineren oder grö­ßeren Schmerzanfällen gepeinigt zu werden. Daher zuckte Perytlth auch nicht zusammen, als der Wirt seinen Verdacht äußerte.

Perytlth spürte, wie ihn Angst befiel. Wenn dieser Unbekannte tatsächlich ein PO­GIM-Mann war, dann befand sich der alte Zaliter in höchster Gefahr. War es schon so­weit, wurde er abgelöst? Brauchte die Ge­heimpolizei die Dienste des Kranken nicht mehr? Perytlth war nicht so dumm, daß er nicht gewußt hätte, daß er als POGIM-Mann nur so lange von Wert war, wie er für die

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Untergrundorganisationen und Regimegeg­ner gefährlicher war als für die POGIM. War Perytlth erst einmal von den geheimen Widerstandsorganisationen enttarnt, konnte er höchstens noch POGIM-Geheimnisse ausplaudern, und vor solchen unangeneh­men Überraschungen pflegte man sich bei der geheimen Polizei des Imperators recht drastisch und wirkungsvoll zu schützen.

»Wo kommt der Mann her?« fragte der Spitzel leise. »Ein Arkonide?«

Der Wirt zuckte mit den Schultern und bedeutete dem Robot mit einer Handbewe­gung, die beiden Gläser wieder aufzufüllen.

»Die Sorte habe ich noch nie gesehen«, behauptete der Wirt. »Arkonide ist er sicher nicht, er hat dunkle Augen und auch dunkles Haar. Zaliter ist er auch nicht. Ich habe in meinem Gedächtnis gesucht, aber ich kenne keine Welt, auf der es solche Männer gibt. Es sei denn, er stammt von einer der Welten, die nur bei Sklavenjägern bekannt sind, aber dann würde er wohl kaum so friedlich hier sitzen. Willst du ihn dir ansehen?«

Perytlth kniff die Augen zusammen. Was hatte der Wirt mit dieser Frage ge­

meint, vor allem mit dieser Formulierung? Ahnte er, in wessen Diensten Perytlth stand, war er eingeweiht? Perytlth, durch das Auf­tauchen des Fremden ohnehin überrascht, wurde nervös. Gerade er, der sich im stillen darüber freute, Angst und Schrecken ver­breiten zu können, war für Angst besonders empfänglich. Aber ein schneller Seitenblick auf den Wirt zeigte dem Zaliter, daß der Mann mit seinen Worten keinen Hinterge­danken ausdrücken wollte.

»Vielleicht kennt er ein paar neue Ge­schichten«, hoffte Perytlth und setzte sein Gefährt in Gang. »Ich werde versuchen, mit dem Mann ein Gespräch anzufangen.«

Perytlth sah verstohlen nach der Uhr. Es blieb ihm noch mehr als eine Stunde, bis er, um den Ruf seiner sagenhaften Pünktlichkeit zu rechtfertigen, das Lokal wieder verlassen mußte. Langsam schwebte der klapprige Un­tersatz, der Prothese und Fahrzeug zugleich war, auf den Tisch zu, an dem der Fremde

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saß. Das erste, was Perytlth sehen konnte, wa­

ren eindrucksvoll breite Schultern. Nein, ein Arkonide war dieser Mann nicht; er konnte sich auch nicht verkleidet haben. Für einen Arkonbürger war er zu klein, zu breit und zu muskulös.

»Darf ich?« fragte Perytlth unterwürfig. Der Fremde drehte sich halb herum und

sah den Zaliter schnell an, dann lächelte er. »Natürlich«, sagte der Fremde. »Hier ist

schließlich Platz genug.« Es gab zu diesem Zeitpunkt mehr als

zwanzig freie Sitzplätze in dem Lokal, die Perytlth ohnehin nicht hätte in Anspruch nehmen können. Was der Mann in dem Krankengleiter wollte, mußte dem Fremden sofort klar gewesen sein. Er änderte seine Sitzposition so, daß er Perytlth ansehen konnte.

Der Zaliter hielt diesem Blick nicht lange stand. Perytlth war kein Psychologe, nicht einmal ein guter Menschenkenner, aber selbst er spürte sofort, daß dieser Fremde kein PO-GIM-Mann sein konnte. In dem Netz von Ängsten, Schrecken, Terror, Ver­dächtigungen, offenem und verstecktem Wi­derstand, in dem Arkon seit der Machter­greifung gefangen war, konnten sich weder Täter noch Opfer auf beiden Seiten einen so offenen Blick leisten.

Der Fremde sah Perytlth freundlich an. »Darf ich dich zu etwas einladen?« fragte

er. In diesem Augenblick begannn Perytlth

den Fremden zu hassen. Natürlich war der Zaliter daran gewohnt, etwas ausgegeben zu bekommen, schließlich gehörte es zu seiner Rolle, seine Mitmenschen anzubetteln. Aber Perytlth hatte immer gewußt, weshalb man ihm etwas zuschob, sei es aus Selbstgerech­tigkeit, um ihn loszuwerden, um ihn seine Minderwertigkeit fühlen zu lassen, um ihn auszuhorchen, als Bezahlung für geleistete, illegale Dienste – all diese Motivationen kannte der Zaliter. Dieses Angebot aber war anders; vergeblich suchte der Mann im Blick des Fremden den wohlvertrauten Ausdruck:

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»Du bist ein armer Hund und ich ein feiner Kerl, da hast du!« In Perytlths Welt, die von Haß und Bosheit, von Feigheit und Nieder­tracht eingegrenzt wurde, war diese einfa­che, ungekünstelte Geste nicht vorhanden, und es durfte sie auch nicht geben. Nur so­lange Perytlth die Möglichkeit hatte, in je-dem anderen Menschen den Halunken, kal­ten Egoisten, den schlechten Charakter zu entdecken, konnte er seine eigene Schlech­tigkeit vor sich selbst rechtfertigen.

Perytlth verzog das Gesicht und produ­zierte sein Standardlächeln Nummer eins.

»Vielen Dank, Bruder«, säuselte er. »Es tut gut, in diesen harten Zeiten einen freund­lichen Mitmenschen zu treffen. Sag, Bruder, woher kommst du?«

»Ich weiß es nicht«, sagte der Fremde lä­chelnd. »Ich bin sozusagen ein galaktisches Findelkind, das von einem großen Geheim­nis umgeben wird.«

Perytlth machte ein interessiertes Gesicht. Geheimnisse aller Art liebte er sehr, beson­ders den Verrat dieser Geheimnisse. Er machte es sich in seiner ambulanten Prothe­se bequem und hörte dem Fremden faszi­niert zu.

*

Ra wußte selbst nicht, wie er dazu kam, dem offenbar schwerkranken Zaliter solche Märchen aufzutischen. Aber der Barbar hat­te ein sicheres Gespür für menschliche Qua­litäten, und sein Instinkt sagte ihm, daß sein Gegenüber als Erzschurke zu bezeichnen war. Daher erlegte er sich keine Hemmun­gen auf.

»Ich wurde vor zwanzig Jahren gefun­den«, erzählte er mit gedämpfter Stimme, »und zwar in einem sehr großen Raum­schiff, das steuerlos durchs All trieb. Ein Handelskapitän hatte das Schiff gefunden und las mich auf. Mit dem Schiff konnte er nicht viel anfangen, da die Technologie dem, was er kannte, um mindestens fünftau­send Jahre voraus war. Das einzige, was er brauchen konnte, war ein Datenband für ei­

ne Hypnoseschulung. Leider wurde der Frachter auf dem Weg nach Arkon von Maahks erwischt und nahezu völlig zerstört. Der Kapitän starb und mit ihm fast die ganze Besatzung. Auch das Datenband wurde ver­nichtet. Nur ein alter Raumfahrer und ich überlebten die Tragödie, und dieser Mann, der vor wenigen Wochen gestorben ist, hat mir wenigstens einen Teil des Geheimnisses auf dem Sterbebett enthüllen können.«

Gierig trank Perytlth aus seinem Glas, er konnte kaum mehr erwarten, daß der Frem­de weitererzählte.

»Wie mir der alte Mann berichtete«, setz­te der Fremde seine Erzählung fort, »ist dies gar nicht mein eigentlicher Körper. Es ist nur eine Übergangsform auf dem Weg zu meiner richtigen Gestalt. Viel konnte mir der Sterbende nicht mehr über meine wirkli­che Gestalt erzählen, aber ich konnte heraus­bekommen, daß ich in meinem späteren Le­ben lange, kräftige Beine haben werde, viel Zeit im Wasser zubringen werde und einen großen, aufblasbaren Mund besitzen werde, obwohl ich nicht begreifen kann, wozu das alles gut ist. Ich soll der Erbe eines einst­mals überaus mächtigen Volkes sein, herrli­cher und gewaltiger als alle bekannten Völ­ker der Galaxis. Aber von unserem Volk soll außer mir nur noch ein Wesen leben, in sei­ner wirklichen Gestalt. Die Botschaft auf dem Hypnoband lautete so, daß ich dieses Wesen finden muß, das an einer goldenen Kugel leicht zu erkennen sei. Es würde mir meine wahre Gestalt geben, und dann könn­te ich mit dem Erbe meines Volkes mir die Galaxis Untertan machen!«

»Laß das nicht Orbanaschol hören«, mur­melte Perytlth.

Der Zaliter fand die Geschichte zwar et­was befremdlich, aber er sah nicht ein, wa­rum sie nicht wahr sein sollte. In der Galaxis gab es die verschiedenartigsten Lebewesen, warum nicht auch ein intelligentes, raumfah­rendes Volk, auch wenn es aussah wie ordi­näre zalitische Sumpfbewohner.

Ra hatte Mühe, seine Beherrschung nicht zu verlieren. Der Alte schien die haarsträu­

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bende Geschichte tatsächlich zu glauben. Ra beschloß, sie an Atlan weiterzugeben, viel­leicht konnte der Kristallprinz eines Tages auf sie zurückgreifen.

»Orbanaschol, pah«, machte Ra und grin­ste verächtlich. »Wenn ich erst das Schiff gefunden habe, in dem ich entdeckt wurde, werde ich bald auch das geheimnisvolle We­sen mit der Goldkugel finden, und dann wird es aus sein mit seiner Erhabenheit, dem Im­perator!«

Ra hatte laut genug gesprochen, um in je-dem Winkel verstanden worden zu sein. Wer wollte, konnte Ra jetzt der POGIM überliefern, aber der Barbar spekulierte dar­auf, daß man ihn absichtlich überhörte.

»Das würde den Imperator böse überra­schen«, meinte Perytlth. Er setzte Lächeln Nummer zwei auf: geheimnisvoll, ver­schwörerisch.

»Und warum sitzt du hier herum?« fragte Perytlth. »Warum suchst du nicht nach dem Schiff?«

Ra machte die überall verbreitete Geste des Geldzählens.

»Ich finde keine Geldgeber«, seufzte er leise. »Woher soll ich ein raumtaugliches Schiff nehmen. Niemand will mir helfen, obwohl ich meine ersten Helfer belohnen würde, wie kein Wesen je belohnt worden ist. Sternenreiche könnte ich vergeben, ge­waltige Reichtümer. Schließlich ist mein Volk das technisch höchstentwickelte der Galaxis.«

»Auch auf medizinischem Gebiet?« fragte Perytlth hastig.

Ra zögerte sekundenlang. Was sollte er dem Schwerkranken auf die­

se Frage antworten? Durfte er das Märchen fortsetzen, dem Mann eine Hoffnung geben, die nicht zu realisieren war? Ra wußte selbst nicht genau warum, aber er nickte kurz.

Perytlths Augen weiteten sich, er begann zu lächeln.

*

»Es ist nicht zu glauben«, knurrte Pathor

Peter Terrid

Margib. »Wo steckt dieser Bursche. Das wä­re das erstemal, daß Perytlth sich verspätet. In mehr als zehn Jahren Arbeit für uns hat er sich das noch nie erlaubt.«

Mehn Sulk zuckte mit den Schultern. »Vielleicht ist er dem Liebreiz irgendei­

ner Schönen am Hafen verfallen«, meinte er und grinste dazu. »Obwohl ihn sein erstes Abenteuer mit Frauen genug gelehrt haben sollte.«

Die beiden Männer kannten die Frau des Zaliters; als Perytlth eingestellt worden war, hatte man natürlich auch die Frau gründlich überprüft, und die Männer der geheimen POGIM-Station waren froh, daß ein anderer als sie in diese Falle getappt war.

»Trotzdem«, murmelte Pathor. »Mir ist nicht ganz wohl. Ich werde den Arzt rufen. Ich habe das Gefühl, wir werden ihn brau­chen.«

Die vor der Öffentlichkeit und allen ande­ren Behörden geheimgehaltene Station der POGIM hatte sich als Diagnosezentrum ge­tarnt. Bei dem großen Besucherverkehr fie­len einige Agenten und Außendienstmitar­beiter nicht auf. Vor allem war es möglich, jederzeit Dutzende von Männern in Alarm zu versetzen. Anderswo wären Männer, die blindlings durch die Gänge rannten, aufge­fallen, hier war derlei üblich. Immer wieder mußte Pathor Margib mit boshafter Freude an den Ausspruch einer alten Frau denken, die beim Anblick eines wie besessen rennen­den Mannes gesagt hatte: »Lieb, wie sich die Männer für unsereins einsetzen!«

Spaße dieser makabren Art waren typisch für Pathor Margib, der seine gute Stellung bei der POGIM zum größten Teil seinem ausgeprägten Zynismus und seiner Men­schenverachtung verdankte. Im Fall der al-ten Frau hatte der betreffende eilige Mann die gesamte Familie der Frau verhaftet und wenig später dem Konverter überantwortet.

»Zehn Minuten zu spät«, stellte Pathor fest, als Perytlth endlich den Raum betrat. »Wo haben Sie gesteckt, Mann?«

Perytlth machte ein verlegenes Gesicht. »Mir wurde übel«, gestand er. »Das hat

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mich aufgehalten, aber nur auf dem Weg hierher. Meine Runde habe ich pünktlich ab­solviert.«

»Sie machen uns Sorgen«, meinte Mehn Sulk. »Wir haben den Doktor kommen las­sen, um Ihren Gesundheitszustand überprü­fen zu lassen. Wenn Sie sich schlecht füh­len, dann sagen Sie es. Sie haben sich einen längeren Urlaub ehrlich verdient. Wir sind schließlich keine Leuteschinder!«

Perytlth lächelte schwach. Diese Worte hörten sich aus dem Munde des berufsmäßi­gen Leuteschinders befremdlich an, aber Pe­rytlth wußte aus langer Erfahrung, daß die PO-GIM zu ihren Mitarbeitern äußerst groß­zügig war, wenn diese Mitarbeiter wertvoll waren. Wem es gelang, zum Rang eines Of­fiziers aufzusteigen, wie es Margib und Sulk geschafft hatten, konnte für den Rest seines Lebens – Verschwiegenheit und Regime­treue vorausgesetzt – sorgenfrei leben.

Sulk winkte den Arzt heran, der Perytlth eingehend untersuchte. Dann winkte der Mediziner zwei Robots heran, die Perytlth behutsam aus seiner Prothese lösten und zu einem Untersuchungstisch trugen, der im Nachbarraum stand.

Während sich der Arzt um Perytlth küm­merte, öffneten die beiden POGIM-Männer eine Klappe an dem Gleiter, von deren Exi­stenz Perytlth aus naheliegenden Gründen nichts wußte. Hinter der Öffnung steckte ein Bandgerät, das alle Gespräche aufnahm, die Perytlth geführt hatte. Normalerweise wur­den die Unterhaltungen auf einem anderen Gerät aufgezeichnet, aber man hatte, um den Bandwechsel nicht allzu häufig vornehmen zu müssen, Perytlth freigestellt, wann er das Gerät einschalten wollte. In den Pausen, die so entstanden, zeichnete das zweite Gerät auf. Auf diese Weise war die POGIM nicht nur im Besitz eines jeden Wortes, das Pe­rytlth gesprochen hatte, sondern der Krüppel sortierte unfreiwillig auch jene Bemerkun­gen aus, die ihm selbst gefährlich werden konnten.

Es dauerte nur wenige Minuten, dann hat­te Pathor Margib die besprochene Bandspule

gegen eine frische ausgetauscht und die Klappe wieder geschlossen.

Wenig später kehrte der Arzt mit den Ro­bots zurück, die Perytlth sanft wieder an sei­ne Prothese anschlossen.

»Abgesehen von der Knochenpest ist der Mann gesund«, stellte der Arzt fest. »Wahrscheinlich hat er etwas gegessen, das ihm nicht bekommen ist. Ich schlage aller­dings vor, daß man ihm einen längeren Kur­aufenthalt zubilligt. Er macht einen leicht geschwächten Eindruck.«

»Nur das nicht!« stöhnte Perytlth auf. »Meine Frau hat schon eine Kur beantragt. Stellen Sie sich vor, wir landen am gleichen Ort!«

»Dann nicht«, meinte der Arzt achsel­zuckend. »Es ist Ihr Wille. Wie bereits ge­sagt, meine Herren, der Mann ist im großen und ganzen gesund!«

»Passen Sie besser auf sich auf, Perytlth!« ermahnte Mehn Sulk den Zaliter beim Ab­schied. »Sie werden gebraucht, das wissen Sie. Sie sind einer unserer besten Männer.«

Sulk konnte den merkwürdigen Ausdruck in Perytlths Augen nicht deuten, aber er kümmerte sich auch nicht darum. Was inter­essierte ihn, den erfolgreichen POGIM-Offi­zier mit einer steil ansteigenden Karriere, schon das Innenleben eines verkrüppelten Denunzianten. Die Führungsoffiziere der POGIM kannten ihre V-Männer viel besser als diese ahnten. Selbstverständlich wußten Mehn Sulk und Pathor Margib genau, aus welchen Gründen Perytlth seine gnadenlose Menschenjagd betrieb; sie verachteten den Zaliter deshalb.

Die beiden Männer warteten, bis sowohl der Arzt als auch Perytlth verschwunden wa­ren, dann spannten sie das Band in ein Ab­spielgerät ein. Wenig später klang Ras Stim­me durch den Raum. Die beiden Männer hörten dem Gespräch mit fassungslosem Staunen zu, sie hatten Mühe, den aufkom­menden Lachreiz zu unterdrücken. Ein Bild des fremden Märchenerzählers besaßen sie nicht; erst in einigen Tagen war die vollstän­dige Leerung der Datenkassetten in Perytlths

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Krankenstuhl fällig. »Heilige Milchstraße!« japste Mehn Sulk

und schnappte nach Luft. »Dieser Schwätzer hat Perytlth völlig eingewickelt. Ich bin si­cher, daß der Zaliter jedes Wort geglaubt hat.«

»Unvorstellbar«, staunte Pathor Margib. »Perytlth ist doch sonst nicht so leichtgläu­big.«

»Ich würde vor allem gerne wissen«, überlegte Sulk halblaut, »warum der Fremde gar nicht erst auf Perytlth eingegangen ist, sondern ihn ohne jedes Vorgeplänkel belo­gen hat, einfach so. Was für einen Grund hat dieser Mann gehabt?«

Pathor Margib runzelte die Stirn und biß sich auf die Lippen.

»Sollte der Bursche geahnt haben, daß er Perytlth gegenüber vorsichtig sein muß?« vermutete er.

»Du meinst, man weiß inzwischen, daß der Zaliter für uns arbeitet?« hakte Mehn Sulk nach. »Kann ich mir kaum vorstellen. Wer vermutet in Perytlth schon einen V-Mann der POGIM?«

»In jedem Fall werden wir uns diesen Mann näher ansehen müssen«, stellte Pathor Margib fest. »Und wir werden auch Perytlth im Auge behalten müssen. Ich habe das Ge­fühl, daß er dem Fremden glaubt, daß der ihn wieder gesund machen könnte. Und da­für würde Perytlth jeden verraten. Ich kann es ihm nicht einmal verdenken.«

»Lassen wir Perytlth weiter diesen Frem­den beobachten«, schlug Sulk vor. »Wir konstruieren einen Spielfall, unterstützen Perytlths Wahnglauben und setzen ihn auf die Fährte dieses Märchenerzählers. Damit schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klap­pe.«

»Einverstanden«, stimmte Margib zu. »Ich bin gespannt, was Perytlth uns als nächstes servieren wird!«

2.

Ra sah dem Mann, der gerade in seinem altmodischen Krankengefährt das Lokal ver-

Peter Terrid

ließ, mit gemischten Gefühlen nach. Er fühl­te sich nicht ganz wohl in seiner Haut. Er hatte den alten, kranken Mann hinters Licht geführt, und der Alte war darauf hereinge­fallen. Zwar hatte Ra instinktiv gespürt, daß mit diesem Mann etwas nicht stimmte, aber dies gab ihm noch lange nicht das Recht, ein übles Spiel mit den Gefühlen des Mannes zu treiben.

Ra biß sich auf die Lippen, als er mit dem überscharfen Gehör eines Naturmenschen hinter sich Schritte hörte. Sofort drehte sich der Barbar herum.

Ein Mann näherte sich dem Tisch, an dem Ra saß. Der Mann war breitschultrig und hochgewachsen, ein Arkonide, wie das wei­ße Haar und die Albinoaugen sofort zeigten. Die dunklere Färbung seiner Haut verriet, daß er sich dem Sonnenlicht aussetzen muß­te, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Folglich gehörte der Mann den unteren so­zialen Schichten an. Arkoniden von Rang hatten blaß zu sein. Das alabasterne Weiß ei­ner Leiche war derzeit Modefarbe.

Ohne um Erlaubnis zu fragen, setzte sich der Mann zu Ra an den Tisch und musterte den Barbaren eindringlich. Minuten vergin­gen, in denen kein Wort fiel. Aus einer Sitz­gruppe in einer dämmerigen Ecke heraus wurde Ras Tisch unausgesetzt beobachtet. Endlich brach der Besucher das Schweigen.

»Mein Name ist Sarat Tohl«, stellte sich der Mann vor. »Ich bin Raumfahrer und – nebenbei – ein wenig Schmuggler.«

»Aha«, dachte sich Ra. »Das dürfte der Köder sein.«

Laut sagte er: »Ich heiße Ra, bin Raum­fahrer und – nebenbei – ein wenig Barbar!«

Ra erreichte seinen Zweck, der Mann fühlte sich veralbert.

»Hör zu!« zischte Sarat Tohl. »Wir haben dich genau beobachtet. Du bist hier herein­gekommen, hast kaum etwas getrunken und einem alten Stammgast das Blaugrüne vom Himmel heruntergeflunkert. Was zum Teu­fel suchst du hier? Bist du von der Polizei? Oder gar von der POGIM?«

»Weder noch«, meinte Ra knapp und

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trank einen Schluck Fruchtsaft. Er wußte jetzt ziemlich genau, woran er war. Die un­verblümte Frage nach der gefürchteten Ge­heimpolizei ließ nur den einen Schluß zu, daß der Fragende nicht viel von der POGIM hielt. Alternativ dazu bestand natürlich im­mer die Gefahr, daß der Frager selbst zur POGIM gehörte, aber dieses Risiko erschien Ra in diesem Fall ziemlich gering. Oben­drein hätte er es, gleichgültig unter welchen Umständen auch immer, eingehen müssen.

Das Ziel des Barbaren war, in die sicher­lich vorhandene Untergrundwiderstandsor­ganisation Arkons einzusickern und dort gu­te Verbindungen zu schaffen, die ihm, Atlan oder den Männern und Frauen auf Kraumon später von Nutzen sein konnten.

»Was hältst du von seiner Erhabenheit?« fragte Ra gemütlich. »Magst du Orbanaschol III. wünschst du ihm langes Leben und Ge­sundheit?«

»Die Pest an den Hals!« knurrte Sarat Tohl. Er hätte ein hervorragender Schauspie­ler sein müssen, um den verhaltenen Haß in der Stimme aufs Stichwort hin so naturge­treu mitschwingen lassen zu können.

»Dann bin ich bei dir richtig«, meinte Ra und grinste den Mann an. »Leute wie euch habe ich gesucht. Wollen wir gehen?«

»Gehen? Wohin?« fragte Tohl verblüfft; er kam mit dem Tempo nicht mit.

»In euren Versammlungsraum«, erklärte Ra freundlich. »Dorthin, wo ihr eure gehei­men Besprechungen abhaltet. Oder wollen wir hier weiterreden?«

Die Überrumpelungstaktik funktionierte. Sarat Tohl schüttelte verwirrt den Kopf, dann winkte er den Kassiererrobot heran und zahlte. Vergnügt stellte Ra fest, daß der Mann in seiner Verwirrung beide Zechen beglich.

Sarat Tohl ging voran. Auf der Straße sah er sich immer wieder um, ob ihm jemand folgte. Ra wurde schon nach kurzer Zeit skeptisch. Sarat Tohl schien nicht eben die geistige Spitze des arkonidischen Wider­stands zu sein. Bei den Schulungsstunden in konspirativem Verhalten dürfte er jedenfalls

häufig gefehlt haben. Verblüfft stellte Ra fest, daß der Mann

zielsicher auf eine öffentliche Bedürfnisan­stalt zumarschierte.

Sobald die beiden Männer den Innenraum erreicht hatten, sah sich Sarat Tohl schnell um. Außer ihm und Ra hielt sich niemand in dem kleinen Gebäude auf. Rasch brachte der Mann einen Impulsschlüssel zum Vorschein, dessen Sendekopf er an den Boden hielt, der aus vernieteten Stahlplatten bestand. Ra spürte, wie der Boden unter ihm nachgab; senkrecht stürzte er ein paar Meter in die Tiefe, dann fing ihn ein Feld sicher auf. In den wenigen Sekundenbruchteilen des freien Falles hatte sich die Öffnung über ihren Köpfen wieder geschlossen. Ra kannte so­fort den Grund dafür; da die Anstalt nicht verschließbar war, mußte das Verschwinden der Besucher blitzschnell vonstatten gehen, bevor ein ahnungsloser Besucher plötzlich mit einem großen Loch im Boden konfron­tiert wurde.

Ra warf einen schnellen Blick auf den Im­pulsschlüssel, den Sarat Tohl hastig wieder verschwinden ließ.

Dieser kurze Blick reichte für Ra. Er wuß­te jetzt, daß Tohl einen Schlüssel benutzte, wie er in jedem Großkaufhaus zu erhalten war; wenn sich die Polizei für dieses Ver­steck interessierte, dann würde sie kaum mehr als eine Minute brauchen, um das Schloß zu öffnen. Langsam dämmerte Ra, daß er nicht gerade an professionelle Wider­standskämpfer geraten war.

»Mir nach!« knurrte Sarat Tohl; er hatte viel von seinem Selbstvertrauen wiederge­funden.

Die beiden Männer steckten nun im Un­tergrund von Arkon II, mitten in dem unent­wirrbar erscheinenden System von Kanälen, Schächten, Stollen und Röhren, den eigentli­chen Lebensadern des Planeten. Es war er­staunlich, daß die planetare Polizei dieser Untergrundwelt kaum Aufmerksamkeit schenkte. Nirgendwo war Arkon II so ver­wundbar wie hier. Eine radikale, umsichtig geführte Stadtguerrilla konnte in aller Ruhe

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an jedem wichtigen Schaltpunkt eine Bombe anbringen. Bei gleichzeitiger Sprengung hät­te sich auf dem Planeten nichts mehr be­wegt. Was das für eine so hochgezüchtete, auf perfekter Technik basierende Gesell­schaft bedeutete, war abzusehen.

Leise Schauder durchliefen Ra, als Tohl ihn durch einen Gang führte, unter dessen Boden die Haupttrinkwasserleitung für eine Millionenstadt verlief. Zwar waren Meßfüh­ler zu erkennen, die jeden Rohrbruch mel­den und vollrobotisch beseitigen würden, aber was würde geschehen, wenn ein gei­steskranker Fanatiker es sich einfallen ließ, das Trinkwasser um einige Kilogramm eines chemischen Kampfstoffs zu bereichern? Ra warf einen besorgten Blick auf seinen Be­gleiter, aber Sarat Tohl machte nicht den Eindruck, als sei er zu solchen Wahnsinns­handlungen fähig. Aber wer konnte ein sol­ches Urteil mit ausreichender Verläßlichkeit fällen?

Wenn Sarat Tohl sich vorgenommen hat­te, Ra zu verwirren, indem er ihn kreuz und quer durch das Labyrinth der Kanalisation führte, so hatte er sich gründlich getäuscht. Ra hätte zwar nicht sagen können, wo er sich exakt befand, aber er hätte den Weg, den er geführt worden war, jederzeit wieder an seinen Ausgangspunkt zurückverfolgen können.

»Warte hier!« befahl Sarat Tohl. »Ich komme bald zurück!«

Wieder trat der Impulsschlüssel in Tätig­keit, und wieder öffnete sich der Boden. Sa-rat Tohl schwang sich hinab in das Loch, das sich im Boden auftat, und verschwand. Ra nützte die Zeit, um sich umzusehen. Viel gab es nicht zu erkennen, nur ein Tiefbauin­genieur hätte sich in dieser übelriechenden Unterwelt vielleicht wohl fühlen können. Immerhin wußte Ra, daß vom perfekten Funktionieren aller Maschinen und Anlagen dieser Unterwelt das Leben einiger Millio­nen Menschen abhing. Was die einzelnen Farbmarkierungen bedeuteten, welche Stoffe die Röhren und Leitungen transportierten, konnte Ra nicht herausfinden. Allerdings

Peter Terrid

ließen die Dichte und Häufigkeit der Verbin­dungen den Schluß zu, daß das Versteck der Widerstandskämpfer in unmittelbarer Nähe eines bedeutsamen Knotenpunkts lag.

»Immerhin ein Vorteil!« murmelte Ra. Sollte die Polizei jemals dieses Versteck

aufspüren, dann hatten die Verschwörer den beträchtlichen Vorteil, daß die Beamten es sich nicht erlauben konnten, wahllos in der Gegend herumzuschießen. Hier konnte jeder Treffer verheerende Folgen für die Stadt ha­ben.

Nur wenige Minuten vergingen, dann tauchte Sarat Tohl wieder auf. Er machte ein finsteres Gesicht; offenbar war man nicht sehr erfreut über den Gast, den er mitge­bracht hatte.

»Komm mit!« knurrte er Ra an. »Man will dich untersuchen. Wenn du ein Spitzel bist, wirst du diesen Ort nicht mehr lebend verlassen!«

Das klang einigermaßen bedrohlich, aber Ra ließ sich dadurch nicht einschüchtern. Er war sich längst darüber klargeworden, daß es sich bei Sarat Tohl und seinen Freunden zwar um Menschen handelte, die das Terror­regime Orbanaschols verabscheuten, aber viel zu dilettantisch vorgingen, um dem Usurpator gefährlich werden zu können. Brav, ehrlich aber harmlos, so stufte Ra Sa-rat Tohl ein, und seine Freunde würden ver­mutlich vom gleichen Schlage sein.

Es waren sieben Männer, die noch unter dem Niveau der Kanalisation auf Ra warte­ten und den Barbaren mit finsteren Gesich­tern musterten. Eindruck konnten sie damit auf Ra nicht machen; es war ihnen anzuse­hen, daß sie ihre Kenntnisse über Unter­grundkampf aus populären Videosendungen bezogen hatten.

»Was willst du, und wie heißt du?« schnauzte einer der Männer Ra an.

Ra hätte diesen skurrilen Haufen am lieb­sten sofort verlassen, aber er sagte sich, daß er hier wenigstens einen kleinen Zipfel der Widerstandsbewegung gegen Orbanaschol in die Hand bekommen hatte. Vielleicht stand diese Gruppe mit fähigeren Gruppen

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in Verbindung. Ra jedenfalls hätte als Füh­rer einer kaltblütig und entschlossen geführ­ten Untergrundtruppe solche kleinen, harm­losen Gruppen überwacht, und sei es nur, um nicht im unpassendsten Augenblick über einen allzu eifrigen Amateur zu stolpern.

»Ich heiße Ra«, stellte sich der Barbar zum zweiten Male vor und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich bin ein Freund des Kristallprinzen Atlan!«

Schmerzlich wurde sich Ra der Tatsache bewußt, daß Atlans Schicksal im Mikrokos­mos mehr als ungewiß war; daß er, Ra, dafür verantwortlich war, wenn Atlan nicht zu­rückkehren sollte; das wahrscheinlich noch immer Ischtars Doppelpyramidenschiff um den Maahkstützpunkt kreiste, auf den ver­schwundenen Kristallprinzen wartend. Was ihm bevorstand, wenn Atlan nicht zurück­kehrte und Ra wieder Ischtar gegenübertre­ten mußte, wagte sich der Barbar nicht zu vergegenwärtigen.

»Atlan ist tot!« stellte der Sprecher fest. »Ganz Arkon hat es miterlebt. Er hat ver­sucht, den Imperator zu töten und ist dabei selbst umgekommen. Versuche nicht, uns für dumm zu verkaufen.«

Im Hintergrund des karg möblierten Raumes erkannte Ra eine junge Frau, eine Arkonidin, die Ra mit unverhohlener Neu­gierde musterte. Ra hatte den Eindruck, als sei in Wirklichkeit das Mädchen der Kopf dieser Gruppe; in jedem Fall machte sie ein weitaus energischeren Eindruck als die Männer.

»Dennoch«, behauptete Ra. »Atlan lebt, ich weiß es genau. Der Mann, den ich in der Arena getötet habe, war nicht Atlan. Ich werde doch keinen meiner Freunde töten.«

Ra konnte aus den Augenwinkeln heraus erkennen, daß sich die Augen des Mädchens blitzartig verengten. In diesem Augenblick erinnerte sie Ra an ein sprungbereites Raub­tier.

»Kannst du das beweisen?« wollte einer der Männer wissen. »Wenn der Kristallprinz noch lebt, wo ist er dann?«

Die Antwort auf diese Frage hätte Ra gern

selbst gewußt. »Er ist fern von Arkon«, behauptete Ra

wahrheitsgemäß. »Er sammelt seine Getreu-en um sich.«

In diesem Augenblick mischte sich das Mädchen ein.

»Du bist der Mann, der beim Fest der za­litischen Händler gegen den Maskenträger gekämpft hat?« fragte das Mädchen. Ra nickte kurz.

»Was willst du von uns?« fragte der Spre­cher.

»Wenn wir Orbanaschol stürzen wollen«, erklärte Ra, »dann brauchen wir Helfer in großer Zahl, Männer und Frauen, die bereit sind, ihr Leben für die Freiheit Arkons zu wagen.«

Ra war kein Redner, aber er hatte ein gu­tes Gedächtnis. Die gleiche Rede hatte der arkonidische Leutnant in dem Streifen »Stützpunkt der Verlorenen« gehalten, der vor einigen Tagen ausgestrahlt worden war. Die Qualität dieser Produktion war augen­fällig geworden, als der heroische Leutnant mit vier Helfern es in auswegloser Lage fer­tigbrachte, eine Raumarmada der Maahks zu vernichten. Ra wandelte den Text ein wenig ab, streute noch einige Male Worte wie Hel­denmut, Heroen und Triumph ein, und nach einigen Minuten hatte er die Männer für sich gewonnen. Allerdings sah Ra auch, daß sich das Mädchen abgewandt hatte. Nur Ra konnte sehen, daß ihre Rückenmuskulatur in mühsam unterdrückten Lachkrämpfen zuck­te.

Die Männer standen auf und umarmten Ra feierlich, klopften ihm auf die Schulter und hießen ihn im Kreis der »Freien Söhne Arkons« willkommen.

Bevor die Männer dazu kamen, die näch­sten Schritte des gemeinschaftlichen Kamp­fes zu erörtern, was Ra in peinlichste Verle­genheit gebracht hätte, wurde ein scharfes Zischen hörbar. Verblüfft stellte Ra fest, daß die Widerstandsgruppe der »Freien Söhne Arkons« mit akustischen Alarmanlagen ar­beitete. Sarat Tohl hantierte an einem Schaltpult im Hintergrund des Raumes, und

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wieder machte Ra eine erstaunliche Beob­achtung. Die Gruppe überwachte die Räum­lichkeiten rings um ihren Stützpunkt mit ur­alten elektronischen Kameras, die allerdings den Vorzug hatten, daß man ihre Streufelder leichter abschirmen konnte.

»Ein Trupp Robots nähert sich uns«, stell­te Sarat Tohl fest. »Es wird am besten sein, wenn wir uns zurückziehen!«

»Ich nehme Ra mit mir«, sagte das Mäd­chen sofort. »Ich werde ihn unserem Grup­penleiter vorstellen.«

Um den Versammlungsraum verlassen zu können, mußten die Menschen weiter in die Tiefe steigen. Ra schätzte, daß er sich nun knapp einen halben Kilometer unterhalb der Oberfläche befand.

Das Mädchen hatte Ras Hand gefaßt und zog ihn hinter sich her. Ra war gespannt auf das, was ihn erwartete.

*

»Habt ihr den Barbaren gefunden?« laute­te die scharfe Frage.

»Nein, Erhabener!« sagte der Kurier leise. »Warum nicht?« Der Mann sprach den Buchstaben R unge­

wöhnlich hart aus, ein starker Gegensatz zu seiner sonst sanften, freundlichen Stimme. Er konnte es sich leisten, diesen Sprachfeh­ler zu behalten. Einen Mann in seiner Stel­lung machte man für gewöhnlich nicht auf solche Unzulänglichkeiten aufmerksam. Wer hätte es schon gewagt, Orbanaschol zu erzählen, daß seine Stimme eine Tortur für jeden Mitmenschen war, der nicht gerade so verkümmert war, daß er Musik lediglich für eine Abfolge von Geräuschen hielt.

»Der Barbar tauchte nach dem mißglück­ten Attentat auf den Imperator unter«, be­richtete der Kurier. »Ihr werdet Euch erin­nern, bei der Räumung des Stadions kam es zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen den Kämpfern und der Polizei. Dabei konnten einige hundert Personen un­kontrolliert das Gelände verlassen.«

»Und was ist mit den Unterlagen in der

Peter Terrid

Verwaltung?« bohrte der Mann weiter. Er wandte dem Kurier den Rücken zu. »Man wird mir doch nicht erzählen wollen, es habe beim Fest der zalitischen Händler keinen Verwaltungsapparat gegeben!«

»Es gab entsprechende Büros«, gestand der Kurier ein. »Aber sie sind abgebrannt. Ein bedauerlicher Unglücksfall, Erhabener!«

»Wer ist dafür verantwortlich zu ma­chen?« wollte der Mann am Fenster wissen. »Eine Person, die mir untersteht?«

»Nein, Erhabener!« antwortete der Kurier sofort. »Welche Befehle soll ich der Organi­sation auf Arkon II übermitteln?«

»Alle verfügbaren Männer und Frauen sollen die Augen offenhalten!« befahl der Mann leise. »Wir müssen diesen Barbaren zu fassen bekommen. Schließlich kann er sich nicht in Luft aufgelöst haben.«

»Arkon ist groß und der Imperator nicht überall!« zitierte der Kurier eine alte Spruchweisheit. »Wie soll man einen einzel­nen Mann unter so vielen finden?«

»Durch Suchen«, gab man ihm Antwort. »Dieser Barbar weiß genau, daß der Atlan in der Arena nicht echt war. Er kann unsere ge­samte Organisation zum Zusammenbruch bringen. Was das bedeutet, kann sich wohl jeder ausrechnen!«

»Lebenslanges Arbeitslager, Fronteinsät­ze ohne Rückkehrchance«, murmelte der Kurier. »Oder der Konverter!«

»Ihr wißt also, worum es geht«, stellte der Mann am Fenster fest. »Es ist im Interesse eines jeden von uns, wenn der Barbar schnellstens gefunden wird. Von seinem Verhalten, das wir nicht einwandfrei berech­nen können, hängt unser Leben ab!«

»Wir werden unser Bestes tun, Erhabe­ner!« versprach der Kurier. Vier andere Männer, die ebenfalls den Raum bevölkerten und bisher geschwiegen hatten, nickten bei­fällig. Der Kurier zog sich zurück, während der Mann am Fenster eine unruhige Wande­rung durch den Raum begann.

»Ich sehe es Euch an, Erhabener, etwas quält Euch«, bemerkte einer der Besucher. »Dürfen wir den Grund erfahren?«

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»Lartog!« seufzte der Mann. »Ich denke an den Leutnant Sarn Lartog. Es ist meine Schuld, daß er gestorben ist. Ich war so ver­sessen auf das, was der junge Mann zu er­zählen hatte, daß ich jede* Hemmung verlor. Ich habe das Psychoverhör befohlen, das ihn getötet hat!«

»Es ist kein großer Trost, gewiß«, warf je­mand ein, »aber Lartog wäre andernfalls in die Hände Orbanaschols gefallen. Das hätte seinen Tod nur um einige grauenvolle Wo­chen verzögert. Gestorben wäre Lartog so oder so.«

»Das ist kein Argument«, wehrte der Mann mit einer müden Handbewegung ab. »Wir hätten Lartog mit falschen Papieren versorgen, ihn wegschmuggeln können. Ha­ben wir die Macht, die POGIM übertölpeln zu können, oder haben wir sie nicht?«

»Wir sind zweifellos dazu in der Lage«, stimmte man ihm zu. »Aber …«

»Nichts, aber!« wehrte der unruhige Wan­derer ab. »Ich hatte den Faden in der Hand, und ich war fest entschlossen, ihn aufzuspu­len. Seit Jahren der erste wirklich brauchba­re Hinweis auf Atlan, endlich eine Möglich­keit, mit ihm vielleicht Verbindung aufzu­nehmen – was wird der Kristallprinz sagen, wenn er erfährt, daß wir so leichtfertig mit dem Leben seiner Untertanen umgesprungen sind?«

»Er wird es verstehen«, lautete die Ant­wort. »Er wird wissen, wie wenig dieser äu­ßere Schein der inneren Wirklichkeit ent­spricht.«

Zum erstenmal an diesem Abend lächelte der Mann, der jetzt wieder zum Fenster trat und in die Höhe schaute.

Seit einigen Jahren bewegte sich Blahur wieder im Schwerefeld des Arkonsystems. Wahrscheinlich gab es in der gesamten Ga­laxis keinen Kometen, der eine ähnlich kom­plizierte Bahn aufzuweisen hatte wie Blahur. Die astronomischen Großrechner hatten Mo­nate gebraucht, bis die Kursdaten einwand­frei ermittelt waren. Danach schlängelte sich der Komet in einer gewundenen und ver­schraubten Bahn durch mehr als zwanzig

Sonnensysteme, und zwar auf einem Kurs, der für einige Jahrhunderttausende Bestand haben würde. Gefährlich konnte Blahur kei­nem seiner Gastsysteme werden, im Gegen­teil, Arkon freute sich auf das seltene Schau­spiel, das Blahur bot. In keinem Handbuch war ein Komet aufgeführt, der einen derart farbenprächtigen Schweif aufzuweisen hatte wie Blahur. Farbige Streifen zogen hinter dem Himmelskörper her, bildeten Schlingen und Kreise, Schlieren und seltsam geformte, bizarre Muster.

»Du hast recht«, murmelte der Mann am Fenster und lächelte schwach dazu. »Nicht immer entspricht der äußere Schein der Wirklichkeit, und dafür bin ich dankbar.«

Die Männer im Raum sahen sich leicht verwundert an, aber niemand wagte zu fra­gen, was der Erhabene mit dieser Äußerung gemeint haben mochte.

*

Perytlths Dossier nahm allmählich an Ge­stalt und Umfang zu. Seit Tagen belauerte er Ra und versuchte festzustellen, zu welchen Personen der geheimnisvolle Erbe der Gala­xis Kontakt aufnahm. Und immer wieder versuchte er Ra auszuhorchen. Er spürte nicht, daß er damit das Mißtrauen des Bar­baren steigerte. Ra revanchierte sich mit im­mer neuen Erzählungen, Andeutungen und Märchen, die Perytlth um so williger schluckte, als die Aussichten für ihn immer rosiger wurden – jedenfalls, wenn es nach dem Erben der Galaxis ging.

Ra war sich inzwischen fast sicher, wel­che Rolle der Krüppel spielte. Und er wußte auch, welche Schlußfolgerungen er daraus zu ziehen hatte.

Solange Perytlth die Märchengeschichte glaubte, würde er alles tun, um Ra ungestört weiterarbeiten zu lassen. Einen besseren Schutz konnte sich Ra kaum denken. Ge­fährlich wurde es allerdings in dem Augen­blick, in dem Perytlth entdeckte, daß man ihn gefoppt hatte. Dann galt es sofort zu ver­schwinden. Ra war genügend sicher, diesen

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Zeitpunkt rechtzeitig erahnen zu können, um sein Spiel weiterzutreiben.

Er saß wieder in dem Lokal, in dem er Pe­rytlth und Sarat Tohl kennengelernt hatte. Der Krüppel würde in acht Minuten erschei­nen; Ra hatte inzwischen mehr über die sprichwörtliche Pünktlichkeit Perytlths er­fahren. Obwohl Perytlth am liebsten jede Minute in Ras Nähe verbracht hätte, änderte er seine Lebensweise nicht; er wußte, daß ein Abweichen von seiner gewohnten Ver­haltensweise gefährlich werden konnte.

Ra wartete auf das Mädchen, das Themar Irwig hieß. Viel mehr wußte Ra nicht. The­mar hatte Ra zwar aus dem Labyrinth der Kanalisation geführt, aber weitere Mitglie­der ihrer Gruppe hatte Ra nicht kennenge­lernt. Erst heute wollte sie ihn in die Gruppe einführen. Ra war gespannt, wie diese Mannschaft aussah. Das Mädchen jedenfalls machte den Eindruck eines kaltblütigen, gut­geschulten Professionals; wenn die anderen Mitglieder dieser Vereinigung ähnlich ein­gestellt waren, hatte Ra eine wirklich wert­volle Verbindung hergestellt. Er freute sich schon darauf, Bei Etir Baj davon erzählen zu können.

Der Con-Treh war bei dem zalitischen Händler Alpertur geblieben und versuchte auf seine Weise, Kontakte zu knüpfen und wichtige Verbindungen herzustellen. Wäh­rend Ra sozusagen von unten her in die Wi­derstandsorganisationen einsickern wollte, versuchte Etir Baj die Köpfe aufzuspüren. Dieser Weg war zwar kürzer, aber weit be­schwerlicher und schwieriger, denn aus ei­nem Anführer war naturgemäß weniger her­auszuholen als aus einem einfachen Mit­glied, das normalerweise auf Fangfragen nicht vorbereitet war.

Themar erschien zwei Minuten, bevor Pe­rytlth auftauchen mußte. Sie stand in der Eingangstür, sah sich kurz um und verließ dann das Lokal wieder. Ra wartete noch eine halbe Minute, dann ließ er den bereits be­zahlten Fruchtsaft im Stich und folgte dem Mädchen.

Beim Betreten der Bedürfnisanstalt konn-

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te Ra gerade noch sehen, wie Perytlth in sei­nem Krankengleiter angeschwebt kam und die Kneipe betrat.

»Ich muß dir die Augen verbinden«, er­klärte Themar. Aus einer der Taschen ihres Hosenanzugs brachte sie eine dunkle Binde zum Vorschein, die sich Ra widerstandslos über die Augen streifen ließ. Interessiert nahm er zur Kenntnis, daß die Ränder der Maske mit einem Hautkleber bestrichen wa­ren, wie sie üblicherweise beim Theater ver­wendet wurden, um falsche Bärte dauerhaft zu befestigen. Ra, der gehofft hatte, durch kleine Lücken am Rand trotzdem etwas von der Wegstrecke wahrnehmen zu können, stellte fest, daß es um ihn herum finster war. Nicht das kleinste Photon fand seinen Weg durch die Maske. Themar nahm Ra bei der Hand und zog ihn hinter sich her.

Das Mädchen stellte sich wesentlich ge­schickter an als Sarat Tohl. Sie schlug mit Sicherheit ebenfalls Umwege ein, aber sie benutzte dazu Antigravschächte, die Ras Orientierungsvermögen nach kurzer Zeit zum Bankrott zwangen. Niemand konnte mit verbundenen Augen feststellen, wie das Schwerefeld in einem Schacht eingestellt war. Bei entsprechender Konstruktion konn­te eine schwerefreie Röhre auch waagerecht verlaufen, ohne daß der Benutzer es feststel­len konnte.

Ra merkte nicht, wie das Mädchen wäh­rend des Schwebens ein mit bloßem Auge kaum erkennbares Gerät von seiner Klei­dung entfernte und in einer Abwasserleitung verschwinden ließ. Er schätzte, daß etwas mehr als zehn Minuten vergangen waren, bis das Mädchen erklärte, daß das Ziel erreicht sei. Themar entfernte die Binde, und Ra sah sich, wegen des grellen Lichtes heftig zwin­kernd, in der fremden Umgebung um.

Themars Gruppe war in jedem Fall finan­ziell bessergestellt als der Widerstandskreis um Sarat Tohl. Ra befand sich in der Zentra­le, von der aus ein beträchtlicher Maschi­nenpark überwacht und gesteuert wurde. Of­fenbar gab es hier tatsächlich eine kleine Stadt unter der Stadt. Die Bildschirme zeig­

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ten ausgedehnte Räumlichkeiten, große La­gerräume, Waffenarsenale; es gab Platz ge­nug für eine Raumlandearmee samt ihrem Gerät.

»Donnerwetter!« staunte Ra. »Ein ein­drucksvolles Bild!«

»Die Wirklichkeit sieht noch besser aus«, versprach Themar lächelnd. »Warte es ab!«

Zu einem schwerbewaffneten Posten ge­wandt, fuhr sie fort:

»Ich soll diesen Mann zum Chef bringen. Sind die Zugänge frei?«

»Sie müssen noch etwas warten«, erklärte der Posten. »Es wird nicht lange dauern.«

*

Perytlth war verärgert. Er wartete, ohne sich dies anmerken zu

lassen, seit geraumer Zeit auf Ra, ohne ihn zu Gesicht zu bekommen. Langsam lief die Zeit ab, die Perytlth für dieses Lokal zur Verfügung stand.

Perytlth hatte zwar fast jedes Wort ge­glaubt, das Ra ihm erzählt hatte, aber das Mißtrauen war dem POGIM-Mann so zur zweiten Natur geworden, daß er seine spezi­ellen Tricks auch bei Ra nicht unterlassen hatte. Seit zwei Tagen schleppte Ra, ohne es zu wissen, einen Infrarotmarkierer mit sich. Das dazugehörige Aufnahmegerät war in Perytlths Gleiterarsenal vorhanden, und der Krüppel beschloß, diese Technik jetzt einzu­setzen.

Vor dem Lokal nahm er die Fährte auf und folgte ihr hartnäckig. Wie Ra bereits vorhergesehen hatte, brauchte der Mann nur wenig Zeit, bis er den geheimen Zugang in der Bedürfnisanstalt aufgespürt und geöffnet hatte. Vorsichtig ließ Perytlth seinen Gleiter in die Öffnung schweben.

*

»Nicht schlecht, der Gedanke!« stellte Mehn Sulk fest. Er betrachtete das Bild auf dem Schirm, das von einer versteckten Ka­mera in dem Spezialfahrzeug des Kranken

aufgenommen wurde. Auch von diesem Ge­rät wußte Perytlth nichts.

»Die Idee, den Zugang zu den Verstecken so zu tarnen, ist wirklich gut«, lobte Pathor Margib. »Ich bin gespannt, welche Vögel uns durch Perytlth ins Netz gehen werden.«

»Sollen wir unser Einsatzkommando in Alarmbereitschaft versetzen lassen?« fragte Mehn Sulk nachdenklich. Pathor Margib schüttelte den Kopf.

»Warten wir ab!« bestimmte er. »Ich möchte erst wissen, was Perytlth herausfin­den kann. Vor allem will ich wissen, wieviel er uns davon erzählt. Wenn es zu wenig ist, werden wir wohl oder übel daraus Konse­quenzen zu ziehen haben!«

»Perytlths Frau wird sich freuen«, mur­melte Mehn Sulk grinsend. »Der Krüppel hat sich mit beträchtlichen Summen gegen einen vorzeitigen Tod versichert, sofern die­ser Todesfall nicht unmittelbar oder mittel­bar mit seiner Krankheit in Zusammenhang steht. Viel Voraussicht für einen POGIM­V-Mann!«

»Schade, daß wir noch immer keine Foto­grafie dieses Fremden haben!« bedauerte Margib. »Ich grüble seit Tagen darüber nach. Irgendwo habe ich den Namen Ra schon einmal gehört, aber ich erinnere mich nicht mehr, in welchem Zusammenhang das der Fall gewesen wäre.«

»Wir werden es noch herausfinden«, pro­phezeite Sulk zuversichtlich. »Ich bin mir si­cher, wir werden eine Überraschung erle­ben!«

3.

Abton Cehar war ein alter Mann. Das weiße Haar war schütter, die Gelenke knirschten bei jeder Bewegung vernehmlich. Der Atem des Mannes ging pfeifend wie ein Notsignal, dazwischen mischte sich ein Ras­seln, das Schlimmes ahnen ließ. Wenn Ce­har, was häufig geschah, einen seiner Hu­stenanfälle bekam, lief er im Gesicht blaurot an; weiß hingegen wurde er, wenn sein Herz – wie er es behauptete – für ein paar Augen­

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blicke Luft schnappen mußte. Abton Cehar leitete seine Rede mit einem

keuchenden Einatmen ein. »Herrin!« sagte der alte Mann. »Wir ha­

ben neue Nachrichten von Arkon!« Langsam drehte sich die Frau zu dem Al-

ten um. Die Frau war zwar jünger als Abton Ce­

har, aber auch ihr Gesicht war vom Alter ge­zeichnet, von langen Jahren, die mit Sorgen und Entbehrungen angefüllt gewesen sein mußten. Der Blick der Frau schien durch Abton Cehar hindurchgehen zu wollen, ihr Lächeln wirkte teilnahmslos, eine aufgesetz­te Maske, die über echte Gefühle hinweghel­fen sollte.

»Sprich, Alter«, sagte die Frau leise. »Ich hoffe auf gute Nachricht.«

»Atlan ist tot!« sagte Abton Cehar äch­zend.

Die Frau zuckte erschreckt zusammen, dann lächelte sie verstehend.

»Unser Atlan ist tot, wolltest du sagen, nicht wahr?« fragte sie. »Kennst du Einzel­heiten?«

»Es gibt Filmaufnahmen von den Ereig­nissen auf Arkon II«, berichtete Cehar; er schnappte nach Luft wie ein Ertrinkender. Den Geräuschen nach zu schließen, mußten seine Bronchien vergleichbar mit völlig ver­rosteten Dampfleitungen sein. »Wollt Ihr sie sehen?«

»Ich gehe sofort in den Projektionsraum«, sagte die Frau. »Wie sieht es draußen aus?«

»Kein Grund zur Besorgnis«, erklärte Ce­har. »Nicht mehr Touristen als üblich. Den Funksprüchen nach zu schließen, ist auch ein übergeschnappter Modefotograf darun­ter. Ich bin sicher, wir werden noch zum Modeschlager.«

Der Alte knickte in den Beinen ein, fing sich aber sofort wieder. Unkontrollierte Muskelschwächen waren bei ihm keine Sel­tenheit. Auf wackligen Beinen ging Abton Cehar seiner Gebieterin nach.

Im Projektionsraum war alles vorbereitet. Sobald die alte Frau sich in einen bequemen Sessel gesetzt hatte, verlöschten die Lichter,

Peter Terrid

und der Projektor nahm seine Arbeit auf. Abton Cehar musterte die Frau aus den

Augenwinkeln heraus. Er konnte sehen, wie stark sie von den Kämpfen in der Arena be­rührt wurde. Wider Willen wurde auch er mehr und mehr von dem Geschehen gefes­selt.

»Wer ist dieser Mann?« fragte die Frau. Sie deutete auf den Gladiator, der im End­kampf der Gegner des Maskierten war.

»Das konnten wir einstweilen noch nicht in Erfahrung bringen«, erklärte Abton Ce­har. »Unsere Verbindungsleute auf Arkon II werden versuchen, den Mann zu finden. Er ist nämlich sehr interessant!«

Die Frau biß sich auf die Lippen, als sie erkennen mußte, daß der Maskierte den Endkampf zu verlieren drohte. Sie atmete erleichtert auf, als es dem Maskierten zum Schluß doch gelang, seinen Gegner nieder­zustrecken.

Plötzlich stutzte die Frau. »Laß den Film zurücklaufen!« befahl sie.

»Bis zu dem Augenblick, an dem der Barbar unserem Atlan das Schwert an die Kehle setzt!«

Ihr Befehl wurde schnell befolgt; Sekun­den später flimmerten die Ereignisse, die et­liche Tage zuvor sich in der großen Arena beim zalitischen Händlerfest zugetragen hat­ten, zum zweitenmal über den Bildschirm.

»Halt!« rief die Frau aus. »Stoppt den Film an dieser Stelle!«

Sie stand auf und ging ein paar Schritte auf die Fläche des Bildschirms zu. Ihr Ge­sicht nahm einen Ausdruck nervöser Span­nung an.

»Er kennt ihn!« flüsterte die Frau erregt. »Es ist nicht zu übersehen. Er kennt ihn, und deshalb war er so überrascht, daß er sich überrumpeln ließ. Abton, wer ist dieser Mann? Wir müssen es um jeden Preis her­ausfinden!«

»Kein Grund zur Aufregung«, versuchte der Alte die Frau zu beruhigen.

»Kein Grund?« wiederholte die Frau auf­stöhnend. »Abton, begreifst du nicht. Dieser Barbar kennt ihn, er weiß, wo er ist. Viel­

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leicht wird er ihn verraten!« Die Frau kümmerte sich nicht weiter um

den Film. Hastig verließ sie den Projektions­raum und suchte zielsicher die Nachrichten­abteilung auf. Dort arbeitete eine der mehr als fünfzig Personen, deren Heimat ein in der Galaxis einmaliges Versteck war. Insge­samt lebte die alte Frau mit fast einhundert Menschen in ihrem Stützpunkt.

»Du mußt sofort eine Nachricht durchge­ben!« befahl die Frau. »Es ist sehr wichtig. Der Text lautet …«

*

»So etwas gibt es nur bei uns Arkoniden«, behauptete die Frau.

Der Mann neben ihr lächelte nur. Er wuß­te, warum er seine junge Frau zu diesem Ort geführt hatte. Im Augenblick gab es im Ar­konsystem schwerlich einen romantischeren oder geheimnisvolleren Platz als den Raum­bezirk um den strahlenden Kometen Blahur. Zu Tausenden umschwirrten kleinere Raum­schiffe den Himmelskörper, im Laufe eines Jahres hatten Millionen von Arkoniden die Farbenpracht bestaunt, die der lange Schweif des Kometen ausstrahlte.

»Warum zeigt der Schweif immer von Ar­kon weg?« wollte die junge Frau wissen. »Es wäre wesentlich praktischer, würde er auf Arkon zeigen.«

»Der sogenannte Sonnenwind drückt den Schwanz immer vom Zentralgestirn weg«, erläuterte der frischgebackene Ehemann. »Zudem wird ein Kometenschweif auch nur dann sichtbar, wenn es diesen Sonnenwind gibt. Er ist nämlich für das Entstehen des Kometenschweifs verantwortlich!«

Die junge Frau preßte sich enger an ihren Mann.

»Was mögen die Farben zu bedeuten ha­ben?« murmelte sie und deutete auf den Ko­metenschweif. »Sie ändern sich immer wie­der, als würde der Komet leben. Gibt es so etwas, lebende Kometen?«

»Kometen«, sagte der junge Mann lä­chelnd, »sind nichts weiter als kosmischer

Abfall, der leblos und kalt durch das All treibt. Wenn du willst, zeige ich dir im astro­nomischen Handbuch eine genaue Analyse von Kometen.«

»Kann er nicht auf Arkon stürzen?« fragte die Frau.

»Die Bahn von Blahur ist genau vermes­sen«, erklärte der Mann. »Blahur wird nicht mit einem der Planeten kollidieren. Er wird Äonen durchs Weltall ziehen, bis ihn irgend­ein anderer Himmelskörper einfängt oder er am Ende aller Zeiten verschwinden wird wie der Rest des Universums.«

Fasziniert betrachtete die junge Frau das Spiel der Farben; es hatte wirklich den An­schein, als würde der kosmische Vagabund leben. Immer wieder änderten sich die Strei­fen, die aus dem grell leuchtenden Ball des eigentlichen Kometenkörpers hervorzugehen schienen. Farbige Blitze zuckten durch den gasförmigen Schleier des Schweifes.

»Vielleicht hat uns Blahur doch etwas zu sagen«, überlegte die junge Frau träume­risch. »Eine Botschaft durch Zeit und Raum, vielleicht aus einer sehr entfernten Zukunft, vielleicht aus einer Vergangenheit, in der es noch kein Arkon gab, jenseits aller Zeiten, außerhalb aller Räume …«

»Du solltest dich zu einem Dichterwettbe­werb melden«, sagte der Mann mit leisem Spott. »Blahur ist ein ganz gewöhnlicher Komet, er sieht nur etwas anders aus. Ein Ölfleck auf einer Wasseroberfläche schillert auch, aber es handelt sich nur um ein biß­chen Kohlenwasserstoff, das auf Wasser schwimmt, um nicht mehr und nicht weni­ger.«

»Und doch«, murmelte die junge Frau. Ihr Ehemann gab es auf; gegen solche

Überlegungen gab es nichts einzuwenden. Zudem fiel ihm ein, daß auch er nicht viel mehr war als eine zwar hochkomplizierte, nichtsdestotrotz aber wissenschaftlich er­klärbare Zusammenballung von Atomen. Die gleichen Gründe, die seine Frau dazu verführten, in Blahur mehr zu sehen als einen simplen Kometen, hatten vielleicht auch dazu geführt, daß sie unter etlichen

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Milliarden Zellzusammenballungen sich ausgerechnet ihn als Mann ausgesucht hatte. Er vergaß seine naturwissenschaftliche Ver­standeskälte, faßte seine Frau fester und gab sich hemmungslos den irrealen, nicht erklär­baren Gefühlen hin, die das Farbenspiel des Kometen auch bei ihm auslösten.

Irgendwo auf Arkon II saß zu diesem Au­genblick ein junger Mann, ebenfalls frisch verheiratet, der durch ein erstklassiges Fern­rohr den Kometen betrachtete, wenn auch mit ganz anderen Gefühlen.

*

»Ist diese Frau vollständig verrückt ge­worden?« schimpfte der Mann. »Was fällt ihr ein, ihr Versteck zu verlassen. Seit dem Attentat auf Orbanaschol sind die POGIM-Männer dreimal wachsamer als normal. Will sie unbedingt im Konverter enden?«

»Dazu kann ich nichts sagen«, antwortete der junge Nachrichtentechniker. »Ich habe nur diesen verschlüsselten Spruch aufgefan­gen, dekodiert und weitergeleitet. Ihr wißt, daß wir nur sehr mühsam eine Antwort durchgeben können.«

Der Mann warf die schmale Karte auf einen Tisch und ging aufgeregt im Zimmer auf und ab.

»Seit Jahren«, stöhnte er in unterdrücktem Ärger, »seit Jahren predige ich, sie soll sich so selten rühren wie irgend möglich. Jetzt will sie ihr Versteck verlassen und auf eige­ne Faust nach diesem Barbaren suchen. Und zu allem Überfluß will sie Abton Cehar mit­nehmen, der sich kaum noch auf den Beinen zu halten vermag. Setzt sofort einen Kurier in Bewegung, der meine Antwort bringen soll!«

»Das führt zu nichts«, warf der Nachrich­tentechniker ein. »Sie hat angekündigt, daß sie ihr Versteck bereits verlassen haben wird, wenn dieser Spruch abgeht. Ihr werdet sie nicht mehr aufhalten können.«

Der Mann unterdrückte einen Fluch. »Alarmiert jeden Mann, der uns zur Ver­

fügung steht«, befahl er. »Wir müssen die-

Peter Terrid

sen Barbaren suchen, den der Erdboden of­fenbar verschluckt hat, und zum anderen die Frau und ihren Vertrauten. Haltet vor allem nach Cehar Ausschau, eine solche Gestalt dürfte es kein zweites Mal in der Galaxis ge­ben!«

Die Männer zogen sich zurück, sobald sie ihre Befehle erhalten hatten. Nach kurzer Zeit war der Mann allein. Nachdenklich sah er auf ein großes Porträt an der Wand. Es zeigte einen Mann mit den Insignien des Im­perators, an seiner Seite eine junge Frau.

»Hätte ich gewußt, Yagthara«, murmelte der Mann, »daß du im Alter noch tempera­mentvoller und dickköpfiger werden wür­dest, hätte ich meinem Freund niemals zu dieser Ehe geraten.«

Sein Blick wanderte zur Seite, fiel auf den Kristallpalast, der in der Nähe zu sehen war.

»Deinem Mann habe ich nicht mehr hel­fen können«, sagte der Mann mit zusam­mengepreßten Kiefern. »Aber ich werde dei­nem Sohn zu seinem legitimen Recht verhel­fen!«

*

Ra stöhnte unterdrückt auf. Man ging nicht gerade milde mit ihm um.

Die Männer waren mißtrauisch und wollten sichergehen, daß sie von Ra nichts zu be­fürchten hatten. Seit etlichen Stunden pras­selten ihre Fragen auf Ra herab. Der Barbar war gefesselt, und sein Körper zeigte die Spuren von Schlägen. Der Mann, der unmit­telbar vor ihm stand, verstand sein Hand­werk. Er schlug so zu, daß keine offenen Wunden entstanden oder Knochen brachen, aber er wußte auch, wohin er zielen mußte, um dem Getroffenen ein Höchstmaß an Schmerzen zu bereiten.

»Was willst du bei uns?« fragte der Mann, von dem Ra nur den Decknamen Glahrn kannte. Er war der unumstrittene Anführer der Gruppe, ein hochgewachsener Mann, schlank und mit dünnen, nervösen Fingern. An jedem Finger trug er einen Ring, an den Handgelenken Ketten, die leise klirrten,

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wenn er sich bewegte. Die Augen blickten freundlich, aber Ra spürte, daß dieser Mann ein ausgewachsener Sadist sein konnte, wenn er die Gelegenheit dazu bekam.

»Rede, Bursche. Du hast behauptet, Atlan lebe noch«, fragte Glahrn scharf. »Wie kommst du dazu?«

Zum fünften Male erzählte Ra seine Ge­schichte. Wichtige Teile allerdings ver­schwieg er, beispielsweise die Tatsache, daß der Kristallprinz unerreichbar im Mikrokos­mos steckte. Ra erzählte auch nur andeu­tungsweise von Kraumon. Da schon sein Äußeres ihn als unterentwickelten Barbaren auswies, wurde ihm sofort geglaubt, als er behauptete, die galaktische Position Krau­mons nicht zu kennen. Ra schmückte die Geschichte so aus, wie sie für ihn brauchbar war. Warum er nicht die volle Wahrheit er­zählte, verstand sich von selbst – je weniger selbst die besten und treuesten Verbündeten wußten, desto weniger konnten sie verraten.

»Weißt du, daß wir eine Hypnohaube be­sitzen?« fragte Glahrn freundlich. »Wir könnten deine Angaben sofort überprüfen, ich brauche nur ein Zeichen zu geben!«

Ra spuckte das Blut aus, das sich in sei­nem Mund gesammelt hatte. Er grinste ver­zerrt und antwortete:

»Du weißt so gut wie ich, daß ich dieses Verhör nicht überleben würde – jedenfalls nicht als intelligentes Wesen. Was würde der Kristallprinz sagen, wenn er erführe, daß du seinen besten Gefolgsmann zum lallen­den Idioten gemacht hast?«

»Treffer!« erkannte Glahrn an. »Nur – ich weiß immer noch nicht, ob es diesen Kri­stallprinzen wirklich gibt. Du könntest auch ein POGIM-Spitzel sein, der uns mit dieser Geschichte ködern will. Du brauchst nicht verzweifelt den Kopf zu schütteln, auch sol­che Geschichten kann man erfinden und in Szene setzen. Wir wissen viel zu gut, was unsere Gegner können. Wer die POGIM un­terschätzt, ist schon halb in ihrer Hand!«

»Habt ihr eine Positronik zur Verfü­gung?« erkundigte sich Ra. Das Sprechen bereitete ihm Mühe; die Lippen waren ge­

schwollen, die Oberlippe an einer Stelle auf­geplatzt. »Wenn ja, dann rechnet die ver­schiedenen Möglichkeiten und Risiken durch. Dieses Folterverhör ist sinnlos; ihr werdet niemals beweisen können, ob ich lü­ge oder die Wahrheit sage!«

»Wir können ihn testen«, schlug das Mäd­chen Themar vor. »Anders werden wir nie sicher sein können.«

»Einverstanden«, sagte Glahrn lächelnd. »Wir werden dich auf die Probe stellen, Ra. Du wirst einen Auftrag bekommen. Erfüllst du ihn, dann werden wir dich gerne bei uns aufnehmen und dir helfen. Andernfalls … Wir werden dich überall finden. Glaube nicht, daß du uns entkommen könntest. Nimmst du die Bedingung an?«

Ra nickte nur. Er wurde erst dann bewußt­los, als man seine Fesseln löste und ihm die Möglichkeit gab, zusammenzubrechen.

Ra kam in einem öffentlichen Park wieder zu sich, knapp eine Minute vor dem Zeit­punkt, an dem ein Robotpolizist den nächtli­chen Park kontrollierte und dem seltsamen Schläfer sicher unangenehme Fragen gestellt hätte.

Ra machte sich schnellstens aus dem Staub. Zwar war er im Besitz hervorragend gefälschter Papiere, aber einer gründlichen Überprüfung hätten diese Dokumente nicht standgehalten.

Wie der Auftrag aussehen würde, konnte sich Ra an den Fingern abzählen. Man wür­de ihn auffordern, eine bestimmte Person aufzusuchen und zu töten. Tat er dies, dann war er so tief in Schuld verstrickt, daß er es nicht mehr wagen konnte, ein normales Le­ben zu führen. Von diesem Zeitpunkt an wä­re er gezwungen gewesen, in die Illegalität zu flüchten.

Nachdenklich betrachtete Ra die An­schrift auf der Karte, die er in seiner Tasche gefunden hatte. Sein Geld hatte man nicht angerührt. Ra erinnerte sich dumpf, die be­treffende Adresse schon einmal gehört zu haben, aber er konnte sich nicht besinnen, in welchem Zusammenhang das gewesen sein mochte.

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»Wenigstens ist es nicht der Imperator«, murmelte Ra grinsend. »Wir werden sehen!«

*

Genüßlich betrachteten die beiden Ge­heimpolizisten den Filmstreifen, der von ei­ner versteckten Kamera aufgenommen wor­den war. Von einem Bandgerät erklang die Stimme des Krüppels.

Die POGIM-Männer konnten kaum glau­ben, daß Perytlth noch immer an die aben­teuerlichen Geschichten des Fremden glaub­te; er tat es aber, dafür waren die Aufzeich­nungen Beweis genug. Selbst die Panne mit dem Infrarotmarkierer hatte ihn nicht entmu­tigt.

»Halt!« rief Mehn Sulk plötzlich. »Ich glaube, daß ich ihn gesehen habe!«

Ein Knopfdruck ließ den Film anhalten, ein Stück zurücklaufen und dann erneut stoppen. Auf der Projektionsfläche war das Gesicht eines Mannes zu sehen.

»Irgendwoher kenne ich diesen Mann«, überlegte Pathor Margib laut. »Ich frage mich nur, wo ich ihn gesehen haben könn­te!«

»Überprüfe die Fahndungsliste«, schlug Mehn Sulk vor. »Dann hast du schnellstens eine Antwort auf deine Frage.«

Eine einfache Schaltung genügte, um das Bild auf der Leinwand in einen Rechner ein­zugeben, der das Gesicht mit einigen hun­derttausend anderen Gesichtern verglich und nach Ähnlichkeiten suchte. Die Überprüfung dauerte nur wenige Minuten, dann lag das Ergebnis vor. Ein Mann mit diesem Ausse­hen wurde nicht von der POGIM gesucht.

»Wir fahnden nicht nach ihm«, murmelte Sulk nachdenklich. »Trotzdem kenne ich das Gesicht.«

Er stand auf und ging im Zimmer auf und ab. Dabei fiel sein Blick aus dem Fenster auf die gegenüberliegende Seite der Straße. Mehn Sulk machte noch zwei Schritte, dann blieb er stehen, als sei er gegen ein Schirm­feld gerannt.

»Dort drüben steht der Mann!« rief er er-

Peter Terrid

staunt aus. »Sieh her!« Margibs Blick folgte dem Finger, mit dem

Sulk auf den Mann deutete. Es gab keine Zweifel, auf der anderen Straßenseite stand der geheimnisvolle Mann, der seit geraumer Zeit Perytlth mit immer neuen Lügenge­schichten umgarnte.

»Weißt du, wer der Bursche ist?« fragte Pathor Margib plötzlich. »Das ist jener Arenakämpfer, der beim Fest der Händler das Attentat auf Orbanaschol vereitelt hat. Er wird auch gesucht, aber nicht in den Li­sten geführt.«

»Sollen wir ihn festnehmen?« fragte Mehn Sulk hastig.

Margib schüttelte langsam den Kopf. »Wir warten noch«, entschied er. »Ich ha­

be das Gefühl, daß dieser Mann tatsächlich ein Geheimnis mit sich herumschleppt. Und ich möchte unbedingt wissen, wie dieses Geheimnis beschaffen ist. Wir werden ihn beschatten lassen.«

»Und dann?« erkundigte sich Sulk. »Nehmen wir ihn fest«, erklärte Margib.

»Wer sich in solchen Häusern herumtreibt, hat etwas zu verbergen, und das werden wir in Erfahrung bringen.«

*

Ra betrachtete nachdenklich das Haus. Das große Schild an der Eingangstür besag­te, daß es sich um ein Diagnosezentrum han­delte, und dementsprechend viele Kranke hatte. Ra sehen können. Der Auftrag, den man ihm erteilt hatte, besagte, daß er zwei der Ärzte, die in diesem Zentrum arbeiteten, aufzuspüren und zu töten hatte. Ra würde diesen Befehl natürlich nicht befolgen, aber er suchte nach Möglichkeiten, ihn zu umge­hen. Vielleicht ließ sich mit entsprechendem Geldeinsatz etwas regeln. Man konnte einen Unfall vortäuschen, die beiden Männer mit ihrem Einverständnis verschwinden lassen und dergleichen mehr. Fraglich war nur, ob die beiden Opfer dieses Spiel mitmachen würden. Wenn es Ra gelang, sich über den Zaliter Alpertur, der der Vertrauensmann der

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Con-Treh auf Arkon II war, falsche Papiere zu besorgen, müßte es möglich sein, eine Täuschung in Szene zu setzen.

Ra verließ seinen Standort und suchte den weitläufigen Park auf, der sich auf der Rück­seite der miteinander verbundenen Trichter­häuser des Zentrums erstreckte. Ra fand rasch Gesprächspartner. Geduldig hörte er sich endlos lang erscheinende Krankenge­schichten an, dann fragte er die Patienten be­hutsam aus.

Am Abend dieses Tages hatte Ra umfang­reiche Dossiers. Er kannte fast jeden Arzt, seine Schwächen und Stärken, seine medizi­nischen Fähigkeiten ebenso wie eventuell vorhandene Trunksucht oder eheliche Un­treue. Vor allem die weiblichen Patienten zeigten sich erstaunlich gut informiert, wenn es um das Privatleben ihrer Ärzte ging.

Nur eines störte Ra beträchtlich. Er hatte so gut wie nichts über die beiden

Männer erfahren können, auf die er ange­setzt worden war. Es gab noch eine kleine Gruppe anderer Ärzte, die ebenfalls nur dem Namen nach bekannt waren. Das war mehr als verwunderlich.

Was trieben diese Männer in dem Gebäu­de? Ra hatte ohne Mühe auch viel über sol­che Personen herausfinden können, die nor­malerweise im Hintergrund blieben. Sogar über einige Verwaltungsangestellte, die kaum mit Patienten zu tun hatten, konnte er einiges berichten – nur über diese Gruppe von Männern nicht. Langsam keimte in Ra der Verdacht auf, daß seine Opfer etwas zu verbergen hatten.

Was konnte eine Gruppe von Männern in einem Gebäude treiben, das einen derart ho­hen Publikumsverkehr aufzuweisen hatte? Die Antwort lag auf der Hand. Diese Män­ner brauchten eine Absicherung für ihre Be­sucher, die in einer größeren Menschenmen­ge weniger auffallen würden. In Gedanken ging Ra die Berufsgruppen durch, die unter solchen Bedingungen arbeiteten. Wenn er zusätzlich berücksichtigte, daß man ihn dazu ausersehen hatte, zwei dieser Männer zu tö­ten, blieb genau betrachtet nur noch eine

Möglichkeit – die Männer waren Gegner der Untergrundbewegung, folglich handelte es sich um Angehörige der PO-GIM. Als Ra zu dieser Erkenntnis gekommen war, zog er es vor, sich so schnell wie möglich zu entfer­nen. POGIM-Männer waren die Letzten, die er zu treffen wünschte.

4.

Orbanaschol III. konnte, wenn es für ihn wichtig war, die Freundlichkeit selbst sein. Er mühte sich, liebenswürdig zu sprechen.

In diesem Fall hatte er es bitter nötig. Der Imperator plauderte mit Regir da Quertama­gin, derzeit Oberhaupt und Führer der be­rühmten Familie. Die Quertamagins gehör­ten zu den ältesten und einflußreichsten Ge­schlechtern des Imperiums, und selbst ein Gewaltherrscher wie Orbanaschol mußte zu­sehen, das Wohlwollen der uralten Adelsge­schlechter nicht zu verscherzen. Eifersüchtig wachten die Edlen Arkons über ihre Privile­gien und Rechte, und der Imperator, der die­se ohne triftigen Grund einzuschränken wagte, ging ein großes Risiko für seinen Thron ein. Orbanaschol III. wäre nicht der erste gewesen, der von einer Kamarilla ab­gesetzt worden wäre. Es gab im großen Im­perium der Arkoniden Machtkonstellatio­nen, die von keiner Verfassung erwähnt wurden. Höflingsgeplauder konnte Schlach­ten entscheiden, Planetensysteme wanderten von einem Besitzer zum anderen, ohne daß offiziell etwas verlautete.

Zu den heimlichen Mächtigen, deren Ein­fluß der Imperator zu fürchten hatte, gehörte auch Regir da Quertamagin. Eigentlich hieß er Ertonh, aber seit er Sippenoberhaupt war, trug er den traditionellen Vornamen Regir.

»Es freut mich«, sagte Orbanaschol lie­benswürdig, »daß Ihr nun den schmerzlichen Verlust, der Eure Familie getroffen hat, leid­lich überwundenhabt!«

Regir wußte, daß der Imperator auf das geheimnisvolle Verschwinden der Prinzes­sin Crysalgira anspielte. Niemand wußte, ob das Mädchen noch lebte, niemand, ob nicht

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Orbanaschol seine Hände im Spiel gehabt hatte, als die Prinzessin verschwand. Querta­magin war sich allerdings ziemlich sicher, daß Orbanaschol nichts mit dem Verschwin­den Crysalgiras zu tun hatte – einen derarti­gen Übergriff hätte sich selbst der Tyrann nicht erlauben dürfen.

»Würde ich über jeden Verlust trauern, der unsere Sippe betrifft«, erklärte Querta­magin, »käme ich zu keiner anderen Arbeit mehr. Ihr wißt, wie groß unsere Familie ist!«

Orbanaschol verstand die Andeutung rich­tig. Er zeigte sein freundlichstes Lächeln, als er fortfuhr:

»Ich habe Euch einige Zeit nicht mehr ge­sehen. Werdet Ihr ebenfalls Gast sein beim Sippenfest der Zoltrals? Ich verspreche mir einige amüsante Überraschungen davon, au­ßerdem würde ich gerne wieder einmal Eu­ren trefflichen Rat in Angelegenheiten des Imperiums einholen. Ihr wißt, wie wichtig Ihr für den Bestand des Reiches seid!«

Quertamagin ging dem Imperator nicht auf den Leim. Er wußte zu gut, wie wichtig er und seine Familie waren. Orbanaschols Bauernfängerei verfing bei ihm nicht.

»Ich werde kommen«, versprach er. »Es wird sich lohnen«, meinte Orbana­

schol. »Wie ich hörte, soll bei dem Fest der Zoltrals eine berühmte Wahrsagerin auftre­ten. Vielleicht kann sie mir sagen, wie mein künftiges Schicksal aussehen wird!«

Quertamagin lächelte gewinnend. »Glänzend«, prophezeite er. »Ihr werdet

noch lange der Mann sein, dessen Nähe im Imperium am meisten geschätzt wird!«

Das konnte ebensogut bedeuten, daß der Imperator den obersten Platz auf einer Fahn­dungsliste einnahm, aber Orbanaschol ent­ging der Doppelsinn dieser Worte. Er nickte Regir freundlich zu, dann trennte er die In­terkomverbindung.

Quertamagin rührte sich nicht. Geistesab­wesend starrte er auf den grau gewordenen Bildschirm.

»Sie hat es tatsächlich gewagt«, murmelte er. »Diese Wahnsinnige!«

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*

»Ich weiß nicht, was ich machen soll«, gestand Ra. »Ich kann doch nicht einfach zwei Menschen ermorden, selbst wenn es sich um Männer der POGIM handelt. Auf der anderen Seite muß ich den Kontakt zur Untergrundbewegung aufrechterhalten. Die­se Männer und Frauen sind hervorragend ausgerüstet, bestens bewaffnet und geschult. Eine regelrechte Armee mit Depots, kom­pletter Logistik, Generalstab und einer guten Truppe hat sich gebildet. Auf diese Unter­stützung können wir einfach nicht verzich­ten!«

Auf Etir Bajs Stirn hatte sich eine steile Falte gebildet. Der Con-Treh schüttelte be­sorgt den Kopf.

»Ich traue der Angelegenheit nicht«, sagte er zögernd. »Die Verbindungen unseres Vol­kes nach Arkon sind eigentlich sehr gut. Wir müßten längst wissen, daß es eine so starke Untergrundarmee gibt. Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß die POGIM eine so ausgedehnte Organisation nicht längst ent­deckt haben soll. Eine geistige Widerstands­bewegung könnte ich mir vorstellen, der In­tellektuelle und Oppositionspolitiker ange­hören, aber dergleichen …«

»Daß es diese Armee gibt«, versetzte Ra, »kann nicht bezweifelt werden. Fraglich ist nur, ob wir uns ihr anschließen sollen. Ich überlege mir, wieviel ich verraten darf. Im­merhin steht viel auf dem Spiel.«

Die beiden Männer waren allein im Haus des reichen Zaliters Alpertur. Der Zaliter ging seinen Geschäften nach. Er hatte viel zu tun, um die Kostbarkeiten, die ihm Bei Etir Baj als Bezahlung für seine Arbeit im Dienste der Con-Treh überlassen hatte. Die Con-Treh wußten genau, was sie von Alper­tur zu halten hatten. Der Zaliter war geldgie­rig und feige, zum Glück überwog die erste Eigenschaft. Wer ihm genügend bezahlte, konnte seiner Dienste sicher sein. Inzwi­schen hatte der Zaliter allerdings schon so­viel für die Con-Treh getan, daß es für ihn

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kein Zurück mehr gab. Ihm war das passiert, was sich die Untergrundverschwörer für Ra ausgedacht hatten.

Es klopfte, und eine halbe Minute später trat Alpertur in den Raum. Die Stirn des Mannes glänzte von Schweiß, obwohl der Raum angenehm kühl war. Alpertur strahlte vor Freude.

»Ich habe mehr verdient, als ich dachte«, erklärte er. »Etir Baj, deine Mitbringsel wa­ren außerordentlich wertvoll, ich stehe in deiner Schuld!«

Das war ein bloßes Lippenbekenntnis, und das wußte Etir Baj. Dennoch beantwor­tete er Alperturs Höflichkeit mit einem Lä­cheln. Der Zaliter ließ sich ächzend in einen Sessel fallen und klatschte in die Hände. Wenig später erschien eines der arkonidi­schen Mädchen, die Alpertur sich als Haus­gehilfinnen hielt, wie es offiziell hieß. In Wirklichkeit unterschied sich dieses Dienst­verhältnis nur geringfügig von nackter Skla­verei.

»Bring zu trinken!« befahl Alpertur. »Für mich Roten von Zalit. Und ihr?«

Ra und Etir Baj zogen alkoholfreie Ge­tränke vor. Während das Mädchen die Wün­sche ihres Herrn erfüllte, griff Alpertur die Unterhaltung wieder auf.

»Kann ich etwas für euch tun?« erkundig­te er sich. Genießerisch kaute er den ersten Schluck Wein. »Braucht ihr Geld?«

Etir Baj schickte einen warnenden Blick zu Ra hinüber. Es war nicht ratsam, den Za­liter ins Vertrauen zu ziehen. Beim gering­sten Druck würde der Mann alles verraten, was er wußte; je weniger man ihn informier­te, desto besser.

»Für dich, Etir Baj, habe ich etwas«, fuhr Alpertur fort. »Dank der seltenen Werke, die ich anzubieten hatte, bekam ich zwei Einla­dungen. Du ahnst nicht, wohin man mich einlud!«

»Das Begräbnis Orbanaschols wird es nicht sein«, schätzte Etir Baj. »Sprich, ich habe keine Lust, Rätsel zuraten!«

»Zwei Karten für das Sippenfest der Zol­trals!« erklärte Alpertur mit großem Stolz.

»Ist das eine Nachricht?« Ra durchforschte schnell sein Gedächtnis

nach Informationen. Die Zoltrals waren ne­bst den Gonozals, Orbanaschols, Querta­magins und anderen die führende Familie. Sie hatten bereits mehrere Imperatoren ge­stellt und würden auch in Zukunft bei der Vergabe dieser Würde ein gewichtiges Wort mitzusprechen haben. Daß, Alpertur es ge­schafft hatte, sich Einlaß in diese Kreise zu verschaffen, sagte über seine Gerissenheit und Geschäftstüchtigkeit viel aus. Ra erin­nerte sich allerdings auch, daß es zu solchen Festlichkeiten Einladungen unterschiedli­chen Grades gab – man würde den Zaliter si­cherlich nicht mit brüderlicher Umarmung empfangen, dies stand nur der absoluten Spitze der Verwandtschaft zu. Weit eher würde er einer unter Zehntausenden sein, die es geschafft hatten, zu diesem glanzvollen Ereignis geladen zu werden, und die übli­cherweise von Robotpersonal beköstigt wur­den.

»Einen von euch beiden kann ich mitneh­men«, sprach Alpertur weiter. »Ra wird wohl kaum eingelassen werden, aber für dich, Etir Baj, wäre dies eine vorzügliche Gelegenheit, mit führenden Persönlichkeiten des Imperiums bekannt zu werden!«

»Nimm die Einladung an!« schlug Ra vor. »Ich will mich derweilen um die Untergrun­darmee kümmern. Vielleicht fällt mir etwas ein.«

Eines der Mädchen betrat leise den Raum und übergab dem Zaliter einen versiegelten Brief. Hastig öffnete der Mann das Schrei­ben und las die kurze Nachricht. Ra sah, wie er erbleichte.

»Bei allen Sternenteufeln!« schimpfte der Zaliter. »Ich bin Desto hlen worden!«

»Bestohlen?« wiederholte Etir Baj. »Am hellichten Tage!« jammerte Alper­

tur. »Unbekannte sind in eines meiner Lager eingedrungen und haben Waren im Werte von Millionen mitgehen lassen. Ich kann es kaum fassen.«

»Hoffentlich bist du versichert«, meinte Ra leichthin.

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Alpertur stöhnte gequält auf. »Natürlich bin ich versichert«, seufzte er.

»Aber … es gab in diesem Lager Waren, die sehr kostbar waren und der Versicherung und einigen staatlichen Behörden verborgen bleiben mußten!«

»Schmuggelware also«, stellte Etir Baj fest. »Wie war die Ware beschaffen, hinter­läßt sie Spuren?«

Alpertur schüttelte traurig den Kopf. »Die Polizei wird nichts mehr finden«,

beteuerte er. »Alles hat sich buchstäblich in Rauch aufgelöst!«

Ra atmete erleichtert auf. Es wäre fatal geworden, wäre die Polizei dem geschäfts­tüchtigen Zaliter auf die Spur gekommen. Wer von den Behörden einmal verdächtigt wurde, mußte ein extrem reines Gewissen haben, wenn er sich nicht ärgste Schwierig­keiten auf den Hals laden wollte.

»Ist der Verlust groß?« wollte Etir Baj wissen.

»Ziemlich«, seufzte Alpertur. »Aber ich werde deswegen kein armer Mann werden. Ich möchte nur wissen, wer im Imperium sich ausgerechnet für solche Waren interes­siert. Dahinter steckt eine gutinformierte Bande, die auch entsprechende Hehler hat. Vielleicht wird man auch versuchen, die Waren an mich zurückzuverkaufen!«

Unwillkürlich dachte Ra an seine neuen Freunde, aber eine politische Widerstandsor­ganisation würde wohl kaum Diebstähle in diesem Ausmaß begehen.

Ra entschloß sich, den Auftrag abzuleh­nen. Er nahm sich vor, eines der Verstecke der Gruppe aufzusuchen und zu erklären, daß er zu solchen Taten nicht bereit sei. Vielleicht bestand der eigentliche Test gera­de in diesem Problem, ob er bereit war, für die Erreichung der angestrebten Ziele nöti­genfalls auch über die Leichen Unbeteiligter zu gehen.

*

Perytlth knirschte mit den Zähnen. In den letzten Tagen waren die Schmerzen fast un-

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erträglich geworden. In langen Jahren hatte er gelernt, seine Schmerzen weitgehend zu unterdrücken, aber nun zeichnete sich für den Krüppel ein Ende seiner Leiden ab. Um so ärger wurden daher seine Schmerzen in der Zeit, die bis zur endgültigen Heilung noch verstreichen mußte.

Der Krüppel hatte seine Routine verlas­sen. Seit Tagen schon hielt er sich nicht mehr an seinen bekannten Fahrplan. Dies wurde allgemein als erstes Anzeichen für sein Ende angesehen.

Perytlth hatte sich entsprechende Papiere beschafft und trieb sich nun als Leitungsin­spektor in der Unterwelt von Arkon II her­um. Er hatte sich darangemacht, jeden noch so unbedeutenden Winkel dieses Labyrinths auszukundschaften. Irgendwann mußte er nach seiner Ansicht auf eine Spur des Frem­den stoßen, den er seit Tagen nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte. Da der Trick mit dem Infrarotmarkierer nicht funktioniert hat­te, wußte er nicht, wo er nach Ra zu suchen hatte, aber er besaß den festen Glauben, daß er ihn im Untergrund finden würde.

Perytlth hatte einen Knotenpunkt erreicht. Welche Leitungen sich dort kreuzten, ver­banden und wieder auseinanderliefen, küm­merte ihn nicht. Er hätte wenigstens eine Woche gebraucht, um sich die vielen Far­ben, Kennzeichen und anderen Markierun­gen zu merken, an denen die einzelnen Lei­tungen voneinander zu unterscheiden waren. Seine ganze Aufgabe bestand offiziell darin, die Leitungen abzufahren und lecke Stellen zu melden. Sein Lohn war mehr als beschei­den; Perytlth hatte die Stellung erst dann be­kommen, als seine Gehaltsforderung unter den laufenden Unkosten eines Wartungsro­bots lag.

»Es kommt mir nicht auf die Bezahlung an«, hatte Perytlth vor dem Inspektor be­hauptet. »Ich möchte nur etwas tun, was der Gemeinschaft nützt. Es würde mein Selbst­wertgefühl außerordentlich heben!«

Glatzköpfiger Laffe, hatte der Krüppel ge­dacht, als er diesen Text aufgesagt hatte. Für das mitleidige Lächeln des Beamten hätte

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Perytlth den Mann am liebsten geohrfeigt. Immerhin, er hatte die Stelle bekommen.

Es war still in dem Bereich der Stadt, den nur selten ein Mensch zu sehen bekam. Ir­gendwelche Flüssigkeiten strömten mit lei­sem Geräusch durch dick ummantelte Roh­re. Zwischen stromführenden Leitungen sprangen ab und zu kleine Entladungen kni­sternd hin und her. Umformerbänke summ­ten schwach. Eines der lautesten Geräusche war das Schlagen von Pery tlths Herz.

Perytlth hatte sich gesagt, daß er an der Stelle der Verschwörer die Verstecke ziem­lich tief unter der Oberfläche anlegen würde. Eine dicke Schicht Erdreich, durchsetzt von Kabeln, Leitungen und Hohlräumen, bot einen nahezu perfekten Schutz vor Beobach­tung durch Meßgeräte. Allein die Umfor­merbänke gaben eine Streustrahlung ab, die jedes Meßgerät irreführen mußte. Daher be­wegte sich der Krüppel auf der untersten Sohle seines Arbeitsgebiets. Nach seiner Schätzung war hier seit etlichen Generatio­nen kein Mensch mehr gegangen. Der Bo­den war knöchelhoch mit Staub bedeckt. Vereinzelte Fußspuren zeigten, daß es den­noch in dieser kalten, von der Technik be­herrschten Welt Leben gab. Vermutlich huschten ab und zu kleinere Nager durch die Gänge.

Erstaunlich war, daß überall Licht brann­te, auch die Belüftung funktionierte ein­wandfrei. Unter anderen Bedingungen hätte sich Perytlth nicht in diesen Bereich der Ar­kon-Unterwelt gewagt.

Perytlth erreichte einen Antigravschacht. Die Kontrollampen brannten, folglich konn­te der Schacht benutzt werden.

Amüsiert stellte Perytlth fest, daß ein of­fenbar recht zerstreuter Techniker sogar den Schachtboden mit einer Schaltanlage verse­hen hatte, mit der zwei Bewegungsrichtun­gen gewählt werden konnten. Perytlth schwebte langsam näher und starrte in die Höhe. Unter ihm lag der dicke Beton des Schachtbodens, das obere Ende der langen vertikalen Röhre war nicht zu sehen. Das Antigravfeld war nicht eingeschaltet; ein

Handgriff genügte, um es zu aktivieren. Es hatte vor langer Zeit, als die ersten

Schächte eingeführt worden waren, Kritiker gegeben, die behauptet hatten, solche Beför­derungsmittel seien nur für Spitzenathleten und Kunstturner geeignet, aber schon nach einigen Jahren hatte sich gezeigt, daß das Gegenteil der Fall war.

Die Röhre, in deren Höhlung Perytlth sich befand, war für wenige Personen bestimmt. Ein Schalterdruck bestimmte die Richtung des sehr schwachen Schwerefelds, mit dem der Flug des Benutzers stabilisiert wurde.

Größere Schächte hatten jeweils einen Einstieg und einen Ausstieg, die einander genau gegenüberlagen. Wer einen solchen Schacht benutzen wollte, trat an den Rand und machte einfach einen Schritt nach vor­ne. Mit der Rechten wurde dann eine der zahlreichen Haltestangen gefaßt, die an den Wänden des Schachtes entlangliefen. Der Benutzer konnte nun mit einer einfachen Handbewegung den freischwebenden Kör­per in Bewegung setzen, nach Wunsch auf­wärts oder abwärts. Die unvermeidlichen Abweichungen von der geraden Linie wur­den mit der Hand abgefangen und korrigiert, die wie ein Ring über die Haltestange glitt. Natürlich gehörte ein wenig Übung dazu, aber selbst Kinder konnten sich schon nach kurzer Zeit sicher in Antigravschächten be­wegen. Während des Fluges wurde die Hal­testange gewechselt, bis der Benutzer an der Ausstiegseite angelangt war. Zum Ausstieg selbst genügte eine einfache Handbewe­gung, die den Benutzer mit sanftem Schwung aus dem Bereich der Schwer­kraftaufhebung beförderte. Zwar setzte am Ausstieg schlagartig wieder die normale An­ziehungskraft des Planeten ein, aber der »Fall« des Schachtbenutzers führte nur in seltenen Fällen über mehr als zehn Zentime­ter. Selbst Krüppel konnten solche Anlagen ohne besondere Schwierigkeiten benutzen.

Das einzige, noch immer ungelöste Pro­blem der Antigravtechnik war weniger tech­nischer als pädagogischer Natur. Eltern hat­ten immer wieder größere Schwierigkeiten,

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ihre antigravbegeisterte Nachkommenschaft davon zu überzeugen, daß man nicht einfach in jedes tiefe Loch hinunterspringen durfte.

Perytlth lächelte bitter, als er an die Zeiten zurückdachte, da er ein kleiner Junge gewe­sen war, der stundenlang in großen und klei­nen Antigravschächten auf- und abgefahren war.

Plötzlich stutzte der Mann. »Wer ist hier der Dummkopf?« murmelte

er nachdenklich. »Ich oder der Techniker?« Perytlth hatte schon viele Schächte gese­

hen, aber noch nie einen, bei dem man auch an den Enden die Auswahl zwischen zwei Bewegungsrichtungen hatte. War dies am Ende vielleicht gar kein Zufall oder Verse­hen, überlegte sich der Krüppel.

Perytlth verließ den Schacht und schweb­te zur Schalttafel. Es klickte leise, als er die Bewegungsrichtung Abwärts einstellte.

Perytlth grinste zufrieden. Langsam bewegte sich der Betonboden

des Antigravschachts zur Seite. Eine Öff­nung entstand, aus der Licht in die Höhe strahlte. Perytlth zögerte ein wenig, dann ließ er sein Krankenfahrzeug entschlossen vorwärtsgleiten. Langsam schwebte er in die Tiefe. Wieder knackte es leise, und Perytlth sah die kleine Fotozelle an der Wand, die ei­ner Schaltung mitgeteilt hatte, daß ein Kör­per vorbeigeschwebt war. Wenige Sekunden später war der Antigravschacht wieder ver­schlossen.

»Ein raffinierter Trick!« stellte Perytlth anerkennend fest.

Er faßte seine Dienstwaffe fester, obwohl der Strahler nur zur Abwehr von kleineren Tieren gedacht war. Einen Menschen konnte man damit zwar ebenfalls verletzen, aber selbst die kleinsten Schirmfeldgeneratoren boten vor dem Strahl einen ausreichenden Schutz. Dennoch fühlte sich Perytlth mit der Hand in der Waffe sicherer.

Leise und vorsichtig bewegte sich Pe­rytlth weiter, und mit jedem Meter, den er zurücklegte, wuchs seine Angst.

Perytlth war auf ein Warenlager gestoßen, auf eine Lagerhalle ganz besonderer Art.

Peter Terrid

Der Krüppel wußte sehr bald, daß dies kein geheimes Lager der Regierung für Not­fälle sein konnte. In solchen Arsenalen wur­den für gewöhnlich keine Kunstwerke auf­gestapelt, die zudem in den letzten Jahren bei spektakulären Raubzügen und Einbrü­chen verschwunden waren. Und angesichts der bedrohlichen Lage des Imperiums im Methankrieg war es kaum anzunehmen, daß man so leichtsinnig sein würde, etliche tau­send Zweihandstrahler einzulagern, die an den Fronten bitter nötig gebraucht wurden.

Nach einer halben Stunde hatte Perytlth genug gesehen. Er sagte sich, daß jede wei­tere Minute, die er sich in diesem Arsenal aufhielt, für ihn zum Verhängnis werden konnte. Hastig zog sich Perytlth zurück, im stillen hoffend, daß keine Person dieses La­ger überwachte und auch kein Atomat sein Auftauchen registriert hatte.

Der Krüppel atmete erst dann freier, als er sich mehrere Kilometer vom Einstieg in das Lager entfernt hatte. Während er scheinbar eifrig Leitungen kontrollierte, begann er sei­ne Lage genau zu durchdenken.

Perytlth hatte mehrere Möglichkeiten. Er konnte das Lager an die Kriminalpoli­

zei verraten. In diesem Fall hätten ihm die atemberaubend hohen Belohnungen gehört, die auf die Wiederbeschaffung vieler ver­schwundener Kunstwerke ausgesetzt waren. Fraglich war zweierlei: Wieviel von diesen Beträgen würde in den Taschen von Polizi­sten verschwinden, und wer garantierte ihm, daß eine derart erfolgreiche Verbrecherban­de nicht auch gute Beziehungen zur Polizei hatte. Unter Umständen war gerade der Be­amte, dem Perytlth sein Geheimnis anver­traute, ein Helfershelfer der Bande. Diese Gefahr war nicht von der Hand zu weisen.

Perytlth hätte die Angelegenheit verges­sen können. Wer aber gab ihm die Sicher­heit, daß sein Eindringen in das unterirdi­sche Arsenal nicht beobachtet worden war? Es war denkbar, daß der Besitzer der Waren schon jetzt einen Trupp zusammenstellte, der dem Neugierigen das Spionieren für alle Zeiten verleiden sollte.

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War er nicht beobachtet worden, dann hätte Perytlth sich an den Schätzen der un­terirdischen Halle bedienen können. Ange­sichts der dort gestapelten Mengen wäre der Verlust von einigen kleineren Vermögen kaum aufgefallen.

Perytlths Überlegungen nahmen nicht viel Zeit in Anspruch. Die Gefahr war nicht von der Hand zu weisen, daß irgendein versteck­tes Aufnahmegerät sein Eindringen aufge­zeichnet hatte. Da sich Perytlth ausrechnen konnte, welche Konsequenzen daraus er­wachsen würden, gab es für ihn nur eine Möglichkeit.

»Das wird Glahrn nicht gern hören«, er­klärte das Mädchen Themar kopfschüttelnd. Wer sie nicht kannte, hätte fast glauben kön­nen, daß sie tatsächlich Mitleid mit dem Barbaren empfand. Aber Ra wußte inzwi­schen ziemlich genau, was er von der jungen Frau zu halten hatte. Sie unterschied sich in ihrer Skrupellosigkeit und Brutalität nur un­wesentlich von ihrem Vorgesetzten.

»Du weigerst dich also, den Auftrag aus­zuführen?« erkundigte sich Themar noch einmal. »Weißt du, welche Konsequenzen das für dich haben wird?«

Ra zuckte mit den Schultern. Er bemühte sich, ein gleichgültiges Ge­

sicht zu machen, obwohl er sich zu fürchten begann. Langsam dämmerte Ra, daß irgend etwas mit diesen Männern und Frauen nicht stimmen konnte.

»Glahrn wird in wenigen Augenblicken hier eintreffen«, verkündete das Mädchen. »Noch kannst du dir deine Entscheidung überlegen.«

Sie lächelte Ra an und fuhr halblaut fort: »Es täte mir leid um dich, Ra!« Dieser Beweis von Zuneigung würde Ra

sehr wenig helfen, wenn es ihm an den Kra­gen ging, und das wußte der Barbar sehr ge­nau. Und er ahnte auch, daß die Lage ernst war.

Eine Tür wurde geöffnet, Glahrn trat in den Raum. Er sah Ra finster an.

Instinktiv wanderte Ras Blick zum Gürtel des Mannes. Glahrn war bewaffnet, aber er

hatte sich – vermutlich aus Eitelkeit – ein Schmuckhalfter zugelegt. Bis er die Waffe in Anschlag gebracht haben würde, hätte er Sekunden gebraucht, eine sehr kurze Zeit­spanne nur, aber für einen Kämpfer von der Reaktionsschnelligkeit des Barbaren reichte es. Themar war unbewaffnet, während Ra noch sein Messer im Gürtel trug.

»Du weigerst dich?« lautete Glahrns knappe Frage.

»Allerdings!« gab Ra ebenso kurzange­bunden zurück.

»Es ist dein Wille und dein Tod!« stellte Glahrn fest. »Du wirst noch ein wenig Zeit haben, um dich mit deinen Gottheiten zu ar­rangieren, dann wirst du getötet!«

Ra spürte, wie sich sein Puls beschleunig­te. Die Eiseskälte, mit der Glahrn sein To­desurteil verkündete, hatte etwas Er­schreckendes an sich.

»Muß das sein?« fragte das Mädchen. Ra registrierte erstaunt, daß sie offenbar tat­sächlich etwas für ihn übrig hatte. »Es muß doch auch andere Möglichkeiten geben!«

Glahrn schüttelte ruhig den Kopf. »Er gefährdet unsere Sicherheit, und Si­

cherheitsrisiken können wir uns nicht lei­sten. Du weißt, was für uns auf dem Spiel steht. Willst du seinetwegen den Konverter riskieren?«

Der Mann sprach völlig ruhig, als handle es sich um die Lösung eines mathematischen Problems. Die Person seines Opfers schien ihm völlig nebensächlich zu sein, wichtig war nur, daß die Organisation ungefährdet arbeiten konnte. Wahrscheinlich hätte er mit der gleichen Ruhe auch Familienangehörige geopfert.

Themar biß sich auf die Lippen. Sie sah Glahrns forschenden Blick auf sich ruhen und lächelte verzerrt. In diesem Augenblick wußte Ra genau, was das Mädchen dachte. Sie mußte spüren, daß Glahrn auch sie ohne Zögern opfern würde, wenn es ihm geboten erschien. Und diese Notwendigkeit konnte schon dann gegeben sein, wenn zu befürch­ten stand, daß Themar private Neigungen über ihre Pflichten gegen die Organisation

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stellte. »Du hast recht!« sagte das Mädchen

schließlich; der schnelle Blick in Ras Rich­tung blieb von Glahrn unbemerkt. »Wir müssen ihn opfern!«

Im Gesicht des Mannes zuckte kein Mus­kel.

»Ich werde einen der Männer her­schicken, damit er Ra bewacht«, erklärte Glahrn kalt. »Es wird besser sein, wenn du dich entfernst!«

Themar nickte zögernd. Sie wollte gerade den Raum verlassen, als ein gellendes Pfei­fen sie und Glahrn zusammenzucken ließ. Ra sah, wie Glahrns Gesicht fast blutleer wurde.

Der Mann kümmerte sich nicht mehr um Ra. Mit einem Handgriff riß er einen Hebel herunter, eine Tür öffnete sich, die zu einem Raum führte, der mit technischem Gerät vollgestopft war. Ra erkannte, daß es sich um die Zentrale dieser künstlichen Unter­welt handeln mußte.

Hastig aktivierte Glahrn ein Dutzend Ge­räte, und nach kurzer Zeit zeigten ihm die Monitoren, wie es um ihn stand.

»Von allen Seiten!« stellte der Mann fest; das Mädchen neben ihm war blaß geworden. »Irgend jemand muß der Polizei einen Tip gegeben haben!«

»Alles verloren?« fragte Themar ängst­lich.

Glahrn zuckte mit den Schultern und gab ruhig zurück:

»Wir werden es überleben. Noch besteht Hoffnung, daß wenigstens wir uns absetzen können!«

Glahrn drehte sich herum und stieß einen Fluch aus.

Ra war verschwunden.

5.

Der Barbar verspürte keine Lust, in enge­ren Kontakt zur arkonidischen Polizei zu ge­raten, und er hatte den kurzen Augenblick genutzt, in dem sich die Aufmerksamkeit seiner Bewacher wichtigeren Dingen zuge-

Peter Terrid

wandt hatte. Sobald er den Raum verlassen hatte, be­

gann Ra zu laufen. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, wohin der Gang führte, aber er lief dennoch. Ra wollte versuchen, sich irgend-wie zur Oberfläche durchzuschlagen, wie genau das vonstatten gehen sollte, war ihm unklar. Ra wußte, daß er in ebensogroßer Gefahr schwebte wie die Gangsterbande, der dieses Versteck gehörte. Jetzt war ihm end­gültig klar, daß er es nicht mit einer politi­schen Widerstandsorganisation zu tun ge­habt hatte, sondern mit einer Bande ausge­kochter Verbrecher. Wahrscheinlich hatten sie die naiven Regimegegner um Sarat Tohl für ihre Zwecke eingespannt.

Ra fand einen Antigravschacht. Ohne sich darum zu kümmern, in welche Richtung er transportiert werden würde, stürzte sich Ra in die Öffnung. Ein Feld trug ihn langsam in die Höhe.

In regelmäßigen Abständen waren Leuchtkörper in die Wandungen des Schachtes eingelassen. Ra zerstörte sie kurz­erhand mit dem Messer. Viel würde dies nicht helfen, aber Sekunden konnten unter Umständen entscheiden, wenn man ihn ent­deckte. Zum Glück wußten Etir Baj und Al­pertur, wo Ra sich herumtrieb; die genauen Daten hatte Ra allerdings nur seinem Freund Etir Baj anvertraut.

Ra schätzte, daß er mehr als hundert Me­ter an Höhe gewonnen hatte, als eine Aus­stiegsöffnung sichtbar wurde. In dem Rah­men stand ein Bewaffneter und zielte auf den Kopf des Barbaren.

»Ich warne dich!« rief der Mann zu Ra hinunter. »Eine falsche Bewegung, und ich werde abdrücken! Nimm die Hände in die Höhe und komm langsam näher!«

»Ohne die Hände zu benutzen, kann ich den Schacht nicht verlassen!« stellte Ra fest und grinste den Mann an. »Habt ihr schon Erfolge erzielen können?«

Der Mann stutzte. Verwirrt suchte er an Ras Körper nach irgendeinem Zeichen, das etwas über seine Identität hätte aussagen können. Ra beschloß, seine Rolle als Polizist

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im Sondereinsatz weiterzuspielen. »Unten liegen zehn Männer«, erzählte er

unbefangen, während er allmählich dem Ausstieg immer näher kam. »Fünf andere sind mir leider entwischt, aber die werden wir auch noch stellen können. Wie sieht es oben aus, sind die Ausgänge besetzt?«

Ra schwang sich geschickt aus dem Schacht und deutete lässig einen Gruß an. Es war kennzeichnend für den Drill bei der ar­konidischen Polizei, daß der Mann sofort zusammenzuckte und den Gruß in aller Form erwiderte.

Auf diese Gelegenheit hatte Ra gewartet. Die Faust des Barbaren, die noch immer das Messer umklammert hielt, bohrte sich mit Wucht in die Herzgrube des Beamten. Der Mann riß den Mund auf und schnappte nach Luft, seine Waffe ruckte in die Höhe, aber bevor der Mann abzudrücken vermochte, verlor er die Besinnung. Langsam sackte der Polizist in sich zusammen.

Ra sah auf den bewußtlosen Mann hinun­ter und kratzte sich hinter dem rechten Ohr.

»Meine Größe hat er ja«, murmelte Ra. Wenn das Gewebe dehnbar war, hätte Ra

die Kleidung des Polizisten als Tarnung be­nutzen können, obwohl der Beamte in den Schultern erheblich schmaler war als der stämmige Ra. Aber der Mann war Arkonide, und Ra wußte nicht, ob er in der Uniform mit seinen dunklen Haaren nicht noch we­sentlich auffälliger wirkte als in normaler Kleidung. Ra zögerte nur kurze Zeit, dann hatte er sich entschieden.

Zwei Minuten später stürmte der in dieser Zeit erschaffene Sonderagent der Spezialab­teilung VI weiter. Ra war der Ansicht, daß ein raffinierter Angriff die beste Form der Verteidigung sei, und deshalb verhielt er sich seiner Rolle gemäß. Auf einem der Gänge begegneten ihm zwei Beamte, die auf Ras scharfes Kommando hin sofort folgsam wurden und sich ihm unterstellten.

Ra grinste zufrieden, während er weiter in das Innere der Verbrecheranlage eindrang. Ra wußte annähernd, wo er Glahrn und das Mädchen Themar zu suchen hatte, und der

Begleitschutz, den ihm seine beiden Unter­gebenen verschafften, schützte ihn wir­kungsvoll vor lästigen Fragern.

Die Gangster setzten sich erbittert zur Wehr. Mehr als ein Beamter der Einsatzpoli­zei wurde verletzt, einige sogar getötet. Im­merhin konnte Ra feststellen, daß die Polizi­sten sich nach Kräften bemühten, die Gang­ster lebend zu fangen; nur in Einzelfällen rächten sich die Beamten an den Gefange­nen für den Tod eines Kollegen.

»Aufgepaßt!« schrie eine Stimme. »Sie setzen Roboter ein!«

Ra knirschte mit den Zähnen. Natürlich konnte man auch bewaffnete Robots aus­schalten, aber das erforderte entweder eige­ne Kampfrobots oder aber einen ziemlich rücksichtslosen Einsatz von Menschen. Ra war sich nicht ganz sicher, ob die Offiziere solange warten würden, bis Polizeirobots auf dem Kampffeld auftauchen konnten.

»Vorwärts, Männer!« gab ein Unbekann­ter Befehl. »Kämpft die Maschinen nieder!«

»Die Sternenpest soll ihn holen!« zischte ein Mann hinter Ra. »Dem Burschen ist es völlig egal, ob wir das überleben oder nicht. Ihm kommt es nur darauf an, für die Gefan­gennahme von vielen kleinen Gangstern be­lobigt zu werden!«

Zum Glück für die Männer handelte es sich bei den Kampfmaschinen der Gangster um veraltete Modelle, deren Reaktions­schnelligkeit durch umständliche Gelenk­konstruktionen beeinträchtigt wurde. Ge­fährlich aber waren sie dennoch, das bewies der gellende Schrei eines getroffenen Beam­ten.

Ra zielte schnell und sorgfältig. Der Strahlschuß traf einen der Robots am Kopf und setzte seine Sehfähigkeit auf fast Null herab. Zwei andere Robots, darauf program­miert, auch das eigene positronische Leben zu schützen, sahen sich durch den wie beses­sen herumschießenden Gefährten bedroht und ließen ihn in einem Schußhagel zu ei­nem weißglühenden Metallhaufen zusam­menschmelzen.

Ein widerlicher Gestank nach verbrann­

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tem Metall hing in der Luft, die von den Schüssen aufgeheizt wurde, bis sich Ras Haare an den Spitzen zu kräuseln begannen. Fetter schwarzer Qualm zog durch die Gän­ge, legte sich auf die Lungen und machte das Atmen schwer und schmerzhaft.

»Vorwärts, Männer!« schrie der Offizier wieder.

Er mußte sich in sicherer Deckung aufhal­ten, anders war die Klarheit seiner Stimme nicht zu erklären. Und seine Männer ge­horchten, sie stürmten auf die Robots ein. Das Zischen und Krachen der Schüsse er­füllte die Luft, Schreie gellten, und immer wieder explodierten zusammengeschossene Robots.

»Mir nach!« befahl Ra, ohne sich darum zu kümmern, ob dieser Befehl üblich war. Die erstaunten Blicke seiner Untergebenen zeigten, daß Offiziere normalerweise erst einmal ihre Männer vorschickten, bevor sie sich selbst in brenzlige Situationen begaben.

Ra rannte vorwärts, seine Männer folgten ohne Zögern. Ein Robot stellte sich ihnen in den Weg und flog nach einer Serie von Schüssen donnernd auseinander. Ra warf sich gerade noch rechtzeitig zur Seite, einen Augenblick später schlug der weggerissene Kopf eines Robots gegen die Wand und feg­te eine Handvoll Gesteinssplitter durch den Gang. Einer der Männer stöhnte unterdrückt auf, ein Splitter hatte ihn am Arm getroffen.

Ra hatte lange und intensiv den Umgang mit hochmodernen Schußwaffen geübt, de­mentsprechend gut waren seine Schießlei­stungen. In Situationen wie dieser verließ sich der Barbar voll und ganz auf seine In­stinkte, die ihn Gefahren fast hellseherisch vorherahnen ließen. Noch bevor der Körper des Robots seine Deckung vollständig ver­lassen hatte, schlug der Maschine bereits der Waffenstrahl des Barbaren entgegen.

»Beeilt euch!« rief Ra den beiden Män­nern zu, die seinem Sturmlauf folgten. »Je mehr wir rennen, desto schwieriger sind wir zu treffen!«

Ra wußte sehr wohl, daß dies nur für Menschen galt. Robots pflegten die Bewe-

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gungen von Zielen auf Zentimeter genau vorher zu kalkulieren und trafen entspre­chend exakt.

Ra atmete schnell und krampfhaft. Die Luft war fast unerträglich heiß und stickig geworden. Die Minuten schienen sich wie zähflüssige Schmiermasse in die Länge zie­hen zu wollen. Die Männer verloren fast zur Gänze ihre Beziehung zu dem, was in ihrer Nähe vorging. Sie rannten und schossen wie Automaten, warfen sich blindlings hin, um Schüssen auszuweichen, sprangen wieder auf und setzten den Angriff fort.

Ra brauchte mehrere Sekunden, bis er be­griff, daß der Kampf ein Ende hatte, zumin­dest was ihn anging. Kein Widerstand war mehr festzustellen.

»Wir haben ihre Linien durchbrochen!« keuchte einer der Polizisten mühsam. Sein Gesicht war von Rauch geschwärzt, über das Gesicht lief ein schmaler Streifen frischen Blutes. »Wohin jetzt?«

»Weiter!« bestimmte Ra. Er hatte sich in­zwischen erinnert und wußte nun halbwegs genau, wo er sich befand.

Im Rücken der drei Männer wurde der Kampflärm lauter. Von irgendwoher kamen zwei Männer angerannt, die keine Zeit mehr fanden, die Waffen zu verwenden. Zwei ge­zielte Paralysatorschüsse ließen sie zusam­menbrechen.

Ra führte seine kleine Armee an. Viel hat­te er nicht in Erfahrung bringen können, aber er hatte eine annähernde Kenntnis, wie dieses Labyrinth angelegt war. Und er wußte auch, daß es einen bestimmten Bereich die­ser unterirdischen Welt gab, der von den vielen Beobachtungsgeräten nicht erfaßt wurde. Wenn es für die Köpfe der Verbre­cherorganisationen einen Fluchtweg selbst für diese extreme Notlage gab, dann mußte sie in diesem Bezirk zu suchen sein.

Unterwegs passierte der Trupp ein Waf­fenlager. Deutlich war zu sehen, wie sehr der Angriff der Polizei die Gangster über­rascht hatte. In wilden Haufen lagen die Waffen verstreut, jeder hatte sich offenbar das erste gegriffen, was ihm unter die Finger

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geraten war. »Thermitladungen!« freute sich Ra. »Ich

glaube, wir werden sie gut brauchen kön­nen!«

Er stopfte sich die Taschen mit den Hit­zeladungen voll. Seine Begleiter sahen ihn verwundert an, dann begriffen sie, daß es letztlich unwichtig war, ob eine oder hundert Ladungen durch Zufall oder Unvorsichtig­keit detonierten. Wer nur einige Meter vom Detonationszentrum entfernt war, wurde in jedem Fall in ein Häufchen Asche verwan­delt.

Die nächsten Räume waren menschenleer. Offenbar leisteten die Gangster der Polizei einen erbitterten Widerstand – schließlich ging es in den meisten Fällen um das Leben der Verbrecher, auf die der Konverter oder – vielleicht noch schlimmer – das Straflager wartete. Die Männer kämpften mit der wil­den Entschlossenheit von Todeskandidaten.

Endlich erreichte Ra eine Tür, die mit hellroter Farbe gekennzeichnet war. Beson­dere Sicherheiten schien es nicht zu geben, aber Ra hatte als * Kampfgefährte des Kri­stallprinzen breite Erfahrung im Umgang mit unverdächtigen Eingängen und Räumen. Er war auf jede Teufelei vorbereitet.

Zwei Thermitladungen wurden an der Tür befestigt, dann rannten die Männer rasch zu­rück. Hinter ihnen brach wenige Sekunden später die Hölle los. Millionen von Kalorien, auf engstem Raum geballt, ließen die stäh­lerne Tür verdampfen und das umgebende Gestein in breiten Bächen herabfließen. Der Boden erbebte unter der Wucht der Explosi­on, und die drei Männer schnappten wie an Land geworfene Fische nach Luft, als die Hitzewelle an ihnen vorbeifegte. Ein Mit­glied der Verbrecherbande, das den bedräng­ten Freunden zu Hilfe eilen wollte, wurde durch die Hitzewelle von den Beinen geris­sen und über den Boden gefegt.

Der Vormarsch zu der zerstörten Tür war eine Tortur, aber Ra wußte, daß er sich nicht viel Zeit lassen durfte, wenn er noch eine der führenden Persönlichkeiten der Bande zu fassen bekommen wollte. Daß er sich

wieder einmal zu Recht auf seinen Instinkt verlassen hatte, wurde unwiderleglich klar, als er die Tür erreicht hatte.

Die Herren der Unterwelt von Arkon II nahmen wenig Rücksicht auf ihre Kumpane, wenn es ihnen an den Kragen ging. Hinter der Tür hatte man eine Selbstschußanlage eingebaut, die entsichert und einsatzbereit war. Wer immer die Tür zu öffnen wagte, wurde von einer Salve aus miteinander ge­koppelten Handstrahlern im Bruchteil einer Sekunde atomisiert.

Von der mörderischen Falle war nicht mehr viel zu sehen. Was die Thermitbomben nicht zerfetzt hatten, war zerstört worden, als die Magazine der Waffen hochgegangen waren. Nur annähernd ließ sich der Verwen­dungszweck der Konstruktion anhand der Überreste erraten.

Ra paßte höllisch auf, als er den Raum be­trat. An vielen Stellen war der Boden mit noch zähflüssigem, geschmolzenem Metall bedeckt, und vor solchen Temperaturen schützten auch die Raumfahrerstiefel nicht, die die Männer an den Füßen trugen. Es galt, sehr sorgfältig die wenigen Stellen zu fin­den, an denen man den Fuß ohne Gefahr auf den Boden setzen konnte. Es war nicht je­dermanns Sache, sich auf diese Weise fort­zubewegen, aber die beiden Polizisten zö­gerten keine Sekunde, nachdem Ra ihnen vorangegangen war. Aus eigenem Antrieb hätten die Männer es wahrscheinlich vorge­zogen, den weiteren Fortgang der Ereignisse in Ruhe abzuwarten.

Ra hatte das sichere Gefühl, daß mit der Selbstschußanlage das Repertoire seiner Gegner noch lange nicht erschöpft war, und Ra irrte sich nicht.

Nur seinen hervorragenden Reflexen ver­dankte er sein Leben. Sie ließen ihn blitz­schnell nach hinten kippen, als er den scheinbar soliden Boden des Ganges unter seinen Füßen wegsacken spürte. Schnell packten die beiden Polizisten zu und zerrten Ra zurück, kurz bevor der Barbar endgültig abrutschen konnte.

Ra holte tief Luft.

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»Danke!« sagte er ächzend. »Das war ver­teufelt knapp!«

Im Boden des Ganges klaffte ein kreisrun-des, mehr als vier Meter durchmessendes Loch. Ra hatte es im Fallen gerade noch ge­schafft, eine halbe Drehung auszuführen und mit einer Hand die Kante zu fassen bekom­men. Lange hätte er sich so nicht halten kön­nen, aber die Polizisten hatten schnell und richtig reagiert.

Langsam richtete sich Ra wieder auf. »Ich verspeise meine Uniform«, brummte

er, »wenn diese Falle damit erledigt wäre!« Er zog eine Thermitbombe aus dem Gür­

tel, zog den Sicherungsstift und ließ den Sprengkörper über den Boden rollen. Im gleichen Augenblick, in dem die Bombe über den Boden des Loches fiel, zuckte aus der Tiefe eine Strahlensalve in die Höhe. Ob noch weitere Schüsse fielen, konnten die Männer nicht bestimmen, denn wenige Au­genblicke später stieß die detonierende Thermitbombe eine rötliche Qualmsäule in die Höhe.

Ra grinste, als er die käsigen Gesichter seiner Begleiter sah. Die Männer waren kei­neswegs feige, aber soviel infame Heim­tücke ging über ihr Begriffsvermögen. Ohne Ra wären sie vermutlich abgestürzt, aber selbst wenn sie dieser Falle entgangen wä­ren, hätten sie zweifellos versucht, das Loch zu überspringen. Dabei wären sie von den am Boden des Loches fest eingebauten Strahlern mit Sicherheit getroffen worden. Was die Waffen nicht erreichen konnten, mußte von dieser Überraschung zumindest so irritiert werden, daß er in das Loch stürz­te.

Was dort auf die unglücklichen Opfer die­ser Falle wartete, war nur noch in Bruch­stücken zu erkennen. Ra vermutete, daß die Metallteile, die aus der Wand des Schachtes ragten, vor der Detonation der Thermitbom­be einmal ein scharfkantiges Gitter gebildet hatten. Selbst Robots hätten wenig Chancen gehabt, den Aufprall auf die messerscharfen Stahlkanten zu überstehen.

»Wer sind diese Menschen?« fragte einer

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der Beamten bleich. Vorsichtig robbte er zu­rück und stand langsam wieder aus seiner liegenden Haltung auf.

Für die beiden Polizisten war die Falle sa­tanisch genug, aber Ras Mißtrauen war noch immer nicht befriedigt. Er richtete seinen Strahler auf die gegenüberliegende Wand und gab einen ungezielten Schuß ab.

Die Beamten schrien überrascht auf, wäh­rend Ra den Strahler zurücksteckte und zu­frieden nickte. Er hatte mit derlei gerechnet.

Der Gang, der auf der anderen Seite des Loches seine Fortsetzung hatte, endete in Wirklichkeit hart am Rande des Schachts. Die Fortsetzung war nichts weiter als eine raffinierte Täuschung, wahrscheinlich durch ein kompliziertes System von Spiegeln und Linsen hervorgerufen.

»Unfaßbar!« stöhnte einer der Polizisten auf.

»Richtig!« murmelte Ra. »Aber wo geht es jetzt tatsächlich weiter?«

Den beiden Polizisten war anzusehen, daß sie an der Klärung dieser Frage nicht sehr interessiert waren. Ihr Bedarf an Überra­schungen war mehr als gedeckt.

Ra überlegte kurz und kam zu der Über­zeugung, daß der Eingang zu weiteren Räu­men wahrscheinlich dort zu finden sein wür­de, wo man ihn am wenigsten vermuten würde. Obwohl er seiner Sache ziemlich si­cher war, zog er es doch vor, sich vor Über­raschungen abzusichern. Aus einem der be­nachbarten Lagerräume beschaffte Ra einen starken Strick, den er sich um die Hüften schlang und sorgfältig verknotete. Dann nahm er zwei Schritte Anlauf und sprang.

Sein Fuß berührte auf der anderen Seite des Loches den Boden. Ra streckte die Arme aus und versuchte, seinen Schwung mit den Armen abzufangen. Gelang dies nicht, dann mußten ihn seine beiden Helfer an dem Seil wieder in die Höhe ziehen.

Eine solche Rettung war nicht nötig, denn die scheinbar massive Wand aus Stein be­wegte sich ohne jeden Widerstand zurück und versank nach einigen Metern im Boden. Ra winkte seinen Helfern zu, und wenig spä­

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ter standen alle drei Männer auf der anderen Seite der Todesfalle.

»Weiter!« kommandierte Ra. »Ich bin si­cher, daß wir die Burschen bald erwischt ha­ben werden!«

*

In einer steilen Parabel stieg das Wasser in die Höhe und fiel wieder in die Tiefe hin­ab. Von Hunderten starker Scheinwerfer an­gestrahlt, glitzerte der weiße Schaum der Gischt an der Spitze der Parabel. Kein Gast versäumte es, unter dem Bogen hindurchzu­fliegen. Selbstverständlich war dafür ge­sorgt, daß man unter dem Bogen hindurch­gehen oder – fliegen konnte, ohne einen Tropfen abzubekommen.

Die Parabel aus Wasser war das Wahrzei­chen der Zoltrals. Die Konstruktion bestach durch Einfachheit der Technik und die Bril­lanz der Idee.

Zu dem Bogen aus Wasser gehörte der weitläufige Park, das imposante Trichter­haus der Familie selbst, dazu die nicht weni­ger eindrucksvollen Gebäude, in denen hohe Gäste untergebracht werden konnten. Man­cher Arkonide beneidete sogar das Dienst­personal der Sippe um seine Unterkünfte.

Arkon I, die Kristallwelt, hatte mehrere Milliarden Einwohner. Entsprechend rar wa­ren die Eintrittskarten für das Sippenfest, entsprechend hohes Ansehen genossen die Personen, die eine solche Einladung beka­men. Ein Arkonide, der nicht mehr eingela­den wurde, war gesellschaftlich tot.

Bei ihrer Anreise von Arkon II hatten Etir Baj und Alpertur keine Schwierigkeiten ge­habt. Man hatte sie in einer Privatjacht abge­holt, und bei solchen Fahrzeugen fiel die Dokumentenkontrolle sehr glimpflich aus.

Alpertur betrachtete beim Anflug immer wieder die Karte, die ihn und Etir Baj zu der Feier einlud. Alpertur, der als Händler einen exzellenten Ruf zu verteidigen hatte, konnte sich nicht erinnern, daß jemals in der Ge­schichte des Imperiums eine solche Menge Carathay – Leder auf dem Markt gewesen

war. Das Leder dieses überaus seltenen Tie­res verschaffte dem, der es auf der Haut trug, ein leichtes Gefühl der Euphorie, ein sanftes Wohlbefinden. Es machte nicht süchtig, aber leider verlor das Leder nach zwei Jahren seine wohltuende Eigenschaft. Es entsprach dem Selbstwertgefühl der Zol­trals, daß sie ihre Einladungen auf Carathay-Le­der gedruckt hatten. Es verstand sich von selbst, daß die Gäste diese Kostbarkeiten be­halten durften. Allerdings würden sie Schwierigkeiten haben, die wertvollen Stücke zu veräußern, denn der Text der Ein­ladungen war mittels eines unerhört aufwen­digen Materiewandlungsverfahrens aus dem Leder herauskristallisiert worden. Man muß­te dazu nur den im Leder enthaltenen Koh­lenstoff bewegen, in bestimmter Form an der Oberfläche des Leders zu kristallisieren, selbstverständlich in Form lupenreiner Dia­mantsplitter.

»Das ist Arkon«, sagte Alpertur leise und machte eine weitausholende Handbewe­gung, mit der er den Park und die Parabel einschloß. »Die gesamten Einladungen sind zehnmal so wertvoll wie der gesamte Inhalt meiner Lager – und trotzdem werden die Zoltrals den Verlust kaum spüren. Ich frage mich nur, wie andere Familien diesen Schlag verdauen werden. Immerhin müssen sie, wenn sie ihren gesellschaftlichen Rang behaupten wollen, in ähnlich eindrucksvol­ler Art ihr Sippenfest feiern!«

Bei Etir Baj schwieg verbittert. Vor Zeiten hatte auch sein Volk hier ge­

lebt, waren die Con-Treh Arkoniden gewe­sen, nicht heimatlose Flüchtlinge, die ein Leben in steter Angst führen mußten. Wäh­rend sich die Con-Treh furchtsam in den Höhlen von Magintor verborgen hielten, verschenkten einflußreiche Familien den Wert halber Planeten an eine Unzahl von Gästen, von denen sie den weitaus größten Teil vermutlich nicht einmal kannten. In­brünstig hoffte Etir Baj, daß sich diese arko­nidische Großmannsucht eines fernen Tages rächen würde.

Ein hochgewachsener Zaliter nahm die

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beiden Gäste in Empfang und parkte den Gleiter, mit dem Etir Baj und Alpertur abge­holt worden waren.

Die beiden Männer waren, wie es sich ge­hörte, unter den ersten Gästen. Als erster zu kommen, galt als blamabel, eine Verspätung nur beim Hochadel als zulässig. Etir Baj wußte, daß dafür gesorgt worden war, daß er und Alpertur auf die Minute genau unpünkt­lich angekommen waren. Die Abweichung des Eintreffens vom offiziellen Beginn des Festes zeigte die soziale Ranghöhe an – wer sich mehr als schicklich verspätete, galt als ausgemachter Flegel.

»Eigentlich ganz vorteilhaft«, murmelte Alpertur; die beiden Männer schritten lang­sam durch den Park. Etir Baj fragte sich, wie es möglich war, daß der Park erleuchtet war, denn die Quellen des Lichtes konnte er nicht ausmachen. »Wir können alle ankommen­den Gäste beobachten. Jeder wird versu­chen, möglichst eindrucksvoll aufzutreten!«

Endlich fand Etir Baj die Lösung des Lichtproblems. Die Lampen wurden von kleinen Antigravplattformen in der Luft ge­halten und dann durch Def lektorf eider un­sichtbar gemacht. Nur ein Teil des Lichtes durchbrach den Schutz dieses Feldes und er­hellte die Landschaft. Ein unerhörter techni­scher und finanzieller Aufwand für einen Ef­fekt, der von den meisten Gästen wahr­scheinlich überhaupt nicht bemerkt werden würde.

Etir Baj schätzte, daß sich rund zehntau­send Personen auf dem Grundstück beweg­ten, größtenteils vermutlich Personal, denn wirklich wichtige Gäste würden erst im Ver­lauf der nächsten Stunden erscheinen. Ver­mutlich rangierten Etir Baj und Alpertur knapp über alten Bediensteten der Zoltrals, deren jahrzehntelange Ergebenheit zum Ab­schied mit einer Einladung honoriert wurde.

Etir Baj lächelte, so wie er es in dem Asteroiden Krassig gelernt hatte. Dieses Lä­cheln war eine perfekte Maske.

Mit solchen Gedanken beschäftigt, wan­derte Etir Baj neben dem geschwätzigen Za­liter durch den Park. Die zahlreichen Kunst-

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werke, die im Park aufgestellt worden wa­ren, nahm der Con-Treh nicht wahr. Es hätte seinen Abscheu nur noch verstärkt, hätte er gewußt, daß das Honorar des Künstlers, der die berühmte blaurote Sphäre geschaffen hatte – in einem diffusen blauen Nebel ro­tierte eine freischwebende rote Kugel – er­heblich höher gewesen war als der Jahresetat Magintors.

Der Weg der beiden Männer führte am Stamm des Trichterhauses vorbei, in dem die Spitze der Familie wohnte. Interessiert betrachtete Alpertur das Relief, das die ge­samte Außenfläche des Hauses bedeckte. Der berühmte Altorg Hanar hatte es vor ei­nigen Jahrhunderten geschaffen. Der Wert dieser Arbeit ließ sich in Zahlen kaum noch ausdrücken. Alpertur fragte sich, was mit dem Haus geschehen würde, wenn es alt und baufällig wurde.

Die beiden Männer versuchten nicht, in das Innere des Hauses zu gelangen. Man hätte sie vermutlich sanft, aber nachdrück­lich daran gehindert, denn dieser Bereich war nur auserlesenen Gästen zugänglich.

Widerstandslos ließ sich Etir Baj mitzer­ren, als Alpertur in einem Winkel des Gar­tens die aufgestapelten Lebensmittel und Getränke gesichtet hatte und zielstrebig dar­auf lossteuerte. Die Auswahl an Delikates­sen aus allen Winkeln der Galaxis verschlug selbst dem genußsüchtigen Alpertur die Sprache.

Eines konnte jeder Gast bereits nach kür­zester Zeit feststellen, die Zoltrals hatten al­les getan, um dieses Fest in jeder Beziehung zum Superlativ zu machen, ohne dies jedoch in der protzigen Weise zu tun, die bei ande­ren Familien so unangenehm auffiel. Aller­dings wußte Alpertur, daß diese Familie ei­nige Jahrhunderte Erfahrung im Ausrichten glanzvoller Feste aufzuweisen hatte.

»Etir Baj!« rief Alpertur aus und deutete auf den Torbogen. »Sieh!«

Etir Baj folgte der Handbewegung mit den Augen. Ein kleiner Gleiter jagte mit höchster Geschwindigkeit durch den Bogen, schoß dann steil in die Höhe und raste auf

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das große Trichterhaus zu. Wie von einer unsichtbaren Faust festgehalten, stoppte das Fahrzeug plötzlich. Feuerschweife zogen über den nächtlichen Himmel, als der Glei­ter mindestens vierzig Raketen verschoß, die rasch nacheinander detonierten. Etir Baj hör­te das Raunen der Menge, als sich die sprü­henden Feuerbälle zu einem Bild vereinig­ten. Deutlich zu sehen war das Abbild einer modernen Raumjacht, die langsam über den Himmel zog. Plötzlich schlugen große Flam­men aus den Luken der Jacht, Explosionen waren zu sehen, und die Spitze des Raum­fahrzeugs neigte sich langsam dem Boden zu.

Dann erkannten die völlig verblüfften Zu­schauer, wie sich eine Luke öffnete und sich zwei Gestalten vom Raumschiff lösten. Während immer heftigere Explosionen die Jacht in Stücke rissen, schwebten die beiden Passagiere langsam und ungefährdet auf die Öffnung des Trichterhauses zu.

Niemand konnte sich erklären, wie die beiden Arkoniden plötzlich in die Raum­schiffsprojektion geraten sein konnten. So perfekt war das Schauspiel der Feuerwerks­körper gewesen, daß viele Zuschauer allen Ernstes an ein havariertes Schiff geglaubt hatten.

»Die Passagiere müssen sehr enge Freun­de der Zoltrals sein!« stellte Alpertur fest. »Hast du das Emblem an der Spitze der Jacht gesehen? Danach wurde das Schiff in einer Werft gebaut, die den Zoltrals gehört. Ein lustiger Einfall!«

»Fürwahr!« murmelte Etir Baj erbittert. »Sehr lustig!«

*

Orbanaschol war so gekommen, wie es seinem Geschmack entsprach, in der Beglei­tung einer kompletten Raumlandedivision, die sich, so hieß es, anschließend wieder in ihre Kasernen begeben würde. Manche hat­ten starke Zweifel an der Wahrhaftigkeit dieser Angabe. Es sah Orbanaschol III. au­ßerordentlich unähnlich, sich ohne starken

Begleitschutz in der Öffentlichkeit zu zei­gen. Der Imperator wirkte aufgeräumt, jovi­al, geradezu menschenfreundlich.

»Sehr geschmackvoll!« lobte er die Ar­rangements. »Überaus geschmackvoll. Wer auch immer dieses Fest gestaltet hat, er ver­diente es, in meine Dienste zu treten.«

»Wer wäre wirklich dieser Auszeichnung würdig?« fragte der Gastgeber höflich, den Doppelsinn der Worte geschickt verbergend. »Indes soll es mich freuen, wenn es Euch freut. Ich habe mir erlaubt, für Euer Kurz­weil besondere Sorge zu tragen! Ihr werdet überrascht sein, Eure Erhabenheit!«

Der Gastgeber zog sich mit einer Verbeu­gung zurück und überließ das zweifelhafte Vergnügen einer Unterhaltung mit dem Im­perator seinen Gästen.

Im Freien tobte das Publikum vor Lachen. Regir da Quertamagin war erschienen,

und er war so aufgetaucht, wie es seinem Ruf als dem Mann mit der schärfsten Zunge am Hof entsprach. Mit kunstvollen Projek­tionen hatte er neben dem berühmten Wahr­zeichen der gastgebenden Familie einen zweiten Bogen in der gleichen Größe er­scheinen lassen und so das Firmenemblem eines Unternehmens kopiert, das seit Jahren Arkon mit einer fürchterlichen, aber nicht einmal billigen Fertigkost überflutete.

»Ihr seid überaus sarkastisch, lieber Freund!« meinte der Gastgeber und schüttel­te Quertamagin die Hand. »Ich versichere dir, daß meine Küche besser ist als deine Anspielung vermuten läßt!«

Quertamagin lachte unterdrückt. »Ich wußte, daß du den Scherz verstehen

würdest«, sagte er freundlich. »Ist er bereits hier?«

Wer mit diesem »er« gemeint war. wuß­ten alle Gäste des Festes. Für jeden Arkoni­den, der sich noch etwas Selbstachtung be­wahrt hatte, war es eine Tortur, den Impera­tor bei sich zu haben. Die Clique von Schmeichlern und Speichelleckern, die den Imperator umgab, sorgte dafür, daß auch an­dere Personen vor Orbanaschol katzbuckel­ten und krochen. Immer wieder mußten sich

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die Besucher bei Orbanaschol erniedrigen. »Er ist«, bestätigte der Gastgeber.

»Freundlich und gefährlich wie immer. Nimm dich in acht. Du weißt, daß er der Schärfe deines Witzes nicht gewachsen ist!«

»Ich werde schon mit ihm auskommen!« meinte Quertamagin lachend. »Ich fürchte Orbanaschol nicht!«

Er trennte sich von dem Gastgeber und durchstreifte auf eigene Faust das Gelände. Er konnte sicher sein, ausschließlich be­kannte Gesichter zu sehen; in diesen Bereich des Hauses wurden nur Verwandte und gute Freunde geladen. Wäre es nach dem Willen des Gastgebers gegangen, so hätte sich auch der Imperator auf dem Parkgelände wieder­gefunden, aber eine derartige Brüskierung hätte den Tod des Mannes zur Folge gehabt.

Regir da Quertamagin kannte Festlichkei­ten dieser Art zur Genüge. Er selbst hatte auch schon oft als Gastgeber fungiert. Nach einiger Zeit erschöpften sich die Möglich­keiten, ein Fest mit Höhepunkten zu verse­hen, und dann war man genötigt, auf Altbe­kanntes zurückzugreifen.

Quertamagin beschränkte sich darauf, die Gesichter zu studieren. Wer dieser vielen Menschen unterstützte Orbanaschol aus frei­em Willen, wer hätte ihm, falls es möglich gewesen wäre, die Gefolgschaft aufgekün­digt? Quertamagin wußte, daß er aus den Gesichtern allein keine Antwort auf diese Fragen ablesen konnte. Die Zukunft würde zeigen, wie viele Arkoniden es gab, die das Gewaltregime des Diktators unterstützten und davon profitierten.

Ein Mann näherte sich Regir. Er tippte ihm sacht auf die Schulter.

»Mogbar Klote!« wunderte sich Querta­magin. »Was treibst dich her? Ist etwas Wichtiges geschehen?«

»Wir haben den Barbaren auf Arkon II aufgetrieben!« berichtete der Gefragte; er wTar noch relativ jung und ein wenig über­gewichtig. »Er ist irgendwie mit einer Ver­brecherbande zusammengestoßen, die zur Zeit von der Polizei ausgehoben wird!«

»Woher weißt du das?« erkundigte sich

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Quertamagin. »Sind die Nachrichten si­cher?«

Mogbar Klote nickte hastig. »Wir hatten selbst einen Mann in die Rei­

hen der Gangster eingeschleust«, erzählte er rasch. »Unserem Mann ist gerade noch die Flucht geglückt, bevor die Polizei das Ver­brechernest stürmte. Unser Mann ist absolut sicher, daß er in den unterirdischen Stütz­punkten eine Person gesehen hat, auf die die Beschreibung des Barbaren bis aufs Haar paßt!«

»Ausgezeichnet!« lobte Quertamagin. »Versuche, den Barbaren im Auge zu behal­ten. Wir müssen diesen Mann zu fassen be­kommen!«

»Wir werden unser Möglichstes tun«, ver­sprach Klote sofort, dann verschwand er wieder in der Menge.

»Ein Diener von Euch?« erkundigte sich eine junge Frau beiläufig. »Ihr beschäftigt organisches Personal?«

»Ich bin ein wenig altmodisch«, versetzte Quertamagin freundlich. »Ich liebe es, Men­schen um mich zu haben!«

»Aber die Ansteckungsgefahr!« wider­sprach die Frau. »Denkt an die vielen Bakte­rien und Viren, die von lebenden Wesen mitgeschleppt werden. Ich ziehe Maschinen vor; man kann sie oft genug unter eine Strahlendusche stellen, um sie absolut keim­frei zu halten!«

Erst jetzt fiel Quertamagin auf, daß der Körper der Frau nicht völlig klar zu erken­nen war. Die Konturen verschwammen leicht gegen den Hintergrund. Vermutlich schützte sich die übervorsichtige Frau mit einem hautengen Schirmfeld vor den Bazil­len, die sie so sehr fürchtete.

»Menschen sind weitaus reizvoller als Maschinen«, warf Quertamagin ein.

Eigentlich hatte er gar keine Lust, sich mit irgend jemand zu unterhalten, denn bei sol­chen Festen nahmen die Gespräche ohnehin nach kurzer Zeit stets den gleichen Gang. Da es aber aus Höflichkeitsgründen unerläßlich war, am allgemeinen Geplauder teilzuneh­men, konnte es Regir gleichgültig sein, mit

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wem er seine Zeit vertat. »Das mag sein«, räumte der weibliche

Hypochonder ein. »Ich habe gehört, unser verehrter Gastgeber habe es geschafft, die legendäre Methayda für ein Auftreten zu ge­winnen. Kennt Ihr die Frau?«

»Nur flüchtig«, murmelte Quertamagin, der spürte, wie sich seine Nackenhaare auf­stellten. »Sie soll hervorragend begabt sein!«

»Man munkelt …«, begann seine Ge­sprächspartnerin, aber Quertamagin hörte ihr nicht zu. Seine Gedanken waren weit vom Geschehen rund um das Fest entfernt.

Er dachte an Methayda, deren Geheimnis in höchster Gefahr schwebte, und dies alles nur eines kleinen dunkelhäutigen Barbaren wegen.

6.

Ra schwitzte. Er befand sich einige hun­dert Meter unter der Oberfläche von Arkon II, und hier machte sich die Tatsache schon bemerkbar, daß im Innern des Planeten ein Kern aus Schwermetallen glühte. Zudem war Ra in der letzten Stunde kaum zur Ruhe gekommen.

»Wollen wir nicht umkehren?« keuchte der Polizist an seiner Seite.

Der zweite Beamte hatte kapituliert; er hockte jetzt irgendwo in dem Labyrinth von Gängen und versuchte seinen Schock zu überwinden. Nach der dritten mörderischen Falle war der Mann zusammengebrochen, er war nicht zu bewegen gewesen, noch einen Schritt zu tun, weder vorwärts noch rück­wärts. Ra wußte, daß ein Verharren dem Mann nichts half, früher oder später mußte er den Weg zurückgehen, den er gekommen war. Da er ihn nur belastet hätte, hatte Ra den Mann zurückgelassen, in der Hoffnung, daß er wieder zu sich finden würde.

»Jetzt, so dicht vor dem Ziel?« fragte Ra zurück.

Er spürte, daß er Glahrn und dem Mäd­chen dicht auf den Fersen war. Und Ra war entschlossen, den Mann gefangenzunehmen.

Ra wußte, daß eine solche Organisation nur aufzubauen war, wenn Glahrn höchst ein­flußreiche Freunde hatte, Freunde, die über Beziehungen und Informationen verfügen mußten. An diese Freunde wollte Ra heran­kommen. Auf seinem Weg durch die unter­irdische Festung der Gangster hatte Ra ge­nügend Beweismaterial gesehen, um die Be­deutung dieses Syndikats einschätzen zu können. Hier waren keine einfachen Profis am Werk gewesen; die Verbindungen der Gangster mußten bis hinauf in die Nähe des Imperators reichen, dessen war sich Ra si­cher.

Inzwischen hatte Ra genügend Erfahrun­gen im Umgang mit den Fallen des Laby­rinths gesammelt. Er brauchte nur noch we­nig Zeit, um die Hinterhalte zu erkennen und auszuschalten.

Sein unfreiwilliger Begleiter schwitzte derweilen Blut und Wasser. Es war dem Mann anzusehen, daß er es vorgezogen hät­te, sich schnellstens abzusetzen, aber das hätte Fahnenflucht bedeutet und damit den sicheren Tod für den Mann. Deshalb ging der Beamte, der Not gehorchend, hinter Ra her und schickte immer wieder Stoßgebete zum Himmel. Mit leichtem Grinsen hatte Ra festgestellt, daß der Mann sehr vorsichtig war – um ganz sicher zu gehen, hatte er so ziemlich alle Götter, Götzen und Dämonen um Hilfe angefleht, die im Imperium ange­betet wurden.

Ra bog um eine Ecke des Ganges und ver­harrte. Mit einer Handbewegung bedeutete er dem Polizisten, sich hinter ihm zu halten.

»Wir haben es geschafft!« murmelte Ra zufrieden. »Hier gibt es keine Fallen mehr!«

»Die Sternengötter mögen geben, daß Ihr Euch nicht irrt!« stammelte der Beamte.

Ra hatte inzwischen festgestellt, daß der Mann normalerweise bei der Verkehrsüber­wachung tätig war. Aufgaben wie diese gin­gen weit über seine Kräfte, dennoch hatte er sich erstaunlich gut gehalten. Ra hätte ihn, wäre er dazu berechtigt gewesen, befördert.

»Jetzt müssen wir nicht mehr nach Fallen Ausschau halten, sondern nach Menschen!«

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flüsterte Ra. Er hatte einen ungefähren Plan der unter­

irdischen Anlage im Kopf. Es entsprach lo­gischem Empfinden, daß das Kernstück der Anlage sich auch in ihrem Mittelpunkt be­fand, und nach Ras Schätzungen war er der geographischen Mitte der unterirdischen An­lage bis auf wenige hundert Meter nahege­kommen. Es wäre ausgesprochen leichtsin­nig und zudem überflüssig gewesen, auch diesen Teil des Verstecks mit Fallen zu spicken. Allerdings fragte sich Ra, was sich die führenden Köpfe der Bande hatten ein­fallen lassen, um ihren Bedrängern entkom­men zu können. Die Polizei hielt den Be­reich der Unterwelt, den die Gangster in ih­ren Besitz gebracht hatten, fest umschlossen, an ein Durchbrechen war nicht zu denken.

Es sei denn, es gab noch kleinere Verbin­dungen zwischen einzelnen Räumen und Abteilungen. Ra schätzte die Kugel, die von den Gangstern beherrscht wurde, auf einen Durchmesser von mindestens zweihundert Metern. Es mußte der Polizei schwerfallen, sämtliche Löcher, die es an der Oberfläche dieser imaginären Kugel gab, zu verstopfen. Wahrscheinlich gab es im ganzen Imperium niemanden, der einen genauen, umfassenden Plan von diesen Örtlichkeiten hatte. Seit Jahrhunderten wurde die Oberfläche des Planeten immer wieder baulich verändert, wurden ganze Städte abgerissen und neu und angeblich schöner wieder aufgebaut. Nur an dieser Unterwelt war wenig getan worden, sie war nicht geplant, vielmehr im Laufe vieler Jahre und unzähliger Änderungen und Umbauten wild gewachsen. Sich hier wirk­lich auszukennen, war fast ausgeschlossen.

Langsam bewegte sich Ra vorwärts, hin­ter ihm schlich, bleich aber tapfer, der Poli­zist, der seinem Schicksal dankbar war, daß es ihm einen Vorgesetzten beschert hatte, der seinen Leuten voranging und sich nicht hinter ihnen versteckte.

»Leise«, flüsterte Ra. Vor den beiden Männern wurde es all­

mählich lauter. Eine Maschine lief mit höch­ster Kraft und produzierte dabei einen unge-

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wöhnlichen Lärm. Ein schrilles Kreischen erfüllte die Luft, gemischt mit Wimmern und Prasseln. Vergeblich versuchte sich Ra eine Maschine vorzustellen, die diese Ge­räusche hervorrufen konnte.

Ra gab dem Polizisten ein Zeichen und blieb stehen. Er erinnerte sich, daß ziemlich genau über diesem Bezirk der Unterwelt ein großer Platz liegen mußte, der um diese Ta­geszeit wahrscheinlich von Tausenden von Menschen gefüllt war. Zwischen dem Platz und dem Versteck der Verbrecher gab es nur wenig Hohlräume, denn der Platz existierte schon lange. Nie war auf ihm gebaut wor­den, und unter ihm weg liefen nur wenige Leitungen und Rohre.

Das bedeutete, daß es über den Köpfen der Männer eine feste Steindecke von be­trächtlicher Dicke gab, mehrere hundert Me­ter massiven Felsgesteins. Es war ausge­schlossen, daß es dort ein Durchkommen gab.

Ra begann leicht zu grinsen. »Natürlich«, murmelte er amüsiert. »Nur

hier, und nirgendwoanders!« Wenn die Polizei Pläne dieser Unterwelt

hatte, dann war dort gewiß auch die Fels­schicht aufgezeichnet. Jedem mußte sofort klar sein, daß es dort keine Fluchtmöglich­keit gab. Genau das aber hatten sich die Gangster auch ausgerechnet. Sie waren raffi­niert genug gewesen, sich genau dort einen Fluchtweg zu schaffen, wo man ihm am we­nigsten vermuten würde.

Ra machte eine Bewegung mit dem Kopf und schob sich weiter vorwärts, der Quelle des Geräusches entgegen. Der Gang endete in einem Antigravschacht, der senkrecht in die Höhe führte. An Arbeitsspuren war zu erkennen, daß dieser Schacht in Handarbeit aus dem Felsen gehauen worden war.

Ra stieß sich ab und ließ sich in die Höhe tragen. Seufzend folgte der Polizist seinem Beispiel. Beide Männer hatten frische Maga­zine in ihre Waffen geschoben.

Der Lärm wurde von Meter zu Meter lau­ter und war am oberen Ende des Schachts nahezu unerträglich. Das half den beiden

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Männern, sich der Quelle des Lärms unge­hört zu nähern, vergrößerte aber das Risiko, selbst entdeckt zu werden. Aber die Gang­ster hatten in diesem Teil ihres Fuchsbaus keine Wachen aufgestellt. Ra und der Poli­zist konnten ungehindert den Schacht verlas­sen.

Ra blickte noch einmal an der Wandung herunter. Nach seinem Gefühl hatte er eine beträchtliche Strecke in dem Schacht zu­rückgelegt. Die Gesteinsschicht, die ihn noch von der Oberfläche trennte, konnte si­cherlich nicht mehr sehr dick sein.

Es war gefährlich, sich in diesem Bereich zu bewegen. Die Kammern und Räume, Gänge und Korridore waren nur roh aus dem Felsen geschlagen worden, kaum abgestützt und gesichert. Allem Anschein nach war dieser Teil der Anlage noch nicht völlig aus­gebaut worden.

Ra bedeutete dem Polizisten zurückzu­bleiben.

Der Barbar hatte in einem Raum einen Mann gesehen, der intensiv mit einem Rech­ner beschäftigt war. Der Mann war so in sei­ne Arbeit vertieft, daß er Ra gar nicht wahr­nahm, als dieser im Schutz des allgemeinen Lärms lautlos in den Raum schlüpfte.

Ra wußte schnell, was die Arbeit des Mannes zu bedeuten hatte. In diesem Raum waren die Speicher der Positroniken unter­gebracht, mit denen die Gangster arbeiteten. Die Aufgabe des Mannes war es offenbar, die Inhalte der Speicher nach einer speziel­len Katastrophenprogrammierung abzuru­fen, auszuwählen und in transportable Spei­chereinheiten abzuleiten. Mit einem Hand­kantenschlag streckte Ra den Mann nieder, er brach geräuschlos zusammen.

Ra durchquerte zwei weitere Räume, dann hatte er die Lösung des Rätsels gefunden, die Quelle des infernalischen Lärms. Offen­bar hatte man den großen Gesteinsbohrer in Einzelteilen herausgeschafft, anders ließ sich das Vorhandensein der gewaltigen Ma­schine nicht erklären.

Ra kannte derartige Geräte. Sie wurden meist bei Tunnelbohrungen eingesetzt. In ei­

nem komplizierten Zusammenspiel von Thermostrahlern, Schirmfeldern, Traktor­projektoren und Kompressoren fraß sich ei­ne solche Maschine in kurzer Zeit durch vie-le Meter festesten Gesteins und hinterließ dabei eine kreisrunde Höhlung. Spitzengerä­te bewältigten einen Kilometer pro Tag bei einem Tunneldurchmesser von bis zu zwan­zig Metern.

Was die Gangster planten, war auf den er­sten Blick ersichtlich. Sie wollten die letzten Meter der Felsschicht durchbohren. Wenn sie auf dem großen Platz plötzlich auftauch­ten, würden sie die allgemeine Verwirrung ausnutzen, um sich abzusetzen und zu ver­schwinden. Dabei spekulierten die Verbre­cher mit der Mentalität der Arkoniden. Sie vertrauten darauf, daß die Passanten erst ein­mal abwarten würden, was für ein Ungeheu­er plötzlich aus dem Boden aufstieg, erst dann würden sie die Polizei alarmieren. Die­se Zeitspanne reichte für die Zwecke der Gangster vollauf aus.

Noch war der Bohrer nicht startbereit. Of­fenbar war die Maschine erst vor kurzer Zeit installiert worden. Ra konnte Glahrn sehen, der in dem Gestänge herurnturnte und erbit­tert fluchte. Das Mädchen Themar saß in der Führerkabine des Tunnelbohrers. Sie ent­deckte Ra sofort und stieß einen lauten Schrei aus, der aber in dem Getöse unter­ging. Themar versuchte, ihren Partner mit Handzeichen auf die Gefahr aufmerksam zu machen, aber Glahrn war zu sehr mit der Maschine beschäftigt.

Ra winkte Themar zu, forderte sie mit Zeichen auf, sich zu ergeben und die Ma­schine zu verlassen. Themar zog einen Strahler und feuerte auf Ra.

Gerade noch rechtzeitig konnte sich Ra zur Seite werfen.

»Bestie!« zischte Ra und suchte schleu­nigst eine neue Deckung, als das Mädchen sein Versteck systematisch unter Feuer nahm. Sie mochte Sympathie für Ra emp­funden haben, aber in diesem Augenblick war ihr die eigene Haut entschieden wichti­ger.

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Aus den Augenwinkeln heraus sah Ra, wie sein Begleiter langsam näherkam. Er hielt sich dabei sorgfältig außerhalb des Be­reichs auf, den Themar und Glahrn mit ihren Waffen bestreichen konnte. Entsetzt sah Ra, daß der Mann am Gürtel nestelte.

»Stop!« brüllte der Barbar, aber er wurde nicht gehört.

Der Beamte hatte begriffen, daß er die Köpfe der Bande gefunden hatte, und der Mann hatte keine Lust, sich diesen Fang wieder entgehen zu lassen. Ohne sich um den lebhaft protestierenden Ra zu kümmern, entsicherte er eine Thermitbombe und warf das Geschoß zu der Tunnelfräse hinüber.

Ra zögerte nicht länger. Er sprang so schnell wie möglich auf und

rannte den Weg zurück, den er gekommen war. In seinem Nacken lauerte der Tod. Wenn die Schirmfelder der Tunnelfräse der Bombe nicht standhielten, würde die Explo­sion auch den schweren Reaktor der Fräse zünden. Was dann geschehen würde, wagte sich Ra nicht auszumalen.

Ra rannte, bis seine Lungen zu schmerzen begannen. Obwohl schwarzrote Schleier vor seinen Augen wallten, zwang er sich weiter vorwärts. Als ihn die letzten Ausläufer der Explosion erreichten, war Ra bereits so er­schöpft, daß er sich gegen den Luftstoß nicht mehr zur Wehr setzen konnte. Die Druck­welle stieß ihn vorwärts, die Knie gaben nach, und mit einem dumpfen Laut prallte Ra auf den Boden. Er verlor schlagartig das Bewußtsein.

Regir da Quertamagin langweilte sich maßlos. Er hatte ein vorzügliches Gedächt­nis, auch ohne den Logiksektor seines Extra­hirns in Anspruch zu nehmen, und dieses Gedächtnis machte ihm immer wieder klar, daß er mehr als die Hälfte der gesprochenen Dialoge bereits kannte.

Man mußte nur die Namen der/des Ge­liebten, die Farbe des Anzuges/ Kleides aus­tauschen, dann bekam man für jeden Ge­sprächspartner eine neue Möglichkeit der Unterhaltung.

Quertamagin starrte über die Brüstung des

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Trichterhauses hinunter in den Park. Dort hatten sich ein paar jüngere Leute zusam­mengetan und das Fest in ihrem Sinne um­gestaltet. Regir konnte das freie Lachen der jungen Leute herauf schallen hören.

»Beneidenswert!« murmelte Quertamagin seufzend.

»Beeilt Euch!« mahnte ein Gast seinen Nachbarn. »In wenigen Minuten soll die be­rühmte Methayda ihren Auftritt haben!«

Quertamagin atmete tief ein, dann folgte er dem Strom der Gäste. Ziel der kleinen Völkerwanderung war der Boden des Trich­ters, wo eine kleine Arena improvisiert wor­den war. Seit Stunden führten auf der Fläche Gaukler aus allen Teilen des Imperiums ihre Kunststücke vor. Illusionisten waren aufge­treten, Feuerfresser und sogar ein sehr exo­tisch gekleideter Arkonide, der – angeblich – eine Patrone Sprengstoff geschluckt und als Feuerwerk wieder ausgespien hatte. Das verwöhnte Publikum hatte sich kaum darum gekümmert.

Eine Frau stieß Regir mit dem Ellenbogen an.

»Das ist sie!« flüsterte die Frau. »Ich weiß«, murmelte Quertamagin dü­

ster. Methayda war sehr schlicht gekleidet, ein

krasser Gegensatz zu den prunktvollen Ro­ben der anderen Gäste. In ihrer Begleitung war der ebenfalls berühmte Magier und Illu­sionist Telfonkh erschienen, zusammen mit einer Schar Hilfspersonal.

Telfonkh trat als erster auf, und er schaff­te es tatsächlich, seine Zuschauer zu fesseln. Niemand, Regir ausgenommen, wußte, daß die verblüffenden Tricks eigentlich recht einfach waren – man hatte sie nur im Laufe vieler Jahrhunderte vergessen. Vor allem verblüffte der Mann sein Auditorium durch die Tatsache, daß er ohne jedes technische Gerät arbeitete.

Nur einmal gab es in der Vorführung einen kleinen Zwischenfall.

Telfonkh verwandelte gerade einen Blu­menstrauß in eine Schar kleiner Vögel, als ihn einer seiner Assistenten unabsichtlich

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rempelte. Der Trick mißlang kläglich. Eine Handvoll Fische lag luftschnappend am Bo­den, die restlichen Blüten flatterten aus eige­ner Kraft davon.

»Tölpel!« rief der Magier aus und gab dem Assistenten eine Ohrfeige.

Der Mann war wesentlich jünger als der Magier, und er war nicht gewillt, sich so be­handeln zu lassen. Er holte aus und versetzte Telfonkh einen wuchtigen Faustschlag an den Kopf. Der Magier brach wie vom Blitz getroffen zusammen, begleitet von einem entsetzten Aufschrei der Zuschauer.

Zwei Männer liefen sofort auf die Bühne und kümmerten sich um den zusammenge­brochenen Alten. Schon nach kurzer Zeit er­hoben sie sich wieder.

»Kein Puls, keine Atemtätigkeit«, stellte einer der Männer fest. »Der Mann ist tot!«

Lähmendes Entsetzen machte sich breit, die Zuschauer betrachteten einander ängst­lich und verwirrt. Nur Quertamagin lehnte gleichmütig an einer Säule.

Der junge Mann, der den Magier getötet hatte, wurde sofort von zwei zivilen Ge­heimpolizisten des Imperators festgenom­men. Von seinem Standort konnte Regir nicht sehen, was Orbanaschol zu dem jun­gen Mann sagte, aber er sah, wie eine der Wachen eine Waffe zückte und den jungen Mann erschoß.

Eine gespenstische Stille entstand. Ge­heimpolizisten packten den Leichnam des jungen Mannes und schleppten ihn, für alle sichtbar, zum Rand des Trichterhauses.

Ein Aufschrei ging durch die Menge, als sich die Zuschauer wieder umwandten. Der alte Magier, dessen vermeintlicher Mörder gerade vom Rand des Trichterhauses herab­geworfen worden war, bewegte sich wieder. Telf onkh stöhnte und ächzte.

»Ich brauche meine Medizin!« jammerte er lautstark. »Sie steckt in der hölzernen Ki­ste dort!«

Er deutete auf den Behälter, der schon seit dem Beginn der Vorstellung auf der Bühne stand und einigen seiner Helfer als Sitzgele­genheit diente.

Die Assistenten öffneten die große Kiste. Quertamagin konzentrierte seine Auf­

merksamkeit auf Orbanaschol, der offenbar nicht begriff, was sich vor seinen Augen ab­spielte. Er wurde weiß, als der erschossene Assistent aus der Kiste stieg und dem alten Magier seine Medizin übergab.

Orbanaschols Blick wanderte unsicher über das begeistert applaudierende Publi­kum. Man konnte ihm ansehen, wie sehr er erschrocken war. Der junge Mann war vor seinen Augen erschossen und dann vom Trichterrand herabgestürzt worden, wie kam er jetzt in die Kiste?

»Phantastisch, dieser Trick!« schwärmte ein junger Mann neben Quertamagin.

»Es ist kein Trick!« wurde er von Regir belehrt. »Es handelt sich um eineiige Zwil­linge. Deshalb führt er den Trick auch so selten vor!«

Der junge Mann wurde bleich, dann nahm er seinen Zwillingsbruder bei der Hand. In wenigen Augenblicken waren die beiden jungen Männer verschwunden.

In diesem Augenblick bedauerte Querta­magin seinen boshaften Scherz, aber er hatte sich abreagieren müssen. Der Mann zeigte äußerlich keinerlei Anzeichen einer Gemüts­bewegung, aber in seinem Innern tobte die Angst. Nur sehr genaue Beobachter hätten feststellen können, daß sich trotz der nächtli­chen Kühle feine Schweißtropfen auf seiner Stirn gebildet hatten.

Methaydas Auftritt verlief weniger ge­räuschvoll, aber nicht minder eindrucksvoll. Die Antworten, die sie gab, verrieten, daß sie sich hervorragend auskannte. Sie spielte auf Dinge an, die niemand außer den Betref­fenden wissen konnte, nannte Namen und Daten, die als streng geheim galten. Ein ho­her Offizier wurde ohnmächtig, als die alte Frau ihm mitteilte, daß er in wenigen Tagen entlassen werden würde.

Die Angaben der Frau waren selbstver­ständlich korrekt, sie machte keinen Fehler. Sie las aus der Hand, erforschte die Vergan­genheit und erklärte die Zukunft.

Während die Zuschauer leise die verblüf­

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fenden Fähigkeiten diskutierten, betrachtete der Imperator aufmerksam die alte Frau. Quertamagin konnte förmlich sehen, wie sich seine Erregung steigerte. Die alte Frau war zweifellos ein Phänomen.

Wenn sie keine Hellseherin oder Prophe­tin war, dann mußte sie über unglaublich gu­te Nachrichtenverbindungen verfügen. Sie kannte jede Kleinigkeit des Hofklatsches, und nur Orbanaschol wußte, daß er selbst vor wenigen Stunden die Entlassung des ho­hen Offiziers veranlaßt hatte.

Orbanaschol stand langsam auf und ging zu der Gruppe hinüber, die sich um die Frau gebildet hatte. Es ärgerte ihn, als man ihn nur zögernd durchließ.

»Sagt auch mir, was mir die Zukunft brin­gen wird!« forderte Orbanaschol die alte Frau auf.

Er streckte ihr die rechte Hand entgegen. Langsam faßte die Frau zu, sah Orbanaschol aufmerksam an. In ihrem Gesicht zuckte kein Muskel. Dann beugte sie sich über die Fläche, studierte die Linien der Hand.

»Ich sehe Freunde, Imperator!« sagte sie laut genug, um viele das Gespräch mithören lassen zu können. »Ihr habt einige Freunde, die Euch nie verlassen werden. Wenn Ihr von ihnen getrennt werden solltet, dann nur für kurze Zeit.«

»Wie lange werde ich regieren?« wollte Orbanaschol wissen.

»Nachkommen werden Eure Regierungs­zeit als sehr lang bezeichnen!« antwortete die Frau. »Man wird noch sehr lange nach Eurem Tod von Euch sprechen, sich Eurer erinnern!«

Quertamagin glaubte seinen Herzschlag aussetzen zu fühlen. Was die Frau wagte, konnte gradlinig zum Tod führen. Die Men­schen in ihrer Nähe standen wie erstarrt.

»Werde ich bald sterben?« fragte Orbana­schol erregt.

»Nein«, sagte Methayda. »Es wird noch lange auf sich warten lassen!«

Orbanaschol zog seine Hand zurück und lächelte zufrieden.

»Wer seid Ihr wirklich, woher kenne ich

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Euch?« wollte er wissen. Er bekam keine Antwort, weil sich sofort

einige Personen näher an die Frau heran­schoben und sie ebenfalls mit Fragen be­drängten. Orbanaschol machte ein verärger­tes Gesicht, dann begab er sich wieder zu dem Ehrensessel, der ihm eingeräumt wor­den war.

Quertamagin schloß die Augen und holte tief Luft. Erleichtert lehnte er sich an eine Säule aus kühlem Marmor. Eine Gestalt nä­herte sich ihm langsam.

»Herr!« sprach der Mann ihn an. »Wichtige Nachricht!«

»Sprich«, forderte Quertamagin den Mann auf. »Was gibt es, Mogbar!«

»Wir wissen inzwischen, wo der Barbar steckt«, berichtete Mogbar Klote.

»Endlich«, sagte Quertamagin erleichtert. »Und wo befindet er sich jetzt?«

»Bei der Polizei!« berichtete Klote nie­dergeschlagen. »Er ist verhaftet!«

7.

»Dräng dich nicht vor! Du wirst nur auf­fallen!«

Etir Baj versuchte vergeblich, den Zaliter am Arm festzuhalten. Alpertur riß sich los und verschwand im Gedränge. Etir Baj fluchte leise in sich hinein.

Die beiden Männer hatten den Auftritt der berühmten Wahrsagerin nur über Bildpro­jektionen miterleben können, aber Alpertur war schon nach wenigen Sekunden fest da­von überzeugt gewesen, daß nur ein Ge­spräch mit Methayda seinem Leben noch einen Sinn geben könnte. Jetzt war Alpertur verschwunden, wahrscheinlich würde er sich mit Ellenbogen und seiner flinken Zunge einen Weg ins Innere des Hauses bahnen.

Bei Etir Baj wanderte länger als zwei Stunden durch den Park. Das Fest näherte sich langsam dem Ende – zumindest für die Ehrengäste. Orbanaschol war bereits ver­schwunden, und die großen Namen machten sich ebenfalls allmählich rar. Dafür feierte das übrige Publikum um so intensiver wei­

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ter. Besonders turbulent ging es in einem Winkel des Parks zu, wo die Absolventen des Zoltrals-Stipendiums an der galaktonau­tischen Akademie ein eigenes Fest aufgezo­gen hatten.

Als Etir Baj sich endlich von der munte­ren Gruppe löste, fühlte er sich prächtig, auch wenn er sich darüber klar war, daß er regelrecht versackt war. Die Uhr sagte ihm, daß er wenigstens vier Stunden länger ge­blieben war, als er ursprünglich beabsichtigt hatte. Von Alpertur fehlte jede Spur.

Am Ausgang des Parks waren die Posten abgezogen worden. Wer wollte, konnte jetzt mitfeiern, solange die Vorräte hielten. Etir Baj konnte sich ausrechnen, daß die Stipen­diaten feiern würden, bis der letzte Tropfen ausgetrunken war, und das konnte sich noch über Tage erstrecken.

»Ein munteres Völkchen!« murmelte Etir Baj grinsend. Er hatte einen kleinen Rausch und fühlte sich aufgeräumt und fröhlich. Diese Stimmung verflog sehr schnell, als Etir Baj den Gleiter auf sich zurasen sah. Das Fahrzeug verhielt knapp neben dem Con-Treh, vier Männer sprangen heraus und umringten Etir Baj.

»Kommen Sie bitte mit!« forderte einer der Männer Etir Baj auf. »Es handelt sich weder um eine Verhaftung noch um einen Überfall, aber wir haben feste Anweisun­gen!«

Etir Baj folgte der Aufforderung. Die Waffen in den Händen der vier Männer lie­ßen ihm keine andere Wahl, und es war ihm lieber, auf diese Weise abtransportiert zu werden, als nach einem Paralysatorschuß das gleiche Schicksal zu erleiden und an den Nachwirkungen des Schusses stundenlang zu leiden.

Man verband Etir Baj die Augen, dann setzte sich der Gleiter wieder in Bewegung.

Wenig später befand er sich auf dem Rückflug nach Arkon II. An Bord mußten sich, wenn sein Gehör noch funktionierte, mindestens noch vier weitere Personen auf­halten. Etir Baj konnte die Stimmen von drei Männern und einer Frau erkennen. Nervös

begann sich der Mann zu fragen, was man mit ihm zu tun gedachte. Was hatte der Zali­ter Alpertur der Frau erzählt, die sich Me­thayda nannte, und deren Stimme Etir Baj herausgehört hatte?

*

Als Ra wieder zu sich kam, lag er auf ei­nem flachen, harten Bett. Ächzend richtete sich der Barbar auf, und wenige Sekunden später war ihm klar, wo er sich befand.

Offenbar hatte die Polizei ihn besinnungs­los aufgelesen und mitgenommen. Jetzt war er vorläufig festgenommen. Ras Schädel schmerzte, und er verspürte auch Hunger, aber wichtiger für ihn war jetzt, seine Frei­heit wiederzubekommen. Wenn man ihn nicht sehr bald entließ, würde er arge Schwierigkeiten bekommen.

Ra griff in seine Taschen. Er war waffen­los, und seine Papiere waren ebenfalls ver­schwunden. Was das bedeutete, brauchte Ra sich nicht erst lange auszurechnen. Einer oberflächlichen Kontrolle würden die Doku­mente noch standhalten, aber wenn man sich ernsthaft mit ihnen beschäftigte, würde die Polizei nach kurzer Zeit wissen, daß die Pa­piere gefälscht waren. Und bei den Metho­den, die von der arkonidischen Polizei prak­tiziert wurden, würde es auch nicht lange dauern, bis man herausgefunden hatte, wer Ra wirklich war.

Ra fluchte leise, aber er konnte nichts un­ternehmen. Die Fenster waren mit Energie­gittern gesichert, Boden, Wände und Decke waren fest und solide.

Ra wartete nur kurze Zeit, dann wurde seine Zelle geöffnet. Ein finster drein­blickender Mann stand im Rahmen und starrte Ra an.

»Mitkommen!« befahl er knapp. »Beim geringsten Widerstand wird sofort scharf ge­schossen!«

Damit hatte Ra gerechnet. Man führte ihn in ein Verhörzimmer. In einer Ecke des dü­steren Raumes stand, sorgfältig ausgeleuch­tet, eine Psychohaube. Ra wußte: Wenn man

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ihn darauf anschnallte und das Gerät akti­vierte, würde von ihm nicht mehr übrigblei­ben als ein Haufen von Zellen, der kaum fä­hig war, die elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen. Im günstigsten Fall blieb er als lallender Idiot zurück.

Ra warf einen Blick auf die Maschine und leckte sich nervös die Lippen. Hinter einem Schreibtisch saß ein Mann und kommentier­te Ras Befangenheit mit einem Lächeln, dem nicht anzusehen war, wie es gemeint war.

»Wie kommst du zu der Polizeiuniform?« fragte der Mann Ra.

Ra zog es vor, keine Antwort zu geben. Was hätte er dem Mann auch erzählen sol­len? Wahrheit oder Lüge wären für ihn glei­chermaßen bedrohlich geworden.

»Wenn du nicht reden willst«, meinte der Beamte, den Abzeichen nach ein hoher Offi­zier, »wir haben auch andere Mittel!«

Er deutete auf die Psychohaube und lä­chelte sarkastisch. Dann trommelte er eine Zeitlang mit den Fingerspitzen auf der Platte des Schreibtischs. Minuten vergingen, bis der Mann die Geduld verlor. Mit einem Knopfdruck rief er zwei Beamte herein, die Ra ergriffen und zu der Haube schleppten. Ra wehrte sich, obwohl er sich wenig davon versprach.

Die Männer waren stärker und geübter als Ra; nach kurzer Zeit hatten sie ihn auf dem Stuhl festgeschnallt.

In diesem Augenblick betrat ein Mann den Raum und zeigte seinen Ausweis vor. Der Mann machte ein sehr entschlossenes Gesicht, und der Ausweis besagte, daß er aktiver Agent der POGIM sei.

»Wir brauchen diesen Häftling!« erklärte der POGIM-Mann, der sich als Mogbar Klo­te vorgestellt hatte. »Er ist von besonderer Bedeutung für uns!«

Der Leiter der Dienststelle machte ein fin­steres Gesicht.

»Haben Sie einen entsprechenden Be­fehl?« fragte er knapp.

»Brauche ich so etwas?« fragte Klote freundlich. »Wissen Sie nicht, welche Voll-

Peter Terrid

machten ich habe?« Die Anspielung war mehr als deutlich; der

Polizist schluckte, dann bedeutete er seinen Männern, Ra loszubinden. Zwei weitere Männer betraten den Raum und fesselten Ra erneut, dann schleppten sie ihn aus dem Raum. Schweigend verstauten die Männer Ra auf der Ladefläche eines kleinen Trans­portgleiters. Der Mann, der sich als Mogbar Klote vorgestellt hatte, setzte sich hinter das Steuer und ließ den Gleiter starten.

»Nur keine Sorge, Ra!« sagte er und grin­ste auf den Gefesselten hinunter. »Du bist unter Freunden!«

Ra fand diese Bemerkung überhaupt nicht witzig und fletschte die Zähne, was dem Mann am Steuer ein erneutes Grinsen abnö­tigte.

*

Pathor Margib fluchte leise in sich hinein, Mehn Sulk wanderte unruhig im Raum auf und ab.

»Wir hätten besser aufpassen müssen!« stellte Sulk erbittert fest. »Wer konnte ah­nen, daß Perytlth einen derartigen Taten­drang entwickeln würde?«

Die beiden Männer hatten gerade die neuesten Nachrichten gehört. Nach diesen Informationen war in den letzten Stunden ei­nes der größten Verbrechersyndikate ausge­hoben worden, das Arkon II je gesehen hat­te. Bedauerlicherweise waren dabei die bei­den Rädelsführer ums Leben gekommen. Held des Tages war ein verkrüppelter Mann namens Perytlth und ein unbekannter Frem­der, der in der Uniform eines Polizisten auf­gefunden worden war.

Die beiden Männer hatten sofort gewußt, wer dieser Fremde gewesen sein mußte.

»Was machen wir jetzt?« überlegte Mehn Sulk laut.

Pathor Margib faßte als erster einen Ent­schluß.

»Ich werde bei der Polizei anrufen und die Herausgabe des Fremden fordern!« er­klärte er. »Wenn der zuständige Beamte

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mehr wissen will, werde ich ein paar ge­heimnisvolle Bemerkungen fallenlassen – Sonderkommando, Spezialauftrag von Orba­naschol. So etwas wirkt immer!«

Mit einer Handbewegung erklärte sich Mehn Sulk mit diesem Vorschlag einver­standen. Das Gespräch dauerte nur wenige Minuten, dann wußten die beiden Männer Bescheid.

Mehn Sulk murmelte etwas und setzte sich an das Eingabesegment einer Positro­nik. Nach kurzer Zeit stand auch hier das Er­gebnis fest.

»Es gibt überhaupt keinen Mogbar Klote in der POGIM!« erklärte Sulk triumphie­rend. »Der Barbar ist mit einem Trick aus der Hand der Polizei entführt worden. Ich bin sicher, daß dahinter mehr steckt, als man auf den ersten Blick vermutet. Soll ich eine Einsatzgruppe alarmieren?«

Pathor Margib nickte entschlossen. »Wir werden diesen Burschen finden!«

versprach er. »Übrigens, vor der Tür wartet Perytlth. Wollen wir ihn hereinlassen?«

»Herein mit ihm!« bestimmte Sulk. »Ich freue mich darauf, dem Burschen zu erklä­ren, wie sehr man ihn veralbert hat!«

Der Raum war groß und gemütlich einge­richtet. Drei Personen saßen darin und starr­ten nach Möglichkeit aneinander vorbei. Aber immer wieder wanderte Ras Blick zu der alten Frau hinüber, die ihm merkwürdig bekannt erschien.

Man hatte Ra in diesen Raum geführt, sei­ne Fesseln gelöst und ihm befohlen zu war­ten. Wenig später war die Frau erschienen und hatte sich schweigend auf einen freien Platz gesetzt. Abermals einige Minuten spä­ter wurde Etir Baj in den Raum geführt. Die Männer wußten, was auf dem Spiel stand und verrieten mit keiner Miene, daß sie sich kannten.

Leise öffnete sich die Tür. Mogbar Klote erschien, in seiner Begleitung ein unbekann­ter Mann.

»Mein Name ist Regir da Quertamagin!« sagte der Mann freundlich. Ra fiel auf, daß er den Buchstaben R ungewöhnlich hart aus­

sprach. »Ihr seid Ra, der Barbar – jedenfalls wurdet Ihr mir so bezeichnet; dies hier ist Etir Baj …«

»Bei Etir Baj«, korrigierte der Con-Treh lakonisch.

»Ihr seid der Mann«, fuhr Quertamagin an Ra gewandt fort, »der beim zalitischen Händlerfest Furore machtet und das Attentat auf Orbanaschol verhinderte. Warum?«

Ra lächelte und schwieg. »Ich will es Euch sagen«, mischte sich die

Frau ein. »Ihr habt einen Freund in dem Maskenträger erkannt, Euren Freund At­lan!«

Nur ein leises Zucken verriet Ras Überra­schung.

»Ihr erkanntet euren Freund Atlan, darum konnte der Maskenträger Euch überwin­den«, fuhr die Frau fort. »Dann aber wurde Euch klar, daß der Mann nicht Atlan sein konnte, denn Ihr wißt ja, wo sich der Kri­stallprinz aufhält!«

Im Mikrokosmos, wenn er überhaupt noch lebt, dachte Ra bekümmert; er schwieg weiter.

»Ihr schweigt, also stimmt Ihr mir zu«, sagte die Frau. Etir Baj hatte inzwischen die Seherin Methayda erkannt. »Wo ist Atlan?«

Ra lächelte die Frau freundlich an, fest entschlossen, auch weiterhin keine Informa­tionen preiszugeben.

»Regir, was meinst du«, wandte sich die Frau an den Mann. »Sind sie Freunde At­lans? Oder suchen sie ihn, um ihn zu töten? Können wir ihnen trauen?«

Diesmal reagierte Ra heftiger. Er hatte ein natürliches Empfinden für

Stimmungen, und sein Instinkt sagte ihm, daß die Sorge der Frau echt, nicht gespielt war.

»Für Atlan und Arkon«, sagte er halblaut. »Auf Leben und Tod!«

Die Frau zuckte zusammen und fuhr her­um.

»Bitte?« sagte sie atemlos. Ra wiederholte die Formel. »Ihr seid ein Freund Atlans?« fragte die

Frau leidenschaftlich. »Ihr müßt mir sagen,

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wo er ist, ich muß es wissen!« »Die POGIM auch!« stellte Etir Baj kalt

fest. Er hätte Ra am liebsten verprügelt, denn der Barbar hatte mit seiner Reaktion eindeutig bewiesen, daß der Attentäter auf Orbanaschol nicht der Kristallprinz gewesen sein konnte.

»Vertrauen gegen Vertrauen«, erklärte Quertamagin. »Das Attentat auf Orbana­schol wurde von uns inszeniert!«

Ra starrte den Mann ungläubig an. »Mit einer untauglichen Waffe?« fragte er

zweifelnd. »Der junge Mann, der die Rolle des Mas­

kenträgers gespielt hat«, erklärte die Frau zögernd, »war ein Freund unserer Sache. Er war sehr krank, wenige Wochen nach den Kämpfen wäre er mit Sicherheit gestorben. Er wußte, wie ähnlich er Atlan war, und dar­um hat er uns förmlich gezwungen, dieses Spiel mitzumachen. Wir wollten Orbana­schol und seine Häscher auf eine falsche Spur locken. Ein wirkliches Attentat war selbstverständlich nicht geplant, mit solchen Mitteln arbeiten wir nicht!«

»Wer ist wir?« fragte Ra kühl. »Und was hat die Geschichte mit dem Hirnschwin­gungsdiagramm zu besagen?«

Quertamagin biß sich auf die Lippen, dann berichtete er vom Ende des Leutnants Lartog. Ra spürte, daß der Mann sich schwe­re Vorwürfe machte, aber das konnte den Leutnant nicht wieder ins Leben rufen.

Als Quertamagin endete, ergriff wieder die Frau das Wort.

»Ich muß wissen, wo Atlan ist!« erklärte sie drängend.

»Warum?« fragte Ra einfach. Die Antwort war ebenso einfach. »Ich bin seine Mutter!«

*

»Es gibt also tatsächlich einen Mogbar Klote«, stellte Mehn Sulk fest. »Er arbeitet aber nicht für die POGIM, sondern für Regir da Quertamagin! Beide halten sich hier auf Arkon II auf.«

Peter Terrid

Pathor Margib seufzte leise auf und rieb sich die Nase.

»Was machen wir jetzt«, fragte er ratlos. »Wir können doch nicht einfach in Querta­magins Zweithaus auftauchen und sein Per­sonal unter die Lupe nehmen. Der Mann ist ein Freund des Imperators, und wenn wir ihn ärgern, wird er dafür sorgen, daß wir straf versetzt werden.«

Mehn Sulk machte ebenfalls ein säuerli­ches Gesicht.

»Sollen wir die Aktion beenden?« fragte er zurück. »Wir haben zwei Einsatzkom­mandos in Marsch gesetzt. Schließlich müs­sen wir unsere Befehle vor unseren Vorge­setzten rechtfertigen!«

»So oder so«, murmelte Margib. »Wir sind in einer verteufelten Lage. Bist du völ­lig sicher, daß der Mogbar Klote, der in der Polizeistation aufgetaucht ist, mit Querta­magins Angestellten identisch ist?«

»Es gibt keinen Zweifel!« behauptete Sulk. »Wir können ja behutsam vorgehen, erzählen, alles wäre nur eine Routinebefra­gung. Du kennst die Masche!«

»Wir werden viel Glück brauchen«, pro­phezeite Margib düster.

*

»Mein wirklicher Name ist Yagthara«, sagte die Frau leise. Sie lächelte, als schmer­ze es, sich dieser Tatsache zu erinnern. »Ich war die Frau des ermordeten Imperators Go­nozal. Atlan, der Kristallprinz, ist mein Sohn!«

Während Ra noch mühsam diese Informa­tionen verdaute, geschah etwas, womit Ra niemals gerechnet hätte. Etir Baj stand lang­sam auf und reichte der Frau die Hand.

Ein Gonozal war es gewesen, der nach Ansicht der Con-Treh für das elende Schick­sal dieses Volkes verantwortlich war, und seit dieser Zeit haßten die Con-Treh alles, was mit diesem Namen zu tun hatte. Einzig Etir Baj hatte es geschafft, sich von diesem Kollektivhaß zu lösen – wie sehr, das zeigte diese Geste.

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Quertamagin stutzte, dann glitt ein Lä­cheln über sein Gesicht.

»Daher der befremdliche Name«, rief er aus. »Ihr seid ein Con-Treh!«

Bei Etir Baj wurde fahl. Ra konnte ihn ge­rade noch auffangen, bevor er zusammen­brach. Aus weitaufgerissenen Augen starrte Etir Baj den Mann an, der Schock ließ seine Worte zu sinnlosem Gestammel werden.

»Keine Aufregung«, meinte Quertamagin lächelnd. »Seit langer Zeit helfen die Con-Treh unserer Familie, wo sie nur können. Und wir helfen ab und zu den Con-Treh, vor allem dadurch, daß wir ihr Geheimnis be­wahren. Du kannst beruhigt sein, Bei Etir Baj, von allen Quertamagins ist nur das Sip­penoberhaupt mit diesem Geheimnis ver­traut, und ich werde euch nicht verraten!«

Es dauerte ziemlich lange, bis sich Etir Baj wieder gefaßt hatte. Der Con-Treh wuß­te, daß er diese Tatsache niemals verraten durfte. Sein Volk hätte vor Angst völlig den Verstand verloren, wäre bekannt geworden, daß die galaktische Position von Ark'alor kein Geheimnis war.

»Und wer ist dieser Mann?« wollte Ra wissen und deutete auf Mogbar Klote. »Wie kommt er zu einem POGIM-Ausweis?«

»Als Mitglied des Planungsstabs habe ich selbstverständlich einen Dienstausweis«, er­klärte Klote grinsend. »Er ist natürlich echt, nur meine Treue zu Orbanaschol ist gespielt. Viel Einfluß habe ich allerdings nicht, da unser Haufen selbst innerhalb der POGIM nur wenig bekannt ist. Aber es gibt nicht nur einen Mann in der POGIM, der auf unserer Seite steht!«

»Trotz unserer Freunde bei der POGIM«, meinte Quertamagin. »Yagthara, ihr seid hier nicht mehr sicher. Du mußt so schnell wie möglich dein Versteck wieder aufsu­chen. Du kannst dir vorstellen, daß man jetzt sehr intensiv nach Ra suchen wird – immer­hin ist er in kurzer Zeit zum zweiten Male öffentlich aufgefallen!«

»Mich hält nichts mehr auf Arkon«, er­klärte Etir Baj. »Ich werde Ra begleiten!«

Die Diskussion währte nur kurz, dann war

der Entschluß gefaßt. Yagthara, Ra, Etir Baj und Abton Cehar wollten so schnell wie möglich Arkon verlassen. Das wenige Ge­päck, das Etir Baj und Ra noch im Haus des Zaliters Alpertur zurückgelassen hatten, konnte leicht verschmerzt werden. Auf einen feierlichen Abschied von Alpertur konnten die beiden Männer verzichten, dies um so mehr, als Alpertur nur für Geld dazu zu be­wegen gewesen war, den Con-Treh und Ra zu helfen.

Yagthara packte ihre Utensilien zusam­men, die sie für ihre Rolle brauchte, Abton Cehar verwandelte sich wieder in den Ma­gier Telfinkh, dann bestiegen die vier Perso­nen einen Gleiter, den ihnen Quertamagin zur Verfügung stellte.

Als das Gefährt die weitläufigen Grünflä­chen verließ, die Quertamagins Wohnsitz auf Arkon II umgaben, bemerkte Ra in be­trächtlicher Entfernung einen Fahrzeugkon­voi, der sich dem Haus näherte. Ra dachte an Dienstboten und kümmerte sich nicht darum. Ra sah, wie Yagthara nachdenklich den gepflegten Park betrachtete. Vor langer Zeit hatte sie in ähnlich schöner Umgebung gewohnt, damals, als sie noch Gattin des Im­perators gewesen war. Würde sie den Kri­stallpalast noch einmal betreten dürfen, als Mutter des rechtmäßigen Imperators?

Ra konnte diese Frage nicht beantworten. Er wußte nur, daß er der Mutter des Kristall­prinzen nicht die ganze Wahrheit gesagt hat­te – daß nämlich die Chancen gering waren, daß Atlan je wieder den Mikrokosmos ver­lassen würde.

*

Pathor Margib machte ein wütendes Ge­sicht. Es gab keinen Zweifel – der Ausweis, den man ihm unter die Nase gehalten hatte, war echt. Pathor Margib und Mehn Sulk hat­ten zwar noch nie etwas von Klotes Dienst­stelle gehört, aber die Ergebnisse der Rück­fragen bewiesen, daß der Verdächtigte tat­sächlich der PO-GIM angehörte und zu al­lem Überfluß auch noch entschieden rang­

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höher war als die beiden Männer. Dennoch: Mehn Sulk wurde seinen Ver­

dacht nicht los. Quertamagin machte einen ausgesprochen

nervösen Eindruck. Hatte er Grund dazu? Fühlte er sich unsicher, obwohl er einen ho­hen POGIM-Offizier zu seinen Mitarbeitern zählte.

Mehn Sulk gab sich einen Ruck, er ent­schloß sich zum Frontalangriff.

»Mogbar Klote und Regir da Quertama­gin, ich erkläre Euch für verhaftet!« sagte er fest.

Pathor Margib schluckte nervös. Er wußte, daß Sulk die Vollmacht dazu

hatte, wenn begründeter Verdacht vorlag, aber diese Vollmacht konnte sehr leicht zum Bumerang werden, wenn bei den Ermittlun­gen nichts herauskam.

POGIM-Männer fesselten Regir und sei­nen Angestellten und schleppten sie zu ei­nem wartenden Gleiter. Dann ließ Mehn Sulk das Haus gründlich untersuchen, in der Hoffnung, dort das Beweismaterial finden zu können, das ihm jetzt noch fehlte. Zusätz­lich gedachte Mehn Sulk, Hilfe von Arkon I anzufordern. Dort sollte es einen Kriminali­sten von außerordentlicher Begabung geben. Sulk hatte vor, diesen Lebo Axton auf Quer­tamagin anzusetzen.

8.

»Hier können wir uns jahrelang versteckt halten«, stellte Ra bewundernd fest. »Von wem stammt die Idee, den Kometen Blahur als Tarnung zu verwenden?«

Yagthara deutete auf Abton Cehar, der vor Freude über das Lob errötete. Das Blut stieg ihm derart zu Kopf, daß dieser langsam einen dunkelroten Farbton annahm, der all­mählich ins Bläuliche hinüberzuspielen be­gann. Entsetzt sah Ra, wie Cehar in den Kni­en einknickte, aber bevor der Mann zusam­menbrach, erholte er sich in erstaunlich kur­zer Zeit wieder. Ra begann sich zu fragen, ob Cehar seine tausend Tode nur spielte, oder ob er tatsächlich medizinisch derart ab-

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sonderlich konstruiert war. »Du hast während der ganzen Fahrt ge­

schwiegen, Ra«, sagte Yagthara und machte es sich auf einem Sessel bequem. »Nun re­de, wo ist Atlan?«

»Ja, wo ist der kleine Kristallprinz«, warf Abton Cehar ein.

»Der kleine Kristall …«, wiederholte Ra nervös; er druckste herum, versuchte sich vor der Antwort zu drücken. Mit stiller Schadenfreude sah Bei Etir Baj die Verle­genheit seines Freundes.

Stockend begann Ra zu berichten. Es ko­stete ihn Mühe, der Mutter des »kleinen Kri­stallprinzen« zu erklären, wie klein ihr Sohn inzwischen tatsächlich geworden war. Daher holte Ra weit aus und erzählte alles, was er bislang zusammen mit Atlan erlebt hatte oder vom Hörensagen kannte.

Etir Baj behielt Yagthara fest im Auge, während Ra berichtete. Er sah, wie die Frau zusammenzuckte, als Ra auf Ischtar zu spre­chen kam. Eine derartige Reaktion war in gewisser Weise verständlich; Mütter waren von jeher eifersüchtig auf die Frauen, die ih­nen die Söhne wegzunehmen drohten. Es gab Fälle, in denen Mütter ihre Söhne sogar mit Mitteln eines ausgefeilten Psychoterros peinigten, manchmal bis hart an die Grenze eines beiderseitigen Wahnsinns.

Bei Etir Baj konnte nur hoffen, daß Atlans Mutter nicht von dieser Art war. Der Con-Treh sah auch, wie die Frau förmlich im Sessel zusammenzuschrumpfen schien, als Ra endlich auf Atlans Schicksal zu sprechen kam.

»Im Mikrokosmos?« wiederholte die Frau entsetzt.

Ra konnte ihre Gefühle verstehen. Seit vielen Jahren war sie auf der Suche nach ih­rem Sohn, und nun mußte sie erfahren, daß sie von ihm nicht nur durch viele tausend Lichtjahre getrennt war. Nun lag eine unbe­greifliche Grenze zwischen zwei Dimensio­nen zwischen ihr und ihrem Kind.

»Ich habe lange Zeit keinen Kontakt mehr mit Kraumon gehabt«, versuchte Ra die Frau zu beruhigen. »Vielleicht ist Atlan

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längst zurückgekehrt und wartet auf uns, wer weiß?«

Der Barbar wirkte außerordentlich hilflos. Ehrlich wie er war, hatte er auch berichtet, wer Atlan zu seiner Reise in den Mikrokos­mos verholfen hatte.

Im Hintergrund erholte sich Cehar von seiner dritten Ohnmacht, die ihn während Ras Bericht überfallen hatte. Ächzend und stöhnend schleppte sich der alte Wissen­schaftler aus dem Raum, um nachzufor­schen, wer sich in der Nähe des Kometen Blahur herumtrieb.

*

»Auf Wiedersehen!« sagte der Mann freundlich, bevor er den Raum verließ. »Ich freue mich auf unsere nächste Unterhal­tung!«

Regir da Quertamagin war dem Zusam­menbruch nahe. Noch nie in seinem Leben hatte er eine solche Verzweiflung gespürt.

Mehn Sulk hatte ihn solange festgehalten, bis der Verhörspezialist aus Arkon I ange­kommen war. Es war dieser Mann, der gera­de den Raum verlassen hatte, und Regir zit­terte vor dem Augenblick, an dem er ihn wieder betreten würde.

Der Mann war freundlich gewesen, und manchmal hatte Regir sogar das Gefühl ge­habt, daß er diesem Lebo Axton sogar ver­trauen konnte. Axton hatte trotz seiner ver­wachsenen Gestalt einen fast sympathischen Eindruck auf Quertamagin gemacht, und doch hatte der Gefangene Angst vor diesem Mann.

Sanft und freundlich hatte Axton Querta­magin in die Enge getrieben. Geduldig hatte er während des Verhörs erklärt, wo sich Quertamagin – ohne es selbst zu merken – versprochen hatte. Manchmal hatte Regir Schwierigkeiten gehabt, der Beweisführung Axtons zu folgen, aber immer hatte er zum Schluß einsehen müssen, daß sein Gegen­über richtig überlegt hatte. Aus winzigen Andeutungen, aus Händezittern und anderen Kleinigkeiten hatte der Krüppel in kurzer

Zeit mehr abgelesen und gefolgert, als Quer­tamagin lieb sein konnte.

Der Gefangene wußte, daß er verloren war. Noch zwei oder drei Stunden Verhör durch Lebo Axton, und der Spezialist würde Quertamagins Lügengebäude langsam in seine Bestandteile zerlegen und die Wahr­heit hervorzerren, eine Wahrheit, die in ih­rem vollen Ausmaß niemals bekannt werden durfte.

Noch hatte man nicht viel aus dem Gefan­genen herausholen können, aber das konnte sich sehr bald ändern.

Quertamagin fühlte sich am Ende. Fieberhaft überlegte sich der Gefangene

alle Möglichkeiten, die ihm zu Gebote stan­den. Viel konnte er nicht mehr bewirken. Der Verdacht gegen ihn blieb bestehen, und unter diesen Umständen nützte es ihn nichts mehr, daß er Oberhaupt einer berühmten Fa­milie war.

Nach Stunden endlich fand Regir da Quertamagin eine Lösung, eine endgültige Lösung.

*

»Er hat einen Fehler gemacht!« erklärte Mehn Sulk. »Er hätte das Gift schnell schlucken sollen. So hat er einen Teil wieder ausgespuckt, und es wirkt nur langsam! Noch können wir etwas aus ihm herausho­len!«

Pathor Margib kannte keine Hemmungen. Hageldicht prasselten seine Fragen auf den Sterbenden herab, er riß Quertamagin in die Höhe.

»Wer ist dieser Ra?« schrie Margib. »Freund … von … Atlan!« ächzte der Ge­

fangene, in dessen Hirn das Gift wühlte. »Atlan ist tot!« brüllte Sulk. Quertamagin wehrte ab. »Nicht tot«, ächzte er. »Täuschung …« »Beeile dich«, drängte Mehn Sulk. »Wir

haben nicht mehr viel Zeit! Frage ihn, wo sich die Bande versteckt hält!«

Pathor schrie den Gefangenen an. Er hielt das Ohr an den Mund des Sterbenden, dann

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ließ er den Körper fallen. Hart prallte der Leichnam auf den Boden.

»Was hat er gesagt?« forschte Mehn Sulk. Pathor Margib schüttelte nachdenklich

den Kopf. »Er konnte nur noch hauchen«, murmelte

er ratlos. »Und wenn ich ihn richtig verstan­den habe, dann ist der Komet Blahur das Versteck der Gruppe!«

Mehn Sulk zuckte mit den Schultern. »Wir werden ein Flottenkommando zum

Kometen schicken«, meinte er. »Dann wer­den wir sehen, was hinter diesem Gerede steckt!«

*

Wieder stand Ra vor dem Tribunal, das ihn schon einmal zum Tode verurteilt hatte. Das Con-Treh-Than war zusammengetreten, um über das Schicksal der ungebetenen Gä­ste zu beraten.

Die Flucht war gefährlich gewesen, nur mit knapper Mühe war den Menschen das Entkommen geglückt.

Blahur existierte nicht mehr. Flottenschif­fe hatten die Touristenboote vertrieben und den Himmelskörper gnadenlos zusammen­geschossen. Nur noch Trümmer zeugten von dem Kometen mit dem märchenhaft schönen Farbenspiel.

In einem Boot waren Yagthara, Etir Baj, Ra und Cehar entkommen. Was aus der Be­satzung des Verstecks geworden war, konn­ten die Flüchtigen nicht mehr erfahren. Sie konnten nur hoffen, daß alle Sicherungen, die man für diesen Notfall getroffen hatte, funktioniert und der Besatzung das Leben gerettet haben.

Die Schlußfolgerungen, die sich aus dem Flottenangriff auf den Kometen ergaben, la­gen auf der Hand. Nur wenige Menschen wußten von der Existenz, einer unter ihnen war Regir da Quertamagin. Einer der Infor­mierten mußte sein Geheimnis preisgegeben haben, und es stand zu befürchten, daß die­ser Informierte Quertamagin gewesen war.

Die Flüchtenden hatten nur einen Ausweg

Peter Terrid

gesehen. Sie hatten sich nach Ark'alor abge­setzt. Nur dort war rasche Hilfe zu erwarten.

Hilfe hatten die Flüchtenden nicht gefun­den, nur Haß war ihnen entgegengeschlagen. Sobald die Con-Treh erfahren hatten, wer die Frau in der Gruppe war, hatten sie alle Flüchtigen gefangengenommen. Seit Tagen warteten die Menschen in den Verliesen von Magintor auf die Verhandlung.

»Ihr habt Ra schon einmal zum Tode ver­urteilt und dann begnadigt!« stellte Etir Baj fest; er war, wie alle Gefangenen, gefesselt. »Wollt ihr dieses makabre, widerliche Schauspiel wiederholen? Wie lange noch wollt ihr mit eurem dummen, veralteten Haß leben, Vergeltung fordern für Ereignisse, die Ewigkeiten zurückliegen, Rache üben an Menschen, die von keiner Schuld wissen?«

»Etir Baj«, sagte der Sprecher des Ge­richts. »Du bist einer von uns. Wir haben dich ziehen lassen und müssen dafür die Verantwortung tragen. Du bist frei und kannst gehen!«

»Und was wird aus meinen Freunden?« fragte Etir Baj, sobald man die Fesseln ge­löst hatte. Er deutete auf die anderen Gefan­genen, auch auf Yagthara.

Ein gellendes Pfeifkonzert beantwortete diese Frage.

»Verbohrte Dummköpfe!« murmelte Etir Baj.

Er wußte, daß er einstweilen nicht viel er­reichen konnte, daher zog er sich zurück. Noch hatte er einige, wenige Freunde auf Ark'alor, noch galt sein Wort etwas. Viel­leicht konnte er helfen.

Bei Etir Baj verfolgte die Verhandlung vom Ausgang aus. Er hatte mit den Urteilen gerechnet, sie erstaunten ihn nicht.

Ra wurde dazu verurteilt, auf einem ande­ren Kontinent ausgesetzt zu werden, ver­sorgt mit Waffen und Lebensmitteln, aber ohne eine Hilfe, mit der er den Planeten hät­te verlassen können. Die gleiche Strafe soll­te Abton Cehar treffen. Da der alte Mann of­fenkundig schwer erkrankt war, wurde die Strafe ausgesetzt, bis sein Gesundheitszu­stand eine Verbannung erlaubte.

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53 Komet der Geheimnisse

Yagthara sollte als Frau eines Gonozals hingerichtet werden. Dieses Urteil hatte schon zu Verhandlungsbeginn festgestan­den. Die Con-Treh hätten nicht anders han­deln können, so tief war der Haß durch Jahr­hunderte in ihnen festgewachsen.

Das Urteil sollte innerhalb der nächsten drei Tage vollstreckt werden.

»Zeit genug!« stellte Etir Baj befriedigt fest.

Er verließ rasch den Verhandlungssaal. Sein Plan erforderte gründliche Vorarbeit.

*

Etir Baj bewegte sich langsam und ge­räuschlos. Er kannte sich in den Winkeln und Gängen Magintors aus. Schon als klei­ner Junge hatte er jeden Platz der Stadt im Fels ausgekundschaftet. Wahrscheinlich gab es niemanden in Magintor, der die Stadt so gut kannte wie Etir Baj.

Der Con-Treh wußte auch genau, wo er was zu suchen hatte. Schon in der vorange­gangenen Nacht hatte er wichtige Ausrü­stungsgegenstände zusammengetragen und in eines der Schiffe geschafft, die den Con-Treh gehörten.

Der Diebstahl belastete Etir Baj nicht. Im­merhin mußte Ra das Beiboot des Doppel­pyramidenschiffs der Varganin Ischtar auf Ark'alor zurücklassen, und Etir Baj hatte es nicht gewagt, in seinen Fluchtplan das Boot mit ein zubeziehen, in dem es ihm gelungen war, aus dem Innern Blahurs zu entfliehen.

»Leise!« flüsterte Etir Baj seinem Beglei­ter zu.

Vier Con-Treh hatte Bei Etir Baj überzeu­gen können. Sie wollten Ra und seine Freun­de begleiten und an ihrer Seite gegen den Tyrannen Orbanaschol kämpfen.

Zwei Posten standen vor der Tür der Zel­le, in der Ra bis zu seiner Deportation gefan­gengehalten wurde.

Die Männer machten einen Satz, und we­nige Sekunden später lagen die Wachen be­täubt am Boden.

»Ra?« flüsterte Etir Baj.

»Du hast dir viel Zeit gelassen«, meinte der Barbar grinsend und reckte die Glieder, nachdem er von seinen Fesseln befreit wor­den war. »Ich fürchtete schon, du würdest mich vergessen!«

Mit Ra als Verstärkung machte sich der Trupp daran, auch die anderen Gefangenen zu befreien.

Abton Cehar allerdings würde Ark'alor nicht mehr verlassen. Er war in der Nacht still und friedlich gestorben. Ra stellte ver­blüfft fest, daß der alte Mann im Tode we­sentlich gesünder als zuvor aussah – eine merkwürdige Ironie der Natur.

Auch Yagthara war schnell befreit. Über­haupt waren die Wachen in dieser Nacht be­merkenswert unaufmerksam. Etir Baj hatte fast den Eindruck, als wolle man seine Fluchtpläne im stillen fördern. Es war durchaus denkbar, daß das Con-Treh-Than Angst vor der eigenen Haltung bekommen hatte und in einer Flucht der Verurteilten die beste Lösung des Problems erkannte.

Es bereitete den Fliehenden keine Schwierigkeiten, das überlichtschnelle Raumschiff zu erreichen, das Etir Baj für die Flucht vorbereitet hatte.

Ra wollte dem Freund beim Einstieg hel­fen, aber Etir Baj wehrte ab.

»Ich werde bleiben«, sagte der Con-Treh leise. »Irgend jemand muß doch übrigblei­ben, um meinem Volk seinen Wahnsinn zu nehmen. Macht, daß ihr fortkommt. Ich has­se Abschiedsszenen, und die anderen hier in Magintor werden bald wach!«

Rasch umarmte Ra den Con-Treh, dann stürmte er in das Innere des Raumschiffs, dessen Schleuse sich hinter ihm geräuschlos schloß. Etir Baj nahm das Bündel auf, das er für sich vorbereitet hatte. So schnell wie möglich verließ er das Stadtgebiet; er plante, sich zunächst im Wald verborgen zu halten, bis sich die erste Aufregung gelegt hatte. Dann wollte er versuchen, sein Volk lang­sam zu beeinflussen, es auf einen Weg zu führen, der es wieder in das Leben in der Galaxis zurückbrachte.

Der Con-Treh hatte gerade den Rand der

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Stadt erreicht, als er den Lärm hinter sich hörte. In beträchtlicher Entfernung stieg eine silbern glänzende Kugel in den nächtlichen Himmel, erleuchtet vom Feuer zahlreicher Geschütze.

»Viel Glück!« wünschte Etir Baj. Minu­ten später hatte ihn der dichte Urwald ver­schluckt.

*

»Kraumon!« sagte Ra und deutete auf den Planeten, der immer größer wurde. »Vielleicht ist Atlan schon wieder zurückge­kehrt!«

An seinem Gesichtsausdruck war deutlich abzulesen, daß nicht einmal er selbst diese Hoffnung hegte. Ra erledigte die Formalitä­ten des Landeanflugs, wenig später setzte das Boot auf dem Planeten auf.

Morvoner Sprangk hatte es sich nicht neh­men lassen, Ra persönlich zu begrüßen.

»Wir hatten dich schon fast abgeschrie­ben«, begrüßte er den Barbaren und schlug ihm auf die Schulter. »Ich freue mich, daß du wieder bei uns bist!«

Ra grinste vergnügt. Er bot dem Freund einen Sessel an, dann begann er seine Erleb­nisse zu erzählen. Die Con-Treh, die wäh­rend des Fluges die Geschichten schon zu hören bekommen hatten, staunten nicht we­nig. Zwar hielt sich Ra an die Wahrheit, aber

Peter Terrid

er hatte offenbar auf Arkon auch gelernt, daß die Wahrheit manchmal dehnungsfähig ist, und nach diesem Prinzip ging Ra vor.

Besonders eindrucksvoll bereitete Ra die Vorstellung seines besonderen Knüllers vor. Es gelang ihm außerordentlich gut, Yagthara einzuführen.

»Ich freue mich, einen Freund meines Sohnes zu treffen. Kann ich hier erfahren, wo Atlan ist?«

Morvoner Sprangk schüttelte bedauernd den Kopf.

»Wir wissen nicht viel Neues«, gestand Sprangk ein. »Ich kann nur wenig sagen. Fartuloon, Eiskralle und Corpkor sind vor kurzer Zeit erst aufgebrochen, um nach At­lan zu suchen – zusammen mit Ischtar. Mehr kann ich nicht sagen!«

Yagtharas Lippen zuckten, aber die Zu­versicht, die Ra und Morvoner Sprangk zeigten, beeindruckte sie doch stark.

»Vielleicht werde ich meinem Sohn doch bald begegnen«, hoffte sie.

»Ich bin mir ganz sicher, daß Atlan zu­rückkehren wird«, sagte Ra, und er wurde nicht einmal rot bei dieser Lüge.

ENDE

E N D E