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Finanz- und Wirtschaftspolitik Dritter Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen

Dritter Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen

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Page 1: Dritter Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen

F i n a n z - u n d W i r t s c h a f t s p o l i t i k

Dritter Bericht zur Tragfähigkeitder öffentlichen Finanzen

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Dritter Bericht zur Tragfähigkeitder öffentlichen Finanzen

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Inhalt Seite 3

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 5

I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 7

1.1 Konzeptioneller Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 7

1.2 Ökonomische Bedeutung tragfähiger öffentlicher Finanzen . . . . . . . . . . . . Seite 9

1.3 Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 10

1.4 Mögliche Risiken für die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen . . . . . . . Seite 11

1.4.1 Auswirkungen der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 11

1.4.2 Herausforderungen durch den demografischen Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 13

1.4.3 Sonstige Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 16

II. Modellrechnungen zur langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen

Finanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 17

2.1 Erläuterungen zur Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 17

2.1.1 Messkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 17

2.1.2 Tragfähigkeitsindikatoren der EU-Kommission („sustainability gaps“) . . Seite 18

2.2 Annahmen der Modellrechnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 20

2.3 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 23

2.3.1 Basisvarianten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 23

2.3.2 Alternative Varianten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 29

2.4 Internationaler Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 35

2.5 Rückblick: Entwicklung der Tragfähigkeitslücken im Zeitablauf . . . . . . . . Seite 40

Page 6: Dritter Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen

Seite 4 Inhalt

III. Die Rolle der Politik bei der Sicherung tragfähiger

öffentlicher Finanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 43

3.1 Leitlinien einer Politik für tragfähige öffentliche Finanzen . . . . . . . . . . . . . . Seite 43

3.2 Ansatzpunkte in der Finanzpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 44

3.2.1 Nationale Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 44

3.2.2 Europäische Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 49

3.3 Ansatzpunkte in anderen Politikfeldern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 52

3.3.1 Wachstum und Beschäftigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 52

3.3.2 Zuwanderungspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 54

3.3.3 Bildungs- und Innovationspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 55

3.3.4 Systeme der sozialen Sicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 56

3.3.5 Familienpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 57

IV. Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 58

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 60

Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 61

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Dritter Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen Seite 5

Liebe Leserinnen

und Leser,

uns allen hat die Finanzmarkt- und Wirt-schaftskrise vor Augen geführt, wie wich-tig ein handlungsfähiger Staat ist. DieBundesregierung konnte durch ihr ent-schlossenes Handeln dazu beitragen, dassDeutschland besser durch die Krise ge-kommen ist als viele andere Länder. Aller-dings hatten die stabilisierenden Maß-nahmen auch ihren Preis: Der Schulden-stand der Bundesrepublik Deutschland istsprunghaft in die Höhe geschnellt. Umsomehr gilt es, die Solidität der öffentlichenFinanzen sicherzustellen, indem wirnachhaltig konsolidieren und zugleichdie Weichen für die Zukunft richtig stel-len.

Dabei kommt der langfristigen Tragfä-higkeit der öffentlichen Finanzen beson-dere Bedeutung zu. Im übertragenen Sinnerinnert der Begriff der Tragfähigkeit anden Bau eines Hauses: Nur wenn das Ge-bäude auf einem soliden Fundamentsteht, ist gewährleistet, dass die gesamteStruktur das Haus auch langfristig trägt.

Vorwort

Tragfähig sind öffentliche Finanzen,wenn der Staat seinen finanziellen Ver-pflichtungen – beispielsweise in den Be-reichen Rente, Arbeitsmarkt, Gesundheit,aber auch für die Zins- und Personalaus-gaben – langfristig nachkommen kann.Nur wenn dies gegeben ist, bleibt derStaat handlungsfähig und bleibt das Ver-trauen von Finanzmarktteilnehmern, In-vestoren und nicht zuletzt der Bürgerin-nen und Bürger in unsere Soziale Markt-wirtschaft erhalten.

Mit dem vorliegenden Dritten Berichtzur Tragfähigkeit der öffentlichen Finan-zen informiert das Bundesministeriumder Finanzen die Öffentlichkeit über dielangfristige Entwicklung der öffentlichenFinanzen bis zum Jahr 2060. Die Rolle die-ses Berichts ist am besten mit der einesFrühwarnsystems zu vergleichen: Die Er-gebnisse der Modellrechnungen zeigen,in welchem Ausmaß bereits heute Hand-lungsbedarf besteht, um die Solidität deröffentlichen Finanzen sicherzustellen.

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Seite 6 Vorwort

Der Bericht macht deutlich, dass sichdie Tragfähigkeit der öffentlichen Finan-zen – nicht zuletzt aufgrund der Auswir-kungen der Finanzmarkt- und Wirt-schaftskrise – im Vergleich zum ZweitenTragfähigkeitsbericht von 2008 ver-schlechtert hat. Dennoch sind wir inDeutschland auf einem guten Weg. Ver-glichen mit letztem Jahr ist bereits wiedereine erste Verbesserung der Tragfähigkeitzu verzeichnen. Sowohl die neu im Grund-gesetz verankerte Schuldenregel als auchdie erfolgreich begonnene wachstums-freundliche Konsolidierung stehen imEinklang mit den Vorgaben des Europäi-schen Stabilitäts- und Wachstumspaktesund werden maßgeblich dazu beitragen,die Schuldenstandsquote weiter sinken zulassen.

Allerdings besteht kein Anlass, sich mitdem bisher Erreichten zufrieden zu ge-ben. Ganz im Gegenteil: Es wird in Zu-kunft darum gehen, die grundgesetzlicheSchuldenregel dauerhaft und verlässlicheinzuhalten und gleichzeitig die Voraus-setzungen für Wachstum und Beschäfti-gung in Deutschland weiter zu verbes-sern. Die Botschaft des vorliegenden Trag-fähigkeitsberichts ist eindeutig: Wir kön-nen die Herausforderungen von morgenbewältigen, wenn wir bereits heute auchunbequeme Schritte einleiten, für die derBericht konkrete Ansatzpunkte nennt.

Dr. Wolfgang SchäubleBundesminister der Finanzen

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Dritter Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen Seite 7

Mit dem Dritten Bericht zur Tragfähigkeitder öffentlichen Finanzen führt dasBundesministerium der Finanzen (BMF)seine Berichterstattung der Jahre 2005und 2008 fort. Der Bericht trägt dazu bei,dass langfristige Herausforderungen fürdie öffentlichen Haushalte besser wahrge-nommen werden und in die politischeMeinungsbildung einfließen. Um politi-sche Entscheidungen zur Sicherung trag-fähiger öffentlicher Finanzen auf einefundierte und nachvollziehbare Basis zustellen, ist es notwendig, sowohl die künf-tige finanzpolitische Entwicklung alsauch die Wirksamkeit von Reformen undReformoptionen so gut wie möglich abzu-schätzen. Das BMF hat daher unabhän-gige Wirtschaftswissenschaftler mit denModellrechnungen beauftragt, die die-sem Bericht zugrunde liegen.1

Das Einhalten der neuen, im Grundge-setz verankerten Schuldenregel wird inden Modellrechnungen nur bis zum Jahr2015 unterstellt. Dies geschieht mit derAbsicht, den Handlungsbedarf offen zu le-gen, der zur langfristigen Sicherung soli-der Staatsfinanzen besteht. Dadurch wirdzudem deutlich, dass weitere politischeEntscheidungen zur Konsolidierung derHaushalte erforderlich sind, um die Schul-denregel auch in Zukunft einhalten zukönnen. Risiken für die Tragfähigkeit deröffentlichen Finanzen bergen beispiels-weise der starke Anstieg des Schulden-

I. Einführung

standes, den nicht zuletzt die Finanz-markt- und Wirtschaftskrise mit sich ge-bracht hat, aber auch andere langfristigeHerausforderungen, wie insbesondereder demografische Wandel, der sich spür-bar auf die künftige Entwicklung der öf-fentlichen Finanzen auswirken wird.

1.1 Konzeptioneller Hinter-grund

Das Konzept der Tragfähigkeit der Staats-finanzen hat die langfristige Entwicklungder öffentlichen Haushalte im Blick. Dabeigeht es vor allem um die Frage, ob Sozial-,Wirtschafts- und Finanzpolitik dauerhaftso fortgeführt werden können wie bisher,oder ob politischer Handlungsbedarf be-steht, um den Anstieg der Staatsverschul-dung aufzuhalten bzw. umzukehren. Eshandelt sich somit um ein Konzept, dasdie Nachhaltigkeit (engl. „sustainability“)der Politik unter finanzpolitischen Ge-sichtspunkten bewertet.

Verantwortungsvolle Finanzpolitikmuss deshalb weit in die Zukunft rei-chende Wirkungszusammenhänge be-rücksichtigen, um mögliche Fehlentwick-lungen früh genug zu erkennen und dem-entsprechend rechtzeitig gegensteuernzu können. Um zu bewerten, ob die Finan-zen eines Staates tragfähig sind, sollteeine Vielzahl von Parametern in den Blick

1. Prof. Martin Werding, Ruhr-Universität Bochum, in Kooperation mit dem ifo-Institut, München.

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Seite 8 Einführung

genommen werden.2 So spielt beispiels-weise – neben der zukünftigen wirtschaft-lichen Entwicklung – die Struktur derstaatlichen Ausgaben eine wichtige Rolle.Für eine sorgfältige Beurteilung ist es da-her erforderlich, eine möglichst umfas-sende Analyse der zukünftigen Entwick-lung der Staatsfinanzen vorzunehmen –so wie es mit den Modellrechnungen indiesem Bericht geschieht.

Der vorliegende Bericht analysiert dieöffentlichen Haushalte insgesamt, alsodie Haushalte von Bund, Ländern, Ge-meinden und den Sozialversicherungen.Nur wenn alle staatlichen Ebenen ihren fi-nanziellen Verpflichtungen – beispiels-weise in den Bereichen Rente, Arbeits-markt, Gesundheit, aber auch für Zins-und Personalausgaben – langfristig nach-kommen können, ist die Tragfähigkeit derFinanzpolitik gewährleistet.

Die Berechnungen umfassen den Zei-traum von 2010 bis 2060, reichen also weitin die Zukunft. Die Ergebnisse der Modell-rechnungen sind dabei keine Prognosen,sondern sie veranschaulichen die hypo-thetische Entwicklung der staatlichen Fi-nanzen unter der Annahme, dass die bis-herige Politik unverändert beibehaltenwird. Damit kommen die Berechnungeneinem Frühwarnmechanismus gleich:Die auf dieser Grundlage ermittelten Indi-katoren geben Auskunft darüber, in wel-chem Ausmaß bereits heute weitere Maß-nahmen notwendig sind, um die Tragfä-higkeit der öffentlichen Finanzen lang-fristig sichern zu können. Bei der Interpre-tation der Ergebnisse ist große Sorgfalt er-forderlich (vgl. Kasten 1).

2. Vgl. Jahresgutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichenEntwicklung 2010/11, Tz 336. Abrufbar unter: http://www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de.

Kasten 1:

Zur Aussagekraft von Tragfähigkeitsanalysen

„Die Beurteilung der Nachhaltigkeit bestimmter ökonomischer Aktivitäten und Politi-ken erfordert eine nicht ganz unbedeutende Ausweitung der Perspektive: Bei Fragen derNachhaltigkeit verlassen wir die auf unverrückbaren Fakten beruhende Berichterstattungüber den derzeitigen Zustand und begeben uns auf das Gebiet von Projektionen in die Zu-kunft. Dies ist nicht mit der Prognose zukünftiger Entwicklungen gleichzusetzen, da Pro-gnosen eine Annahme über die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Ereignisse beinhalten. DieDiskussion der Nachhaltigkeit hingegen befasst sich mit den Konsequenzen einer dauer-haften Fortschreibung gegenwärtiger Aktivitäten und Entscheidungen in die Zukunft.Demzufolge sind Aussagen zur Nachhaltigkeit „was wäre, wenn“-Aussagen, die möglicheKonsequenzen eines bereits eingeschlagenen Aktionspfades beschreiben.“

Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und Conseil d’Analyseéconomique: Expertise „Wirtschaftsleistung, Lebensqualität und Nachhaltigkeit: Ein umfassendes Indikato-rensystem“ (Dezember 2010), S. 107.

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Dritter Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen Seite 9

Aufgrund des langen Projektionshori-zonts sind Tragfähigkeitsberechnungenmit erheblichen Unsicherheiten behaftetund können somit nur Modellcharakterhaben. Um das deutlich zu unterstrei-chen, kommen in diesem Bericht zwei Ba-sisvarianten zum Einsatz: Die „VarianteT–“ ist von einem durchgängigen Pessi-mismus getragen, während die „VarianteT+“ durchgängig optimistische Annah-men enthält. Zusammen genommen be-schreiben die beiden Varianten einenKorridor möglicher künftiger Entwicklun-gen, ohne dass die dahinter stehendenSzenarien als extrem erscheinen. So wirdes möglich, Risiken und Chancen für dieSicherung langfristig solider Staatsfinan-zen aufzuzeigen, ohne den Blick von vorn-herein auf eine mehr oder minder willkür-lich ausgewählte Linie zu verengen. Kom-plettiert wird die Darstellung der beidenBasisvarianten von Alternativrechnun-gen, die den Einfluss abweichender An-nahmen und Berechnungsansätze veran-schaulichen.

1.2 Ökonomische Bedeu-tung tragfähiger öffent-licher Finanzen

Solide öffentliche Finanzen garantierendie Handlungsfähigkeit des Staates. Sohat beispielsweise die Finanzmarkt- undWirtschaftskrise gezeigt, dass ein Staat,der in schlechten Zeiten finanzielle Spiel-räume besitzt, durch entschlossenes Han-deln dazu beitragen kann, die wirtschaft-liche Entwicklung zu stabilisieren. Aberauch in guten Zeiten sind solide Staatsfi-nanzen unerlässlich, um beispielsweisewichtige Zukunftsinvestitionen finanzie-ren zu können, etwa in den Bereichen Bil-dung und Forschung. Wenn dagegen einsteigender Schuldenstand dazu führt,

dass die Ausgaben für den Zinsendienstvon Jahr zu Jahr größeren Raum einneh-men, dann schränkt dies den Handlungs-spielraum des Staates zunehmend ein. Indiesem Zusammenhang müssen auch diewichtigsten Ausgabenbereiche des Staa-tes regelmäßig auf ihre Effizienz und aufihre dauerhafte Finanzierbarkeit hinüberprüft werden.

Tragfähige Staatsfinanzen bringenauch wichtige Vertrauenseffekte mitsich: Wenn beispielsweise die Finanz-märkte darauf vertrauen, dass ein Staatein zuverlässiger und leistungsfähigerSchuldner ist, dann sind sie bereit, diesemStaat zu vergleichsweise günstigen Kondi-tionen Geld zu leihen. Die Schuldenlast istdann deutlich geringer als bei einemStaat, dem weniger Vertrauen entgegengebracht wird und der infolgedessen Zins-aufschläge in Kauf nehmen muss. Darü-ber hinaus wirkt sich die Erwartung vonBürgern und Unternehmen, dass ein Staatauch in Zukunft handlungsfähig seinwird, positiv auf Investitionen und Kon-sum aus. Zweifel an der Solidität derStaatsfinanzen können dagegen sowohlbei Unternehmen als auch bei Konsumen-ten zu einem zögerlichen, abwartendenVerhalten führen und damit das Wirt-schaftswachstum dämpfen. Daher ist esim ureigenen Interesse eines jeden Staa-tes, mit einer umsichtigen und voraus-schauenden Fiskalpolitik dafür zu sorgen,dass erst gar keine Zweifel an seiner dau-erhaften Solidität aufkommen.

Zwischen einer soliden Haushaltsfüh-rung und einem dauerhaften Wirt-schaftswachstum bestehen wichtigeRückkopplungseffekte: Einerseits ist„gute“ Finanzpolitik eine wichtige Vor-aussetzung für dauerhaft günstigeWachstums- und Beschäftigungsbedin-gungen. Umgekehrt gilt aber auch: An-haltendes Wirtschaftswachstum und eindamit einhergehender Beschäftigungsan-

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Seite 10 Einführung

stieg schaffen die besten Voraussetzun-gen für solide finanzierte öffentlicheHaushalte. Entscheidend ist dabei unteranderem die so genannte Schulden-standsquote, also der Schuldenstand desStaates im Verhältnis zum nominalenBruttoinlandsprodukt. Sie zeigt an, wiehoch die Last, die ein Staatshaushalt zutragen hat, relativ zur Wirtschaftskraftdes Landes ist. Ein Anstieg des Schulden-stands ist nur dann grundsätzlich unpro-blematisch, wenn die Wachstumsrate desSchuldenstands dauerhaft unterhalb derWachstumsrate der Wirtschaftskraftbleibt. Die Schuldenstandsquote sinkt da-durch langfristig auf ein tragbares Ni-veau.

1.3 Ausgangslage

Die Finanzmarkt- und Wirtschaftskrisehat sich in fast allen Industriestaatenspürbar auf die öffentlichen Finanzen aus-gewirkt. Sowohl der öffentliche Schulden-stand als auch das Staatsdefizit haben sichnicht nur in Deutschland im Verlauf derKrise erheblich ausgeweitet. Gleichzeitigist die Frage der Tragfähigkeit der Staatsfi-nanzen sowohl bei der Bewertung derKreditwürdigkeit von Staaten als auch inder öffentlichen Wahrnehmung in denFokus gerückt. Ein weiterer Anstieg derSchuldenstandsquote – ausgehend vondem bereits sehr hohen Niveau – ist unterdem Gesichtspunkt der Tragfähigkeitnicht mehr hinnehmbar.

Deutschland befindet sich nach wievor in einem Wirtschaftsaufschwung.Die günstige konjunkturelle Entwicklunghat auch unmittelbare Auswirkungen aufdie staatlichen Einnahmen und Ausgabenund erleichtert so den Konsolidierungs-prozess. Allerdings kommt es gerade inwirtschaftlich guten Zeiten darauf an, inder Finanzpolitik möglicherweise folgen-

schwere Fehler zu vermeiden. Vielmehrgilt es, die wachstumsorientierte struktu-relle Konsolidierung des Haushalts voran-zutreiben und eine strikte Ausgabendiszi-plin beizubehalten. Deshalb sollten kon-junkturell bedingte Verbesserungen deröffentlichen Haushalte zur Senkung derNeuverschuldung eingesetzt werden. Ins-besondere in wirtschaftlich guten Zeitengilt es, die Haushalte konsequent zu kon-solidieren.

Aus finanzpolitischer Sicht markiertdas Jahr 2011 einen Wendepunkt. Zum ei-nen kam erstmals bei der Aufstellung desBundeshaushalts 2011 die im Grundgesetzverankerte neue Schuldenregel zur An-wendung, die einen zentralen Beitrag zurSicherung tragfähiger öffentlicher Finan-zen leistet. Zum anderen mussten die zurKrisenbewältigung ergriffenen konjunk-turstützenden Maßnahmen zurückge-führt werden, ohne gleichzeitig dasWachstum zu dämpfen. Die Schuldenre-gel folgt der Einsicht, dass weder Ausga-benerhöhungen noch Steuersenkungendauerhaft über Kreditaufnahme finan-ziert werden dürfen. Damit zielt die neueRegel auf anhaltende strukturelle Haus-haltsverbesserungen ab. Vor diesemHintergrund hat die Bundesregierung einBündel von Maßnahmen ergriffen, um dieöffentlichen Finanzen nachhaltig zu sa-nieren. Dabei steht die wachstums-freundliche Konsolidierung im Vorder-grund, denn es wäre verfehlt, Konsolidie-rungsmaßnahmen zu ergreifen, die miteiner Schwächung der wirtschaftlichenLeistungsfähigkeit einhergehen. Daherhat die Bundesregierung bei der Auswahlihrer Konsolidierungsmaßnahmen in ih-rem haushaltspolitischen „Zukunftspa-ket“ den Schwerpunkt auf wachstums-freundliche Politik gelegt. Dies zeigt sichunter anderem in der Priorität für Ausga-ben im Bereich Bildung und Forschung.

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Dritter Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen Seite 11

Die konjunkturelle Erholung und dieersten Erfolge der Konsolidierungspolitikwerden im Haushaltsvollzug des Bundes2011 sichtbar. So wird es der Bundesregie-rung im laufenden Jahr voraussichtlichgelingen, die tatsächliche Neuverschul-dung des Bundes auf eine Größenord-nung von rund 30 Mrd. € zu reduzieren(Soll 2011: 48,4 Mrd. €). Die konsequenteEinhaltung eines wachstumsorientiertenKonsolidierungskurses bleibt auch in Zu-kunft die wesentliche wirtschafts- und fi-nanzpolitische Aufgabe.

1.4 Mögliche Risiken für die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen

Bis vor einigen Jahren wurden Risiken fürdie Tragfähigkeit der Staatsfinanzenhauptsächlich im Zusammenhang mitden Herausforderungen durch den demo-grafischen Wandel gesehen. Die Auswir-kungen der Krise haben jedoch nach-drücklich verdeutlicht, dass auch der er-reichte Schuldenstand und die Haushalts-situation am aktuellen Rand die langfris-tige Solidität der Staatsfinanzen gefähr-den können.3

1.4.1 Auswirkungen der

Finanzmarkt- und

Wirtschaftskrise

Die öffentlichen Finanzen in Deutschlandwurden durch die Krise erheblich in Mit-leidenschaft gezogen. Dabei wurden dieAuswirkungen sowohl auf der Einnah-menseite als auch insbesondere auf derAusgabenseite sichtbar. In der Rezessiongingen die Steuereinnahmen deutlich zu-rück, dagegen stiegen die Ausgaben bei-spielsweise im Bereich der Arbeitslosen-versicherung stark an. Zudem warenstaatliche Stabilisierungsmaßnahmen er-forderlich, um die Auswirkungen des kon-junkturellen Einbruchs – über die automa-tischen Stabilisatoren hinaus – abzumil-dern und die Funktionsfähigkeit der Fi-nanzmärkte zu gewährleisten.

Nach nahezu ausgeglichenen Haushal-ten in den Jahren 2007 und 2008 ver-schlechterte sich der gesamtstaatliche Fi-nanzierungssaldo in Deutschland im Jahr2009 auf ein Defizit von 3,2 % in Relationzum Bruttoinlandsprodukt (BIP). Im Jahr2010 wurde mit einer Defizitquote von 4,3 % der Maastricht-Referenzwert von 3 %des BIP deutlich überschritten (siehe Ab-bildung 1). Für das Jahr 2011 geht dieBundesregierung davon aus, dass sich derFinanzierungssaldo jedoch schon wiedermerklich auf ein Defizit von rund 1 ½ % ver-bessern wird. Damit erfüllt Deutschlanddie Vorgaben des Europäischen Stabi-litäts- und Wachstumspakts bereits zweiJahre früher als im Defizitverfahren gegenDeutschland gefordert.

3. So identifiziert beispielsweise der im Jahr 2009 veröffentlichte Tragfähigkeitsbericht („Sustainability Re-port“) der EU-Kommission für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht nur mögliche fiskalische Belas-tungen aus der Bevölkerungsalterung, sondern auch Risiken einer mangelnden Konsolidierung der Staatsfinan-zen in der kurzen und mittleren Frist.

Page 14: Dritter Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen

Seite 12 Einführung

Der gesamtstaatliche Schuldenstandstieg in Folge der Krise von 74,4 % im Jahr2009 auf 84,2 % im Jahr 2010 an. Dieserstarke Anstieg geht insbesondere darauf zu-rück, dass die neu errichteten Abwicklungs-anstalten der Hypo Real Estate und derWest LB dem Sektor Staat zugeordnet wur-den und somit in den Schuldenstand ein-fließen. Bei einer Betrachtung ohne Berück-sichtigung aller Finanzmarktstabilisie-rungsmaßnahmen hätte sich für 2010 eineSchuldenstandsquote in Höhe von rund 70 % ergeben.

Der mittlerweile erreichte staatlicheSchuldenstand kann jedoch nicht alleindurch die Auswirkungen der Krise erklärtwerden. Vielmehr ist die Verschuldung vonBund, Ländern und Gemeinden bereits seitden 1970er Jahren kontinuierlich gestiegen(Abbildung 2). Im gleichen Zeitraum sindauch die Ausgaben für den Schuldendiensterheblich angestiegen.

Abbildung 1: Ausgaben, Einnahmen und Finanzierungssaldodes Staates

-2,4 -3,0 -2,5

-3,0-3,4 -2,8 -2,3

-1,3

-3,1-3,8 -4,2

-3,8-3,3

-1,7

0,2

-0,1

-3,2

-1,3 -0

-4,3

-1,6 - 1/2

-2,9

-1

0

35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50

1991 1995 2000 2005 2010 2015 -6

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-4

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-2

-1

0

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2

3

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5

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7

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9

gesamtstaatlicher Finanzierungssaldo (rechte Skala) Staatsquote (linke Skala) Einnahmequote (linke Skala)

- in % des BIP -

1) 2)

1) Ohne die Vermögenstransfers infolge der Übernahme der Schulden der Treuhandanstalt und der Wohnungsbau- unternehmen der DDR. Inklusive dieses Effekts belief sich das gesamtstaatliche Defizit auf 9,5 % des BIP. 2) Ohne UMTS-Erlöse. Inklusive dieses Effekts wies der Staatshaushalt einen Überschuss in Höhe von 1,1 % des BIP auf.

Quellen: Statistisches Bundesamt für Ist-Daten (Stand: September 2011), Projektion: Bundesministerium der Finanzen (Stand: Juli 2011)

Page 15: Dritter Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen

Dritter Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen Seite 13

1.4.2 Herausforderungen

durch den demografi-

schen Wandel

Mögliche Risiken für die Tragfähigkeit deröffentlichen Finanzen ergeben sich nichtnur aus dem sprunghaften Anstieg desSchuldenstands im Zuge der Finanzmarkt-und Wirtschaftskrise und der damit ver-bundenen Einschränkung des finanzpoliti-schen Handlungsspielraums. Ein maßgeb-licher zusätzlicher Risikofaktor ist die be-reits heute absehbare demografische Ent-wicklung: In den kommenden Jahrzehn-

ten wird in Deutschland der Anteil der Per-sonen, die 65 Jahre und älter sind, stark zu-nehmen. Der Anteil der Personen im er-werbsfähigen Alter wird dagegen deutlichzurückgehen. Diese Veränderungen in derAltersstruktur unserer Gesellschaft führenbei ansonsten unveränderten Rahmenbe-dingungen dazu, dass die vom Alter derBürger abhängigen staatlichen Ausgabenansteigen, während sich die staatlichen Ein-nahmen ohne Gegensteuern vergleichs-weise schwächer entwickeln werden. Infol-gedessen wird sich der Druck auf die öffent-lichen Haushalte in Zukunft tendenziell er-höhen.

Quelle: Bundesministerium der Finanzen

Abbildung 2: Schulden des öffentlichen Gesamthaushalts in Relation zum BIP (%), 1950 bis 2010

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19501952

19541956

19581960

19621964

19661968

19701972

19741976

19781980

19821984

19861988

19901992

19941996

19982000

20022004

20062008

2010 *)

Gemeinden

Länder

Extrahaushalte des Bundes

Bund

*=neue Systematik

Page 16: Dritter Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen

Seite 14 Einführung

Abbildung 3: Entwicklung des Bevölkerungsanteils unterschied-licher Altersgruppen in Deutschland von 1871 bis 2060

... bei vergleichsweise starker Bevölkerungsalterung (Variante 2-W1)

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5

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25

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35

40

45

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1871 1939 1960 1980 2000 2009 2020 2040 2060

KalenderjahrAnteil in % unter 20 Jahren 65 Jahre und älter 80 Jahre und älter

... bei schwächerer Bevölkerungsalterung (Variante 3-W2)

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1871 1939 1960 1980 2000 2009 2020 2040 2060

KalenderjahrAnteil in %

unter 20 Jahren 65 Jahre und älter 80 Jahre und älter

Quelle: Statistisches Bundesamt

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Dritter Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen Seite 15

Da demografische Entwicklungen erheb-lichen Einfluss auf die öffentlichen Haus-halte haben und zugleich eine vergleichs-weise gut vorhersehbare Einflussgrößedarstellen, bilden sie einen Schwerpunktder Modellrechnungen zur Tragfähigkeit.Die in den Modellrechnungen verwende-ten Daten zur demografischen Entwick-lung beruhen auf den Ergebnissen der 12. koordinierten Bevölkerungsvorausbe-rechnung, die im Jahr 2009 vom Statisti-schen Bundesamt in Zusammenarbeit mitden Statistischen Ämtern der Länder er-stellt wurde. Darin werden unterschiedli-che Annahmen über die Determinantender Bevölkerungsentwicklung, zu denenneben der Lebenserwartung auch die je-weils unterstellten Geburtenraten undWanderungssalden zählen, miteinanderkombiniert. Den Modellrechnungen indiesem Bericht liegen zwei verschiedeneVarianten zur Fortschreibung der demo-grafischen Entwicklung zu Grunde. Diepessimistischere Variante geht von einervergleichsweise starken Bevölkerungsal-terung aus, während die Alterung in deroptimistischeren Variante schwächer aus-fällt (siehe Abbildung 3).

Um mögliche Folgen für die fiskalischeEntwicklung in ihrer ganzen Breite abbil-den zu können, wurden hier solche An-nahmen verwendet, die zu vergleichs-weise großen Abweichungen in der künf-tigen Altersstruktur der Bevölkerung füh-ren. Denn es ist vor allem die Alterung derBevölkerung – weniger die Entwicklungder absoluten Einwohnerzahl – von der Risiken für die Tragfähigkeit der öffent-lichen Finanzen ausgehen. An derSchlussfolgerung, dass es zu gravierendenVeränderungen im Altersaufbau der Be-völkerung kommen wird, hat sich seit Be-ginn der Tragfähigkeitsberichterstattungdes BMF nichts geändert: Die Jahrgängeim hohen und höchsten Alter bekommenein merklich höheres, die jüngeren eindeutlich geringeres Gewicht.

Die aktuelle und absehbare demogra-fische Entwicklung in Deutschland unddie Auswirkungen des demografischenWandels auf einzelne Politikbereichewerden erstmals in einem ressortüber-greifenden Demografiebericht der Bun-desregierung („Bericht der Bundesregie-rung zur demografischen Lage und künf-tigen Entwicklung des Landes“) ausführ-lich beschrieben. Der Bericht verschafftzudem einen Überblick über die bislangergriffenen Maßnahmen des Bundes zurGestaltung des demografischen Wandels.Er wird Ende Oktober veröffentlicht. Zu-gleich bildet er die Grundlage für die De-mografiestrategie der Bundesregierung,die sie im Frühjahr 2012 vorlegen wird.Innerhalb der Bundesregierung werdenDemografiebericht und Demografiestra-tegie federführend durch das Bundesmi-nisterium des Innern koordiniert.

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Seite 16 Einführung

1.4.3 Sonstige Risiken

Neben dem krisenbedingten Anstieg derSchuldenstandsquote und der zukünfti-gen demografischen Entwicklung bestehteine Vielzahl von weiteren Herausforde-rungen für die Tragfähigkeit der Staatsfi-nanzen. So stellen beispielsweise der Kli-mawandel und der verstärkte Ausbau derErneuerbaren Energien Herausforderun-gen dar, die zu dauerhaften Veränderun-gen der staatlichen Einnahmen und Aus-gaben führen werden.

Allerdings lassen sich diese mittel- undlangfristigen Herausforderungen für dieöffentlichen Finanzen – anders als die re-lativ gut projizierbare demografische Ent-wicklung – zum gegenwärtigen Zeitpunktkaum verlässlich in die Zukunft fort-schreiben. Eine Quantifizierung diesermöglichen Risiken würde im Rahmen derhier vorgenommenen Tragfähigkeitsana-lysen kaum zu belastbaren Aussagen füh-ren.4 Daher sind die möglichen Auswir-kungen dieser Herausforderungen be-wusst nicht Gegenstand der Modellrech-nungen, die diesem Bericht zugrunde lie-gen.

Demgegenüber sind die zur Stabilisie-rung der Europäischen Wirtschafts- undWährungsunion getroffenen Maßnah-men bereits in den Modellrechnungenenthalten. So sind die bilateralen Maß-nahmen für Griechenland, die anteiligenKredite der EFSF an Irland und Portugalsowie die zukünftigen Einzahlungen anden Europäischen Stabilitätsmecha-nismus (ESM) in der Mittelfristprojektionzur Entwicklung der Schuldenstands-quote berücksichtigt. Sobald die Kreditewieder zurückgezahlt werden, wird sichdie Schuldenstandsquote entsprechendverringern. Zukünftige Belastungen fürdie öffentlichen Finanzen sind hierausnicht zu erwarten, sofern es zu keinenAusfällen kommt.

Der weitere Aufbau des Berichts istwie folgt: Kapitel 2 zeigt die Ergebnisseder aktualisierten Modellrechnungen zurTragfähigkeit der öffentlichen Finanzen.Die Resultate für den Zeitraum 2010 bis2060 verdeutlichen – unter bestimmtenAnnahmen – wie groß der politischeHandlungsbedarf zur Sicherung der Trag-fähigkeit bereits heute ist. Kapitel 3 legtdie bereits erfolgten Reformen derBundesregierung dar und zeigt weiterepolitische Handlungsoptionen auf. Nebender Finanzpolitik im engeren Sinne (vgl.Kapitel 3.2) beeinflussen auch die Ent-scheidungen in vielen anderen Politikbe-reichen die Tragfähigkeit der öffentlichenFinanzen (vgl. Kapitel 3.3). Kapitel 4schließt den Bericht mit einem Fazit ab.

4. Ein im Auftrag des BMF erstelltes Gutachten hat gezeigt, dass sich das Ausmaß der aus dem Klima-wandel entstehenden fiskalischen Belastungen kaum zuverlässig abschätzen lässt (Ecologic Institut/Infras (2009): „Klimawandel: Welche Belastungen entstehen für die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen?“).

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Dritter Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen Seite 17

2.1 Erläuterungen zur Methodik

2.1.1 Messkonzept

Bei der Entwicklung von Indikatoren, mitdenen die Tragfähigkeit der gegenwärti-gen Finanzpolitik geprüft werden kann,hat es in einschlägigen Untersuchungenzwei Entwicklungsstränge gegeben, dieüber einige Jahre getrennt verfolgt wur-den. Einerseits wurden Maßstäbe entwi-ckelt, die sich bei der Ermittlung erstkünftig entstehender Zahlungsverpflich-tungen des Staates eng an gängige Ver-fahren der Planung und Analyse der lau-fenden Haushaltspolitik und damit an diegewohnte Messung expliziter öffentlicherVerschuldung anlehnen (so die ursprüng-lichen Arbeiten der OECD). Andererseitswurden Ansätze mit mehr theoretischerFundierung konzipiert, deren Ziel zu-nächst vor allem in der Messung von Be-lastungs- und Verteilungseffekten fiskali-scher Maßnahmen auf der Mikroebenebestand (Konzept der Generationenbilan-zierung).

Inzwischen sind allerdings längst An-sätze entstanden, die Elemente beiderEntwicklungsstränge in sich vereinen.

Dazu zählen vor allem die von der EU-Kommission bei der Prüfung der Stabi-litäts- und Konvergenzprogramme derMitgliedstaaten genutzten Verfahren unddie dort ermittelten „Sustainability Gaps“.Was Deutschland betrifft, haben sie im er-sten Tragfähigkeitsbericht des BMF einefrühe Verwendung gefunden. Sie wurdenzuletzt auch vom Sachverständigenratzur Begutachtung der gesamtwirtschaft-lichen Entwicklung im Rahmen seiner ei-genen Arbeiten auf diesem Gebiet einge-setzt.

Die folgenden Ausführungen bezie-hen sich auf die Ergebnisse eines vomBMF vergebenen und von Prof. MartinWerding, Ruhr-Universität Bochum, inKooperation mit ifo, München, bearbeite-ten Forschungsauftrags. Der Abschlussbe-richt dazu wird in zeitlicher Nähe zumTragfähigkeitsbericht veröffentlicht undenthält eine detaillierte Beschreibungsämtlicher hier vorgestellter Modellrech-nungen.

Das grundsätzliche Vorgehen hat sichgegenüber dem Zweiten Tragfähigkeits-bericht des BMF nicht verändert, der Zeit-horizont wurde in Anpassung an die jüng-sten Bevölkerungsvorausberechnungendes Statistischen Bundesamtes aber bis indas Jahr 2060 ausgedehnt. Die Gutachter

II. Modellrechnungen zur langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen

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Seite 18 Modellrechnungen zur langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen

analysieren auf der Grundlage von An-nahmen über die demografische Entwick-lung und einer damit konsistenten ge-samtwirtschaftlichen Entwicklung, wel-chen Verlauf die öffentlichen Ausgaben(am BIP gemessen) in den Bereichen neh-men könnten, die von Verschiebungen inder Altersstruktur der Bevölkerung vor-aussichtlich besonders betroffen sein wer-den. Die Ausgaben der gesetzlichen Ren-tenversicherung, gefolgt von den Ausga-ben der gesetzlichen Krankenversiche-rung, haben darunter das höchste Ge-wicht, aber auch die Ausgaben der ande-ren Zweige der Sozialversicherung unddie Beamtenversorgung, sowie die staat-lichen Bildungsausgaben und der Famili-enleistungsausgleich werden mit Blickauf demografisch bedingte Änderungenuntersucht. Unter der Annahme konstan-ter Quoten für alle übrigen Ausgabenbe-reiche und einer ebenfalls konstanten Ein-nahmenquote werden daraus Projektio-nen für die Staatsquote, die gesamtstaat-lichen Finanzierungssalden und denSchuldenstand abgeleitet und die Ergeb-nisse zu Indikatoren für die langfristigeTragfähigkeit der öffentlichen Finanzenin Deutschland zusammengefasst.

2.1.2 Tragfähigkeitsindikato-

ren der EU-Kommission

(„sustainability gaps“)

Für die Operationalisierung des Tragfä-higkeitsziels und für die Abschätzung er-forderlicher Maßnahmen zur Sicherungder langfristigen Solidität der öffent-lichen Finanzen gibt es unterschiedlicheMöglichkeiten. Bei der haushaltspoliti-schen Überwachung der EU-Mitgliedstaa-ten stützen sich der Rat der Wirtschafts-und Finanzminister und die EuropäischeKommission wie das BMF auf Indikatoren,

die neben der Summe der bisher aufge-laufenen Defizite auch künftig zu erwar-tende Belastungen einbeziehen. Das ge-schieht einmal im Jahr bei der Prüfungder Stabilitäts- und Konvergenzpro-gramme jedes einzelnen Landes, außer-dem in einer Querschnittsuntersuchungfür sämtliche Mitgliedstaaten im jährlichvorgelegten „Public Finance Report“ undin einem nur diesem Thema gewidmetenTragfähigkeitsbericht, den die Kommis-sion immer dann ausarbeitet, wenn aufGemeinschaftsebene neue Modellrech-nungen zu den Auswirkungen der Bevöl-kerungsalterung auf die Staatsfinanzenvorliegen. Der jüngste derartige Berichtder Kommission („Sustainability Report“)stammt aus dem Jahr 2009.

Erläuterung der Kennziffern

Zur Einschätzung etwaiger Risiken für dielangfristige Tragfähigkeit der öffent-lichen Finanzen weist die Kommission re-gelmäßig zwei Indikatoren aus: In einemFall (Tragfähigkeitslücke S1) wird biszum Ende des Projektzeitraums in sämt-lichen Mitgliedstaaten ein Erreichen desMaastricht-Kriteriums für die Schulden-standsquote (60% in Relation zum BIP) ver-langt. Im anderen Fall (Tragfähigkeitslü-cke S2) wird gefordert, dass der Staat sei-nen expliziten wie impliziten Verbind-lichkeiten auf Dauer nachkommen kann.

Wird die vorab festgelegte Bedingung- bei Einrechnung der budgetären Effekteder Bevölkerungsalterung - nicht erfüllt,entstehen Tragfähigkeitslücken. Sie be-schreiben das Ausmaß der notwendigenAnpassung in Form einer Verringerungder sich andernfalls einstellenden Defizit-quoten (genauer in einer Verbesserungder strukturellen Primärsalden). WeitereDarstellungsformen sind möglich undwerden von der EU-Kommission auch ge-nutzt. Zum Beispiel wird über eine Zerle-

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Dritter Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen Seite 19

gung der Indikatoren in unterschiedlicheKomponenten aufgezeigt, welcher Teilder Lücke schon in der gegenwärtigenHaushaltslage angelegt ist und welcherTeil erst im Laufe der Zeit über die Zu-nahme der alterungsbedingten Ausgabenentsteht.

Die Indikatoren legen damit Hand-lungsbedarfe offen. Spezifische politischeHandlungsanweisungen ergeben sich ausden so errechneten Werten nicht: Er-reicht werden kann ein Schließen derTragfähigkeitslücken grundsätzlich so-wohl über eine Verringerung des Anteilsder öffentlichen Ausgaben am BIP alsauch über eine Steigerung des Anteils deröffentlichen Einnahmen. Zudem bleibt of-fen, welche Maßnahmen zu welchem Zeit-punkt ergriffen werden sollten, damit eszu den notwendigen Änderungen auf derAusgabenseite und/oder Einnahmenseitekommt.

Die am Ende der Rechnungen ausge-wiesenen Kennziffern lassen leicht ver-gessen, dass dahinter extrem lang ange-legte Projektionen mit entsprechend ho-hen Unwägbarkeiten stehen. Sie werdenstark von den zuvor getroffenen Annah-men gesteuert. Das zeigt sich bei entspre-chenden Sensitivitätsanalysen. Daher istVorsicht bei der Interpretation der nume-rischen Ergebnisse angebracht. Das gilterst recht, wenn die Ungleichgewichte inden öffentlichen Haushalten nicht wie imFalle S1 und S2 in einer periodischen„Stromgröße“ sondern als einmalige „Be-standsgröße“ ausgewiesen werden. Das istzum Beispiel bei der Kalkulation einer im-pliziten Staatschuld der Fall, die sich ausder Addition der Barwerte künftig anfal-lender Defizite ergibt. Deren Höhe ist vomjeweils unterstellten Zins- bzw. Diskontie-rungssatz wesentlich stärker abhängig alsdie auf Gemeinschaftsebene üblicher-weise genutzten Indikatoren, die etwa er-forderliche Anpassungen in Form einer

dauerhaften Erhöhung des staatlichenPrimärsaldos ausweisen. Das hat auch derSachverständigenrat zur Begutachtungder gesamtwirtschaftlichen Entwicklungin seiner diesjährigen Frühjahrsexpertiseso gesehen.

Darüber hinaus ist zu berücksichtigen,dass die Resultate derartiger Rechnungenin der augenblicklichen Situation mit be-sonderen Unsicherheiten behaftet sind.Einerseits lässt sich die strukturelle Aus-gangsposition der öffentlichen Haushaltederzeit nur schwer korrekt beurteilen. So-fern die vor dem Hintergrund der Finanz-markt- und Wirtschaftskrise getroffenenbefristeten Maßnahmen nicht vollständigaus den strukturellen Haushalten heraus-gefiltert worden sind, könnte das Tragfä-higkeitsrisiko überschätzt worden sein.Andererseits könnten die Wachstums-möglichkeiten der Volkswirtschaften auflängere Sicht stärker Schaden genommenhaben als bisher angenommen. In diesemFall würden die Tragfähigkeitsrisikenunterschätzt. Auch das spricht dafür, inentsprechenden Analysen mit unter-schiedlichen Szenarien zu arbeiten, diesolche Unwägbarkeiten veranschaulichenkönnen. In den Modellrechnungen fürDeutschland, die diesem Tragfähigkeits-bericht zugrunde liegen, ist genau das ge-schehen.

Page 22: Dritter Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen

Seite 20 Modellrechnungen zur langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen

2.2 Annahmen der Modell-rechnungen

Die beiden Basisvarianten, die für Zweckedes BMF-Tragfähigkeitsberichts konzi-piert wurden, beruhen auf divergieren-den Annahmen zur langfristigen Entwick-lung in den Bereichen Demografie, Ar-beitsmarkt und sonstige gesamtwirt-schaftliche Entwicklung. Hinsichtlich ih-rer Konsequenzen für die langfristigeTragfähigkeit der öffentlichen Finanzensind diese Annahmen einerseits von ei-nem gewissen durchgängigen Pessi-mismus („Variante T–“), andererseits voneinem gewissen durchgängigen Opti-mismus („Variante T+“) getragen. So wer-den in Variante T+ zum Beispiel hinsicht-lich der demografischen Entwicklungeine höhere Geburtenrate und eine grö-ßere Zuwanderung unterstellt als in Vari-ante T–. Ausgangsjahr ist das Jahr 2010,für das bei der Durchführung der Rech-nungen für die meisten relevanten Grö-ßen bereits Ist-Daten oder zumindest ver-lässliche Schätzwerte vorlagen.5 Berück-sichtigt wurden außerdem einschlägigeEckdaten der mittelfristigen Finanzpla-nung der Bundesregierung mit dem End-jahr 2015.

Einen Überblick über sämtliche An-nahmen, sowohl in Variante T– als auch inVariante T+, gibt Tabelle 1. Die unter-schiedlichen Projektionen zur demografi-schen Entwicklung wirken sich unter an-derem spürbar auf den Altenquotient aus:Während der Quotient in Variante T– von31,2 im Jahr 2010 über 50,5 im Jahr 2030auf 68,5 im Jahr 2060 steigt, verläuft derAnstieg in Variante T+ deutlich gedämpf-ter – hier erreicht der Altenquotient imJahr 2060 einen Wert von 54,9. Die An-nahmen zur Erwerbslosenquote gehen inVariante T– von einer vergleichsweise ho-hen strukturellen Arbeitslosigkeit in Höhevon 5,8 % über den gesamten Projektions-zeitraum aus, während in Variante T+eine deutlich günstigere Entwicklung derErwerbslosenquote angenommen wird(Rückgang bis auf 3,4 % im Jahr 2060). Zu-sammen genommen wirken sich die An-nahmen zur demografischen Entwick-lung, zur Höhe der Erwerbsbeteiligungund zur Erwerbslosigkeit unmittelbar aufdie Anzahl der Erwerbstätigen aus: In Va-riante T– sinkt die Zahl der Erwerbstäti-gen von 40,5 Mio. Personen im Jahr 2010über 36,1 Mio. Personen im Jahr 2030 auf29,2 Mio. Personen im Jahr 2060. In Vari-ante T+ ergibt sich dagegen ein deutlichlangsamerer Rückgang, mit 38,8 Mio. er-werbstätigen Personen im Jahr 2030 und35,7 Mio. erwerbstätigen Personen imJahr 2060.

5. Für die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) lagen die Ergebnisse des Statistischen Bun-desamtes vom Jahresanfang 2011 zugrunde. Die große VGR-Revision, deren Ergebnisse das StatistischeBundesamt zum 1. September 2011 veröffentlichte, ist demzufolge hier nicht berücksichtigt.

Tabelle rechts:

a) Angaben für 2010 basieren auf Ist-Daten aus der amtlichen Statistik (die bei der Erstellung der Projektionen teilweise noch als Bevölkerungsvorausschätzung: Statistisches Bundesamt (2009).

b) Personen im Alter 65+ je 100 Personen im Alter 15-64.c) In % aller Erwerbspersonen; international standardisierte Definition.d) Reale Wachstumsraten (jahresdurchschnittliche Werte im vorangegangenen 10-Jahres-Zeitraum).

Quelle: Werding/ifo 2011

Page 23: Dritter Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen

Dritter Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen Seite 21

Tabelle 1:a) Annahmen für die Projektionen (Variante „T-“)

2010 a) 2020 2030 2040 2050 2060 Demografie:

Wohnbevölkerung (Mio.) 81,6 80,2 78,2 75,2 71,4 66,9

Altenquotient b) 31,2 37,0 50,5 60,0 64,3 68,5

Arbeitsmarkt:

Erwerbsbeteiligung (%)

- Frauen (15-64) 74,5 76,3 76,9 78,8 79,7 80,5

- Männer (15-64) 83,8 84,1 84,3 85,5 85,8 86,5

Erwerbspersonen (Mio.) 43,3 42,0 38,2 35,5 33,4 30,9

Erwerbstätige (Mio.) 40,5 39,7 31,6 33,6 31,5 29,2

Registrierte Arbeitslose (Mio.) 3,2 2,8 2,5 2,3 2,2 2,0

Erwerbslosenquote c) (%) 6,8 5,8 5,8 5,8 5,8 5,8

Gesamtwirtschaft:

Arbeitsproduktivität d) (%) 0,5 1,5 1,7 1,5 1,4 1,4

Bruttoinlandsprodukt d) (%) 0,9 1,3 0,7 0,8 0,8 0,6

BIP pro Kopf d) (%) 0,9 1,5 1,0 1,2 1,3 1,3

2010 a) 2020 2030 2040 2050 2060

Demografie:

Wohnbevölkerung (Mio.) 81,6 80,8 80,2 78,8 76,7 74,5

Altenquotient b) 31,2 36,1 47,5 53,5 54,0 54,9

Arbeitsmarkt:

Erwerbsbeteiligung (%)

- Frauen (15-64) 74,5 76,6 77,9 79,4 80,1 80,9

- Männer (15-64) 83,8 84,8 85,7 86,2 86,6 87,2

Erwerbspersonen (Mio.) 43,3 42,7 40,2 38,5 37,9 36,8

Erwerbstätige (Mio.) 40,5 40,8 38,8 37,3 36,7 35,7

Registr. Arbeitslose (Mio.) 3,2 2,3 1,7 1,5 1,5 1,4

Erwerbslosenquote c) (%) 6,8 4,7 3,7 3,4 3,4 3,4

Gesamtwirtschaft:

Arbeitsproduktivität d) (%) 0,5 1,6 1,9 1,8 1,7 1,7

Bruttoinlandsprodukt d) (%) 0,9 1,6 1,4 1,4 1,5 1,4

BIP pro Kopf d) (%) 0,9 1,7 1,5 1,6 1,8 1,7

b) Annahmen für die Projektionen (Variante „T+“)

Page 24: Dritter Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen

Seite 22 Modellrechnungen zur langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen

Als Rechtsstand lagen den beiden Ba-sisvarianten die zu Jahresbeginn 2011 gel-tenden gesetzlichen Rahmenbedingun-gen für alle einzeln erfassten Bereiche deröffentlichen Finanzen zugrunde, ein-schließlich darin bereits geregelter, je-doch erst während des Projektionszei-traums wirksam werdender Änderungen.Vorgaben für die Entwicklung des ge-samtstaatlichen Defizits oder der gesamt-staatlichen Verschuldung in Form spezifi-scher Haushaltsregeln wurden jenseitsdes Zeithorizonts der mittelfristigen Fi-nanzplanung nicht gemacht. Andernfallswürden langfristig entstehende Belastun-gen – wie sie sich aus den Folgen des de-mografischen Wandels aber auch als Kon-sequenz einer ungünstigen Haushaltslageam aktuellen Rand und einer dadurch zu-nehmenden Staatsverschuldung ergebenkönnten – eher verschleiert als aufge-deckt.

Zusammen genommen beschreibendie beiden Varianten einen Korridor mög-licher künftiger Entwicklungen, ohnedass die dahinter stehenden Szenarien alsextrem erscheinen. Wie schwierig das ins-besondere bei den Annahmen über diekünftige Entwicklung der strukturellenArbeitslosigkeit sein kann, hat sich schonbei den in der Vergangenheit durchge-führten Untersuchungen gezeigt. Unterdem Eindruck der Finanzmarkt- und Wirt-schaftskrise zum Beispiel hatten sich beivielen Beobachtern die Erwartungen füreinen langfristigen Abbau der Unterbe-schäftigung in Deutschland gravierendverschlechtert und diese hatten eine ad-hoc durchgeführte Aktualisierung derModellrechnungen aus dem ZweitenTragfähigkeitsbericht, deren wichtigsteErgebnisse das BMF der Öffentlichkeit imvergangenen Jahr ebenfalls bekannt ge-macht hat, wesentlich geprägt. Die an-schließende rasche Erholung, die nicht al-lein konjunkturellen Faktoren geschuldet

sein dürfte, lässt einen Rückgang gemäßder unter günstigen Bedingungen in derVariante T+ schon im Vorgängerberichterwarteten Größenordnung dagegendurchaus wieder möglich erscheinen, zu-gleich wurde die ungünstige Variante T–in dieser Hinsicht weniger pessimistischangelegt. Dafür spricht nicht zuletzt diezu erwartende Knappheit beim Faktor Ar-beit, die zur weiteren Integration von Er-werbslosen in den Arbeitsmarkt führensollte. Unter diesen Umständen wäre vondieser Seite nicht nur mit verringertenTransferleistungen und einer deutlichenVerminderung des Drucks auf die öffent-lichen Haushalte zu rechnen. Auch das ge-samtwirtschaftliche Wachstum fiele auf-grund der dann höheren Beschäftigunggünstiger aus.

Der Entwicklungspfad für das Bruttoin-landsprodukt wurde in beiden Basisvari-anten erneut nicht exogen vorgegeben,sondern wie in den vorherigen Projektio-nen aus einer Produktionsfunktion abge-leitet. Die Bandbreite der sich dann ab-zeichnenden Entwicklung für das gesamt-wirtschaftliche Produktionspotential spie-gelt Abbildung 4 wider. Bei einem Blickzurück ist der Einbruch der gesamtwirt-schaftlichen Produktion im Jahr 2009 cha-rakteristisch. Ein Anschluss an das vor derKrise erreichte Produktionsniveau wurdein Deutschland anders als in vielen ande-ren betroffenen Volkswirtschaften inzwi-schen aber bereits wieder erreicht. Gemes-sen am Stand des Jahres 2005 kann lang-fristig in der günstigen Variante (T+)mehr als eine Verdoppelung der gesamt-wirtschaftlichen Leistung erzielt werden.In der ungünstigen Variante (T–) ergibtsich dagegen kaum mehr als eine Steige-rung um die Hälfte, die sich überwiegendaus dem unterstellten Produktivitätsfort-schritt speist.

Page 25: Dritter Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen

161,1

217,8

75

100

125

150

175

200

225

1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050 2055 2060

real

es B

IP (2

005

= 10

0)

Variante T+Variante T–

Dritter Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen Seite 23

2.3 Ergebnisse

2.3.1 Basisvarianten

Die grundsätzlichen Verfahren zur Fort-schreibung der öffentlichen Finanzen ha-ben sich in den Modellrechnungen imVergleich zum Vorgängerbericht nichtgeändert. Die Projektionen beruhen beiallen Budgetkomponenten auf dem beiErstellung der Rechnungen geltendenRechtsstand und nutzen die Kenntnis al-ters- und geschlechtsspezifischer Ausga-benprofile für die langfristige Fortschrei-bung der Entwicklung in den einzelnenAusgabenbereichen. Sie berücksichtigenhinsichtlich der demografischen und ma-kroökonomischen Entwicklung zugleichdie in Abschnitt 2.2 beschriebenen An-nahmen und führen im Vergleich zu denfrüheren Rechnungen zu folgenden Er-gebnissen:

> Die infolge der Krise sich einstel-lende Schrumpfung der gesamtwirt-schaftlichen Produktion, die bei einemBlick auf die Entwicklung des BIP in derjüngeren Vergangenheit inzwischenso deutlich erkennbar ist (vgl. Abbil-dung 4), war zum Zeitpunkt der Erstel-lung der Rechnungen für den Vorgän-gerbericht nicht erwartet worden. Aufder anderen Seite sind die Staatsausga-ben in keinem der hier betrachtetenBereiche entsprechend zurückgegan-gen. Daher zeigt sich in praktisch allenFeldern ein charakteristischer Sprungim Niveau der Ausgaben in Relationzum laufenden BIP, dessen langfristigeEffekte durch die seither eingetretenegesamtwirtschaftliche Entwicklungallerdings wieder leicht gedämpft wer-den. Abgesehen davon entsprechenvor allem die projizierten Verläufe derAusgaben der gesetzlichen Renten-

Abbildung 4: Bruttoinlandsprodukt (Indexwerte 2005 = 100; 1991-2060)

Quelle: Werding/ifo 2011

Variante T-

Variante T+

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Seite 24 Modellrechnungen zur langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen

versicherung sowie der gesetzlichenKrankenversicherung weitestgehendden Resultaten der Projektionen fürden Zweiten Tragfähigkeitsbericht.

> Im Bereich der Beamtenversor-gung und der sozialen Pflegeversi-cherung führen zwischenzeitlicheRechtsänderungen, die bei den frühe-ren Projektionen im Rahmen der Basis-varianten noch nicht berücksichtigtwurden, bei den Ausgaben jeweils zueiner verringerten langfristigen Auf-wärtsdynamik. Besonders ausgeprägtsind diese Effekte bei der Pflegeversi-cherung. Sie sind langfristig aber auchmit einer deutlichen Reduktion des Sicherungsniveaus dieses Systems ver-bunden.

> Bei den Leistungen der Arbeitslo-senversicherung und der Grundsi-cherung für Arbeitsuchende machensich kurz- bis mittelfristig noch dieAuswirkungen der Krise auf die Arbeitsmarktentwicklung bemerkbar.Langfristig wirken sich zudem die ge-änderten Regelungen zur Anpassungder Leistungen der Grundsicherungaus.

> Die projizierten Verläufe der öffent-lichen Ausgaben für Bildung und Kin-derbetreuung sowie für den Famili-enleistungsausgleich erhöhen sichgegenüber den Projektionen zumZweiten Tragfähigkeitsbericht eben-falls jeweils leicht. Im Falle der Bil-dungsausgaben liegt dies vor allem aneiner Berücksichtigung aktualisierterDaten am aktuellen Rand, nach denendiese zuletzt schon stärker gestiegensind als zuvor unterstellt wurde. Auchdie Ausgaben für den Familienleis-tungsausgleich sind zwischenzeitlichgezielt erhöht worden.

Werden die Ergebnisse der Rechnun-gen zusammengeführt und gleichzeitigum den so genannten Verrechnungsver-kehr – also Zahlungen zwischen den Teil-budgets – bereinigt, so nimmt die Ent-wicklung der demografieabhängigenAusgaben in der Summe den in Abbildung5 dargestellten Verlauf: Die von der demo-grafischen Entwicklung besonders abhän-gigen Ausgaben belaufen sich danach imBasisjahr (2010) in allen hier erfassten Be-reichen auf 28,5 % des BIP und entspre-chen damit rund 61 % aller öffentlichenAusgaben. Es wird erwartet, dass dieseQuote – nach ihrem deutlichen Anstieg imZuge der jüngsten Finanzmarkt- undWirtschaftskrise – im Zeithorizont derhier berücksichtigten Mittelfristprojek-tion der Bundesregierung bis 2015 aufrund 27,6 % zurückgeht. In der pessimisti-scheren Basisvariante „T–“ beginnt dieAusgabenquote danach allerdings raschwieder zu steigen, und zwar insbesondereim Zeitraum bis 2035, mit verringertemTempo jedoch weiter bis 2060. Sie erreichtbis zum Ende des Projektionszeitraumsdann 34,5 %. In der optimistischeren Basis-variante „T+“ ergibt sich eine deutlich ge-ringere, langfristige Dynamik der Ausga-benquote, durch die sie in dieser Variantebis 2060 lediglich auf 30,3 % steigt. Dieprojizierte Zunahme der Ausgabenquotegegenüber 2010 beläuft sich je nach Vari-ante somit auf 1,8 bis 6,0 Prozentpunkte,gegenüber 2015 sogar auf 2,7 bis 6,9 Pro-zentpunkte. Hält man rechnerisch alle an-deren öffentlichen Ausgaben in Relationzum laufenden BIP konstant, würde sichdaraus ein langfristiger Anstieg der ge-samtstaatlichen Ausgabenquote von zu-letzt (2010) ca. 46,7 % auf Werte von 48,5 %bis 52,7 % des BIP ergeben.

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Dritter Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen Seite 25

Gestützt auf die für die einzelnen Bud-getkomponenten durchgeführten Belas-tungsrechnungen und ausgehend vonden Vorgaben der mittelfristigen Finanz-planung wurden von den Gutachternlangfristige Projektionen auch für die Ent-wicklung von Defizit und Schuldenstanderstellt und anschließend unter Tragfä-higkeitsaspekten analysiert. Dabei ist vonBedeutung, dass sich die unterstellte bud-getäre Ausgangsposition im Vergleich zuden Annahmen im Zweiten Tragfähig-keitsbericht verschlechtert hat, denn die

Primärsalden am Ende des mittelfristigenProjektionszeitraum (hier das Jahr 2015)bilden jeweils die Basis für die Fortschrei-bung der langfristigen fiskalischen Ent-wicklung. Zur Identifikation möglicherProbleme für die Tragfähigkeit der öffent-lichen Finanzen wurde in den untersuch-ten Basis-Szenarien unterstellt, dass es inZukunft weder zu Strukturreformen („nopolicy change“) noch zu einer weiteren(über den Zeithorizont der mittelfristigenFinanzplanung hinausreichenden) Haus-haltskonsolidierung kommt.

20%

22%

24%

26%

28%

30%

32%

34%

36%

38%

40%

2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050 2055 2060

In %

des

BIP

Niveau im Jahre 2010

Variante T+

Variante T–

Abbildung 5: Aggregierte Ausgabenquoten (2000-2060)

Quelle:Werding/ifo2011

Die aggregierte Ausgabenquote basiert auf den konsolidierten Ausgaben der gesetzlichenRentenversicherung, der Beamtenversorgung, der gesetzlichen Krankenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung, der Arbeitslosenversicherung, der Grundversicherung für Ar-beitsuchende sowie der staatlichen Ausgaben für Bildungseinrichtungen (inkl. Kinderbetreu-ung) und den Familienleistungsausgleich.

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Seite 26 Modellrechnungen zur langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen

Unter diesen Annahmen würde dieKombination von ungünstiger Ausgangs-lage und alterungsbedingtem Ausgaben-anstieg dazu führen, dass die staatlicheSchuldenquote in beiden Varianten amEnde stetig ansteigt – wenn auch in unter-schiedlichem Tempo (Abbildung 6). Aus-gehend von einem Niveau in Höhe vonrund 84 % in Relation zum BIP im Jahr 2010führt die Fortschreibung in der optimisti-schen Variante zunächst zu einem Absin-

ken der Schuldenstandsquote, bevor es inetwa ab dem Jahr 2030 zu einem stetigenAnstieg der Schuldenstandsquote bis aufrund 100 % in Relation zum BIP kommt. Inder pessimistischen Variante ergibt dieFortschreibung dagegen einen sehr vielsteileren Anstieg der Schuldenstands-quote – im Jahr 2060 wird hier ein Wertvon rund 300 % in Relation zum BIP er-reicht.

0%

50%

100%

150%

200%

250%

300%

350%

2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050 2055 2060

In %

des

BIP

Variante T+

Variante T–

Abbildung 6: Rechnerische Fortschreibung der Schuldenstands-quote unter Vernachlässigung der Wirkung von rechtlichen Schranken (2000-2060)

Quelle:Werding/ifo2011

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Dritter Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen Seite 27

Bei der Interpretation dieser Zahlen istVorsicht geboten: Die Werte sind nicht alsPrognosen zu verstehen, sondern als einerein rechnerische Fortschreibung. Sie ver-anschaulichen die hypothetische Ent-wicklung der staatlichen Finanzen unterder Annahme, dass die bisherige Politikunverändert beibehalten wird. In diesemZusammenhang wird auch das Einhaltenrechtlicher Schranken (Schuldenregel, Eu-ropäischer Stabilitäts- und Wachstum-spakt, Finanzierung der Systeme der sozi-alen Sicherung) bewusst vernachlässigt.Dies geschieht mit der Absicht, den Hand-lungsbedarf offen zu legen, der zur lang-fristigen Sicherung solider Staatsfinanzenbesteht. Langfristige Belastungen in denöffentlichen Haushalten wären nichtmehr zu erkennen, wenn rechtliche Ver-schuldungsschranken in den Modellrech-nungen per Annahme eingehalten wür-den. Eine Darstellung der Schulden-standsquote unter der Bedingung, dassdie rechtlichen Schranken eingehaltenwerden, findet sich in Kapitel 3.2.1, Abbil-dung 11.

Während im Jahr 2008 ein Erfolg imBemühen um einen langfristig tragfähi-gen Zustand trotz der demografisch be-dingten Belastungen in greifbare Nähegerückt zu sein schien, haben die Finanz-markt- und Wirtschaftskrise mit ihren un-mittelbaren Auswirkungen einerseits unddie Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung an-dererseits den Abstand von diesem Zielüber eine Erhöhung der Schuldenstands-quote, die bis in das Jahr 2010 hinein

reicht, zunächst einmal wieder vergrö-ßert. Der danach folgende Rückgang istnicht von Dauer, weil langfristig in beidenVarianten der demografiebedingte Aus-gabenanstieg zu wirken beginnt, die Ein-nahmenquote aber annahmegemäß kon-stant bleibt.

Die Resultate der Berechnungen zurHöhe der Tragfähigkeitslücken für alledrei von den Gutachtern ermittelten Indi-katoren werden in Abbildung 7 zu-sammengefasst. Der Bildung von Korrido-ren bei den zuvor beschriebenen Projek-tionen entspricht die Darstellung vonSpannen für das Ausmaß der erforder-lichen Budgetkorrektur. Im Falle des Indi-kators S2 zum Beispiel läge die ermittelteTragfähigkeitslücke unter günstigen Be-dingungen (Variante T+) bei nicht mehrals 0,9 % des BIP, bei Annahme ungünsti-ger Bedingungen (Variante T–) aber deut-lich darüber, nämlich bei etwa 3,8 % desBIP. Die Ergebnisse für alle drei hier be-rechneten Kennziffern liegen bei einemWert über Null, sie weisen in ihrer Ge-samtheit also eindeutig Tragfähigkeitslü-cken aus.6 Dabei ist zu berücksichtigen,dass die Ergebnisse der Modellrechnun-gen eine Realisierung der Ziele der mittel-fristigen Finanzplanung – und auch einErreichen der dahinter stehenden Eck-werte der gesamtwirtschaftlichen Ent-wicklung – voraussetzen. Wird die mittel-fristig angestrebte Konsolidierung nichterreicht, macht sich das aufgrund der ver-gleichsweise ungünstigeren Ausgangs-lage unmittelbar in den langfristigen Budgetrechnungen negativ bemerkbar.

6. Anmerkung: Bei der Definition der Kennziffer S1 hat es im Laufe der Zeit eine Änderung gegeben.Während zunächst ein Schuldenstand zum Maßstab genommen wurde, der sich bei einem überden gesamten Projektionszeitraum ausgeglichenen Budget errechnete und damit von Land zuLand unterschiedlich ausfallen konnte, liegt der Definition mit dem Maastricht-Ziel nun ein für alleMitgliedstaaten gleicher Wert zu Grunde. Ifo weist aus Gründen der Kontinuität zusätzlich zumneuen S1 in seinem Gutachten auch noch die Ergebnisse einer Rechnung nach alter Abgrenzungaus und ersetzt die auf EU-Ebene entwickelten Begriffe durch jeweils eigene Bezeichnungen. Indiesem Bericht greifen wir aus Gründen der internationalen Vergleichbarkeit weiter auf die KürzelS1 und S2 zurück, auch wenn sich der als Zielgröße verwendete Schuldenstand gegenüber den älte-ren – noch im ersten Tragfähigkeitsbericht verwendeten Rechnungen – geändert hat.

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Seite 28 Modellrechnungen zur langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen

Abbildung 7: Ergebnisse der Berechnungen zu langfristigen Tragfähigkeitslücken

0,89

1,16

0,61

0

0,5

1

1,5

2

2,5

3

3,5

4

4,5

%

S1neu

S1alt

S2

2,80

3,22

3,83

Erforderliche Erhöhungen des primären Finanzierungssaldos (in Prozent des BIP) bei Verwendungunterschiedlicher Messkonzepte. Prüfung der Tragfähigkeit geschieht anhand von drei unterschied-lichen Kriterien: Tragfähigkeitslücke S1 neu: Erreichen eines Schuldenstandes von 60% des BIP im Jahr 2060.

Tragfähigkeitslücke S1 alt: Erreichen desselben Schuldenstandes wie bei einem von 2011 bis 2060 stets ausgeglichenen Budget.

Tragfähigkeitslücke S2: Einhalten der intertemporalen Budgetbeschränkung des Staates. Das Feststellen von Tragfähigkeit setzt hier voraus, dass auf Dauer alle öffentlichen Ausgaben sowie der Schuldenstand der Ausgangs-periode durch öffentliche Einnahmen gedeckt werden.

Eingetragen sind in allen drei Fällen die Ergebnisse der Basisvarianten, die einen "mittleren Korridor"möglicher Entwicklungen begrenzen.

Quelle:Werding/ifo2011

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Dritter Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen Seite 29

In den aktuellen Rechnungen wirddarüber hinaus auf die Ursachen der fest-gestellten Tragfähigkeitsrisiken (aktuelleVerschlechterungen der Haushaltslageeinerseits, Auswirkungen des demografi-schen Wandels andererseits) eingegan-gen. Dazu werden die Tragfähigkeitslü-cken in die üblicherweise auch von derEU-Kommission isolierten Komponentenzerlegt. So wird deutlich, dass es nicht zu-letzt die in den öffentlichen Haushaltensich niederschlagenden Effekte der Krisesind, die zur Vergrößerung der Tragfähig-keitslücken geführt haben. In den Projek-tionen, die dem Zweiten Tragfähigkeits-bericht zu Grunde lagen, hatte die Fort-schreibung der öffentlichen Einnahmenund Ausgaben auf Basis der damaligenmittelfristigen Finanzplanung den ausder Bevölkerungsalterung resultierendenBelastungen noch stärker entgegen ge-wirkt.

2.3.2 Alternative Varianten

Sensitivitätsanalysen

Welche Auswirkungen einzelne Modifika-tionen der demografischen und gesamt-wirtschaftlichen Annahmen haben, lässtsich durch einen sukzessiven Übergangvon Variante T– zu Variante T+ veran-schaulichen. Die einzelnen Schritte fürdiesen Übergang bei den getroffenen An-nahmen sind in Kasten 2 dargestellt. Dieunterschiedlichen Auswirkungen der je-weiligen Annahmevariationen werden ineinem Vergleich der jeweils errechnetenTragfähigkeitslücken deutlich (siehe Ta-belle 2). So ist beispielsweise der Anteil,den der unterstellte Abbau der strukturel-len Arbeitslosigkeit für die sich ergebendeBewegung hin zum günstigeren Ergebnishat, bemerkenswert hoch. Von dem Ab-stand, der zwischen der ungünstigen undgünstigen Variante im Falle von S2 beirund drei Prozentpunkten liegt, lässt sichrund ein Prozentpunkt – also etwa einDrittel – allein durch Unterschiede imAusmaß der jeweils angenommenenUnterbeschäftigung erklären. Da der Ab-stand zwischen den beiden Varianten imFalle von S1 insgesamt etwas kleiner ist,fällt der relative Beitrag zur Verringerungder Lücke mit annähernd der Hälfte derfestgestellten Differenz hier sogar nochetwas höher aus. Dieser Befund unter-streicht, welche große Bedeutung derNutzung (unfreiwillig) brach liegenderRessourcen auf dem Arbeitsmarkt nichtnur für das gesamtwirtschaftliche Wachs-tum, sondern auch für die Sicherung desTragfähigkeitsziels zukommt.

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Einen bedeutsamen Beitrag zur Erklä-rung der graduellen Verringerung derTragfähigkeitslücken liefern außerdemdie Annahmen über die Entwicklung derLebenserwartung und des Wanderungs-saldos. Sowohl bei einem geringeren Anstieg der Lebenserwartung als auch beieiner höheren Zuwanderung ergibt sichjeweils eine günstigere Altersstruktur derBevölkerung. Im ersten Fall führt die Vari-ation der Annahmen in erster Linie zu ge-

ringeren Ausgaben, im zweiten Fall ver-ändert sich aufgrund einer höheren An-zahl von Erwerbspersonen bei ansonstenunveränderten Bedingungen vor allemdas gesamtwirtschaftliche Produktions-potential. Damit erhöht sich die Bezugs-größe für alle anderen in den Langfrist-projektionen ausgewiesenen Größen, dieansonsten errechneten Belastungen ha-ben in Relation zum Bruttoinlandspro-dukt nicht mehr das gleiche Gewicht.

Kasten 2:

Annahmevariationen für die Sensitivitätsanalysen

Im Sinne eines sukzessiven Übergangs von einer Basisvariante zur anderen wurden vonden Gutachtern, ausgehend von Variante „T–“, folgende alternative Varianten betrach-tet:

Geringerer Anstieg der Lebenserwartung: In dieser Variante erhöht sich die Lebenser-wartung weiblicher Neugeborener bis 2060 auf 89,2 Jahre, die männlicher Neugeborenerauf 85,0 Jahre (statt auf 91,2 Jahre bzw. 87,7 Jahre wie in Variante „T–“).

Höhere Immigration: In dieser Variante steigt zudem der jährliche Zuwanderungsüber-schuss rasch wieder auf 200.000 Personen im Jahr (statt sich, ausgehend von zuletzt nochniedrigeren Werten, bei 100.000 Personen im Jahr zu stabilisieren).

Steigende Fertilität: In dieser Variante nimmt schließlich auch noch die zusammenge-fasste Geburtenziffer langfristig wieder auf 1,6 Kinder je Frau zu (statt auf Dauer bei 1,4Kindern je Frau zu verharren).

Längere Lebensarbeitszeit: In dieser Variante verlängert sich, zusätzlich zur Anpassungder oben genannten demografischen Annahmen, die durchschnittliche Lebensarbeitszeitnach der Heraufsetzung der gesetzlichen Regelaltersgrenze ab 2012 um insgesamt zweiweitere Jahre (statt um ein weiteres Jahr wie in Variante „T–“).

Sinkende Erwerbslosigkeit I: In dieser Variante sinkt zudem die Erwerbslosenquote von2016 bis 2022 auf 4,6 % und bleibt anschließend konstant (statt bis 2020 wieder auf 5,8 %zu steigen wie in Variante „T–“).

Sinkende Erwerbslosigkeit II: In dieser Variante reduziert sich die Erwerbslosenquotevon 2016 bis 2035 kontinuierlich weiter auf 3,4 % und bleibt erst dann auf diesem Niveaukonstant.

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Von der veränderten Fertilitätsan-nahme geht – jedenfalls in der hier unter-stellten Größenordnung – im betrachte-ten Zeitraum kein wesentlicher Einflussauf die Tragfähigkeitslücken aus. Dasliegt vor allem daran, dass der mit einerzunehmenden Geburtenrate verbundeneAnstieg der Bevölkerung, die sich wegenihrer Jugend (noch) nicht im Erwerbsalterbefindet, während des hier betrachtetenZeitraums über steigende Ausgaben für

Kinderbetreuung, Bildung und familien-politische Leistungen in Relation zum BIPfast durchgängig zu einer etwas höherenAusgabendynamik führt, die sich erst abetwa 2035 abschwächt und nach 2055umkehrt. Denn auf lange Sicht werdenimmer mehr der zusätzlich geborenenPersonen aktiv und tragen als Erwerbstä-tige zu einem höheren BIP bei.

TragfähigkeitslückenVeränderung durch

Variation der Annah-men (sukzessiv)

(S1) (S2) (S1) (S2)

Ergebnisse für die Variante T – 2,80 3,83

– Geringerer Anstieg der Lebenserwartung 2,32 3,03 -0,48 -0,80

– Höherer Wanderungssaldo 1,81 2,37 -0,51 -0,66

– Steigende Fertilität 1,93 2,38 0,12 0,01

– Längere Lebensarbeitszeit 1,70 2,13 -0,23 -0,25

– Sinkende Erwerbslosigkeit I 1,08 1,48 -0,62 -0,65

– Sinkende Erwerbslosigkeit II 0,69 1,05 -0,39 -0,43

Ergebnisse für die Variante T + 0,61 0,89

Tabelle 2: Sensitivitätsanalysen – Erläuterung des Übergangs von T– zu T+

Quelle für Ursprungsdaten: Werding/ifo 2011

Die Angaben zu den Tragfähigkeitslücken beziehen sich auf erforderliche Erhöhungen (+) des gesamtstaat-lichen Finanzierungssaldos (in Prozent des BIP). Die daneben ausgewiesenen Veränderungen zeigen die Ergebnisse einer sukzessiven Variation der Annahmen (in Prozentpunkten).

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Die Ergebnisse der Sensitivitätsanaly-sen lassen sich auch durch einen Blick aufdie gesamtstaatliche Schuldenstands-quote veranschaulichen. Abbildung 8stellt die unterschiedlichen Verläufe derSchuldenstandsquote dar, die sich bei ei-ner Variation der Annahmen einstellenwürden. Dabei wird deutlich, dass der je-weilige Einfluss der einzelnen Faktorenim Großen und Ganzen der Gewichtungentspricht, die sich auch in Tabelle 2 fürdie Tragfähigkeitslücken ergeben hat. So

hat beispielsweise der Abbau der struktu-rellen Erwerbslosigkeit vergleichsweisegroße Auswirkungen auf die Reduktionder bis in das Jahr 2060 fortgeschriebenenSchuldenstandsquote. Zu einer noch wei-teren Aufspreizung käme es, wenn zusätz-lich zu den bisherigen Annahmen auchdie jeweils unterstellten Zinssätze verän-dert würden. Bei höheren Zinsen ergäbesich ein noch steilerer Anstieg der Kurve,bei niedrigeren Zinsen ein flacherer Ver-lauf.

Abbildung 8: Sensitivitätsanalysen – Auswirkungen auf die Schuldenstandsquote

Quelle: Werding/ifo 2011

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Dagegen reagieren die langfristigenBudgetprojektionen auf die Annahme ei-nes stärkeren Produktivitätsfortschrittskaum. Denn eine dadurch bewirkte Erhö-hung des Potentialwachstums und diedann ebenfalls stärkere Dynamik allerAusgaben, die mit dem realen Lohn- oder Wirtschaftswachstum überwiegendSchritt halten, gleichen sich größtenteilsaus. Aber selbst wenn sich die fiskalischenEffekte in Grenzen halten: Dem Produkti-vitätsfortschritt kommt allein wegen sei-ner wohlstandserhöhenden Wirkung eineimmense Bedeutung zu. Mit seiner Hilfedürften sich die ökonomischen Konse-quenzen des demografischen Wandelsbewältigen lassen, ohne dass es zu Ein-schränkungen des Wohlstandsniveaus,also des Bruttoinlandsprodukts je Kopfder Bevölkerung kommt.

Alternative Szenarien zur Entwick-lung der Gesundheitsausgaben

Die besonderen Unwägbarkeiten, denenin Projektionen zur langfristigen Entwick-lung der staatlichen Ausgaben im BereichGesundheit Rechnung zu tragen ist, wur-den in den für diesen Tragfähigkeitsbe-richt erstellten Modellrechnungen erneutdadurch abgebildet, dass die Sensitivitäts-analysen um weitere Varianten ergänztwerden, in die sowohl die Effekte einersinkenden altersspezifischen Morbiditätals auch des medizin-technischen Fort-schritts auf die Entwicklung der Ausgabender Gesetzlichen Krankenversicherungund der Sozialen Pflegeversicherung ein-fließen.

Was den Gesundheitsstand der Bevölke-rung angeht, wird hier anders als in denbeiden Basisvarianten angenommen, dasssich das Altersprofil der Leistungsausga-ben der Gesetzlichen Krankenversiche-rung bis 2060 in selbem Maße streckt wiedie Lebenserwartung zunimmt. Paralleldazu wird auch die unterstellte Häufig-keit einer Nutzung der Leistungen der so-zialen Pflegeversicherung nach unten an-gepasst. Vergleicht man das Ergebnis mitder Höhe der Tragfähigkeitslücken in denbeiden Basisvarianten (siehe Tabelle 3)zeigt sich eine Reduktion der Werte, diein Kombination mit den Annahmen dergünstigeren Variante T+ sogar ausreichenwürde, die ansonsten errechnete Lückekomplett zu schließen.

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Die Angaben zu den Tragfähigkeitslücken beziehen sich auf erforderliche Erhöhungen des primären gesamt-staatlichen Finanzierungssaldos (in Prozent des BIP). Kriterien für das Feststellen von Tragfähigkeit:

S 1: Erreichen eines Schuldenstandes von 60% des BIP im Jahr 2060S 2: Einhalten der intertemporalen Budgetbeschränkung des Staates. Das Feststellen von Tragfähigkeit

setzt hier voraus, dass auf Dauer alle öffentlichen Ausgaben sowie der Schuldenstand der Ausgangs-periode durch öffentliche Einnahmen gedeckt werden.

Quelle: Werding/ifo 2011

Annahme, dass die Leistungsausgabender Gesetzlichen Krankenversicherung –bei unveränderter Morbidität – Jahr fürJahr um jeweils einen Prozentpunkt mehrsteigen als es der Wachstumsrate des BIPpro Kopf entspricht. Das ist bei einemWirtschaftswachstum, das in den Varian-ten T– und T+ seinerseits eine Größenord-nung von 1 ½ bis 1 ¾ Prozent pro Jahr nichtübersteigt ein nicht unerheblicher Auf-schlag.

TragfähigkeitslückenAbstand gegenüber

der Basisvariante(T– bzw. T+)

(S1) (S2) (S1) (S2)

Ergebnisse für die Variante T – 2,80 3,83

– Lohnorientierte Kostenfortschreibung 3,54 4,83 0,74 1,00

– Sinkende altersspezifische Morbidität 1,96 2,50 -0,84 -1,33

– Medizin-technischer Fortschritt 4,48 6,70 1,68 2,87

Ergebnisse für die Variante T + 0,61 0,89

– Lohnorientierte Kostenfortschreibung 0,93 1,29 0,32 0,40

– Sinkende altersspezifische Morbidität -0,18 -0,39 -0,79 -1,28

– Medizin-technischer Fortschritt 2,28 3,90 1,67 3,01

Tabelle 3: Alternative Szenarien für die Entwicklung der Gesund-heitsausgaben

Die unterstellten Auswirkungen desmedizinischen Fortschritts schlagen sichin den errechneten Tragfähigkeitslückendagegen in einer deutlichen Ausweitungnieder. Allerdings ist das Ausmaß der Re-aktion auf die Veränderung einzelner Ein-flussfaktoren auch von der jeweils ange-nommenen Stärke der Variation abhän-gig. Das gilt nicht zuletzt für die in den Alternativrechnungen unterstellten Kos-tenwirkungen des medizinischen Fort-schritts. Dahinter steht in diesem Fall die

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Weniger stark sind die Effekte, wennfür die Fortschreibung der Gesundheits-ausgaben der jeweils angenommene An-stieg der Arbeitsproduktivität genutztwird, welcher der unterstellten Entwick-lung der Löhne und Gehälter in den Lang-fristrechnungen durchweg entspricht.Für die (nur auf eine Teilkostendeckungausgerichtete) Pflegeversicherung bleibtes dagegen hier wie dort bei einer realenKonstanz der Pflegesätze, wie sie sich ausder inflationsorientierten Anpassung ab2012 nach geltendem Recht ergibt. Dassden Entwicklungen im Gesundheitssektorfür die Tragfähigkeit der öffentlichen Fi-nanzen eine hohe Bedeutung zukommt – und dass in diesem Bereich erheblicheSchätzunsicherheiten bestehen – hat sichbei der Aktualisierung der langfristigenBudgetprojektionen bestätigt.

Politiksimulationen

Eine dritte Serie von Alternativrechnun-gen haben die Gutachter gezielten Politik-simulationen gewidmet. Die Ergebnisseunterstreichen, dass die in den letztenJahren ergriffenen Reformen in der ge-setzlichen Rentenversicherung, der Be-amtenversorgung und der Pflegeversiche-rung bereits sehr wichtige Beiträge zurVerbesserung der langfristigen Tragfä-higkeit der öffentlichen Finanzen geleis-tet haben. Die seit 2007 gesetzlich gere-gelten Maßnahmen zur Verlängerung derLebensarbeitszeit sind darunter vor allemdeshalb von Bedeutung, weil ihre Auswir-kungen sich nicht auf die Ausgaben dergesetzlichen Rentenversicherung be-schränken. Sie können vielmehr auch diegesamtwirtschaftliche Entwicklung unddie finanzielle Situation anderer Siche-rungssysteme günstig beeinflussen undnicht zuletzt zur Angemessenheit desLeistungsniveaus des Rentensystems bei-tragen.

Verzögerte Schließung der Trag-fähigkeitslücken

Welche Zusatzkosten („costs of delay“)entstehen, wenn Maßnahmen zur Schlie-ßung der Lücken, sei es über eine Reduzie-rung des expliziten Schuldenstands, sei esüber eine Verminderung der implizitenVerbindlichkeiten, nicht sofort ergriffen,sondern zu einem späteren Zeitpunkt vor-genommen werden, wurde in den Modell-rechnungen ebenfalls untersucht. Zur Il-lustration der Effekte wird in diesem Falleine Verzögerung von fünf Jahren unter-stellt. Das würde im Ergebnis dazu führen,dass die auf Dauer erforderliche Anpas-sung (Erhöhung des Primärsaldos) lang-fristig noch einmal um bis zu einem hal-ben Prozentpunkt höher ausfallen müs-ste, als bei einer sofortigen Korrektur.

2.4 Internationaler Vergleich

Welche fiskalischen Folgen hat der demo-grafische Wandel? Welche Konsequen-zen ergeben sich aus dem krisenbeding-ten Anstieg des Schuldenstandes in vielenLändern und den Veränderungen derHaushaltslage am aktuellen Rand? Dassind Fragen, die nicht nur auf nationalerEbene sondern auch auf europäischer undinternationaler Ebene intensiv diskutiertwerden.

Dahinter steht die Erkenntnis, dass esnicht mehr lange dauert, bis die gebur-tenstarken Jahrgänge der Nachkriegszeitaus dem Erwerbsleben ausscheiden. Dasgilt für die USA, wo die Zeit eines be-schleunigten Anstiegs der Fertilität („Ba-byboom“) bereits unmittelbar nach demJahr 1945 einsetzte, aber es gilt auch fürLänder wie Deutschland, wo dies erst miteiner gewissen zeitlichen Verzögerung

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geschah. Spätestens dann wird sich zei-gen, ob die von Land zu Land unterschied-lich ausgestalteten Systeme der sozialenSicherung nur unter vergleichsweise gün-stigen Bedingungen funktionieren oderden Herausforderungen des demografi-schen Wandels gewachsen sind und sichauch unter verschlechterten wirtschaft-lichen Bedingungen bewähren.

Von daher ist es nur folgerichtig, dassder Blick auf weit in die Zukunft rei-chende Entwicklungen bei der haushalts-politischen Überwachung der EU-Mit-gliedstaaten im Laufe des letzten Jahr-zehnts an Bedeutung gewonnen hat. Aus-künfte über die potenzielle Entwicklungder Staatsausgaben in langfristiger Per-spektive sind zu einem selbstverständ-lichen Bestandteil der jährlich von denEU-Mitgliedstaaten vorzulegenden Stabi-litäts- und Konvergenzprogramme ge-worden. Darüber hinaus wächst die Zahlder Länder, die sich mit langfristigen Risi-ken für die öffentlichen Finanzen in eige-nen Tragfähigkeitsberichten ausein-andersetzen.

Die Untersuchungen der einzelnen EU-Mitgliedstaaten zur Bevölkerungsalte-rung beruhen in aller Regel auf unabhän-gig voneinander durchgeführten Projek-tionen, die nationale Besonderheiten ver-gleichsweise gut abbilden, wegen unter-schiedlicher Annahmen und Methoden inden Ergebnissen allerdings nicht ohneweiteres vergleichbar sind. Abhilfe schaf-fen Modellrechnungen, die vom Wirt-schaftspolitischen Ausschuss der EU (überdie von ihm eingesetzte „Ageing WorkingGroup“ – AWG) und die Europäische Kom-mission (über deren GeneraldirektionWirtschaft und Finanzen – DG ECFIN) imAbstand von drei bis vier Jahren bereitge-stellt werden. Nach dem jüngsten dazu er-arbeiteten Bericht (“Ageing Report 2009“)

wird der demografische Wandel die staat-lichen Ausgaben in den auf Veränderun-gen in der Altersstruktur der Bevölkerungbesonders stark reagierenden Bereichenbei ansonsten unveränderten Bedingun-gen – in den meisten Mitgliedstaaten derEU insgesamt auf ein deutlich höheres Niveau als heute treiben. Der Belastungs-quotient, der die Ausgaben für die alters-abhängigen Budgetkomponenten im Ver-hältnis zum Bruttoinlandsprodukt be-schreibt, würde bis zum Jahr 2060 in derGemeinschaft insgesamt um rund 4 ¾ Pro-zentpunkte steigen. Das ist eine Größen-ordnung, die in etwa auch dem fürDeutschland errechneten Belastungszu-wachs entspricht und die – bei allenUnterschieden im Detail – zu den Ergeb-nissen der hier präsentierten Modellrech-nungen nicht im Widerspruch steht.

Insgesamt ist das Spektrum, das sichfür die EU-Mitgliedstaaten ergibt, aller-dings sehr breit Nach den im Jahr 2009auf Gemeinschaftsebene durchgeführtenRechnungen (siehe Tabelle 4) ergab sichfür ein Drittel der Länder eine Zunahmeder demografiebedingten Ausgaben ummehr als 7 Prozentpunkte, bei einem wei-teren Drittel fällt die Differenz mit einerDifferenz von unter 4 Prozentpunkten we-sentlich moderater aus. Deutschland liegtmit seinem Ergebnis in der mittlerenGruppe.

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Selbst wenn die Auswirkungen des de-mografischen Wandels ausgeklammertwerden, ist die gegenwärtige Haushalts-lage in der Mehrzahl der Mitgliedstaatenso schlecht, dass sich die Risiken für dieTragfähigkeit der öffentlichen Finanzenvergrößern, wenn es nicht alsbald zu ei-ner Besserung kommt. Das zeigt sich beieiner Zerlegung der auf europäischerEbene für sämtliche Mitgliedstaaten derEU ermittelten Tragfähigkeitslücken. Dervon der Kommission errechnete Anpas-sungsbedarf war für die EU-27 schon inden Rechnungen, die sie ihrem jüngstenTragfähigkeitsbericht zugrunde gelegthatte, etwa zur Hälfte auf die fiskalischen

Effekte der Bevölkerungsalterung, zur an-deren Hälfte aber auf die budgetäre Aus-gangslage im Jahr 2009 und den Aus-schluss weiterer Konsolidierungsschrittedanach zurückzuführen. Für Deutschlandhatte die Tragfähigkeitslücke S2 im dortbeschriebenen „Baseline-Szenario“ deut-lich unter dem für die EU-27 ermitteltenDurchschnitt von 6,5 % des BIP gelegen,nämlich bei 4,2 %, wovon der überwie-gende Teil auf demografiebedingten Ur-sachen zurückging und nur der kleinereTeil seinen Ursprung in der damaligenbudgetären Ausgangsposition hatte (vgl.Tabelle 5).7

Tabelle 4: Vergleich des Belastungsanstiegs in den EU-Mitgliedstaaten

Veränderung der altersabhängigen Ausgaben in Relation zum BIP (2007 bis 2060) von

mehr als 7 %-Punkten zwischen 4 und 7 %-Punkten unter 4 %-Punkten

Luxemburg Belgien Bulgarien

Griechenland Finnland Schweden

Slowenien Tschechische Republik Portugal

Zypern Litauen Österreich

Malta Slowakei Frankreich

Rumänien Vereinigtes Königreich Dänemark

Niederlande Deutschland Italien

Spanien Ungarn Lettland

Irland Estland

Polen

7. Eine zusammenfassende Darstellung findet sich im BMF-Monatsbericht, Ausgabe Dezember 2009(www.bundesfinanzministerium.de).

Quelle: Ageing Report 2009, Rangfolge der Länder ergibt sich aus der Höhe des Anstiegs.

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Seite 38 Modellrechnungen zur langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen

Tabelle 5: Internationaler Vergleich der Tragfähigkeitslücken – Ergebnisse von Berechnungen der EU-Kommission

insgesamt...die budgetäre

Ausgangsposition

… die Veränderung der alterungsbedingten

Kosten Belgien 5,3 0,6 4,8Bulgarien 0,9 -0,6 1,5Tschechien 7,4 3,7 3,7Dänemark -0,2 -1,6 1,4Deutschland 4,2 0,9 3,3Estland 1,0 1,1 -0,1Griechenland 14,1 2,6 11,5Spanien 11,8 6,1 5,7Frankreich 5,6 3,8 1,8Irland 15,0 8,3 6,7Italien 1,4 -0,1 1,5Zypern 8,8 0,5 8,3Lettland 9,9 8,9 1,0Litauen 7,1 3,9 3,2Luxemburg 12,5 -0,4 12,9Ungarn -0,1 -1,6 1,5Malta 7,0 1,4 5,7Niederlande 6,9 1,9 5,0Österreich 4,7 1,6 3,1Polen 3,2 4,4 -1,2Portugal 5,5 3,7 1,9Rumänien 9,1 4,3 4,9Slowenien 12,2 3,9 8,3Slowakei 7,4 4,5 2,9Finnland 4,0 -0,5 4,5Schweden 1,8 0,2 1,6Vereinigtes Königreich 12,4 8,8 3,6EU 27 6,5 3,3 3,2

davon ausgelöst durch…

Tragfähigkeitslücke (S2) in % des BIP

Quelle für Ursprungsdaten: Tragfähigkeitsbericht der EU-Kommission (Sustainability Report 2009)

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Dritter Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen Seite 39

Alternativrechnungen hat die EU-Kommission bei den diesbezüglichen Ar-beiten ebenfalls angestellt. Unter der An-nahme, dass die bislang geltenden mittel-fristigen Haushaltsziele (medium-termobjectives – MTO) bereits im Jahr 2015 vonallen Mitgliedstaaten erreicht werden,kam es in den entsprechenden Rechnun-gen zu einer deutlichen Verbesserung derErgebnisse. Die dann erreichten Verände-rungen in den strukturellen Finanzie-rungssalden würden den erwarteten An-stieg der demografiebedingten Lasten inder Wirkung auf die Tragfähigkeitslückenin der EU insgesamt annähernd ausglei-chen können. Allerdings hat das so be-schriebene “MTO Szenario“ auch für dieGewinnung von Tragfähigkeitsurteilenauf europäischer Ebene nicht mehr dengleichen Stellenwert wie in früheren dies-bezüglichen Untersuchungen. Das liegtvor allem daran, dass die verwendetenZielgrößen für die mittelfristige Haus-haltskonsolidierung vor dem Ausbruchder Finanzmarkt- und Wirtschaftskriseformuliert wurden und in einigen Fällenunrealistisch hohe Abbauschritte impli-zieren.

Eine Überprüfung der Mittelfristzielesteht nach den Vorschriften des Stabi-litäts- und Wachstumspaktes („PreventiveArm“) alle vier Jahre an, möglichst immerdann, wenn auf Gemeinschaftsebeneneue langfristige Budgetprojektionen derAWG und darauf aufbauende Tragfähig-keitsanalysen der EU-Kommission vorlie-gen. Vorarbeiten dazu laufen bereits, Ex-perten der Mitgliedstaaten sind daran in-tensiv beteiligt. Die Ergebnisse der neuenLangfristrechnungen sollen dem Rat derWirtschafts- und Finanzminister in der er-sten Jahreshälfte 2012 vorgestellt werden,ein neuer „Sustainability Report“ der EU-Kommission wird dann voraussichtlich imOktober desselben Jahres erscheinen.

Darüber hinaus werden Rat und Kom-mission eine Beurteilung möglicher Lang-fristrisiken für die öffentlichen Finanzenweiter auch bei der jährlichen Prüfungder Stabilitäts- und Konvergenzpro-gramme, also im Zuge der haushaltpoliti-schen Überwachung der Mitgliedstaatenvornehmen. Was Deutschland betrifft, ha-ben ihre Rechnungen auf Basis des vonder Bundesregierung im April 2011 vorge-legten Stabilitätsprogramms im Falle desSzenarios, das die Haushaltssituation desJahres 2010 ohne Annahme weiterer Kon-solidierungsschritte fortschreibt, Tragfä-higkeitslücken von 4,5 % (S1) bzw. 5,0 % (S2) ergeben. Nach den Ergebnissen desalternativ berechneten Szenarios, bei dem – wie in den Modellrechnungen für denTragfähigkeitsbericht des Bundesministe-riums der Finanzen – eine Realisierungder in das Programm eingestellten Haus-haltsziele unterstellt wird, verringern sichdie ausgewiesenen Lücken deutlich. Dererrechnete gesamtstaatliche Konsolidie-rungsbedarf liegt unter diesen Umstän-den gemessen am BIP bei 2,2 % für S1 undbei 2,8 % für S2. Das sind Werte, die sich fürS1 und S2 innerhalb der in diesem Berichtaufgezeigten Spannen für die beiden Ba-sisvarianten T+ und T– bewegen, ihre Grö-ßenordnung erscheint aus heutiger Sichtplausibel.

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Seite 40 Modellrechnungen zur langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen

2.5 Rückblick: Ergebnisse der Tragfähigkeits-analysen im Zeitverlauf

Wie haben sich die Tragfähigkeitslückenzu den verschiedenen Zeitpunkten, an de-nen eine solche Prüfung für die öffent-lichen Finanzen in Deutschland vorge-nommen wurde, verändert? Wenn mandie auf nationaler Ebene in mehrjährigemAbstand erstellten Rechnungen ansiehtund die jetzt ermittelten Werte mit denenaus dem Vorgängerbericht vergleicht, sohaben sich die Messwerte eindeutig ver-größert. Die Tragfähigkeitslücke nachdem besonders „anspruchsvollen“ Indika-tor (S2) liegt nach den für diesen Berichtdurchgeführten Rechnungen zwischen0,9 % und 3,8 % des BIP, je nachdem, ob fürdie zukünftige demografische und wirt-schaftliche Entwicklung eher optimisti-sche oder eher pessimistische Annahmengetroffen werden.

Nach den Berechnungen von 2008 hat-ten sich mit Tragfähigkeitslücken von 0,0 % bzw. 2,4 % des BIP (für die optimisti-sche/pessimistische Variante) günstigereWerte ergeben. Gemessen an der damali-gen Situation hat sich der Konsolidie-rungsbedarf für die öffentlichen Haus-halte demnach um rd. einen BIP-Prozent-punkt bzw. knapp anderthalb BIP-Pro-zentpunkte erhöht. Ähnlich sind die Grö-ßenordnungen im Falle von S1.

Ein differenzierteres Bild lässt sich ge-winnen, wenn man die jeweils ausgewie-senen Lücken nicht nur aus Sicht eineseinzelnen Vorkrisenjahres (2008) und ei-nes einzelnen Jahres danach (2011) be-trachtet, sondern auch für die Berechnun-gen in der Zeit dazwischen. Gemessen ander Interimsrechnung des Jahres 2010bzw. an den von der EU-Kommission beider Prüfung des deutschen Stabilitätspro-gramms ermittelten Werten haben sichdie Tragfähigkeitslücken inzwischen be-reits wieder ein gutes Stück verringert. Diein allerjüngster Zeit wieder erzielte Ver-besserung (siehe Tabelle 6) ist ein eindeu-tiges Ergebnis der in Deutschland verfolg-ten Konsolidierungspolitik. Denn an denals Folge der Bevölkerungsalterung zu er-wartenden Belastungen hat sich in dieserZeit nicht so viel geändert.

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Dritter Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen Seite 41

Tabelle 6: Ergebnisse von Tragfähigkeitsanalysen im Zeitverlauf (Berichterstattung des BMF)

Tragfähigkeitslücken im Vergleich

- Ergebnisse der Modellrechnungen nach jeweils aktuellem Stand -

Angaben für S 1 (in % des Bruttoinlandsprodukts)

Variante Tragfähigkeitsbericht 2008

Interimsrechnung 2010

Tragfähigkeitsbericht 2011

T+ -0,8 1,8 0,6

T– 0,8 4,1 2,8

Angaben für S 2 (in % des Bruttoinlandsprodukts)

Variante Tragfähigkeitsbericht 2008

Interimsrechnung 2010

Tragfähigkeitsbericht 2011

T+ 0,0 2,1 0,9

T– 2,4 5,2 3,8

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Seite 42 Modellrechnungen zur langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen

Die gleiche Einschätzung ergibt sich,wenn man die von der EU-Kommission beider Prüfung der deutschen Stabilitätspro-gramme produzierten Daten (vgl. Ab-schnitt 2.4.) für einen entsprechenden Ver-gleich heranzieht. Danach sind in der aus-gewiesenen Höhe des Indikators dreiunterschiedliche Phasen zu unterscheiden(siehe Abbildung 9): Während sich dieWerte aus entsprechenden Veröffentli-chungen bis zum Schätzjahr 2008 (insbe-sondere durch die Einbeziehung der bisdahin erzielten Haushaltskonsolidierungund der zu diesem Zeitpunkt bereits verab-schiedeten Reformen im Bereich der ge-setzlichen Rentenversicherung) deutlichverringert hatten, sind sie als Folge der

Krise, die eine massive Verschlechterungder Haushaltslage mit sich brachte, wiederkräftig gestiegen. Denn auch die dadurchweiter angestiegene Schuldenstandsquotemuss sukzessive abgebaut werden, wenndie öffentlichen Finanzen langfristig alstragfähig gelten sollen. Die zuletzt beob-achtete Reduzierung der Tragfähigkeitslü-cke zeigt dagegen an, dass bei einer Reali-sierung der bis in das Jahr 2015 reichendengesamtwirtschaftlichen und budgetärenProjektionen der Bundesregierung trotzzunehmender demografischer Belastun-gen wieder mit einem Stück Annäherungan das Tragfähigkeitsziel gerechnet wer-den kann.

Abbildung 9: Ergebnisse von Tragfähigkeitsanalysen im Zeitverlauf (EU-Kommission)

Quelle: Bundesministerium der FinanzenUrsprungsdaten: EU-Kommission, Beurteilung („Assessment“) des jeweils aktuellen Deutschen Stabilitätsprogramms.

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III. Die Rolle der Politik bei der Sicherung tragfähiger öffentlicher Finanzen

Eine Politik zugunsten tragfähiger öffent-licher Finanzen muss über Legislaturpe-rioden und mittelfristige Finanzplanun-gen hinausschauen. Sie muss fragen, wiesich sowohl langfristige Bevölkerungs-und Wachstumstrends als auch heutigepolitische Entscheidungen auf die öffent-lichen Haushalte der kommenden Jahr-zehnte auswirken. Tragfähige öffentlicheFinanzen sind kein Selbstzweck. Es gehtvielmehr darum, die Voraussetzungen fürWohlstand, Generationengerechtigkeitund staatliche Handlungsfähigkeit zu ver-bessern.

Die Ergebnisse der Modellrechnungenin Kapitel 2 zeigen, dass sich die Werte fürdie errechneten Tragfähigkeitsindikato-ren im Vergleich zu den Ergebnissen derBerechnungen im Jahr 2008 verschlech-tert haben. Die Tragfähigkeitslücke in derauf europäischer Ebene gängigen Ab-grenzung liegt nach den neuen Rechnun-gen zwischen 0,9 % und 3,8 % des BIP, jenachdem, ob für die zukünftige wirt-schaftliche und demografische Entwick-lung eher optimistische oder eher pessi-mistische Annahmen getroffen werden.Es besteht also weiterhin dringender poli-tischer Handlungsbedarf, um die Soliditätder deutschen Staatsfinanzen sicherzu-stellen.

3.1 Leitlinien einer Politik für tragfähige öffentli-che Finanzen

Angesichts der hohen Schuldenstands-quote und der in Zukunft zu erwartendendemografischen Veränderungen solltesich die Politik an vier Leitlinien orientie-ren:

1. Tragfähige Politik braucht bei-des, Konsolidierung und Wirt-schaftswachstum. Eine langfristigtragfähige Finanzpolitik ist zunächstauf die strukturelle Konsolidierung deröffentlichen Haushalte ausgerichtet.Dabei kommt es insbesondere daraufan, langfristig nur solche Ausgaben zutätigen, die langfristig auch durch Ein-nahmen abgesichert sind. Zugleich be-deutet tragfähige Politik, die Rahmen-bedingungen für Wachstum und Be-schäftigung optimal auszugestalten.Denn die Frage, ob die öffentlichen Fi-nanzen eines Landes solide sind, ist im-mer auch im Verhältnis zu seiner Wirt-schaftskraft zu beurteilen. Da der de-mografische Wandel unter ansonstenunveränderten Rahmenbedingungenmit einem Rückgang des Arbeitskräfte-angebots einhergeht, hat er tenden-ziell eine dämpfende Wirkung auf diewirtschaftliche Dynamik.

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Seite 44 Die Rolle der Politik bei der Sicherung tragfähiger öffentlicher Finanzen

Eine tragfähige Politik setzt hier anund schafft die Rahmenbedingungendafür, dass sich die wirtschaftlicheLeistungsfähigkeit in Deutschlandauch bei einer älter werdenden Gesell-schaft weiter verbessert.

2. Tragfähige Politik ist eine res-sortübergreifende Aufgabe. Die Soli-dität der Staatsfinanzen kann nicht al-lein durch die Finanzpolitik sicherge-stellt werden. Vielmehr spiegeln dieöffentlichen Finanzen auch die Ent-scheidungen in vielen anderen Politik-feldern wider. Bei der Überprüfung öf-fentlicher Ausgaben auf Notwendig-keit und Effizienz sind alle Ressortsund alle staatlichen Ebenen gefordert.Zugleich erfordert die demografischeHerausforderung ein umfassendes undlangfristig angelegtes finanz-, wirt-schafts-, bildungs-, familien- und sozi-alpolitisches Konzept.

3. Tragfähige Politik handeltrechtzeitig. Ein Hinausschieben not-wendiger politischer Entscheidungenzur Sicherung der Tragfähigkeit wäremit hohen Kosten verbunden. Daherbesteht bereits jetzt Handlungsbedarf,bevor die demografische Entwicklungdazu führt, dass Gestaltungsspiel-räume weiter eingeengt werden. Diesentspricht auch der Empfehlung, früh-zeitig zu handeln, die der Sachverstän-digenrat zur Begutachtung der ge-samtwirtschaftlichen Entwicklung inseiner Expertise zu den Herausforde-rungen des demografischen Wandelsabgegeben hat.8 Je früher gehandeltwird, desto geringer sind die Anpas-sungskosten und desto größer sind dieHebelwirkungen von Reformmaßnah-men.

4. Tragfähige Politik berücksich-tigt Risiken. Projektionen zur Tragfä-higkeit der öffentlichen Finanzen sindgrundsätzlich mit großen Unsicherhei-ten verbunden, nicht zuletzt weil derbetrachtete Zeithorizont weit in dieZukunft reicht. Tragfähige Politikstützt sich daher nicht alleine auf gün-stige Szenarien, sondern wappnet sichauch für eine mögliche ungünstigekünftige Entwicklung. Eine Politik aufBasis einer Einschätzung der langfristi-gen Entwicklung, die sich im Nachhin-ein als zu optimistisch herausstellte,wäre nicht tragfähig, da sie kommen-den Generationen unverhältnismäßighohe Lasten aufbürden würde.

3.2 Ansatzpunkte in der Finanzpolitik

Die Tragfähigkeit der öffentlichen Finan-zen hängt nicht zuletzt von den in Zu-kunft zu erwartenden demografischenVeränderungen ab. Probleme ergebensich dabei mittel- bis langfristig wenigeraus dem Bevölkerungsrückgang als ausden Veränderungen in der Altersstrukturunserer Gesellschaft. Ein Blick auf dieStruktur des Bundeshaushaltes zeigt, dasshier altersabhängigen Ausgabenberei-chen bereits zum jetzigen Zeitpunkt einerelativ große Bedeutung zukommt (vgl.Abbildung 10). So lag beispielsweise derAnteil der Mittel an die gesetzliche Ren-tenversicherung an den Gesamtausgabendes Bundes im Jahr 2010 bei 26,5 %.

8. Sachverständigenrat, „Herausforderungen des demografischen Wandels“, Mai 2011. Abrufbarunter: http://www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de.

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Dritter Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen Seite 45

Gesetzliche Rentenversicherung

26.5%

Arbeitsmarkt 16.3%

Sonstige soziale Ausgaben11.1%

Zinsausgaben 10.9%

Übrige Bundesausgaben

35.3%

Abbildung 10: Ausgabenstruktur im Bundeshaushalt 2010

3.2.1 Nationale Ebene

Die Bundesregierung hat bereits in denvergangenen Jahren erhebliche Anstren-gungen unternommen, um die langfris-tige Tragfähigkeit der Staatsfinanzen si-cherzustellen. Weit reichende Strukturre-formen auf dem Arbeitsmarkt und in denSystemen der sozialen Sicherung habenzu einer Stärkung der öffentlichen Finan-zen beigetragen. Mit der Einführung der

nach der die Höhe der neuen Kredite imRegelfall die Höhe der Investitionen imHaushaltsplan nicht überschreiten durfte,den Aufbau von Schulden nicht nachhal-tig begrenzen konnte. Ebenfalls Konsensbestand darüber, dass ein nachhaltigerKonsolidierungskurs für die öffentlichen

Quelle: Bundesministerium der Finanzen

Die Schuldenregel wurde 2009 währendder Finanzmarkt- und Wirtschaftskrisebeschlossen; die konzeptionellen Vorar-beiten waren jedoch schon viel früher be-gonnen worden. Auch vor der Krise be-stand bereits ein breiter Konsens darüber,dass die alte grundgesetzliche Regelung,

Schuldenregel hat der Gesetzgeber dasPrinzip der langfristigen Tragfähigkeitder Haushalte von Bund und Ländern imGrundgesetz verankert. Damit sind ersteentscheidende institutionelle Rahmenbe-dingungen dafür geschaffen, die beste-henden Tragfähigkeitslücken kontinuier-lich abzubauen. Allerdings hat die Krisedazu geführt, dass sich die Ausgangslagefür die Konsolidierung der öffentlichenHaushalte verschlechtert hat.

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Finanzen unabdingbar ist – insbesonderevor dem Hintergrund einer alternden Ge-sellschaft und verfestigter strukturellerProbleme in den Haushalten.

Die in Folge entwickelte neue grund-gesetzliche Regel verpflichtet den Bundnach einer Übergangsfrist erstmals imJahr 2016 und die Länder erstmals im Jahr2020 zu im Grundsatz strukturell ausge-glichenen Haushalten. Sie folgt der Ein-sicht, dass weder Ausgabenerhöhungennoch Steuersenkungen dauerhaft überKreditaufnahme finanziert werden dür-fen. Damit zielt die neue Schuldenregelauf strukturelle Haushaltsverbesserungenab. Konkret sieht die Regel vor, dass derBund sein strukturelles Defizit in gleich-mäßigen Schritten bis 2016 auf maximal0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktszurückführt und danach diese Grenzenicht überschreitet. Damit gibt die Schul-denregel die maximal zulässige Nettokre-ditaufnahme unter Berücksichtigung ei-ner Konjunkturkomponente sowie unterAusschluss von finanziellen Transaktio-nen, also bspw. Privatisierungserlösen,vor.9 Die langfristige Einhaltung derSchuldenregel bei Bund und Ländern so-wie gesamtstaatlich die Einhaltung des impräventiven Arm des europäischen Stabi-litäts- und Wachstumspakts verankertenMittelfristziels sichern eine nachhaltigeRückführung der Staatsverschuldung.

Abbildung 11 zeigt die rechnerischeFortschreibung der Schuldenstandsquoteunter der Bedingung, dass die neue Schul-denregel dauerhaft eingehalten wird.10

Ausgehend von einem Niveau in Höhevon rund 84 % in Relation zum BIP im Jahr2010 führt die Fortschreibung in der opti-mistischen Variante T+ zu einem stetigenAbsinken der Schuldenstandsquote bisauf rund 25 % in Relation zum BIP im Jahr2060. In der pessimistischen Variante T–ergibt die Fortschreibung dagegen eineetwas flachere Rückführung der Schul-denstandsquote – im Jahr 2060 wird hierein Wert von rund 35 % in Relation zumBIP erreicht.

Die neue deutsche Schuldenregel istauch im Ausland auf Interesse gestoßenund hat die Diskussion um wirkungsvolleFiskalregeln intensiviert. Auch aus wissen-schaftlicher Sicht wird die Schuldenregelvor dem Hintergrund der Konsolidie-rungserfordernisse durchweg positiv be-urteilt. So stellte beispielsweise der deut-sche Sachverständigenrat zur Begutach-tung der gesamtwirtschaftlichen Entwick-lung fest, dass die Schuldenregel einenwichtigen und richtigen Beitrag zur wirk-samen Begrenzung der staatlichen Ver-schuldung leistet.11

9. Detaillierte Erklärungen zur Schuldenregel des Bundes bietet das „Kompendium zur Verschul-dungsregel des Bundes gemäß Artikel 115 Grundgesetz“. Weiterführende Informationen zum Kon-junkturbereinigungsverfahren der Schuldenregel finden sich im BMF-Monatsbericht Februar 2011:„Die Ermittlung der Konjunkturkomponente des Bundes im Rahmen der neuen Schuldenregel“.Beides ist abrufbar unter: www.bundesfinanzministerium.de10. Maastricht-Schuldenstandsquote bei langfristig strukturellem Defizit von 0,35 % in Relation zumBruttoinlandsprodukt.11. Jahresgutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Ent-wicklung 2010/2011, Textziffer 360. Abrufbar unter: www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de

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Um den Vorgaben der Schuldenregelund damit auch einer Politik mit dem Zieltragfähiger Staatsfinanzen besser gerechtwerden zu können, erfolgt die Aufstel-lung des Bundeshaushalts seit diesem Jahrim so genannten Top-Down Verfahren.Bei der Aufstellung des Haushalts 2012und des Finanzplans bis 2015 hat dasBundeskabinett – auf Vorschlag desBundesministers der Finanzen – erstmalsbereits Mitte März Einnahme- und Ausga-beplafonds für die einzelnen Ministerienabgeleitet und festgelegt. Das neue Ver-fahren stellt sicher, dass die Bundesregie-

rung frühzeitig ihre Prioritätensetzung inden verschiedenen Bereichen des Bundes-haushalts definiert. Im Vordergrund stehtnicht mehr der mutmaßliche Bedarf dereinzelnen Ministerien, sondern die Set-zung von politischen Prioritäten unterWahrung der notwendigen Haushalts-konsolidierung. Zudem steigt bei der an-schließenden Umsetzung die Eigenver-antwortung der Ressorts, und die politi-schen Zielsetzungen müssen sich stärkerals bisher an qualitativen und nicht mehrnur an quantitativen Vorgaben orientie-ren.

Abbildung 11: Rechnerische Fortschreibung der Schuldenstandsquote unter Beachtung der grundgesetzlich verankerten Schuldenregel (2000-2060)

Quelle: Werding

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Die Bundesregierung hat bereits imvergangenen Jahr mit dem Zukunftspa-ket einen wichtigen Grundstein gelegt,um mittelfristig die Einhaltung der Schul-denregel sicherzustellen. Dabei geht esum Begrenzung des Staatskonsums, Kür-zung von Subventionen, Erhöhung derLeistungsanreize und Festhalten an derPriorität für Ausgaben in Bildung und For-schung. Das Zukunftspaket steht für einenfinanzpolitischen Kurswechsel und für in-telligentes Sparen. Gleichzeitig kann derBund durch die überaus positive konjunk-turelle Entwicklung deutlich größereFortschritte bei der Konsolidierung errei-chen als bisher erwartet. Im Ergebnisunterschreitet der Bund mit dem vorlie-genden Regierungsentwurf 2012 und demFinanzplan bis zum Jahr 2015 die maximalzulässige Neuverschuldung in allen Jah-ren deutlich.

Dabei ist allerdings auch zu berück-sichtigen, dass der neue Finanzplan inden Jahren 2014 und 2015 weiterhin dieauf dem Zukunftspaket beruhenden Glo-balen Minderausgaben enthält. Im Übri-gen definiert die Schuldenregel für diestrukturelle bzw. die absolute Neuver-schuldung eine unverrückbare Ober-grenze. Mit Blick auf Schätzunsicherhei-ten und Planungsrisiken sollte diese nichtvollkommen ausgeschöpft werden. Einangemessener Sicherheitsabstand schafftden notwendigen Puffer um kurzfristigeund ggf. tief greifende Planungsanpas-sungen zu vermeiden. Es entspricht ge-rade dem Sinn und Zweck der Schuldenre-gel, konjunkturell bedingte Entlastungen(Mehreinnahmen oder Minderausgaben)vorrangig zur weiteren Senkung der Neu-verschuldung heranzuziehen.

Eng mit der Reform der Verschul-dungsregel verknüpft ist die Einführungeines bundesstaatlichen Frühwarnsys-tems zur Vermeidung künftiger Haus-haltsnotlagen. Hierzu wurde der Stabili-tätsrat errichtet, der 2010 seine Arbeitaufgenommen hat. Dem Rat gehören die Finanzminister des Bundes und der Län-der sowie der Bundeswirtschaftsministeran. Der Stabilitätsrat überwacht die Ent-wicklung der Haushalte von Bund undLändern anhand von vier Kennziffern(struktureller Finanzierungssaldo, Kredit-finanzierungsquote, Schuldenstand undZins-Steuer-Quote) sowie einer Projektionder mittelfristigen Haushaltsentwicklungauf Basis einheitlicher Annahmen. Fallsder Stabilitätsrat beim Bund oder in ei-nem Land eine drohende Haushaltsnot-lage feststellt, ist mit den Betroffenen einSanierungsprogramm zu vereinbaren.Das Sanierungsprogramm erstreckt sichüber einen Zeitraum von fünf Jahren undwird laufend vom Stabilitätsrat über-wacht. Ziel ist es, die drohende Haushalts-notlage in betroffenen Gebietskörper-schaften abzuwenden. Dem Stabilitätsratkommt mit der regulären Haushaltsüber-wachung und dem Instrument der Sanie-rungsprogramme eine zentrale Rolle zurStärkung der Haushaltsdisziplin im Bundund in den Ländern zu.

Eine Steuerpolitik zur Verbesserungder Tragfähigkeit muss die Balance wah-ren zwischen nachhaltiger Stärkung derWachstumskräfte und nachhaltiger Si-cherung der Finanzierung staatlicher Auf-gaben. Dass diese Ziele miteinander ver-einbar sind, zeigen beispielhaft die steuer-politischen Maßnahmen, die überwie-gend im Rahmen des Zukunftspakets um-gesetzt wurden. Die beschlossenen Ein-sparungen und Einnahmeverbesserun-gen sind so ausgestaltet, dass weder dasWachstumspotenzial noch die soziale Ba-lance beeinträchtigt werden.

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Die Maßnahmen des Steuerverein-fachungsgesetzes 2011 dienen der Verein-fachung des Steuerrechts und der Moder-nisierung des Besteuerungsverfahrens.Steuerzahler und Steuerverwaltung wer-den spürbar von Erklärungs-, Prüf- und Verwaltungsaufwand entlastet. An-spruchsvoraussetzungen werden ge-strafft, der Dokumentationsaufwand wirdvermindert. Insgesamt werden überwie-gend Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-mer sowie Familien mit Kindern um rund590 Mio. € jährlich entlastet, ohne denKonsolidierungskurs zu gefährden.

Im Bereich der Unternehmensbesteue-rung lässt die Bundesregierung derzeitMöglichkeiten für eine strukturelle Ver-besserung des Steuersystems prüfen. Ge-prüft werden sollen Möglichkeiten, wiedas Unternehmensteuerrecht unter Be-rücksichtigung der Aufkommensneutra-lität weiter modernisiert und internatio-nal wettbewerbsfähig ausgestaltet wer-den kann. Hierzu wurde eine Arbeits-gruppe aus Vertretern von Bund, Ländernund Gemeinden eingesetzt, die Möglich-keiten für eine Neustrukturierung der Re-gelungen zur Verlustverrechnung sowiefür den Ersatz der ertragsteuerlichen Or-ganschaft durch ein modernes Gruppen-besteuerungssystem prüfen soll.

Darüber hinaus hat die Bundesregie-rung eine Kommission eingesetzt, die Re-formoptionen für den Katalog der mitdem ermäßigten Umsatzsteuersatz be-steuerten Güter und Dienstleistungenprüfen wird.

Die Regierungskoalition beabsichtigt,zum 1. Januar 2013 kleinere und mittlereEinkommen steuerlich zu entlasten unddie kalte Progression zu vermindern. Poli-tisch verabredet ist, im Herbst über dieEinzelheiten zu entscheiden und einenGesetzentwurf vor der endgültigen Ver-abschiedung des Bundeshaushaltes 2012vorzulegen.

3.2.2 Europäische Ebene

Die Sicherung der Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen ist nicht nur einenationale Aufgabe, sondern aufgrund derfinanz- und wirtschaftspolitischen Inter-dependenzen in der EU und der Eurozonezugleich auch eine maßgebliche europäi-sche Herausforderung.

Die Sorge um die langfristige Entwick-lung der Staatsfinanzen hat die nationa-len Stabilitäts- und Konvergenzpro-gramme der EU Mitgliedstaaten sowie diediesbezüglichen länderspezifischen Emp-fehlungen schon in den vergangenen Jah-ren deutlich geprägt. Neben der Tragfä-higkeitsberichterstattung auf europäi-scher Ebene zielt insbesondere auch dasso genannte mittelfristige Haushaltszieldes präventiven Arms des Stabilitäts- undWachstumspakts (SWP) darauf ab, lang-fristig tragfähige Staatsfinanzen sicherzu-stellen. Das Mittelfristziel schreibt struk-turell annähernd ausgeglichene Haus-halte oder Haushaltsüberschüsse vor. Dieländerspezifische Festlegung des Zielswird unter anderem auch durch die Höheder aktuellen Schuldenstandsquote unddie Kosten der Alterung der Gesellschaftbestimmt.

Aus heutiger Sicht muss man feststel-len, dass die bestehenden Regeln die Ak-kumulation hoher Schuldenstände in ei-nigen Mitgliedstaaten nicht verhinderthaben. Ursächlich hierfür war, dass ein-zelne Staaten die Vorgaben für eine solideHaushaltsführung und zur Verbesserungder Wettbewerbsfähigkeit nicht eingehal-ten haben und diese von den europäi-schen Partnern auch nicht nachdrücklichgenug eingefordert wurden. Insbeson-dere das Mittelfristziel wurde oftmals ver-nachlässigt. Einige Euroländer weisen in-zwischen so hohe Schuldenstände aus,dass sie ohne solidarische Hilfe der euro-päischen Partner ihren Zahlungsver-

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pflichtungen aktuell nicht nachkommenkönnen. Die weltweite Finanzmarkt- undWirtschaftskrise und die zur Krisenbewäl-tigung erforderlich gewordenen staat-lichen Maßnahmen zur Stabilisierung derKonjunktur und der Finanzmärkte habendiese Entwicklungen noch verschärft.

In diesem Prozess sind verschiedeneSchwachstellen im Regelwerk der Europä-ischen Wirtschafts- und Währungsunionaufgedeckt worden, die es zu beseitigengilt. Die EU insgesamt, insbesondere aberder Euroraum, erfordert in den Mitglied-staaten eine nachhaltige Finanzpolitik so-wie eine auf die Stärkung der Wettbe-werbsfähigkeit ausgerichtete Wirtschafts-politik. Ohne eine solche gemeinsameAusrichtung kann der europäische Wirt-schafts- und Währungsraum nicht funk-tionieren.

Vor diesem Hintergrund hat der Euro-päische Rat der Staats- und Regierungs-chefs eine umfassende Gesamtstrategiezur Stabilisierung und Reform der Wirt-schafts- und Währungsunion verabschie-det. Die Strategie setzt an den identifiziertenSchwachstellen an:

> Die Mitgliedstaaten werden zu einerstrikt stabilitätsorientierten Finanz-,Haushalts- und Wirtschaftspolitik ver-pflichtet.

> Die Koordinierung und Überwa-chung durch die Partnerländer und dieeuropäischen Institutionen wird durchgeeignete Mechanismen verschärft.

> Die Widerstandsfähigkeit des Fi-nanzsektors wird durch eine europäi-sche Finanzaufsicht und strengere Re-gulierung gestärkt.

> Zur Abwendung akuter Krisensitua-tionen wird mit dem Europäischen Sta-bilitätsmechanismus ab 2013 ein dau-erhafter institutioneller Schutz- undNothilfemechanismus eingerichtet,der den temporären europäischen Ret-tungsschirm ablöst.

Damit künftig alle Mitgliedstaaten ei-nen ausgeglichenen Haushalt anstrebenund ihre Schulden effektiv begrenzen,verschärft die Europäische Union die Vor-gaben des SWP. Im präventiven Arm wirddas Mittelfristziel verbindlicher verankertund sanktionsbewehrt. Im korrektivenArm wird ein Schuldenstandskriteriumdem Defizitziel gleichwertig zur Seite ge-stellt. Unter dem SWP in seiner bisherigenForm konnte gegen einen Mitgliedsstaatein so genanntes „Verfahren wegen über-mäßigen Defizits (VÜD)“ eingeleitet wer-den, wenn dessen Haushaltsdefizit 3 % desBIP überschritten hatte. Zukünftig kanndie Europäische Kommission auch dannein VÜD einleiten, wenn die Staatsver-schuldung oberhalb des Referenzwertesvon 60 % des BIP liegt und die Differenzzwischen Schuldenstandsquote und Refe-renzwert nicht jährlich um 1/20 abgebautwird (verpflichtender Abbaupfad). Da-durch wird sichergestellt, dass Länder mitzu hohen Schuldenstandsquoten diesesystematisch solange abbauen, bis sie ma-ximal 60 % betragen.

Damit die neuen Regeln auch durch-gesetzt werden, greifen in den Eurolän-dern die Sanktionen zukünftig früher,umfassender und quasi automatisch,wenn ein Mitgliedstaat das Regelwerkmissachtet. Quasi automatisch bedeutet,dass nur noch eine große (qualifizierte)Mehrheit (so genannte „umgekehrteMehrheit“) im EU-Finanzministerrat dieSanktionen stoppen kann.

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Zu den wesentlichen Ursachen der aktuellen Schuldenkrisen gehört nebeneiner unsoliden Haushaltspolitik, dass ineinigen Mitgliedstaaten die Wirtschafts-politik nicht entschlossen genug auf dieStärkung des Wachstumspotentials undder Wettbewerbsfähigkeit ausgerichtetwar. Denn solides Wachstum und einewettbewerbsfähige Wirtschaft sind we-sentliche Voraussetzungen für nachhal-tige öffentliche Finanzen. Künftig wirddaher die Umsetzung wichtiger Struktur-reformen in den Mitgliedstaaten stärkerüberwacht und vorangetrieben werden.Hierzu haben die Staats- und Regierungs-chefs den Euro-Plus-Pakt beschlossen. Ersieht vor, dass sich die teilnehmendenStaaten auf Ebene der Staats- und Regie-rungschefs jährlich konkrete nationaleZiele setzen, die sie in den kommendenzwölf Monaten umsetzen müssen. Zusätz-lich wurde ein neues Verfahren etabliert,das wirtschaftliche Ungleichgewichte inden Mitgliedstaaten überwacht. Überge-ordnetes Ziel dieses Verfahrens ist es, überdie Vermeidung bzw. Korrektur makroö-konomischer Ungleichgewichte die Wett-bewerbsfähigkeit der einzelnen Mitglied-staaten sowie der Eurozone und der EU alsGanzes zu stärken, und – zusammen mitder haushaltspolitischen Überwachung –die finanzielle Stabilität der Eurozone zusichern. Das Verfahren sieht u.a. die Ein-richtung eines Frühwarnmechanismusvor, der helfen soll, potentielle makroöko-nomische Ungleichgewichte und Schwä-chen in der Wettbewerbsfähigkeit in deneinzelnen Mitgliedstaaten frühzeitig zuidentifizieren, z. B. im Fall hoher Leis-tungsbilanzdefizite oder stark steigenderLohnstückkosten.

Nicht zuletzt besteht eine weitereLehre aus der Krise darin, dass die Finanz-märkte so reguliert werden müssen, dassTransparenz, Kontrolle und Anreizstruk-turen gewährleistet werden. Nur so lässtsich das Vertrauen der Marktteilnehmerin funktionsfähige Märkte und ein faires,kundenorientiertes Finanzdienstleis-tungssystem wieder herstellen.

Die EU hat sich deshalb unter anderemdafür eingesetzt, dass Banken mehr Ei-genkapital vorhalten müssen. Diese Re-serven sollen verhindern, dass die Bankenin einer Krise erneut staatliche Hilfen be-nötigen. Eine weitere zentrale Maßnahmeder Finanzmarktreform besteht darin,den Finanzsektor strenger zu überwa-chen. Dazu hat die EU eine europäische Finanzmarktaufsicht geschaffen. Zusam-men mit der strengeren nationalen Regu-lierung kann Krisen nun besser vorge-beugt werden.

Diese Maßnahmen werden entschei-dend dazu beitragen, die Finanzstabilitätin der EU und der Eurozone wieder herzu-stellen und nachhaltig zu wahren. Die Ein-trittswahrscheinlichkeit künftiger Krisenwird damit deutlich reduziert. Sollte den-noch zur Abwendung akuter Krisen, diedie Finanzstabilität in der Eurozone be-drohen, finanzielle Unterstützung erfor-derlich werden, steht ab 2013 mit dem Eu-ropäischen Stabilitätsmechanismus (ESM)ein neuer dauerhafter Krisenbewälti-gungsmechanismus zur Verfügung. DerESM wird den bis dahin bestehen bleiben-den temporären europäischen Rettungs-schirm (Europäische Finanzstabilisie-rungsmechanismus EFSM und Europäi-sche Finanzstabilisierungsfazilität EFSF)ablösen.

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3.3 Ansatzpunkte in anderen Politikfeldern

3.3.1 Wachstum und

Beschäftigung

Die Tragfähigkeit der öffentlichen Finan-zen steht immer auch im Verhältnis zurlangfristigen Entwicklung der Wirt-schaftskraft. Daher gilt es, die Rahmenbe-dingungen für Wachstum und Beschäfti-gung in Deutschland weiter zu verbes-sern. Insbesondere ist entscheidend, dasses gelingt, den in Zukunft zu erwartendennegativen Einfluss der rückläufigen An-zahl von Personen im erwerbsfähigen Al-ter auf die langfristigen Wachstumsmög-lichkeiten auszugleichen. Hierzu ist zu-nächst das bereits vorhandene Arbeits-kräftepotenzial stärker zu nutzen – durcheine Verlängerung der Lebensarbeitszeit,durch eine höhere Erwerbsbeteiligung,insbesondere von Frauen und von älterenPersonen, sowie durch einen weiteren Ab-bau der Arbeitslosigkeit. Die konkretenMaßnahmen lassen sich dabei den folgen-den drei Bereichen zuordnen:

1. Stärkere Einbeziehung von Äl-teren in den Arbeitsmarkt („Rentemit 67“). Bereits 2007 wurde inDeutschland die Anhebung der Regel-altersgrenze in der gesetzlichen Ren-tenversicherung ab 2012 von derzeit 65 Jahren auf 67 Jahre bis 2029 be-schlossen. Obwohl die Erwerbstätigen-quote der 55- bis 64-Jährigen sich be-reits Anfang 2011 der 60-Prozentgrenze(EU-2020 Zielwert) nähert, sind nebenMaßnahmen zur Verbesserung von Bil-dung und Qualifizierung nach wie vorweitere Anstrengungen in der Gesund-heitsvorsorge und der altersgerechtenGestaltung von Arbeitsplätzen erfor-derlich. Zugleich ist vielfach ein Um-denken auf Seiten der Arbeitgeber nötig, damit auch ältere, erfahrene Ar-beitnehmer verstärkt ihre Potentiale inden Arbeitsmarkt einbringen können.

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Dritter Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen Seite 53

2. Stärkere Integration vonFrauen in den Arbeitsmarkt. InDeutschland nehmen 6,3 MillionenFrauen im erwerbsfähigen Alter nichtam Erwerbsleben teil, ein großer Anteildavon verfügt über eine mittlere bishöhere Qualifikation und viele sindkurzfristig an einer Arbeitsaufnahmeinteressiert. Dies stellt ein großes Potenzial zur Deckung des Fachkräfte-bedarfs dar. Wissenschaftler undBundesagentur für Arbeit sehen beiden Frauen das größte und am schnell-sten zu aktivierende Fachkräftepoten-tial im Inland. Zwar ist die individuelleVerteilung bezahlter Erwerbsarbeitund unbezahlter Familien- und Fürsor-gearbeit zwischen Frauen und Män-nern vielfältiger geworden, dennochbestehen geschlechtsspezifische Ar-beitsteilungsmuster fort. Neue For-schungen zeigen, dass in knapp 20 Pro-zent aller Mehrpersonenhaushalte inDeutschland Frauen die Haupteinkom-mensbezieherinnen sind. Die Bundes-regierung und die Länder verfolgendaher einen umfassenden Ansatz zumAbbau geschlechtsbedingter Beschäf-tigungshemmnisse. Er zielt auf dieSteigerung der Erwerbstätigenquotevon Frauen und auf die Gleichstellungvon Frauen und Männern in der Ar-beitswelt. Schwerpunkte sind hierbeiinsbesondere die bessere Vereinbar-keit von Familie und Beruf, die Erleich-terung des Wiedereinstiegs ins Berufs-leben, die Erhöhung des Anteils vonFrauen in Führungspositionen sowiedie Minderung geschlechterspezifi-scher Entgeltungleichheit.

3. Stärkere Integration von ar-beitsmarktfernen Bevölkerungs-gruppen. Ein entscheidender Faktorhin zu einer besseren Nutzung des Arbeitskräftepotenzials und zur Ver-meidung von Armut und sozialer Aus-grenzung ist die von der Bundesregie-rung angestrebte Reduzierung derLangzeitarbeitslosigkeit um 20 Prozentbis 2020. Die Bundesregierung folgtdem Prinzip „Integration durch Ar-beit“. Hierzu ist mit der Einführung derGrundsicherung für Arbeitsuchendezum 1. Januar 2005 die Grundlage ge-schaffen worden. Seitdem werden dieGestaltungsmöglichkeiten für eine in-dividuelle und passgenaue Unterstüt-zung der Arbeitsuchenden kontinuier-lich erweitert. Zudem wird mit der ab 1. Januar 2011 greifenden Organisa-tionsreform im Bereich der Grundsi-cherung die Leistungsorientierung derJobcenter gestärkt.

Neben einer besseren Nutzung des Arbeitskräftepotenzials kommt es jedochauch darauf an, die wirtschaftliche Leis-tungsfähigkeit in Deutschland weiter zuerhöhen. Der aktuelle Wirtschaftsauf-schwung wird vor allem von der Binnen-nachfrage getragen: Bereits im Jahr 2010trug sie in Deutschland etwa zwei Drittelzum gesamtwirtschaftlichen Wachstumbei; dieses Jahr dürfte es noch mehr sein.Um die Wachstumskräfte im Inland wei-ter zu stärken, ist vor allem ein investi-tionsfreundliches Umfeld notwendig.Dazu dienen Maßnahmen wie ein weite-rer Abbau von Bürokratie, Vorhaben zurSteuervereinfachung sowie eine Novellie-rung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbe-schränkungen. Daneben finden sich Initi-ativen zum wettbewerbsorientierten Aus-bau von Infrastrukturen im Energie- undim Telekommunikationsbereich (Energie-konzept und Breitbandstrategie).

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Seite 54 Die Rolle der Politik bei der Sicherung tragfähiger öffentlicher Finanzen

3.3.2 Zuwanderungspolitik

Im Bereich der Migrationspolitik beste-hen gute Chancen, die langfristige Tragfä-higkeit der öffentlichen Finanzen inDeutschland zu erhöhen. Eine verstärkteund gezielte Zuwanderung kann dazubeitragen, dem schrumpfenden Erwerb-spersonenpotenzial und den damit ver-bundenen negativen Wachstumseffektenentgegenzuwirken.

Die Bundesregierung wird daherdurch die Ausgestaltung des Zuwande-rungsrechts die Attraktivität Deutsch-lands als Migrationsziel für Hochqualifi-zierte steigern. Bürokratische Hindernissefür qualifizierte Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer sind abzubauen und dieRahmenbedingungen für ihre Niederlas-sungs- und Aufenthaltserlaubnis zu ver-bessern.

Die seit 1. Mai 2011 geltende unbe-schränkte Arbeitnehmerfreizügigkeit fürdie Staatsangehörigen von acht weiterenEU-Mitgliedstaaten stellt eine großeChance dar. Experten des Instituts für Ar-beitsmarkt- und Berufsforschung (IAB)rechnen mit bis zu 100.000 Menschen proJahr, die infolge der unbeschränkten Ar-beitnehmerfreizügigkeit zusätzlich nachDeutschland kommen.

In Berufen und Branchen, in denenschon jetzt ein Fachkräftemangel besteht,der nicht allein durch die Aktivierung voninländischem Potenzial beseitigt werdenkann, ist es notwendig, diesen rasch durcheinen unkomplizierten und attraktivenZuzug zu mindern. Die Bundesregierungwird dazu neben Anpassungsbedarf imZuwanderungsrecht auch prüfen, wie dasbestehende Instrumentarium zur Arbeits-migration besser und vollständiger ge-nutzt werden kann.

So wurde bereits im Juli 2011 die Vorrangprüfung der Bundesagentur fürArbeit nach dem Arbeitsgenehmigungs-recht für bestimmte Ingenieurberufe so-wie für die Berufsgruppe der Ärzte ausge-setzt. Bei ärztlichen Berufen ist diese Maß-nahme erforderlich, da trotz insgesamtnach wie vor steigender Arztzahlen be-reits heute nicht mehr in allen Bereichenund Regionen Ärzte in ausreichender An-zahl zur Verfügung stehen. Es wird damitauch der Bedeutung des Arztberufs für dieGesundheitsversorgung der BevölkerungRechnung getragen. Diese Aussetzungder Vorrangprüfung erfolgte für die ge-nannten Berufe auf der Grundlage vonAnalysen der Bundesagentur für Arbeit.Die Sachlage wird zum Zwecke der Anpas-sung regelmäßig daten- und expertenge-stützt halbjährlich überprüft.

Zudem stimmt die Bundesregierungderzeit einen Entwurf zur Umsetzung derEU-Richtlinie 2009/50/EG über die Bedin-gungen für die Einreise und den Aufent-halt von Drittstaatsangehörigen zur Aus-übung einer hoch qualifizierten Beschäfti-gung ab (sog. „Blue Card“ Richtlinie).Nach den Vorgaben der Richtlinie wirdinsbesondere ein neuer (befristeter) Auf-enthaltstitel „Blaue Karte EU“ für auslän-dische Arbeitnehmer mit einer akademi-schen oder vergleichbaren Qualifikationund einem bestimmten Mindesteinkom-men eingeführt. Die Bundesregierungwird hierbei die in der Richtlinie enthalte-nen Spielräume für eine attraktive Ausge-staltung der sog. Blauen Karte EU nutzen.

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Dritter Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen Seite 55

3.3.3 Bildungs- und

Innovationspolitik

Wichtige Triebfedern für die langfristigeWirtschaftskraft Deutschlands bestehenim Bereich Bildungs- und Innovationspo-litik. Zugleich sichern Bildung und Wis-sen die Erwerbsfähigkeit des Einzelnenüber den Lebenszyklus. Somit leistet diePriorität für Ausgaben im Bereich Bildungund Forschung einen zentralen Beitragzur wachstumsfreundlichen Ausrichtungder bisher ergriffenen Politikmaßnah-men. Bildung und Forschung wurden vonKürzungen ausgenommen und gezieltweiter aufgestockt: Für Bildung, For-schung und Innovation stellt der Bund inder aktuellen Legislaturperiode zusätzlich12 Mrd. € bereit; eine Hälfte davon entfälltauf den Bereich Forschung und Innova-tion.

Mit der zusätzlichen Summe von 6 Mrd. € für Forschung und Innovationmacht der Bund einen wesentlichenSchritt, um bis 2020 zusammen mit denLändern und der Wirtschaft 3 % des Brut-toinlandsprodukts in Forschung und In-novation zu investieren. Dieses Ziel habendie Mitgliedstaaten der EuropäischenUnion zu Beginn des neuen Jahrtausendsim Rahmen der „Lissabon-Strategie“ be-schlossen und 2010 in der „Europa 2020“-Strategie nochmals bestätigt. Im Jahr2009 betrug die Quote der Gesamtausga-ben für Forschung und Innovation inDeutschland 2,8 %.

Die Mittel zur Forschungsförderungwerden in großem Umfang in der von derBundesregierung bereits 2006 beschlosse-nen und 2010 weiterentwickelten natio-nalen Forschungs- und Innovationsstrate-gie („Hightech-Strategie“, HTS) eingesetzt.

In dieser wurden für die unterschied-lichen Forschungs- und InnovationsfelderZiele formuliert, Prioritäten gesetzt undneue Instrumente eingeführt. Neben denFörderaspekten werden auch die Rah-menbedingungen für Forschung und In-novation und deren Verbesserung in denBlick genommen. Die Forschungs- und In-novationspolitik wird in Zukunft stärkeran den großen globalen und gesellschaft-lichen Herausforderungen ausgerichtet.Diese bestehen besonders auf den FeldernKlima/Energie, Gesundheit/Ernährung,Mobilität, Sicherheit und Kommunika-tion. Mit der weiterentwickelten HTS 2020werden ausgewählte Zukunftsprojekte insZentrum künftiger Forschungs- und Inno-vationspolitik gerückt, um dadurch kon-krete wissenschaftliche und technologi-sche Entwicklungen über einen Zeitraumvon zehn bis fünfzehn Jahren zu verfol-gen. Ziel ist es, Deutschland zum Vorreiterbei der Entwicklung zukunftsfähiger Lö-sungen zu machen und als Leitanbieterfür diese Lösungen zu etablieren.

Im Bildungsbereich sind die Politik-maßnahmen vorrangig im Verantwor-tungsbereich der Länder. Beiträge desBundes sind sehr vielfältig, sie konzentrie-ren sich vor allem auf die Aus- und Weiter-bildung in allen Lebensphasen. Dies reichtvon der Verbesserung der schulischen Bil-dung über die nochmalige Verlängerungdes Ausbildungspaktes bis hin zu vielfälti-gen Initiativen zur Verbesserung der uni-versitären Bildung (z. B. Exzellenzinitia-tive, Stipendienprogramme, BAföG-Anhe-bung).

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Seite 56 Die Rolle der Politik bei der Sicherung tragfähiger öffentlicher Finanzen

Die Investition in Bildung stellt eine In-vestition in die Zukunft dar, deren ge-samtwirtschaftliche Bedeutung kaumüberschätzt werden kann. So genannte„weiche“ Faktoren wie der Erhalt des sozi-alen Friedens, die Gerechtigkeit zwischenden Generationen oder die individuelleZufriedenheit in der Bevölkerung werdendurch Investitionen in Bildung ebenso be-einflusst wie der „harte“ Faktor, den Bil-dung zur Sicherung der wirtschaftlichenLeistungsfähigkeit Deutschlands unterBedingungen von Globalisierung undSpezialisierung beiträgt. Insgesamt gese-hen leisten die Ausgaben im Bereich Bil-dung und Forschung einen zentralen Bei-trag zur Stärkung der Wachstumskräfte inDeutschland.

3.3.4 Systeme der sozialen

Sicherung

Aufgrund der demografischen Entwick-lung werden die Systeme der sozialen Sicherung in Zukunft sowohl auf der Ein-nahmen- als auch auf der Ausgabenseitevor besondere Herausforderungen ge-stellt. Um die finanziellen Auswirkungender sich ändernden Altersstruktur undder steigenden Lebenserwartung zu be-grenzen, hat die Politik in Deutschland inden vergangenen Jahren bereits erhebli-che Anstrengungen unternommen.

Hervorzuheben sind die Reformen dergesetzlichen Rentenversicherung(„Nachhaltigkeitsfaktor“; „Anhebung derRegelaltersgrenze“), mit denen dieGrundlagen für langfristig tragfähigeRentenfinanzen gelegt wurden. Dabeiwird die schrittweise Anhebung der Re-gelaltersgrenze von bisher 65 auf 67 Jahreim Zeitraum von 2012 bis 2029 nicht nurdazu beitragen, dass Arbeitnehmer künf-tig länger erwerbstätig sein werden, son-dern wird in den kommenden Jahrenauch zu einer spürbaren Entlastung der

öffentlichen Haushalte führen. Bereits inden vergangenen Jahren haben sich dieErwerbsbeteiligung und die Arbeits-marktchancen für Ältere deutlich verbes-sert. Grund dafür war auch die Abkehrvon der Frühverrentung. Die Anhebungder Altersgrenze verhindert eine Überfor-derung der jüngeren Generation und er-höht das Einkommensniveau für die künf-tigen Rentnerinnen und Rentner.

Um die langfristige Finanzierbarkeitder gesetzlichen Krankenversicherungzu sichern, hat die Bundesregierung imJahr 2010 eine grundlegende Reform ein-geleitet. Mit dem Festschreiben der Bei-tragssätze und der Weiterentwicklungder Zusatzbeiträge wird die Finanzierungder gesetzlichen Krankenkassen auf einezukunftsfeste Basis gestellt. Die Lohnzu-satzkosten werden so vom Anstieg der Ge-sundheitsausgaben entkoppelt. Im Be-darfsfall erhalten die Beitragszahler einenSozialausgleich, der sie vor einer Überfor-derung schützt.

Die Pflegeversicherung bildet ein we-sentliches Element der sozialen Siche-rung. Ziel der Bundesregierung ist es, dassPflegebedürftige auch künftig qualitäts-gesicherte und angemessene Pflegeleis-tungen zu einem bezahlbaren Preis erhal-ten können. Die Pflegeversicherung unddie Rahmenbedingungen für die pflegeri-sche Versorgung sollen deshalb so weiter-entwickelt werden, dass die Bürger auchin Zukunft würdevoll gepflegt und be-treut werden können. Die aufgrund derdemografischen Entwicklung steigendeZahl der Pflegebedürftigen setzt nebender Weiterentwicklung eine dauerhafttragfähige Finanzierung der Pflegeversi-cherung voraus. Daher beabsichtigt dieBundesregierung, die derzeit bestehendeUmlagefinanzierung mit Elementen derKapitaldeckung zu ergänzen und somiteine generationengerechte Ausgestal-tung der Pflegeversicherung zu gewähr-leisten.

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Dritter Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen Seite 57

Bereits 2008 sind mit dem Pflegewei-terentwicklungsgesetz vor allem die leis-tungs- und vertragsrechtlichen Struktu-ren der Pflegeversicherung besser an dieBedürfnisse der Betroffenen, der pflegen-den Familienangehörigen sowie des Pfle-gepersonals angepasst worden. Im Zen-trum stand die Stützung häuslicher Ver-sorgungsstrukturen, damit Pflegebedürf-tige möglichst lange in ihrer gewohntenUmgebung bleiben können. Ambulanteund stationäre Leistungen wurdenschrittweise ausgeweitet. In regelmäßi-gen Abständen prüft die Bundesregie-rung, ob und in welcher Höhe die Leistun-gen anzupassen sind. Erstmalig soll dies2014 erfolgen.

3.3.5 Familienpolitik

Die Familienpolitik der Bundesregierungerleichtert es den Menschen, Verantwor-tung füreinander zu übernehmen und ge-wünschte Lebensentwürfe zu realisieren.Ein zentrales Ziel besteht darin, Familieund Beruf leichter in Einklang zu bringen,damit Mütter und Väter sich besser umihre Kinder und Kinder sich besser umihre unterstützungs- und hilfebedürfti-gen Eltern kümmern können. Eine guteVereinbarkeit von Beruf und Familie för-dert nicht nur die Erwerbsbeteiligung vonEltern, sondern ermutigt auch jungePaare, sich für Kinder zu entscheiden.Internationale Vergleiche zeigen, dasseine hohe Erwerbsbeteiligung von Fraueneinhergeht mit einer vergleichsweise ho-hen Geburtenrate.

Um die Erfordernisse von Familie undBeruf besser miteinander in Einklangbringen zu können, wird die Kinderbe-treuung umfassend ausgebaut. DieBundesregierung hat sich mit den Län-dern und Kommunen darauf verständigt,für unter Dreijährige bis 2013 rund750.000 Betreuungsplätze in Einrichtun-gen und in der Kindertagespflege zu

schaffen. Außerdem wird ab August 2013jedes Kind mit Vollendung des ersten Le-bensjahres einen Rechtsanspruch auf ei-nen Betreuungsplatz erhalten. Der Bundbeteiligt sich bis 2013 mit vier MilliardenEuro an den entstehenden Kosten. Davonstehen 2,15 Milliarden Euro für Investi-tionsmittel bereit und 1,85 MilliardenEuro sind ein Beitrag zur Finanzierungder Betriebskosten. Ab 2014 unterstütztder Bund die Länder mit jährlich 770 Milli-onen Euro.

Die bessere Vereinbarkeit von Familieund Beruf kann nicht allein von staat-licher Seite erreicht werden, weitere An-strengungen u.a. in den Unternehmensind hierfür nötig. Viele Unternehmen haben – auch vor dem Hintergrund derFachkräftediskussion – erkannt, dass fami-liengerechte Arbeitsbedingungen imRahmen der Personalpolitik ein wichtigerWettbewerbsfaktor sind, und bieten ihrenBeschäftigten vielfältige flexible Arbeits-zeiten und Arbeitsformen an.

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Seite 58 Fazit und Ausblick

Die Bundesregierung hat bereits in derVergangenheit erfolgreiche Maßnahmenergriffen, um die Tragfähigkeit der öffent-lichen Haushalte sicherzustellen. Aller-dings haben sich die Risiken für die dauer-hafte Solidität der Staatsfinanzen zuletztspürbar erhöht. Somit sind weiterhin er-hebliche Anstrengungen erforderlich, umdurch rechtzeitiges und entschlossenesHandeln die langfristige Tragfähigkeitder öffentlichen Finanzen sicherzustellen.

Aus dem dritten Tragfähigkeitsberichtdes Bundesministeriums der Finanzen las-sen sich folgende Kernbotschaften ablei-ten:

> Die Tragfähigkeitslücken sind imVergleich zum Zweiten Tragfähigkeits-bericht (2008) angestiegen: Die Tragfä-higkeitslücke in der auf europäischerEbene gängigen Abgrenzung liegtnach den neuen Rechnungen zwi-schen 0,9 % und 3,8 % des BIP, je nach-dem, ob eher optimistische oder eherpessimistische Annahmen für die zu-künftige demografische und wirt-schaftliche Entwicklung zugrunde ge-legt werden. Nach den Berechnungenvon 2008 hatten sich mit Tragfähig-keitslücken von 0,0 % bzw. 2,4 % des BIP(für die optimistische/pessimistische

Variante) günstigere Werte ergeben.Das bedeutet: Der Handlungsbedarfzur Sicherstellung solider Staatsfinan-zen ist deutlich größer geworden.

> Diese Entwicklung ist nicht zu-letzt auf die Finanzmarkt- und Wirt-schaftskrise zurückzuführen. Der Trag-fähigkeitsbericht zeigt aber auch, dassein Aufschieben von Reformen zur Sicherung solider Staatsfinanzen zu einem weiteren Anwachsen der Pro-bleme führt. Um härtere Einschnitte inder Zukunft zu vermeiden, ist es gebo-ten, bereits heute mit dem Einführenvon politischen Maßnahmen in eini-gen Bereichen zu beginnen (Vorbild:allmählicher Anstieg des Renten-alters). Je früher gehandelt wird, destogeringer sind die Anpassungslastenund desto höher ist die positive Wir-kung von Reformen.

> Die Schuldenbremse sichert dieTragfähigkeit der öffentlichen Finan-zen zwar rechtlich ab – zur Einhaltungdieser rechtlichen Vorgaben sind je-doch auch in Zukunft weitere politi-sche Anstrengungen notwendig.

IV. Fazit und Ausblick

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Dritter Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen Seite 59

> Handlungsbedarf besteht sowohlmit Blick auf die öffentlichen Haus-halte als auch mit Blick auf das Wachs-tumspotenzial. Aufgrund der „Demo-grafie-Anfälligkeit“ sind insbesondereim Bereich der sozialen Sicherung wei-tere Anstrengungen notwendig. Dabeimuss gewährleistet sein, dass etwaigeKostensteigerungen grundsätzlichauch mit Qualitätsverbesserungen ein-hergehen. Beispielsweise hätte einnachhaltig verbesserter Gesundheits-zustand der Bevölkerung unmittelbarpositive Auswirkungen auf die Er-werbstätigkeit und ginge so mit einerStärkung der Wachstumskräfte einher.

> Die Ergebnisse der Modellrech-nungen zeigen drei Bereiche auf, in denen Politikmaßnahmen besonderswirksam zu einer verbesserten Tragfä-higkeit der öffentlichen Finanzen bei-tragen:

(1) Weiterer Abbau der strukturellenErwerbslosigkeit(Senkung der Tragfähigkeitslücke umbis zu 1,1 %-Punkte),

(2) Erhöhung der Zuwanderung qua-lifizierter Arbeitskräfte(Senkung um 0,7 %-Punkte),

(3) Verlängerung der Lebensarbeits-zeit (Senkung um 0,3 %-Punkte).

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Seite 60 Abbildungsverzeichnis/Tabellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Ausgaben, Einnahmen und Finanzierungssaldo des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 12Abbildung 2: Schulden des öffentlichen Gesamthaushalts in Relation zum BIP (%), 1950 bis 2010 . Seite 13 Abbildung 3: Entwicklung des Bevölkerungsanteils unterschiedlicher Altersgruppen in

Deutschland von 1871 bis 2060 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 14Abbildung 4: Bruttoinlandsprodukt (Indexwerte 2005 = 100; 1991-2060) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 23Abbildung 5: Aggregierte Ausgabenquoten (2000-2060) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 25Abbildung 6: Rechnerische Fortschreibung der Schuldenstandsquote unter Vernachlässigung

der Wirkung von rechtlichen Schranken (2000-2060) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 26Abbildung 7: Ergebnisse der Berechnungen zu langfristigen Tragfähigkeitslücken . . . . . . . . . . . . . Seite 28Abbildung 8: Sensitivitätsanalysen – Auswirkungen auf die Schuldenstandsquote . . . . . . . . . . . . . . Seite 32Abbildung 9: Ergebnisse von Tragfähigkeitsanalysen im Zeitverlauf (EU-Kommission) . . . . . . . . . . . Seite 42Abbildung 10: Ausgabenstruktur im Bundeshaushalt 2010 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 45Abbildung 11: Rechnerische Fortschreibung der Schuldenstandsquote unter Beachtung der

grundgesetzlich verankerten Schuldenregel (2000-2060) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 47

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Annahmen für die Modellrechnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 21Tabelle 2: Sensitivitätsanalysen – Erläuterung des Übergangs von T– zu T+ . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 31Tabelle 3: Alternative Szenarien für die Entwicklung der Gesundheitsausgaben . . . . . . . . . . . . . Seite 34Tabelle 4: Vergleich des Belastungsanstiegs in den EU-Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 37Tabelle 5: Internationaler Vergleich der Tragfähigkeitslücken – Ergebnisse von

Berechnungen der EU-Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 38Tabelle 6: Ergebnisse von Tragfähigkeitsanalysen im Zeitverlauf (Berichterstattung des BMF) Seite 41

Page 63: Dritter Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen

Impressum Seite 61

Diese und weitere Broschüren sind erhältlich bei:

Bundesministerium der Finanzen

Referat für Bürgerangelegenheiten

11016 Berlin

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Telefon: 0 18 05/77 80 90*

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Herausgeber:

Bundesministerium der Finanzen

Referat Öffentlichkeitsarbeit

Wilhelmstraße 97

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Titelfoto:Ilja C. Hendel

Berlin, Oktober 2011

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Diese Druckschrift wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit des Bundesministeriums der Finanzen heraus ge ge -

ben. Sie wird kostenlos abgegeben und ist nicht zum Ver kauf bestimmt. Sie darf weder von Parteien noch von

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werden. Dies gilt für Landtags-, Bundestags- und Kommunal wahlen. Miß bräuchlich ist insbesondere die Vertei-

lung auf Wahlver anstal tungen, an Informationsständen der Par teien sowie das Einlegen, Aufdrucken oder Aufkle-

ben parteipolitischer Informationen oder Werbemittel. Untersagt ist gleichfalls die Wei tergabe an Dritte zum

Zwecke der Wahlwerbung. Unabhängig davon, wann, auf welchem Weg und in welcher Anzahl diese Schrift dem

Empfänger zugesagt ist, darf sie auch ohne zeitlichen Be zug zu einer Wahl nicht in einer Weise verwendet wer-

den, die als Parteinahme der Bundes regierung zuguns ten einzelner politischer Gruppen verstanden werden

könnte.