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Sportwissenschafi aktuell • Sportwissenschafi aktuell • Sportwissenschaft aktuell in the Cultural Pattern of the World", die ich gemeinsam mit meinem Freund Martti Kar- vonen durchfiihrte, erschienen als Buch in Helsinki. Und der Text meiner ,Prinz Philip Lecture im House of Lords" wurde in London verlegt. Es war eine grof~e Tragik, bei der Riickkehr nach dem Krieg keine Gelegenheit zu linden, in der Heimat Fut~ zu fassen. Die heutige Feier, die Versammlung guter, treuer und mir aufs tiefste verbundener Freunde, repr~entiert fiir mich eine Geste der Befreiung. Ich will an dieser Stelle Worte zitieren, die Goethe bei der Urauff/ihrung seiner ,Iphigenie auf Tau- ris" sprach, in der er selbst die Rolle des Orestes i~bernahm" ,Es 16set sich der Fluch, mir sagt's das Herz. Die Eumeniden flieh'n, ich h6re sie." Ich mug hinzufhgen, dal~ es an Erwiderung meiner Loyalit~it zu Deutschland in der Nach- kriegszeit nicht gefehlt hat. Die Bundesregierung setzte reich in meine akademische Stellung wieder ein, allerdings mit dem Rang eines Ordinarius emeritus; die Freie Universit~it Berlin und die Universit~it Frankfurt ernannten mich zum Honorarprofessor. Die Sport~irzte-Or- ganisationen der Bundesrepublik wie auch der DDR liegen mir ungew6hnliche Ehrungen zukommen; und der Bundespr~ident verlieh mir das Groge Bundesverdienstkreuz. Die heutige Feier, am SpStabend meines Lebens, zieht den von mir lange erwarteten Schlufl- strich unter ein pers6nliches Schicksal, das die Validit~it des Diktums von Theodor Heuss best~itigt, Deutschland sei ein schwieriges Vaterland. Ich schlief~e meine Danksagung mit den Versen, die Schiller in seiner Wallenstein-Trilogie der jungen Thekla in den Mund legt, wenn sie dem Freund Max Piccolomini zuruft: ,Wie du mir selbst getreu bliebst, bist du's mir; uns trennt' das Schicksal, unsere Herzen blieben einig." WISSENSCHAFTLICHER BEIRAT DES DSB Kommerzialisierung und Einfliisse Dritter Vorbemerkungen Das Pr~isidium des DSB hatte den Wissenschaftlichen Beirat beauftragt, eine Vorlage als Grundlage fiir Beratungen von Problemen der Kommerzialisierung und anderen Einfliissen Dritter auf die Entwicklung der Sportorganisation zu erarbeiten. In diesem Papier sollte -- auf die vielf~iltigen Ursachen der Kommerzialisierung (usw.), deren Kennmis fiir eine aktive Gestaltung und Beeinflussung wachsender Kommerzialisierung unerliifllich ist, aufmerksam gemacht werden; -- verdeutlicht werden, welche Konsequenzen eine Kommerzialisierung und andere Ein- fliisse Dritter auf den Sport haben, wobei insbesondere eine Sensibilisierung ~r nicht intendierte und oft auch nicht bedachte Folgeerscheinungen erreicht werden sollte; -- gepriift werden, inwieweit durch Kommerzialisierung die Gemeinniitzigkeit des Sports bedroht werden k6nnte. 98

Kommerzialisierung und Einflüsse Dritter

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Sportwissenschafi aktuell • Sportwissenschafi aktuell • Sportwissenschaft aktuell

in the Cultural Pattern of the World", die ich gemeinsam mit meinem Freund Martti Kar- vonen durchfiihrte, erschienen als Buch in Helsinki. Und der Text meiner ,Prinz Philip Lecture im House of Lords" wurde in London verlegt. Es war eine grof~e Tragik, bei der Riickkehr nach dem Krieg keine Gelegenheit zu linden, in der Heimat Fut~ zu fassen. Die heutige Feier, die Versammlung guter, treuer und mir aufs tiefste verbundener Freunde, repr~entiert fiir mich eine Geste der Befreiung. Ich will an dieser Stelle Worte zitieren, die Goethe bei der Urauff/ihrung seiner ,Iphigenie auf Tau- ris" sprach, in der er selbst die Rolle des Orestes i~bernahm"

,Es 16set sich der Fluch, mir sagt's das Herz. Die Eumeniden flieh'n, ich h6re sie."

Ich mug hinzufhgen, dal~ es an Erwiderung meiner Loyalit~it zu Deutschland in der Nach- kriegszeit nicht gefehlt hat. Die Bundesregierung setzte reich in meine akademische Stellung wieder ein, allerdings mit dem Rang eines Ordinarius emeritus; die Freie Universit~it Berlin und die Universit~it Frankfurt ernannten mich zum Honorarprofessor. Die Sport~irzte-Or- ganisationen der Bundesrepublik wie auch der DDR liegen mir ungew6hnliche Ehrungen zukommen; und der Bundespr~ident verlieh mir das Groge Bundesverdienstkreuz. Die heutige Feier, am SpStabend meines Lebens, zieht den von mir lange erwarteten Schlufl- strich unter ein pers6nliches Schicksal, das die Validit~it des Diktums von Theodor Heuss best~itigt, Deutschland sei ein schwieriges Vaterland. Ich schlief~e meine Danksagung mit den Versen, die Schiller in seiner Wallenstein-Trilogie der jungen Thekla in den Mund legt, wenn sie dem Freund Max Piccolomini zuruft:

,Wie du mir selbst getreu bliebst, bist du's mir; uns trennt' das Schicksal, unsere Herzen blieben einig."

WISSENSCHAFTLICHER BEIRAT DES DSB

Kommerzialisierung und Einfliisse Dritter

Vorbemerkungen

Das Pr~isidium des DSB hatte den Wissenschaftlichen Beirat beauftragt, eine Vorlage als Grundlage fiir Beratungen von Problemen der Kommerzialisierung und anderen Einfliissen Dritter auf die Entwicklung der Sportorganisation zu erarbeiten. In diesem Papier sollte -- auf die vielf~iltigen Ursachen der Kommerzialisierung (usw.), deren Kennmis fiir eine

aktive Gestaltung und Beeinflussung wachsender Kommerzialisierung unerliifllich ist, aufmerksam gemacht werden;

-- verdeutlicht werden, welche Konsequenzen eine Kommerzialisierung und andere Ein- fliisse Dritter auf den Sport haben, wobei insbesondere eine Sensibilisierung ~ r nicht intendierte und oft auch nicht bedachte Folgeerscheinungen erreicht werden sollte;

-- gepriift werden, inwieweit durch Kommerzialisierung die Gemeinniitzigkeit des Sports bedroht werden k6nnte.

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Sportwissenschafi aktuel l • Sportwissenschafi aktuel l • Sportwissenschaft aktuel l

Der Wissenschaftliche Beirat des DSB hat im April 1987 auf der Grundlage eines von mir erarbeiteten Papiers diese Probleme beraten und dabei auch Experten aus Fachverb~inden, in denen Kommerzialisierung bereits eine beachtliche Rolle spielt, zu Wort kommen lassen. Auf der Grundlage dieses Diskussionspapiers und der Protokolle iiber diese Beratungen ist das vorliegende Papier erstellt und dem Pr~idium zugeleitet worden. Das Pr~idium hat dann diese Vorlage im Oktober 1987 in einer Klausurtagung beraten, ohne allerdings bis- lang Konsequenzen aus ihm zu ziehen. Man muf~ diese Vorgeschichte kennen, um dieses Papier angemessen einordnen und beurteilen zu k6nnen -- so muf~ folgendes bedacht wer- den: 1. Diese Vorlage ist kein wissenschafdicher Text; sie hat einen anderen sprachlichen Duk- tus, sie muf~ -- um nicht zu umfangreich zu werden -- in vielem verki~rzen, sie bezieht sich nicht auf vorliegende wissenschaftliche Arbeiten und Erkenntnisse, wenn auch viele wissen- schaftliche Erkennmisse in die Argumentation einflief~en. 2. Sie ist insofern einseitig, als sie jene (m6glichen) Ver~inderungen einer Kommerzialisie- rung in den Vordergrund stellt, die -- unter dem Gesichtspunkt der Gemeinnhtzigkeit -- fhr den organisierten Sport problematisch erscheinen. Wir sehen und haben dies auch aus- fiihrlich diskutiert, daf~ Kommerzialisierung ebenso wie andere Einflhsse Dritter fiir den Sport durchaus eine Reihe positiver Wirkungen haben k6nnen, die iiber die Verbesserung der finanziellen M6glichkeiten welt hinausgehen. Positive und negative Effekte angemessen zu bilanzieren f~illt ohne Zweifel schwer. Unter dem gestellten Auftrag haben wir uns je- doch auf die Darstellung der ungiinstigen Effekte beschr~inkt.

3. Fiir die Gewichtung von Effekten als ungiinstig oder negativ diente das ~Konstrukt Ge- meinniitzigkeit". Der Grundgedanke war, daf~ der DSB den gesellschaftspolitischen Auftrag besitzt, fiir das .Kulturgut Sport" Verantwortung zu tragen und in seinen Grundwerten ,fiir alle" zu gew~ihrleisten. Negativ wurden Einfli~sse dann beurteilt, wenn Elemente dieses Kulturgutes bedroht werden k6nnen. Das Problem bestand darin, dieses ,Kulturgut" zu de- finieren, aus dem Mal%t~ibe zur Beurteilung von Kommerzialisierungs-Wirkungen abgelei- tet werden sollten. Wir haben uns dabei im wesentlichen auf die Definition ~Sport" bezo- gen, die der Wissenschaftliche Beirat frhher erarbeitet und wie sie in Heft 1980/4 der ,,Sportwissenschaft" abgedruckt wurde und auf die sich der DSB verst~indigt hat. Dies sind Definitionskriterien; nicht mitberiicksichtigt sind positive Leistungen, Funktionen und Wirkungen des Sports -- etwa sein Beitrag fiir die Erziehung von Kindern und Jugendli- chen, fhr die Gesundheit, fiir soziale Integration usw.: zum einen, well wir meinten, dal~ sich diese Funktionen aus den konstitutiven Merkmalen des Sports ableiten, zum anderen, well die Bestimmung solcher Funktionen selbst umstritten ist. Unter diesen Randbedingungen und Einschr~inkungen wird dieses Papier in der ,Sportwis- senschaft" zur Diskussion gestellt.

K. HEINE/~NN (Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates)

1 Argumentationsstruktur zum Problem ,Gemeinniitzigkeit"

Es ist offenkundig: Kommerzialisierung und wachsende Einfliisse Dritter ver~indern den Sport. Schwierig jedoch ist, diese Ver~inderungen als positiv oder negativ zu bewerten, well

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Sportwissenschafi aktuell • Sportwissenschaft aktuell • Sportwissenschaft aktuell

dazu ein Verst~indnis dartiber n6tig ist, wie Sport sinnvoll gestaltet sein sollte. Der DSB be- ansprucht, Sachwalter eines wertvollen Kulturgutes zu sein. Er ist nicht das organisatorische Dach fiir alles, was Menschen ,,Sport" nennen k6nnen. Er hat vielmehr den gesellschaftspo- litischen Auftrag und die Verantwortung, einen Sport in der Tradition seiner Entwicklung und in seinen Grundwerten ,fiir alle" zu gew~ihrleisten. Damit ist er ,gemeinniitzig" -- nicht nur im steuerrechtlichen Sinne. Es ist also zu priifen, worin dieser Auftrag im einzel- hen besteht, inwieweit er dutch Kommerzialisierung und andere Einfliisse Dritter bedroht wird. Dazu ist zun~ichst dieses Kulturgut zu kennzeichnen, dann sind die Ursachen einer Kommerzialisierung herauszustetlen; welter ist darauf einzugehen, in welcher Form dieses Kuiturgut (durch Komrnerzialisierung und wachsende Einfliisse Dritter) zersetzt werden kann, und schlief~lich sollen sportpolitische Empfehlungen eingebracht werden. Im Blick stehen dabei Ver~inderungstendenzen sowohl im Breitensport als auch im Leistungssport. Das Problem einer Beurteilung ist, daf~ sowohl positive als auch negative Effekte in Rech- nung gestellt werden miissen. Positive Effekte liegen vor allem in den erweiterten finanziel- len M6glichkeiten. Weniger bedacht werden meist die nicht beabsichtigten, oft negativen Konsequenzen, die oft erst l~ingerfristig eintreten. Auf diese nicht-intendierten Folgen soll daher vor allem aufmerksam gemacht werden.

2 D a s , , K u l t u r g u t S p o r t "

Sport ist in diesem Sinne mit drei Merkmalen gekennzeichnet:

a) als Bewegungskul tur mit den Kriterien 1

-- k6rperliche F~ihigkeiten und Fertigkeiten, die erlernt und trainiert werden -- eigenst~indige Bedeutungsinhalte, nach denen Sport nicht unter Niitzlichkeitserwiigun-

gen und existentiellen Zw~ingen betrieben wird - - sportartspezifische Regelgebundenheit -- Leistungsbezogenheit und Leistungsvergleich im Wettkampfbetrieb;

b) dutch seine Grundwer t e

-- Chancengleichheit und kulturelle Vielfalt des Sports -- kultureller Eigenwert der sportlichen Leistung -- Achtung der kSrperlichen Unversehrtheit des Sportlers -- Vorbildwirkung des Sports - - Fairnel~;

c) dutch seine Organisat ion

- - Selbstbestimnmung - - Einheitlichkeit und Einheit -- Ehrenamtlichkeit.

Der DSB und seine Verb~inde und Vereine iibernehmen die gesellschaftspolitische Ver-

Diese Festlegung bezieht sich auf die vom Wissenschaftlichen Beirat erarbeitete Definition von Sport (ver6ffentlicht in: Sportwissenschaft 10 (1980), Heft 4), wie sie fiberarbeitet in der Dokumen- tation zur 6ffentlichen Anh6rung des Deutschen Bundestages zu ,Sport und Steuern" am 25. 6. 1986 abgedruckt ist.

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pflichtung, einen so beschriebenen Sport zu gewiihrleisten und damit der Verantwortung fiir alle sporttreibenden Menschen gerecht zu werden. Dafiir erhalten sie staatliche Unter- stiitzung und den Status der Gemeinniitzigkeit. Zu priifen ist, wie sich der Sport in den ge- nannten Merkmalen ver~indern kann.

3 Ursachen der Kommerzialisierung

Fiir die Kommerzialisierung des Breiten- und Spitzensports l~if~t sich eine Reihe von Ursa- chen beobachten. Diese sollen im folgenden beschrieben werden, da ihre Kennmis ~ r die M6glichkeiten der Bew~iltigung der Probleme unerl~if~lich ist.

3.1 Externe Ursachen fiir die Kommerzialisierung des Spitzensports Die Wirtschaft hat den Hochleistungssport zunehmend als attraktiven und wirksamen Wer- betr~iger erkannt. Das positive Image des Sports bzw. einzelner Sportler oder Mannschaften soll auf das Image des Produkts bzw. der Firma iibertragen werden. Diese Entwicklung geht einher mit dem Ausbau der elektronischen Medien, insbesondere des Fernsehens, und den damit verbundenen erweiterten Werbem6glichkeiten und neuen Formen der Sponsorenfii- tigkeit.

3.2 Interne Ursachen fiir die Kommerzialisierung des Spitzensports Die Anforderungen an eine professionelle Betreuung im Spitzensport zur Erhaltung der Konkurrenzf~ihigkeit verursachen steigende Ausgaben. Auch die Organisation des interna- tionalen Spitzensports, insbesondere internationaler fernsehgerechter Wettkiimpfe, ist zu- nehmend mit hohen Kosten verbunden. Dabei spielt ein neuer Trend zu einem auch von den Zuschauern erwarteten Perfektionismus eine besonders kostensteigernde Rolle. Hinzu kommt, daf~ immer h~iufiger immer teurere Wettk~impfe veranstaltet werden. Zus~itzlich sorgen steigende finanzielle Forderungen an Sportorganisationen und Veranstal- ter fiir wachsende Kosten. Begiinstigt wird diese Haltung durch Veranstalter, die offenbar bereit sind, alles zu tun, um bei Sportveranstaltungen Rekorde zu inszenieren. Das hat dazu ge~hrt, daft Athleten oft schon bei ihrer Verpflichtung zu einem bestimmten Entgelt dar- tiber befinden, welche Leistungen sie zu erbringen bereit sind.

3.3 Externe Ursachen fiir die Kommemzialisierung des Breitensports Auch im Bereich des Breitensports wird das positive Image des Sports werbewirksam von der Wirtschaft vermarktet. Das immer noch wachsende Sportinteresse l ~ t dynamische M~irkte mit vielen Marktsegmenten entstehen. Zu denken ist hierbei zum einen an Fitness- center, Gymnastikstudios usw., zum anderen an die verschiedenen Anbieter von informel- len Sportgelegenheiten und von Urlaubssport. In diesen beiden Marktsegmenten ftihren die Infrastruktur-Investitionen zum einen und die hohen Anforderungen an eine professionelle Betreuung zum anderen zu einer verst~kten Kommerzialisierung. Eine von den Vereinen erwiinschte Konkurrenzf~ihigkeit macht oft kostspielige Investitionen n6tig.

3.4 Interne Ursachen fiir die Kommerzialisierung des Breitensports Die Kommerzialisierung des Breitensports wird durch Entwicklungen und Wandlungen im Sportrollen-Verst~indnis, in der Spor~sozialisation, in den Beziehungen der Mi*glieder zur

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Sportorganisation und in den Mitgliederrollen begfinstigt. Leistungen und Versprechungen des Sports werden heute in veriinderter Weise wahrgenommen. Dazu z~ihlen besonders die Nachfrage nach Gesundheit und Fitness. Hinzu kommt eine ausgepr~igte Kosten-Nut- zen-Abw~igung bei vielen Sportvereinsmitgliedern. Vom Sportverein werden spezifische Dienstleistungen, ein hohes Maf~ an Betreuung und abwechslungsreichen Angeboten in ei- ner attraktiven Infrastruktur erwartet. Aber auch die Erfolgskriterien der Vorst~inde von Vereinen und Verb~inden sind im Wan- del. Sie messen sich daran und werden oft danach beurteilt, wie welt es ihnen gelingt, Mittel fiber Werbung usw. zu beschaffen und die Aufgaben professionell zu bew~iltigen. Abet auch das Streben nach Prestige und Ansehen, nach gr6f~erem Einfluf~, nach Beziehungen und Kontakten mut~ bei solchen Kommerzialisierungs-Bemiihungen in Rechnung gestellt wet- den. Mit solchen Motiven k6nnen etwa Erfolge im Leistungssport, die Expansion des Ver- eins oder der Bau aufwendiger Sportanlagen angestrebt werden. Zu bedenken ist weiterhin die Neigung von Vorstandsmitgliedern, Handlungsmuster aus anderen Lebenszusammen- h~ingen (etwa denen ihres Berufs) auf die Vereinsarbeit zu fibertragen, also fiir den Verein L6sungen z.B. aus 6ffentlichen Verwaltungen oder erwerbswirtschafltichen Betrieben zu fibernehmen. Oft wird auch eine Finanzierung fiber Dritte nur deshalb gew~ihlt, welt diese Ressourcen vermehrt zur Verffigung stehen. Vorhandene Ziele suchen sich nicht ihre Ressourcen, son- dern vorhandene Ressourcen ihre Ziele. Angebotene Werbemittel suchen und gestalten ,ihre" Sportveranstaltung zur Verbesserung eines Firmen- bzw. Produkt-Images. Dabei regt das Beispiel eines Vereins oder einer Veranstaltung, bei denen neue Ressourcen erfolgreich erschlossen werden konnten, andere zur Nachahmung an. Sportverbiinde verfolgen mit ihren Werbekampagnen selbst Vermarktungsstrategien, die viele neue Mitglieder u. U. erst dazu (~ver")fiihren, Sportangebote als abrufbare Ware oder Dienstleistungen zu betrachten. Aus diesen Uberlegungen muff der Schlutl gezogen werden, dal~ die zunehmende Kommer- zialisierung des Sports keineswegs ihre einzige Ursache in den steigenden Kosten des Sport- betriebs bzw. des Wettkampfsystems hat; vielmehr sind Grfinde zu bedenken, die sich nicht notwendigerweise aus den Aufgabenstellungen der Vereine und Verb~inde ergeben.

4 Beeintr~ichtigung sportlicher Grundwerte durch Kommerzialisierung

4.1 Chancengleichheit und kulturelle Vielfalt

In einer traditionellen Deutung ist der Sport ein ideales Modell unserer Leistungsgesell- schaft: Im leistungsorientierten Sport soil der Erfolg allein oder zumindest maf~geblich durch die Leistung bedingt sein. Die Attraktivit~it des Leistungssports besonders ffir junge Menschen h~ingt entscheidend yon diesem Image ab. Diese Gleichheit der Wettbewerbs- und Leistungschancen wird durch Kommerzialisierung beeintr~ichtigt, well einzelne Sportarten, Mannschaften und Athleten unterschiedlich publikums- und damit werbewirksam sind und daraus eine unterschiedliche Finanzkraft er- halten. Dadurch erlangen sie wiederum gfinstigere M6glichkeiten, neue Talente heranzuzie- hen, gute Trainingsbedingungen und wirksame finanzielle Anreize zu bieten, aber auch Stars einzukaufen, die zus~itzliche Zuschauer anziehen. Dies erh6ht ihre Anziehungskraft welter, damit verbessern sie ihre Chancen, h6here Einnahmen zu erzielen, die sie wiederum

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dafiir verwenden k6nnen, attraktiver zu werden und in der Gunst des Publikums und der werbenden Wirtschaft zu steigen. Die Vorlieben der Zuschauer und der Sportler werden zugunsten dieser Sportarten verschoben. Weniger publikumswirksame Sportarten und Mannschaften werden aus eben diesen Griinden immer mehr in ein Schattendasein ge- dr~ngt. Fl~ichendeckende F6rderung junger Sportler verliert ihre Grundlagen, wenn die Reichen aufkaufen, was die Armen noch heranbilden. Ffir Zuschauer mug zwar die Fiktion bestehen bleiben, daf~ der Ausgang eines Wettkampfes often ist; aber alle, die an der Vermarktung des Zuschauens beteiligt sind, haben auch ein Interesse an bestimmten Athleten und Wettkampfbegegnungen, die eine besondere Attrak- tivit~it besitzen. Die Verfiihrung zur Manipulation ist um so gr6t~er, je h6her die Summen sind, die auf dem Spiel stehen. Soll man z. B. den Star ohne weiteres verlieren lassen oder des Platzes verweisen, um dessentwillen die meisten Zuschauer gekommen sind -- nur weil die Regeln das erfordern? Die Vielfalt des Sportangebots ist notwendig, wenn Sport fiir alle often und attraktiv sein soll. Kommerzialisierung kann diese Vielfalt des Sports bedrohen. Inhalte des Freizeit- und Breitensports ebenso wie des Spitzensports, die fiir kommerzielle Anbieter oder die Sport- artikelindustrie wenig Profit versprechen, riicken an den Rand.

4.2 Kultureller Eigenwert

Es geh6rt zu den meistgenannten Wertaussagen fiber den Sport, daf~ er Selbstzweck sei, sei- nen Wert (seinen Sinn) in sich selber trage. Wer im Sport handelt, soll dies nicht fiberwie- gend in der Absicht tun, dadurch etwas anderes zu erreichen, das auch abgel6st vonder sportlichen Handlung einen eigenen Wert haben k6nnte. Prozesse der Kommerzialisierung legen fiir den Athleten eine Sinnverschiebung nahe: Die sportliche Leistung ist so viel wert, wie sie Geld bringt -- und auch der pers6nliche Einsatz kann nach dem in Aussicht gestellten Lohn dosiert werden. Es kommt zu einer Ver~derung in der Bedeutung der Grundwerte des Sports: Sie sind nicht mehr Eigenwert, sondern sie werden zur Marketingstrategie. Nur solange die Ideale des Sports wie Fairnef~, Kameradschaft, Idealismus, pers6nliches Engagement, Unbestech- lichkeit, Gleichheit verwirklicht erscheinen, nur solange der Sport sein positives Image als ,sch6nste Nebensache der Welt" beh~ilt, besitzt er ffir die Wirtschaft einen besonderen Wer- bewert. So dr~ingt gerade die Wirtschaft auf die Einhaltung sportlicher Grundwerte: Aller- dings ist dieser ,code of ethics" kein Eigenwert des Sports mehr, sondern entwickelt sich zu einem Marketingwert, mit dem sich fiir eigene Produkte besonders gut werben l~il3t. Eine Fair-play-Kampagne wird zwar aggressives Verhalten der Fans in der Westkurve nach allen Erkenntnissen kaum beeinflussen k6nnen, aber der Offentlichkeit wird deutlich gemacht, wie gut der Sport ist (oder doch sein m6chte), und dieses Image l~iBt sich bestens vermark- ten.

4.3 Kfrperliche Unversehrtheit

Die physischen und psychischen Belastungen werden fiir die Athleten extrem steigen. Die Zahl der Wettk~impfe vergr6Bert sich unter dem Druck kommerzieller Interessen rapide; die Erholungszeiten werden immer kfirzer. Der Athlet nimmt trotz leichter Verletzungen an Wettk~impfen teil, um w~ihrend der relativ kurzen Zeit seiner H6chstform m6glichst viel

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Geld verdienen zu k6nnen. Die Natur wird tiberfordert. Vor allem Mikroverletzungen werden in den zu kurzen Erholungs- und Wiederaufbauphasen nicht ausreichend ausgeheilt. Damit w~ichst das Risiko, dat~ der Schaden sich vergr6f~ert, u. U. chronisch wird. Zu be- ftirchten ist eine Zunahme von Dopingmai~nahmen aus finanziellen Erw~igungen, weiter eine ErhShung der Risiken bei Wettk~impfen, um ihre Attraktivit~it zu verbessern.

4.4 Die Vorbildwirkung des Sports

Bekannte Sportler k6nnen durch die Ernsthaftigkeit und Glaubwtirdigkeit ihres Engage- ments im und ftir den Sport und dutch ihre Freude und innere Befriedigung Vorbilder sein. Nur dieses Vorbild kann einen Eigenwert des Sports verdeutlichen. Die Kommerzialisie- rung kann zu einer ernsten Gefahr ftir diese Vorbildwirkung im Sport werden. Wenn es den Anschein haben kann, daf~ mit Einsatz und Erfolg im Sport auch die materiellen Ertr~i- ge wachsen, wird zweifelhaft, woftir man sich im Sport einsetzt und was letztlich Kriterium des Erfolgs ist. Der Hochleistungssport wurde lange Zeit damit gerechtfertigt, dalg er fiir den Breitensport eine Vorbildfunktion besitze. So konnte sich auch die Einheit des Sports in einem Pyrami- denmodell ausdrticken, in dem Breitensport und Leistungssport organisch miteinander ver- kntipft waren. Mit einer Entwicklung, in der der Hochleistungssport immer mehr zu einem professionell betriebenen, kommerziell bestimmten Schau-Gesch~ift wird, mug er auch sei- ne Rechtfertigung als Vorbild und ,Lokomotive ~ ftir den Breitensport verlieren, zumal mit einer Verlinderung der Struktur der Sporttreibenden auch ein an Leistungsoptimierung aus- gerichtetes Sportkonzept an Anziehungskraft verliert.

4.5 Fairnefl

Fairnet~ ist unter den Bedingungen eines kommerzialisierten und professionalisierten Lei- stungssports nicht mehr vorrangig als Problem der Anwendung k6rperlicher Gewalt und m6glicher K6rperverletzungen im Wettkampf zu verstehen; da k6rperliche Unversehrtheit das entscheidende Betriebskapital des Athleten ist, wird ihre Achtung Bestandteil eines Be- rufsethos, an dessen Einhaltung jeder auch ein Eigeninteresse hat. Fairnef~ wird vielmehr zu einem Problem der Beziehung und des Verh~ilmisses zwischen beruflichen Partnern und Konkurrenten: Wie verhalte ich mich gegentiber einem Teamkameraden, yon dem ich weif~, daf~ er 20 000 DM im Mona mehr als ich verdient oder umgekehrt? Soil ich ihm ,Berufsgeheimnisse ~ an- vertrauen, etwa Trainingstechniken, Medikamente, Tricks usw., die mir einen Leistungs- vorteil er6ffnen? Soll ich ftir den sportlichen Erfolg wichtige sportwissenschaftliche Er- kennmisse gegeniiber dem Konkurrenten etwa aus einem anderen Land geheimhalten -- was deutlich gegen unser Wissenschaftsethos verstiege? Dtirfen Kenntnisse tiber den Ver- stof~ gegen sportliche Regeln -- etwa die Anwendung von Doping -- vertraulich behandelt werden, und wie ist mit demjenigen zu verfahren, der tiber unerlaubte Praktiken 6ffentlich spricht?

5 Ver/inderungen in der Organisation

5.1 Einheit und Selbstbestimmung des Sports

Die Grundlage einer vielgestaltigen Entwicklung unterschiedlicher Sportarten, Sportinhal-

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te, Sportziele und Sportgrunds~itze schafft die Voraussetzungen fiir ein bewut~tes, verant- wortungsvolles Miteinander anstelle einer die Sportorganisation schw~ichenden Konkur- renz. Diese Einheit wird zunehmend bedroht. Es kommt unvermeidlich zu einer Aufspal- tung des Sports in Profi- und Berufssport einerseits, Breiten- und Freizeitsport andererseits. Diese beiden Bereiche sind durch ein je eigenes Verst~indnis von Sport, durch eigene Sport- ideologien, durch eine eigene Art, Sport zu treiben und zu organisieren, und damit durch einen unterschiedlichen Aufforderungscharakter fiir verschiedene Personengruppen ge- kennzeichnet. Es kommt zu einer Spaltung der Organisation des Sports: Der Hochlei- stungsprofisport wird nicht mehr (ausschliefflich) von Sportverb~inden selbst organisiert. Wirtschaftsunternehmen, Agenturen, z.T. auch kommerziell ausgerichtete Tochtergesell- schaften von Verb~inden und Vereinen iibernehmen die Organisation von Sportveranstal- tungen und Wettk~impfen. Solche T6chter und kommerzielle Unternehmen entwickeln da- bei eine Eigendynamik und entziehen sich dem gestaherischen Willen der Verb~inde. Damit vertiert der Sport sein entscheidendes Monopol, iiber das er verfiigt und mit dem er seine Einheit sichern kann: das Monopol, Wettk~impfe zu organisieren und hber ihre Gestahung zu bestimmen. Der Sport begibt sich in die Hand einer externen Finanzierung; der Erfolg wird davon ab- h~ingig, ob Firmen finanzielle Mittel, Dienstleistungen oder andere Unterstiitzungen zur Verfiigung stellen. Solche F6rderung aber erfolgt unter nicht-sportbezogenen Kriterien, wird unter wirtschaftlichen Interessen gewiihrt, ist bestimmt von Marketingstrategien. Sport muf~ als attraktives Unterhahungsprogramm gestaltet werden, um m6glichst viele Zu- schauer anziehen zu k6nnen und damit fiir die werbende Wirtschaft interessant zu sein. Diese Bedingungen mLissen kiinstlich geschaffen werden. Es werden nicht nur Absprachen zwischen den sportlichen Konkurrenten n6tig, die einen offenen Wettkampf sichern, son- dern auch Festlegungen iiber Zeit, Ort, die einzusetzenden Athleten, H~ufigkeit der Wett- k~impfe, Verteilung der Spielerqualit~iten usw. Sportliche Regeln werden unter 6konomi- schen Interessen gestaltet. Die Erfordernisse des Fernsehens diktieren zunehmend den Zeitplan der Wettk~impfe. In Seoul findet z. B. kein Endkampf nach 17 Uhr statt, also zu einer Zeit, in der in Los Angeles 29 und in Moskau 36 Endk~impfe durchgefiihrt wurden; demgegeniiber finden 23 am Vor- mittag statt zu einer Zeit also, zu der in Los Angeles nur zwei und in Moskau kein Wett- kampf durchgefiihrt wurde.

5.2 Die Ehrenamtl ichkei t im Sport

Auch f~r die Ehrenamtlichkeit entstehen Gef~ihrdungen. Zum einen werden ehrenamtliche Mitarbeiter oft weder die Zeit noch die fachliche Kompetenz besitzen, das Vermarktungsge- sch~ift durchzufLihren. Vereine sind auf die Kompetenz ihrer Mitglieder beschr~inkt, k6nnen im ehrenamtlichen Bereich niemanden ~von auf~en ~ berufen, wie dies in Betrieben selbst- verst~indlich ist. Der Zwang zur Hauptamtlichkeit wird vor allem bei Grof~vereinen wach- sen. Zum anderen: Viele Ehrenamtliche haben ihre T~itigkeit aus einer sozialen Verpflich- tung, aus einer p~idagogischen Verantwortung, aus einem Engagement fhr den Sport heraus erfiillt. Es ist nicht auszuschlief~en, daf~ dieses Engagement abnehmen wird, wenn den Eh- renamtlichen deutlich wird, dal~ sie sich nicht mehr (allein) fhr den Sport engagieren, son- dern fiir einen Dienstleistungsbetrieb, der sich immer mehr nach dem Grundsatz der Ge- winnmaximierung vermarktet.

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6 Einfliisse Dritter

Der Sport mug sich in zunehmendem Umfang gegeniiber anderen gesellschaftlichen Da- seinsbereichen und Entwicklungen 6ffnen, die sich aut~erhalb des Sports vollziehen. Die In- teressen von Sport und Wirtschaft hberlagern sich. F~ir Touristikunternehmen wird der Sport attraktives Angebotselement. Neue wissenschaftliche Erkennmisse und Technologien bestimmen, wie Sport ausgeiibt wird. Sport steht im Dienst therapeutischer Aufgaben; An- spriiche verschiedener Interessengruppen an Umweltnutzung kollidieren immer hiirter mit seinen Anliegen und Aufgaben; die Abh~ingigkeit vom internationalen Sportgeschehen w~ichst, die Sportentwicklung kann immer weniger allein national gestaltet werden. Der DSB ist nicht mehr Sachwaher des ganzen Sports: Kirchen, politische Parteien, Gemeinden, Organisationen kommerzieller Sportanbieter, Volkshochschulen sowie Medien machen dieses Monopoi streitig. Das Erscheinungsbild des Sports wird vielf~ihiger, aber auch diffuser; es verschwimmen die Grenzen zu anderen Formen von K6rperausdruck und K6rperbewegung -- etwa auf der einen Seite zu Tanz, Theater, auf der anderen Seite zu K6rpermeditation, Yoga, autogenem Training, Tanztherapie, Eutonie. Ebenso werden die Grenzen zu anderen Formen des Frei- zeitverhaltens und der Urlaubsgestaltung, in denen Erholung, Entspannung, Geselligkeit, Unterhahung, Bildung, Spiel und Abwechslung gesucht werden, unscharf. Vermutlich wird durch diese Entwicklungen der Sport st~irker als durch eine Kommerziali- sierung ver~ndert. So k6nnen sich Inhalte, Grundwerte und die organisatorische Verfassung des Sports durch Kommerzialisierung und andere Einfliisse Dritter ver~indern. Diese Ver~inderungen miissen nicht zwangsl~iufig eintreten; sie sind auch mit den Vorteilen einer Kommerzialisierung zu vegleichen und abzuw~igen. Im iibrigen kann sich in einer Gesellschaft, in der der Markt zentrale und unbestritten positive Bedeutung fiir die Gestaltung des Wirtschaftlebens be- sitzt, der Sport dessen Sogkraft nicht entziehen. Unerliifllich aber ist, dal~ sich die Entschei- dungstr~iger stets Klarheit iiber solche nicht-intendierten Folgeerscheinungen verschaffen und in ihr Handeln einbeziehen.

7 Konsequenzen und Empfehlungen

Wie die vorausgehende Darstellung zeigt, entstehen im Sport in rascher Folge neue Proble- me, die auch die Rahmenbedingungen fiir die Gemeinni.itzigkeit des Sports beriihren. Die- ser Wandlungsprozef~ wird durch eine Vielzahl von Entscheidungen auf allen Ebenen des Sports produziert, beeinflut~t und weitergetrieben. Dabei werden oft die vielfShigen Konse- quenzen von Entscheidungen nicht beachtet, die Fernwirkungen nicht beriicksichtigt. Dies gilt besonders f/ir die Vorgehensweisen und nicht-intendierten Folgeerscheinungen, die von den Dachorganisationen (dem DSB und den Spitzenverb~inden) ausgehen. Bei allen Maf~nahmen miissen die unbeabsichtigten Wirkungen besonders auf den Sportverein be- dacht werden. Antworten auf die Fragen, was vom Verein leistbar ist, was es im Verein bewirkt, wenn so entschieden, so gehandeh wird, oder was die Konkurrenten des Vereinssports st~irkt, lie- fern Kriterien, die bei allen Entscheidungen eingebracht werden sothen. Kosten-Nut- zen-Analysen finden bier ihren zentralen Ankniipfungspunkt. Die oft verbreitete Meinung, ohne Geld von Dritten k6nne heute kein Verein mehr existieren, mug nachdriicklich 6f- fentlich zu~ckgewiesen werden.

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Page 10: Kommerzialisierung und Einflüsse Dritter

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Nur so k6nnen die Vereine auf Dauer ihre Unabh~ingigkeit selbst verteidigen. Vor dem Hintergrund der rasch ansteigenden wirtschaftlichen Einfliisse auf den Sport muf~ die Dis- kussion um eine Definition des Sports, um die Fragen seiner (Selbst-)Begrenzung und Identi- t~it intensiviert werden. Es gilt, das Kulturgut Sport gegen eine einseitige Deutung als Wirt- schaftsgut zu verteidigen, Fehlentwicklungen auszugrenzen. Wo~r der Sport Sachwalter sein, welchen Grundwerten er sich verpflichtet fiihlen will, muf~ er selbst in einer internen Diskussion bestimmen. Dabei gilt es, auch die gesellschaftlichen Beweggriinde fiir die Kommerzialisierung offenzu- legen und mittels der tradierten Normen des Sports zu bewerten. Die internationalen Einfl~se auf den Sport hierzulande ebenso wie die Vermarktung der Olympischen Spiele als Lokomotive vergleichbarer Tendenzen bei uns mi~ssen kritisch beurteih werden. Eine wissenschaftliche Aufarbeitung dieser Entwicklung fehlt bisher. Die Forschung ist aufzufordern, rasch fundierte Erkenntnisse iiber die Konsequenzen einer Kommerzialisierung vorzulegen und gesicherte Entscheidungsgrundlagen zu schaffen. Traditionelle Finanzressourcen des Sports drohen zu versiegen. Schon jetzt stelh sich mit zunehmendem Gewicht die Frage, ob 6ffentliche Zuschhsse nicht gezielter und mit mehr Auflagen als bisher gew~ihrt werden miissen. (Tendenz: Mittelumschichtung zur F6rderung ,bediirftiger" Bereiche, z. B. des Breiten- und Jugendsports oder anderer politisch wichtiger, vielleicht aber ~unattraktiver ~ Bereiche oder Sportarten.) Die Legitimierbarkeit 6ffentlicher Sportf6rderung wird angesichts der faktischen Kommer- zialisierungs-Programme und ihrer einseitigen und iibertriebenen, aber nicht wirksam rela- tivierten Darstellung in den Medien immer schwieriger. Neue, die gegenw~irtigen Entwick- lungslinien einbeziehende Begriindungszusammenh~inge miissen erarbeitet werden. Die Sportorganisationen miissen veranlaf~t werden, neben der horizontalen Solidarit~it (der Sportarten untereinander) auch die vertikale Solidarit~t innerhalb der Verb~inde durchzuset- zen. Einnahmen aus Spitzenveranstahungen miissen z. B. auch ~ r die Jugend- und Nach- wuchsarbeit freigesetzt werden. Bedrohlich fiir die Zukunft des Sports werden die zunehmenden wirtschaftlichen Verpflich- tungen, wenn als Hintergrund weniger giinstige wirtschafltiche Szenarien angenommen werden miissen. Sponsoren fiir den Sport lassen sich schon jetzt in wirtschaftlichen Krisen- gebieten nur schwer finden. Die langfristige Absicherung des Sports und seine Unabh~ingig- keit mhssen gew~ihrleistet werden. Ausgehend vonder Voraussetzung, dat~ die Sportorganisationen steuerungsf~ihig sind, ergibt sich die Forderung nach der Professionalisierung des Personals. Ehrenamtliche Entschei- dungstr~iger sind auch unter dem Aspekt auszuw~ihlen, welche Kompetenz sie fiir die Beur- teilung der dargestelhen Entwicklungsprozesse besitzen. Wissenschaftliche Beratung -- ge- biindelt in einer Abteilung Okonomie-Beratung im DSB -- k6nnte wesentlich zur Bew~ilti- gung dieser Probleme beitragen.

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