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Bericht vom 2. September 2005 384. Mitteilung Beilage zur «Volkswirtschaft», dem Magazin für Wirtschaftspolitik Jahresbericht 2005 Kommission für Konjunkturfragen Wirtschaftliche Auswirkungen einer alternden Bevölkerung

Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005 · Magazin für Wirtschaftspolitik Jahresbericht 2005 Kommission für ... Gemäss Bundesgesetz vom 20.Juni 1980 über die Konjunkturbeobach

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Bericht vom 2. September 2005

384. Mitteilung

Beilage zur «Volkswirtschaft», dem Magazin für Wirtschaftspolitik

Jahresbericht 2005Kommission für Konjunkturfragen

WirtschaftlicheAuswirkungen einer alternden Bevölkerung

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Mitglieder der Kommission für Konjunkturfragen

Präsident Kirchgässner Gebhard, Prof. Dr., Universität St. Gallen

Vizepräsident Jeanrenaud Claude, Prof. Dr., Universität Neuenburg

Mitglieder Baltensweiler Marco, Dr. dipl. Ing.-Agr. ETHZ, Agrarwirtschaft und Internationale Beziehungen, Schweizerischer Bauernverband, Brugg

Blank Susanne, lic. rer. pol., Leiterin Ressort Wirtschaftspolitik Travail.Suisse, BernBrulhart Marius, Prof. Dr., Universität LausanneBrunetti Aymo, Prof. Dr., Mitglied der Geschäftsleitung des Staatssekretariats

für Wirtschaft seco, BernGaillard Serge, Dr. oec. publ., geschäftsführender Sekretär des Schweizerischen

Gewerkschaftsbundes, Leiter SGB-Zentralsekretariat, BernGentinetta Pascal, Dr. oec. HSG, Mitglied der Geschäftsleitung economiesuisse, ZürichHoffmann Stefan, lic. rer. pol., Mitglied der Direktion der Schweizerischen

Bankiervereinigung, Basel Horber Rudolf, Dr. rer. pol., politischer Sekretär des Schweizerischen

Gewerbeverbandes, BernKugler Peter, Prof. Dr., Universität BaselLandmann Oliver, Prof. Dr., Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg im BreisgauMasoni Marina, avvocata, Staatsrätin des Kantons Tessin, BellinzonaPeytrignet Michel, Dr. oec., Direktor Schweizerische Nationalbank, ZürichPittet Michel, Dr. oec., Staatsrat des Kantons Freiburg, FreiburgSchubert Renate, Prof. Dr., Eidgenössische Technische Hochschule ZürichStutz Vital G., lic. iur., Rechtsanwalt, Präsident der Vereinigung Schweizerischer

Angestelltenverbände, Zürichvan der Haegen Astrid, Kommunikationsberaterin, Präsidentin Wirtschaftsfrauen

Schweiz, Sissach BL

Sekretariat Staatssekretariat für Wirtschaft (seco), Direktion für WirtschaftspolitikBiétry Jules, dipl. Ing. ETHZ, Effingerstrasse 1, 3003 BernTel.: 031 322 62 72, Fax: 031 323 50 01www.kfk.admin.ch

Impressum Aufgaben der Kommission

Gemäss Bundesgesetz vom 20. Juni 1980 über die Konjunkturbeobachtung beurteilt die Kommission für Konjunktur-

fragen (KfK) laufend die Lage und Entwicklung der Konjunktur sowie nimmt zu wichtigen wirtschaftspolitischen Fragen

Stellung und berichtet darüber.

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Jahresbericht 2005

1 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

Inhaltsübersicht

2 Vorwort

3 Executive Summary

7 1 Einleitung

9 2 Wirtschaftslage und Makropolitik9 2.1 Weltwirtschaftliche Lage und Aussichten

13 2.2 Lage der schweizerischen Wirtschaft und Aussichten17 2.3 Branchenentwicklung24 2.4 Öffentliche Finanzen, Finanzpolitik28 2.5 Monetäre Lage und Geldpolitik

36 3 Wirtschaftliche Probleme einer alternden Bevölkerung:Übersicht und grundsätzliche Aspekte

36 3.1 Die demographische Entwicklung bis zum Jahr 206039 3.2 Die Finanzierung der Altersvorsorge41 3.3 Der finanzielle Anpassungsbedarf der AHV45 3.4 Generelle Probleme der zweiten Säule47 3.5 Die Entwicklung der Erwerbstätigkeit (I): Arbeit im Alter49 3.6 Die Entwicklung der Erwerbstätigkeit (II): Erwerbstätigkeit der Frauen51 3.7 Die Entwicklung der Gesundheits- und Pflegekosten54 3.8 Zur politischen Ökonomie des Alterungsprozesses

56 4 Analysen zu ausgewählten Themen56 4.1 Erwerbstätigkeit im Alter und institutionelle Anreize64 4.2 Die berufliche Vorsorge: Situation und Ausblick71 4.3 Langzeitpflege im Alter77 4.4 Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsleben

87 5 Ausblick

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2 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

Die Kommission für Konjunkturfragen legt hiermit ihren vierten Jahresberichtvor. Im Jahr 2001 hatte sie beschlossen, ihre Arbeit vermehrt auf grundsätzlichewirtschaftspolitische Fragen auszurichten und dem Bundesrat jährlich einen Berichtzu erstatten.

Wie im Vorjahr widmet sich der zweite Teil des Berichts einem einheitlichen,zentralen Thema: in diesem Jahr den wirtschaftlichen Problemen einer alterndenBevölkerung. Die damit verbundenen Herausforderungen liessen es der Kommis-sion angemessen erscheinen, ihren diesjährigen Bericht darauf auszurichten.Dabei geht es nicht nur um die mit der demografischen Entwicklung verbundenenFinanzierungsprobleme der sozialen Sicherungssysteme, sondern auch um darüberhinaus gehende Fragen der Arbeitsmarkt-, der Familien- und der Gesundheitspolitik.Selbstverständlich konnten wir nicht auf alle damit verbundenen Einzelproblemeeingehen. Wir haben uns aber bemüht, die wesentlichen Problemfelder zu behan-deln und, wo uns dies möglich und sinnvoll erschien, Lösungswege aufzuzeigen.

Wie in den früheren Jahren beschäftigt sich der erste Teil des Berichts mit denkurz- und mittelfristigen Perspektiven der schweizerischen Volkswirtschaft. Nebeneiner Darstellung der weltwirtschaftlichen Lage und der makroökonomischenAggregate werden Indikatoren zur Entwicklung einzelner Branchen vorgestellt.Danach folgen Ausführungen zur Finanz- und zur Geldpolitik.

Die Ausführungen in diesem Teil berücksichtigen die bis zum 2. September 2005verfügbaren Daten. Eine Ausnahme bildet Kapitel 2.2 über die Situation und dieerwartete Entwicklung der schweizerischen Wirtschaft, für welches die bis zum 9. September 2005 vorliegenden Daten berücksichtigt wurden. Damit konnteninsbesondere die Ergebnisse der Quartalsschätzungen zum Bruttoinlandprodukteinschliesslich des 2. Quartals 2005 berücksichtigt werden.

Für Kapitel 3, welches sich mit einer Übersicht über die demografische Ent-wicklung sowie mit grundsätzlichen Aspekten einer alternden Gesellschaft befasst,wurden Daten des Bundesamts für Statistik benötigt, die nicht publiziert sind. Siewurden uns von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesamts zur Verfügunggestellt. Wir möchten für diese bereitwillige Unterstützung danken, ohne die dieserBericht nicht so hätte erstellt werden können. Ausserdem danken wir all denjenigen,die mit ersten Entwürfen zu Teilen dieses Berichts, aber auch mit kritischenAnmerkungen beigetragen haben, insbesondere den Mitarbeiterinnen und Mit-arbeitern der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich und der SchweizerischenNationalbank sowie Frau Prof. Monika Bütler, Herrn Prof. Claude Jeanrenaud,Frau Dr. Sabina Littmann-Wernli, Frau Prof. Regina Riphahn und Frau Prof. RenateSchubert.

Die Vielschichtigkeit der angesprochenen Probleme sowie das breite in derKommission vertretene Meinungsspektrum bringen es mit sich, dass die Inhalte der Beiträge, insbesondere zu den Spezialthemen in Kapitel 4, zwar in ihrerGrundtendenz die Zustimmung der Kommission gefunden haben, nicht abernotwendigerweise auch in allen Einzelheiten.

Die Kommission hofft, mit diesem Bericht ihrerseits einen, wenn auch vielleichtnur kleinen Beitrag zur Bewältigung der Probleme geleistet zu haben, die sich für die Schweiz aus der zunehmenden Alterung ihrer Bevölkerung ergeben.

Bern, 2. September 2005

Der Präsident:Gebhard Kirchgässner

Vorwort

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Jahresbericht 2005

3 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

Im Zentrum des Jahresberichts 2005 der Kommission für Konjunkturfragen stehenwirtschaftliche Probleme, die aufgrund der de-mografischen Entwicklung in der Schweiz zuerwarten sind. Daher besteht er inhaltlich auszwei Teilen. Im ersten Teil, in Kapitel 2, wird wiein den Berichten der Vorjahre ein Überblicküber die wirtschaftliche Situation gegeben. Derzweite Teil, welcher die Kapitel 3 bis 5 umfasst,befasst sich explizit mit wirtschaftlichen Pro-blemen einer alternden Bevölkerung.

Im ersten Teil folgt der Darstellung der welt-wirtschaftlichen Lage in Abschnitt 2.1 eine allgemeine Einschätzung der Lage der schwei-zerischen Wirtschaft und ihrer Aussichten(Abschnitt 2.2). Diese wird ergänzt durch dieDarstellung der Entwicklung ausgewählterBranchen (Abschnitt 2.3), wobei zunächst Umfrageergebnisse über den Geschäftsgangund die erwartete Entwicklung in der Indus-trie, im Baugewerbe, im Detailhandel,im Gastgewerbe und bei den Banken vorgestelltwerden. Danach wird die Entwicklung derpreislichen Wettbewerbsfähigkeit der Industrieinsgesamt, der chemischen Industrie, derMaschinenindustrie und des Gastgewerbesaufgezeigt. Dem schliessen sich Ausführungenzur Entwicklung in der Landwirtschaft an.Das Kapitel schliesst mit der Darstellung derFinanz- und der Geldpolitik (Abschnitt 2.4bzw. 2.5).

Im zweiten Teil wird zunächst in Kapitel 3eine möglichst umfassende Übersicht über diemit der Alterung verbundenen wirtschaft-lichen Probleme versucht; gleichzeitig werden,soweit dies möglich ist, mögliche Lösungs-ansätze diskutiert. Dabei wird auch auf Er-gebnisse des 4. Kapitels zurückgegriffen, inwelchem einige wichtige Einzelprobleme ver-tieft behandelt werden. Dies sind die Frage der Erwerbstätigkeit im Alter (Abschnitt 4.1),Probleme, die sich bei der beruflichen Vorsor-ge ergeben (Abschnitt 4.2), Fragen der Lang-zeitpflege im Alter und einer möglichen Ver-sicherung dafür (Abschnitt 4.3) sowie dasProblem der Vereinbarkeit von Familie undErwerbstätigkeit (Abschnitt 4.4). Das 5. Kapitelfasst die wesentlichen Ergebnisse kurz zusam-men und befasst sich insbesondere mit dendaraus zu ziehenden politischen Konsequenzen.

Die wirtschaftliche Entwicklung

Weltwirtschaftliche Entwicklung: Seit der Jahresmitte 2004 hat sich das Welt-

wirtschaftswachstum wieder abgeschwächt.

Executive Summary

Dies war weniger auf die USA, deren Wirt-schaft im 2. Halbjahr 2004 mit kaum verän-derter Dynamik expandierte und erst in der 1. Hälfte des laufenden Jahres etwas an Tempoeinbüsste, als vielmehr auf die konjunkturelleAbschwächung in der EU und in Japan zurück-zuführen. Während das Bruttoinlandprodukt(BIP) in China weiter kräftig zunahm, ver-langsamte sich dessen Anstieg auch in vielensüdostasiatischen Staaten etwas. Das Weltwirt-schaftswachstum dürfte im 2. Halbjahr 2005wieder leicht zunehmen. Für 2006 wird jedocherneut mit einer nachlassenden Dynamikgerechnet.

Erwartete Entwicklung in der Schweiz: Die Mitte 2003 einsetzende konjunkturelle

Erholung verlor im vergangenen Jahr spürbaran Schwung. Hoffnungen, die steigende Nach-frage auf den Gütermärkten könne eine Wen-de auf dem Arbeitsmarkt herbeiführen, wur-den enttäuscht. Ende 2004 stagnierten sowohldas Schweizer BIP als auch die Beschäftigungnahezu. Die Zahl der Arbeitslosen nahm zwargeringfügig ab. Diese Abnahme war jedoch im Wesentlichen durch einen verstärktenRückzug aus dem Arbeitsmarkt sowie durchvermehrte Aussteuerungen bedingt. Einebedeutende Ursache für die schleppendeWirtschaftsentwicklung war die verhalteneKonjunktur in den wichtigen Schweizer Ex-portdestinationen Deutschland, Frankreichund Italien. Weitere Faktoren, die zu dieser er-neuten konjunkturellen Abschwächung in derSchweiz beigetragen haben, sind die Tieferbe-wertung des US-Dollars und die steigendenPreise für Erdölprodukte. Letztere prägten imvergangenen Jahr die Schweizer Teuerung.Während der Landesindex der Konsumenten-preise (LIK) um 0,8 Prozent anstieg, erhöhtesich die Kernteuerung praktisch nicht.

Entwicklungen in einzelnen Branchen: Gemäss den Konjunkturumfragen der KOF

ETH präsentiert sich die Wirtschaftslage in denverschiedenen Sektoren unterschiedlich. DieIndustriekonjunktur hat in den vergangenenQuartalen an Schwung verloren; die Produk-tion wird aber im 2. Halbjahr in bescheidenemAusmass weiter wachsen. Das Baugewerbehingegen verzeichnet seit vier Quartalen eineverstärkt positive Geschäftslage, welche sichauch in naher Zukunft fortsetzen dürfte. Beiden Dienstleistungsbranchen fällt im Gastge-werbe insbesondere die unbefriedigende Lageder Gaststätten auf. Auch für die nächsten

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Executive Summary

4 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

Nationalbank den Drei-Monats-Libor im Juniund September 2004 in zwei Schritten von 0,25 Prozent auf 0,75 Prozent angehoben.Grund dafür war die konjunkturelle Belebungder Schweizer Wirtschaft, die zusammen mitdem raschen Wachstum der Geldaggregateund steigenden Erdölpreisen mittelfristig zuerhöhten Teuerungsraten zu führen drohte.Seither hat die Nationalbank angesichts der er-neuten Konjunkturabschwächung auf weitereStraffungsschritte verzichtet. Bei weiterhin un-veränderter Geldpolitik ist aber später wiederein spürbarer Inflationsanstieg zu erwarten.Somit ist mit weiteren Zinsanhebungen zurechnen, um mittelfristig Preisstabilität zu ge-währleisten.

Im internationalen Umfeld hat die Schweiznach wie vor sehr niedrige Zinsen. Dies gilt so-wohl für die lang- als auch für die kurzfristigenZinsen. Gegenüber dem Euro hat sich diesbe-züglich in den vergangenen Jahren nur weniggetan: Bei den Geldmarktszinsen beträgt dieDifferenz heute 1,3 Prozentpunkte; sie liegtdamit nur knapp unter dem längerfristigenDurchschnitt von 1,5 Prozentpunkten. Dage-gen hat sich die Differenz zum Dollar in denletzten zwölf Monaten massiv erhöht; währendsie im Juli 2004 noch etwa einen Prozentpunktbetrug, lagen die amerikanischen im Juli 2005um etwa 2,7 Prozentpunkte über den schwei-zerischen Drei-Monats-Zinssätzen.

Wirtschaftliche Probleme eineralternden Bevölkerung

Allgemeine Entwicklung: Die Schweiz befindet sich in einer massiven

Veränderung ihrer Altersstruktur. Dabei gehtes um zwei prinzipiell voneinander unabhän-gige Entwicklungen: Zum einen steigt dieLebenserwartung der Bevölkerung, zumanderen ist die Zahl der Geburten in denletzten Jahrzehnten (auch im Vergleich mitanderen westlichen Industriestaaten) massivzurückgegangen. Damit nimmt der Anteil derBeschäftigten im Vergleich zu den Rentnerndeutlich ab, was die Last der Renten – ganzunabhängig von ihrer Finanzierung – massiverhöhen wird. Gleichzeitig wird vermutlich –zumindest vorübergehend – auch der Anteilder Jugendlichen an der Bevölkerung ab-nehmen. All dies wird die Wirtschafts- undFinanzpolitik der Schweiz in den kommendenJahrzehnten vor erhebliche Probleme stellen.

Da sich nichts daran ändern lässt, dass – imPrinzip und volkswirtschaftlich betrachtet – injeder Periode die Erwerbstätigen für denKonsum der nicht mehr (und noch nicht)Erwerbstätigen aufkommen müssen, kann die Last, die durch die Alterung auf die Be-völkerung zukommt, letztlich nur durch eineAusdehnung der Erwerbstätigkeit verringert

Monate ist keine Besserung in Sicht. Die Ar-chitektur- und Ingenieurbüros profitieren vonder lebhaften Bautätigkeit; deren Einschätzungder künftigen Entwicklung hat sich eher nochverbessert. Die Banken konnten in den letztendrei Quartalen sehr positive Resultate aus-weisen. Für das 2. Halbjahr 2005 ist jedoch miteinem bescheideneren Wachstum zu rechnen.

Die preisliche Wettbewerbsfähigkeit, wel-che insbesondere durch Arbeitsproduktivitätund Lohnkosten bestimmt wird, kann mittelsder mit Produzenten- bzw. Konsumentenprei-sen bereinigten nominalen Wechselkurse rechtgut approximiert werden. Während die Indus-trie insgesamt und die Maschinenindustrie imZeitraum zwischen 2001 und 2004 eine ten-denzielle Verschlechterung ihrer Wettbewerbs-position hinzunehmen hatten, gelang es derchemischen Industrie, durch Preissenkungendie nominale Aufwertung des Schweizer Fran-kens wettzumachen. Das Gastgewerbe konnteseine Wettbewerbsfähigkeit im Vergleich zuden Konkurrenzländern zwischen 2002 und2004 verbessern.

Finanzpolitik: Die Situation der öffentlichen Haushalte

hat sich im Jahr 2004 etwas entspannt. Dasgesamte Defizit dürfte sich von annähernd 6 Mrd. CHF im Jahr 2003 auf noch schätzungs-weise 4,5 Mrd. CHF (und damit ein Prozentdes Bruttoinlandprodukts) verringert haben.Die Einnahmen verzeichneten unter anderemaufgrund der konjunkturellen Belebung wie-der einen Zuwachs. Gleichzeitig fiel das Ausga-benwachstum als Folge von Sparmassnahmenund Kürzungen zur Verringerung der Haus-haltsdefizite bescheiden aus. Im Jahr 2005dürfte das gesamte Defizit von Bund, Kanto-nen und Gemeinden weiter auf noch 3,5 Mrd.CHF (0,8 Prozent des BIP) abnehmen. DasEinnahmenwachstum beschleunigt sich ver-mutlich etwas; gleichzeitig bleibt das Ausgaben-wachstum aufgrund von Spar- und Kürzungs-massnahmen moderat. Im Jahr 2006 dürfte dasWachstum der Staatseinnahmen leicht vermin-dert anhalten. Ebenso kann eine Fortsetzungder gedämpften Ausgabenentwicklung erwar-tet werden. Das strukturelle Defizit erfährt un-ter diesen Voraussetzungen über den ganzenZeitraum von 2004 bis 2006 eine Verminde-rung, so dass sich ein leicht restriktiver Einflussder Staatsfinanzen auf die Konjunkturent-wicklung ergibt. Die Anteile sowohl der Staats-ausgaben als auch der Bruttostaatsschuldenam BIP, d.h. die Staats- sowie die Bruttoschul-denquote, dürften sich in diesem Zeitraumetwas verringern.

Geldpolitik: Nach der markanten Lockerung der Geld-

politik in den Jahren 2001 bis 2003 hat die

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Jahresbericht 2005

5 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

werden. Alles andere bedeutet nur eine Ver-schiebung dieser Last, sei es – durch eine Er-höhung der Beiträge – stärker auf die Schulternder Erwerbstätigen, sei es – durch eine Redu-zierung der Renten – stärker auf Kosten derRentner, oder sei es – durch eine Finanzierungüber allgemeine Steuern – durch Belastungbeider Gruppen. Wie hier die optimale Vertei-lung der Lasten ist, lässt sich wissenschaftlichnicht bestimmen, sondern dies ist eine politi-sche Entscheidung; bei der freilich die Auswir-kungen hoher Lohnnebenkosten in Rechnungzu stellen sind, weshalb z.B. bei der AHV eineFinanzierung der auf sie zukommenden Lastenüber zusätzliche Lohnprozente als wenig sinn-voll erscheint.

Wie diese Lasten verteilt werden, hat zu-nächst keine (direkten) intergenerationellenAuswirkungen. Bei der Pensionskasse gilt diesdann, wenn Beiträge und Rentenzahlungenversicherungstechnisch korrekt festgelegt wer-den: Wer mehr Beiträge geleistet hat, kannauch höhere Rentenzahlungen erwarten. Beider AHV gilt dies nur dann, wenn die Be-völkerungsstruktur stabil ist, und zwar unab-hängig davon, ob die Bevölkerung wächst oderschrumpft. Im Übergangsprozess, in dem wiruns in den nächsten Jahrzehnten noch be-finden werden, kann es jedoch erhebliche Verschiebungen der Lasten zwischen denGenerationen ergeben. Dies gilt auch für diePensionskassen, wenn – aus welchen Gründenauch immer – die heute bestehenden Rück-lagen nicht ausreichen, um die den Rentnernzugesicherten Ansprüche zu befriedigen, undwenn deshalb z.B. die Beiträge der heuteErwerbstätigen angepasst werden.

Wichtiger als die Verschiebung (bzw. die«gerechte» Verteilung) der Lasten ist jedoch ihre Reduzierung durch eine Erhöhung derErwerbstätigkeit, die soweit als möglich (undsinnvoll) erfolgen sollte. Schliesst man einemassive Ausweitung der Zuwanderung aus politischen Gründen und auch, weil ihre län-gerfristigen Auswirkungen fraglich sind, aus,ergeben sich für die Schweiz zwei Wege: Zumeinen kann die allgemeine Erwerbstätigkeitausgedehnt werden, zum anderen wäre dieErwerbstätigkeit der Frauen zu fördern.

Erwerbstätigkeit im Alter: Eine Ausdehnung der allgemeinen Er-

werbstätigkeit erfordert, dass vom Dogma des«Rentenalters 65» Abschied genommen wird:Auch wenn das Rentenalter nicht heute undauch noch nicht in den nächsten Jahren erhöhtwerden muss, sollte der Öffentlichkeit klar gemacht werden, dass längerfristig eine Er-höhung des Renteneintrittsalters bei der AHVunumgänglich sein wird. Wenn eine Gesell-schaft immer älter wird, wird die durch die Altersvorsorge auf ihr ruhende Last nur dann

nicht permanent ansteigen, wenn das Renten-eintrittsalter entsprechend erhöht wird. Demwiderspricht nicht die Tatsache, dass ein Gross-teil der Beschäftigten heute das offizielle Ren-teneintrittsalter gar nicht erreicht, sondernbereits früher in Rente geht: Das offizielle Ren-teneintrittsalter spielt auch für diese Bürgerin-nen und Bürger als Richtgrösse eine wesentli-che Rolle. Seine Erhöhung wird daher auch aufihre Erwerbstätigkeit einen Einfluss haben.

Eine Erhöhung des Renteneintrittsalterskann (und sollte vermutlich auch) mit einerFlexibilisierung einhergehen, indem z.B.vermehrt Altersteilzeitarbeit möglich wird.Auch ist durchaus diskutierbar, ob nicht für bestimmte Berufsgruppen mit besondererkörperlicher Belastung Sonderregelungen füreine vorzeitige Pensionierung (z.B. in Abhän-gigkeit von der Zahl der Beitragsjahre) getrof-fen werden sollen. All dies sollte jedoch nichtdavon ablenken, dass die generelle Tendenz dahin gehen muss, die Zeit der Erwerbstätig-keit auszudehnen.

Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsleben: Die Erwerbstätigkeit der Frauen wird sich

vor allem dann erhöhen, wenn die Vereinbar-keit von Familie und Beruf besser gewährleis-tet wird. Dies erfordert sowohl organisato-rische als auch finanzielle Massnahmen. Zumeinen sollten in Kinderhorten und -gärten sowie in Primarschulen die Zeiten so geregeltwerden, dass beide Partner in einer Familiezumindest eine Halbtagsarbeit aufnehmenkönnen. Zweitens sollte die «Heiratsstrafe» imSteuersystem abgeschafft werden: Die traditio-nelle Art der Familienbesteuerung ist durch eine Variante des Splitting oder durch die In-dividualbesteuerung zu ersetzen. Drittens istdie Subventionierung der Kinderbetreuungs-kosten einkommensunabhängig zu gestalten,und/oder diese Kosten sollten von der Steuerabsetzbar sein: Es macht keinen Sinn, wennz.B. verheiratete Zweitverdiener mit zwei Kin-dern dann, wenn sie fünf anstatt drei Tage inder Woche arbeiten, Einkommenseinbussenhinnehmen müssen.

Eine bessere Vereinbarkeit von Familie undBeruf dürfte auch dazu führen, dass die Ge-burtenrate wieder zunimmt. Dass heute in derSchweiz 40 Prozent der Frauen mit höheremBildungsabschluss keine Kinder mehr haben,ist keine unabänderliche Fügung, sondernhängt auch mit der Politik sowie mit der Ein-stellung der Gesellschaft zu Kindern zusam-men. Die skandinavischen Länder mit ihremausgebauten Kinderbetreuungssystem zeigen,dass man auch in Ländern mit hohem Pro-Kopf-Einkommen deutlich höhere Geburten-raten haben kann. Zwar schrumpfen auch dieseGesellschaften, aber eben etwas langsamer unddadurch mit geringeren Zusatzlasten.

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Executive Summary

6 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

sätzliche Beibehaltung des bisherigen Systems,nach welchem die nicht von den Krankenver-sicherungen gedeckten Zusatzkosten von denBürgerinnen und Bürgern selbst aufgebrachtwerden müssen bzw., soweit diese dazu nichtin der Lage sind, von der öffentlichen Handübernommen werden. Aus verteilungspoli-tischer Perspektive dürfte diese Lösung, soweitdie öffentliche Hand wirklich alle erforder-lichen Kosten übernimmt, einer Pflichtver-sicherung zumindest nicht unterlegen sein.

Nimmt man all dies zusammen, dann zeigtsich, dass mit der Alterung (und Schrump-fung) der Bevölkerung erhebliche Problemeauf die Schweiz zukommen. Dabei wurde hiervor allem auf die finanziellen Lasten abgestellt,die sich für die öffentliche Hand (und in Bezugauf die AHV insbesondere für den Bund) ergeben. Damit soll weder unter den Tisch gewischt werden, dass es auch andere Belas-tungen gibt, noch, dass man auch positiveAspekte dieser Entwicklung sehen kann.Schliesslich kann die Bevölkerung nicht endloswachsen: Das längerfristige Überleben derMenschheit hängt u.a. davon ab, dass die Bevölkerung in allen Staaten dieser Erde stabi-lisiert wird. Dies ändert jedoch nichts daran,dass die demografische Entwicklung derSchweiz insbesondere die Politik des Bundes inden nächsten Jahrzehnten vor erhebliche Pro-bleme stellen wird. Je schneller sie sich damitbefasst und je langfristiger sie diese angeht,desto eher wird sie in der Lage sein, sie in befriedigender Weise zu lösen. Die Kommis-sion für Konjunkturfragen ist der Auffassung,dass die vor uns liegende Problematik relativklar ist und dass die Wege zu ihrer Bewältigungprinzipiell bekannt sind, auch wenn im Detailnach wie vor (zum Teil auch erheblicher) Diskussionsbedarf besteht. Die Politik wäredaher gut beraten, diese Probleme offensiv an-zugehen, auch wenn dies zunächst unpopulärsein mag. Gerade in der direkten Demokratieder Schweiz, in der Reformen der Zustimmungder Bevölkerung bedürfen, müssen Reform-prozesse langfristig angegangen werden, undsie dürfen sich auch durch (vorübergehende)Misserfolge in Form verlorener Volksabstim-mungen nicht entmutigen lassen.

Probleme der AHV und der beruflichen Vorsorge:

Unabhängig davon, wie hoch die Leistun-gen der Altersvorsorge sind, welche die Bürge-rinnen und Bürger erhalten, sie müssen sichersein können, dass sie die ihnen zugesichertenLeistungen auch erhalten werden. Wenn dieAHV wie bisher das Existenzminimum ab-decken soll, dürfte dies bedeuten, dass sie –auch bei einer Erhöhung des Regelrenten-eintrittsalters – zusätzlicher Mittel bedarf. Die-se dürften vermutlich am sinnvollsten durchallgemeine Steuermittel gedeckt werden. Beiden Pensionskassen kommt es in der heutigenSituation zunächst darauf an, dass sie saniertwerden. Im Weiteren ist strikt darauf zu achten,dass Beiträge und Leistungsversprechen mit-einander im Gleichgewicht sind. Dies bedingt,dass die Parameter der Regulierung, insbeson-dere die Mindestverzinsung und der Um-wandlungssatz, automatisch und periodischan die Marktbedingungen und an die Demo-grafie angepasst werden. Ihre Festlegung solltesich zudem (zumindest implizit) an realen und nicht an nominalen Grössen orientieren.Ideal wäre z.B. eine Indexierung des Umwand-lungssatzes an die aktuellen Sterbetafeln unterMitberücksichtigung der prognostiziertenErhöhung der Lebenserwartung der Versicher-ten. Eine automatische Anpassung dieserGrössen würde zum einen den Betroffeneneine bessere Planbarkeit ermöglichen undzweitens politische Konflikte über deren Fest-setzung vermeiden.

Langzeitpflege im Alter: Die erhöhten Kosten der Altersvorsorge

sind nicht die einzigen,die infolge der Alterungauf die Gesellschaft zukommen; dazu tretenzusätzliche Kosten im Gesundheitssystem.Dabei dürfte die Tatsache, dass ältere Men-schen – ceteris paribus – mehr medizinischeLeistungen in Anspruch nehmen, von geringe-rer Bedeutung sein als die zusätzlich auf unszukommenden Kosten der Langzeitpflege imAlter. Die Kosten zusätzlicher medizinischerLeistungen führen (neben anderen, vermutlichsehr viel wichtigeren Faktoren) zu steigendenKosten des Gesundheitswesens. Mit ihrer Be-wältigung sollte man sich im Rahmen einer all-gemeinen Diskussion des Gesundheitswesensbeschäftigen; eine gesonderte Betrachtung die-ses Ausschnitts dürfte wenig sinnvoll sein.Daher befasst sich dieser Bericht auch nichtmit Vorschlägen in dieser Richtung. Anderssieht es dagegen im Bereich der Altenpflegeaus. Hier entstehen Kosten, die bisher nur zumTeil durch die Krankenversicherung über-nommen werden. Es besteht die Möglichkeiteiner allgemeinen Pflichtversicherung alsErgänzung zur obligatorischen Pflichtver-sicherung. Eine Alternative dazu ist die grund-

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Jahresbericht 2005

7 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

Eines der grossen Probleme der Schweiz istdie Veränderung der Altersstruktur der Be-völkerung. Dabei geht es um zwei prinzipiellvoneinander unabhängige Entwicklungen:Zum einen steigt die Lebenserwartung der Bevölkerung, zum anderen ist die Zahl der Geburten in den letzten Jahrzehnten (auch im Vergleich mit anderen westlichen Indus-triestaaten) massiv zurückgegangen. Damitnimmt der Anteil der Beschäftigten im Ver-gleich zu den Rentnern deutlich ab, was die Last der Renten – ganz unabhängig von ihrer Finanzierung – massiv erhöhen wird.Gleichzeitig wird vermutlich – zumindest vorübergehend – auch der Anteil der Jugend-lichen an der Bevölkerung abnehmen. All dies wird die Wirtschafts- und Finanzpolitikder Schweiz in den kommenden Jahrzehntenvor erhebliche Probleme stellen.

Darauf wurde bisher insbesondere vonWissenschaftlern schon längere Zeit hingewie-sen.1 Dabei wurde die Diskussion in derSchweiz vor allem im Hinblick auf die ersteSäule der Altersvorsorge, die AHV, geführt.2

In der Öffentlichkeit (und auch in der Poli-tik) wurde dieses Problem jedoch bisher weitgehend ignoriert.3 Die gescheiterte Abstim-mung über die 11. AHV-Revision kann zu-mindest so interpretiert werden, dass im Volk(noch) keine Bereitschaft vorhanden ist, die inZukunft unumgänglich notwendigen Verände-rungen bei der AHV vorzunehmen. Die Hoff-nung scheint noch zu gross zu sein, dies liessesich z.B. durch höheres Wirtschaftswachstumvermeiden. Schliesslich wird immer wiederdarauf hingewiesen, dass die AHV bei einemhöheren Wirtschaftswachstum heute keineProbleme hätte.4 Dies gilt freilich nur kurz- undbestenfalls mittelfristig. Wie bereits die Aus-führungen in Teil 4.2 unseres Jahresberichts2004 gezeigt haben, sind solche Hoffnungenlangfristig trügerisch.

Insgesamt sind bei einer alternden Bevöl-kerung ein sinkendes Arbeitsangebot, eine geringere Ersparnis und ein geringeres Wirt-schaftswachstum zu erwarten.5 Dies kann un-terschiedlich eingeschätzt werden. Soweit dieseEntwicklung in der Öffentlichkeit der Schweiz(und auch anderer Industriestaaten) überhauptwahrgenommen wird, wird sie vorwiegend als Problem gesehen. «Hilfe! Die Schweizschrumpft»6 ist der Titel eines bereits 1994 erschienenen Buches. Man spricht in diesemZusammenhang nicht nur vom «Generationen-konflikt», sondern sogar vom «Generatio-nenkrieg»; gemäss einer Befragung gibt es

1. Einleitung

einen solchen zwar nur für 15 Prozent derWestschweizer, aber immerhin für 61 Prozentder Deutschschweizer.7 Dagegen gibt es auchvereinzelte Stimmen, welche positive Aspekteeiner schrumpfenden Bevölkerung sehen. Sosoll T.Straubhaar diese Aussicht mit «Toll: End-lich Platz» kommentiert haben.8

Auch wenn man mögliche positive Aspektenicht leugnet, lässt sich nicht übersehen, dassdie mit der Alterung auf die Bevölkerung derSchweiz zukommenden Finanzierungsproble-me eine gewaltige Herausforderung darstellen.Die im 3. Kapitel vorgestellten Simulationser-gebnisse des Bundesamts für Statistik zeigen,dass bis zur Mitte dieses Jahrhunderts mit einerVerdoppelung des Altersquotienten zu rechnenist. Dies wird nicht nur für die AHV, sondernauch für die zweite Säule massive Probleme mitsich bringen.

Dazu ist das Problem der Gesundheits-kosten zu berücksichtigen. Wenn man davonausgeht, dass diese – ceteris paribus – mit zu-nehmendem Alter steigen, und wenn man beim jetzigen System bleiben will, nach wel-chem diese Kosten im Wesentlichen von denstaatlich regulierten Pflichtversicherungen ge-tragen werden, ist auch hier mit (relativ zumBIP) steigenden Aufwendungen zu rechnen.Dabei ergibt sich durch den technischen Fort-schritt im medizinischen Bereich (vermutlich)ein verstärkender Effekt, da durch ihn nicht nurdas Lebensalter, sondern auch die Phase inten-siver medizinischer Betreuung verlängert wird.Dies dürfte sich in steigenden Kosten für die Alterspflege niederschlagen.

Die durch die Alterung auf den Staat zu-kommenden Finanzierungsprobleme verlan-gen langfristige Änderungen im System der sozialen Sicherung, wenn dieses auf Dauer stabil bleiben soll. Wie gross diese Änderungensein müssen und in welche Richtung sie gehensollten, hängt in erster Linie davon ab, wie stark die demografischen Verschiebungen seinwerden. Sie ergeben sich vor allem aus derEntwicklung der Fertilität, aber auch aus derMigration. Auf beides hat die Politik einen bestimmten, wenn auch recht begrenzten Ein-fluss. Die erforderlichen Änderungen hängenaber auch davon ab, wie sich – bei gegebener Altersstruktur – die Erwerbstätigkeit ent-wickelt.Dabei sind unter anderem zwei Faktorenmassgebend: der Grad, in welchem die Frauenerwerbstätig sind, und das Alter des Übergangsvon der Erwerbstätigkeit in den Ruhestand.Auch hier bestehen für die Politik (in Grenzen)Handlungsmöglichkeiten.

1 Siehe OECD (1999).2 Siehe z.B. Bombach G., Kleinewefers H. und Weber L.

(1978), Abrahamsen Y., Kaplaneck H. und Schips B.(1988), Wechsler M. und Savioz R.M. (1993) sowie Sa-vioz M.R. und Wechsler M. (1997).

3 Zu Gründen für die Verdrängung dieser Problematik inÖffentlichkeit und Politik siehe Kaufmann F.-X. (2005,S. 34ff.).

4 Siehe z.B. Nova C. und Zimmermann R., Die AHV ist sicher – auch künftig, http://www.sgb.ch/d-download/03pd.doc.

5 Siehe hierzu z.B. Siebert H. (2002, S. 1ff.).6 Füglistaller P. (1994). – Siehe auch Bundesamt für

Statistik (1996) oder Möckli S. (1999).7 Siehe hierzu Schiesser W., «Generationenkrieg» kein

Westschweizer Thema: Andere Sichten diesseits undjenseits der Saane, Neue Zürcher Zeitung Nr. 286 vom8. Dezember 1999, S. 15.

8 Siehe: «Für die wenigen wird alles besser»: ThomasStraubhaar zum Schrumpfen der Bevölkerung, Neue Zürcher Zeitung Nr. 160 vom 12. Juli 2005, S. 13.

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1. Einleitung

8 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

Angesichts dieser, auch und gerade für diePolitik des Bundes bestehenden Herausforde-rungen beschloss die Kommission für Kon-junkturfragen, den diesjährigen Jahresberichtunter das Thema der wirtschaftlichen Auswir-kungen einer alternden Bevölkerung zu stellen.Dies bedeutet, dass ausser dem Berichtsteil(Kapitel 2), der wie in den vorhergehenden Jahren die Situation und die Aussichten derschweizerischen Wirtschaft darstellt und er-läutert, die übrigen Teile sich diesem Themawidmen. Dabei versuchen wir, es – im Rahmenunserer Möglichkeiten – so umfassend wiemöglich anzugehen. Es betrifft nicht nur die Finanzpolitik, die bei der finanziellen Siche-rung des Systems der Altersvorsorge gefordertist, sondern, wie sich aus den obigen Ausfüh-rungen bereits ergibt, auch die Arbeitsmarkt-,die Familien- und die Gesundheitspolitik.

Im 3. Kapitel versuchen wir eine möglichstumfassende Übersicht über die mit der Alte-rung verbundenen wirtschaftlichen Problemezu geben und gleichzeitig, soweit dies möglichist, Lösungsansätze zu diskutieren. Dabei wirdauch auf Ergebnisse des 4. Kapitels zurück-gegriffen, in welchem einige wichtige Ein-zelprobleme vertieft behandelt werden. Das 5. Kapitel fasst die wesentlichen Ergebnissekurz zusammen und befasst sich insbesonderemit den daraus zu ziehenden politischen Kon-sequenzen.

Zunächst wird im 3. Kapitel die demogra-fische Entwicklung dargestellt, wie sie sich ausden entsprechenden Simulationsrechnungendes Bundesamts für Statistik ergibt. Dabei zeigtsich, dass bis zur Mitte dieses Jahrhunderts miteiner massiven Zunahme des Altersquotientenzu rechnen ist. Dies wird zu erheblichenFinanzierungsproblemen des Systems derAltersvorsorge führen. Dabei stellt sich dieFrage, wie diese zu lösen sind, d.h. zum einen,welche Rolle das Umlageverfahren und das Kapitaldeckungsverfahren spielen sollen, undzweitens, wie erforderliche zusätzliche Mittelaufzubringen sind.

Die daraus für die AHV entstehenden Pro-bleme sind in den vergangenen Jahren ver-gleichsweise ausführlich diskutiert worden.9

Dagegen haben die Probleme der zweiten Säu-le weniger Beachtung gefunden, obwohl sie –bei genauerem Hinsehen – nicht weniger bedeutend sind. Dies dürfte spätestens seit dem«Börsencrash» zu Beginn dieses Jahrzehntsdeutlich geworden sein. Kapitel 4.2 widmet sichdaher Fragen der beruflichen Vorsorge. Dabeidreht es sich nicht nur um die Sanierung der inSchieflage geratenen Pensionskassen, sondernauch um Fragen der sinnvollen Regulierung,die spätestens immer dann öffentlich diskutiertwerden, wenn es um die Festlegung der Min-destverzinsung oder des Umwandlungssatzesgeht.

Finanzierungsprobleme ergeben sich je-doch nicht nur bei der Altersvorsorge, sondern– aller Voraussicht nach – auch bei der Alters-pflege; sie beinhaltet eines der wenigen Risiken,welches heute durch die Sozialversicherungnicht abgedeckt ist. Dies bedeutet nicht, dassdie Einführung einer zusätzlichen Pflichtversi-cherung unbedingt geboten wäre; der heutigeZustand könnte (mit geringfügigen Änderun-gen) auch als Dauerlösung betrachtet werden.Wenn aber eine Pflegeversicherung eingeführtwerden sollte, sollte sie sinnvoll konstruiertsein. Kapitel 4.3 zeigt Möglichkeiten und Wegehierfür auf.

Die Diskussion sollte sich jedoch nicht nurum die Verteilung der finanziellen Lasten küm-mern, die mit der Alterung verbunden sind.Soweit es möglich ist, sollte man versuchen,diese Lasten zu mildern. Der natürlichste Wegdazu ist eine vermehrte Erwerbstätigkeit im Alter: Dadurch ergäben sich gleichzeitig mehrEinnahmen für und weniger Ansprüche an dasSystem der Altersvorsorge. Dies läuft freilichder Entwicklung der letzten Jahrzehnte ent-gegen: Obwohl die Lebenserwartung zuge-nommen hat, ist das durchschnittliche Renten-alter gesunken.

Kapitel 4.1 befasst sich daher mit derErwerbstätigkeit im Alter. Wie müssen die An-reize gesetzt werden, damit das effektive Ren-tenalter in Zukunft nicht mehr sinkt, sondernwieder steigt? Viele ältere Arbeitnehmer wärenbereit, weiterhin zumindest in Teilzeit zu arbeiten. Dies darf aber durch das Renten- wieauch durch das Steuersystem nicht «bestraft»werden. Vielmehr sollten im Rahmen einer Flexibilisierung positive Anreize gesetzt wer-den, die den Betroffenen auch mehr Wahl-möglichkeiten bieten.

Die Finanzierungsproblematik könnte auchdurch eine bessere Vereinbarkeit von Familieund Erwerbsleben gemildert werden. Damitbefasst sich Kapitel 4.4 des Berichts. Verglichenmit anderen Ländern ist diese Vereinbarkeit inder Schweiz eher schwierig.Angesichts der heu-te noch vorherrschenden Rollenverteilung gehtdies vor allem zu Lasten der Frauen. Wie Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen,kanneine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowohl zu einer höheren Erwerbs-beteiligung der Frauen als auch zu höherenGeburtenzahlen führen. Beides kann helfen,die finanzielle Last der Alterung zu mildern.

9 Siehe die entsprechenden Referenzen in Fussnote 2.

Literaturangaben Kapitel 1

– Abrahamsen Y., Kaplanek H. und Schips B.(1988), Die Zukunft der AHV: Eine modellgestützte Analyse derfinanziellen Entwicklung der Alters- undHinterlassenenversicherung (AHV),Rüegger, Grüsch 1988.

– Bombach G., Kleinewefers H. und Weber L.(1978), Lage und Probleme der schwei-zerischen Wirtschaft, Bern 1978.Bundesamt für Statistik (1996), Heraus-forderung Bevölkerungswandel: Perspek-tiven für die Schweiz, Bern 1996.

– Füglistaller P. (1994), Hilfe! Die Schweizschrumpft: Die demografische Entwick-lung der Schweiz und ihre Folgen, Orell Füssli, Zürich 1994.

– Kaufmann F.-X. (2005), Schrumpfende Gesellschaft: Vom Bevölkerungsrückgangund seinen Folgen, Suhrkamp, Frankfurt2005.

– Möckli S. (1999), Die demografischeHerausforderung: Chancen und Gefahreneiner Gesellschaft lang lebenderMenschen, Haupt, Bern et al. 1999.

– OECD (1999), Wahrung des Wohlstands ineiner alternden Gesellschaft, Paris 1999.

– Savioz M.R. und Wechsler M. (1997), Wiegross ist der zukünftige Anpassungsbedarfbei der AHV?, Diskussionsbeitrag zumfünfzigsten Jahrestag der schweizerischenAlters- und Hinterlassenenversicherung,Universität St. Gallen, Volkswirtschaftli-che Abteilung, Diskussionspapier Nr. 9720,St. Gallen, Dezember 1997.

– Siebert H. (2002), Economic Perspectivesfor Aging Societies: The Issues, in: H. Siebert (ed.), Economic Policy for AgingSocieties, Springer, Heidelberg et al.2002, S. 1–6.

– Wechsler M. und Savioz M.R. (1993),Soziale Sicherheit nach 2000. Finanzielle Perspektiven und Szenarien fürdie Schweiz, Rüegger, Grüsch, 1993.

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Jahresbericht 2005

9 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

2.1 Weltwirtschaftliche Lage und Aussichten

2.1.1 Übersicht über die konjunkturelleEntwicklung Ende 2001 bis 2004

Nach dem Ende des letzten Konjunkturab-schwungs 2001 folgte im OECD-Raum einezunächst nur zögerliche Erholung. Insbeson-dere in der EU und in Japan blieb das Wirt-schaftswachstum bescheiden, aber auch in denUSA kam der Aufschwung nicht richtig in Fahrt. Dies änderte sich im Verlauf desJahres 2003. In der 2. Jahreshälfte expandierte die Wirtschaft wieder kräftig, und auch im 1. Halbjahr 2004 setzte sich diese dynamischeEntwicklung fort.

Nach der Jahresmitte 2004 schwächte sichdas Wachstum jedoch wieder ab. Während inden USA die Wirtschaft mit kaum veränderterDynamik expandierte, halbierte sich der Zu-wachs des BIP in der EU nahezu. Japan glitt sogar in eine milde Rezession ab. In den zweiletztgenannten Regionen verlangsamte sichnach der Jahresmitte der Exportzuwachs. ImGegensatz zur US-amerikanischen Wirtschaft,deren Wachstum hauptsächlich von einerweiterhin starken Ausweitung der Binnen-nachfrage getragen wurde, war der Zuwachsder binnenwirtschaftlichen Aktivitäten in derEU und in Japan zu gering, um dem schwä-cheren Aussenhandel genügend entgegen-wirken zu können. In vielen südostasiatischen Staaten war eine Beruhigung der hohen Wachs-tumsdynamik zu beobachten. NennenswerteAusnahme war die chinesische Wirtschaft,die weiter kräftig wuchs. Die lateinamerika-nischen Volkswirtschaften schliesslich expan-dierten im letzten Jahr ebenfalls deutlich.

Im Zuge dieses kräftigen Weltwirtschafts-wachstums stiegen die Rohölpreise im Verlaufvon 2004 weiter an. Gleichwohl hat sich die Inflation in den Industrieländern nur wenigbeschleunigt. Trotz der Zinswende in den USAMitte 2004 blieben die Renditen längerfristigerStaatsanleihen auf niedrigem Niveau.

2.1.2 Wirtschaftslage 2004USA

In den USA war das Wirtschaftswachstum2004 massgeblich auf eine erneut kräftigeZunahme des privaten Konsums sowie auf dieFortsetzung der im Vorjahr begonnenen, deut-lichen Erholung der Unternehmensinvesti-tionen zurückzuführen. So weiteten die priva-ten Haushalte einmal mehr ihre Ausgabendeutlich aus. Die Beschäftigung nahm im Zuge

der merklich steigenden Unternehmensinves-titionen zu, und die Arbeitslosenquote sankvon einem Höchststand von 6,3% Mitte 2003auf noch 5,4% Ende letzten Jahres. Teilweisewar dies auf einen Rückzug potenziell Er-werbstätiger vom Arbeitsmarkt zurückzufüh-ren. 2004 lag die Arbeitsmarktpartizipation im Vergleich zur Periode 1994 bis 2000 rund 0,5 Prozentpunkte tiefer. Der Beschäftigungs-zuwachs blieb jedoch moderat. Die Unterneh-men erhöhten ihre Produktion und investiertenkräftig, ohne dass sich die Zahl der Beschäftig-ten dementsprechend erhöht hätte. Im Gegen-satz zu den Vorjahren gingen von der Fiskalpolitik kaum noch Impulse auf den privaten Konsum aus, wohl aber auf kleine und mittlere Unternehmen. Die kräftige Aus-weitung der Binnennachfrage ging weiter einher mit stark steigenden Importen, und es resultierte erneut ein negativer Aussenbeitrag.Das BIP expandierte um 4,2%, nach 2,7% im Vorjahr.

Trotz der schwungvollen Konjunkturent-wicklung und der kontinuierlichen Verteue-rung der Energiegüter blieb der Preisanstiegrelativ moderat. Die durchschnittliche Jahres-teuerung lag bei 2,7%, nach 2,3% im Jahr 2003.Die um die volatilen Komponenten Nahrungs-mittel und Energie bereinigte Inflationsratebeschleunigte sich im selben Zeitraum von1,5% auf 1,8% und blieb somit mässig.

EUDie im 2. Halbjahr 2003 einsetzende kon-

junkturelle Erholung in der EU mündete bereitsein Jahr später wieder in eine Schwächephase.Der Anstieg der Exporte, welcher sich alseigentlicher Wachstumsmotor erwiesen hatte,schwächte sich ab. Die seit Frühjahr 2001 an-haltende Aufwertung des Euro dürfte die Ex-porte von im Euro-Raum produzierendenUnternehmen tendenziell gedämpft haben.Positiv zu vermerken ist, dass sich die ein Jahrzuvor begonnene Erholung der Bruttoanlage-investitionen auch in der 2. Hälfte 2004 fort-setzte. Die Zunahme blieb allerdings beschei-den, und auch die Beschäftigungsausweitungwar lediglich schwach. Das Ungleichgewichtauf dem Arbeitsmarkt bildete sich denn auchnur wenig zurück. Lag die ArbeitslosenquoteAnfang 2004 bei 9,1%, sank sie bis Ende Jahrlediglich auf 8,9%. Die privaten Haushalteweiteten ihre Ausgaben nach wie vor nur mo-derat aus. Hinter diesem Aggregat verbergensich allerdings erneut deutliche Divergenzen.Während insbesondere im Vereinigten König-

2. Wirtschaftslage und Makropolitik

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2. Wirtschaftslage und Makropolitik

10 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

reich und in Spanien der private Konsumnochmals deutlich zulegte, blieb er in Deutsch-land im dritten Jahr in Folge schwach. Die in Deutschland seit dem 3. Quartal vom Ex-portaufschwung ausgehenden Impulse auf dieBinnenwirtschaft haben insgesamt wenig be-wirkt. Das BIP der neuen Mitgliedstaaten derEU hingegen nahm erneut stark zu. Die priva-

te Konsumnachfrage wuchs etwas schwächer,die Investitionen stiegen aber kräftig an. Ins-gesamt blieb die Binnennachfrage ein wichti-ger Wachstumsträger in dieser Ländergruppe.Für das Gesamtjahr 2004 resultierte in der EUein Zuwachs des BIP von 2,4%, nach 1,1% imVorjahr.

Die konjunkturelle Entwicklung in der EUinsgesamt begrenzte den Preissetzungsspiel-raum der Anbieter. Die Konsumteuerung wur-de denn auch primär vom Anstieg der Ener-giepreise und der Anhebung administrierterPreise bestimmt. Lag die VorjahresteuerungAnfang 2004 bei 1,9% (Euro-Raum: 1,8%), be-trug sie Ende Jahr 2,4% (Euro-Raum: 2,3%).Die um die Komponenten Nahrungsmittel,Energie, Tabak und Alkohol bereinigte Kern-rate stieg von 1,6% auf 1,8% schwächer an.

JapanÄhnlich wie in der EU war das im Verlauf

von 2003 stärker werdende Wirtschaftswachs-tum in Japan nicht von Dauer. Für die erneuteAbschwächung im Jahr 2004 verantwortlichwaren die deutlich langsamer zunehmendenExporte als Folge stagnierender Ausfuhren indie USA und nach Asien. Zudem gingen auchdie Bruttoanlageinvestitionen und die privatenKonsumausgaben zurück, sodass das BIP im 2.und 3. Quartal schrumpfte und in der PeriodeOktober bis Dezember nur geringfügig stieg.Angesichts dieser Entwicklung vermag auf denersten Blick der Rückgang der Arbeitslosen-quote zu überraschen. Diese sank von 5,0% imJanuar 2004 auf noch 4,4% im Dezember.Die Beschäftigung nahm jedoch nur bis gegenMitte Jahr leicht zu; anschliessend ging siezurück. Da das Arbeitsangebot demografischbedingt zurückgeht, trägt dies – wie bereits imVorjahr – zu einem Abbau des Arbeitsmarkt-ungleichgewichts bei. Infolge des kräftigenWirtschaftswachstums zu Beginn von 2004wird für das Gesamtjahr ein realer Zuwachsdes BIP von 2,7% ausgewiesen, nach 1,4% imVorjahr.

Die durchschnittliche Konsumteuerung lag 2004 mit 0,0% erstmals seit fünf Jahrennicht mehr im negativen Bereich. Im Gegen-satz zu den USA oder der EU ist nicht primärder Anstieg der Energiepreise für diese Ent-wicklung verantwortlich, sondern die Verteu-erung von Nahrungsmitteln. Aber auch unterAusschluss frischer Nahrungsmittel hat dieDeflation nachgelassen, nach 0,3% im Vorjahrsanken die Preise noch um 0,1%.

Weitere RegionenIn den Schwellenländern Asiens setzte

sich der im 2. Halbjahr 2003 begonnene Auf-schwung fort. Im Verlauf kam es zwar ebenfallszu einer gewissen Beruhigung der hohenWachstumsdynamik. Die Zuwächse des BIP

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1994 1996 1998 2000 2002 2004

Vorquartalsveränderung in Prozent, annualisiert

Grafik 2.1: USA – Entwicklung des realen BIP

Quelle: OECD

Vorquartalsveränderung in Prozent, annualisiert

Grafik 2.2: EU (25) – Entwicklung des realen BIP

Quelle: Eurostat

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1994 1996 1998 2000 2002 2004

Vorquartalsveränderung in Prozent, annualisiert

Grafik 2.3: Japan – Entwicklung des realen BIP

Quelle: OECD

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Jahresbericht 2005

11 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

Von der Finanzpolitik werden in keinemder drei Wirtschaftsräume positive Impulseauf die Wirtschaftsaktivitäten erwartet. In denUSA ist die Finanzpolitik weniger expansivausgerichtet als in den letzten Jahren. Das Ausgabenwachstum dürfte sich leicht ab-schwächen, abgesehen von Zusatzausgaben im Rahmen der Bewältigung der Schäden desWirbelsturms «Katrina». In der EU gewährtder im Frühjahr 2005 revidierte Stabilitäts-und Wachstumspakt den Defizitsündernlängere Fristen, um den Fehlbetrag im Staats-haushalt wieder unter die im Maastricht-Vertrag vereinbarten 3% des BIP zu reduzie-ren. Der finanzpolitische Kurs dürfte daher imlaufenden und im nächsten Jahr annährendkonjunkturneutral ausgerichtet sein. Der Kon-solidierungsbedarf vieler EU-Staaten hat sichjedoch kaum verringert.

In Japan erreicht die Staatsverschuldung imlaufenden Jahr rund 170% des BIP. Entspre-chend dürfte sich insbesondere die Entwick-lung der investiven Staatsnachfrage bremsendauf das Wirtschaftswachstum auswirken.

2.1.4 Entwicklung 2005 und Aussichten 2006Der Start in das Jahr 2005 verlief auf den

ersten Blick wirtschaftlich relativ ansprechend.Das BIP nahm im OECD-Raum wieder etwasstärker zu als im Verlauf des 2. Halbjahrs 2004.Allerdings hat in der EU der Zuwachs des BIPdie konjunkturelle Grundtendenz überzeich-net, während in Japan Nachholeffekte für denüberaus kräftigen Anstieg des privaten Kon-sums verantwortlich gewesen sein dürften. Im2. Quartal schwächte sich das Wachstum imOECD-Raum erneut ab. Die OECD-Sammel-indizes der vorlaufenden Indikatoren deutenmit dem Juni-Wert erstmals wieder auf einstärkeres Wirtschaftswachstum hin, nachdemsie monatelang eine Abschwächung signali-sierten. So werden in den USA etwas höhereZuwachsraten für die 2. Hälfte des laufendenJahres erwartet. In Japan zeichnen sich dieUnternehmen durch eine steigende Zuversichtaus. In der EU hat sich das Vertrauen von Un-ternehmen und Konsumenten zur Jahresmittehin stabilisiert. Dies folgt jedoch auf einenmehrmonatigen Rückgang. Die verschiedenenIndikatoren in der EU lassen den Schluss zu,dass sich das schwache Wachstum nach der Jah-resmitte etwas verstärken dürfte.Auf eine spür-bare Erholung weisen sie aber (noch) nicht hin.

Auf den Rohölmärkten zeichnet sich keineEntspannung ab. Der Preis für ein Fass Nord-see-Brent liegt im Herbst bei über 60 US-Dol-lar. Kapazitätsengpässe bei der Förderung undbei den Raffinerien gekoppelt mit einerwahrscheinlich weiterhin recht dynamischenWirtschaftsentwicklung vorab in Südostasiendürften dafür sorgen, dass die Notierungen fürÖl tendenziell noch leicht ansteigen.

lagen allerdings mehrheitlich zwischen 7%und 9%. Das Wirtschaftswachstum wurde inden meisten Volkwirtschaften sowohl vonhohen Ausfuhrzuwächsen als auch von einerstarken Binnennachfrage getragen.

Nach der Stabilisierung der Konjunktur-lage im Vorjahr war 2004 für die lateinameri-kanischen Volkswirtschaften eines der wir-schaftlich besten Jahre seit langem. Eine regeNachfrage in bedeutenden Absatzmärkten gekoppelt mit steigenden Preisen von wichti-gen Exportgütern sowie eine lebhafte Binnen-nachfrage trugen zu diesem Ergebnis bei.

2.1.3 Wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen

Das anhaltend dynamische Wirtschafts-wachstum in den USA einerseits, die Abschwä-chung im Jahresverlauf in Japan und der EUandererseits führten dazu, dass die Einschät-zung zur Wirtschaftspolitik – insbesondere zurGeldpolitik – nicht mehr so einheitlich ausfälltwie vor einem Jahr.

Die Bank of England, die von November2003 bis August 2004 den geldpolitischen Expansionsgrad zurückgenommen hatte, re-duzierte als Reaktion auf die spürbare Ab-schwächung der heimischen Konjunktur imbisherigen Jahresverlauf den Leitzinssatz imAugust dieses Jahres um 25 Basispunkte.1

Demgegenüber dürfte die Amerikanische Zen-tralbank (Fed) den seit Juni 2004 verfolgtengeldpolitischen Kurs sukzessiver Leitzinserhö-hungen zunächst beibehalten. Die Realzinsenbefinden sich nur wenig im positiven Bereich,und die Geldpolitik kann noch als leicht expansiv bezeichnet werden. Im Euro-Raumbewegen sich die Realzinsen seit der letztenLockerung des geldpolitischen Kurses durchdie Europäische Zentralbank (EZB) in der 1. Jahreshälfte 2003 nahe null. Die deutlicheAufwertung des handelsgewichteten Aussen-werts des Euro im Jahr 2003 und erneut im 4. Quartal 2004 wirkte sich jedoch spürbar restriktiv auf die monetären Rahmenbedin-gungen aus. Die Abwertung des Euro imbisherigen Jahresverlauf hat zu wieder etwasgünstigeren Bedingungen geführt. Mit Blickauf die zögerliche Konjunkturentwicklungeinerseits und die niedrigen Realzinsenandererseits wird erwartet, dass die EZB imlaufenden Jahr und 2006 keine Zinsschrittevornimmt. In Japan dürften die monetärenBehörden nach wie vor bestrebt sein, die ex-pansive Ausrichtung der Geldpolitik in diesemund im kommenden Jahr fortzuführen.

Die Langfristzinsen in den drei grossenWirtschaftsregionen verharrten bis im Som-mer auf niedrigem Niveau. Auch aus dieserPerspektive können die monetären Rahmen-bedingungen als konjunkturstützend einge-stuft werden.1 Siehe auch Kapitel 2.5

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2. Wirtschaftslage und Makropolitik

12 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

der internen Auftriebskräfte ausgegangen,auch vor dem Hintergrund hoher Rohölnotie-rungen. Die Entwicklung der Ausfuhren dürfteeine Konjunkturstütze bleiben. In Erwartungeiner an Fahrt verlierenden Weltwirtschaftschwächen sich die Zuwächse jedoch ab. Ins-besondere für die deutsche Wirtschaft, die in den letzten Jahren auf Aussenimpulse angewiesen war, sind dies keine erfreulichenPerspektiven. Es gibt zurzeit kaum Anzeichen dafür, dass sich Konsum und Investitionen inDeutschland deutlich erholen könnten. Dankrobusterer inländischer Nachfrage sollten dieWirtschaften der neuen Mitgliedstaaten derEU erneut stärker wachsen. Die Verlaufwachs-tumsrate des BIP der EU insgesamt dürfte sichetwas unter dem Potenzialwachstum bewegen.

In Japan macht sich in jüngerer Zeit eineleicht steigende Zuversicht bemerkbar. Das Investitionsklima scheint stabil zu sein und dieBeschäftigung wird gemäss Unternehmens-umfragen nicht mehr als überhöht betrachtet.Dies sollte sich positiv auf die Beschäftigungs-entwicklung auswirken. Die Exporte haben imbisherigen Jahresverlauf allerdings enttäuscht.Eine stärkere Dynamik in den USA im 2. Halb-jahr 2005 lässt zumindest vorübergehend zunehmend steigende Ausfuhren erwarten.Ob der private Konsum danach aber tatsäch-lich die Exporte als Wachstumsmotor ablösenkann, erscheint zurzeit fraglich. Die Einkom-menszunahme blieb hinter den kräftig ge-stiegenen Ausgaben der privaten Haushalte Anfang 2005 zurück. Es wird daher mit einerNormalisierung hin zu moderaten Zuwächsenbeim privaten Konsum gerechnet. Zusammenmit schwächer steigenden Exporten dürfte die japanische Wirtschaft auf mässigem Er-holungspfad bleiben.

In den wirtschaftlich bedeutenden Volks-wirtschaften ausserhalb des OECD-Raumszeichnet sich mehrheitlich ein starkes, wennauch im Vergleich zu 2004 etwas verlangsam-tes Wirtschaftswachstum ab. Die chinesischeVolkswirtschaft bleibt Motor des wirtschaft-lichen Wachstums in der asiatischen Regionund ein dynamischer Absatzmarkt für Exporteaus den USA und von Europa. Das hoheExpansionstempo der gesamtwirtschaftlichenProduktion Chinas dürfte sich jedoch etwasabschwächen. In den meisten anderen Schwel-lenländern Asiens und in Lateinamerika ist eine nach wie vor robuste Ausweitung der wirt-schaftlichen Aktivitäten zu erwarten. Analogzu den USA wird allerdings auch für dieseRegionen mit einer weiter nachlassendenkonjunkturellen Dynamik gerechnet.

Die Prognoserisiken haben sich über dieletzten zwölf Monate kaum verändert. Dieinternen Auftriebskräfte in der EU und in Japan scheinen nach wie vor wenig gefestigt zusein, und die Situation auf den Rohölmärkten

Die Aufhebung der fixen Anbindung deschinesischen Yuan an den US-Dollar standdiesen Sommer im Fokus des Devisenmarkt-geschehens. Der Aussenwert des Yuan wird neuzu einem Währungskorb festgelegt. Die erfolg-te sehr bescheidene Aufwertung gegenüberdem US-Dollar wird per se kaum Auswirkun-gen auf den Güterhandel haben.

Das auch noch in der 2. Jahreshälfte 2005hohe Wachstumstempo in den USA dürfte sichim nächsten Jahr abschwächen. Damit wäreder Nachfragezuwachs aber immer noch soli-de. Die Ausgaben der privaten Haushalte dürf-ten eine wichtige Stütze bleiben,wenngleich sienicht mehr so kräftig wachsen wie in der jün-geren Vergangenheit. Ein wesentlich stärkererBeschäftigungszuwachs als im Vorjahr wirdnicht erwartet. Auch die privaten Unterneh-mensinvestitionen dürften im späteren Verlaufan Schwung verlieren, nachdem sie seit demFrühjahr 2003 mit hohen Zuwachsraten expandiert haben. Die Verlaufswachstumsratedes BIP wird sich in Richtung des Potenzial-wachstums abschwächen und dürfte im späte-ren Verlauf von 2006 leicht darunter zu liegenkommen.

In der EU neigte die gesamtwirtschaftlicheNachfrage im bisherigen Jahresverlauf zurSchwäche. Die Kapazitätsauslastung in der Industrie ist nach einer Verbesserung im Vor-jahr in jüngerer Zeit wieder gesunken, sodasstrotz günstigen Finanzierungsbedingungendie Bruttoanlageinvestitionen nach wie vor nurmoderat steigen dürften. Es wird entsprechendeine lediglich verhaltene Beschäftigungs- undEinkommenszunahme erwartet. In einigenLändern erhielt der private Konsum Unter-stützung durch deutlich steigende Häuserprei-se. Zumindest im Vereinigten Königreich hatsich die Lage am Immobilienmarkt jedochmerklich beruhigt, und der Zuwachs des pri-vaten Konsums hat sich im bisherigen Jahres-verlauf spürbar abgekühlt. In der EU ins-gesamt wird von einer nur leichten Stärkung

Grafik 2.4: OECD-Sammelindizes vorlaufender Indikatoren(6-Monats-Veränderungsrate in Prozent, annualisiert)

Quelle: OECD

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1994 1996 1998 2000 2002 2004

USA Japan EU

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Jahresbericht 2005

13 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

2.2.2 Erneute konjunkturelle Abschwächung im Jahre 2004

Solche Erwartungen wurden in der Folgejedoch enttäuscht. Das BIP-Wachstum in

der ersten Hälfte des Jahres 2004 war mit Ver-laufswachstumsraten von etwas über 2% zuschwach, als dass zusätzliche Arbeitskräfte benötigt worden wären. Die steigende Güter-nachfrage konnte von den Unternehmen überProduktivitätserhöhungen aufgefangen wer-den. In der zweiten Jahreshälfte schliesslich begann sich das Schweizer Wirtschaftswachs-tum merklich abzuschwächen. Im 4. Quartal2004 stagnierte das BIP nahezu; im Vergleichzum Vorquartal resultierte noch ein Anstiegum 0,3 %. Insgesamt erhöhte sich das reale BIPim Jahr 2004 gegenüber dem Vorjahr um 2,1%.Ab dem 1. Quartal 2005 setzte eine leichte Er-holung ein. Das BIP erhöhte sich annualisiertum 0,9% im 1. bzw. um 1,6% im 2. Quartal.

2.2.3 Schwächere Konjunkturentwicklung imAusland bremst Exportwachstum

Eine wichtige Ursache für diese erneuteVerflachung der gesamtwirtschaftlichen Wert-schöpfung waren die nachlassenden konjunk-turellen Impulse aus dem internationalen Um-feld – insbesondere aus den Nachbarländernund wichtigen Exportdestinationen Deutsch-land, Frankreich und Italien, deren Anteil anden Schweizer Warenexporten rund 40% be-trägt. Das nachlassende Wirtschaftswachstumin diesen Ländern übertrug sich unmittelbarauf die Schweizer Warenausfuhr. Was dieLieferung von Waren aus der Schweiz in denUS-Dollar-Raum betrifft, wirkte sich die Auf-wertung des Frankens gegenüber dem Dollarungünstig aus. Das Expansionstempo derSchweizer Warenexporte3 reduzierte sich nacheiner Zuwachsrate von knapp 10% zu Jahres-beginn im weiteren Jahresverlauf deutlich.Besonders ausgeprägt war diese Entwicklungbei den konjunkturreagiblen KomponentenHalbfabrikate und Investitionsgüter. Die Aus-fuhr von Konsumgütern nahm hingegenweiter zu, allerdings – insbesondere im 2.und 3. Quartal 2004 – mit etwas geringerenZuwachsraten.

Nach der Schwäche Anfang des Jahres be-gannen die Warenexporte ab März 2005 wiederdeutlich anzusteigen. Dieser Anstieg rührt je-doch massgeblich von kräftigen Zuwächsen beider Ausfuhr der weniger konjunkturreagiblenKonsumgüter her. Im Gegensatz dazu ent-wickelten sich die Exporte bei den konjunktur-reagibleren Komponenten Halbfabrikate undInvestitionsgüter verhalten bis leicht negativ.

Wie bei den Warenexporten schwächte sichauch das Wachstum der Dienstleistungsex-porte, deren Anteil an den gesamten Exportenrund 28% beträgt, nach einem kräftigen zwei-ten Halbjahr 2003 bereits ab dem 2. Quartal

2 Das BIP und seine Komponenten sind – wenn nicht anders erwähnt – preis-, saison- und zufallsbereinigt(glatte Komponente) worden. Die Saison- und Zufalls-bereinigung erfolgte durch die KOF.Die Verlaufswachstumsraten (Veränderung gegenüberVorperiode) sind annualisiert.

3 Die Exporte und Importe wurden um die nicht kon-junkturrelevanten Ausfuhren und Einfuhren von Edelmetallen, Edel- und Schmucksteinen sowie Kunstgegenständen und Antiquitäten bereinigt. Diese Bereinigung ist BIP-neutral.

bleibt angespannt. Die Renditen der Staats-anleihen sind aussergewöhnlich niedrig, und in vielen Ländern sind die Immobilienpreiseweiter deutlich gestiegen. Eine abrupte Kor-rektur würde Finanzmärkte und Realwirt-schaft belasten.

2.2 Lage der schweizerischen Wirtschaftund Aussichten

2.2.1 EinleitungUm die Mitte des Jahres 2003 setzte in der

Schweizer Wirtschaft eine konjunkturelle Er-holung ein. Die seit dem 2. Quartal 2001 an-haltende Schwächephase neigte sich ihrem En-de zu. Im 3. und 4. Quartal 2003 wuchs das BIPmit 2,2% bzw. 3,0%.2 Dass für 2003 dennocheine Abnahme des BIP von 0,3% resultierte,ist vor allem dem ausgeprägten Rückgang im1. Quartal 2003 zuzuschreiben. Die Erholungwar von Beginn weg breit abgestützt. Die Im-pulse kamen sowohl aus dem aussenwirt-schaftlichen Umfeld als auch aus dem Inland.Die konjunkturelle Erholung in den USA undin Europa führte ab Mitte 2003 zu einer stär-keren Nachfrage nach Schweizer Exportpro-dukten. Diese Entwicklung wurde verstärktdurch die Rückkehr des Franken/ Euro-Kursesvon rund 1,47 auf ein Austauschverhältnis inder Grössenordnung von 1,55 CHF/Euro, wo-durch sich die preisliche Wettbewerbsfähigkeitder Schweizer Exporteure verbesserte. Eine wesentliche Triebkraft im Inland waren dieWohnbauinvestitionen, welche im Jahr 2003um fast 17% zunahmen. Die Stimmungs-indikatoren begannen sich zu verbessern. DieSchweizer Unternehmen wurden im Hinblickauf den künftigen Absatz zuversichtlicher. DerIndex der Konsumentenstimmung stieg wie-der leicht an. Die Aktienkurse erholten sich.Gegen Ende des Jahres wurde der private Kon-sum von der Erholung erfasst. Die Konsum-ausgaben erhöhten sich im 4. Quartal 2003 um1,6% resp. im 1. Quartal 2004 um 1,7%. Auf-grund der Nachfragebelebung aus dem In-und Ausland konnten die Unternehmen ihreProduktionskapazitäten wieder stärker auslas-ten. Die Ertragslage verbesserte sich merklich.Dementsprechend wurden wieder vermehrtErweiterungsinvestitionen getätigt. Die Aus-rüstungsinvestitionen nahmen zu. Auch wasden Personalbestand betraf, begann sich beiden Unternehmen ein Umdenken abzu-zeichnen.Der Beschäftigungsabbau ging gegen Ende 2003 wesentlich langsamer vonstatten alsnoch zu Jahresbeginn; die Arbeitslosenquotebegann Anfang 2004 von einem Niveau vonknapp 4% aus sogar leicht zu sinken. Einigessprach dafür, dass die Schweizer Konjunkturwieder Tritt gefasst hat und dass es somit nurnoch eine Frage der Zeit sei, bis die Beschäfti-gung wieder zunehmen würde.

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2. Wirtschaftslage und Makropolitik

14 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

des vergangenen Jahres wieder spürbar ab.Eine wichtige Ursache ist die Seitwärtsbewe-gung auf den Aktienmärkten ab März 2004,welche die Entwicklung der Kommissions-erträge der Schweizer Banken aus dem Ge-schäft mit ausländischen Kunden bremste.Die Ausgaben ausländischer Touristen in derSchweiz nahmen hingegen um 3,2% zu. Imlaufenden Jahr fassten die Dienstleistungs-exporte hingegen wieder Tritt. Insbesonderedie steigenden Aktiennotierungen belebtendas Kommissionsgeschäft der Banken.

2.2.4 Konsum 2004 vor allem stimmungsgetragen

Auch bei den Konsumausgaben der priva-ten Haushalte schwächte sich das Wachstumim Laufe des Jahres 2004 ab. Zwar verbessertesich der Sammelindex der Konsumenten-stimmung abermals und erreichte Anfang2005 beinahe den langfristigen Durchschnitt(1972–2004). Doch die positiven Impulse die-ser Stimmungsverbesserung für den privatenKonsum wurden durch die ausgesprochenschwache Entwicklung bei den real verfügba-ren Einkommen gedämpft. Die Beschäftigungnahm ab, während die Nominallöhne nur un-wesentlich stärker zulegten als die u.a. infolgeder höheren Ölpreisnotierungen gestiegeneTeuerung. Für die im historischen Vergleichdurchschnittliche Zunahme der realen Kon-sumausgaben von 1,4% war eine Senkung derSparquote erforderlich.

2.2.5 Bauinvestitionen geprägt vom WohnbauErneut positive Impulse auf die Schweizer

Konjunktur gingen im vergangenen Jahr vonden Bauinvestitionen aus. Diese nahmen realum 4,1% zu. Zugenommen haben dabei ins-besondere die Bauinvestitionen privater Inves-toren (nominal 7,2%), und dies vornehmlichim Neubau (nominal 11,7%). Die öffentlichenInvestitionen erhöhten sich hingegen nominalnur um eher schwache 1,8%: Der Staat ver-mochte der Konjunktur über die Investitionenkaum Impulse zu verleihen. Nach Bauwerk-kategorien betrachtet zeigt sich, dass der An-stieg der Bauinvestitionen einmal mehr vor-wiegend auf den Wohnbau zurückzuführenist. Dieser erhöhte sich bei einem Anteil an dengesamten Bauinvestitionen von knapp 50% imvergangenen Jahr nominal um 11,3%. Dass die Wohnbauinvestitionen nach 2003 erneutausgesprochen kräftig angestiegen sind, kannnur teilweise mit so genannten Fundamental-faktoren erklärt werden: Zu erwähnen sind dieabermals gestiegene Rendite im Wohnbau,tiefe Zinsen und der nach wie vor eher tiefeLeerwohnungsbestand. Darüber hinaus dürf-ten optimistische Erwartungen der Investoren eine bedeutende Rolle gespielt haben. Der in-dustriell-gewerbliche Bau entwickelte sich im

Gegensatz zum Wohnbau wiederum sehr verhalten und nahm um 3,6% ab, was in Anbetracht des nach wie vor hohen Leer-flächenbestandes nicht überraschend ist.

2.2.6 Schwächelnde Güternachfrage erfordert nur in beschränktem AusmassErweiterungsinvestitionen

Aufgrund der Nachfragebelebung ab Mitte2003 konnten die Unternehmen ihre Produk-tionskapazitäten stärker auslasten. Das Risiko,neue, zusätzliche Kapazitäten nicht produktiveinsetzen zu können, nahm dadurch ab. Durchdie verbesserte Ertragslage standen den Unter-nehmen zudem zusätzliche Mittel für die Finanzierung neuer Investitionsprojekte zurVerfügung. In der Folge nahmen die Erweite-rungsinvestitionen sukzessive zu. Bis Mitte2004 beispielsweise stieg der Anteil der expan-dierenden Industriebetriebe an der gesamtenTeilnehmerzahl der KOF-Industrieumfrageauf ein Niveau, welches letztmals im Jahr 2000 erreicht worden war. Zuversichtlich gab sichauch der Finanzsektor. Sowohl bei den Bankenals auch bei den Versicherungen hellte sich dieGeschäftslage auf. Dementsprechend war eineleicht erhöhte Expansionsbereitschaft im IT-Bereich feststellbar. Im Baugewerbe konntendie technischen Kapazitäten zwar etwas besserausgelastet werden. Allerdings wurden imRahmen der KOF-Bauumfrage kaum diesbe-zügliche Engpässe gemeldet; die bestehendenKapazitäten reichten zur Leistungserbringungweit gehend aus. In der zweiten Hälfte desvergangenen Jahres begann sich die Investi-tionsaktivität jedoch wieder abzuschwächen.Die verhalten wachsende Güternachfrageerforderte nur noch in geringerem AusmassErweiterungsinvestitionen. Die Verlaufs-wachstumsraten gingen merklich zurück; im 4. Quartal 2004 und im 1. Quartal 2005 warendie Ausrüstungsinvestitionen wieder rückläu-fig. Aufgrund dieser Abschwächung fiel dasJahresergebnis 2004 für eine konjunkturelleErholungsphase mit 2,7% denn auch tief aus.Die Entwicklung am aktuellen Rand gibt allerdings Anlass zur Hoffnung. So nahmen die Ausrüstungsinvestitionen trotz verhalte-nen Absatzerwartungen der Unternehmen im 2. Quartal wieder zu: Mutmasslich haben dieUnternehmen vermehrt Ersatzinvestitionengetätigt.

2.2.7 Verhalten wachsender StaatskonsumDer Staatskonsum nahm im vergangenen

Jahr real um 1,4% zu. Das Wachstum fiel merklich schwächer aus als in den Jahren 2000 bis 2003. Darin kommen Sparmass-nahmen zum Ausdruck, welche vor demHintergrund erneuter Defizite und demBestreben, die Staatsquote zu stabilisieren, er-griffen worden sind.

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Jahresbericht 2005

15 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

2.2.8 Importe spiegeln KonjunkturverlaufDie Importe entwickelten sich weit gehend

spiegelbildlich zur Schweizer Konjunktur.Aufgrund der einsetzenden konjunkturel-len Erholung begannen die Importe in der zweiten Hälfte des Jahres 2003 anzuziehen.Nach hohen Zuwachsraten im 3. und 4. Quar-tal 2003 von über 9% schwächte sich dasWachstum im vergangenen Jahr ab. ImSchlussquartal des vergangenen Jahres stag-nierte die Einfuhr von Waren und Dienstleis-tungen nahezu. Im laufenden Jahr hielt dieSchwäche bei den Importen zunächst an; fürdas 1. Quartal des laufenden Jahres resultierteein Rückgang. Am aktuellen Rand hingegenzeichnet sich eine Wende ab. Die realenWarenimporte sind seit dem 2. Quartal wiederaufwärts gerichtet.

2.2.9 Anhaltender BeschäftigungsrückgangNachdem sich aufgrund der konjunkturel-

len Erholung Ende 2003/Anfang 2004 auf dem

Arbeitsmarkt gewisse Anzeichen für eineWende ausmachen liessen, folgte im weiterenVerlauf des Jahres 2004 die Ernüchterung.Das Wirtschaftswachstum war zu schwach, alsdass in nennenswertem Ausmass zusätzlicheArbeitskräfte benötigt worden wären. Im Jahr2004 stagnierte die Beschäftigung nahezu:Die Zahl der Beschäftigten nahm nur gering-fügig um 0,1% zu; auf Vollzeitstellen hoch-gerechnet nahm die Beschäftigung hingegenum 0,4% ab. Nach Sektoren betrachtet ist die schwache Beschäftigungsentwicklung imWesentlichen bedingt durch die geringere Arbeitsnachfrage in der Industrie. Im Bau-gewerbe nahm die Beschäftigung im zweitenHalbjahr 2004 wieder etwas zu, doch auf-grund der Entwicklung in der ersten Jahres-hälfte ergab sich fürs ganze Jahr dennoch ein leichter Rückgang. Im Dienstleistungs-sektor hat sich der Anstieg der Zahl der Be-schäftigten in der zweiten Hälfte des ver-gangenen Jahres deutlich verflacht. Regionalbetrachtet verzeichneten die Région Lémani-que und die Nordwestschweiz den stärkstenBeschäftigungsrückgang. In Zürich war dieAbnahme moderater, während in der Ost-schweiz und vor allem im Mittelland ein Zuwachs resultierte. In der ersten Hälfe deslaufenden Jahres hat die Beschäftigung weit-gehend stagniert.

Die Zahl der registrierten Arbeitslosennahm – bei Ausschluss von saisonalen Ein-flussfaktoren – von Anfang 2004 bis August2005 um rund 8000 auf rund 148500 Per-sonen kontinuierlich, aber schwach ab. Die Arbeitslosenquote ging von knapp 4% im Januar 2004 auf 3,8% zurück. In Anbetrachtder stagnierenden Beschäftigtenzahl und des steigenden Erwerbspersonenpotenzials(Personen im erwerbsfähigen Alter) ist dieseEntwicklung auf den ersten Blick etwas über-raschend.

So gesehen hätte man erwarten können,dass die Zahl der registrierten Arbeitslosen unter diesen Umständen zunimmt. Wahr-scheinliche Ursachen für den Rückgang derArbeitslosigkeit sind einerseits der Rückzugvon Arbeitssuchenden aus dem Arbeitsmarkt,was zu einer Verringerung des Arbeitsangebotsgeführt hat, und anderseits der sprunghafteAnstieg der Aussteuerungen mit dem Inkraft-treten der verkürzten Bezugsdauer von Ar-beitslosenversicherungsleistungen Mitte desJahres 2003. Nach Nationalität betrachtet waren die Ausländer mehr als doppelt so häufig von Arbeitslosigkeit betroffen als dieSchweizer. Die Arbeitslosenquote der Frauenliegt 0,1 bis 0,3 Prozentpunkte über derjenigender Männer. Gegliedert nach Altersgruppenwiesen die 15- bis 24-Jährigen die höchste unddie 50 und mehr Jahre alten Arbeitnehmendendie tiefste Quote auf.

VQ-Veränderung in % (annualisiert, linke Skala) Niveau (in Mio. Fr., rechte Skala)

Grafik 2.5: Bruttoinlandprodukt (zu Preisen von 2001, glatte Komponente)

Quelle: seco

–3.0

–2.0

–1.0

0.0

1.0

2.0

3.0

4.0

5.0

6.0

7.0

1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005

93000

97000

101000

105000

109000

113000

Grafik 2.6: Warenexporte und Inlandnachfrage (1998 = 100, glatte Komponente)

Quelle: seco

70

80

90

100

110

120

130

140

1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005

Reale Warenexporte Reale inländ. Endnachfrage

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Grafik 2.9: Landesindex der Konsumentenpreise (Veränderung gegenüber Vorjahr, in %)

–0.5

0.0

0.5

1.0

1.5

2.0

2.5

1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005

2. Wirtschaftslage und Makropolitik

16 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

2.2.10 Ölpreiserhöhungen prägen Teuerungs-entwicklung – nahezu stagnierende Reallöhne

Die Lohnentwicklung der letzten drei Jahreist durch das anhaltende Ungleichgewicht aufdem Arbeitsmarkt geprägt. 2004 stieg der vomBundesamt für Statistik (BFS) erhobene No-minallohnindex um 0,8%. Der Lohnsatz aufBasis der Volkswirtschaftlichen Gesamtrech-nung (VGR)4, der im Unterschied zum Nomi-nallohnindex auch die Änderungen in der Beschäftigungsstruktur in Richtung höhererQualifikationen sowie in Branchen mit hö-herem Lohnniveau berücksichtigt, erhöhte sich um 1,0%. Die Löhne konnten mit der Arbeitsproduktivität, welche sich um 2,5% erhöhte, nicht Schritt halten, sodass die ge-samtwirtschaftlichen Lohnstückkosten deut-lich um 1,5% abnahmen. Von Seiten der Ar-beitskosten ergab sich somit kein Preisdruck.Im Gegenteil, diese wirkten preisdämpfend.Ebenfalls keine preistreibenden Impulse erga-ben sich durch die Wechselkursentwicklung:Der nominale Aussenwert des Frankens stiegim vergangenen Jahr sogar etwas an, sodasssich die importierten Produkte dadurch ten-denziell verbilligten. Dass sich die am Landes-index der Konsumentenpreise (LIK) gemesse-ne Teuerung in der Schweiz im vergangenenJahr dennoch beschleunigt hat, ist auf beson-dere Umstände zurückzuführen. Sie ist Aus-druck kräftiger Preissteigerungen in einzelnen,besonderen Konsumgütergruppen, nämlichbei den Erdölprodukten, den Wohnungs-mieten und den öffentlichen Dienstleistungen.Diese Gruppen zusammen haben im LIK einAusgabengewicht von knapp einem Drittel. Sietrugen rund 0,7 Prozentpunkte zur gesamtenLIK-Teuerung von 0,8% bei, wobei zu erwäh-nen ist, dass die Mietteuerung aufgrund derAnpassung der Stichprobe für die Mietpreis-erhebung überzeichnet wird. Die von der KOFberechnete Kernteuerung (LIK ohne Erdöl,administrierte Preise, Medikamente, Mieten)erreichte im Jahresdurchschnitt 2004 mit 0,1%das tiefste Niveau der vergangenen 25 Jahre.Im laufenden Jahr bewegte sich die am LIKgemessene Vorjahresteuerung aufgrund der-selben Faktoren wie 2004 nach wie vor deut-lich über der Kernteuerung.

Das gesamtwirtschaftliche Preisniveau –gemessen am BIP-Deflator – erhöhte sich um0,9% (2004). Weiter verteuert haben sich dieKonsumgüter. Die Preise der Bauinvestitionenblieben unverändert, während die Ausrüs-tungsgüter billiger wurden. Die Terms of tradehaben sich im vergangenen Jahr leicht ver-schlechtert.

2.2.11 AussichtenGemäss den Frühindikatoren aus den KOF-

Umfragen ist bis Ende des laufenden Jahres miteiner moderaten Zunahme der Schweizer

4 Dieser Lohnsatz ist gleich den Einkommen ausunselbständiger Erwerbstätigkeit dividiert durch die vollzeitäquivalente Beschäftigung (zur Unter-scheidung Nominallohnindex vs. VGR-Lohnsatz s. z.B.die Medienmitteilungen der BFS zum Lohnindex).

Grafik 2.7: Vollzeitäquivalente Beschäftigung (glatte Komponente)

Quelle: BFS

–4.0

–2.0

0.0

2.0

4.0

1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005

2950

3000

3050

3100

3150

VQ-Veränderung in % (annualisiert, linke Skala) Niveau (in 1000 Pers., rechte Skala)

Grafik 2.8: Arbeitslose und Stellensuchende (glatte Komponente)

Quelle: seco

0

50000

100000

150000

200000

250000

300000

1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005

Zahl der Stellensuchenden Zahl der registrierten Arbeitslosen

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Jahresbericht 2005

17 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

Wertschöpfung zu rechnen. In der SchweizerIndustrie ist der Bestellungseingang in denletzten Monaten weiter angestiegen. Der Auf-tragsbestand konnte leicht erhöht werden. Fürdie Herbstmonate sind die Produktionspläneexpansiv ausgelegt, wenn auch ein im Vergleichzum 1. Halbjahr 2005 etwas langsameres Ex-pansionstempo vorgesehen ist. Diese Entwick-lung dürfte sich bis gegen Ende Jahr fortsetzen.Aufgrund der leichten Belebung der Weltwirt-schaft in der 2. Jahreshälfte, aber auch deretwas höheren Nachfrage nach Ausrüstungs-gütern dürften der Bestellungseingang in derIndustrie weiter zunehmen. Auch im Bau-gewerbe wird eine weitere Erhöhung der Pro-duktion erwartet. Gemäss den Umfrageergeb-nissen hat sich die Reichweite des Auftrags-bestandes im 2. Quartal 2005 weiter erhöht. BisEnde Jahr rechnen die Unternehmen mit eineranhaltenden Zunahme des Auftragseingangs.Diese Erwartungen korrespondieren mit dengemeldeten Bauvorhaben: Für 2005 ist eineZunahme der Bauinvestitionen von 9,9% vor-gesehen, wobei der Wohnbau mit einer Er-höhung von 16,3% die treibende Kraft bleibenwird. Was den Dienstleistungssektor betrifft,kann für die nächsten Monate mit einem wei-teren – allerdings wiederum nur bescheidenen– Anstieg der Wertschöpfung gerechnet wer-den. Im Gesundheitsbereich und in anderenvon der Konjunkturlage weit gehend unab-hängigen Bereichen nimmt die Wertschöpfungweiterhin geringfügig zu. Im Detailhandel istgemäss den Ergebnissen der Seco-Konsumen-tenbefragung mit steigenden Umsätzen zurechnen. So liegt die erfahrungsgemäss für denprivaten Konsum besonders aussagefähigeEinschätzung der finanziellen Lage der priva-ten Haushalte mit Blick auf die kommenden 12Monate knapp über ihrem langjährigen Mittel.Pessimistischer werden die Zukunftsaussich-ten im Gastgewerbe eingeschätzt. Knapp 45%der Unternehmen gehen noch von einem im Vergleich zum Vorjahr unveränderten Absatzaus, 30% befürchten einen Rückgang. Im Finanzsektor wird fürs 2. Halbjahr 2005 mit einem weiteren Nachfragezuwachs gerechnet,der allerdings spürbar schwächer ausfallendürfte als in der ersten Jahreshälfte.

Aufgrund des anhaltend eher geringen Ex-pansionstempos der Schweizer Wirtschaft istfür die nahe Zukunft eine Wende auf dem Arbeitsmarkt eher unwahrscheinlich. Die Ent-wicklung der Indikatoren, die der tatsäch-lichen Beschäftigung voraus laufen, lässt keinerasche und durchgreifende Besserung der La-ge am Arbeitsmarkt erwarten. Der vom BFSpublizierte Indikator der Beschäftigungsaus-sichten hat sich seit einem Jahr praktisch nichtverändert. Die Zahl der offenen Stellen liegtseit Mitte 2003 auf annähernd unveränderterHöhe. Dagegen ist der Manpower-Stellenindex

in den vergangenen Monaten wieder leicht zurückgegangen. Die weitere Teuerungsent-wicklung im laufenden Jahr steht unter demEinfluss der Erdöl-Notierungen. Die Kernteu-erung wird schwach bleiben.

Das moderate Wachstum der Weltwirt-schaft wird im Jahr 2006 zu einem weiterenAnstieg der Schweizer Exporte führen. DieProduktionskapazitäten können besser aus-gelastet werden, sodass vermehrt Erweite-rungsinvestitionen getätigt werden dürften.Die Ausrüstungsinvestitionen steigen weiteran und auch beim industriell-gewerblichenBau beginnen sich Erholungstendenzen ab-zuzeichnen. Die Entwicklung im Wohnbaudürfte sich hingegen etwas normalisieren; dieWachstumsraten bilden sich zurück. Vom Infrastrukturbau sind keine Wachstumsim-pulse zu erwarten. Die Bauinvestitionen dürf-ten daher 2006 insgesamt nur noch schwachzunehmen. Die leichte, aber anhaltende konjunkturelle Aufhellung wird im Laufe desnächsten Jahres auch auf dem Arbeitsmarktsichtbar werden. Es ist mit einer Zunahme der Beschäftigung zu rechnen. In Anbetrachtder gegenwärtigen Unterbeschäftigung wer-den aber kaum Anspannungen auf dem Arbeitsmarkt auftreten. Der private Konsumerhält Impulse von der sich nach und nach ver-bessernden Beschäftigungssituation. Die Zu-wachsraten dürften wieder etwas höher aus-fallen. Das Schweizer Preisniveau wird nurschwach steigen. Der Ölpreis bleibt ein bedeu-tender Unsicherheitsfaktor.

2.3 Branchenentwicklung

2.3.1 UmfrageresultateQualitative Konjunkturumfragen enthalten

neben objektiven Daten auch subjektive Ein-schätzungen der Unternehmen. Die aggregier-ten Resultate der Konjunkturumfragen derKOF5ergänzen daher die amtlichen Statistiken,sie vermitteln ein breit gefächertes, aktuellesGesamtbild der Wirtschaftslage und deren er-wartete kurzfristige Entwicklungstendenz.

IndustrieDie Industriekonjunktur verzeichnete in

den letzten 15 Jahren kräftige Schwankungen.Aufgrund der Einschätzung der Unternehmenwar das Jahr 2000 die lebhafteste Periode.Dies zeigt der Indikator Geschäftsgang6 in der Industrie – ein zuverlässiger Mitlaufindi-kator zur Wachstumsrate gegenüber dem Vor-jahr der Industrieproduktion (Korrelation1991–2002: 0,82). Allerdings folgte eine langandauernde konjunkturelle Schwächephase,welche durch die Terroranschläge vom 11. Sep-tember 2001 und deren Wirkungen noch akzentuiert wurde. Dabei waren die export-orientierten und die auf den Binnenmarkt

5 Monats- und Quartalsumfragen. Es wird der Saldo – die Differenz zwischen den positiven und negativenAntwortanteilen – in geglätteter Form dargestellt. Die Glättung erfolgt mittels Census X12-Verfahren, Option X11, glatte Komponente (gl. K.).

6 Setzt sich aus den Saldi der folgenden drei Fragenzusammen: Veränderung des Bestellungseingangs undder Produktion gegenüber dem Vorjahr, Beurteilung der Auftragsbestände.

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2. Wirtschaftslage und Makropolitik

18 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

ausgerichteten Unternehmen in ähnlichemAusmass betroffen. Im Frühjahr 2002 rechne-te eine zunehmende Anzahl von Firmen mit einem raschen Ende der Krise im Nahen Osten,entsprechend stieg der Indikator «ErwarteterBestellungseingang» deutlich an. Diese Erwar-tungen trafen jedoch nicht ein, was die Unter-nehmen zu einer Korrektur ihrer künftigenNachfrageerwartungen veranlasste. Im Laufevon 2003 häuften sich die Zeichen für einewirtschaftliche Erholung, sodass die Unter-nehmen die Entwicklung in den nächsten dreiMonaten wieder vermehrt zuversichtlich ein-schätzten. Ab Mitte 2003 bis Mitte 2004 setzteeffektiv eine deutliche Erholung der Industrie-konjunktur ein. Aber bereits Anfang 2004 erkannten die Firmen, dass sich das Nach-fragewachstum in naher Zukunft wieder verflachen würde. Für das 2. Halbjahr 2005rechnen die Industriefirmen gemäss der KOF-Konjunkturumfrage mit einem weiteren,allerdings abgeschwächten Nachfrageanstieg.Insbesondere die exportorientierten Unter-nehmen sind in ihrer Einschätzung zurück-haltender geworden.

BaugewerbeNach dem im Herbst 2000 einsetzenden

Konjunkturabschwung verharrte das Bauge-werbe im Zeitraum 2002/03 in einer rezessivenPhase. Davon war das Bauhauptgewerbe etwasstärker betroffen als das Ausbaugewerbe. Erstim Laufe von 2004 hat sich die Beurteilung derGeschäftslage insgesamt langsam verbessertund wird nun als gut beurteilt. In den letztenQuartalen war kaum mehr ein Unterschiedzwischen dem Bauhaupt- und dem Ausbauge-werbe zu erkennen. Der Indikator Geschäfts-lage des Bauhauptgewerbes verläuft eng mitder Jahreswachstumsrate der vom Schweizeri-schen Baumeisterverband ausgewiesenen Bau-tätigkeit des Bauhauptgewerbes (Korrelation(1995–2002: 0,83). Unterstellt man einenähnlich engen Zusammenhang zwischen derBautätigkeit des Ausbaugewerbes und des In-dikators Geschäftslage dieser Sparte, so ist da-von auszugehen, dass auch im Ausbaugewerbe die Produktion gesteigert werden konnte.Diese insgesamt positive Entwicklung hat sich bereits im Frühjahr 2003 durch die Auf-tragserwartungen der Bauunternehmen ange-kündigt. Auch im 2. Halbjahr 2005 dürfte die Bautätigkeit zunehmen, da die Zahl der Unter-nehmen mit positiven Erwartungen jene mitnegativen weiterhin übertrifft.

Ausgewählte Dienstleistungsbranchen

GastgewerbeDer Absatz im Gastgewerbe (Leistungen

der Küche und Getränke bei den Gaststätten,Logiernächte in der Beherbergung) lag zwi-

Grafik 2.10: Geschäftsgang und erwarteter Bestellungseingang in der Industrie, Saldo

–40

–30

–20

–10

0

10

20

1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005

–15

0

15

30

Indikator Geschäftsgang, gl. K. (l.S.) Erwarteter Bestellungseingang, gl. K. (r.S.)

Grafik 2.11: Geschäftsgang und erwarteter Auftragseingang im Baugewerbe, Saldo

–60

–40

–20

0

20

40

–60

–40

–20

0

20

40

1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005

Urteil Geschäftslage, gl. K. (l.S.) Erwarteter Auftragseingang, gl. K. (r.S.)

Grafik 2.12: Absatz gegenüber dem Vorjahr und erwarteter Absatz im Gastgewerbe, Saldo

–80

–60

–40

–20

0

20

40

–80

–60

–40

–20

0

20

40

1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005

Absatz gegenüber Vorjahr, gl. K. (l.S.) Erwarteter Absatz, gl. K. (r.S.)

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Jahresbericht 2005

19 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

schen dem 3. Quartal 1997 und dem 1. Quar-tal 2001 bei der Beherbergung durchwegs, beiden Gaststätten mit Ausnahme des Winters1998/99 ebenfalls über den Vorjahreswerten.Ab Ende 2000 verlor die Konjunktur im Gast-gewerbe jedoch sukzessive an Schwung. DerIndikator «Absatz gegenüber Vorjahr» erreich-te 2002 den tiefsten Wert seit 1997. Von der negativen Entwicklung war vor allem das Be-herbergungsgewerbe betroffen. Grund dafürwaren neben der schwächelnden Konjunkturverschiedene exogene Schocks (11. September,SARS-Krankheit, Nahostkrise), welche dieReisefreudigkeit deutlich verminderten. Auchim darauf folgenden Jahr blieb der Indikatornegativ. Die Konjunkturerholung setzte 2003nur zögerlich ein, sie kam bereits im Sommer2004 wieder zum Stillstand. Dabei verzeichne-ten die Gaststätten auch zu jenem Zeitpunktnoch leicht sinkende, die Beherbergung stag-nierende Umsätze. In den letzten Quartalenhat sich der Absatz vorerst wieder etwas abge-schwächt und im 2. Quartal 2005 stabilisiert.

Allerdings verlief die Entwicklung dabei zwi-schen Beherbergung und Gaststätten deutlichunterschiedlich: Erstere konnten die Umsätzesteigern, Letztere mussten vermehrt Rückgän-ge hinnehmen. Dabei dürfte nicht zuletzt dieReduktion der Promille-Grenze für Fahrzeug-lenker eine Rolle gespielt haben. Auch für das3. Quartal ist insgesamt kaum mit einem Um-satzwachstum zu rechnen. Allerdings kann diePrognosefähigkeit u.a. durch sich über-raschend verändernde Wetterverhältnissebeeinträchtigt werden. Davon am wenigstenbetroffen sind die Unternehmen in den grossenStädten. Sie erwarten für das 3. Quartal einebescheiden steigende Nachfrage.

Architektur- und IngenieurbürosIm Projektierungssektor dauerte gemäss der

Beurteilung der Geschäftslage durch die Un-ternehmen die Erholungs- und Aufschwungs-phase von 1996 bis 2000. Die Belebung war beiden Ingenieur- merklich ausgeprägter als beiden Architekturbüros. Zwar erhöhte sich derIndikator «Erwarteter Auftragseingang» bereitsab Herbst 1999 nicht mehr weiter.Aber der An-teil der zuversichtlichen Meldungen übertrafjenen der negativen Erwartungen noch bis zum1. Quartal 2001. Anschliessend blieben die Erwartungen zwei Jahre lang im negativen Be-reich, was sich in einer sukzessiven Verschlech-terung des Indikators Geschäftslage nieder-schlug. Die im 3. Quartal 2003 einsetzendeErholungsphase wurde von der Erwartungsfra-ge bereits ein Quartal früher angezeigt. Abererst im 1. Halbjahr 2005 sind die Erwartungendeutlich positiv ausgefallen, sodass sich im 2. Halbjahr 2005 die Geschäftslage eher nochetwas verbessern dürfte. Betrachtet man diejüngere Entwicklung getrennt nach Architek-tur- und Ingenieurbüros, so erwarteten die Ar-chitekturbüros bereits ab Mitte 2003 steigendeAuftragseingänge, die Ingenieurbüros hinge-gen erst ab dem 2. Quartal 2005.

BankenDie Banken verzeichneten im Startjahr der

Umfrage, 2000, eine sehr positive Geschäfts-lage. Dies verdankten sie insbesondere derkräftigen Erfolgssteigerung im Kommissions-als auch im Vermögensverwaltungsgeschäft.Aber auch das Zinsengeschäft verlief erfreu-lich. Doch Ende 2000 musste zuerst das Vermögensverwaltungsgeschäft und Anfang2001 auch das Kommissionsgeschäft deutlicheRückschläge hinnehmen. Im Gegensatz zu denmeisten anderen Wirtschaftszweigen blieb dieGeschäftslage jedoch in der Folge noch zufrie-den stellend. Wie die Industrieunternehmenhofften auch die Banken im 1. Halbjahr 2002auf ein rasches Ende der Nahostkrise. Die Er-wartungen hinsichtlich der Nachfrage wurdenaber rasch vorsichtiger formuliert. Im Jahr

Grafik 2.13: Geschäftslage und erwarteter Auftragseingang im Projektierungssektor, Saldo

–40

–2

0

20

40

–40

–2

0

20

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1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005

Urteil Geschäftslage, gl. K. (l.S.) Erwarteter Auftragseingang, gl. K. (r.S.)

Grafik 2.14: Geschäftslage und erwartete Nachfrage bei den Banken, Saldo

–25

0

25

50

75

1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005

–10

0

10

20

30

Urteil Geschäftslage, gl. K. (l.S.) Erwartete Nachfrage, gl. K. (r.S.)

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2. Wirtschaftslage und Makropolitik

20 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

2003 verbesserten sich in der Folge die Absatz-aussichten. Mit einer Verzögerung von ein biszwei Quartalen stieg entsprechend der Indika-tor Geschäftslage an und verharrte ab 2004 bis zum Ende der Beobachtungsperiode aufeinem deutlich positiven Niveau. In den vergangenen drei Quartalen fielen das Zinsen-,das Kommissionsgeschäft und die Vermögens-verwaltung positiv aus. Allerdings hat die Zuversicht hinsichtlich jeweils der kom-menden drei Monate ab 2004 nachgelassen.Es ist daher nicht auszuschliessen, dass im 2. Halbjahr 2005 die Nachfrage nicht mehr so deutlich zunehmen wird wie in jüngster Vergangenheit.

2.3.2 Preisliche Wettbewerbsfähigkeit

2.3.2.1 EinleitungDie internationale Wettbewerbsfähig-

keit einer Branche wird zum einen durchunternehmensspezifische Faktoren wie Inno-vationsfähigkeit, Produktqualität und Kun-denservice sowie durch gesamtwirtschaft-liche Standortfaktoren bestimmt. Zum ande-ren spielen Preis- und Kostenfaktoren einezentrale Rolle. Die preisliche Wettbewerbs-fähigkeit hängt von Änderungen der Produk-tivität, der Arbeitskosten und der Wechselkur-se ab. Im Folgenden wollen wir uns auf dieEntwicklung dieser drei letztgenannten Grös-sen für wichtige exportorientierte SchweizerBranchen konzentrieren. Dazu verwenden wirden geläufigsten Indikator, um die preislicheKonkurrenzfähigkeit zu ermitteln, nämlichden mit den Lohnstückkosten bereinigten rea-len effektiven Wechselkurs (handelsgewichteterelative Lohnstückkosten). Da einige für dieBerechnung dieser Kenngrösse benötigte Da-tenreihen erst mit einer Verzögerung von bis zuvier Jahren verfügbar sind, werden in diesemBericht nebst den relativen Lohnstückkostenauch die rascher zur Verfügung stehendenPreisindizes als Indikatoren der (preislichen)Wettbewerbsfähigkeit in die Analyse einbezo-gen. Sofern sich die Absatzpreise einer Brancheproportional zu den Lohnstückkosten be-wegen (konstante Marge), sind die beiden Be-trachtungsweisen identisch. Kurzfristig kön-nen allerdings die Unternehmungen auf eineAufwertung ihrer Währung oder im Vergleichzur ausländischen Konkurrenz stärkeren An-stieg der Lohnstückkosten mit einer Margen-verengung reagieren. Auf diese Weise lässt sichdie preisliche Wettbewerbsfähigkeit wahren,obwohl sich die kostenmässige Konkurrenzpo-sition verschlechtert hat. Längerfristig ist einsolches Verhalten aber nicht möglich, weil esmit einer anhaltenden Gewinnerosion verbun-den wäre.

Im Folgenden betrachten wir die Entwick-lung der Wettbewerbsfähigkeit anhand der

relativen Lohnstückkosten für die Industrieinsgesamt, die Chemische Industrie, dieMaschinenindustrie und das Gastgewerbe.Ergänzend werden in einem zweiten Absatzfür den aktuellen Rand die mit Produzen-tenpreisen (Industriebranchen) bzw. Kon-sumentenpreisen (Gastgewerbe) deflationier-ten Wechselkurse7 zur Analyse herangezogen.Zudem sind in den unten stehenden Grafikenebenfalls die nominellen branchenspezifischgewichteten Wechselkurse als Referenz- bzw.Orientierungsgrösse abgebildet. In diesemBericht gelten als Konkurrenzländer für die Industriebranchen Deutschland, Frank-reich, Italien, Grossbritannien, USA undJapan; im Gastgewerbe sind es die vier an dieSchweiz angrenzenden Länder Deutschland,Frankreich, Italien und Österreich sowieSpanien.8

2.3.2.2 Industrie insgesamtDie Arbeitsproduktivität in der schweizeri-

schen Industrie stieg im Vergleich zu den sechsgrossen Industrieländern zu Beginn der 90er-Jahre relativ stark an und entwickelte sich inder Folge im Gleichschritt wie die der Konkur-renzländer. Die relativen Lohnkosten pro Be-schäftigten hingegen wiesen während der 90er-Jahre und bis 2001 (aktueller Rand) einensinkenden Trend auf, was auf ein moderatesLohnwachstum in der Schweiz im Vergleichzum Ausland hindeutet. Daraus resultiert eine – insgesamt betrachtet – tendenzielle Verbesserung der relativen Lohnstückkostenresp. der preislichen Wettbewerbsfähigkeit.Der Rückgang der relativen Lohnstückkostenschwächte sich gegen Ende des Jahrzehnts ab,scheint im Jahr 2000 jedoch den Wendepunkterreicht zu haben (vgl. Grafik 2.15).

Wenn auch der Schweizer Franken sichgegenüber dem Euro seit 2001 leicht abgewer-tet hat, musste die heimische Industrie den-noch eine deutliche Aufwertung der SchweizerWährung bis Ende 2004 hinnehmen, da derFranken – auf Jahresbasis – gegenüber demUS-Dollar, dem japanischen Yen und dem britischen Pfund fester notierte. Die japani-schen Industrieprodukte verzeichneten zwi-schen 2001 und 2004 einen Preisrückgang, dieanderen Konkurrenzländer hingegen einenleichten (Deutschland, Frankreich) bzw.deutlichen (Grossbritannien, Italien, USA)Preisanstieg. In der Schweiz war im gleichenZeitraum nur eine leichte Steigerung des Pro-duzentenpreises im verarbeitenden Gewerbeauszumachen. Die nominelle Aufwertungkonnte durch die Preisentwicklung zwar leichtgedämpft, nicht aber wettgemacht werden. Diepreisliche Wettbewerbsfähigkeit scheint sichalso zwischen 2001 und 2003 eher verschlech-tert zu haben, 2004 dürfte hingegen dieserTrend gebrochen worden sein.

7 In den folgenden Grafiken als realer Wechselkurs bezeichnet.

8 Detaillierte Informationen zur Berechnung derWechselkurse und Lohnstückkosten, zu den Daten-quellen und den verwendeten Deflatoren finden Sie im Jahresbericht 2004, Seite 21 (Kasten «relative Lohnstückkosten»).

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Jahresbericht 2005

21 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

2.3.2.3 Chemische Industrie

Die Arbeitsproduktivität in der Chemi-schen Industrie der Schweiz stieg bis 1997 imVergleich zu allen Konkurrenzländern deutlichan, im Speziellen gegenüber den USA, Japanund Italien; seither hat sie sich eher unter-durchschnittlich entwickelt. Die relativenLohnkosten pro Beschäftigten bewegten sichin den 90er-Jahren leicht abwärts, d.h. die

Lohnentwicklung in der Schweiz fiel leichtunterdurchschnittlich aus. Zu Beginn des neu-en Jahrzehnts scheint sich dieser Trend be-schleunigt zu haben. Die nominelle Aufwer-tung des Schweizer Frankens in der erstenHälfte der 90er-Jahre neutralisierte die Pro-duktivitätsverbesserungen. Hingegen stütztedie Abwertung zwischen 1995 und 1997 dieWettbewerbsposition und folglich kann einemarkante relative Reduktion der Lohnstück-kosten über diesen Zeitraum beobachtet wer-den (vgl. Grafik 2.16). Zwischen 1997 und 2001veränderte sich die preisliche Wettbewerbs-position der Chemischen Industrie nur ganzleicht zugunsten der Schweiz.

Seit 2001 hat auch die Chemische Indus-trie eine Aufwertung des nominellen bran-chenspezifisch gewichteten Wechselkurseshinzunehmen. Den Unternehmen gelang es je-doch, ihre Preise zu senken. Zwischen 2001und 2004 sind die schweizerischen Produzen-tenpreise für chemische Produkte um übersechs Prozent gesunken, während die Konkur-renzländer eine Preisstagnation bzw. -steige-rung zu verzeichnen hatten. Die preislicheWettbewerbsfähigkeit der Chemischen Indus-trie in der Schweiz scheint sich demzufolgezwischen 2001 und 2004 nicht verschlechtertzu haben.

2.3.2.4 Maschinenindustrie (Maschinen- und Fahrzeugbau; Elektrotechnik,Elektronik, Optik und Uhren)

Die Entwicklung der Arbeitsproduktivitätin der Maschinenindustrie gestaltete sich inden verschiedenen Konkurrenzländern in den90er-Jahren recht unterschiedlich. Im Ver-gleich zu Deutschland und Italien hatte dieSchweiz ein höheres Produktivitätswachstumzu verzeichnen, gegenüber den anderenLändern – und insbesondere zu den USA –musste ein markant tieferes Produktivitäts-wachstum hingenommen werden. Diehandelsgewichtete relative Arbeitsprodukti-vität stieg zu Beginn der 90er-Jahre an, waraber in der Folge bis 2001 stets leicht rückläu-fig.Die relativen Lohnkosten pro Beschäftigten sanken während der 90er-Jahre kontinuierlich,stiegen jedoch 2001 wieder leicht an. Auch indieser Branche wurden die relativen Lohn-stückkosten kurzfristig durch den handelsge-wichteten nominellen Wechselkurs bestimmt(vgl. Grafik 2.17). Daraus resultierte eine Ver-besserung der Wettbewerbsposition bis 1993,der aber eine Verschlechterung bis 1996 folgte;seither ist keine einheitliche Tendenz aus-zumachen.

Der Aufwertungstendenz des Frankens seit2001 hatten die Unternehmen der Maschinen-industrie wenig entgegenzusetzen. Die Preiseder schweizerischen Güter stiegen zwarzwischen 2001 und 2004 nur geringfügig an,

Grafik 2.16: Chemische Industrie (Branchenspezifisch gewichtete Wechselkurse, Indexpunkte 1990 = 100)

Realer Wechselkurs Relative Lohnstückkosten Nomineller Wechselkurs

60

70

80

90

100

110

120

130

1990 1995 2000

Grafik 2.17: Maschinenindustrie (Branchenspezifisch gewichtete Wechselkurse, Indexpunkte 1990 = 100)

Realer Wechselkurs Relative Lohnstückkosten Nomineller Wechselkurs

60

70

80

90

100

110

120

130

1990 1995 2000

Grafik 2.15: Industrie insgesamt (Branchenspezifisch gewichtete Wechselkurse, Indexpunkte 1990 = 100)

1990 1995 2000

60

70

80

90

100

110

120

130

Realer Wechselkurs Relative Lohnstückkosten Nomineller Wechselkurs

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2. Wirtschaftslage und Makropolitik

22 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

hingegen verzeichnete vor allem Japan indiesem Zeitraum einen markanten Preisrück-gang, sodass der mit Produzentenpreisendeflationierte reale Wechselkurs rascher auf-wertete als der nominelle Wechselkurs. Somitdürfte sich die preisliche Wettbewerbspositionder schweizerischen Maschinenindustrie seit2001 eher verschlechtert haben.

2.3.2.5 GastgewerbeDie Arbeitsproduktivität des schweizeri-

schen Gastgewerbes entwickelte sich zwischen19929 und 1996 sowie 1998 und 2002 im Ver-gleich zu den Konkurrenzländern im Gleich-schritt, zwischen 1996 und 1998 konnte einemerkliche relative Verbesserung verbuchtwerden.10 Die relativen Lohnkosten pro Be-schäftigten haben sich in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre tendenziell zurückgebildet undblieben ab 2000 bis 2002 auf konstantemNiveau. Daraus resultiert – nach einem wech-selkursbedingten starken Anstieg zwischen1992 und 1995 – ein deutlicher Rückgang derrelativen Lohnstückkosten in der zweiten Hälf-te der 90er-Jahre. Zwischen 2000 und 2002 hatsich die preisliche Wettbewerbsfähigkeit auf-grund der Frankenaufwertung wieder ver-schlechtert (vgl. Grafik 2.18).

Auf Jahresbasis wertete sich der nominelleWert des Schweizer Frankens gegenüber demEuro zwischen 2002 und 2004 ab. Die Konsu-mentenpreise im Gastgewerbe («Hotels, Cafésund Restaurants») sind in der Schweiz – undin Deutschland – im Vergleich zu Spanien,Frankreich, Italien und Österreich in diesemZeitraum relativ gering angestiegen. Dadurchdürfte sich die preisliche Wettbewerbspositionab 2002 verbessert haben.

2.3.3 LandwirtschaftDie Schweizer Landwirtschaft befindet sich

mit der Agrarpolitik (AP) 2007 gegenwärtig ineiner weiteren Reformetappe, die letztlich auf

die teilweise erfolgte Trennung der landwirt-schaftlichen Einkommens- und der Preis-politik zu Beginn der 90er-Jahre zurückgeht.Nebst der weit reichenden Ökologisierung der Produktion und ihrer Anpassung an neue Wettbewerbsverhältnisse – auch in-folge des Landwirtschaftsabkommens mit der EU (Bilaterale I) – hat die schweizerischeLandwirtschaft weit reichende Reformschrittedurchgeführt. Diese sind gegenwärtig weiterfortgeschritten, als es die Vorgaben der gelten-den WTO-Verträge verlangen. Trotzdem ste-hen die verschiedenen Akteure entlang der «filière-agroalimentaire» vor weiteren not-wendigen Anpassungen. Der Druck auf die«filière-agroalimentaire» kommt kurzfristighauptsächlich von den neuen DetailhändlernAldi und Lidl. Mittelfristig wird die Aufhe-bung der Milchkontingentierung im Rahmender AP 2007 strukturelle Anpassungen imMilchsektor nach sich ziehen. Ab dem Jahr2009 werden die gegenwärtig in Vorbereitungstehende Agrarpolitik 2011 und die laufen-den WTO-Verhandlungen der «Doha-Runde»weitere Anpassungsschritte mit sich brin-gen, aber auch die angelaufenen Gespräche über ein allfälliges FreihandelsabkommenSchweiz–USA werden die Land- und Ernäh-rungswirtschaft vor grosse Herausforderungenstellen.

Ein Hauptgrund für die schwierige wirt-schaftliche Situation der Landwirtschaft ist die ungünstige Kosten-Erlös-Struktur. In denvergangenen Jahren wurde eine steigende Diskrepanz in der Entwicklung der Märkte fürVorleistungen und derjenigen für landwirt-schaftliche Erzeugnisse sichtbar. Die Märktefür landwirtschaftliche Erzeugnisse (Brot-getreide, Raps, Wein, alkoholische Getränke,Käse, Versteigerung Fleischeinfuhrkontingen-te) sind stärker geöffnet worden als die Märktefür landwirtschaftliche Vorleistungen (abge-lehnte Strommarktliberalisierung, verzögertePatentgesetzrevision, Parallelimporte, Kartell-rechtrevision). Der Index der Erzeugerpreiselandwirtschaftlicher Produkte sank gegenüber1995 bis ins erste Quartal 2005 um 22%, wäh-rend der Index der Preise für die Vorleistungenkonstant blieb.11 Die Märkte für landwirt-schaftliche Erzeugnisse zeichnen sich dement-sprechend überwiegend durch Preisreduktio-nen aus. Die Preise auf den Inputmärktenhielten sich im Gegensatz dazu hartnäckig. ImJahr 2004 wurden landwirtschaftliche Erzeug-nisse im Betrag von 7,04 Milliarden Franken indie Schweiz eingeführt. Davon stammten 68%aus einem EU-Land. Die Exporte der Schweizvon landwirtschaftlichen Erzeugnisse beliefensich auf 1,68 Milliarden Franken. 76% davonflossen in ein EU-Land. Für die Wettbewerbs-fähigkeit der Schweizer Landwirtschaft hat die Markt- und Preisentwicklung in den um-

9 Datenbedingt wurde hier die Basis 1992 = 100 gewählt.10 Dieser Anstieg der relativen Arbeitsproduktivität,

insbesondere gegenüber Deutschland, trug massgeb-lich zur unterschiedlichen Entwicklung der relativenLohnstückkosten und des realen Wechselkurses in denJahren nach 1996 bei (vgl. Grafik 2.18).

11 Deflationiert mit Index der Konsumentenpreise;Quelle: Schweizerischer Bauernverband; vgl. auchKommission für Konjunkturfragen, Jahresbericht2004: Grafik 2.19, S. 22

Grafik 2.18: Gastgewerbe (Branchenspezifisch gewichtete Wechselkurse, Indexpunkte 1992 = 100)

Realer Wechselkurs Relative Lohnstückkosten Nomineller Wechselkurs

60

70

80

90

100

110

120

130

1990 1995 2000

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Jahresbericht 2005

23 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

VorleistungenDie Unternehmungen, die Vorleistungen für

die Landwirtschaft in der Schweiz erbringen,sind aus der Sicht effizienter Wettbewerbs-bedingungen zugunsten der Landwirtschafts-betriebe nicht optimal strukturiert. Die Ergeb-nisse der Betriebszählung12 zeigen, dass dieseUnternehmungen grossmehrheitlich Kleinbe-triebe mit maximal 20 Mitarbeitenden sind unddamit mit ähnlichen strukturellen Problemenzu kämpfen haben wie die Landwirtschaftsbe-triebe selbst. Im Gegensatz zur Landwirtschaftgibt es jedoch in den meisten Vorleistungs-bereichen einige wenige grosse Firmen oderBranchenverbände mit einem bedeutendenEinfluss auf die entsprechenden Märkte.

Die deflationierten Einkaufspreise vonVorleistungen blieben in der Schweiz in denletzten zehn Jahren in der Summe nahezuunverändert. Die Stabilität beruhte auf demAusgleich von Preissteigerungen auf Vorleis-tungen aus dem nicht landwirtschaftlichenSektor, insbesondere auf Treib-, Heiz- undSchmierstoffen, mit Preisermässigungen aufVorleistungen aus dem landwirtschaftlichenSektor, namentlich auf Futtermitteln. Ins-gesamt sind in der Schweiz die Preise für Vor-leistungen um 6% zurückgegangen; dieserRückgang fand ausschliesslich in den Jahren1995 bis 1998 statt. In den EU-Ländern verliefdie Entwicklung der Vorleistungspreise unter-schiedlich. In Grossbritannien und Italienstiegen sie nach einer bis 1999 dauerndenBaissephase an. In den osteuropäischen EU-Ländern war analog der Erzeugerpreise einstarker Preisanstieg bei den Vorleistungen zuverzeichnen. In den meisten andern Ländernerfolgte der Preisanstieg mehr oder wenigerkontinuierlich und moderat. Sehr viel einheit-licher präsentierte sich der Verlauf derEinkaufspreise von Investitionsgütern. Allebetrachteten Länder wiesen einen fast un-unterbrochenen Anstieg auf, den stärksten dieneuen EU-Länder in Osteuropa, gefolgt vonSpanien und Italien. In der Schweiz stiegen diePreise landwirtschaftlicher Maschinen undBauten jährlich um rund 1%, das heisst nahe-zu im Gleichschritt mit der Teuerung. Bis insJahr 2005 (1. Quartal) haben sich die Indizesüber alle Vorleistungen in den ausgewähltenLändern gegenüber 1995 zwischen 1%(Deutschland) und – 17% (Slowakei) verän-dert (Grafik 2.19).

Landwirtschaftliche Terms of TradeIn der schweizerischen Landwirtschaft ma-

chen die Vorleistungen rund 60% des Produk-tionswertes aus. Das Preisverhältnis zwischenVorleistungen und Erzeugnissen ist daher vongrosser Bedeutung. Die landwirtschaftlichenTerms of Trade, als Quotient des Erzeuger-preisindex und des Einkaufspreisindex land-

12 Quelle: Bundesamt für Statistik; vgl. auch Schweize-rischer Bauernverband, 2004: Situationsbericht 2004,Die Landwirtschaft in der Kostenfalle, Brugg.

5.0

–5.0

–15.0

–25.0

–35.0

–45.0

Grafik 2.19: Veränderung des EG-Index für landw. Erzeugerpreise, Preise für Vorleistungen und landw. Terms of Trade zwischen 1995 (Jahresmittel) und 2005 (1. Quartal); (deflationiert)

Inde

xver

ände

rung

: 199

5–20

05 (

1. Q

)

Slowak

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Schw

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reich

EU-1

5

Öste

rreich

Italie

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eder

lande

Span

ien

Erzeugerpreise Vorleistungen Landw. Terms of Trade

80.0

90.0

100.0

110.0

120.0

130.0

1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 1.Q.

EU-15 Belgien Deutschland Grossbritannien Schweiz

land

w. T

erm

s of

Trad

e

Grafik 2.20: Landwirtschaftliche Terms of Trade gemessen als Kaufkraft der Erzeugerpreise gegenüber den Vorleistungen (deflationiert, 2000 = 100).

liegenden EU-Ländern daher eine grosse Be-deutung. Aufgrund dieser Fakten ist es ange-bracht, die Indexreihen ausgewählter Länderder EU für die landwirtschaftlichen Erzeuger-preise und die Vorleistungen etwas genauer zubetrachten.

ErzeugerpreiseVon 1995 (Jahresmittel) bis 2005 (1. Quar-

tal) sank das Preisniveau landwirtschaftlicherErzeugnisse in der Schweiz um 22%. Dies istmehr als in allen betrachteten EU-Ländern,abgesehen von Grossbritannien (30%) unddem neuen EU-Mitglied Slowakei (39%).Deutschland und Belgien weisen Preiseinbus-sen von rund 17% auf, die über dem Mittel(15%) der 15 alten EU-Länder liegen, aller-dings auch in weit geringerem Masse als in derSchweiz (Grafik 2.19).

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2. Wirtschaftslage und Makropolitik

24 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

wirtschaftlicher Betriebsmittel (alle Vorleis-tungen) berechnet, sind über die Zeit betrach-tet nicht nur ein Indikator für die Einkom-mensentwicklung, sondern sie zeigen auch das Ausmass der Effizienzgewinne, denn derKaufkraftverlust der landwirtschaftlichen Er-zeugnisse muss der Sektor längerfristig durchProduktivitätssteigerungen auffangen.

Die Terms of Trade in Grossbritannien sindfür die Landwirtschaft um 24% zurückgegan-gen (Grafik 2.20). Im Mittel aller EU-15 sinddie landwirtschaftlichen Terms of Trade um11% gesunken. In der Schweiz war eine deut-lich stärkere Verminderung (–17%) zu ver-zeichnen. Sie liegt gemäss Grafik 2.20 auf dem4. Platz der analysierten Ländern. Der Zwang,Produktivitätsfortschritte zu realisieren, warsomit in der Schweiz deutlich stärker als imMittel der EU-Länder. Ähnliche ausgeprägteAbnahmen wie die Schweiz weisen jedochauch Deutschland, Belgien und Frankreichauf. Die verschiedenen Anstrengungen derschweizerischen Landwirtschaft zur Verbesse-rung der Wettbewerbsfähigkeit haben immer-hin bewirkt, dass der Abstand zu den nächstenKonkurrenten leicht geringer geworden ist.

2.4 Öffentliche Finanzen, Finanzpolitik

2.4.1 Rückblick auf das Jahr 2004Staat insgesamt

Nachdem sich die Situation der Haushaltevon Bund, Kantonen und Gemeinden insge-samt von 2000 bis 2003 sukzessive verschlech-tert hatte, setzte im Jahr 2004 eine Tendenz-umkehr ein. Das gesamte Defizit dürfte sichvon annähernd 6 Mrd. CHF im Jahr zuvor aufnoch schätzungsweise 4,5 Mrd. CHF (1,0% desBIP) verringert haben.13 Die Einnahmen ver-zeichneten u.a. aufgrund der konjunkturellenBelebung wieder einen Zuwachs, auch wennsich das höhere BIP-Wachstum wegen der zeit-lich verzögerten Veranlagung bei den direktenSteuern noch nicht voll auswirkte. Gleichzeitigfiel das Ausgabenwachstum als Folge vonSparmassnahmen und Kürzungen zur Ver-ringerung der Haushaltsdefizite bescheidenaus. Nach Sachgruppen betrachtet waren da-von in erster Linie die Investitionsausgaben(Sachinvestitionen und Investitionsbeiträge,ohne Darlehen und Beteiligungen) betroffen,deren Niveau absolut zurückgegangen seindürfte. Bei den Konsumausgaben ergab sichimmerhin eine spürbare Wachstumsverlang-samung. Nur die laufenden Beiträge nahmenpraktisch unvermindert weiter zu, was vorallem auf höhere Sozialausgaben infolge der ungünstigen Arbeitsmarktlage und derdemografischen Alterung sowie auf steigendeAufwendungen im Bildungs- und Gesund-heitswesen zurückzuführen sein dürfte.

BundDie Rechnung des Bundes schloss 2004 mit

einem Defizit von 2,6 Mrd.CHF ab,nach einemFehlbetrag von 3,8 Mrd. CHF im Vorjahr (ge-mäss Systematik der Finanzstatistik; vgl. Fuss-note 13). Gemäss Finanzrechnung des Bundes(1,7 Mrd. CHF) fiel das Ergebnis um 1,8 Mrd.CHF besser aus als vom Bund budgetiert, wo-bei die Ausgaben um 1,1 Mrd. CHF tiefer, dieEinnahmen um 0,7 Mrd. CHF höher lagen alsgemäss Voranschlag. Das effektive Einnahmen-wachstum (Rechnung 2004 gegenüber Rech-nung 2003) betrug 3,1%. Darin spiegelt sichunter anderem die konjunkturelle Erholung.Bei der Verrechnungssteuer,deren Erträge nach2000 massiv zurückgegangen waren, setzte eineTendenz zur Normalisierung ein, und auch die Stempelabgabe profitierte von den wieder höheren Börsenumsätzen. Mehreinnahmen resultierten aber auch aus der vorgezogenen Er-höhung der Tabaksteuer. Die direkte Bundes-steuer fiel dagegen weniger ergiebig aus als imJahr zuvor, als Eingänge aus früheren Steuerpe-rioden zu einem markanten Anstieg geführthatten. Die Ausgaben nahmen demgegenüberum lediglich 0,7% zu. Einen dämpfenden Effekt hatten die im Rahmen des Entlastungs-programms 2003 beschlossenen Kürzungen inHöhe von 1,4 Mrd. CHF, was etwa einem Anteil von 3% an den Ausgaben entspricht.Zusätzlich kam es in allen wichtigen Aus-gabengebieten zu Budgetunterschreitungen,namentlich bei der Landesverteidigung undder sozialen Wohlfahrt (AHV/ IV, Flüchtlings-hilfe im Inland). Schliesslich wurden bei denPassivzinsen die Aufschläge (Agios), die bei derAufstockung bestehender Anleihen aufgrundder Differenz zwischen deren Zinssätzen undden aktuellen Marktzinsen erzielt werdenkonnten, neuerdings als Minderausgaben ver-bucht. Dabei handelt es sich nicht um eine Ein-sparung, da die Zinsausgaben in den kommen-den Jahren entsprechend höher sein werden.Nach Sachgruppen erfolgte sowohl bei denKonsum- als auch bei den Investitionsausgabenein Rückgang. Demgegenüber hielt die Zu-nahme bei den laufenden Beiträgen nur leichtabgeschwächt an. Nach Aufgabenbereichenpartizipierten vor allem der Bildungsbereichund die soziale Wohlfahrt am Ausgabenwachs-tum. Wie schon seit längerem waren die Aus-gaben für die Landesverteidigung rückläufig.

Kantone und GemeindenAuch bei den Kantonen war das Wachstum

der Einnahmen gemäss den kantonalen Rech-nungen 2004 mit 2,4% (statt 1,2%) höher undjenes der Ausgaben mit 1,5% (statt 2,4%) niedriger als budgetiert. Das Gesamtdefizit derKantone dürfte sich somit ebenfalls von 2,2 Mrd. CHF im Vorjahr auf rund 1,7 Mrd.CHF (ohne Berücksichtigung der Verbuchung

13 Definitive Werte der Finanzstatistik sind erst für dieJahre bis 2003 verfügbar (s. Eidgenössische Finanz-verwaltung: Öffentliche Finanzen der Schweiz 2003,Statistik der Schweiz, BFS, Neuchâtel 2005). Für dasJahr 2004 liegen die Rechnungen des Bundes und der Kantone vor; Letztere sind allerdings noch nichtnach der einheitlichen Systematik der Finanzstatistikaufbereitet. Bei den Angaben für die Jahre 2004 undfolgende handelt es sich somit um eigene Schätzun-gen, die sich soweit möglich und sinnvoll auf die ver-fügbaren Rechnungsergebnisse, Voranschläge und Finanzpläne der jeweiligen Staatsebenen abstützen.Die Angaben für den Bund entsprechen– wenn nichtanders erwähnt – der Systematik der Finanzstatistik.Gegenüber den Angaben gemäss der Finanzrechnungdes Bundes enthalten sie eine Korrektur zur Berück-sichtigung der effektiven Ausgaben des Fonds für dieEisenbahngrossprojekte und des ETH-Bereichs (FinÖV-und ETH-Korrektur); zudem sind die Sondereinnahmenaus dem Verkauf von Swisscom-Aktien 1998 und 2002und die Sonderausgaben für Deckungslücken in denPensionskassen der Post, ETH und skyguide sowieAktienkapitalzuschuss skyguide 2004 nicht enthalten.

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Jahresbericht 2005

25 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

der Ausschüttung der SNB-Goldreserven alsEinnahmen durch den Kanton Wallis) ver-mindert haben. Aufgrund des konjunktur-bedingt schwachen Anstiegs der nominellenEinkommen im Vorjahr war ein nur beschei-denes Wachstum der Steuereinnahmen zu erwarten gewesen. Die Eingänge bei den direk-ten Steuern hatten aber im Jahr 2003 einenausserordentlichen Einbruch erlitten, der imJahr 2004 nun eine Korrektur erfahren hat.Diese Entwicklung dürfte auf variable zeitlicheVerzögerungen bei den Steuereingängenzurückzuführen sein, welche die Prognose der Einnahmen in einem einzelnen Jahr er-schweren. Im bescheidenen Ausgabenanstiegkommen die Spar- und Kürzungsmassnahmenzum Ausdruck, die in praktisch allen Kantoneneinerseits als Reaktion auf die Haushaltsver-schlechterung der letzten Jahre und anderseitsmit dem Ziel der Begrenzung der Staatsquoteergriffen wurden. Budgetunterschreitungenwaren vor allem bei den Investitionsausgabenfestzustellen, sodass sich deren seit 2001 rück-läufige Tendenz fortsetzte. Eine merklicheWachstumsverlangsamung ergab sich sowohlbei den Sachausgaben als auch bei den laufen-den Beiträgen. Die Personalausgaben nahmendagegen noch spürbar zu.

Die Steuereinnahmen der Gemeinden ent-wickeln sich in der Regel sehr ähnlich wie dieder Kantone. Es kann deshalb auch hier von einem wieder etwas stärkeren Einnahmen-wachstum im Jahr 2004 ausgegangen werden.Das Ausgabenwachstum hatte sich, nach einermoderaten Tendenz in den Jahren zuvor, imJahr 2003 merklich beschleunigt. Da die zuvorerzielten Rechnungsüberschusse damit zumVerschwinden gebracht wurden, dürfte sichauch bei den Gemeinden die Zurückhaltungbei den Ausgaben wieder verstärkt haben. Diesbezieht sich vor allem auf die Investitionen,aber auch auf die Personal- und Sachausgaben.Bei den laufenden Beiträgen dürfte sich dage-gen aufgrund steigender Sozialaufwendungenkaum eine merkliche Verringerung des Zu-wachses ergeben haben. Insgesamt dürfte dasWachstum der Ausgaben dasjenige der Ein-nahmen noch leicht übertroffen haben, womitdie Rechnungen leicht ins Defizit gerieten.

2.4.2 Aktuelle Tendenzen im Jahr 2005

Staat insgesamt Im Jahr 2005 nimmt das gesamte Defizit

von Bund, Kantonen und Gemeinden voraus-sichtlich weiter ab. Das Einnahmenwachstumverstärkt sich nochmals, da sich die konjunk-turelle Belebung nun auch bei den direktenSteuern auswirkt. Aufgrund der Progressions-wirkung bei den Einkommenssteuern dernatürlichen Personen, die in Anbetracht derdefizitären Haushalte gegenwärtig kaumdurch Steuersenkungen kompensiert wird,

Tabelle 2.1

Haushaltssalden von Bund, Kantonen und Gemeinden in Mio. Franken

2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006

Bund 3786 –1701 –4198 –3774 –2592 –3100 –2000

Kantone 2624 1292 –301 –2215 –1700 –400 400

Gemeinden 1469 1324 1153 –8 –200 0 0

Staat insgesamt1 7879 915 -3346 –5998 –4500 –3500 –1600

1 Ohne Sozialversicherungen. Quelle: EFV: Öffentliche Finanzen der Schweiz 2003; 2004–2006 eigene Schätzungen

Grafik 2.21: Haushaltssalden von Bund, Kantonen und Gemeinden (in Mio. CHF)

Quellen: EFV: Öffentliche Finanzen der Schweiz 2003; 2004–2006 eigene Schätzungen

10000

5000

0

–5000

–10000

–15000

–20000 2006

2005

2004

2003

2002

2001

2000

1999

1998

1997

1996

1995

1994

1993

1992

1991

1990

14%

12%

10%

8%

6%

4%

2%

0%

–2%

Grafik 2.22: Einnahmen und Ausgaben von Bund, Kantonen und Gemeinden; Wachstumsraten gegenüber dem Vorjahr

Quellen: EFV: Öffentliche Finanzen der Schweiz 2003; 2004–2006 eigene Schätzung

AusgabenEinnahmen

2006

2005

2004

2003

2002

2001

2000

1999

1998

1997

1996

1995

1994

1993

1992

1991

1990

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2. Wirtschaftslage und Makropolitik

26 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

sowie der zyklisch überproportionalen Verän-derung bei den Unternehmenssteuern dürftendie Staatseinnahmen rascher zunehmen als dasBIP. Gleichzeitig bleibt das Ausgabenwachs-tum aufgrund der vorgesehenen Spar- undKürzungsmassnahmen moderat; beim Bundkommt es allerdings zu einer vorübergehendenBeschleunigung, da nicht mit einer Wieder-holung der Budgetunterschreitungen des letztenJahres (namentlich bei den Passivzinsen) ge-rechnet werden kann. Die Zunahme der Kon-sumausgaben dürfte sich weiter abschwächen,was diesmal vor allem auf die Personalaus-gaben zurückzuführen ist, und die Investitio-nen bleiben annähernd konstant. Lediglich bei den laufenden Beiträgen vermindert sich der Anstieg nicht weiter. Die Verringerung derDefizite ist somit sowohl ausgaben- wie ein-nahmenseitig bedingt, wobei bei der einnah-menseitigen Verringerung der Konjunktur-effekt überwiegt. Auf Basis der verfügbarenBudgetdaten kann mit einer Abnahme desAusgabenüberschusses auf 3,5 Mrd. CHF(0,8% des BIP) gerechnet werden.14

BundGemäss Voranschlag des Bundes sollten die

Einnahmen 2005 im Vergleich zum Voran-schlag 2004 um 5,8% zunehmen; gegenüberder Rechnung 2004 beträgt der Anstieg immernoch 4,4%. Ein positiver Beitrag zum Ein-nahmenwachstum geht – neben der konjunk-turellen Belebung, die u.a. eine weitere Nor-malisierung bei der Stempelabgabe und derVerrechnungssteuer erwarten lässt – von denMehreinnahmen aufgrund der Satzerhöhun-gen bei der Schwerverkehrsabgabe und (schonteilweise 2004 wirksam) bei der Tabaksteueraus; bei diesen Steuern fungiert der Bund aller-dings lediglich als Durchlaufstelle für die AHVbzw. den FinÖV-Fonds, was zu einem entspre-chenden Anstieg der Ausgaben führt. Fernerfällt das unterstellte Wachstum bei der direk-ten Bundessteuer aufgrund von Eingängen ausfrüheren Steuerperioden relativ hoch aus. DieFristigkeit der Zahlungseingänge ist allerdingsschwer zu prognostizieren, sodass das Ergebnismöglicherweise schwächer als angenommenausfallen wird. Zudem könnte das Einnah-menwachstum aufgrund eines geringeren BIP-Wachstums, als bei der Budgetierung unter-stellt wurde, niedriger ausfallen. Die Ausgabensollen gegenüber dem Voranschlag 2004 um2,2% zunehmen; gegenüber der Rechnung2004 beträgt der Anstieg sogar 4,6% (ohne FinÖV- und ETH-Korrektur). Dies ist einer-seits auf den Basiseffekt der Budgetunter-schreitungen 2004 (namentlich die Agio-Ver-buchung bei den Passivzinsen), anderseits aufden erhöhten Durchlauf von Steuererträgen(LSVA,Tabaksteuer) zurückzuführen.Von die-sen Sondereffekten abgesehen, wirken sich die

gegenüber dem Vorjahr um nochmals 1,1 Mrd.CHF auf 2,5 Mrd. CHF erhöhten Ausgaben-kürzungen im Rahmen des Entlastungspro-gramms 2003 sowie 900 Mio. CHF als Vorwir-kung aus dem Entlastungsprogramm 2004dämpfend auf das Ausgabenwachstum aus. Beiden Personal- und Sachausgaben ist eine Ab-nahme budgetiert. Dagegen verzeichnen dielaufenden Beiträge einen anhaltenden und dieInvestitionsausgaben, bei Berücksichtigungder Eisenbahngrossprojekte, einen beschleu-nigten Anstieg. Nach Aufgabengebieten ist lediglich in den Bereichen Verkehr, sozialeWohlfahrt sowie Bildung und Forschung eineZunahme vorgesehen; in den übrigen Gebie-ten sind die Ausgaben rückläufig. Zum Anstiegder Sozialausgaben tragen u.a. die im zwei-jährlichen Rhythmus erfolgende Anpassungder Renten an die Lohn- und Preisentwicklungsowie die höheren Prämienverbilligungsbei-träge in der öffentlichen Krankenpflegeversi-cherung bei. Gemäss Finanzrechnung, also ohne Korrektur für FinÖV und ETH-Bereich,erhöht sich das Bundesdefizit leicht auf1,8 Mrd. CHF. Dieser Ausgabenüberschuss istkonform mit den Bestimmungen der Schul-denbremse, die entsprechend dem im Finanz-haushaltsgesetz festgelegten Abbaupfad nochein strukturelles Defizit von 2 Mrd. CHF zulassen. Die Schätzung der Eidg. Finanzver-waltung (EFV) für die konjunkturelle Einnah-menlücke fällt dagegen positiv aus, d.h. es wirdvon einer leichten konjunkturellen Überaus-lastung ausgegangen. Unter Berücksichtigungder effektiven Ausgaben des Fonds für die Eisenbahngrossprojekte (FinÖV) und desETH-Bereichs dürfte das Bundesdefizit 2005auf gut 3 Mrd. CHF zu stehen kommen.

Kantone und GemeindenDie Einnahmen der Kantone und Gemein-

den profitieren im Jahr 2005 von der konjunk-turellen Belebung.Bei den Kantonen ist auf derBasis der Voranschläge mit einer Erhöhungvon 2,1% zu rechnen; da in Phasen beschleu-nigten Wirtschaftswachstums der Einnahmen-anstieg in der Regel unterschätzt wird, dürfteder effektive Zuwachs eher höher ausfallen.Das Ausgabenwachstum bleibt dagegen nie-drig. Die Voranschläge sehen eine Zunahmevon 1,7% vor. Erneute Budgetunterschreitun-gen, insbesondere im Investitionsbereich, sindzudem nicht unwahrscheinlich. Der vorgese-hene Zuwachs der Konsumausgaben bleibthinter der Teuerungsrate zurück, und bei denInvestitionsausgaben ist nochmals mit einemRückgang zu rechnen. Weiterhin überdurch-schnittlich fällt der Anstieg bei den laufendenBeiträgen aus. Das Defizit der Kantone ver-mindert sich in der Folge auf voraussichtlichrund 0,4 Mrd. CHF. Bei den Gemeinden ver-stärkt sich das Einnahmenwachstum gering-

14 Die Ausschüttung der überschüssigen Goldreserven der SNB an Bund und Kantone werden hier nicht als Ein-nahmen betrachtet.

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Jahresbericht 2005

27 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

fügig; hier ist aufgrund der günstigeren Haus-haltslage eher mit Steuersenkungen zumAusgleich der Progressionswirkung bei den direkten Steuern zu rechnen. Das Ausgaben-wachstum schwächt sich voraussichtlichweiter ab; per saldo ist mit einem ungefährausgeglichenen Haushaltssaldo zu rechnen.

2.4.3 Ausblick auf das Jahr 2006

Staat insgesamtIm Jahr 2006 dürfte das Wachstum der

Staatseinnahmen nur leicht vermindert anhal-ten. Ebenso kann eine Fortsetzung der schwa-chen Ausgabenentwicklung erwartet werden.Die Zunahme der Konsumausgaben (Personal-und Sachausgaben) übersteigt die Teuerungvoraussichtlich kaum. Bei den Investitionen ist mit einem Rückgang zu rechnen, zu dem namentlich die Eisenbahngrossprojekte beitra-gen. Schliesslich schwächt sich die Wachstums-tendenz bei den laufenden Beiträgen ab, wasvor allem auf die Entwicklung beim Bund zu-rückzuführen ist. Unter diesen Voraussetzun-gen wird das gesamte Staatsdefizit von Bund,Kantonen und Gemeinden im Jahr 2006 aufrund 1,6 Mrd. CHF (0,3% des BIP) abnehmen.

BundDer Voranschlag des Bundes für das Jahr

2006 sieht ein Wachstum der Einnahmen von2,8% vor. Als Folge der erwarteten Fortsetzungder konjunkturellen Belebung wird mit einerkräftigen Zunahme vor allem bei der direktenBundessteuer gerechnet. Das Ausgabenwachs-tum reduziert sich dagegen auf nur noch 0,6%.Die Ausgabenkürzungen gemäss den Ent-lastungsprogrammen 2003 und 2004 erhöhensich weiter auf 3,8 Mrd. CHF.15 Während dielaufenden Beiträge mit abgeschwächter Rateweiter zunehmen, gehen die Konsum- und ins-besondere die Investitionsausgaben zurück.Die Entnahmen aus dem FinÖV verzeichneneinen Einbruch von etwa 10%, was u.a. mit derFertigstellung des Lötschberg-Basistunnels zusammenhängt. Eine überdurchschnittlicheZunahme erfahren die Ausgabenbereiche so-ziale Wohlfahrt sowie Bildung und Forschung,wohingegen beim Verkehr und bei der Land-wirtschaft Rückgänge zu verzeichnen sind. DerFehlbetrag gemäss Voranschlag beläuft sich auf0,7 Mrd. CHF. Dabei wird der gemäss Schul-denbremse zulässige Wert, der sich aus demAbbau des strukturellen Defizits auf noch 1 Mrd. CHF und einer gemäss EFV leichtenkonjunkturellen Überauslastung ergibt, ge-ringfügig unterschritten. Nicht auszuschlies-sen ist deshalb, dass das Defizit in der parla-mentarischen Budgetberatung noch etwaserhöht wird. Unter Berücksichtigung des FinÖV und des ETH-Bereichs dürfte sich das Bundesdefizit voraussichtlich auf noch 2,0 Mrd. CHF vermindern.

Kantone und GemeindenBei den Kantonen und den Gemeinden

dürften die Einnahmen im Jahr 2006 mit praktisch unveränderter Rate weiter zuneh-men. Ebenso bleibt das Ausgabenwachstumschwach, insbesondere bei den Kantonen; vorallem teuerungsbedingt könnte sich allerdingseine leichte Beschleunigung ergeben. Bei denInvestitionen ist nochmals mit einer leichtenAbnahme und bei den Konsumausgaben miteinem nur geringen Wachstum zu rechnen.Weiter steigen dürften dagegen die laufendenBeiträge. Unter diesen Voraussetzungen wer-den die Kantone im kommenden Jahr einenleichten Überschuss von 0,4 Mrd. CHF und dieGemeinden unverändert einen ausgeglichenenRechnungssaldo verzeichnen.

Konjunkturelle EffekteZur Abschätzung des Einflusses der Staats-

haushalte auf die konjunkturelle Entwicklungkann nicht auf den effektiven Haushaltssaldoabgestellt werden; die konjunkturellen Wir-kungen müssen mitberücksichtigt werden.Nach einer Faustregel wirkt der Staat dannneutral auf die Konjunktur, wenn zyklischeSchwankungen der Einnahmen hingenom-men werden; in diesem Fall bleibt der struktu-relle Saldo konstant.16 Allerdings ist es nichteinfach, den konjunkturellen Teil des Staatsde-fizits vom strukturellen zu unterscheiden. DieBerechnung des strukturellen Saldos setzt eineSchätzung des gesamtwirtschaftlichen Poten-zialoutputs voraus, mit der sich der jeweiligeAuslastungsgrad bestimmen lässt. Dafür ste-hen unterschiedliche Methoden zur Verfü-gung, deren Ergebnisse unter Umständen er-heblich voneinander abweichen können.17 DieEFV stützt sich bei der Berechnung des unterder Schuldenbremse zulässigen Ausgabenpla-fonds auf einen (modifizierten) Hodrick-Pre-scott-Filter. Dabei tendiert das berechneteTrend-BIP, welches als Indikator für den Po-tenzialoutput fungiert, am aktuellen Randzum tatsächlichen BIP, womit eine Output-lücke tendenziell unterschätzt wird.18

Als einfache Annäherung an den Effekt derStaatsfinanzen auf die Wirtschaftsentwick-lung kann davon ausgegangen werden, dassdiese restriktiv (expansiv) wirken, wenn entweder die Ausgaben schwächer (stärker) wachsen als das Potenzialwachstum und/oder die Einnahmequote zunimmt (abnimmt). Im Zeitraum 2004–2006 ist nach diesen beiden Kriterien ein leicht restriktiver Einfluss (alsoeine Verminderung des strukturellen Defizits) festzustellen. Die Ausgabenentwicklung bleibtüber die ganze Periode aufgrund der erwähntenSpar- und Kürzungsmassnahmen gedämpft,während die Einnahmen aufgrund der Pro-gressionswirkung bei den direkten Steuernund Steuererhöhungen beim Bund stärker zu-

15 Zusammen mit einnahmenseitigen Massnahmen ergibtsich ein Entlastungseffekt von insgesamt 4,2 Mrd. CHF.

16 Diese Betrachtungsweise beruht auf der in der Fachweltweitgehend akzeptierten Ansicht, dass die direktenEffekte einer Zunahme des Staatsdefizits auf dieKonjunktur positiv sind. In den letzten Jahren habenindessen einige Autoren auf die Möglichkeit hin-gewiesen, dass indirekte Effekte – namentlich auf dieErwartungen der Wirtschaftsakteure – das Gegenteilbewirken können, womit eine Reduktion von Staats-defizit und Staatsschulden einen positiven Einflusshaben würde. Solche «nicht-keynesianischen» Effektesind allerdings an bestimmte Voraussetzungen gebun-den (z.B. Vertrauensverlust der Finanzmärkte in dieBonität des Staates, Vorliegen einer Lohn-Preis-Spiraleusw.), die für die Schweiz nicht zutreffen.

17 S. z.B. Botschaft zum Entlastungsprogramm 2003 fürden Bundeshaushalt (EP 03) vom 2. Juli 2003.

18 So ging die EFV beim Voranschlag für das Jahr 2005davon aus, dass die schweizerische Volkswirtschaftschon wieder einen Zustand der Überauslastungerreicht haben würde.

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2. Wirtschaftslage und Makropolitik

28 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

nehmen als die Einkommen. Der Effekt dürfteallerdings unter einem Wert von 0,5% des BIPbleiben.

2.4.4 Fiskalindikatoren im internationalenVergleich

Die Staatsquote (Anteil der Staatsausgabenam BIP) nahm von 2000 bis 2004 spürbar zu.Dazu trug zum einen ein relativ hohes Ausga-benwachstum bei, zum andern bewirkte daskonjunkturbedingt niedrige BIP-Wachstum,dass sich der Nenner schwächer als im lang-fristigen Durchschnitt erhöhte. Ein Vergleichmit ausgewählten OECD-Ländern zeigt indes-

sen, dass sich das Niveau der schweizerischenStaatsquote immer noch im unteren Mittelfeldbewegt.19 Infolge des mutmasslich niedrigenAusgabenwachstums und der konjunkturellenBelebung dürfte die Staatsquote bis zum Jahr2006 wieder etwas abnehmen.

Die Bruttoschuldenquote hat sich seit demJahr 2000 ebenfalls spürbar erhöht. Bis zumJahr 2006 kann aber auch hier wieder mit einerAbnahme gerechnet werden. Zum Anstieg seit 2000 haben nicht nur die Defizite in denlaufenden Rechnungen, sondern auch bilanz-wirksame Vorgänge ausserhalb der Finanz-rechnung, wie sie namentlich im Zuge von Kapitalaufstockungen bei den Pensionskassendes Bundes und der ehemaligen Regiebetriebezu verzeichnen waren, beigetragen. Der inter-nationale Vergleich zeigt auch hier, dass die Position der Schweiz noch relativ günstig ist.Zur Beurteilung der Vermögensposition deröffentlichen Haushalte wäre korrekterweiseauf die Nettoschuld abzustellen, welche dieden Schulden gegenüberstehenden Vermö-genswerte mitberücksichtigt. EntsprechendeAngaben fehlen für den gesamten Staatshaus-halt der Schweiz. Aus den verfügbaren Datenfür den Bund und die Kantone ist aber ersicht-lich, dass die Nettoschulden deutlich niedrigerliegen als die Bruttoschulden. Einen weiterenHinweis gibt ein Vergleich zwischen Passivzin-sen und Vermögenserträgen, für den auch Daten der Gemeinden verfügbar sind. Es zeigtsich, dass die Vermögenserträge seit Beginn der1990er-Jahre jeweils 70% oder mehr der Pas-sivzinsen abdeckten.20 Da bei diesen Daten beträchtliche Bewertungs- und Abgrenzungs-probleme bestehen, lässt sich aus ihnen aber lediglich der grobe Hinweis ableiten, dass denausgewiesenen Bruttoschulden des Staates insgesamt Vermögenswerte in beträchtlicherHöhe gegenüberstehen.

2.5 Monetäre Lage und Geldpolitik

2.5.1 Das geldpolitische Konzept der Schweizerischen Nationalbank

Die Nationalbank betreibt ihre Geldpolitikauf Basis eines aus drei Elementen bestehen-den Konzepts. Erstens ist die Geldpolitik vor-rangig auf die Erhaltung der Preisstabilitätausgerichtet. Konkret wird Preisstabilität alsAnstieg des Landesindex der Konsumenten-preise von weniger als 2% pro Jahr definiert.Zweitens stützt die Nationalbank ihre Ent-scheidungen auf eine Inflationsprognose miteinem Zeithorizont von drei Jahren. Damitwird den Wirkungsverzögerungen geldpoliti-scher Impulse Rechnung getragen. Drittenssetzt die Nationalbank für den Drei-Monats-Libor (3M-Libor) ein operationelles Zielbandfest, dessen Breite in der Regel einen Prozent-punkt beträgt. Zur Steuerung des 3M-Libor

Tabelle 2.2

Staatsquoten im internationalen Vergleich1

Öffentliche Haushalte und öffentliche Sozialversicherungen, in % des BIP

1990 2000 2004 2006

Schweiz 30.1 34.0 36.0 35.7

USA 37.1 34.2 36.0 36.0

Australien 36.2 35.7 35.5 35.2

Grossbritannien 42.2 37.5 44.1 44.8

Japan 31.8 38.3 37.3 37.4

Spanien 43.4 40.0 40.6 40.2

Kanada 48.8 41.1 39.4 39.5

Niederlande 54.8 45.3 48.6 50.2

Deutschland 44.5 45.8 47.7 46.2

Italien 54.4 46.9 48.6 50.1

Belgien 53.4 49.3 49.4 49.6

Österreich 52.1 51.5 50.6 49.1

Frankreich 50.7 52.5 54.4 54.3

Schweden 61.7 57.3 57.1 57.2

OECD 40.4 39.3 40.8 40.7

1 Staatsausgaben in Prozent des BIP. Quellen: OECD Economic Outlook, June 2005, Annex Table 25Rangfolge nach Höhe der Staatsquote 2000

Tabelle 2.3

Schuldenquoten im internationalen Vergleich1

Bruttoschulden Nettoschulden2

1990 2000 2004 2006 1990 2000

Australien 23.1 25.3 20.5 17 10.9 9.9

Grossbritannien 33.0 45.9 44.2 48.3 14.9 36.9

Schweiz 29.9 49.9 55.6 53.1 k.A. k.A.

USA 66.6 58.3 63.4 69.1 48.9 39.0

Deutschland 41.5 60.9 70.1 72.6 21.0 42.5

Schweden 46.8 64.4 62.1 60.9 –7.8 1.2

Frankreich 39.5 66.2 73.2 74.0 17.5 34.9

Niederlande 87.8 66.7 65.6 66.3 33.4 35.1

Spanien 48.8 68.0 55.2 49.8 30.7 42.6

Österreich 57.6 69.5 66.9 63.7 35.7 43.5

Kanada 74.5 81.8 71.5 65.9 43.3 44.8

Belgien 129.7 115.0 101.0 97.8 116.9 102.5

Italien 112.5 124.7 118.6 121.8 k.A. 99.1

Japan 68.6 134.0 157.6 163.1 24.6 59.1

OECD 57.1 71.1 76.4 79.5 32.8 41.7

1 Brutto- bzw. Nettoschulden in Prozent des BIP. Aufgrund definitorischer Quellen: OECD Economic Outlook, June 2005; Unterschiede sind die Schuldenquoten nicht immer vergleichbar Annex Tables 32–33; Schweiz: EFV Sektion(s. OECD Economic Outlook); Rangfolge nach Höhe der Bruttoschuldenquote 2000. Finanzausgleich und Statistik , Juli 2005.

2 Bruttoschulden abzüglich Finanzvermögen.

19 Zur Problematik des internationalen Vergleichs von Fiskalindikatoren s. KfK Jahresbericht 2002, S. 44ff.

20 S. Eidgenössische Finanzverwaltung: Öffentliche Finanzen der Schweiz 2003, Statistik derSchweiz, BFS, Neuchâtel 2005,Tabelle A 9.1.

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Jahresbericht 2005

29 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

in diesem Band verwendet sie primär kurz-fristige Repo-Transaktionen.

Die Inflationsprognose der Nationalbankbasiert auf der Annahme eines konstanten 3M-Libor für den gesamten Prognosezeitraum.Falls die unter dieser Annahme prognostizier-te Inflation die Definition der Preisstabilitätverletzt, wird damit signalisiert, dass dem-nächst mit einem geldpolitischen Kurswechselzu rechnen ist. Die publizierte Inflationsprog-nose lässt sich deshalb nicht mit den Progno-sen anderer Institutionen vergleichen, welchezukünftige Reaktionen der Geldpolitik zuantizipieren versuchen.

2.5.2 Geldpolitik 2004–2005Die Nationalbank hat ihre Geldpolitik in

den Jahren 2001 bis 2003 zunehmend expan-siver ausgerichtet. Der 3M-Libor, der Anfang2001 noch bei 3,5% notierte, wurde bis imMärz 2003 schrittweise auf 0,25% reduziertund danach über mehr als ein Jahr auf diesemTiefstand gehalten. Ausschlaggebend für dieLockerung der Geldpolitik war eine hartnä-ckige Konjunkturschwäche, die sich auch in einem deutlich rückläufigen Teuerungstrendwiderspiegelte. Zudem stand der Franken infolge der unsicheren geopolitischen Lage verschiedentlich unter Aufwertungsdruck. In dieser Situation schien es der Nationalbank an-gebracht, die Attraktivität von Frankenanlagenmit tiefen Zinsen gering zu halten. Ohne diemarkante Lockerung der Geldpolitik hätte sichdie Schweizer Wirtschaft in den vergangenenJahren vermutlich mit deflationären Erschei-nungen konfrontiert gesehen.

Mit der Politik des billigen Geldes ging anderseits eine beträchtliche Expansion derGeldaggregate einher. Die Wachstumsrate vonM3 beispielsweise stieg zeitweise gegen 10%an. Nach Ansicht der Nationalbank waren diedamit verbundenen Risiken für die Erhaltungder Preisstabilität aber zu relativieren. Erstensentwickelte sich die Kreditvergabe der Bankenweiterhin verhalten. Zweitens war das hoheGeldmengenwachstum zum Teil durch eineverstärkte Liquiditätspräferenz verunsicherterAnleger bedingt. So sind im Jahr 2003 in gros-sem Ausmass Treuhandanlagen in SchweizerFranken vom Ausland auf Sichtkonti in derSchweiz zurückgeflossen. Diese in der Schweizparkierten Gelder erhöhen das Geldmengen-wachstum, stellen aber nur ein geringes In-flationspotenzial dar. Drittens war davon aus-zugehen, dass die Unternehmungen auch beiwieder anziehender Produktion noch längereZeit unterhalb ihrer Kapazitätsgrenze operie-ren und deshalb mit Preiserhöhungen zurück-haltend sein würden.

Aufgrund dieser Einschätzung hielt dieNationalbank auch in der Lagebeurteilung vomMärz 2004 an einem 3M-Libor von 0,25% fest.

Zwar hatte die Schweizer Wirtschaft dank dergünstigen monetären Bedingungen und derBelebung der internationalen Konjunktur seitMitte 2003 wieder positive Wachstumsratenverzeichnen können. Die Nachhaltigkeit dieserEntwicklung schien aber nicht gesichert. Des-halb wollte die Nationalbank den Erholungs-prozess mit einer weiterhin expansiven Politikunterstützen.

Im Frühjahr 2004 präsentierte sich dieSchweizer Konjunktur zunehmend breiterabgestützt. War der Erholungsprozess zu-nächst primär von den Exporten getragen, somachten sich nun zunehmend auch beim pri-vaten Konsum und insbesondere im Woh-nungsbau verstärkte Aufschwungskräfte be-merkbar. In der Lagebeurteilung vom Juni2004 erwartete die Nationalbank für 2004 eingegen 2% ansteigendes Wirtschaftswachstumund im Folgejahr eine weitere Festigung desAufschwungs. Vor diesem Hintergrund be-schloss sie, den 3M-Libor von 0,25% auf 0,5%anzuheben. Die zusammen mit diesem Ent-scheid publizierte Inflationsprognose zeigteaber dennoch ab Mitte 2005 einen steil nachoben gerichteten Verlauf. Mit einem Endwertvon 3,2% im 1. Quartal 2007 wurde einedeutliche Verletzung der Preisstabilität ange-zeigt. Entsprechend machte die Nationalbankdarauf aufmerksam, dass ihre Geldpolitiknoch immer sehr expansiv sei und in nähererZukunft mit weiteren Zinserhöhungen zurechnen sei.

Zum Zeitpunkt der Lagebeurteilung vomSeptember 2004 deuteten in Europa und derSchweiz verschiedene Indikatoren auf eineWachstumsabschwächung hin. Dabei sollte essich nach allgemeiner Einschätzung aber blossum eine temporäre Erscheinung handeln.Auch die Nationalbank blieb optimistisch. Sieerwartete für 2004 weiterhin ein reales BIP-Wachstum von knapp 2% und für 2005 dankeiner Wiederbelebung der Exporte eine Fort-setzung der Erholung. Die Konsumteuerung,die Anfang 2004 praktisch bei Null gelegenhatte, war indessen infolge der Verteuerung derErdölprodukte auf 1% gestiegen. Des Weiterenneigte der Franken gegenüber dem Euro zurSchwäche, und die Geldmengenentwicklungzeigte einen zwar verminderten, aber noch im-mer beträchtlichen Liquiditätsüberhang an.Aufgrund dieser Faktoren drohte der In-flationsdruck aus Sicht der Nationalbank beiunveränderter Geldpolitik deutlich zuzuneh-men. Deshalb beschloss sie im September2004, das Zielband um weitere 0,25 Prozent-punkte auf 0,25% bis 1,25% anzuheben undden 3M-Libor in die neue Zielbandmitte von0,75% zu steuern.

Die Lagebeurteilung vom Dezember 2004stand im Zeichen spürbar eingetrübterKonjunkturperspektiven. Das Wachstum der

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2. Wirtschaftslage und Makropolitik

30 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

Weltwirtschaft hatte sich seit Mitte 2004verlangsamt. Bremsend wirkte vor allem diestarke Verteuerung des Erdöls. In Europa kamdie Dollarschwäche als weiterer wachstums-hemmender Faktor hinzu. Die Nationalbankrechnete zwar für das Jahr 2004 noch immermit einem BIP-Wachstum in der Schweiz inder Grössenordnung von 1,5% bis 2%, gingaber für 2005 nicht mehr von einer Beschleu-nigung aus. Die Konsumteuerung war von densteigenden Erdölpreisen und Wohnungsmie-ten mittlerweile auf 1,5% getrieben worden.Anderseits hatte sich der Franken zusammenmit dem Euro gegenüber dem Dollar deutlichaufgewertet, wovon teuerungs- und konjunk-turdämpfende Wirkungen ausgehen sollten.Die in dieser Situation unter der Annahmeeines unveränderten 3M-Libor von 0,75% er-stellte Inflationsprognose zeigte im Vergleichzur September-Prognose bis Ende 2005 erdöl-bedingt etwas höhere Teuerungsraten, danachaber infolge der gedämpften Konjunkturper-spektiven einen geringeren Teuerungsdruck.Vor diesem Hintergrund beschloss die Natio-nalbank, den 3M-Libor weiterhin bei 0,75% zuhalten. Sie wies indessen darauf hin, dass dieser Entscheid nur als Pause in der seit Juni2004 eingeleiteten Zinsnormalisierungsphasezu interpretieren sei. Sobald sich die Anzeichenfür eine Fortsetzung der Konjunkturerholungwieder verdichten würden, müsse mit weiterenZinsanhebungen gerechnet werden.

3M-Libor bis Mitte 2005 unverändert bei 0,75%Zu Beginn des laufenden Jahres verdüster-

te sich das Konjunkturbild weiter. In der Euro-zone hatte sich das Wachstum gegen Ende 2004deutlich verlangsamt. Die Lage verbesserte sichzwar in den ersten Monaten von 2005 etwas,doch blieb das Wachstum der Euroländer unausgeglichen und fragil. Abgesehen vonChina waren auch verschiedene asiatische Län-der von einer Wachstumsverlangsamung be-troffen. Weiterhin gestützt wurde die Weltkon-junktur vom kräftigen Wachstum in den USA.In der Schweiz hatte sich das reale BIP imvierten Quartal 2004 leicht zurückgebildet undim ersten Quartal war eine Stagnation zuverzeichnen. Entsprechend blieb die Lage am Arbeitsmarkt unbefriedigend.

In ihren Inflationsprognosen vom Märzund Juni 2005 war die Nationalbank hinsicht-lich des weiteren Verlaufs der Weltkonjunkturverhalten optimistisch. Bei weiterhin kräfti-gem Wachstum in den USA wurde für Europamit einer allmählichen konjunkturellen Besse-rung gerechnet. Stimulierende Impulse solltenvor allem von den tiefen Realzinsen ausgehen.Unter diesen Voraussetzungen erwartete dieNationalbank auch in der Schweiz eine Über-windung der Konjunkturschwäche. In der Lagebeurteilung vom März 2005 wurde für

das gesamte Jahr mit einem Wachstum in derGrössenordnung von 1,5% gerechnet. In derJuni-Prognose wurde der für 2005 erwarteteBIP-Zuwachs dann aber weiter auf rund 1% reduziert. Entsprechend kamen auch die Infla-tionsprognosen leicht tiefer zu liegen als die-jenigen vom September und Dezember 2004.

Im März 2005 wurde unter der Annahmeeines konstanten 3M-Libor von 0,75% für dieJahre 2005 und 2006 eine durchschnittlicheTeuerung von je 1% prognostiziert. Gemäss Juni-Prognose bildet sich die Teuerung unterder gleichen Fixzins-Annahme nach ebenfalls1% im laufenden Jahr auf 0,5% im kommen-den Jahr zurück. Gegen Ende des dreijährigenPrognosehorizonts kommt es aber, wie schonin den früheren Prognosen, zu einem spür-baren Inflationsanstieg. Mit Endwerten vonrund 2,5% fällt jedoch die Verletzung derPreisstabilität vergleichsweise schwach aus.Daraus zog die Nationalbank einerseits denSchluss, dass sich ein 3M-Libor von 0,75%selbst bei einer nur moderaten Konjunktur-erholung nicht über längere Zeit ohne Inflationsfolgen würde aufrechterhaltenlassen. Anderseits gab ihr der verminderteInflationsdruck aber den Spielraum, dieschwache Konjunktur mit einer weiterhingrosszügigen Geldpolitik zu stützen. Das Zielband wurde deshalb unverändert bei0,25%–1,25% belassen und der 3M-Liborsollte bis auf weiteres in der Zielbandmitte bei0,75% gehalten werden.

2.5.3 Schweizerische Kurz- undLangfristzinsen im internationalen Vergleich

In der ersten Jahreshälfte 2004 fand diePhase der geldpolitischen Lockerungen in denIndustrieländern ein Ende. In den USA bliebder Leitzins unverändert bei 1%, in der Euro-zone bei 2% und in Japan nahe bei null.Danach widerspiegelt sich im Verhalten derZentralbanken die unterschiedliche konjunk-turelle Entwicklung der betreffenden Wirt-schaftsräume. Das FED erhöhte den Tages-geldsatz von Juni 2004 bis Dezember 2004 infünf Erhöhungsschritten von je 0,25 Prozent-punkten auf 2,25%. Die Bank of England, diedie Zinswende bereits im November 2003 ein-geleitet hatte, hob den Leitzins von Februar bisAugust 2004 in vier weiteren Schritten von je0,25 Prozentpunkten auf 4,75% an. Bis EndeJahr nahm sie dann keine weiteren Zinserhö-hungen mehr vor, weil sich in der britischenWirtschaft eine konjunkturelle Verflachungabzuzeichnen begann.Die EZB zeigte sich überdie konjunkturelle Verlangsamung in derEurozone und die Erstarkung des Euro zwarzunehmend besorgt; sie beliess den Hauptrefi-nanzierungssatz, den sie letztmals im Juni 2003um 0,25 Prozentpunkte gesenkt hatte, aberunverändert bei 2,0%.

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Jahresbericht 2005

31 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

Im laufenden Jahr führte das FED seinePolitik der sukzessiven Leitzinsanhebungenfort. Bis im August wurde der Tagesgeldsatz infünf weiteren Schritten auf 3,5% erhöht. Wei-tere Zinsschritte sind in Anbetracht des soli-den Aufwärtstrends der US-Wirtschaft zu er-warten. Die Bank of England senkte denReposatz, der seit rund einem Jahr bei 4,75%fixiert war, im August 2005 auf 4,5%. Sie rea-gierte damit auf die Konjunkturabschwä-chung, die sich in letzter Zeit insbesondere imBereich des privaten Konsums akzentuierthat. Die EZB stand in den letzten Monatenunter politischem Druck, ihre Geldpolitik zulockern. Da der schwachen Konjunktur imEuroraum jedoch eine anhaltend hohe Über-schussliquidität gegenüberstand, hielt sie es für angebracht, am Leitzins von 2% fest-zuhalten. Dieser Entscheid wurde dadurch er-leichtert, dass sich der Euro gegenüber demDollar nach einer längeren Stärkephase inletzter Zeit etwas abgewertet hat, was einerLockerung der monetären Bedingungengleichkommt. Die japanische Notenbankbehielt ihre Nullzinspolitik angesichts desandauernden Deflationsdrucks bei.

Ordnet man die Entwicklung der schweize-rischen Kurzfristzinsen in dieses internatio-nale Umfeld ein, so ergibt sich folgendes Bild.Die Zinsdifferenz zum Euro, die sich wegen derzuvor relativ stark gelockerten Politik der Na-tionalbank von Mitte 2003 bis Mitte 2004 aufhohen 1,8 Prozentpunkten bewegte, verengtesich nach den beiden Erhöhungsschritten derNationalbank vom Juni und September 2004auf 1,3 Prozentpunkte und blieb anschliessendauf diesem Wert konstant. Sie liegt damit etwasunter dem historischen Mittelwert von 1,5Prozentpunkten (Periode 1980 bis 2004, vor1999 anhand der deutschen Kurzfristzinsenberechnet). Die Zinsdifferenz zum Dollar, de-ren historischer Mittelwert gut 2 Prozent-punkte beträgt, verminderte sich infolge derresoluten Lockerung der amerikanischenGeldpolitik bis zum Frühjahr 2004 auf 0,8 Pro-zentpunkte.Anschliessend hat sie sich im Zugeder sukzessiven Leitzinsanhebungen durch dasFED bis Mitte 2005 wieder auf 2,5 Prozent-punkte ausgeweitet.

Die Renditen langfristiger Staatsanleihengingen in den Industrieländern nach einemvorübergehenden Anstieg im Frühjahr 2004weiter zurück. Die Rendite 10-jähriger Staats-papiere fiel im Euroraum von 4,4% im Juni2004 auf 3,3% im Juni 2005. In Grossbritan-nien und Japan bildeten sie sich im selben Zeit-raum von 5,2% auf 4,3% bzw. von 1,8% auf1,2% zurück. Selbst in den USA war – obwohldas FED die Leitzinsen deutlich anhob – einRückgang der Langfristzinsen von 4,7% im Juni 2004 auf 4,0% im Juni 2005 zu beobach-ten. Auch in anderen Ländern, in denen die

Geldpolitik gestrafft wurde – z.B. in Australienund Kanada – verringerten sich die langfristi-gen Renditen. Diese eher untypische Entwick-lung kann möglicherweise damit erklärt wer-den, dass Reformen in den Rentensystemen imZusammenhang mit der Alterung der Bevöl-kerung zu einer erhöhten Nachfrage nachlangfristigen Vermögensanlagen führten. ImFall der USA dürfte auch der anhaltende Aufbau von Dollarbeständen durch asiatischeNotenbanken, insbesondere die ZentralbankChinas, eine Rolle gespielt haben. Die schwei-zerische Bundesobligationenrendite lag Mitte2004 bei 3% und fiel bis Mitte 2005 auf 2%. Siebewegte sich somit auf einem um gut einenProzentpunkt tieferen Niveau parallel zurVerzinsung langfristiger Staatspapiere imEuroraum nach unten. Einzig die Rendite ja-panischer Staatsanleihen lag durchwegs tieferals diejenige eidgenössischer Anleihen. Im Juli2005 haben die Langfristzinsen weltweit etwasangezogen. Dabei könnte die Abkehr Chinasvon einer strikten Anbindung der Yuan an denDollar eine gewisse Signalwirkung ausgeübthaben.

2.5.4 Internationale Devisenmärkte undFrankenkurs

Nach einer Stabilisierung in der erstenJahreshälfte 2004 büsste der Dollar auf deninternationalen Devisenmärkten von Augustbis Dezember 2004 weiter markant an Wertein. Ende Jahr betrug die Abwertung gegen-über dem Euro im Vergleich zum August gut9%. Zusammen mit dem seit Anfang 2002verzeichneten Wertverlust belief sich die Ab-wertung des Dollar auf insgesamt 35%gegenüber dem Euro, 26% gegenüber dembritischen Pfund und 22% gegenüber dem ja-panischen Yen. Real und handelsgewichtetsank der Aussenwert des Dollar von Anfang2002 bis Ende 2004 um 22%. Verantwortlichdafür dürften das anhaltend hohe Ertrags-bilanzdefizit sowie der stark defizitäre Staats-haushalt der USA gewesen sein. Spiegelbild-lich dazu wertete sich der Euro in dieserPhase deutlich auf. Im Dezember 2004 no-tierte der Dollar/Euro-Kurs bei 1,34 undübertraf damit den Stand von August 2004um 10% und denjenigen von Anfang 2002um satte 54%. Auch gegenüber dem briti-schen Pfund und dem Yen legte der Euro zu,wenn auch bei weitem nicht so stark wiegegenüber dem Dollar. Der handelsgewichte-te reale Aussenwert des Euro lag Ende 2004um rund 5% höher als zur Jahresmitte undum 24% höher als Anfang 2002.

Im laufenden Jahr konnte sich der Dollar – für die meisten Beobachter eher über-raschend – spürbar erholen. Er wertete sichzum Euro von 1,31 Dollar/Euro im Dezemberbis gegen 1,20 Dollar/Euro in den Sommer-

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2. Wirtschaftslage und Makropolitik

32 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

monaten 2005 auf. Gegenüber dem britischenPfund und dem japanischen Yen fiel die Auf-wertung geringer aus. Eine mögliche Erklä-rung für das Erstarken des Dollar liegt in derdynamischeren amerikanischen Konjunkturund der sich zunehmend zugunsten von Dol-laranlagen verändernden Zinsdifferenz. AusSicht des Euroraums wurde die bis Ende 2004eingetretene handelsgewichtete Realaufwer-tung bis Mitte 2005 im Ausmass von rund 5%wieder rückgängig gemacht.

Von Anfang 2004 bis Mitte 2005 blieb derFranken relativ eng an den Euro gekoppelt.Einer Aufwertung in der ersten Hälfte von2004 von 1.57 auf 1.52 CHF/EUR folgtentreppenförmig drei leichte Abschwächungs-phasen. Im Juli 2005 lag der Franken/Euro-Kurs wieder bei rund 1.56 CHF/EUR. Beidiesen vergleichsweise geringen Kursbewe-gungen gegenüber dem Euro vollzog derFranken dessen Wertänderungen zum Dollarweit gehend mit.Von September bis Dezember2004 wertete er sich gegenüber dem Dollarvon 1.26 auf 1.15 CHF/USD auf. Anschliess-end folgte – wiederum ungefähr im Gleich-schritt mit dem Euro – eine Abwertung auf1.29 CHF/USD. Gemessen am realen handels-gewichteten Aussenwert hat der Franken vonJanuar bis November 2004 in zwei Schübenum insgesamt 3,4% zugelegt, zuerst wegenAufwertung gegenüber dem Euro, dann wegender deutlicheren, aber weniger gewichtetenAufwertung gegenüber dem Dollar. Bis zumJuli 2005 hat sich der reale handelsgewichteteAussenwert des Frankens im Vergleich zumNovember 2004 um 5,7% zurückgebildet. Erlag damit um 3,7% unter dem Durchschnittder letzten 10 Jahre.

2.5.5 Aktienkurse, Kapitalmarkt-beanspruchung und Kreditvolumen

Die nach Ausbruch des Irak-Kriegs im März2003 einsetzende Hausse an den Aktienmärk-ten kam im Frühjahr 2004 ins Stocken. DerSwiss Performance Index (SPI), der von März2003 bis April 2004 um rund 50% angestiegenwar, fiel anschliessend leicht zurück. SeitHerbst 2004 war die Entwicklung des SPI dannaber wieder klar nach oben gerichtet. Insge-samt belief sich der Anstieg von März 2003 bisJuli 2005 auf 70%. Die stärksten Kursgewinnewurden in den Bereichen Energie und Techno-logie sowie bei den Finanzdienstleistungenverzeichnet. Aber auch die Titel der Bauwirt-schaft und des Detailhandels legten über-durchschnittlich stark zu. Nur unterdurch-schnittliche Avancen waren hingegen in denBereichen Chemie, Nahrungsmittel, Versiche-rungen und Telekommunikation zu beobach-ten. Anders als in der Schweiz kam es auf denausländischen Aktienmärkten im April 2005erneut zu leichten Rückschlägen, die in den

Sommermonaten aber wieder von Kursgewin-nen abgelöst wurden.Über den Zeitraum März2003 bis Juli 2005 betrachtet, entwickelten sichAktienkurse in Kontinentaleuropa ähnlich dynamisch wie in der Schweiz, während dieKursgewinne in den USA und Grossbritannien etwas geringer ausfielen.

Die Nettobeanspruchung des schweizeri-schen Kapitalmarktes lässt sich in drei Kate-gorien aufteilen, nämlich in Nettoemissionenvon Frankenanleihen inländischer bzw. auslän-discher Schuldner und Nettoemissionen vonschweizerischen Aktien. Insgesamt wurden amschweizerischen Kapitalmarkt im Jahre 2004mit netto 14,3 Mrd. Franken deutlich wenigerMittel aufgenommen als im Vorjahr (23,0 Mrd.Franken). Dabei ging der Nettoemissionswertvon Frankenanleihen ausländischer Schuldnervon 14,1 auf 9,2 Mrd. Franken besonders starkzurück. Die Nettobeanspruchung durch Fran-kenanleihen inländischer Schuldner blieb mitknapp 7,7 Mrd. Franken praktisch unver-ändert. Bei den schweizerischen Aktien übertrafen die Rückzahlungen die Neuauf-lagen, sodass sich der Nettoemissionswert von 1,3 Mrd. Franken im Vorjahr auf minus 2,5 Mrd. Franken im Jahr 2004 verminderte.

Im ersten Halbjahr 2005 betrug die gesam-te Nettobeanspruchung des Kapitalmarktes6,2 Mrd. Franken. Sie war damit nur etwa halbso gross wie im ersten Halbjahr 2004.Währenddie ausländischen Schuldner etwas mehrMittel aufnahmen als in der entsprechendenVorjahresperiode, bildeten sich die Nettoemis-sionen schweizerischer Anleihen auf nahezunull zurück, und bei den schweizerischen Aktien übertrafen die Rückzahlungen wieschon im Vorjahr die Neuemissionen.

Von den Krediten der Banken an inländi-sche Kunden entfallen ca. 80% auf Hypothe-karanlagen und 20% auf «übrige Kredite»,wobei es sich vorwiegend um Kredite anUnternehmungen handelt. Im Laufe des Jahres2004 erhöhte sich das insgesamt ausstehendeKreditvolumen um 3,4% und damit etwasstärker als im Vorjahr (2,5%). Ähnlich wie imVorjahr stand einer deutlichen Zunahme derHypothekarkredite von 5,0% eine Abnahmeder übrigen Kredite von 2,7% gegenüber. BisMitte des laufenden Jahres stieg das gesamteKreditvolumen um weitere 2,9% an, wobeinun auch die übrigen Kredite einen spürbarenAnstieg verzeichneten.

2.5.6 ZusammenfassungNach der markanten Lockerung der Geld-

politik in den Jahren 2001 bis 2003 hat dieNationalbank den Drei-Monats-Libor imJuni und September 2004 in zwei Schritten von0,25% auf 0,75% angehoben. Grund für denÜbergang zu einem etwas weniger expansivenKurs war die konjunkturelle Belebung der

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Jahresbericht 2005

33 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

Schweizer Wirtschaft, die zusammen mit demraschen Wachstum der Geldaggregate undsteigenden Erdölpreisen mittelfristig zu er-höhten Teuerungsraten zu führen drohte.Seither hat die Nationalbank angesichts der erneuten Konjunkturabschwächung aufweitere Straffungsschritte verzichtet. Gemässihrer Inflationsprognose vom Juni 2005 wirdsich die Teuerung im kommenden Jahr auf0,5% zurückbilden. Bei weiterhin unverän-derter Geldpolitik würde es aber gegen Endedes dreijährigen Prognosehorizonts wieschon in den früheren Prognosen zu einemspürbaren Inflationsanstieg kommen. Somitist mit weiteren Zinsanhebungen zu rechnen,um mittelfristig Preisstabilität zu gewähr-leisten.

Die Zinsdifferenz zum Euro im Kurzfrist-bereich, die sich in der ersten Hälfte von 2004auf hohen 1,8 Prozentpunkten bewegte, hatsich nach den beiden Zinsschritten der Natio-nalbank auf 1,3 Prozentpunkte verengt. Sieliegt damit zurzeit etwas unter dem histori-schen Mittelwert von 1,5 Prozentpunkten. DieZinsdifferenz zum Dollar, deren historischerMittelwert gut 2 Prozentpunkte beträgt, ver-minderte sich in der Phase der resoluten Lo-ckerung der amerikanischen Geldpolitik biszum Frühjahr 2004 auf 0,8 Prozentpunkte.Danach hat sie sich bei sukzessiv gestraffteramerikanischer Geldpolitik bis im August2005 auf 2,7 Prozentpunkte ausgeweitet.

Die Langfristzinsen tendierten in den Industrieländern bis Juni 2005 weiter nachunten, obwohl verschiedene Zentralbankeneinen spürbar restriktiveren Kurs eingeschla-gen hatten. Zu dieser eher untypischen Ent-wicklung könnte eine aus demografischenGründen erhöhte Nachfrage nach langfristi-gen Vermögensanlagen beigetragen haben.Im Fall der USA dürfte auch der anhaltendeAufbau von Dollarbeständen durch asiatischeNotenbanken eine Rolle gespielt haben. Dieschweizerische Bundesobligationenrenditefiel innert Jahresfrist parallel zur Verzinsunglangfristiger Staatspapiere im Euroraum bisim Juni 2005 2%. Im Juli 2005 haben die Lang-fristzinsen weltweit etwas angezogen. Aus-löser dafür könnte die Abkehr Chinas voneiner Anbindung des Yuan an den Dollargewesen sein.

Auf den internationalen Devisenmärktenbüsste der Dollar bis Ende 2004 gegenüberdem Euro weiter an Wert ein. Im laufendenJahr konnte er sich aber trotz anhaltend ne-gativer amerikanischer Ertragsbilanz rechtdeutlich erholen. Eine mögliche Erklärungdafür liegt in der dynamischeren US-Kon-junktur und der sich zugunsten von Dollar-anlagen verändernden Zinsdifferenz. DerFranken/Euro-Kurs war in letzter Zeit ver-gleichsweise stabil. Somit bewegte sich der

Franken gegenüber dem Dollar weit gehendim Gleichschritt mit dem Euro, d.h. der Auf-wertung zum Dollar bis Ende 2004 folgte imlaufenden Jahr eine Abwertung. Im Juli undAugust 2005 neigte der Franken dann auchgegenüber dem Euro zur Schwäche. Seit Ende2004 hat sich der reale handelsgewichteteAussenwert recht deutlich zurückgebildet. Erlag im Juli 2005 um knapp 4% unter demDurchschnitt der letzten 10 Jahre.

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2. Wirtschaftslage und Makropolitik

34 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

Grafik 2.23

-4

-2

0

2

4

6

8

BIP-Wachstum, Kernteuerung SNB und Output-Gap

%

1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005

Kernteuerung SNB Output-Gap (Abweichung eff. vom pot. BIP) BIP (Veränderung gegenüber Vorjahr)

Grafik 2.24 Grafik 2.25

-3

-2

-1

0

1

2

3

KonsumentenpreiseVeränderung gegenüber Vorjahr

%

2001 2002 2003 2004 2005

Total Inlandgüter Auslandgüter

0

0,5

1

1,5

2

KonsumentenpreiseVeränderung gegenüber Vorjahr

%

2001 2002 2003 2004 2005

Konsumentenpreise Kernteuerung

Grafik 2.26 Grafik 2.27

-2

0

2

4

6

8

10

12

Notenbankgeldmenge und Geldmenge M3Veränderung gegenüber Vorjahr

%

2001 2002 2003 2004 2005

Notenbankgeldmenge Geldmenge M3

95

100

105

110

115

Exportgewichtete Wechselkurse des FrankensIndex Januar 1999 = 100

%

95 96 97 98 99 00 01 02 03 04

Real Nominal

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Jahresbericht 2005

35 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

Grafik 2.28 Grafik 2.29

1,2

1,3

1,4

1,5

1,6

1,7

1,8

DevisenkursePreise der Fremdwährungen in Franken

2001 2002 2003 2004 2005

EUR USD

0

1

2

3

4

Geldmarktsätze

%

2001 2002 2003 2004 2005

3M-Libor Repo-Satz 1 Woche Zielband

Grafik 2.30 Grafik 2.31

1

2

3

4

5

6

Zinssätze im Ausland3M-Libor

%

2001 2002 2003 2004 2005

USD EUR CHF

2

2,5

3

3,5

4

4,5

5

5,5

Zinssätze im AuslandLangfristige Staatspapiere

%

2001 2002 2003 2004 2005

USD EUR CHF

Grafik 2.32

0,5

1

1,5

2

2,5

3

Inflationsprognose März 2005 mit Libor 0,75% und Juni 2005 mit Libor 0,75%Veränderung des Landesindexes der Konsumentenpreise gegenüber Vorjahr in Prozent

%

2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008

Inflation Prognose März 2005 (0,75%) Prognose Juni 2005 (0,75%)

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36 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

Wie in der Einleitung ausgeführt wurde, istdie Bewältigung der demografischen Ent-wicklung nicht nur ein Finanzierungsproblem,sondern greift weit darüber hinaus. Daher befassen wir uns in diesem Bericht auch mitden hierfür relevanten Aspekten der Arbeits-markt-, der Familien- und der Gesundheits-politik. Zunächst wird die erwartete demogra-fische Entwicklung bis zur Mitte diesesJahrhunderts dargestellt, wie sie sich aus denSzenarien des Bundesamts für Statistik (2002)ergibt (Abschnitt 3.1). Danach befassen wir unsmit grundlegenden Problemen der Finanzie-rung der Altersvorsorge, wobei zunächst dieFrage des Finanzierungssystems behandeltwird (Abschnitt 3.2), bevor auf die Entwick-lung und einzelne Probleme der AHV (Ab-schnitt 3.3) sowie der zweiten Säule (Abschnitt3.4) eingegangen wird. Abschnitt 3.5 befasstsich mit der Arbeit im Alter, die zusammen mitder in Abschnitt 3.6 diskutierten besseren Ver-einbarkeit von Familie und Berufsleben eineMinderung der gesellschaftlichen Lasten be-wirken könnte, welche mit dem Alterungspro-zess verbunden sind. Schliesslich wird auf dieEntwicklung der Gesundheitskosten im Alter(einschliesslich der Pflegekosten) eingegan-gen, da sich die finanziellen Lasten der demo-grafischen Entwicklung nicht nur bei der Altersvorsorge, sondern auch in diesem Be-reich niederschlagen (Abschnitt 3.7). DieserTeil des Berichts schliesst mit einigen politisch-ökonomischen Überlegungen (Abschnitt 3.8).

3.1 Die demografische Entwicklung biszum Jahr 2060

Die Veränderung der Bevölkerungsstrukturwird durch zwei Effekte bewirkt: (i) die zuneh-mende Lebenserwartung und (ii) die abneh-mende Fertilität. Während die Lebenserwar-tung noch zunehmen dürfte, wird die heutebereits sehr niedrige Geburtenrate in Zukunftkaum mehr abnehmen; unter optimistischenAnnahmen kann man sogar von einem leich-ten Wiederanstieg ausgehen. Dennoch wirddie gesunkene Geburtenrate die Entwicklungin den nächsten 50 Jahren sehr viel stärker be-stimmen als die Erhöhung der Lebenserwar-tung.

Der Grund dafür liegt in der Tatsache, dasssich die Struktur der Bevölkerung nur sehrlangsam an die gesunkene Geburtenrate an-passt; diese Anpassung wird noch Jahrzehntedauern. Dafür, dass die Bevölkerung stationärist, d.h., dass ihre Grösse konstant bleibt, ist –

3. Wirtschaftliche Probleme einer alternden Bevölkerung: Übersicht und grundsätzliche Aspekte1

bei konstanter Lebenserwartung – eine Gebur-tenrate von etwa 2,1 bzw. eine Nettoreproduk-tionsziffer von 1 erforderlich.2 Tatsächlich aber lagen die Geburtenrate im Jahr 2002 bei1,39 und die Reproduktionsrate bei 0,67.3 Da-mit schrumpft die Schweiz langfristig (ohneZuwanderung) in jeder Generation um etwaein Drittel. Die heutige Situation der Schweizist damit sehr weit von einer stationären Be-völkerungsentwicklung entfernt, und es be-steht keine Aussicht, dass es auch nur in mitt-lerer Frist wieder dazu kommen könnte.

Auch eine schrumpfende Bevölkerung kannjedoch stabil sein, nämlich dann, wenn Gebur-ten- und Mortalitätsraten langfristig kons-tant sind.4 In einer stabilen Bevölkerung sindder Jugendquotient und der Altersquotient imZeitablauf konstant.5 Wenn die mit der Alte-rung einer Gesellschaft verbundenen Proble-me einmal (zufrieden stellend) gelöst sind, tre-ten in einer stabilen Bevölkerung weder neueProbleme noch eine Verschärfung der beste-henden Probleme auf. Dies gilt auch dann,wenn die Bevölkerung schrumpft. Von einerstabilen Situation ist die schweizerische Bevöl-kerung jedoch fast genauso weit entfernt wievon einer stationären Situation, da die Aus-wirkungen der seit den Siebziger-Jahren massiv gesunkenen Geburtenziffern auf das Systemnoch lange andauern werden. Bei abnehmen-der Bevölkerung kann der Altersquotient imÜbergang zu einer stabilen Situation sogar höher sein als im langfristigen Gleichgewicht.

Längerfristige Prognosen der Bevölkerungs-entwicklung,wie sie vom Bundesamt für Statis-tik (1996, 2002) erstellt werden, hängen vonAnnahmen über die Geburtenentwicklung(Fertilität), die Sterbeentwicklung (Mortalität)sowie über das Migrationsverhalten ab. Ferti-lität und Mortalität verändern sich im Zeitab-lauf nur langsam.Zudem hat die Politik auf bei-de bestenfalls indirekten Einfluss. Insofern sinddiese Annahmen relativ unproblematisch, undauch Szenarien, die unterschiedliche möglicheEntwicklungen abbilden, liegen häufig nichtallzu weit auseinander. Ein politischer Einflussbesteht dagegen auf die Migration. Da dieser jedoch ebenfalls beschränkt ist, können auchdiesbezüglich Simulationen relativ problemlosdurchgeführt werden.

Das Bundesamt für Statistik hat für die imFolgenden vorgestellten Entwicklungen u.a.folgende Annahmen getroffen:6

(i) Geburtenrate: Wie oben angegeben wur-de, lag diese im Jahr 2002 bei 1,39. Im Jahr1999 lag sie noch bei 1,48. Dabei ist zu be-

1 Zu Kapitel 3 findet sich ein Hintergrundpapier unter:www.kfk.admin.ch/ Studien und Hintergrundpapiere/Wirtschaftliche Probleme einer alternden Bevölkerung:Übersicht und grundsätzliche Aspekte, Kirchgässner G.,Universität St.Gallen.

2 Die Geburtenrate gibt die durchschnittliche Anzahl Kinder an, die eine Frau im Verlauf ihres Lebens zur Weltbringen würde, wenn die altersspezifischen Geburten-ziffern eines bestimmten Kalenderjahres bis zum Endedes Gebärfähigkeitsalters der Frau konstant blieben. Da mehr Jungen als Mädchen geboren werden, mussdiese Zahl über 2,0 liegen, damit eine Bevölkerungnicht schrumpft. Die Nettoreproduktionsziffer gibt an,wie viele Töchter einer Frau entsprechend den alters-spezifischen Fruchtbarkeits- und Sterbeziffern einesbestimmten Kalenderjahres durchschnittlich selbst insreproduktionsfähige Alter kommen dürften. Zu diesenDefinitionen siehe Wanders A. C. und Heiniger M.(2003, S. 25f.).

3 Siehe Statistisches Jahrbuch der Schweiz 2005, TabelleT1.3.4.2, S. 87.

4 Zu den Konzepten einer stationären bzw. stabilen Bevölkerung siehe z.B. Hinde A. (1998. S. 164ff.).

5 Der Jugendquotient gibt das Verhältnis der 0 bis 19-jäh-rigen zu den 20 bis 64-jährigen Personen an, der Alters-quotient das Verhältnis der über 65-jährigen zu den 20- bis 64-jährigen Personen. Siehe Wanders A. C. undHeiniger M. (2003, S. 17).

6 Zu den einzelnen Annahmen siehe Bundesamt fürStatistik (1996a, S. 13ff.; 2002a, S. 19ff.). – Ausser denhier vorgestellten wurden noch eine Fülle weiterer Varianten durchgerechnet.

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37 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

(iii) Migration: Im Jahr 2003 betrug der Wan-derungssaldo 43 027 Personen; dabei sindnetto 4739 Schweizer aus- und 47 766Ausländer eingewandert.9 In allen Szena-rien wird unterstellt, dass die Einwande-rung massiv zurückgeht. Im Trend-Sze-nario beträgt der Saldo ab dem Jahr 2020weniger als 4000 und nach 2045 wenigerals 3000 Personen. Im Szenario «PositiveDynamik» ist die Wanderung zunächstgrösser, geht dann stärker zurück, bleibtaber positiv. Im Szenario «Negative Dy-namik» ist der Wanderungssaldo zwi-schen 2005 und 2040 sogar negativ.10

Die wesentlichsten Ergebnisse der dreiHauptszenarien für die Bevölkerungsentwick-lung sind in Tabelle 3.1 zusammengestellt.11

Die Bevölkerung wird zunächst noch wachsen.Im Trend-Szenario wird sie im Jahr 2028 mit7,42 Millionen ihren Höchststand erreichen,danach wieder zurückgehen und im Jahr 2060knapp unter dem heutigen Stand liegen. ImSzenario Positive Dynamik wird sie permanentzunehmen und im Jahr 2060 etwa 20% grössersein als heute. Dagegen nimmt sie im SzenarioNegative Dynamik nach dem Jahr 2006 ab undliegt im Jahr 2060 um 21% unter dem Wert desJahres 2000. Auf das Verhältnis der Geschlech-ter haben diese unterschiedlichen Entwicklun-gen nur wenig Einfluss: Der Anteil der Frauenwird zwar in allen Szenarien leicht zunehmen,aber er bewegt sich immer etwa zwischen 104bis 106 Frauen auf 100 Männer.

Stärkere Unterschiede ergeben sich beimAnteil der Ausländer. Das stärkere Bevölke-rungswachstum ergibt sich neben einer hö-heren Fruchtbarkeit vor allem aus einer stär-keren Zuwanderung. Im Trend-Szenario wirddie Ausländerquote im Jahr 2030 9% über demheutigen Wert liegen, wobei jedoch nicht nurdie absolute Zahl der Ausländer, sondern –durch Einbürgerungen – auch jene der Schwei-zer bis dahin zugenommen haben wird. ImSzenario Negative Dynamik sinkt der Anteilder Ausländer bis zum Jahr 2030 leicht, undihre absolute Zahl geht ab dem Jahr 2007 zu-rück. Dagegen steigen im Szenario Positive Dynamik sowohl die absolute Zahl der Aus-länder als auch deren Quote kontinuierlich an.

Die entscheidenden Änderungen ergebensich jedoch bei der Altersstruktur. Wie auchGrafik 3.1 zeigt, wird der Anteil der Alten aufKosten der jungen und der erwerbstätigen Be-völkerung steigen. Der Altersquotient, der imJahr 2000 bei 25% lag, wird nach allen Szena-rien bis nach dem Jahr 2030 ansteigen und sichdann stabilisieren, bei 42 bis 43% gemäss denSzenarien Trend und Positive Dynamik undbei 45 bis 46% gemäss dem Szenario Nega-tive Dynamik. Offensichtlich hat das stärkereWachstum im Szenario Positive Dynamik hier

rücksichtigen,dass sie bei Schweizerinnenbei 1,27, bei in der Schweiz lebenden Aus-ländern aus dem EU- bzw. EWR-Raumbei 1,51 und bei Ausländern von ausser-halb des EU-EWR-Raumes bei 2,76 lag.7

Das Bundesamt für Statistik nimmt in sei-nem Trend-Szenario an, dass die Gebur-tenrate wieder leicht auf 1,5 ansteigenund dort verbleiben wird. Angesichts derheutigen Situation scheint dies eine eheroptimistische Annahme zu sein. Alterna-tiv dazu wird ein Absinken der Geburten-rate auf 1,2 («niedrige Hypothese») bzw.ein Anstieg auf 1,8 («hohe Hypothese»)unterstellt.

(ii) Mortalitätsrate (Lebenserwartung): DieLebenserwartung von Neugeborenen lag im Jahr 2002 bei 77,6 Jahren für Män-ner und bei 83 Jahren für Frauen.8 Da-bei lag die Lebenserwartung bei Kin-dern von Ausländern aus dem EU-EWR-Raum generell und bei den Kindern derübrigen Ausländer zumindest bei denMädchen über derjenigen der Kinder vonSchweizer Eltern. Im Trend-Szenario wirdunterstellt, dass die Lebenserwartung sichbis zum Jahre 2060 auf 82,5 Jahre bei Männern und 87,5 Jahre bei Frauen erhöht. Alternativ dazu wird eine Le-benserwartung von 79,5 Jahren bei Männern und 85 Jahren bei Frauen(«niedrige Hypothese») bzw. ein Anstiegauf 85,5 Jahren bei Männern und 90 Jah-ren bei Frauen («hohe Hypothese»)unterstellt.

Jahresbericht 2005

7 Die Zahl der Geburten je 1000 Einwohner ist mit 13,0 bei den Ausländern massiv höher als bei den Schweizernmit 9,0. Dies liegt jedoch nicht nur am unterschied-lichen Fertilitätsverhalten, sondern auch daran, dassdie ausländischen Frauen mit 33,7 Jahren im Durch-schnitt fast 10 Jahre jünger sind als die Schweizer Frau-en mit durchschnittlich 43,4 Jahren. (Siehe: Statis-tisches Jahrbuch der Schweiz 2005, S. 76, TabelleT1.2.1.2.4, S. 89, T1.2.2.2.4.1.)

8 Siehe Statistisches Jahrbuch der Schweiz 2005, TabelleT1.1.1, S. 65 sowie Bundesamt für Statistik (2002, S. 29).

9 Ebenda, Tabellen T1.2.2.3.2.1 und T1.2.2.3.2.2, S.96f.10 Zur Begründung für die relativ geringen angenomme-

nen Wanderungssaldi für die nächsten Jahrzehnte sieheBundesamt für Statistik (2002, S. 32ff.).

11 Die Zahlen für die Tabellen und Grafiken 3.1 und 3.2stammen aus dem Bundesamt für Statistik (2002) bzw. wurden uns vom Bundesamt für Statistik zur Verfügunggestellt.

Tabelle 3.1

Erwartete Bevölkerungsentwicklung, 2000–2060 (Angaben in Tausend bzw. in Prozent)

Jahr2000 2005 2010 2020 2030 2060

Trend-SzenarioBevölkerungsstand am 31.12. 7189 7274 7332 7390 7413 7061Männer 3512 3553 3582 3610 3616 3455Frauen 3677 3720 3750 3780 3796 3605Schweizer 5769 5799 5797 5803 5815 5452Ausländer 1421 1476 1536 1586 1598 1609Ausländerquote 19.8 20.3 20.9 21.5 21.6 22.8Jugendquotient 37.6 35.6 34.0 32.0 35.6 37.8Altersquotient 25.0 26.3 28.2 33.1 40.8 43.1Gesamtquotient 62.6 61.9 62.2 65.1 76.4 80.9

Szenario «Positive Dynamik»Bevölkerungsstand am 31.12. 7189 7306 7446 7738 8050 8674Männer 3512 3568 3639 3786 3939 4271Frauen 3676 3736 3806 3951 4110 4402Schweizer 5769 5803 5824 5950 6171 6682Ausländer 1421 1502 1622 1788 1878 1992Ausländerquote 19.8 20.6 21.8 23.1 23.3 23.0Jugendquotient 37.6 36.2 34.6 34.5 40.8 45.2Altersquotient 25.0 25.9 27.9 32.7 40.5 42.3Gesamtquotient 62.6 62.1 62.5 67.2 81.3 87.5

Szenario «Negative Dynamik»Bevölkerungsstand am 31.12. 7189 7252 7227 7049 6802 5653Männer 3512 3542 3529 3439 3309 2740Frauen 3676 3709 3696 3610 3493 2895Schweizer 5769 5795 5775 5676 5502 4416Ausländer 1421 1457 1452 1373 1301 1219Ausländerquote 19.8 20.1 20.1 19.5 19.1 21.6Jugendquotient 37.6 35.9 33.5 29.5 30.6 31.0Altersquotient 25.0 26.0 28.4 33.8 42.1 46.2Gesamtquotient 62.6 61.9 61.9 63.3 72.7 77.2

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38 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

keine grösseren Auswirkungen. Dies ist ganzim Gegensatz zum Jugendquotienten. Ausge-hend vom Wert des Jahres 2000 mit 37,6% wirder im Trend-Szenario zunächst etwas sinken,dann wieder ansteigen und im Jahr 2060 wie-der etwa den heutigen Stand erreichen. ImSzenario Positive Dynamik wird er dagegen auf45,2% ansteigen, während er im Szenario Ne-gative Dynamik auf 31% sinkt.

Nimmt man den Gesamtquotienten als In-dikator der Belastung, dann ist diese im Sze-nario Negative Dynamik, d.h. bei schrumpfen-

12 Im Jahr 2002 lag der Median des Äquivalenzeinkom-mens der Rentner bei 76 Prozent des Wertes der übrigenHaushalte. Berechnet nach den Angaben in: BUNDES-AMT FÜR STATISTIK (ed.), Statistisches Jahrbuch derSchweiz 2005, Tabelle T20.2.2.2.1, S. 838.

3. Wirtschaftliche Probleme einer alternden Bevölkerung. Übersicht und grundsätzliche Aspekte

der Bevölkerung, am geringsten und beim Sze-nario Positive Dynamik, d.h. bei steigender Be-völkerung, am höchsten. Tatsächlich dürftendie Belastungen aus dem Jugend- und dem Altersquotienten aber sehr unterschiedlichempfunden werden; die (privaten) Belastun-gen durch Kinder und Jugendliche werden(heute) im Wesentlichen freiwillig übernom-men, während die Belastung durch die alte Bevölkerung für die meisten heute vor allem in Form von Zwangsabgaben spürbarwird. Andererseits ist zu beachten, dass es beiden staatlichen Auf- und Ausgaben durch diealternde Bevölkerung nicht nur zusätzliche Be-, sondern auch Entlastungen geben wird.Dies gilt z.B. für das Schul- und Erziehungs-wesen.

Noch bedeutsamer als die Entwicklung derGesamtbevölkerung ist jedoch die Entwick-lung der Erwerbsbevölkerung. Wichtige In-dikatoren dazu sind in Tabelle 3.2 zusam-mengestellt. In allen drei Szenarien wird dieGesamterwerbsquote auch in Vollzeitäquiva-lenten sinken, obwohl die Erwerbsquote der15- bis 64-Jährigen zumindest noch bis etwazum Jahr 2030 steigen wird, und zwar ebenfallsauch in Vollzeitäquivalenten. Dass die Er-werbsquote in Vollzeitäquivalenten (in allenSzenarien) etwas stärker steigt als die gewöhn-liche Erwerbsquote, zeigt an, dass die Teilzeit-beschäftigten länger arbeiten werden. Diesdürfte auf die steigende Integration der Frau-en in den Erwerbsprozess zurückzuführensein.

Die wichtigste Kennzahl dürfte die AnzahlPersonen im Alter von 65 und mehr Jahren pro100 20- bis 64-Jährigen Erwerbspersonen sein.Im Jahr 2000 betrug sie 34,5. Sie steigt in allenSzenarien von jetzt an bis nach dem Jahr 2030deutlich an und liegt dann bei 55 bis 60. Gehtman z.B. davon aus, dass die Einkommen derRentner im Durchschnitt 75% der Einkom-men der Erwerbstätigen ausmachen, bedeutetdies, dass ungefähr 30% des Bruttolohns alleinfür die Finanzierung der Altersvorsorge aufge-wendet werden müssen.12

Man kann die Szenarien des Bundesamtsfür Statistik selbstverständlich bezüglich ih-rer Annahmen hinterfragen. So gehen z.B. R.Münz und R. Ulrich (2001) in ihren Simula-tionen von einer deutlich stärkeren Zuwande-rung aus. Da in ihren Szenarien jedoch der Altersquotient eher noch höher ist als in denSzenarien des Bundesamts für Statistik, be-deutet die stärkere Zuwanderung keine Ent-spannung, sondern eher noch eine Verschär-fung der Problematik.

Interessant ist auch der Vergleich mit demAusland. Wie Tabelle 3.3 zeigt, hat die Schweizzusammen mit Italien nach Japan bereits heute das höchste Medianalter der dort ange-gebenen Länder. Nach den Schätzungen der

Grafik 3.1: Anteil der Altersgruppen an der Bevölkerung (Trend-Szenario)

100%

80%

60%

40%

20%

0%

2000 2010 2020 2030

Anteil der Über-64-Jährigen

Anteil der 20- bis 64-Jährigen

Anteil der Unter-20-Jährigen

Jahr

2040 2050 2060

Grafik 3.2: Anzahl Personen im Alter von 65 und mehr Jahre pro 100 20 bis 64-jährige Erwerbspersonen in Vollzeitäquivalenten

0

10

20

30

40

50

60

70

2000 2010 2020 2030 2040 2050 2060

Jahr

Szenario Negative Dynamik Trend-Szenario

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39 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

Vereinten Nationen wird die Schweiz darinnoch von Spanien überrundet werden. Nunmuss ein erwartetes hohes Medianalter für sichgenommen kein negatives Signal sein; es kannschlicht bedeuten, dass die Bevölkerung einehohe Lebenserwartung hat. Problematischerist, dass die Schweiz nach diesen drei Ländernauch den höchsten für das Jahr 2050 erwarte-ten Altersquotienten aufweist.13 Dies bedeutet,dass die Schweiz von den hier betrachtetenLändern mit die höchste Belastung aus der de-mografischen Entwicklung aufweisen wird.

Der Grund dafür liegt in der auch im inter-nationalen Vergleich recht niedrigen Gebur-tenrate, die in den letzten dreissig Jahren nochmals erheblich abgenommen hat. Dabeiist zu berücksichtigen, dass, wie oben aus-geführt wurde, die Geburtenrate der Schweize-rinnen deutlich unter derjenigen der in derSchweiz lebenden Ausländerinnen ist. Da hiereher eine Angleichung nach unten zu erwartenist, ist der im Trend-Szenario unterstellte längerfristige Anstieg der Geburtenrate aufeinen Wert von 1,5 eher als optimistisch zu be-trachten. Die diesbezüglichen Annahmen desSzenarios Negative Dynamik erscheinen indieser Perspektive realistischer zu sein.

Verglichen mit dem bis zur Mitte diesesJahrhunderts zu erwartenden Anstieg sindfreilich die Unterschiede im erwarteten Alters-quotienten (und damit auch in der erwartetenAnzahl Personen im Alter von 65 und mehrJahren pro 100 20- bis 64-jährige Erwerbsper-sonen in Vollzeitäquivalenten) im Jahr 2060 inAbhängigkeit von den verschiedenen Szena-rien eher unbedeutend. Offensichtlich könneneine verstärkte Migration und/oder ein An-stieg der Geburtenrate die Situation zwar etwasentschärfen, aber nicht grundsätzlich ändern.Dies zeigt auch der internationale Vergleich:In anderen kleinen europäischen Ländern,die eine höhere Geburtenrate aufweisen, wie Dänemark, den Niederlanden und Schweden,liegt der erwartete Altersquotient zwar um etwa 3 bis 6 Prozentpunkte niedriger als in derSchweiz, was die Belastung für die erwerbs-tätige Bevölkerung um etwa 10 bis 20% redu-ziert, aber er liegt immer noch deutlich überden entsprechenden heutigen Werten.

3.2 Die Finanzierung der Altersvorsorge

In der öffentlichen Diskussion entsteht ge-legentlich der Eindruck, dass das Problem derFinanzierung der Altersvorsorge im wesent-lichen ein Problem der AHV sei, die durch dasUmlageverfahren finanziert wird, weshalb dieAlten von den Jungen finanziert werden. Eswird sehr viel weniger auch als ein Problem derzweiten Säule gesehen, da dort jeder für sichselbst einzahle und somit die Alten nicht vonden Jungen unterhalten werden, sondern von

Jahresbericht 2005

Tabelle 3.2

Entwicklung der Erwerbstätigkeit, 2000–2060 (Angaben in Prozent)

Jahr2000 2005 2010 2020 2030 2060

Trend-SzenarioGesamterwerbsquote 55.7 56.5 56.8 56.0 53.0 51.9

Gesamterwerbsquote in Vollzeitäquivalenten 48.0 49.1 49.8 49.5 46.9 45.8

Erwerbsquote der 15- bis 64-Jährigen 80.7 81.1 81.6 82.4 82.5 82.3

Erwerbsquote der 15- bis 64-Jährigen in Vollzeit-äquivalenten 70.1 71.3 72.3 73.9 74.2 73.8

Anzahl Personen im Alter von 65 und mehr Jahren pro 100 20- bis 64-jährige Erwerbspersonen 30.1 30.9 33.4 38.9 47.9 50.5

Anzahl Personen im Alter von 65 und mehr Jahren pro 100 20- bis 64-jährige Erwerbspersonen in Vollzeitäquivalenten 34.5 35.0 37.4 43.1 52.8 55.9

Szenario «Positive Dynamik»Gesamterwerbsquote 55.7 56.6 56.9 55.6 51.9 50.5

Gesamterwerbsquote in Vollzeitäquivalenten 48.0 49.4 50.2 49.5 46.1 44.7

Erwerbsquote der 15- bis 64-Jährigen 80.7 81.3 81.9 82.8 82.6 82.2

Erwerbsquote der 15- bis 64-Jährigen in Vollzeit-äquivalenten 70.1 71.7 73.0 74.7 74.6 73.8

Anzahl Personen im Alter von 65 und mehr Jahren pro 100 20- bis 64-jährige Erwerbspersonen 30.1 30.8 33.0 38.3 47.2 49.3

Anzahl Personen im Alter von 65 und mehr Jahren pro 100 20- bis 64-jährige Erwerbspersonen in Vollzeitäquivalenten 34.5 34.7 36.8 42.2 51.9 54.4

Szenario «Negative Dynamik»Gesamterwerbsquote 55.7 56.4 56.8 56.4 54.0 52.8

Gesamterwerbsquote in Vollzeitäquivalenten 48.0 48.8 49.3 49.3 47.3 46.3

Erwerbsquote der 15- bis 64-Jährigen 80.7 81.0 81.4 82.2 82.7 82.8

Erwerbsquote der 15- bis 64-Jährigen in Vollzeit-äquivalenten 70.1 70.8 71.5 72.9 73.7 73.8

Anzahl Personen im Alter von 65 und mehr Jahren pro 100 20- bis 64-jährige Erwerbspersonen 30.1 31.1 33.9 40.0 49.6 54.3

Anzahl Personen im Alter von 65 und mehr Jahren pro 100 20- bis 64-jährige Erwerbspersonen in Vollzeitäquivalenten 34.5 35.4 38.4 44.9 55.4 60.6

13 Die Vereinten Nationen weisen den Anteil der über 65-Jährigen an der Gesamtbevölkerung aus, während dervom Bundesamt für Statistik berechnete Altersquotientsich auf das Verhältnis zu den 20- bis 64-Jährigen be-zieht. Dies erklärt die unterschiedlichen Werte in denTabellen 3.1 und 3.3.

Tabelle 3.3

Demografische Indikatoren: Internationaler Vergleich

Anteil der über Medianalter (i) Geburtenrate (ii)

65-Jährigen an derGesamtbevölkerung(i)

2000 2050 2000 2050 1970– 2000–1975 2005

Australien 12.3 23.9 35.2 43.7 2.5 1.7Belgien 17.0 27.2 39.1 46.3 1.9 1.7Dänemark 15.0 24.9 38.7 45.3 2.0 1.8Deutschland 16.3 28.0 39.9 46.8 1.6 1.4Finnland 14.9 26.4 39.4 45.8 1.6 1.7Frankreich 16.0 26.4 37.6 45.1 2.3 1.9Irland 11.3 24.0 31.9 43.3 3.8 1.9Italien 18.1 34.4 40.2 52.4 2.3 1.2Japan 17.2 36.5 41.3 53.2 2.1 1.3Kanada 12.6 25.7 36.9 45.8 2.0 1.5Neuseeland 11.8 22.9 34.5 43.7 2.8 2.0Niederlande 13.6 24.7 37.6 44.9 2.1 1.7Österreich 15.5 30.6 38.3 50.3 2.0 1.3Schweden 17.4 27.0 39.6 46.3 1.9 1.6Schweiz 16.0 30.8 40.2 50.6 1.8 1.4Spanien 16.8 35.0 37.4 51.9 2.9 1.2Vereinigtes Königreich 15.9 23.3 37.7 43.8 2.0 1.6Vereinigte Staaten 12.3 20.0 35.2 39.7 2.0 2.1

Quellen: (i) Vereinte Nationen (ed.), World Population Prospects, The 2002 Revision, New York; zitiert nach Statistisches Bundesamt (ed.), Statistisches Jahrbuch 2004 für das Ausland, 2004, Tabelle 1.3, S. 208ff.

(ii) Vereinte Nationen (ed.), Human Development Report 2004: Cultural Liberty in Today’s Diverse World, Tabelle 5, S. 152.

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40 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

ihren eigenen Ersparnissen leben. Aus dieserPerspektive scheint es sinnvoll zu sein, voll zu einem kapitalgedeckten System überzugehenoder zumindest Teile der AHV darüber zu fi-nanzieren. Damit, so glaubt man, könne mandie Finanzierungsprobleme wenn nicht besei-tigen, so doch mildern.

Solche Überlegungen sehen die Ersparnisseeiner ganzen Generation analog zu denen eineseinzelnen Individuums: So wie eine einzelneBürgerin oder ein einzelner Bürger sparen unddamit für die eigene Zukunft vorsorgen kann,so könne dies, so wird unterstellt, auch eineganze Generation. Auf diesen «ökologischenFehlschluss», wie man ihn methodisch heutebenennen würde, da hier das Verhalten einesEinzelnen in unzulässiger Weise auf eine Ge-samtheit übertragen wird, hat David Ricardobereits 1817 hingewiesen. Der Grund, weshalbdiese Analogie nicht zulässig ist, liegt darin,dass in einer Gesellschaft – im Prinzip – in jeder Periode (in jedem Jahr) nur das kon-sumiert werden kann, was auch produziertwird. Alles, was die Rentner konsumieren,muss daher von der erwerbstätigen Bevölke-rung erwirtschaftet werden, und zwar völligunabhängig davon, wie die Finanzierung der Altersvorsorge geregelt ist.14 Die erwerbstätigeBevölkerung ist dann, wenn die Renten überein Kapitaldeckungsverfahren finanziert sind,möglicherweise eher bereit, ihren Beitrag zuleisten, aber dies ändert nichts daran, dass sieihn leisten muss.

Auch wenn sie nach dem Kapitaldeckungs-verfahren finanziert wird, stellen sich, wie sichin jüngerer Zeit sehr deutlich gezeigt hat, beider zweiten Säule ganz ähnliche Probleme wiebei der AHV: Dies wird u.a. in den Diskussio-nen über die Mindestverzinsung und über denUmwandlungssatz deutlich. Die Kapitaldeck-ung ändert nichts daran, dass ein (absolut wierelativ) immer geringerer Teil der Bevölkerungfür einen (zumindest relativ) immer grösserenTeil aufkommen muss. Dies geschieht im Prin-zip dadurch, dass Rentner ihre Wertpapiere andie Erwerbstätigen verkaufen und aus den Er-lösen ihren Lebensunterhalt bestreiten. Fak-tisch geschieht dies (implizit) dadurch,dass diePensionskassen die Rechte an den von ihnengehaltenen Wertpapieren (und anderen Ver-mögensanlagen) von den Rentnern auf die Er-werbstätigen übertragen.

Dazu kommt bei den Pensionskassen einzusätzliches Risikoproblem. Die AHV-Leis-tungen entwickeln sich – nach dem derzeit gültigen Verfahren des Mischindexes – abge-schwächt parallel zur wirtschaftlichen Ent-wicklung. Das damit verbundene Risiko ergibtsich aus der wirtschaftlichen Entwicklung: Jeschlechter diese verläuft, desto weniger werdenauch die Renten (real) steigen. Dazu kommtein gewisses politisches Risiko: Wenn z.B. das

Rentenalter heraufgesetzt wird und/oder derMischindex zugunsten eines reinen Inflations-ausgleichs abgeschafft wird, verringern sich die Erträge, welche die heute Erwerbstätigenals Ausgleich für ihre (auch bereits geleisteten)Beitragszahlungen zu erwarten haben.15 Beiden Anlagen der Pensionskassen tritt dazu ein – von der wirtschaftlichen Entwicklungfreilich nicht unabhängiges – Kapitalmarkt-risiko: In Abhängigkeit von der Entwicklungder Kapitalmärkte schwankt der Wert der Ein-lagen der Pensionskassen. Dies hat Auswir-kungen darauf, welche Zahlungen die Versi-cherten nach Eintritt des Rentenalterserwarten dürfen. Daher stellt sich die Frage,welche Risiken man den Rentnern sinnvoller-weise zumuten kann und wie Regulierungenaussehen sollten, die solche Risiken, falls siediese nicht ausschliessen, so doch vermin-dern. Zu diesen Regulierungen gehört zumin-dest bisher auch die – durchaus umstrittene –Festlegung der Mindestverzinsung durch dieRegierung.

Dazu kommt für diejenigen Renten, die nominal fixiert sind, das Inflationsrisiko: DieRentenzahlungen vermindern sich real in je-dem Jahr um die Inflationsrate. Dieses politi-sche Risiko kann nur durch eine Indexierungder Renten in Abhängigkeit von der Preisent-wicklung aufgefangen werden. Wie O. Brun-ner-Patthey und R. Wirz (2005, S. 23) unterVerweis auf das Bundesamt für Statistik ange-ben, verfügen jedoch 24% der Versichertenüber keinen solchen Ausgleich; nur 34% sindvoll und regelmässig dagegen versichert.

Will man den durch die demografischeEntwicklung im System der Altersvorsorge generierten Problemen begegnen, gibt es zu-nächst zwei Ansatzpunkte: Man kann versu-chen, die demografische Entwicklung zu verändern, und/oder man reagiert mit der Finanzierung der sozialen Sicherungssystemeauf diese Entwicklung. Zur Veränderung derdemografischen Entwicklung gibt es im Prin-zip zwei Möglichkeiten:(i) Die Veränderung der Altersstruktur wird

durch Familienpolitik gedämpft.(ii) Die Veränderung der Altersstruktur wird

durch Zuwanderung gedämpft.

Folgende Reaktionen sind auf die demogra-fische Entwicklung möglich, um die sich dar-aus ergebende finanzielle Last zu verringern:(iii) Die Renten werden gekürzt.(iv) Die Beiträge werden erhöht.(v) Das Renteneintrittsalter wird erhöht.(vi) Der Eintritt in das Berufsleben findet frü-

her statt.

Als weitere Möglichkeit bleibt die Ände-rung der Finanzierung, wie sie teilweise heutebereits geplant ist:

3. Wirtschaftliche Probleme einer alternden Bevölkerung. Übersicht und grundsätzliche Aspekte

14 Streng genommen gilt dies nur in einer geschlossenenVolkswirtschaft; auf die möglichen Abweichungen vondiesem Prinzip, die sich für offene Volkswirtschaftenwie die Schweiz ergeben, wird unten eingegangen. Sieändern jedoch an der grundsätzlichen Situation (derSchweiz) nichts Entscheidendes. – Zu den Vor- undNachteilen des Kapitaldeckungsverfahrens siehe auchSinn H.-W. (2000) sowie Breyer F. (2001).

15 Wir gehen davon aus, dass die Politik in der Schweizeinen Zusammenbruch der ersten Säule verhindernwird, d.h., dass in der Schweiz – anders als möglicher-weise in anderen Ländern – ein totales Ausfallrisikonicht existiert.

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41 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

Jahresbericht 2005

Umstellung auf diese Art der Finanzierung wä-re hinreichend, um das Generationenproblemzu lösen.

3.3 Der finanzielle Anpassungsbedarfder AHV

Im Folgenden ist zunächst zu fragen, wiegross der Finanzierungsbedarf der AHV ver-mutlich wäre, wenn das gegenwärtige Systemder Leistungen und seiner Anpassung an diewirtschaftliche Entwicklung fortgesetzt wür-de. Zur Beantwortung greifen wir auf Simula-tionen zurück, die von K. Schluep (2003) ba-sierend auf den oben vorgestellten Simu-lationen der demografischen Entwicklungdurchgeführt wurden. Dabei wird der Finan-zierungsbedarf typischerweise in Mehrwert-steuerprozentpunkten angegeben.18 Zweitensgeht es darum, welche Auswirkungen von Änderungen auf der Leistungsseite auf den Finanzierungsbedarf zu erwarten wären. Auchhierzu stehen Simulationsergebnisse von K. Schluep (2003) zur Verfügung. Im drittenSchritt wird gefragt, wie dieser Finanzierungs-bedarf gedeckt werden könnte.

Die wichtigsten Ergebnisse der Simulatio-nen von K. Schluep (2003) sind in Tabelle 3.4dargestellt, wobei neben den Mehrwertsteuer-prozentpunkten auch die aufzuwendendenAnteile am Bruttoinlandsprodukt angegebenwerden. Das Grundszenario, welches den Sta-tus quo fortschreibt, übernimmt für die de-mografische Entwicklung das oben behan-delte Trend-Szenario. Ausgehend von der Situation des Jahres 2002, in welchem die Simulationen durchgeführt wurden, und vonden Erwartungen für das Jahr 2003 werden ab2004 ein Wachstum der Reallöhne von 1% proJahr sowie eine Inflationsrate zugrunde gelegt,die bis zum Jahr 2006 1,5% und danach 2%beträgt.19 Das Regelrentenalter beträgt ab demJahr 2009 für Männer und Frauen 65 Jahre.Ein Rentenvorbezug ist ab 62 Jahren möglich.Um ihn für kleine Einkommen möglich zumachen, werden die Rentenkürzungen inAbhängigkeit von der Vorbezugsdauer undvom Einkommen abgefedert. Zu den Leistun-gen der AHV werden die Ergänzungsleistun-gen hinzugezählt, soweit sie AHV-Rentnerbetreffen.

Im Grundszenario steigt der Finanzbedarfder AHV bis zum Jahr 2040 um 5,7 auf 16,5Prozentpunkte. Dieser Zuwachs beträgt mehrals die Hälfte des heutigen Bedarfs. Er wirdnoch höher, wenn die Wirtschaft schwächerals angenommen wächst und/oder die Alte-rung schneller vor sich geht. Dagegen wird ergeringer, wenn die Wirtschaft schneller wächstund/oder die Alterung sich verlangsamt. Imgünstigsten hier betrachteten Fall würde derAnstieg nur noch etwa 3 Prozentpunkte, im

(vii) Die zusätzlichen Mittel werden aus demallgemeinen Steueraufkommen bereitge-stellt.

(viii) Der Anteil der durch das Kapitaldeck-ungsverfahren finanzierten Renten wirderhöht.

Eine verantwortliche Politik der Altersvor-sorge wird alle diese Möglichkeiten in Betrachtziehen müssen, auch wenn sie nicht alle Mög-lichkeiten tatsächlich nutzt.

Nach dem oben Gesagten scheint es fraglichzu sein, inwieweit eine Stärkung des Kapital-deckungs- auf Kosten des Umlageverfahrensdie Finanzierungsproblematik der Altersvor-sorge entschärfen könnte. Schliesslich betrifftder Unterschied zwischen dem Kapital-deckungs- und dem Umlageverfahren sehr vielweniger die Umverteilung zwischen als viel-mehr jene innerhalb der Generationen. Den-noch gibt es zwei Möglichkeiten, wie durch dasKapitaldeckungsverfahren die Problematikder Altersvorsorge etwas entschärft werdenkann:(i) Wenn das Kapitaldeckungsverfahren zu

einer höheren Sparquote und dadurch zuhöheren Investitionen führt, steht späterein grösserer Kapitalstock zur Verfügung.Damit wird zwar nicht ausser Kraft ge-setzt, dass die Erwerbstätigen für dieRentner aufkommen müssen, aber eskann – bei gleicher Arbeitsbevölkerung –mehr produziert und damit auch mehrverteilt werden. Dies kann den Konfliktetwas entschärfen.16

(ii) Wenn die ersparten Beträge im Auslandinvestiert werden, wird heute Konsum-verzicht geleistet, der später im Inland einen Konsum ermöglicht, der über derProduktion liegt: Zusätzliche Konsum-güter können importiert und durch Auf-lösung der Auslandsguthaben finanziertwerden. Auf diese Weise kann man tat-sächlich die heutige Generation be- unddie späteren entlasten. Diese Möglichkeit,die vor allem im demografischen Über-gang besteht, hat langfristig, d.h. bei sta-tionärer Bevölkerung, freilich nur geringeBedeutung. Sie setzt überdies voraus, dassin jenen Ländern, in denen die Investitio-nen getätigt werden, die Veränderung derAltersstruktur zumindest nicht so drama-tisch ist wie in der Schweiz bzw. dass diese Länder nicht das Gleiche versuchen(und z.B. entsprechende Investitionen inder Schweiz tätigen).17

Insofern macht es durchaus Sinn, die Al-tersvorsorge teilweise über das Kapitalde-ckungsverfahren zu finanzieren, wie dies heu-te bei den Pensionskassen geschieht. Anderer-seits sollte man den Eindruck vermeiden, die

16 Umgekehrt gilt, dass ein Übergang vom Umlage- zumKapitaldeckungsverfahren dann, wenn sich dadurch die Sparquote nicht erhöht, zwar Verteilungskonse-quenzen hat, aber keine Effizienzgewinne bringt. Es ist dann in jeder Periode nicht mehr zu verteilen als bis-her. Siehe hierzu auch Bossworth B., Burtless G. undSahm C. (2004, S. 214).

17 Es gibt noch einen weiteren Verschiebungseffekt zwi-schen den Generationen in Zusammenhang mit dem System der Altersvorsorge: Durch die Einführung einesUmlageverfahrens gewinnt die erste Generation, da sie nicht oder kaum eingezahlt hat und dennoch ent-sprechende Renten erhält, während die letzte Genera-tion verliert, d.h. diejenige, die dann lebt, wenn z.B.das Umlageverfahren durch das Kapitaldeckungsver-fahren abgelöst werden sollte. Falls die bestehendenRentenansprüche respektiert werden, muss diese Ge-neration dann sowohl für den Unterhalt der Rentner-generation aufkommen als auch Beiträge für die eigeneAltersvorsorge leisten. Selbst wenn man davon aus-geht, dass das Kapitaldeckungsverfahren eine höhereRendite, hat und wenn man diesen Übergang gleitendmacht, ist es kaum möglich, ihn so zu vollziehen, dassdie von diesem Übergang betroffene Generation nichtzusätzlich belastet wird. Da die AHV jedoch bereits lan-ge besteht und auch ein nur partieller Wechsel ihres Finanzierungssystems derzeit nicht ernsthaft erwogenwird, soll darauf hier nicht näher eingegangen werden.– Zu den Möglichkeiten und Kosten eines solchen Über-gangs, der im Allgemeinen nicht so vollzogen werdenkann, dass er eine Pareto-Verbesserung darstellt, siehe z.B. Brunner J.K. (1996).

18 Genau betrachtet sind es «Mehrwertsteuer-Äquivalenz-prozentpunkte», d.h., es geht um die Frage, wie hochder Mehrwertsteuersatz sein müsste, um die Ausgabenzu decken. Zieht man davon das heutige Mehrwertsteu-er-Äquivalent von (geschätzt) 10,8 Prozentpunkten ab, ergibt sich der Mehrbedarf. Das heutige Mehrwert-steuer-Äquivalent ergibt sich aus den gesamten Ausga-ben der AHV (einschliesslich der zugehörigen Ergän-zungsleistungen), verglichen mit dem Aufkommen eines Mehrwertsteuerprozents. Zur Berechnung sieheSchluep K. (2003, S. 10).

19 Zu den einzelnen Annahmen siehe Schluep K. (2003, S. 9f.).

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42 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

rung ohne weitergehende Finanzierungsquel-len nach wie vor gewährleisten zu können».Nun ist keineswegs gesagt, dass – bei weiterhinsteigender Lebenserwartung – ein ordentlichesRentenalter von 67 Jahren das letzte Wort seinwird, eine Erhöhung deutlich über 67 Jahrehinaus dürfte freilich so weit in der Zukunftliegen, dass sie für die jetzigen Betrachtungennicht relevant ist. Insofern bleibt es dabei, dasseine Erhöhung des ordentlichen Rentenalterseinen Beitrag zur Linderung der Finanzie-rungsproblematik leisten kann, der freilichdurch andere Massnahmen ergänzt werdenmuss.

Wie die Diskussion um die entsprechen-den Vorschläge von Bundesrat Pascal Cou-chepin im Jahr 2003 gezeigt haben, ist dieser«einfachste politische» nicht unbedingt auchder «politisch einfachste» Weg; vielmehr ste-hen ihm mannigfache politische Hindernisseentgegen. Dies reicht von der Weigerung, sichüberhaupt damit auseinander zu setzen, weilman der Auffassung ist, dass es sich hier umwohlerworbene Rechte handle, über das Bestreiten, dass hier überhaupt ein Problem existiert, weil die AHV bei hinreichend ho-hem Wirtschaftswachstum mit dem heutigen Finanzierungs- und Leistungssystem gesichertsei, bis hin zur Behauptung, dass eine solcheMassnahme schon deshalb fragwürdig sei, weildas faktische Renteneintrittsalter heute deut-lich unter dem Regelalter liege und angesichtsder derzeitigen konjunkturellen Situation älte-re Arbeitnehmer sowieso kaum mehr Aussich-ten auf eine Beschäftigung hätten.

Dass ein Teil der Bevölkerung sich hier umwohlerworbene Rechte betrogen fühlt, hat sichdie Politik nicht zuletzt selbst zuzuschreiben,weil sie (nicht nur in der Schweiz) zu lange diein der Zukunft anstehenden Probleme igno-riert und der Bevölkerung die Botschaft ver-mittelt hat, die AHV-Renten seien sicher. Dasshinreichend hohes Wirtschaftswachstum dasProblem beseitigen könne, mag zwar richtigsein, aber das hierzu nötige reale Wachstum istnicht erreichbar. Ein reales Wachstum von 2%pro Jahr, welches angesichts der jüngeren Ver-gangenheit eher als optimistisch angenommenwerden muss, würde den Finanzierungsbedarfab dem Jahr 2030 nur auf etwa 15 Mehrwert-steuerprozentpunkte verringern. Akzeptiertman, wie sich aus dem Vergleich dieser Ent-wicklung mit dem Szenario «Fortschreibungdes Status quo» ergibt, dass eine um 1% höheredurchschnittliche Wachstumsrate den Finan-zierungsbedarf um etwa 1,5 Mehrwertsteuer-prozentpunkte verringern würde, und extra-poliert man dies, dann müsste man (über dienächsten 35 Jahre) eine durchschnittlicheWachstumsrate von etwa 5% haben, um denFinanzierungsbedarf des Jahres 2040 auf denheutigen Wert zu reduzieren. Abgesehen da-

3. Wirtschaftliche Probleme einer alternden Bevölkerung. Übersicht und grundsätzliche Aspekte

ungünstigsten Fall dagegen 10 Prozentpunktebetragen. Angesichts der Entwicklung in den Neunzigerjahren, als die Schweiz mit einer durchschnittlichen Wachstumsrate vonknapp 1% eine Periode der Wachstumsschwä-che durchgemacht hat,20 dürfte die Annahmevon 1% Wachstum eher eine untere Schrankedarstellen.Andererseits wurde oben argumen-tiert, dass das Trend-Szenario die Alterungeher zu optimistisch darstellt. Insofern kanndas Basis-Szenario für sich relativ viel Plau-sibilität beanspruchen: Ohne politische Ein-griffe ist mit einem zusätzlichen Bedarf vonüber 5 Mehrwertsteuerprozentpunkten zurechnen.

Der einfachste politische Weg, die zusätz-liche Finanzierungslast zu mildern, besteht ineiner Erhöhung des Regelrenteneintrittsalters.Sie führt zum einen zu mehr Einnahmen, dadie Erwerbstätigen (bzw. die sie beschäftigen-den Unternehmen) länger Beiträge leistenmüssen, und sie verkürzt die Zeit, in der Leis-tungen erbracht werden müssen. In der Dis-kussion ist seit einiger Zeit ein Alter von 67 Jah-ren, wobei der Übergang gestaffelt erfolgensollte. Wie die Simulationen zeigen, würde eine solche Massnahme tatsächlich etwas be-wirken: Beim Übergang zum Rentenalter 66bzw. 67 würde der Finanzierungsbedarf um 0,6 bzw. 1,2 Prozentpunkte verringert. Dieswäre freilich nur etwa 10 bzw. 20% des Mehrbedarfs, weshalb eine solche Massnahme allein bei weitem nicht ausreichend ist. Wie K. Schluep (2003, S. 21) schreibt, müsste manneben einer Erhöhung der Mehrwertsteuer um1,5 Prozentpunkte «das ordentliche Rentenal-ter auf 71 Jahre festlegen, um eine Finanzie-

Tabelle 3.4

Anpassungsbedarf der AHV (einschliesslich Ergänzungsleistungen)(Angaben in Mehrwertsteuer-Äquivalenzprozentpunkten)

Jahr2001 2005 2010 2020 2030 2040

SimulationFortschreibung des Status quo 10.9 10.8 12.0 13.8 16.2 16.5

(7.2) (7.1) (7.8) (9.1) (10.6) (10.8)

verstärkte Alterung 10.9 10.8 12.1 14.4 17.8 19.6(7.2) (7.1) (7.9) (9.2) (11.6) (12.8)

abgeschwächte Alterung 10.9 10.8 11.9 13.4 15.1 14.6(7.2) (7.1) (7.7) (8.8) (9.9) (9.5)

geringerer Reallohnanstieg 10.9 10.8 12.1 14.3 17.1 17.7(0.5% pro Jahr) (7.2) (7.1) (7.9) (9.3) (11.2) (11.6)

stärkerer Reallohnanstieg 10.9 10.8 11.8 13.4 15.5 15.5(1.5% pro Jahr) (7.2) (7.1) (7.7) (8.8) (9.9) (9.9)

verstärkte Alterung und 10.9 10.8 12.2 14.9 18.8 20.9geringerer Reallohnanstieg (7.2) (7.1) (8.0) (9.7) (12.3) (13.7)

abgeschwächte Alterung und 10.9 10.8 11.7 12.9 14.4 13.7höherer Reallohnanstieg (7.2) (7.1) (7.6) (8.4) (9.4) (9.0)

Rentenalter 66 10.9 10.8 11.9 12.3 15.5 16.0(7.2) (7.1) (7.8) (8.6) (10.1) (10.5)

Rentenalter 67 10.9 10.8 11.9 12.5 14.8 15.4(7.2) (7.1) (7.8) (8.2) (9.7) (10.1)

reiner Inflationsausgleich 10.9 10.8 11.8 13.0 14.4 13.1(7.2) (7.1) (7.7) (8.5) (9.4) (9.1)

Die Zahlen in Klammern sind die aufzuwendenden Anteile am Bruttoinlandprodukt (in Prozent).

20 Zur Wachstumsschwäche und ihren möglichen Ursachender Schweiz siehe die Beiträge in Steinmann L. undRentsch H. (2005).

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43 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

leistungen entstehen, und für AHV-Rentner,die dann eine niedrigere Rente beziehen, (zu-sätzliche) Anrechte auf Ergänzungsleistungenzur AHV. Zudem besteht die Gefahr, dass (wieauch heute schon) zur Aufbesserung ihrer finanziellen Situation Betroffene in die Invali-denversicherung abgeschoben werden. Letzte-res wird mit zunehmendem Alter der Betroffe-nen – ceteris paribus – einfacher und dürftedaher auch genutzt werden. Insofern ist damitzu rechnen, dass die Einsparungen, welche dieöffentliche Hand insgesamt durch ein höheresordentliches Rentenalter realisieren kann, nichtin dem Ausmass eintreten, wie sie in der Kasseder AHV erscheinen.

Man sollte diesbezüglich aber auch nicht zupessimistisch sein. Schliesslich hat auch bei bestehender Arbeitslosigkeit das Regelrenten-alter sehr wohl Einfluss auf das Alter der tatsächlichen Verrentung. Daher würde eineEinführung des Rentenalters 67 auch zu Ver-änderungen in der Erwerbstätigkeit führen.Dann aber sind nicht nur die Einnahmen fürdie AHV höher, als im vorigen Abschnitt be-schrieben wurde, sondern auch die Belastun-gen für die anderen Kassen geringer.

Um einen Eindruck von den möglichenAuswirkungen zu erhalten, muss man sich näher mit der Arbeit im Alter befassen. Daraufwird unten (sowie in Abschnitt 4.1 dieses Be-richts) näher eingegangen. Dabei wird deut-lich, dass die Erwerbstätigkeit im Alter nichtnur vom ordentlichen Renteneintrittsalter ab-hängt, sondern auch vom Alter, in welchemeine Verrentung frühestens möglich ist. Diesbetrifft die auch in Zusammenhang mit derAHV diskutierte Möglichkeit der Frühverren-tung. Diese wird nicht nur seit längeremdiskutiert, sondern es wird auch gefordert,dasssie Beziehern niedriger Einkommen dadurchermöglicht wird, dass die erforderlichen Ab-schläge nicht das volle, versicherungstechnischgebotene Ausmass annehmen, sondern «sozialabgefedert» werden.

Nun ist angesichts der uns erwartendenProblematik der Rentenfinanzierung eine vor-zeitige Verrentung im Allgemeinen sicher derfalsche Weg; dass sie früher – in der Bundesre-publik Deutschland z.B. extensiv – durch staat-liche Massnahmen gefördert wurde, ist inzwi-schen weithin als Irrweg anerkannt und so weitals möglich korrigiert worden. Andererseits istnicht zu übersehen, dass es Berufe gibt, bei de-nen schon auf Grund der körperlichen Anfor-derungen eine Beschäftigung bis zum Altervon 65 Jahren kaum realisierbar ist. Dies sindtypischerweise auch Berufe, wie z.B. im Bau-handwerk, bei denen der Eintritt in das Er-werbsleben relativ frühzeitig erfolgt. Hierkönnte man daran denken, die Möglichkeit einer Frühverrentung und/oder den bei einerFrühverrentung realisierten Abschlag von der

Jahresbericht 2005

von, dass die hier vollzogene lineare Trend-extrapolation problematisch ist (und das tat-sächlich erforderliche Wachstum vermutlichunterschätzt), ist ein so hohes Wachstum imDurchschnitt nie erreichbar. Dies bedeutetnicht, dass das Wachstum keinen Einflusshätte, aber genauso wie die Erhöhung desRenteneintrittalters kann es nur einen teilwei-sen Beitrag dazu leisten.

Dennoch mag es auf den ersten Blick erstaunen, dass höheres Wachstum – ceterisparibus – die Finanzierungsprobleme derAHV dämpft; schliesslich ändert es nichts ander Entwicklung des Altersquotienten. Der Effekt ist ein Ergebnis des Mischindexes. Je höher das reale Wachstum der Löhne ist, destostärker werden zwar auch die AHV-Renten an-gehoben, desto geringer werden sie jedoch relativ zu den Einkommen. Dies bedeutet, dassmit dem gleichen Beitragsaufkommen mehrRentnerinnen und Rentner unterstützt werdenkönnen. Für die Finanzierung der AHV hat somit ein stärkeres Wirtschaftswachstum diegleichen Auswirkungen wie eine geringere An-hebung der Renten.

Das Argument mit dem Verweis auf dasheute bestehende niedrige faktische Verren-tungsalter setzt voraus, dass zum einen die der-zeitige konjunkturelle Situation (mit ihrerUnternachfrage nach älteren Arbeitskräften)anhalten wird und dass zweitens das Regelren-teneintrittsalter keinen Einfluss auf das Alterder tatsächlichen Verrentung hat. Mit der Ver-änderung der Altersstruktur ist jedoch damitzu rechnen, dass wegen des Mangels an jünge-ren Arbeitnehmern die Nachfrage nach älterenArbeitnehmern wieder zunehmen wird.Schliesslich ist ein erster Schritt bei der Erhö-hung des Rentenalters beider Geschlechter erstfür das nächste Jahrzehnt projektiert.21 Dannaber wird sich, wie die in Abschnitt 3.1 vorge-stellten Simulationen zeigen, die demografi-sche Struktur schon deutlich verändert haben.

Auch wenn das ordentliche Rentenalterkaum Einfluss auf das faktische Verhalten derälteren Bevölkerung hätte, ergäben sich durcheine Erhöhung des Regelrentenalters erheblicheEinsparungen für die AHV. Zum einen würdenviele, die heute bis zum Alter von 65 Jahren be-schäftigt sind, weiterhin beschäftigt sein unddaher Beiträge leisten. Zweitens würden vielederjenigen, die mit 65 Jahren nicht mehr arbei-ten, ebenfalls noch Beiträge leisten müssen,wenn auch möglicherweise eher geringe. Undschliesslich würden alle erst nach der Vollen-dung des 66. bzw. 67. Altersjahres Leistungenbeziehen. Ein Teil dieser Einsparungen könntejedoch dadurch wieder zunichte gemacht wer-den, dass zusätzliche Arbeitslosigkeit entsteht.So könnten für diejenigen, die das ordentlicheRentenalter noch nicht erreicht haben, An-sprüche auf Sozialhilfe und/oder Ergänzungs-

21 Der von Bundesrat Pascal Couchepin im Jahr 2003 ge-machte Vorschlag sah vor, das Rentenalter für beide Ge-schlechter im Jahr 2015 auf 66 Jahre und zehn Jahrespäter auf 67 Jahre anzuheben. Siehe: Die Rentenalter-Debatte als Spektakel: Couchepins Spiel mit Vorschlä-gen zur Zukunft der AHV, Neue Zürcher Zeitung Nr. 118vom 23. Mai 2003, S. 11.

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3. Wirtschaftliche Probleme einer alternden Bevölkerung. Übersicht und grundsätzliche Aspekte

44 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

werte Option, langfristig implizierte es aber,dass selbst die Maximalrente der AHV nichtmehr das (kulturell bedingte) Existenzmini-mum abdecken würde, welches heute übli-cherweise mit 40 oder 50% des Durchschnitts-oder Medianeinkommens definiert wird. Da-mit könnten Rentner, die nur über die AHVverfügen, unter die Armutsgrenze geraten.22

Dies wäre zum einen im Widerspruch zumAuftrag der Bundesverfassung, der in Art. 112Abs. 2(d) formuliert ist, wonach die Renten derAHV «den Existenzbedarf angemessen zudecken» haben, und müsste durch zusätzlicheErgänzungsleistungen aufgefangen werden.Zweitens würde es eines der gesellschaftlichenZiele wieder in Frage stellen, welches durch dieAHV in der Schweiz weit gehend erreicht wur-de: die Beseitigung der Altersarmut.23 Undschliesslich ist, wie unten noch ausgeführtwird, eine Sicherung der Grundversorgungdurch die AHV auch eine Voraussetzung dafür,dass bei der zweiten Säule Risiken eingegangenwerden können.

Welche Kombination von Massnahmenauch immer ergriffen wird, es dürfte ein zu-sätzlicher Finanzierungsaufwand verbleiben,der gedeckt werden muss. Derzeit wird dieAHV zu etwa zwei Dritteln durch «Lohnpro-zente», d.h. die Beiträge der Arbeitgeber undArbeitnehmer sowie der selbständig Erwerbs-tätigen, finanziert. An zweiter Stelle stehen Leistungen des Bundes, die nach Art. 112,Abs. 5 der Bundesverfassung «in erster Linieaus dem Reinertrag der Tabaksteuer, der Steu-er auf gebrannten Wassern und der Abgabe ausdem Betrieb von Spielbanken gedeckt» werdensollen. Drittens werden zweckgebundene Ein-nahmen der Mehrwertsteuer dafür verwen-det. Es stellt sich daher die Frage, welche die-ser Finanzierungsquellen weiter ausgeschöpftund/oder welche Finanzierungsquellen neuerschlossen werden sollten.

Eine Erhöhung der Beiträge wäre, da sie eine Erhöhung der Lohnnebenkosten bedeu-tet, der Beschäftigung abträglich. Sie dürftedeshalb kaum in Frage kommen. Die Erträgeder speziellen Steuern, die heute zur Finanzie-rung der AHV herangezogen werden, könnennicht beliebig erhöht werden. Daher solltenhöhere Kosten, soweit sie nicht durch Einspa-rungen aufgefangen werden können, eherdurch allgemeine Steuern wie z.B. durch eineErhöhung der Mehrwertsteuer aufgefangenwerden.24 Tatsächlich geht die Entwicklungauch in diese Richtung; ein Teil der AHV wirdbereits so finanziert.25

Als Vorbild kann Dänemark dienen. DiesesLand finanziert sein sehr ausgedehntes sozia-les Netz fast ausschliesslich über direkte wie indirekte Steuern; es kennt praktisch keine Sozialbeiträge. Indirekte Steuern haben denVorteil, dass sie die Lohnnebenkosten nicht

Zahl der Beitragsjahre und nicht vom Lebens-alter abhängig zu machen. Die Frage, welcheAuswirkungen (einschliesslich der finanziellenKonsequenzen) eine solche Regelung hätte,sollte zumindest ernsthaft geprüft werden. DasGleiche gilt für Flexibilisierungen beim Über-tritt in den Ruhestand (und ihre Berücksichti-gung in der Rentenformel).

Ähnliche, wenn auch deutlich geringereAuswirkungen wie ein Herausschieben des ordentlichen Rentenalters könnten sich durcheinen früheren Eintritt in das Erwerbsleben er-geben. Zwar würde dadurch die Zahl der Jah-re, in denen eine Rente bezogen wird, (zumin-dest ceteris paribus) nicht verändert, aberdadurch, dass über einen längeren Zeitraumeinbezahlt würde, könnten die Beiträge leichtgesenkt werden. Dies setzt freilich voraus, dassdie Qualität der Ausbildung darunter nicht lei-den würde und dass die Zeit der Erwerbstätig-keit tatsächlich um den Zeitraum verlängertwürde, um den die Bürgerinnen und Bürgerfrüher in das Erwerbsleben eintreten. Letzteresist bei den Tätigkeiten, bei denen auf Grundder Schwere der Belastung an einen Regelren-teneintritt nach einer bestimmten Zahl vonJahren gedacht wird, kaum realistisch, wäre je-doch in anderen Bereichen, wie z.B. im akade-mischen Bereich oder im öffentlichen Dienst,durchaus zumutbar. Die Qualität der Ausbil-dung würde vermutlich kaum leiden, wenn dasEinschulungsalter, welches in der Schweiz iminternationalen Vergleich recht hoch ist, her-abgesetzt würde. Ähnliches dürfte auch für eine Straffung der Universitätsausbildung gel-ten, die im Übrigen im Zuge der «Bologna-Re-formen» bereits beabsichtigt wird. Da nur dieBeiträge und nicht auch die Leistungen betrof-fen sind und da eine Vorverlegung um mehr alsein Jahr unrealistisch sein dürfte, wird die zuerwartende Entlastung dann, wenn man dieErwerbstätigkeit an ihrem Beginn ausdehnenwill, deutlich geringer ausfallen als dann, wenndies an ihrem Ende versucht wird. Sie dürftenoch deutlich geringer sein als jene, die – ent-sprechend den Angaben in Tabelle 3.4 – für dasRentenalter 66 zu erwarten sind.

Die letzte Massnahme, die in den oben dar-gestellten Simulationen untersucht wird, istdie Beseitigung des Mischindexes und die aus-schliessliche Kopplung an die Preisentwick-lung: Die AHV-Renten sollen real nicht sinken,aber auch nicht mehr steigen; sie werden da-mit von der wirtschaftlichen Entwicklung voll-ständig abgekoppelt. Wie die Ergebnisse in Tabelle 3.4 zeigen, liessen sich damit von allenbetrachteten Varianten die grössten Einspa-rungen erzielen. Dies bedeutet freilich, dass dieAHV-Renten im Zeitablauf relativ sinken wür-den; sie entsprächen einem immer geringerenTeil des Durchschnittseinkommens. Für einenbegrenzten Zeitraum ist dies eine erwägens-

22 Dies gilt insbesondere für jene Rentnerinnen und Rentner, die weniger als die Maximalrente erhalten. Siehe hierzu auch Ecoplan (2003, S. 44ff.).

23 Zur Altersarmut in der Schweiz siehe z.B. Leu R.E., Burri S. und Aregger P. (1997, S. 133ff.). Danach fälltdie Armutsrate mit zunehmendem Alter mit einem geringfügigen Wiederanstieg für die Altersgruppe der70- bis 79-Jährigen.

24 Siehe hierzu auch Felder S. (1999) sowie Abrahamsen Y.und Hartwig J. (2003, S. 62ff.), die eine Finanzierungüber die Mehrwertsteuer als vorteilhafter verglichenmit einer Finanzierung über Lohnprozente oder über die Einkommensteuer einschätzen.

25 Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die AHV nicht das einzige Sozialwerk ist, welches über die Mehr-wertsteuer teilfinanziert werden soll: Auch die Defiziteder IV sollen darüber abgedeckt werden. So sollte die(von den Stimmbürgern im Mai 2004 zusammen mit der11. AHV-Revision abgelehnte) Erhöhung der Mehrwert-steuer in erster Linie zur Sanierung der IV verwendetwerden. Siehe hierzu die offizielle Argumentation desBundesrats (http://www.admin.ch/ch/d/pore/va/20040516/explic/d-pp1213.pdf.). Insofern steht auchdie Mehrwertsteuer nur begrenzt zur Finanzierung derAHV zur Verfügung.

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45 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

beeinflussen, progressiv ausgestaltete direkteSteuern, dass sie im Niedriglohnbereich kaumzu Buche schlagen. Für hohe Einkommen gibtes damit einen geringeren und für niedrigeEinkommen fast keinen Keil zwischen Brutto-und Nettoeinkommen. Dies fördert die Be-schäftigung, insbesondere bei den Beziehernniedriger Einkommen, die in der Schweiz wieauch in den anderen europäischen Ländern diehöchste Arbeitslosigkeit haben. Tatsächlich hatDänemark in der Europäischen Union auch eine vergleichsweise niedrige Arbeitslosig-keit, und es konnte sie – im Gegensatz z.B. zu Frankreich und Deutschland – seit dem Höhe-punkt im Jahr 1993 beträchtlich abbauen. Diesspricht für eine Finanzierung durch progressi-ve direkte oder indirekte im Gegensatz zu pro-portionalen direkten Steuern, wobei die Bei-träge zur AHV für einen grossen Teil derschweizerischen Bevölkerung praktisch solcheSteuern auf das Arbeitseinkommen darstellen.

Eine (partielle) Alternative dazu könntenEnergie- und/oder CO2-Steuern darstellen, wiesie in dem von der Kommision für Kultur-fragen im Jahr 1999 zu Handen von BundesratCouchepin entwickelten Liberalen wirtschafts-politischen Konzept vorgeschlagen wurden.26

Damals stand – wie auch im Verfassungs-artikel, der dem Volk im September 2000 zurAbstimmung vorgelegen hat – eine aufkom-mensneutrale Umschichtung von den Lohn-prozenten zu einer Energie- und/oder CO2-Steuer zur Diskussion. Sie hätte neben derVerringerung der Lohnnebenkosten auch um-weltpolitisch positive Auswirkungen gehabt.

Nun ist von den Stimmbürgerinnen undStimmbürgern dieser Vorschlag genauso ab-gelehnt worden wie die 11. AHV-Revision mit ihrem bescheidenen Leistungsabbau und dererbetenen Erhöhung der Mehrwertsteuer zurFinanzierung von AHV (und IV). Dieses Er-gebnis ist zu akzeptieren, ändert jedoch nichtsdaran, dass bei der AHV längerfristig ein er-hebliches Finanzierungsproblem besteht. In-sofern werden ähnliche Vorlagen wieder unter-breitet werden, und es wird an Bundesrat undParlament liegen, die Stimmbürgerinnen undStimmbürger von der Notwendigkeit entspre-chender Massnahmen zu überzeugen. Dies giltfür eine Erhöhung der Mehrwertsteuer nichtweniger als für eine Energie- und/oder CO2-Steuer.

Eine weitere Option könnte die Einführungeiner nationalen Erbschaftssteuer sein. Sie bö-te sich aus zwei Gründen an. Zum einen ist dieErbschaftssteuer, sieht man von reinen Len-kungssteuern ab, (bei vernünftigen Sätzen) dieökonomisch vermutlich am wenigsten schäd-liche Steuer; sie führt zu vergleichsweise gerin-geren Verzerrungen als Kapital-, Konsum- oderEinkommensteuern.27 Zweitens gibt es bei derErbschaftssteuer, die heute eine rein kantona-

le Steuer ist, im Gegensatz z.B. zu den persön-lichen Einkommensteuern ein «Race to theBottom» zwischen den Kantonen, zumindestbezüglich der Belastung natürlicher Nach-kommen. Da die Einnahmeausfälle, die denKantonen durch die Senkung bzw. Abschaf-fung der Erbschaftssteuer entstanden sind,durch die Erhebung ökonomisch schädliche-rer Steuern ausgeglichen werden müssen, wür-de eine nationale Harmonisierung hier öko-nomisch Sinn machen. In diesem Sinn wurdenvor einigen Jahren Überlegungen angestellt.28

Die insgesamt negative Reaktion darauf hatfreilich gezeigt, dass diese ökonomisch durch-aus diskutable Option politisch in naher Zu-kunft nicht realisierbar ist. Es ist jedoch nichtausgeschlossen, dass später darauf zurückge-kommen wird.

Im Abstimmungskampf des Jahres 2004wurde die Notwendigkeit einer zusätzlichenFinanzierung der AHV u.a. mit dem Argumentbestritten, dass hierzu die Goldreserven bzw.Gewinne der Nationalbank verwendet werdenkönnen. Dabei war beabsichtigt, die gesamtenüberschüssigen Reserven dafür zu verwenden.Dies hätte in die Rechte der Kantone einge-griffen und wäre deshalb kaum realisierbar ge-wesen; schliesslich haben die Kantone beimReferendum gegen das Steuerpaket im Mai2004 gezeigt, dass sie ihre Interessen (auch mitHilfe der Stimmbürgerinnen und Stimmbür-ger) zu wahren wissen. Inzwischen sind dieseReserven entsprechend der geltenden Rechts-lage verteilt; als Zuschuss zur AHV steht bes-tenfalls noch der Anteil des Bundes zur Verfügung. Die dem Bund zustehenden Ge-winne machen nur einen Bruchteil dessen aus,was langfristig zur Finanzierung der De-ckungslücke erforderlich ist. Insofern würdesich an der prinzipiellen Problematik (und ander Notwendigkeit, zusätzliche Finanzierungs-quellen für die AHV zu erschliessen) auchdurch eine Verwendung der Nationalbankge-winne für die AHV nichts ändern.

3.4 Generelle Probleme der zweiten Säule29

Oben wurde bereits angesprochen, dass die mit Hilfe des Kapitaldeckungsverfahrensfinanzierten Pensionskassen erstens ebenfallsvon der demografischen Entwicklung be-troffen sind. Dies bedeutet, dass die Beitrags-höhen und/oder die Umwandlungssätze an diedemografische Entwicklung angepasst wer-den müssen. Zweitens sind sie mit zusätzlichenRisiken verbunden. Will man diese Risiken be-grenzen, unterstellt man sie «den aktuarischenPrinzipien einer Versicherungslösung mit Ein-kommensgarantien, so unterliegen sie im End-effekt den gleichen Rahmenbedingungen wiedie nach dem Umlageverfahren aufgebaute

Jahresbericht 2005

26 Zur teilweisen Finanzierung der AHV über eine Energie-steuer siehe auch Kirchgässner G. und Savioz M. (1995).

27 Zur ökonomischen Beurteilung der Erbschaftssteuersiehe z.B. H.S. Rosen (1988, S. 492ff.).

28 Siehe: Spoerry V., Die Erbschaftssteuer – ein neuerZankapfel: Verlagerung des Steuersubstrats aufBundesebene?, Neue Zürcher Zeitung Nr. 245 vom 22. Oktober 1997, S. 15.

29 In diesem Abschnitt sollen einige grundsätzliche Pro-bleme angesprochen werden, die sich für die Pensions-kassen aus der demografischen Entwicklung ergeben.Auf die aktuellen Probleme dieser Kassen wie z.B. dieUnterdeckung als Folge des Rückgangs der Kapital-marktrenditen zu Beginn dieses Jahrzehnts wird inAbschnitt 4.2 dieses Berichts eingegangen.

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3. Wirtschaftliche Probleme einer alternden Bevölkerung. Übersicht und grundsätzliche Aspekte

46 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

1. Säule. Die ökonomischen Unterschiede zwi-schen den beiden Systemen sind nicht so gross,wie gemeinhin angenommen wird.» (H. Zim-mermann und A. Bubb 2002, S. 24.)

Damit aber stellt sich die Frage, weshalbman nicht die gesamte Altersvorsorge über dasUmlageverfahren finanziert. Weshalb macht esSinn, die zweite Säule anders zu finanzieren alsdie erste Säule? Um dies zu beantworten, müs-sen die Vor- und Nachteile der beiden Systemeeinander gegenübergestellt und gegeneinan-der abgewogen werden.

Die beiden wesentlichen Gründe, die fürdas Kapitaldeckungsverfahren sprechen, sindoben bereits angegeben worden. Als wichtigs-ter wird üblicherweise die höhere Rendite des Kapitaldeckungsverfahrens angeführt.Wieoben ausgeführt wurde, besteht dieses Verfah-ren in einer Übertragung der Einkommenstitelvon den Rentnern an die Erwerbstätigen, wo-für Letztere bezahlen und Erstere ihre Rente erhalten. Dadurch, dass Kapital angelegt wur-de, welches eine reale Rendite abwirft, ist aberin jeder Periode mehr an die Rentner zu ver-teilen, als von den Erwerbstätigen als Beitragerhoben wird. Dies ermöglicht es, die gleichenLeistungen mit geringeren Beitragszahlungen(bzw. mit den gleichen Beitragszahlungen hö-here Leistungen) zu erbringen.

Die Rendite eines umlagefinanzierten Ver-fahrens entspricht nach dem «Sozialversiche-rungs-Paradox» von H. Aaron (1966) derSumme der Wachstumsraten der Bevölke-rung und der Lohnsumme.30 Bei einer gleich-gewichtigen Entwicklung mit konstanterLohnquote und bei konstanter Bevölkerungentspricht sie der Wachstumsrate des Sozial-produkts. Wächst die Bevölkerung, liegt siedarüber, schrumpft sie, wie das für die Schweizin Zukunft zu erwarten ist, liegt sie darunter.Die Rendite des Kapitaldeckungsverfahrensentspricht dagegen dem realen Zinssatz, undzwar unabhängig von der Rate des Bevöl-kerungswachstums.31 Je stärker eine Bevölke-rung schrumpft, desto eher ist sie – ceteris paribus – höher als die Rendite des Umlage-verfahrens, je stärker eine Bevölkerungwächst, desto eher ist sie – ebenfalls ceteris pa-ribus – geringer als jene. Dass die Bevölkerungin Zukunft aller Voraussicht nach schrumpfenwird, spricht somit eher für das Kapital-deckungsverfahren.

Dabei ist freilich in Rechnung zu stellen,dass die Verwaltungskosten beim Kapitalde-ckungsverfahren massiv höher sind als beim Umlageverfahren.32 Dies schmälert die zu er-wartende Rendite. Berücksichtigt man ande-rerseits, dass zwischen 1980 und 2000 die rea-le Rendite eidgenössischer Obligationen mit2,05% um 0,61% über der Wachstumsrate desBruttoinlandsprodukts lag, die 1,44% betrug,ist zu erwarten, dass auch bei nicht vernach-

lässigbaren Verwaltungskosten die Rendite desKapitaldeckungsverfahrens in den kommen-den Jahrzehnten höher als jene des Umlage-verfahrens sein wird.

Eine Finanzierung mit dem Kapitalde-ckungsverfahren ist für die Betroffenen um soeher vorteilhaft, je höher die Rendite ist, die dabei erzielt werden kann. Eine höhere Rendi-te bedeutet freilich auch ein grösseres Risiko.Nun kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass ein gewisses Risiko den Bürgerin-nen und Bürgern zugemutet werden kann, da(bzw. insoweit als) die nach dem Umlage-verfahren finanzierte (und damit von Kapital-marktrisiken unabhängige) erste Säule dieExistenzsicherung abdeckt. Zumindest kannman ihnen die Möglichkeit eröffnen, freiwilligRisiken einzugehen, wenn sie sich davon einehöhere Rendite (und damit später eine höhere Rente) versprechen. Man sollte andererseits jenen,die eine «sichere» Anlage wünschen,die-se Sicherheit auch geben können. Auf jedenFall sollten jene, die bereits eine feste Rente er-halten, gegen Kapitalmarktrisiken abgesichertsein.

Neben weiteren Regulierungen war die Me-thode, eine solche Absicherung zu gewährleis-ten, bisher die Festlegung einer Mindestver-zinsung,die lange Zeit bei 4% (nominal) fixiertwar. Diese 4% waren nach dem Jahr 2001 nichtmehr realisierbar, weshalb der vorgeschriebe-ne Satz reduziert werden musste, was in der Öffentlichkeit massive Reaktionen bis hin zum Vorwurf des «Rentenklau» hervorgerufenhat.33 Inzwischen hat sich die Situation zwarinsoweit etwas beruhigt, als Veränderungendes Mindestzinssatzes keine massiven Reaktio-nen mehr hervorrufen, aber sinnvoll geregeltist sie bei weitem nicht. Nach wie vor wird derMindestzinssatz vom Bundesrat in einzelnenEntscheidungen diskretionär festgelegt.

Diese Regelung hat zwei erhebliche Schwä-chen: Zum einen orientiert sie sich an der Nominalverzinsung, und zweitens erfordertsie immer wieder einzelne politische Entschei-dungen. Die alte Regelung einer Mindestver-zinsung von 4% war zu Beginn der Neunziger-jahre für die Betroffenen sehr unvorteilhaft. Indieser Zeit war die Inflationsrate zum Teildeutlich höher als 4%. Wurde z.B. im Jahr1991, als die Inflationsrate im Durchschnittfast 6% betrug, nur die Mindestverzinsung ge-währt, bedeutete dies einen realen Abbau desangesparten Vermögens um etwa 2%. Diejeni-gen Renten, die keinen Inflationsausgleichkannten, sanken darüber hinaus in diesem Jahrreal um knapp 6%. Nach O. Brunner-Pattheyund R. Wirz (2005, S. 23) betraf dies immerhinein knappes Viertel der Rentnerinnen undRentner, und bei 43% von ihnen ergab sichebenfalls eine reale Rentenkürzung, wenn auchum einen geringeren Betrag.34

30 Siehe hierzu Breyer F. (1990, S. 22).31 Der reale Zinssatz kann, wie unten noch ausgeführt

wird, jedoch (insbesondere in einer geschlossenenVolkswirtschaft) von der Zusammensetzung der Bevöl-kerung (und damit indirekt auch von ihrer Wachstums-rate) abhängig sein. Insofern kann es auch eine Beein-flussung der Rendite des Kapitaldeckungsverfahrensdurch die Bevölkerungsentwicklung geben. Siehe hierzuauch die Ausführungen in Abschnitt 4.2 dieses Berichts.

32 Siehe hierzu Brunner-Patthey O. und Wirz R. (2005, S. 45ff.).

33 Siehe hierzu z.B.: Gewerkschaftskongress in bewegtenZeiten, Grundsatzdebatte: AHV und zweite Säule, NeueZürcher Zeitung Nr. 237 vom 12. Oktober 2002, S. 16.

34 Eine Indexierung der Renten gegenüber der Inflationwürde freilich einen niedrigeren Umwandlungssatz erfordern. Im heutigen Umwandlungssatz ist implizitangenommen, dass die BVG-Renten im Zeitablauf in-folge der Inflation real sinken.

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47 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

Das zweite Problem besteht darin, dass eszur Anpassung der Mindestverzinsung jeweilseines politischen Aktes bedarf, der Widerstandhervorruft. Soll die Mindestverzinsung wie inden letzten Jahren verringert werden, trifft diesauf den Widerstand der heutigen Beitrags-zahler, die dadurch ihre künftigen Renten ge-schmälert sehen. Soll sie erhöht werden, wer-den die Versicherungsgesellschaften dagegenlobbyieren. Beides könnte man verhindern, in-dem man zu einer regelgebundenen Politikübergeht. Dabei bieten sich zwei Möglichkei-ten an. Zum einen könnte man eine reale Min-destverzinsung von beispielsweise einem Pro-zent vorschlagen. Geht man davon aus, dassder reale Zinssatz auch bei festverzinslichenWertpapieren langfristig kaum unter einemProzent pro Jahr liegen wird, ist eine solcheForderung gegenüber den Versicherern sichernicht überzogen. Schliesslich können sie dieseselbst mit einer sehr konservativen Anlage-politik erfüllen.

Würde eine solche Regel eingeführt, könn-te es zu Diskussionen um die Bestimmung deradäquaten Inflationsrate kommen. Dies solltefreilich kein grösseres Problem sein; schliess-lich ergibt sich das gleiche Problem beim Teu-erungsausgleich der Einkommen, und es führtauch dort nicht zu grösseren Problemen. Willman diese Diskussion vollständig vermeiden,könnte man den Mindestzinssatz auch an dieRendite der eidgenössischen Obligationenknüpfen.35 Da diese auf die Inflationsentwick-lung reagieren, wären die Versicherten damitzumindest in der Ansparphase gegen derenAuswirkungen abgesichert; das Inflations-risiko der Rentnerinnen und Rentner wird da-durch selbstverständlich nicht gelöst. Hierkann nur eine (zumindest partielle) Indexie-rung der Renten helfen. Genauso wie bei einerAnknüpfung an einen realen Zinssatz kannman auch hier argumentieren, dass eine solcheVerzinsung auch bei einer sehr konservativenAnlagestrategie möglich ist und daher von denVersicherern verlangt werden kann.

Der zweite, oben aufgeführte (mögliche)Vorteil einer Finanzierung durch das Kapital-deckungsverfahren besteht in der Möglichkeit,Konsum von heute tatsächlich in die Zukunftverschieben zu können.Wird (nur) im eigenenLand investiert und sind – bei zunehmend älter werdender Bevölkerung – die Erwerbstä-tigen nicht bereit, in stärkerem Masse zu spa-ren als die früheren Generationen, d.h. geht dieErsparnis, wie zu erwarten ist, zurück, wird derKurs der Wertpapiere, die von der alten auf dieerwerbstätige Generation übertragen werden,sinken, womit sich auch die Rendite des Kapi-taldeckungsverfahrens verringert. Dies mussnicht eintreten, wenn die Wertpapiere im Aus-land gehalten und dort auch veräussert wer-den.

Durch Anlagen im Ausland ist es somitnicht nur individuell, sondern auch für eineganze Gesellschaft möglich, Konsum von heu-te in die Zukunft zu verschieben. Die Voraus-setzung dafür ist freilich, dass im Ausland eineandere Altersstruktur besteht und dort nichtdas Gleiche versucht wird. Da, wie Tabelle 3.3zeigt, in den OECD-Ländern überall in etwadie gleiche Entwicklung bevorsteht, wenn auchin unterschiedlichem Ausmass, bedarf es da-her Investitionen in Nicht-OECD-Länder mitdeutlich jüngerer Bevölkerung, um einen sol-chen Effekt zu erzielen. Dies ist freilich mit zusätzlichen Risiken verbunden, die gegen die-se möglichen höheren Renditen abgewogenwerden müssen. Zudem sind die Renditen aufdiesen Märkten bisher nicht höher als imOECD-Raum.36 Auch bevorzugen die Pen-sionsfonds der OECD-Länder sehr stark In-landsaktiva, auch wenn deren Gewicht in denNeunzigerjahren etwas abgenommen hat:Noch im Jahr 1996 betrugen die Auslandsakti-va der OECD-Länder Belgien, Irland, Japan,Niederlande, Schweiz, Vereinigtes Königreichund Vereinigte Staaten nur 17%. Davon warnur ein kleiner Teil in aufstrebenden Märkteninvestiert.37 Auch wenn man mit der OECD da-von ausgeht, dass dieser Anteil künftig steigenwird, kann dadurch bestenfalls ein Bruchteilder Problematik aufgefangen werden.

All dies spricht nicht gegen das Kapital-deckungsverfahren als Mittel zur Finanzierungder Altersvorsorge, insbesondere dann nicht,wenn die Grundversorgung durch die AHVmit Hilfe des Umlageverfahrens abgedeckt ist.Es zeigt aber, dass mit diesem Verfahren zusätzliche Risiken verbunden sind, die ernstgenommen werden müssen. Ein Teil dieser Risiken wird man durch eine sinnvolle Re-gulierung auffangen oder zumindest stark ab-mildern können. Andere wird man in der Erwartung einer höheren Rendite in Kaufnehmen wollen. Es kommt auf die sinnvolleKombination beider Finanzierungssystemean. Auch nach Ansicht der OECD (2004a,S. 69) ist das Drei-Säulen-Modell der Schweizin dieser Hinsicht im Prinzip sinnvoll; dies be-deutet jedoch nicht, dass der gegenwärtige Zu-stand optimal wäre, bzw. dass nicht – wie beider AHV – Reformen angesagt wären.

3.5 Die Entwicklung der Erwerbs-tätigkeit (I): Arbeit im Alter38

Die Ausführungen in den beiden vorigenAbschnitten waren in gewisser Weise dem Ku-rieren von Symptomen gewidmet: Die zu er-wartende Alterung der Bevölkerung und diesich daraus ergebende Erhöhung der Alters-lastquote wurden akzeptiert, und es wurdenWege zu ihrer Finanzierung diskutiert. Einegrundlegendere Frage ist jedoch, ob man die

35 Ein entsprechender Vorschlag wurde kürzlich von einerExpertengruppe unterbreitet (Groupe de Reflexion[2005].) Er ist freilich bisher auf wenig Gegenliebe ge-stossen. Siehe hierzu Ryser H., Radikaler Vorschlag zuPensionskassen: Die Ratschläge einer Expertengruppehätten Rentenkürzungen von bis zu 25 Prozent zur Fol-ge, Sonntags-Zeitung Nr. 29 vom 17. Juli 2005, S. 59.

36 Siehe OECD (1999, S. 81). 37 Ebenda, S. 82f. 38 Siehe hierzu auch Abschnitt 4.1 dieses Berichts.

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3. Wirtschaftliche Probleme einer alternden Bevölkerung. Übersicht und grundsätzliche Aspekte

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Erhöhung des Alterslastquotienten (zumin-dest in diesem Ausmass) schlicht akzeptierenmuss oder ob es nicht Möglichkeiten gibt, die-sen Quotienten (und damit die auf die Bevöl-kerung zukommende Last) zu verringern. InAbschnitt 3.2 wurden mögliche Wege hierzubereits angesprochen, in Abschnitt 3.3 wurdedie Erhöhung des Regelrentenalters als eineMöglichkeit diskutiert.

Wie oben ausgeführt wurde, war die jünge-re Vergangenheit von Bemühungen geprägt,den Bürgerinnen und Bürgern einen frühe-ren Renteneintritt zu ermöglichen. Begründetwurde dies zum einen mit den zunehmendenAnforderungen des Berufslebens. Bei vielenwurde bereits vor dem ordentlichen Renten-alter diagnostiziert, dass sie nicht mehr in derLage seien, ihren Beruf auszuüben, wodurchsie bis zum Renteneintritt Anspruch auf Leis-tungen der Invalidenversicherung (IV) erhiel-ten. Zweitens wurde die Frühverrentung als ein sinnvolles Mittel der Arbeitsmarktpolitikangesehen: Durch das frühere Ausscheiden älterer Arbeitnehmer sollten Arbeitsplätze fürjüngere Erwerbstätige frei gemacht werden, umin diesen Gruppen die Arbeitslosigkeit zu ver-ringern. Dies hat dazu geführt, dass in den ver-gangenen zwei Jahrzehnten das effektive Ren-teneintrittsalter gesunken ist, obwohl sich dieLebenserwartung in dieser Zeit erhöht hat.39

Da sich insbesondere gut verdienende Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmer einen frühe-ren Renteneintritt leisten konnten, drehte sichein Teil der sozialpolitischen Diskussion in Zu-sammenhang mit den anstehenden Revisionender AHV darum, durch soziale Abfederungeinen früheren Renteneintritt (nach Vollen-dung des 62. Lebensjahres) auch Beziehernniedriger Einkommen möglich zu machen.

Nun soll nicht bestritten werden, dass es,worauf bereits eingegangen wurde, für be-stimmte Tätigkeitsbereiche auf Grund der mitihnen verbundenen Belastungen sinnvoll seinkann, den Renteneintritt bereits vor Errei-chung der heutigen Altersgrenze zu ermög-lichen. Als generelle Politik ist eine Ausdeh-nung der Frühverrentung in einer Situation,in welcher das ordentliche Rentenalter eher nach oben verschoben werden sollte, freilichkontraproduktiv. Es sollte vielmehr darum ge-hen, die Erwerbstätigkeit im Alter auszudeh-nen. In diesem Sinne fordert z.B. die OECD(1999, S. 21), die gesetzlichen Renten-, Steuer-und Sozialleistungssysteme so zu reformieren,dass finanzielle Anreize für den vorzeitigenEintritt in den Ruhestand genauso wie finan-zielle Negativanreize für einen späteren Ren-tenbeginn beseitigt werden.

Unabhängig davon, auf welchen Zeitpunktdas Regeleintrittsalter in die Rente festgelegtwird, gibt es drei Problemkreise, die dabei zubeachten sind:

(i) Bestehende Anreize, die Erwerbstätigkeitfrühzeitig einzustellen, sollten beseitigtwerden, ohne dass für diejenigen, die diesauch ohne solche Anreize beabsichtigen,ein früherer Renteneinstieg zu sehr er-schwert wird.

(ii) Für diejenigen, die dies möchten, solltenauch nach dem ordentlichen Renten-eintrittsalter Möglichkeiten zur Erwerbs-tätigkeit bestehen.

(iii) Es sollte möglich sein, den Übergang von der Erwerbstätigkeit in den Ruhe-stand fliessend zu gestalten. Dies kanndurch Altersteilzeit geschehen,wobei die-se schon vor dem ordentlichen Rentenal-ter einsetzen kann, wenn dafür die Er-werbstätigkeit über dieses Alter hinausentsprechend ausgedehnt wird.

Noch grundlegender ist jedoch die Frage,ob es überhaupt ein Regelrentenalter gebensoll. Die Pflicht, ab einem gewissen Alter dieBerufstätigkeit (zumindest in der bisher aus-geübten Form) einzustellen, kann als Alters-diskriminierung empfunden werden.40 Mitdieser Argumentation sind in den VereinigtenStaaten entsprechende Grenzen vom SupremeCourt als verfassungswidrig verboten wor-den.41 Dies schliesst nicht aus, dass ab einemgewissen Alter die Berechtigung zum Bezugeiner AHV-Rente gegeben ist; es dürfte auch in Zukunft sinnvoll sein, das Regelalter dafür allgemein bzw., wie oben ausgeführt wurde,nach Erreichen einer bestimmten Zahl vonBeitragsjahren festzulegen. Es muss ja nicht bedeuten, dass deshalb die Erwerbstätigkeiteingestellt wird. Sie könnte (zumindest in vie-len Bereichen) auch über dieses Alter hinausausgedehnt werden. Dabei wären alle Arbeits-einkommen, die nach Erreichen dieser Gren-ze anfallen, abgabenpflichtig. Würde diese Möglichkeit in erheblichem Umfang genutzt,könnte sich dadurch eine deutliche Entlastungbei der Finanzierung der AHV ergeben.

Dabei sind unterschiedliche Regelungendenkbar. Diejenigen, die noch keinen An-spruch auf die Maximalrente haben, könntenwahlweise entweder bis zum Erreichen diesesAnspruchs weiterhin AHV-Beiträge leistenund erst danach ihre Rente beziehen. Bereitsseit der 10. AHV-Revision im Jahr 1997 ist esmöglich, den AHV-Bezug um maximal fünfJahre hinauszuschieben. Allerdings wird dieseMöglichkeit bisher nur wenig genutzt.42 Siekönnten ihre AHV-Rente jedoch auch (versi-cherungsmathematisch neutral) mit einementsprechenden Abschlag beziehen. All jene,die bereits einen Anspruch auf die volle Rentehaben, sollten diese auch beziehen dürfen. Je-de andere Regelung würde zusätzliche Anreizesetzen, mit Erreichen dieses Alters die Er-werbstätigkeit aufzugeben.

39 Siehe hierzu Balthasar A. und Bieri O. (2003, S. 45) sowie Wanner P. (2005, S. 73).

40 Siehe hierzu Frey B. S., Altersdiskriminierung ist un-gerecht: Der Ausschluss von Senioren aus dem Erwerbs-leben schadet der Wirtschaft, NZZ am Sonntag Nr. 34vom 3. November 2002, S. 22.

41 In den Vereinigten Staaten wurde bereits im Jahr 1967ein Gesetz erlassen, welches Altersdiskriminierunguntersagt. Siehe hierzu http://www.dol.gov/dol/topic/discrimination/agedisc.htm.

42 Gemäss der Untersuchung von Balthasar A. und Bieri O.(2003, S. 167) wählten bisher nur 1,8 Prozent derjeni-gen, die das ordentliche AHV-Rentenalter erreicht haben, einen Aufschub. Freilich hätten 9,7 Prozentdiese Möglichkeit genutzt, wenn es ihnen zur Zeit ihrer Verrentung bereits möglich gewesen wäre. 8,4 Prozentderjenigen, die noch nicht im Rentenalter sind, ziehendiese Möglichkeit in Betracht.

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Jahresbericht 2005

49 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

Bei der zweiten Säule können dagegen indi-viduelle Regelungen gefunden werden, die denEinzelnen die Wahl zwischen einer längerenErwerbstätigkeit mit geringeren Beiträgen undeiner kürzeren Erwerbstätigkeit mit höherenBeitragszahlungen ermöglichen.43 Dies sollteversicherungsmathematisch neutral gesche-hen. Es gibt keinen Grund, weshalb hier vomStaat ein bestimmtes Regelalter vorgeschrie-ben werden muss. Tatsächlich gibt es bei deneinzelnen Pensionskassen bereits unterschied-liche Regelungen, wobei derzeit der Anspruchauf den vollen Rentenbezug freilich, soweit ervom Regelalter abweicht, früher und nicht später eintritt.

Dass das ordentliche Rentenalter einen er-heblichen Einfluss auf die Erwerbstätigkeit hat,ergibt sich aus der Reaktion der Frauen auf dieErhöhung des Rentenalters von 62 auf 63 Jahreim Jahr 2001, die unten in Abschnitt 4.1 be-schrieben ist. Aber auch wenn es kein offiziel-les Rentenregelalter mehr gäbe, würde das Al-ter, ab dem man Anspruch auf eine AHV-Rentehat, ein faktisches Rentenregelalter bedeuten.Zu diesem Zeitpunkt würde die Erwerbstätig-keit (kaum anders als beim jetzigen Regelren-tenalter) massiv zurückgehen.44 Schliesslich istein wesentlicher Grund dafür, dass Beschäftig-te nicht vorzeitig in Rente gehen, auch wenn sieprinzipiell die Möglichkeit dazu haben, dass siesich dies nicht leisten können.45 Dabei spielt dasEinkommen eine wesentliche Rolle: Im unters-ten Quartil (bis etwa 25 000 Franken Jahres-einkommen), d.h. dort, wo die AHV (in derRegel) das einzige Alterseinkommen darstellt,beträgt die Rate der Frühpensionierung nur10,1%, im obersten Quartil dagegen, d.h.bei Jahreseinkommen über 104 000 Franken,53,7%.46 Entsprechend nutzen 41,1% derjeni-gen, die über Mittel aus der beruflichen Vor-sorge verfügen, aber nur 10% derjenigen, diekeine Leistungen aus der zweiten Säule erhal-ten, die Möglichkeit der Frühpensionierung.47

Die Finanzierung über die zweite Säule ist da-für mit 61,4% auch die wichtigste Finanzie-rungsquelle, die von diesen auch sofort nachder Frühpensionierung in Anspruch genom-men wird.48 «Generell kann festgehalten wer-den: je höher das (projizierte) Guthaben derberuflichen Vorsorge, desto früher erfolgt derAltersrücktritt.»49 Insbesondere Bezieher nie-driger Einkommen würden daher länger arbei-ten, wenn das AHV-Alter heraufgesetzt würde.Sie sind schon heute oft über das gesetzlicheRentenalter hinaus erwerbstätig, wobei es sichhäufig um Selbstständige handelt.50

Nicht nur das ordentliche Rentenalter, son-dern auch jenes Alter, bei dem erstmalig einVorbezug der Rente in Anspruch genommenwerden kann, ist für die Erwerbstätigkeit wich-tig. Entsprechend den obigen Ausführungengilt dies freilich mehr für die berufliche Vorsor-

ge als für die AHV. Es gibt einen erheblichenProzentsatz von Arbeitnehmern mit hohemEinkommen (und hohen Rentenansprüchen),welche die früheste Möglichkeit der Verrentungnutzen.51 Will man eine höhere Erwerbs-tätigkeit in der Altersgruppe der 55- bis 64-Jährigen erreichen, macht es daher Sinn, dasMindestverrentungsalter hinaufzusetzen, wiees der Bundesrat kürzlich getan hat.52 Soweitder bei einer vorzeitigen Pensionierung er-folgende Rentenabschlag versicherungsmathe-matisch korrekt ist, gerät man damit freilich inKonflikt mit liberalen Prinzipien: Mit welchemRecht kann man von Menschen verlangen, dasssie erwerbstätig bleiben, wenn sie nach dem Ende ihrer Erwerbstätigkeit ausschliesslich vonihrem eigenen Vermögen leben wollen? Wel-chen Unterschied darf es dabei machen, ob essich um privates oder im Rahmen der beruf-lichen Vorsorge angelegtes Vermögen handelt?

Wichtiger – und ethisch weniger problema-tisch – aber dürften Massnahmen sein, die Teilzeitarbeit im Alter bzw. einen stärker gra-duellen Übergang von der Erwerbstätigkeit in den Ruhestand ermöglichen. Entsprechend R. Widmer und A. Sousa-Poza (2003, S. 23)sind 15% der Männer und 10% der Frauen, diedas Rentenalter überschritten haben, aber unter75 Jahre alt sind, arbeitswillig.53 Hier ist ein erhebliches Potenzial zur Steigerung der Er-werbstätigkeit vorhanden. Dabei sind unterden noch Erwerbstätigen viele Selbstständige,aber wenige Arbeitnehmer mit (früher) höhe-rem Einkommen.54 Es ist zu vermuten, dassdann, wenn Möglichkeiten eröffnet würden,auch bei dieser Gruppe die Bereitschaft zueiner Arbeit im Alter geweckt werden könnte.

Bei all dem soll nicht übersehen werden,dass die Schweiz im internationalen Vergleicheine recht günstige Situation aufweist. GemässOECD (2005, S. 148) ist das effektive Ren-tenalter männlicher Arbeitnehmer, welchesknapp über 62 Jahren liegt, nur in wenigenOECD-Staaten höher. Zudem hat die Schweizbei den 55- bis 64-Jährigen im internationalenVergleich die höchste Erwerbsbeteiligung, unddie steuerlichen Anreize, die dagegen sprechen,im Alter von 60 bzw. von 65 Jahren weiter einerErwerbstätigkeit nachzugehen, liegen unterdem Durchschnitt der OECD-Staaten. Ange-sichts der Bereitschaft vieler Menschen, auchim Alter noch zu arbeiten, bedeutet dies jedochnicht, dass die Politik nicht gefordert wäre: Essind Rahmenbedingungen zu schaffen, welchedie Erwerbstätigkeit im Alter attraktiver bzw.eher möglich machen.

3.6 Die Entwicklung der Erwerbstätig-keit (II): Erwerbstätigkeit der Frauen

Durch eine Erhöhung der Erwerbstätigkeitälterer Menschen kann die Last der demogra-

43 Hier kann auch das oben angesprochene Problem be-rücksichtigt werden, dass bei bestimmten Berufen derkörperliche Verschleiss höher und damit ein frühererRenteneintritt als im Durchschnitt gerechtfertigt ist.(Siehe hierzu auch unten Abschnitt 4.1.) Das Problem ist jedoch, dass vermutlich viele in den Berufen mitstarkem körperlichem Verschleiss keine (oder besten-falls eine sehr geringe) Absicherung durch die zweiteSäule besitzen, sodass sie diese Möglichkeit nichthaben.

44 Beim Erreichen des AHV-Alters geht in der Schweiz dieErwerbsquote bei den Männern von 41 auf 16 Prozentund bei den Frauen von 37 auf 9 Prozent zurück. Siehehierzu Widmer R. und Sousa-Poza A. (2003, S. 7) sowieauch Balthasar A. und Bieri O. (2003, S. 37f.).

45 Balthasar A. und Bieri O. (2003, S. 56) haben diejeni-gen, die nicht vorzeitig in Rente gehen (bzw. gegan-gen sind), nach ihren Motiven gefragt. 39,6 Prozentderjenigen, die das Rentenalter noch nicht erreicht haben, und 35,6 Prozent derjenigen, die es bereits er-reicht haben, gaben als Grund dafür an, dass sie es sichfinanziell nicht leisten können bzw. konnten. (Mehr-fachnennungen waren möglich.)

46 Siehe Balthasar A. und Bieri O. (2003, S. 70f.).47 Ebenda, S. 71.48 Ebenda, S. 174f.49 Ebenda, S. 151.50 Ebenda, S. 67f., 150.51 Dabei werden sie teilweise von ihren Arbeitgebern dazu

gedrängt, bzw. der vorzeitige Altersrücktritt wird vondiesen bezuschusst. 10.2 Prozent der Männer geben alsGrund für die Frühpensionierung ein attraktives Ange-bot des Arbeitgebers an. Siehe hierzu Abschnitt 4.1 so-wie Balthasar A. und Bieri O. (2003, S. 51).

52 Siehe: Kein Feierabend vor 58: Bundesrat krebst beimRenten-Mindestalter etwas zurück, Neue Zürcher Zei-tung Nr. 134 vom 11. Juni 2005, S. 13. – Selbstverständ-lich bedeutet dies nicht, dass eine frühere Verrentungvöllig unmöglich wird, sie kann, wenn der Arbeitgebersie wünscht, z.B. durch (fingierte) Lohnzahlungen, fürdie keine Leistung mehr vom Arbeitnehmer gefordertwird, bewerkstelligt werden. Diese Lösung ist aber zu-mindest für den Arbeitgeber sehr viel teurer als ein Ren-ten-Vorbezug, weshalb sie nur selten gewählt werdendürfte. Daher kann man davon ausgehen, dass das offi-zielle Mindestrentenalter trotz dieser Umgehungsmög-lichkeit einen erheblichen Einfluss auf das tatsächlicheVerhalten hat. Siehe hierzu auch OECD (1999, S. 49f.)

53 Deutlich höhere Anteile gelten für diejenigen Frauenund Männer, die bereits vor dem Erreichen des offiziel-len Rentenalters nicht mehr erwerbstätig sind. – Im Alter erwerbstätig sind nach Wanner P. (2005, S. 81) nurkapp 7 Prozent derjenigen, die das Rentenalter über-schritten haben. In der Untersuchung von Balthasar A.und Bieri O. (2003, S. 78) sind 12,7 Prozent der Frauenim Alter von 63 bis 71 Jahren und 19,5 Prozent der Män-ner im Alter von 65 bis 73 Jahren noch berufstätig. Sie-he hierzu auch die Angaben in Abschnitt 4.1.

54 Siehe hierzu Balthasar A. und Bieri O. (2003, S. 79).

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3. Wirtschaftliche Probleme einer alternden Bevölkerung. Übersicht und grundsätzliche Aspekte

50 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

fischen Entwicklung gemildert werden. Mankann jedoch auch versuchen, auf diese Ent-wicklung selbst Einfluss zu nehmen. Wie obenausgeführt wurde, kann dies entweder durchMassnahmen zur Erhöhung der Geburtenrateoder durch Zuwanderung geschehen. An-gesichts der hohen Ausländerquote dürfte einemassive Zuwanderung, selbst wenn sie wün-schenswert wäre, politisch nicht durchsetzbarsein. Zudem sind, wie die in Abschnitt 3.1 vor-gestellten Simulationen zeigen, die demogra-fischen Auswirkungen einer verstärkten Zu-wanderungspolitik eher begrenzt. Auch ergibtsich in dem Masse, wie die Ausländer integriertwerden und sich dabei auch im Fertilitätsver-halten an die schweizerische Bevölkerung an-passen, bestenfalls eine vorübergehende Ab-federung des Problems. Sollten sie sich jedochnicht integrieren, ergäben sich gerade bei hö-herer Fertilität der ausländischen Bevölkerungweitere soziale Probleme,die politisch kaum zubewältigen wären. Insofern scheidet eine be-wusste Zuwanderungspolitik als Beitrag zurLösung des Demografieproblems wohl aus.55

Damit stellt sich die Frage, ob und gegebe-nenfalls wie die Geburtenrate,die,wie oben ge-zeigt wurde, im internationalen Vergleich sehrniedrig ist, erhöht werden könnte. Dies be-dingt, dass die Vereinbarkeit von Familie undBeruf verbessert wird.56 Die geringe Fertilitäts-rate in der Schweiz hängt damit zusammen,dass diese Vereinbarkeit besonders schwierigist: Paare, die (mehrere) Kinder aufziehen wol-len, müssen dadurch im Regelfall auf gemein-same Vollzeiterwerbstätigkeit verzichten; einerder beiden Partner kann dann bestenfalls nocheine geringe Teilzeitarbeit verrichten. Diestrifft in unserer heutigen Gesellschaft in allerRegel die Frau. Gerade für hoch qualifizierteFrauen ist dies wenig attraktiv, da damit ihreKarrierechancen massiv reduziert, wenn nichtsogar ganz zunichte gemacht werden. Wie dieOECD kürzlich schreibt, führt dies dazu, dassin der Schweiz 40% aller gut ausgebildetenFrauen (mit tertiärem Bildungsabschluss) kinderlos bleiben.57

Eine bessere Vereinbarkeit von Familie undErwerbstätigkeit könnte nicht nur zu mehrKindern, sondern auch dazu führen, dass dieerwerbstätigen Frauen ihre Erwerbstätigkeitausdehnen.58 Zwar hat die Schweiz bei denMännern, vor allem aber bei den Frauen mit73,9% im Jahr 2004 eine der im internationa-len Vergleich höchsten Erwerbsquoten; sie liegtnur knapp unter derjenigen der skandina-vischen Länder Schweden, Norwegen und Dä-nemark und dürfte sich kaum mehr steigernlassen.59 Andererseits sind die effektiven Jah-resarbeitszeiten in der Schweiz trotz der relativlangen offiziellen Arbeitszeiten im internatio-nalen Vergleich zwar nicht kurz, aber auchnicht besonders lang: Mit 1556 Stunden liegen

sie nach Angaben der OECD an 19. Stelle; nur8 der 27 Staaten, für die Angaben gemacht wer-den, haben noch kürzere Jahresarbeitszeiten.60

Dies dürfte mit daran liegen, dass bei den Frau-en der Anteil jener, die nur wenige Stunden inder Woche arbeiten, relativ hoch und seit Be-ginn der Neunzigerjahre gestiegen ist,währendder Anteil der vollzeiterwerbstätigen Frauen indieser Zeit eher noch gesunken ist; für dieFrauen im Alter zwischen 30 und 50 Jahren lager unter 30%.61 Dadurch ist der Anteil der vollzeiterwerbstätigen an allen erwerbstätigenSchweizer Frauen zwischen 1991 und 2002 von53,4 auf 41,1% abgesunken.62

Dazu kommt, dass sich insbesondere fürFrauen mit höherem Einkommen dann, wennsie Kinder haben, eine volle Berufstätigkeit fi-nanziell oft gar nicht lohnt. Wie M. Bütler(2005) anhand der Situation im Kanton Zürichgezeigt hat, ist z.B. für verheiratete Frauen mitzwei Kindern und einem Einkommen von60 000 Franken (bei einem gleichzeitigen Ein-kommen des Ehemannes von 100 000 Franken)eine Berufstätigkeit, die über zwei Tage hinaus-geht, ein Negativgeschäft: Mit jedem weiterenTag in der Woche, den eine Frau erwerbstätigist, sinkt ihr Nettoeinkommen. Dies hängt zumeinen mit dem Steuersystem zusammen, wel-ches auf Bundesebene sowie in einer Reihe vonKantonen immer noch auf der traditionellenFamilienvorstellung vom alleinverdienendenEhemann basiert und verheiratete Zweitverdie-ner massiv diskriminiert. Noch bedeutendersind jedoch die Kinderbetreuungskosten: Mitjedem zusätzlichen Tag, den eine Frau arbeitet,steigen diese, während der Anspruch auföffentliche Unterstützung dafür zurückgeht.Zudem sind nach der bundesgerichtlichenRechtsprechung bis heute Kinderbetreuungs-kosten grundsätzlich nicht abzugsfähig.63

Dies bedeutet, dass insbesondere verheira-tete Frauen mit höherem Einkommen – unddas heisst auch mit besserer Qualifikation –sich vor eine merkwürdige Entscheidung ge-stellt sehen: Entweder, sie verzichten ganz aufKinder, was vierzig Prozent heute tun, und ha-ben dafür die Möglichkeit, sich voll ihrer be-ruflichen Entwicklung zu widmen. Dies isteine Ursache der niedrigen Geburtenziffer.Oder sie haben Kinder, reduzieren dann aberihre Erwerbstätigkeit sehr stark oder geben sieganz auf. Dies beeinträchtigt nicht nur kurz-fristig die wirtschaftliche Leistung in derSchweiz, sondern hat auch längerfristig nega-tive Konsequenzen, da dadurch wertvollesHumankapital verloren geht.

Wenn hier Änderungen eintreten sollen,geht kein Weg daran vorbei, dass für eine bes-sere Vereinbarung von Familie und Erwerbs-leben gesorgt wird. Hier ist auch die öffentlicheHand angesprochen, wenn auch mehr die Kantone und Gemeinden als der Bund. In Ab-

55 Dies schliesst nicht aus, dass die Schweiz eine sinnvolleEinwanderungspolitik verfolgt. Nur sollte man sich da-von keine wesentliche Entlastung der mit der demogra-fischen Entwicklung verbundenen Probleme verspre-chen.

56 Siehe hierzu auch die ausführliche Behandlung diesesAspekts in Abschnitt 4.4 dieses Berichts.

57 Siehe hierzu die Angaben in OECD (2004), insbesondereim Vergleich mit den Angaben über Dänemark in OECD(2002).

58 Siehe hierzu auch die entsprechenden Vorschläge derOECD in Bühler S. (2004).

59 Siehe OECD (2005a, S. 240). 60 Ebenda, S. 255. 61 Siehe unten Abschnitt 4.1, Grafik 4.2.2.62 Siehe Sozialbericht 2004, Kapitel 1, Abschnitt: Voll-

und Teilzeiterwerbstätigkeit, http://www.sidos.ch/socialreport/socialreport04/data/c1i07.htm

63 Siehe Kommission Familienbesteuerung (1998, S. 34f.)sowie die bundesgerichtliche Rechtsprechung z.B. ASA39, 513; ASA 56, 371. – Dies schliesst nicht aus, dassdiese Kosten dennoch in einigen Kantonen zumindestteilweise abzugsfähig sind.

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Jahresbericht 2005

51 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

schnitt 4.4 dieses Berichts wird gezeigt, dass –von den dort diskutierten möglichen Massnah-men – «Veränderungen im konkreten Angebotfamilienergänzender Betreuung die bestenAussichten haben, tatsächlich eine nennens-werte Ausdehnung der Erwerbstätigkeit vonFrauen sowie eine Erhöhung der Geburtenrateherbeizuführen» (S. 85). Dabei darf die Ein-kommensabhängigkeit der Kinderbetreuungs-kosten nicht so stark sein, dass der oben be-schriebene Effekt eines Einkommensverlustsbei stärkerer Erwerbstätigkeit hoch qualifizier-ter Frauen eintritt. Schliesslich kommt ein erheblicher Teil der Ausgaben, welche die öf-fentliche Hand dafür aufwendet, nicht nurkurzfristig durch die erhöhte Erwerbstätigkeitwieder herein, sondern auch langfristig, indembei den Frauen im erwerbstätigen Alter weni-ger Humankapital verloren geht.

Dass auch die steuerlichen Rahmenbedin-gungen angepasst werden müssen, d.h. dass die«Heiratsstrafe» im Steuersystem, soweit sienoch vorhanden ist,beseitigt werden muss,ver-steht sich von selbst. Darüber hinaus bedarf esjedoch auch organisatorischer Änderungen.64

Wir benötigen nicht nur mehr Kinderbetreu-ung auch im Kleinkindalter, sondern auch festeBlockzeiten in Schulen und Kindergärten undfür diejenigen, die dies wünschen, eine Ganz-tagsbetreuung der Kinder.65 Hier könnten dieskandinavischen Staaten als Vorbild dienen.Beiebenfalls hohem Pro-Kopf-Einkommen schaf-fen sie es u.a.durch ein vorbildliches System derKinderbetreuung, dass, wie Tabelle 3.4 zeigt,die Geburtenraten deutlich höher sind als inder Schweiz. Zwar schrumpfen auch diese Ge-sellschaften, aber eben langsamer, was auch zuniedrigeren für das Jahr 2050 zu erwartendenAlterslastquotienten führt.

Dass solche Massnahmen Wirkung zeigen,haben P.Apps und R. Rees (2004) in einer inter-national vergleichenden Studie gezeigt. Ländermit Individualbesteuerung und mit Unterstüt-zung in der Kinderbetreuung weisen gleichzei-tig eine höhere Erwerbsquote der Frauen sowieeinen höheren Anteil an vollzeiterwerbstätigenFrauen als auch eine höhere Geburtenrate auf.Wie in Abschnitt 4.4 ausgeführt wird, würde inder Schweiz eine derartige Massnahmenkom-bination dreierlei bewirken:(i) Familien mit kleinen oder mittleren Ein-

kommen würden vermehrt in die Lageversetzt, Zweiteinkommen zu erzielen,ohne dass dadurch ihre Geburtenratesinkt und/oder die Betreuung der Kinderdarunter leidet.

(ii) Für qualifizierte Frauen mit mittleren bishohen Einkommen würden grössere Teil-zeitpensen oder Vollzeitstellen attraktiv.

(iii) Gut ausgebildete Frauen hätten einen zu-sätzlichen Anreiz, überhaupt oder mehrKinder zu bekommen.

Dafür, dass eine solche Politik positive Aus-wirkungen auf die Geburtenrate hätte, spricht,dass in der Schweiz der Wunsch nach Kinderndie tatsächliche Zahl der Geburten übersteigtund dass die Unvereinbarkeit von Familien-gründung und Berufskarriere in Umfragenhäufig als Grund für die geringe Kinderzahl angegeben wird.66 Andererseits würde sich diedemografische Situation in der Schweiz da-durch auch nicht vollständig ändern. Der Kin-derwunsch hängt auch, aber nicht nur von deninstitutionellen Faktoren wie den Möglich-keiten der Kinderbetreuung ab. Wichtig istauch die generelle Einstellung gegenüber Kin-dern, und man muss sich fragen, inwieweit diese positiv ist. Je älter eine Gesellschaft ist,desto mehr werden Kinder möglicherweise alsstörend empfunden, schon wegen des Lärms,den sie naturgemäss verursachen. Gegen sol-chen Lärm wird zum Teil bereits gerichtlichvorgegangen.67 Hier könnte ein Teufelskreisentstehen: Je älter eine Gesellschaft ist, destonotwendiger sind Kinder, um ihr Überleben zusichern, aber desto weniger tolerant ist siegegenüber Kindern. Es läge damit auch an derPolitik, auf eine kinderfreundlichere Gesell-schaft hinzuwirken. Die Möglichkeiten dazusind freilich sehr begrenzt.

3.7 Die Entwicklung der Gesundheits-und Pflegekosten

Mit dem Alter nimmt auch die Inan-spruchnahme von Leistungen des Gesund-heitssystems deutlich zu. Dies betrifft zum einen medizinische, zum anderen Pflegeleis-tungen. In Gegensatz zum Augenschein hat P. Zweifel (1990, 1990a) die These vertreten(und empirisch untermauert), dass die Alte-rung der Bevölkerung keinen signifikantenEinfluss auf die Gesundheitskosten hat, da diewesentlichen Kosten jeweils innerhalb der letz-ten beiden Lebensjahre auftreten, und zwarvergleichsweise unabhängig davon, wie alt die Patienten kurz vor ihrem Tod sind. Diesschliesst freilich nicht aus, dass die Alterungnicht doch insofern einen Einfluss hat, als älte-re Menschen auch dann, wenn sie relativ ge-sund sind, mehr medizinischer Unterstützungbedürfen als jüngere Menschen.Auch ist damitnicht ausgeschlossen, dass es über das Zu-sammenwirken von technischem Fortschrittin der Medizin und der dadurch bewirkten Erhöhung der Lebenserwartung nicht doch zu einem zumindest indirekten Einfluss der de-mografischen Entwicklung auf die Gesund-heitskosten kommt.

F. Outreville (2001) hat dies anhand einerStichprobe von etwa 15 000 Versicherten un-tersucht, die über eine grosse internationaleOrganisation in Genf versichert sind und imWesentlichen in der Schweiz, Frankreich sowie

64 Zu den institutionellen Faktoren, welche die Vereinbar-keit von Familie und Beruf erschweren, siehe auch Mühl-eisen S. und Widmer R. (2004).

65 Zu Blockzeiten siehe Wirz B. (2004), zu den Auswirkun-gen von Tagesschulen, die nicht nur für die Müttersondern auch für die Kinder positiv sind, siehe z.B.Aeberli C. und Binder H. M. (2005).

66 Siehe hierzu Küng Gugler A. (2004, S. 10) sowie die dortangegebenen Referenzen.

67 Siehe hierzu z.B.: Aus dem Bundesgericht: Der Spiel-platz als Lärmquelle – Umweltschutzrecht grundsätzlichanwendbar, Neue Zürcher Zeitung Nr. 72 vom 27. März1997, S. 16.

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3. Wirtschaftliche Probleme einer alternden Bevölkerung. Übersicht und grundsätzliche Aspekte

52 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

im Rest von Europa wohnen. Dabei zeigt sich, dass einerseits bei den Über-70-Jährigen,die gestorben sind, die Kosten für die letztenzwei Jahre deutlich zurückgehen, dass aber beidenjenigen, die überlebt haben, die Kos-ten deutlich angestiegen sind: Sie liegen bei den 80- bis 89-Jährigen etwa dreimal so hoch wie bei den 30- bis 39-Jährigen. Dies bedeutet,dass zwar ein erheblicher Teil des Anstiegs tatsächlich durch die mit höherem Alter steigende Mortalität und nicht direkt durch das Alter erklärt wird, dass aber das Alter den-noch einen nicht zu vernachlässigenden Ein-fluss hat.

Bedeutsamer sind jedoch die mit dem Alterzunehmenden Pflegekosten. Nimmt man dieKosten für die Pflegeheime und für die Spitexzusammen, betrugen die Pflegekosten im Jahr2003 7,2 Milliarden Franken; dies sind 14,5%der Gesundheitsausgaben.68 Für den Zeitraumvon 2001 bis 2030 wird in einer Studie des Obsan/Irer (2004) mit einer realen Steige-rung von knapp 125% (bzw. 2,7% pro Jahr) gerechnet, was einen Betrag von 12,5 Milliar-den Franken bzw. 2,7% des Bruttoinlandpro-dukts ergeben würde. Die hohen Kosten rüh-ren daher, dass heute bereits 195 000 Personendurch Hauspflege und 80 000 Personen in Pfle-geheimen betreut werden müssen, da sie nichtmehr in der Lage sind, ein eigenständiges Le-ben zu führen. Dabei bestehen zwischen denKantonen erhebliche Unterschiede. Währendin den Kantonen Waadt, Wallis und Jura sichnur etwas weniger als 15% der 80-jährigen ininstitutioneller Pflege befinden, sind es imKanton Schaffhausen mehr als 25% und imKanton Glarus sogar mehr als 32% dieser Be-völkerungsgruppe.69

Die dabei berücksichtigten Kosten sind frei-lich nur ein Teil der gesellschaftlich relevantenKosten; den restlichen Teil bilden die im Hausvon den Angehörigen erbrachten Leistungen.Mit zunehmender Alterung der Bevölkerungwird sich nicht nur der Anteil der Pflege-bedürftigen an der Bevölkerung erhöhen, son-dern es muss auch damit gerechnet werden,dass der Anteil der von den Angehörigen er-brachten Leistungen abnimmt. Dies ergibt sichschon allein daraus, dass pflegebedürftige Alteweniger Kinder haben, die diese Funktion aus-üben können.70 Daher ist mit Kostensteige-rungen zu rechnen, die über das hinausgehen,was mit der demografischen Entwicklungzwangsläufig verbunden ist. So rechnen z.B. B.Fuhrer et al. (2003, S. 18) bis zum Jahr 2040 mit einer durchschnittlichen Kostensteigerungvon 2,8% pro Jahr.Von diesem Anstieg von ins-gesamt 208% ist jedoch nur ein gutes Dritteldemografisch bedingt. Der Rest geht auf an-dere Entwicklungen zurück. Dabei dürfte auchder medizinisch-technische Fortschritt eineRolle spielen.

Seit Inkrafttreten des Krankenversiche-rungsgesetzes (KVG) im Jahr 1996 werden dieKosten der Langzeitpflege zum Teil von derobligatorischen Krankenversicherung über-nommen, und zwar unabhängig davon, ob diese Pflege in einem Krankenhaus, einemPflegeheim oder als Hauspflege erbracht wird:Abgedeckt werden sowohl die Diagnose- undBehandlungskosten als auch die Hilfe an Per-sonen mit beschränkter Selbstständigkeit, dieauf Unterstützung bei alltäglichen Verrichtun-gen angewiesen sind. Die sonstigen Leistun-gen, wie z.B. eine Haushalthilfe oder die Unter-bringung in einem Pflegeheim, gehen zuLasten der Patienten, die jedoch Leistungenvon den Sozialversicherungen erhalten kön-nen. Verfügen sie über keine ausreichenden eigenen Mittel, um die Restkosten zu beglei-chen,haben sie Anspruch auf Zusatzleistungender AHV oder auf Sozialhilfe. Bei einkom-mensschwachen Personen wird der grösste Teilder Kosten daher durch öffentliche Beiträgegedeckt. Für Personen mit mittlerem Einkom-men und etwas Vermögen kann sich ein Heim-aufenthalt dagegen als sehr teuer erweisen; sieverlieren möglicherweise ihr gesamtes Vermö-gen und sind, wenn das Einkommen nicht aus-reicht, später ebenfalls auf Leistungen der öf-fentlichen Hand angewiesen. Tatsächlichreichen die Ersparnisse bei einem Grossteil derBevölkerung nicht aus, um die Kosten zu tra-gen, falls jemand im Alter schwer pflegebe-dürftig ist. Die Finanzierung der Langzeit-pflege bildet somit heute eines der wenigenSozialrisiken, welches von der Sozialversiche-rung nicht ausreichend gedeckt ist.

Damit stellt sich zunächst die Frage, ob einePflichtversicherung eingeführt werden soll.Eine obligatorische Pflegeversicherung solltedie bisher von den Krankenkassen übernom-menen Kosten, vor allem aber jene Kostendecken, die sich aus einem Heimaufenthalt er-geben. Ähnlich wie die obligatorische Kran-kenversicherung müsste sie auf dem Solidari-tätsprinzip aufbauen: Es könnte (und solltevermutlich auch) eine Prämienabstufung nachEintrittsalter geben, aber nicht nach indivi-duellem Risiko. Da damit ein Problem dernegativen Auslese verbunden ist, müsste, wennman keine Einheitskasse will, wie bei der Kran-kenversicherung auch hier ein Risikoausgleicheingeführt werden. Sonst wären die Versiche-rungen versucht, sich gegenseitig die schlech-ten Risiken zuzuschieben. Ausserdem wärevermutlich für Bürgerinnen und Bürger mitniedrigem Einkommen eine staatliche Prä-mienverbilligung erforderlich.

Man kann jedoch auch den heutigen Zu-stand beibehalten und auf eine Pflichtversi-cherung verzichten. Die mögliche freiwilligeZusatzversicherung zur Deckung der Kosteneines Heimaufenthalts wird, soweit dies über-

68 Siehe Bundesamt für Statistik, 50 Milliarden für das Gesundheitswesen, Medienmitteilung, Neuchâtel, 21. März 2005.http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/the-men/gesundheit/uebersicht/blank/medienmitteilun-gen.html

69 Siehe hierzu Guilley E. (2005).70 Eine Rolle dürften dabei auch die abnehmende Bedeu-

tung des traditionellen Familienverbands sowie die gestiegene Mobilität spielen.

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Jahresbericht 2005

53 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

haupt einschätzbar ist, Prämien entsprechenddem individuellen Risiko kennen. Bürgerin-nen und Bürger mit niedrigem Einkommenund/oder Vermögen würden sich dann ver-mutlich nicht versichern, da sie, wie ausgeführtwurde, heute faktisch durch den Staat versi-chert sind und wenige Anreize hätten, für eineprivate Zusatzversicherung Prämien zu bezah-len. In Anspruch nehmen würden eine solcheVersicherung – wenn überhaupt jemand – imWesentlichen Bürgerinnen und Bürger mit höherem Einkommen und/oder Vermögen,die Letzteres schützen möchten, um es verer-ben zu können. Faktisch läuft dies auf eineUmverteilung innerhalb der Gruppe der «Rei-chen» hinaus, und zwar von denjenigen, dienicht pflegebedürftig werden, zugunsten derPflegebedürftigen, während der Rest der Be-völkerung davon nicht betroffen, sonderndurch den Staat (und die obligatorische Kran-kenversicherung) faktisch versichert ist.71

Private Versicherungen haben in diesemFeld freilich einen wesentlichen Nachteil: Siesind gut geeignet, Risiken innerhalb einer Ko-horte auszugleichen, aber weniger dazu, Risi-ken, die sich für alle Mitglieder einer Kohorteergeben. Dies aber ist bei der Pflegeversiche-rung relevant, da die Entwicklungen innerhalbeiner Kohorte nicht unabhängig voneinanderund zudem zeitlich korreliert sind. Tatsächlichist es auch kaum möglich, das Pflegerisiko vollzu versichern; es wird in aller Regel durch diemaximale Anzahl der Pflegetage und/oder diemaximal zu erhaltene Summe begrenzt.72 Da-mit aber sind solche Versicherungen für die Al-terspflege nur wenig interessant, sie eignen sichbestenfalls z.B. zur Abdeckung der Kosten vonKuraufenthalten. Dementsprechend ist auchdie Nachfrage nach entsprechenden Versiche-rungen gering.73 Ohne die Einführung einerobligatorischen Versicherung wird somit derGrossteil der Bevölkerung weiterhin ohne Ver-sicherung bleiben. Wenn dennoch sicher-gestellt ist, dass die Kosten einer angemessenenPflege dann, wenn sie von den Individuennicht getragen werden können, vom Staat bzw.von der Krankenkasse übernommen werden,muss dies nicht unbedingt als Problem ange-sehen werden.

Gegenüber einer echten Versicherungs-lösung hat das heutige System den Vorteil, dasses zumindest für jene Betroffenen mit höhe-rem Einkommen bzw. Vermögen stärkere An-reize bietet, auf die Kosten zu achten. Für dieIndividuen mit kleinerem Vermögen setzt esfreilich Anreize, dieses Vermögen auszugeben,da es im Zweifelsfall sowieso verloren ist. Dassdieses Argument grössere Bedeutung hat, kannjedoch bezweifelt werden. Schliesslich sparenheute viele Bezieher kleiner und mittlerer Ein-kommen, obwohl ihre Ersparnis nie so grosssein wird, dass sie damit eine länger erforder-

liche Pflege finanzieren könnten. Sie spürendiesen Anreiz offensichtlich nicht.

Unabhängig davon, ob eine Pflichtversiche-rung eingeführt werden soll, besteht die Auf-gabe, den Anstieg der Pflegekosten (ohne Ver-ringerung der Qualität) so niedrig wie möglichzu halten. Es geht um eine Steigerung der Effizienz. Hierzu bestehen Möglichkeiten z.B.durch Deregulierung. Auch könnte man an einSystem mit Gutscheinen denken, wie es von P. Zweifel et al. (1994) vorgeschlagen wurde.Ein solcher Gutschein ist nichts anderes alseine Beihilfe, die nur zu einem bestimmtenZweck eingesetzt werden kann, aber dem Emp-fänger gestattet, Leistungen beim Erbringerseiner Wahl zu beziehen. Er würde den Preisder bei einem effizienten Erbringer bezogenenLeistung decken, wenn der Inhaber nicht über eigene Mittel verfügt. Kann der Begünstigte dieKosten ganz oder teilweise selbst übernehmen,verringert sich der Wert des Gutscheins ent-sprechend. Als Konsequenz daraus sollten alledirekten Hilfen an die Pflegeheime oder Haus-halthilfen verschwinden. Damit haben, soweiteine Auswahl besteht, die Betroffenen (bzw.ihre Angehörigen) die Möglichkeit und einenAnreiz, im Pflegebereich qualitativ hochwerti-ge Leistungen zu günstigen Preisen nachzufra-gen, d.h. auf ein gutes Preis-Leistungs-Verhält-nis zu achten.

Weiterhin ist zu überlegen, inwieweit dieVersicherung (oder der Staat) Entschädigun-gen an Familienangehörige ausrichten soll, diePflegeleistungen erbringen. Damit könntenAnreize geschaffen werden, dass die Pflege wie-der vermehrt im Haus stattfindet. Da diese imAllgemeinen sehr viel kostengünstiger ist eineHeimpflege, könnten damit deutliche Einspa-rungen verbunden sein. Andererseits bestehtdie Gefahr von «Mitnahmeeffekten», d.h. fürLeistungen, die bisher unentgeltlich erbrachtwerden, würden dann finanzielle Ansprüchean die Versicherung (und/oder den Staat) ge-stellt.

Wie immer man die Finanzierung der Al-terspflege ausgestaltet: Man muss in Rechnungstellen, dass sich die Kosten dieser Pflege, wel-che die Gesellschaft zu tragen hat, erhöhenwerden, wenn man den Grundsatz nicht ver-letzen will, dass auch Bürgerinnen und Bürgermit geringem Einkommen ein Anrecht aufeine menschenwürdige Pflege haben. Mass-nahmen zur Erhöhung der Effizienz könnenein- oder auch mehrmalige Verringerungender Kosten bringen, aber sie können den durchdie demografische Entwicklung bedingtenKostenanstieg nicht längerfristig neutralisie-ren. Die Finanzierung der Pflege ist jedochnicht nur als Problem einer alternden Bevöl-kerung zu sehen, sondern allgemein als Ele-ment einer vernünftigen Organisation des Ge-sundheitswesens.Dass in diesem Bereich in der

71 Tatsächlich ist er jedoch nicht vollständig versichert, daheute ein jährlicher Höchstbetrag für Ergänzungs-leistungen von 30 000 Franken gilt. Nach dem Willendes Bundesrats soll dieser jedoch im Rahmen einer Neu-ordnung der Pflegefinanzierung aufgehoben werden.Siehe hierzu Bundesrat (2005).

72 Dies gilt nicht nur für die Schweiz, sondern auch für an-dere Länder. Siehe hierzu sowie zu weiteren Gründendafür, dass das Pflegerisiko privat nicht voll versichertwerden kann, Cutler D. (1993).

73 Siehe hierzu auch Pauly M.V. (1990).

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3. Wirtschaftliche Probleme einer alternden Bevölkerung. Übersicht und grundsätzliche Aspekte

54 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

Schweiz Handlungsbedarf besteht, dürfte un-bestritten sein. Darauf kann und soll freilich indiesem Bericht nicht eingegangen werden.

3.8 Zur politischen Ökonomie desAlterungsprozesses

Wie immer man es wendet und dreht: Wirwerden an einschneidenden Änderungennicht vorbeikommen. Bei der AHV wie bei derPensionskasse müssen die Leistungen für dieRentner gekürzt, die Beiträge für die noch Erwerbstätigen erhöht und/oder andere Fi-nanzierungsquellen erschlossen werden. Dieskann zwar durch eine Erhöhung der Erwerbs-tätigkeit und/oder der Geburtenrate etwas ge-mindert werden, aber die grundsätzliche Pro-blematik bleibt bestehen. Dazu kommen diezusätzlichen Belastungen aus dem Gesund-heitswesen, insbesondere durch die Alten-pflege.

Im Prinzip hat die Schweiz mit ihrem drei- Säulen-Konzept eine Lösung für dieAltersvorsorge gefunden, die – nach Ansichtder OECD wie auch der meisten Ökonomen –von der Grundkonzeption her sehr sinnvollist.74 Dennoch stellt sich auch bei uns die Frage,wie die erforderlichen Veränderungen poli-tisch durchgesetzt werden können, bevor dasSystem zusammenbricht.75 In der Vergangen-heit ist die Politik dieser Frage eher ausgewi-chen, als dass sie Antworten angeboten hätte.Und dort, wo – wie beim Vorschlag, das Regel-rentenalter auf 67 zu erhöhen – entsprechendeAngebote gemacht wurden, sind sie in derÖffentlichkeit auf wenig Gegenliebe gestossen.Dies gilt, wie die Ablehnung der 11. AHV-Revision gezeigt hat, sowohl für die Beitrags-wie auch für die Leistungsseite.

In der Demokratie muss im Prinzip jedegrundlegende Änderung in der Politik die Zustimmung der Mehrheit der Abstimmen-den finden. Dies gilt explizit in der direktenDemokratie der Schweiz, aber es gilt, wie dieDebatten über die Reform der Sozialversiche-rung in unseren Nachbarländern Frankreichund Deutschland zeigen, auch in rein reprä-sentativen Systemen. Daher hat die demogra-fische Entwicklung auch Auswirkungen auf diepolitische Akzeptanz von Reformvorschlägenbezüglich der sozialen Sicherungssysteme, ins-besondere bezüglich der Altersvorsorge.

Hier besteht ein prinzipieller Interessen-gegensatz zwischen den «Alten» und den «Jun-gen» in einer Gesellschaft. Im Abwägen zwi-schen einer Kürzung der laufenden Leistungenund einer Erhöhung der Beiträge zur lang-fristigen Sanierung eines Sozialwerkes werdendie Alten in der Tendenz einer Erhöhung derBeiträge den Vorzug geben,die Jungen dagegeneher einer Kürzung der Leistungen.76 Dabei ge-hören zu den «Alten» nicht nur die nicht mehr

Erwerbstätigen, sondern auch jene, die «relativbald» in Rente gehen werden: all jene, für die der abdiskontierte Wert zukünftiger Leistungskürzungen grösser ist als derjenigehöhere Beitragszahlungen,die sie bis zum Ren-tenantritt noch zu leisten haben. Je älter eineGesellschaft ist, desto grösser ist somit der An-teil jener, die sich gegen Leistungskürzungenwehren bzw. sogar einen Ausbau fordern.

Etwas anders sieht es bei einer Heraufset-zung des Rentenalters aus, da davon diejeni-gen, die bereits in Rente sind, nicht betroffensind. Verschiebt man die Wirksamkeit der Re-form in die (mittlere) Zukunft, so sind auch je-ne nicht betroffen, die in den nächsten Jahrendas Rentenalter erreichen werden. Insofernkönnte, wie M. Bütler (2000) in einem Simu-lationsmodell gezeigt hat, die Heraufsetzungdes Rentenalters noch jene Reform sein, diepolitisch am ehesten durchsetzbar ist.

In diesem «Generationenkrieg», wie er heu-te gelegentlich bezeichnet wird, sind auf der einen Seite die Alten, die auf ihre wohlerwor-benen Ansprüche pochen und die im übrigenheute auch Front gegen den «Jugendkult» inunserer Gesellschaft machen.77 Auf der ande-ren Seite stehen die Jungen, die ein weitgehendes Recht auf die Erträge ihrer Arbeitgeltend machen. Würden durch eine Verwei-gerung von Reformen die von ihnen zu leis-tenden Beiträge stark ansteigen, könnten sieimmer stärker versucht sein, diese Last auflegalem oder auch auf illegalem Weg zu ver-ringern, indem sie z.B. in die Schattenwirt-schaft ausweichen (oder auch auswandern).Dies kann wieder einen Teufelskreis auslösen,da die dadurch verringerten Beitragszahlun-gen höhere Sätze erfordern, um die Leistungenbeibehalten zu können, was wiederum zusätz-liche Anreize zum Ausweichen in die Schatten-wirtschaft erzeugt.

Ein Ausgleich zwischen den Interessen derAlten und der Jungen ist somit politisch umsoschwieriger durchzusetzen, je älter die Gesell-schaft ist, bzw. (in der Situation der Schweiz) jelänger mit entsprechenden Massnahmen ge-wartet wird. Dies spricht dafür, die erforder-lichen Reformen möglichst bald anzugehen,selbst wenn (z.B. bei der AHV) derzeit kein aktueller Handlungsbedarf gesehen werdensollte.78 In zehn Jahren wird es bereits sehr vielschwieriger sein, die erforderlichen Schrittepolitisch akzeptiert zu bekommen.

74 Siehe hierzu OECD (2004a, A. 69).75 Zur politischen Ökonomie von Rentenreformen siehe

z.B. Casamatta G., Cremer H. und Pestieau P. (2001),Galasso V. und Profeta V. (2002) sowie die Übersicht inde Walque G. (2005).

76 Dieser Konflikt ist besonders stark in einer demografi-schen Übergangsperiode, d.h. bevor die Bevölkerungwieder eine stabile Struktur erhalten hat. Wie oben ge-zeigt wurde, ist in dieser Periode die Alterslastquote be-sonders hoch. Der Konflikt wird beim Umlageverfahrenbesonders deutlich, aber er tritt – zumindest bei Gültig-keit bestimmter Regulierungen – auch beim Kapital-deckungsverfahren auf.

77 Siehe hierzu z.B. Schirrmacher J. (2004, 63ff.), der hiervon einer «Verschwörung» bzw. einem «Komplott» re-det, oder die Aktivitäten des Büros gegen Altersdiskri-minierung e.V. in Deutschland (http:// www.altersdiskriminierung.de/).

78 So z.B. der Präsident des Kaufmännischen VerbandesSchweiz, Tschäppät A., in einem Interview(http://www.kvschweiz.ch/sw 7921.asp).

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56 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

4.1 Erwerbstätigkeit im Alter und institutionelle Anreize

4.1.1 Einleitung

Das Bundesamt für Statistik prognostiziertfür die nächsten Dekaden eine massive Alte-rung der Bevölkerung. Der Altersquotient, wel-cher das Verhältnis der über 64-Jährigen an derBevölkerung im erwerbsfähigen Alter (20–64)misst, wird von einem Niveau von 25 des Jah-res 2000 auf über 40 ab 2030 anwachsen (BFS2002). Während sich heutzutage jeder Rentnerauf vier Personen im erwerbsfähigen Alter stüt-zen kann, sinkt dieses Verhältnis bald auf unter2,5 ab. Die Konsequenzen dieser demografi-schen Entwicklung betreffen viele gesellschaft-liche Bereiche, darunter insbesondere die So-zialversicherungen und den Arbeitsmarkt.

In dieser Situation verdient insbesonderedie Erwerbsbeteiligung älterer ArbeitnehmerAufmerksamkeit. Sie nimmt im Gefüge derAuswirkungen des gesellschaftlichen Alte-rungsprozesses eine Schlüsselposition ein: DieErwerbsbeteiligung älterer Arbeitnehmer isteine entscheidende Determinante sowohl derfinanziellen Zuflüsse als auch der Abflüsse ausden Alterssicherungssystemen. Je länger undintensiver gearbeitet wird, umso länger undhöher können den Alterssicherungsinstitutio-nen Beitragseinnahmen zufliessen und umsogeringer sind die zu finanzierenden Rentenund Pensionen.

Daher widmet sich dieser Beitrag der Be-schreibung und Analyse des Erwerbsverhaltens

älterer Arbeitnehmer in der Schweiz. Dernächste Abschnitt beschreibt zunächst die Er-werbsquoten der Männer und Frauen mitBlick auf die Entwicklung der letzten Dekade.Die entscheidende Frage für die institutionel-le Ausgestaltung der Alterssicherungssystemein den nächsten Jahren ist, ob und wieweit sichdas Verhalten der Arbeitnehmer durch Anreiz-mechanismen steuern lässt. Dieser Thematikwidmen sich die nächsten beiden Abschnitte.Zunächst wird ein Überblick über die Befundeder internationalen Literatur zur Reaktion vonälteren Beschäftigten auf Anreize aus dem Ren-tenversicherungssystem gegeben. Anschlies-send werten wir schweizerische Daten aus, diedie Auswirkungen der Änderungen der Rege-lungen zum Rentenvorbezug der AHV auf dasRentenzugangsverhalten der letzten Jahre do-kumentieren. Im letzten Abschnitt diskutierenwir die Konsequenzen aus diesen Befunden fürmögliche weitere regulatorische Anpassungenbei den schweizerischen Alterssicherungsinsti-tutionen.

4.1.2 Bestandsaufnahme: Erwerbstätigkeit älterer Arbeitnehmer in der Schweiz und Musterder Frühpensionierung

Im internationalen Vergleich ist die Er-werbsneigung der schweizerischen Bevölke-rung hoch. Dies gilt sowohl für Männer alsauch für Frauen und besonders für die höhe-ren Altersgruppen. So zeigt Grafik 4.1 diemittlere Erwerbsbeteiligung der Altersgrup-pen 55 bis 64 für eine Auswahl von OECD-Ländern mit zum Teil markanten Unterschie-den. Während in der Schweiz in diesemZeitraum mehr als 70% der Bevölkerung er-werbstätig war, lagen die Raten in den Nach-barländern Deutschland und Frankreich beizirka 38 und in Italien bei nur 27%.

Die Grafiken 4.2 und 4.3 beschreiben dieMuster der Erwerbsbeteiligung, wie sie in derSchweiz zwischen 1991 und 2003 vorherrsch-ten, und differenzieren in der Betrachtung derErwerbsbevölkerung nach Alter, Geschlechtund Grad der Erwerbstätigkeit.

Ein Vergleich über die verschiedenen Al-tersgruppen hinweg ergibt für die vollzeitbe-schäftigten Männer das erwartete Bild. Die Er-werbsneigung ist in den Altersjahren 31 bis 50am höchsten und sinkt dann mit steigendemAlter deutlich ab bis auf weniger als 10% fürdie über 65-Jährigen. Interessant sind die Ent-wicklungen, die sich hier für die letzte Dekadeerkennen lassen. Die Neigung zur Vollzeit-erwerbstätigkeit ist in allen Altersgruppen ge-

4. Analysen zu ausgewählten Themen

Grafik 4.1: Erwerbsbeteiligung von 55- bis 64-Jährigen im internationalen Vergleich (Mittelwerte 1996–2000)

70.9

66.463.6 63.5

57.2 55.751.6

48.945.7

43.8 42.238.3 37.8

33.7 33.5

28.9 27.423.2

0

10

20

30

40

50

60

70

80

Schw

eiz

Norweg

en

Schw

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Belgi

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Länder

Erw

erbs

quot

en in

%

Quelle: OECD, Employment Outlook (verschiedene Jahre), übernommen aus Dorn und Sousa-Poza, 2003.

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Jahresbericht 2005

57 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

fallen und insbesondere bei den gerade über60-Jährigen von 54 auf 43% um zirka ein Fünftel zurückgegangen. Dieser Trend zumfrühen Arbeitsmarktaustritt ist gerade vor demHintergrund der demografischen Alterungproblematisch.

Bei den Frauen finden wir für alle Alters-gruppen deutlich niedrigere Raten der Vollzeit-erwerbstätigkeit als bei den Männern. Hier istdie Vollzeiterwerbstätigkeit für die jüngste Al-tersgruppe der 15- bis 30-Jährigen am stärks-ten ausgeprägt und fällt dann mit dem Alter

weiter ab. Interessant ist, dass im Gegensatz zuden Männern kein klarer negativer Trend überdie Zeit sichtbar wird.

Die Unterschiede zwischen den Geschlech-tern werden insbesondere bei Betrachtung derGrafiken 4.4 und 4.5 deutlich, in denen dieTeilzeiterwerbstätigkeit beschrieben wird1.Hier liegen die Werte für die Männer erwar-tungsgemäss deutlich unterhalb derjenigender Frauen. In der Altersgruppe der 51- bis 60-Jährigen sind zirka 7% aller Männer und 45%aller Frauen teilzeiterwerbstätig. Der Unter-schied reduziert sich deutlich in der Alters-gruppe der 61- bis 65-Jährigen für die einemTeilzeitanteil von 13% der Männer 24% derFrauen gegenüberstehen.Für beide Geschlech-ter lässt sich hier in den letzten Jahren ein leich-ter Aufwärtstrend feststellen.

Da ein Rückgang der Vollzeiterwerbstätig-keit durch einen Anstieg der Teilzeiterwerbs-tätigkeit ausgeglichen werden kann, ist es vonInteresse, die Entwicklung der Summe der Er-werbsquoten über die Zeit zu betrachten. Ta-belle 4.1 zeigt die Gesamterwerbsquoten derälteren Altersgruppen für drei Jahre der be-trachteten Periode. Die Ergebnisse machendeutlich, dass der Rückgang der Vollzeit-erwerbstätigkeit der Männer nicht durch An-stiege bei der Teilzeiterwerbstätigkeit kompen-siert werden. Bei den Frauen ergibt sich ausdem Anstieg der Erwerbsneigung in beiden Be-schäftigungsbereichen ein Anstieg der Arbeits-marktpartizipation für die Altersgruppen un-ter Alter 66.

Um die Heterogenität der aufgezeigten Mus-ter zu verdeutlichen, kann man die Erwerbs-neigung der drei schweizerischen Sprachregio-nen separat betrachten. Die Grafiken 4.6 und4.7 bieten eine entsprechende Aufteilung fürvollzeiterwerbstätige Männer und Frauen imAlter 51 bis 65. Es zeigen sich ähnlich fallendeTendenzen für die Erwerbsbeteiligung derMänner in allen drei Sprachregionen, jedochmit deutlichen Niveauunterschieden. Diehöchste Erwerbsbeteiligung findet sich in derdeutschsprachigen und die niedrigste Er-werbsbeteiligung in der italienischsprachigenSchweiz. Regionale Unterschiede ergeben sichauch bei den Vollzeiterwerbsquoten der Frau-en. Wiederum ist die Vollzeiterwerbsneigungim Tessin am geringsten, aber hier liegt dieRomandie leicht vor der deutschsprachigenSchweiz.

Angesichts des Trends zum früherenAustritt aus dem Arbeitsmarkt stellt sich dieFrage, welche Beweggründe die Arbeitnehmerzu einem solchen Schritt veranlassen. Um die-ser Frage nachzugehen, wurde im Rahmen derSchweizerischen Arbeitskräfteerhebung desJahres 2002 erstmals bei den Betroffenen nachden Gründen für die Frühpensionierung ge-fragt (vgl. auch Wanner et al. 2004). Tabelle 4.2

Grafik 4.2: Vollzeiterwerbsquoten Männer

0.00%

10.00%

20.00%

30.00%

40.00%

50.00%

60.00%

70.00%

80.00%

90.00%

100.00%

1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003

Jahr

Alter 15–30 Alter 31–50 Alter 51–60 Alter 61–65 Alter 66–70

Grafik 4.3: Vollzeiterwerbsquoten Frauen

0.00%

10.00%

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1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003

Jahr

Alter 15–30 Alter 31–50 Alter 51–60 Alter 61–65 Alter 66–70

Tabelle 4.1

Erwerbsquote älterer Arbeitnehmer im Zeitablauf

Männer Frauen

Alter 51–60 Alter 61–65 Alter 66–70 Alter 51–60 Alter 61–65 Alter 66–70

1991 94.1% 63.5% 28.4% 61.1% 25.9% 16.9%

1997 91.4% 56.7% 18.4% 66.2% 24.1% 13.0%

2003 88.4% 55.9% 20.4% 69.3% 29.9% 10.6%

Quelle: Schweizerische Arbeitskräfteerhebung (SAKE), eigene Analyse.

1 In den Grafiken wurden Beschäftigte mit weniger als 90Stellenprozenten als teilzeit-, solche mit mindestens 90Stellenprozenten als vollzeiterwerbstätig eingruppiert.

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4. Analysen zu ausgewählten Themen

58 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

stellt die Ergebnisse für Männer und Fraueninsgesamt sowie getrennt nach Sprachregio-nen zusammen. Die Befragten konnten hiermehrere Antworten geben.

Insgesamt finden wir, dass ein Viertel allerAntworten männlicher Befragter sich auf be-triebliche Gründe (Betriebs- und Unterneh-mensschliessung, betriebsinterne Umstruktu-rierung) für den vorzeitigen Ruhestandberiefen. Der Anteil ist bei den Frauen mit 17%geringer. Auch über die Regionen hinwegwerden Unterschiede sichtbar, wobei die be-trieblichen Frühpensionierungsgründe so-wohl für Männer als auch für Frauen in derdeutschsprachigen Schweiz das höchste Ge-wicht haben. Als zweite Motivation spielt dieGesundheit (Unfall, Krankheit, Invalidität) einegewichtige Rolle, da dieser Faktor ein Viertelbzw. ein Fünftel aller von Männern bzw. Frau-en angegebenen Gründe für Frühpensionie-rung ausmacht. Interessant ist hier der sehrhohe Anteil von Antworten der Männer ausder italienischsprachigen Schweiz. Der drittbe-deutsamste Frühpensionierungsgrund bei denMännern und der zweitbedeutendste Grundbei den Frauen ist mit der Tatsache verknüpft,dass die Betroffenen es sich finanziell leistenkönnen, die Erwerbstätigkeit einzustellen.Deutliche Unterschiede zwischen den Ge-schlechtern treten bei der Bedeutung eines at-traktiven Austrittsangebotes durch den Arbeit-geber auf. Dies wird bei mehr als 10% allerAntworten männlicher Frühpensionierter an-gegeben, aber nur bei 4% der Antworten weib-licher Frühpensionierter. Solche Angebotescheinen in der französischsprachigen Schweizeine grössere Rolle zu spielen als in den beidenanderen betrachteten Sprachregionen. Fami-liäre Verpflichtungen haben für frühpensio-nierte Frauen eine um einen Faktor 30 höhereBedeutung als für Männer.

Insgesamt gehen die Begründungsmusterfür einen vorzeitigen Austritt aus dem Arbeits-markt in verschiedene Richtungen, wobei be-triebliche Aspekte sowie finanzielle und ge-sundheitliche Gründe die zentralen Faktorenabbilden. Diese Analyse scheint zunächst ge-gen eine Bedeutung institutioneller Anreiz-bedingungen zu sprechen. Dieser Frage gehenwir in den nächsten beiden Abschnitten nach.

4.1.3 Die Relevanz institutioneller Rahmenbe-dingungen für die Rentenzugangsentscheidungin der internationalen Literatur

Die empirische Arbeitsmarktökonomie be-schäftigt sich schon seit einigen Dekaden in-tensiv mit der Analyse der Determinanten desRentenzugangs und des Arbeitsangebotes älte-rer Arbeitnehmer. Dieser Abschnitt beschreibtdiese Literatur in drei Schritten. Zunächst gibter einen kurzen Abriss der Entwicklung theo-retischer Ansätze, dann dokumentiert er an-hand jüngerer nationaler Beispielstudien denEinfluss institutioneller Rahmenbedingungenauf die Rentenentscheidung und schliesslichwendet er sich kurz den Untersuchungen zu,

Grafik 4.4: Teilzeiterwerbsquoten Männer

0.00%

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1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003

Jahr

Alter 15–30 Alter 31–50 Alter 51–60 Alter 61–65 Alter 66–70

Grafik 4.5: Teilzeiterwerbsquoten Frauen

0.00%

10.00%

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40.00%

50.00%

60.00%

1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003

Jahr

Alter 15–30 Alter 31–50 Alter 51–60 Alter 61–65 Alter 66–70

Quelle: Schweizerische Arbeitskräfteerhebung (SAKE), eigene Analyse.

Tabelle 4.2a

Determinanten der Frühpensionierung in Prozent – Männer (Alter 55–64)

Sprachregion

D F I Total

Betriebliche Gründe 27.26 23.66 16.87 25.92

Zu alt für den Job 2.65 3.03 1.52 2.68

Unfall/Krankheit/Invalidität 25.81 17.15 43.45 24.83

Attraktives Angebot des Arbeitgebers 9.42 14.50 3.65 10.24

Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit/andere Gründe 10.77 15.91 13.17 12.02

Steuerliche Gründe/finanziell möglich/keine Notwendigkeit mehr zu arbeiten 23.73 25.21 21.33 23.93

Familiäre Verpflichtungen 0.37 0.54 0.00 0.39

Total 100.00 100.00 100.00 100.00

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Jahresbericht 2005

59 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

die die Bedeutung institutioneller Rahmenbe-dingungen für den individuellen Rentenzu-gang im internationalen Vergleich aufgearbei-tet haben.

Neben Datenqualität und empirischen Me-thoden haben sich auch die theoretischen An-sätze zur Modellierung der institutionellenDeterminanten des Rentenzugangs über dieZeit weiterentwickelt. Gruber und Co-Autoren(Coile und Gruber 2000, Baker et al. 2003) be-schreiben eine vierstufige Entwicklung. In denersten Untersuchungen stützte sich die empi-rische Forschung auf einfache lineare Modellereduzierter Form:2 Die Entscheidung, den Ar-beitsmarkt zu verlassen, wurde als Funktiondes zum Entscheidungszeitpunktes akkumu-lierten Anspruchs an Rentenversicherung undPensionskassen analysiert. Innerhalb diesesAnsatzes wurden zunehmend komplexere Ver-fahren und bessere Daten genutzt. Dennochblieb als Nachteil, dass das Verfahren nur dieEntscheidungssituation in einem einzigenkonkreten Zeitpunkt betrachtet. Dieser Nach-teil wurde in den Weiterentwicklungen der Li-teratur ausgeglichen.

Eine grosse Gruppe weiterer Studien bezogdie Budgetbeschränkung über den gesamtenLebenszyklus mit in die Modellierung des in-dividuellen Rentenzugangsverhaltens ein. ImVordergrund steht die Frage, wie Individuensich bei der Wahl zwischen verbesserten Kon-summöglichkeiten durch Erwerbstätigkeitund besseren Freizeitmöglichkeiten durch Ru-hestand entscheiden.Gustman und Steinmeier(1986) schätzen die Parameter von Nutzen-funktionen, für die sie eine konkrete funktio-nale Form (CES) unterstellen. Daneben be-gannen einige Autoren das Entscheidungs-verhalten älterer Arbeitnehmer mittels derVerfahren der stochastischen dynamischenProgrammierung zu modellieren. Hier sinddie Arbeiten von Berkovec und Stern (1991)sowie von Rust und Co-Autoren zu nennen(z.B. Rust und Phelan 1997). Die Grundüber-legung dieser Modelle ist, dass Individuen zujedem Zeitpunkt eine Wahl treffen zwischendem Nutzen aus sofortiger Pensionierung unddem unsicheren erwarteten zukünftigen Nut-zen aus einer Pensionierung zu einem unbe-stimmten späteren Zeitpunkt.3 Eine Schwächedieser rechnerisch extrem anspruchsvollenModelle liegt darin, dass stark vereinfachendeAnnahmen erforderlich sind, um die Modellezu lösen.

Eine andere Stossrichtung der Literaturführte den Ansatz fort, Modelle in reduzierterForm zu schätzen. Diese Modelle wurden je-doch im Vergleich zur ersten Generation er-weitert. So berücksichtigen etwa Hausmanund Wise (1985) und Sueyoshi (1989) denNettozuwachs im Versicherungsanspruch beieiner um ein Jahr verlängerten Erwerbstätig-keit, um die Rentabilität der weiteren Erwerbs-tätigkeit zum jeweiligen Zeitpunkt im Lebens-zyklus abzubilden. Ein Nachteil dieserModellierung liegt darin, dass die dynami-

Grafik 4.6: Vollzeiterwerbsquoten der 51- bis 65-jährigen Männer nach Sprachregion

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Jahr

D F I

Grafik 4.7: Vollzeiterwerbsquoten der 51- bis 65-jährigen Frauen nach Sprachregion

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JahrD F I

Quelle: Schweizerische Arbeitskräfteerhebung (SAKE), eigene Analyse.

Tabelle 4.2b

Determinanten der Frühpensionierung in Prozent – Frauen (Alter 55–62)

Sprachregion

D F I Total

Betriebliche Gründe 20.66 10.20 12.61 17.47

Zu alt für den Job 2.95 4.20 6.02 3.45

Unfall/Krankheit/Invalidität 20.85 23.12 10.45 20.82

Attraktives Angebot des Arbeitgebers 3.23 6.07 3.67 3.99

Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit/andere Gründe 13.56 18.48 33.04 15.99

Steuerliche Gründe/finanziell möglich/Keine Notwendigkeit mehr zu arbeiten 27.18 26.21 20.19 26.52

Familiäre Verpflichtungen 11.57 11.74 14.02 11.76

Total 100.00 100.00 100.00 100.00

Quelle: Schweizerische Arbeitskräfteerhebung (SAKE, 2002), eigene Analyse.

2 Im Gegensatz zu strukturellen Modellen erheben Model-le in reduzierter Form nicht den Anspruch, die Parame-ter von Nutzenfunktionen identifizieren zu können.

3 Lumsdaine und Mitchell (1999) bieten eine kurze Cha-rakterisierung dieser Ansätze.

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4. Analysen zu ausgewählten Themen

60 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

schen Ruhestandsanreize nur sehr indirektwiedergegeben werden.

Der deutlich populärere Optionswertan-satz geht auf Stock und Wise (1990) zurück.Unter vereinfachenden Annahmen zeigen dieAutoren, dass der institutionelle Verrentungs-anreiz gemessen werden kann durch den Nut-zenvorteil, der sich einstellt, wenn man nichtsofort, sondern später – und zwar zum nut-zenoptimalen Zeitpunkt – in den Ruhestandwechselt. Die Autoren und zahlreiche Replika-tionsstudien zeigen, dass der von ihnen be-rechnete Nutzenvorteil oder «Optionswert derVerschiebung des Rentenzugangs» einen sub-stanziellen Beitrag zur Erklärung des Alters-austritts leistet. Eine von Coile und Gruber(2000) hervorgehobene Schwäche dieses Op-tionswertansatzes liegt darin, dass die ver-schiedenen Quellen von Einkommen nach derPensionierung nicht unterschieden werdenkönnen, sondern gemeinsam in die Options-wertberechnung einfliessen.

Die genannten Ansätze unterscheiden sichin der theoretischen Betrachtungsweise derVerrentungsentscheidung.4 Die Ergebnisse be-stätigen hier die Rolle institutioneller Anreizefür die Erklärung des Rentenzugangsverhal-tens. Ein anderer Ansatz, diesen Einfluss abzu-schätzen, sind natürliche Experimente. Natür-liche Experimente liegen vor, wenn wir dieinteressierende Verhaltensreaktion in Folgeunerwartet geänderter Anreizsituationen di-rekt beobachten können. Hieraus lassen sichverlässliche Indikatoren für das Arbeitsange-botsverhalten ableiten, die ohne eine Experi-mentsituation nur schwer zu messen wären.Krueger und Pischke (1992) nutzen den Um-stand, dass durch überhastete Reformen desSozialversicherungsrechtes der USA die Gene-ration der von 1917 bis 1921 geborenen Män-ner deutlich niedrigere Ansprüche an die US-Rentenversicherung hatte als ihre Vorgängerund Nachfolger. Da die in diesen fünf JahrenGeborenen aber ein ähnliches Rentenzugangs-verhalten an den Tag legen wie andere, schlies-sen die Autoren, dass der Einfluss der institu-tionellen Rahmenbedingungen hier nicht sehrgross sein kann.

Dieses Ergebnis ist in der Literatur aller-dings ungewöhnlich. Sowohl die Studien, dieüber die Erfahrungen in einzelnen Ländern be-richten, als auch international vergleichendeAnsätze finden in der Regel starke Evidenz fürdie Auswirkungen institutioneller Anreize aufindividuelles Verhalten. In jüngster Zeit weisenbeispielsweise drei Studien aus skandinavi-schen Ländern in diese Richtung. Für Nor-wegen finden Bratberg et al. (2004), dass, nach-dem in ausgewählten Branchen ein Vorruhe-standsprogramm für ältere Arbeitnehmer ein-geführt worden war, ältere Arbeitnehmer die-ser Branchen auch signifikant früher den Ar-

beitsmarkt verliessen als Arbeitnehmer ande-rer Branchen. Bingley und Lanot (2004) be-trachten den Fall eines Vorruhestandspro-gramms in Dänemark in der Tradition derdynamischen Programmierungsmodelle. Siefinden, dass es bei starken Anreizen durch öf-fentliche Rentenversicherungsprogramme fürArbeitgeber teurer wird, das Verhalten der Ar-beitnehmer durch Programme der zweitenSäule gegen die Anreize aus öffentlichen Pro-grammen zu beeinflussen. Karlstrom et al.(2004) bestätigen für den Fall schwedischer Ar-beitnehmer, dass das Rentenzugangsverhaltendurch institutionell bedingte ökonomischeAnreize geprägt wird. Sie weisen aber – wieauch Lumsdaine und Mitchell (1999) für denFall der USA – darauf hin, dass soziale Normenbezüglich eines «üblichen» Rentenalters dasVerhalten der Individuen beeinflussen.

Während die Studien für die USA die An-reizeffekte der öffentlichen Rentenversiche-rung grundsätzlich bestätigen, sind diese inihrer Grösse oft bescheiden (vgl. Chan undStevens [2004] als neueren Beitrag in dieseRichtung). Baker et al. (2003) untersuchen dieReaktionen kanadischer Arbeitnehmer aufVerrentungsanreize und finden starke Verhal-tensreaktionen: Für die betrachtete Periodezwischen 1978 und 1996 erklären die institu-tionellen Regeländerungen bei der öffent-lichen Rentenversicherung mehr als ein Fünf-tel der beobachteten Verhaltensänderungen.

Auch für Deutschland liegt eine Reihe vonUntersuchungen vor, die die mit Änderungender institutionellen Regelungen verbundenenAnreizwirkungen überprüfen. So weisen Rip-hahn und Schmidt (1997) die Regeländerun-gen in der deutschen Rentenversicherung fürdie Zeit von 1971 bis 1991 aus und überprü-fen, ob die vermuteten Verhaltensreaktionenbeim Rentenzugang beobachtet werden kön-nen. Die Autoren finden eine deutliche undsignifikante Korrelation der institutionellenÄnderungen mit dem beobachteten Rentenzu-gang. Börsch-Supan (1998) konzentriert sichauf eine Analyse der mit der deutschen Ren-tenreform von 1972 verbundenen Anreizme-chanismen und folgert (S. 24): «Workers re-sponded consistently and strongly to theeconomic incentives to retire earlier.»

Ein Überblick über die internationale Evi-denz zur Auswirkung von institutionellen An-reizen auf individuelles Rentenzugangsverhal-ten muss auch auf die Ergebnisse derinternational vergleichenden Studien hinwei-sen. Eine erste gross angelegte Vergleichsstudiewird von Gruber und Wise (1998) beschrie-ben. Hier haben Forscher aus elf Ländern diejeweiligen altersspezifischen Erwerbsquotensowie den altersspezifischen Zuwachs im Ren-tenvermögen bei Weiterarbeit erhoben. DieErgebnisse zeigen in beeindruckender Weise

4 Eine Diskussion verbleibender Schwächen dieser An-sätze und eine Darstellung der Richtung für zukünftigeForschung finden sich bei Lumsdaine und Mitchell(1999).

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Jahresbericht 2005

61 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

über alle Länder hinweg, dass im internationa-len Vergleich ein deutlicher positiver Zu-sammenhang zwischen Erwerbsneigung undZuwachs im Altersvermögen besteht. Die Er-werbsneigung ist dort am geringsten, wo essich am wenigsten lohnt, weiterzuarbeiten. Ineiner zweiten Stufe dieses Projektes analysierenGruber und Wise (2002) mit zwölf nationalenTeams das Ausmass des Zusammenhangs zwi-schen Verrentungsanreiz und Erwerbsquote.Die Simulationen ergeben im Mittel über alleLänder, dass eine Verschiebung des Renten-alters um drei Jahre die Erwerbsneigung vonMännern im Alter zwischen 56 und 65 Jahrenum bis zu 36% erhöhen würde. Dieses bestä-tigt die enormen erwartbaren Auswirkungenaus entsprechenden Reformen.

Eine weitere international angelegte Studiehat Duval (2003) für die OECD vorgelegt. Diezentralen Inhalte wurden von der OECD(2005) nochmals präsentiert. Duval nutzt fürseine Studie mehr Länder als Gruber und Wi-se (1998, 2002), geht aber ökonometrisch ähn-lich vor.Wieder werden die Erwerbsquoten aufdie mit der Erwerbstätigkeit verbundenen Än-derungen im Rentenvermögen (bezeichnet als«Rentensteuer») regressiert. Lohnt es sich, wei-ter in die Rentenversicherung einzubezahlen,so ist dies ein positiver Anreiz zu weiterer Er-werbstätigkeit. Duval findet erwartungsge-mäss starke Verhaltenseinflüsse der «Renten-steuer», verweist aber darauf, dass danebenauch andere Faktoren wie die Arbeitsmarkt-lage das Erwerbsverhalten beeinflussen. Insge-samt sind nach diesen Berechnungen die Än-derungen in Rentenzugangsalter und Be-steuerung verantwortlich für zirka ein Dritteldes international beobachteten Rückgangs derErwerbstätigkeit älterer Arbeitnehmer. Duvalsieht damit in der Reform der Rentenversiche-rungsinstitutionen insbesondere hin zu aktua-risch fairen Abschlägen bei Rentenvorbezugein geeignetes Mittel, um auf die fallende Be-schäftigungsneigung älterer Arbeitnehmer zureagieren. In ihrem Bericht weist die OECD(2005) ausserdem darauf hin,dass es nicht aus-reicht, einzelne Zugangswege zu frühem Ru-hestand (etwa über Invalidität oder Arbeits-losigkeit) zu modifizieren, da Arbeitnehmer in diesem Fall verbleibende Frühverrentungs-wege nutzen würden.

Im Gegensatz zu den Untersuchungen vonGruber und Wise (1998 und 2002) ist in derOECD-Studie die Schweiz mitberücksichtigt.Sie liegt im internationalen Vergleich sowohlhinsichtlich der impliziten Besteuerung als auchhinsichtlich der Erwerbsbeteiligung älterer Ar-beitnehmer günstig.Ein Abbau der berechnetensteuerlichen Anreizverzerrungen hätte gemässden Simulationen der OECD für die Schweizeinen Effekt auf die Erwerbsneigung der 55- bis64-Jährigen in Höhe von zirka 10 Prozent-

punkten (67 statt 56% Erwerbsbeteiligung fürdas Jahr 2025). Ähnlich formulierte Politikän-derungen würden für den Fall Deutschlandsden Erwerbstätigenanteil nahezu verdoppeln.

Diese im internationalen Vergleich erstell-ten Simulationen sind auf starke Annahmenund oft heroische Vereinfachungen gestützt.Daher ist es interessant, zusätzlich die vorlie-gende direkte Evidenz hinsichtlich der Verhal-tensreaktionen der Erwerbstätigen aus derSchweiz zu analysieren.

4.1.4 Reaktionen auf Änderungen im ordentlichen AHV-Rentenalter für Frauen in derSchweiz

Nachdem die internationale Literatur ein-dringlich auf die Relevanz institutioneller Rah-menbedingungen zur Erklärung des Rentenzu-gangsverhaltens von Arbeitnehmern hinge-wiesen hat, stellt sich die Frage, ob es Evidenzfür solche Reagibilität auch in der Schweiz gibt.Die Beschreibung im zweiten Abschnitt ergabeinen deutlichen Anstieg der Frühpensionie-rung während der 1990er-Jahre. Es liegt nahe,dieses Phänomen mit Blick auf mögliche Än-derungen in den institutionellen Rahmenbe-dingungen zu erklären. Dieser Frage gingenDorn und Sousa-Poza (2003) nach und folger-ten, dass der Anstieg der Frühverrentung imWesentlichen durch die Angebotsüberhängeam schweizerischen Arbeitsmarkt in dieser Zeitzu erklären sei. Gaillard (2003) folgt dieserEinschätzung, weist aber darauf hin, dass ins-besondere grosse Unternehmen durch grosszü-gige Rentenpläne ihre älteren Mitarbeiter zumAustritt aus dem Arbeitsmarkt bewegt hätten.Wenngleich also die Politik der schweizerischenRegierung seit Ende der 1990er-Jahre auf einestärkere Flexibilisierung des Rentenzugangshinwirkt, dienen die entsprechenden Regel-änderungen noch nicht als Erklärung der Ent-wicklung der 1990er-Jahre.

Die für das Versichertenverhalten interes-santen institutionellen Regeländerungen wur-den mit der 10. Revision der AHV 1991 verab-schiedet. Sie zielen in zwei Richtungen, dieAngleichung des ordentlichen Rentenalters fürbeide Geschlechter sowie die Ermöglichungeines Rentenbezugs bereits vor dem ordent-lichen Rentenalter. Während das ordentlicheRentenalter für Männer immer bei 65 Jahrenlag, führte die 4. AHV-Revision von 1956 zueiner Absenkung des Rentenalters für Frauenauf 63 Jahre und die 6. Revision von 1964 zurAbsenkung um ein weiteres Altersjahr auf 62Jahre. Mit der 10. AHV-Revision wurden dieseRegelungen für die Frauen rückgängig ge-macht. Seit 2001 erreichten Frauen im Altervon 63 Jahren das ordentliche Rentenalter, seit2005 im Alter von 64 Jahren.

Während bereits mit der 7. AHV-Revisionvon 1967/68 ein freiwilliger Aufschub der

Literaturangaben zu Kapitel 4.1

– Baker, Michael, Gruber J. und Milligan K.,2003, The retirement incentive effects of Canada’s Income Security Programs, Canadian Journal of Economics 36(2),261–290.

– Berkovec, James und Stern S., 1991, Job exit behavior of older men,Econometrica 59(1), 189–210.

– BFS (Bundesamt für Statistik), 2002, Szenarien zur Bevölkerungsentwicklungder Schweiz 2000–2060. VollständigerSzenariensatz, Neuchâtel.

– Bieri, Oliver, Balthasar A. und Künzi K.,2003, Individuelle und institutionelle Determinanten des Altersrücktritts,Soziale Sicherheit CHSS 3/2003, 121–124.

– Bingley, Paul und Lanot G., 2004, Employerpay policies, public transfers and theretirement decisions of men and women inDenmark, European Economic Review 48,181–200.

– Supan B., Axel, 1998, Incentive effects ofsocial security on labor force participation:evidence in Germany and across Europe,NBER Working Paper No. 6780, Cambridge, MA.

– Bratberg, Espen, Helge H.T. und ThogersenO., 2004, Assessing the effects of an earlyretirement program, Journal of PopulationEconomics 17, 387–408.

– Bütler, Monika, Huguenin O. und Teppa F.,2004, What Triggers Early Retirement? Results from Swiss Pension Funds CEPRworking paper 4394.

– Chan, Sewin, und Huff S.A., 2004, Dochanges in pension incentives affectretirement? A longitudinal study of subjec-tive retirement expectations, Journal ofPublic Economics 88, 1307–1333.

– Coile, Courtney und Gruber J., 2000,Social Security and Retirement, NBERWorking Paper No. 7830, Cambridge MA.

– Donini, François und Nussbaum H., 2003,Bericht: Rentenvorbezug der Frauen undMänner, mimeo, Bundesamt für Sozial-versicherung.

– Dorn, David und Sousa P.A., 2003, Why isthe Employment Rate of Older Swiss soHigh? An Analysis of the Social SecuritySystem, The Geneva Papers on Risk and Insurance 28(4), 652–672.

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– Gaillard, Antille G., 2003, Analyse der indi-viduellen und institutionellen Determi-nanten für den frühzeitigen Rentenantritt, Soziale Sicherheit CHSS 3/2003, 118–120

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– Gruber, Jonathan und Wise D., 2002, SocialSecurity Programs and Retirement aroundthe world: Micro Estimation, NBER WorkingPaper No. 9407, Cambridge MA.

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4. Analysen zu ausgewählten Themen

62 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

Rentenzahlungen um bis zu fünf Jahre einge-führt worden war, hat erst die 10. Revision von1991 die Möglichkeit des Rentenvorbezugseingeführt. So ist es bei permanenter Einbus-se von 6,8% der Rentenzahlung für Männerseit 1997 möglich, ihre AHV-Rente im Alter 64statt 65 zu erhalten. Seit 2001 können sie ihreRente bereits mit Alter 63 beziehen, wenn siebereit sind, permanent auf 13,6% des Aus-zahlungsbetrages zu verzichten. Die Vorbe-zugsregelung für Frauen setzte erst parallelmit dem Anstieg des ordentlichen Rentenal-ters im Jahr 2001 ein. Seitdem können Frauenebenfalls die Rente um ein Jahr, also mit Alter62, vorbeziehen und erleiden dadurch einenAbschlag in Höhe von nur 3,4%. Seit 2004folgt dieser Abschlag auf den Vorbezug im Al-ter von 63 Jahren, da das ordentliche Renten-alter erneut erhöht wurde. Tabelle 4.3 gibteinen Überblick über die regulatorischenÄnderungen.

Diese regulatorischen Änderungen solltennun – wenn die Evidenz der internationalenLiteratur auch für die schweizerische Bevölke-rung gilt – zu folgenden Verhaltensanpassun-gen führen:(i) Die Erhöhung des ordentlichen Renten-

alters der Frauen von 62 auf 63 Jahre soll-te zu einer Reduktion des Rentenzugangsmit Alter 62 und zu einem Anstieg mit Alter 63 führen. Dieser Effekt wird durchdie Möglichkeit des Vorbezuges abge-schwächt, jedoch ist seit 2001 ein Renten-zugang im Alter 62 nur bei Verzicht auf3,4% der Renten möglich und damitweniger attraktiv.

(ii) Da für Männer im Jahr 1997 die Möglich-keit des Rentenvorbezugs erstmals einge-führt wurde, erwarten wir ab diesem Zeit-punkt einen Anstieg des Rentenzugangsim Alter 64. Seit 2001 ist der Rentenvor-bezug mit Alter 63 möglich, somit erwar-ten wir einen Anstieg des Rentenzugangsmit Alter 63 ab 2001. Da beide Vorbe-zugsmöglichkeiten mit erheblichen Ren-tenabzügen bestraft werden (6,8% bei Al-ter 64, 13,6% bei Alter 63) ist es denkbar,dass die Reaktion schwach bleibt.

(iii) Wir erwarten, dass Arbeitnehmerinnenmit geringen Rentenansprüchen eher da-zu neigen,den Renteneintritt auf später zuverschieben, da der Rentenabschlag sie re-lativ stärker trifft als Personen mit hoherAbsicherung etwa aus der zweiten unddritten Säule oder auch aus den Einkom-men eines Partners. Auch bei den Män-nern vermuten wir stärkere Verhaltens-reaktionen auf die Möglichkeit desRentenvorbezuges und eine geringereSensibilität gegenüber Einkommensver-lusten unter den vermögenderen Arbeit-nehmern.

Wir betrachten zwei Datenquellen, um dieReaktion der älteren Arbeitnehmer auf dieÄnderungen der institutionellen Regeln abzu-schätzen, die Daten der Schweizerischen Ar-beitskräfteerhebung sowie die Auswertungendes Bundesamtes für Sozialversicherung (Do-nini und Nussbaum 2003).

Die Schweizerische Arbeitskräfteerhebung(SAKE) befragt Individuen nach ihrem Er-werbsstatus. Aus dem Vergleich des Erwerbs-zustandes von Individuen über die Zeit lässtsich der Anteil der Individuen eines gegebenenAlters bestimmen, der von der Erwerbstätig-keit in den Ruhestand wechselt. Um zu prüfen,ob ältere Arbeitnehmer ihr Verhalten gemässunseren oben formulierten Erwartungen ge-ändert haben, sind in Tabelle 4.4 die Über-gangswahrscheinlichkeiten aus der Erwerbs-tätigkeit in den Rentenbezug nach Kalenderjahrund Alter getrennt für Männer und Frauen ab-gebildet. Wenngleich die SAKE-Daten eineUnterscheidung zwischen der AHV und Pen-sionen der zweiten Säule für den Ruhestandnicht erlauben, lässt sich dennoch prüfen, obdie AHV-Regeländerungen mit den erwartetenVerhaltensänderungen korrelieren.

Für die Frauen erwarten wir ab dem Jahr2001 einen Rückgang der Rentenzugangs-wahrscheinlichkeit im Alter 62 und einen An-stieg für das Altersjahr 63. Genau diese Ent-wicklung zeigt sich in der Tabelle 4.4. Vonallen mit 61 Jahren noch erwerbstätigen Frau-en wechselten bis zum Jahr 2000 im nächstenAltersjahr ca. 38% in die Rente. Dieser Anteilsank nach der Umsetzung der institutionellenÄnderungen 2001 auf knapp unter 20%, alsoum fast die Hälfte des früheren Anteils. Um-gekehrt erhöhte sich die Rentenzugangs-wahrscheinlichkeit zwischen Alter 62 und 63von 26,7 auf über 48%. Diese Entwicklungstimmt mit den erwarteten Reaktionen über-ein.

Für Männer erwarten wir ab dem Jahr 1997,in dem erstmals der Vorbezug zum Alter 64möglich wurde, einen Anstieg in der Verren-tungswahrscheinlichkeit für dieses Alter. DieseVermutung wird durch die SAKE-Daten nichtbestätigt, hier ist die Verrentungswahrschein-lichkeit sogar von 16,9 auf 12,6% gesunken.Zum Jahr 2001 wurde der um zwei Jahre ver-frühte Rentenvorbezug möglich. Es findet sichin den Rentenzugangswahrscheinlichkeiten abAlter 63 dann auch in der Tat ein leichter An-stieg von zirka 10 auf fast 16% der Alters-gruppe. Erst in den Jahren ab 2001 zeigt sichdann der schon früher erwartete Anstieg derRentenzugangswahrscheinlichkeit für Alter64. Insgesamt findet sich daher in den Dateneine Bestätigung der erwarteten Verschiebun-gen für die Männer, wenn auch nicht in sodeutlichem Ausmass, wie das für die Frauen zukonstatieren ist.

Literaturangaben zu Kapitel 4.1

– Karlstrom, Anders, Palme M. und SvenssonI., 2004, A dynamic programming approachto model the retirement behaviour of blue-collar workers in Sweden, Journal of Ap-plied Econometrics 19, 795–807.

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– Riphahn, Regina T. und Schmidt P., 1997,Determinanten des Rentenzugangs. EineAnalyse altersspezifischer Verrentungs-raten, Review of Economics 48(1), 113–147.

– Rust, John und Phelan C., 1997, How socialsecurity and medicare affect retirementbehavior in a world of incomplete markets,Econometrica 65(4), 781–831.

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– Widmer, Rolf, Mühleisen S., Falta R.P. undSchmid H., 2003, Bestandesaufnahme undInteraktionen Institutioneller Regelungenbeim Rentenantritt, Forschungsbericht Nr. 9/03, Bundesamt für Sozialversicherung.

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Jahresbericht 2005

63 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

se Möglichkeit seit dem Geburtsjahrgang 1933.Die Inanspruchnahme des Vorbezugs ist seit-her trotz des erheblichen Abschlags auf dieRentenleistungen in Höhe von 6,8% stetig ge-stiegen.

Donini und Nussbaum (2003) vergleichendas Vorbezugsverhalten lediger Männer undFrauen, bei denen das individuelle Einkom-men die Finanzsituation genauer spiegelt alsbei verheirateten Personen. Hier liegt wiede-rum die Inanspruchnahme des Vorbezugs beiFrauen insgesamt (19,2%) deutlich oberhalbderjenigen der Männer (6,1%). Tabelle 4.5 gibtdie Vorbezugsraten in Abhängigkeit des mass-gebenden Einkommens an. Der Unterschied inden Vorbezugsraten ist besonders deutlich fürdie höheren Einkommensgruppen, bei denensich das Verhältnis der Vorbezugsquoten (siehedie letzte Spalte in 4. 5) von unter zwei mehr alsverdoppelt. Dies legt nahe, dass der halbierteKürzungssatz bei den Frauen mit stärkererNutzung des Vorbezugs einhergeht und dassdies zu besonders starkem Rentenvorbezug beiwohlhabenderen Arbeitnehmerinnen führt.

Andere Ergebnisse der Autoren zeigendeutlich höhere Vorbezugsraten bei verheira-teten als bei ledigen Frauen. Allerdings lässtsich hieraus keine Schlussfolgerung hinsicht-lich der Einkommenslage der Vorbezieher zie-hen. Interessanterweise ist die Vorbezugsrateunter selbstständig erwerbenden Männern amhöchsten und bei nicht erwerbstätigen Män-nern nur durchschnittlich. Die Autoren fol-gern daraus, dass die Inanspruchnahme desRentenvorbezugs und der Austritt aus dem Er-werbsleben bei Männern nicht zwingend kor-reliert sind. Insgesamt scheinen die ersten Ana-lysen bei Donini und Nussbaum die übrigeEvidenz aus schweizerischen Daten zu bestäti-gen, nach der insbesondere Arbeitnehmer infinanziell abgesicherter Position die Möglich-keiten des Rentenvorbezugs nutzen (siehe da-zu auch Bütler et al. 2004, Bieri et al. 2003,Wid-mer et al. 2003).5

4.1.5 SchlussfolgerungenDieses Kapitel hat sich mit der Entwicklung

der Erwerbstätigkeit älterer Arbeitnehmer undder Bedeutung institutioneller Anreize für die-sen Trend beschäftigt. Während die Evidenzden Rückgang der Erwerbstätigkeit älterer Ar-beitnehmer in der Schweiz bestätigt, scheintdies – den Aussagen der Betroffenen sowie derLiteratur zufolge – im Wesentlichen (noch)nicht durch die zunehmende Flexibilisierungdes Rentenzugangs nach der 10.AHV-Revisionverursacht worden zu sein. Die Befunde zu denVerhaltensreaktionen auf die angestossenenReformen entsprechen den ökonomischenVorhersagen. Insbesondere bei weiblichenBeschäftigten finden wir deutliche Verschie-bungen im Rentenzugang, nachdem eine frühe

Tabelle 4.3

Regulierung von Rentenalter und Vorbezug durch 10. AHV-Revision

Männer Frauen

ord. Rentenalter Vorbezug möglich ab ord. Rentenalter Vorbezug möglich ab(% Rentenabschlag): (% Rentenabschlag):

1996 65 – – 62 – –

1997 65 64 (6.8%) – 62 – –

1998 65 64 (6.8%) – 62 – –

1999 65 64 (6.8%) – 62 – –

2000 65 64 (6.8%) – 62 – –

2001 65 64 (6.8%) 63 (13.6%) 63 62 (3.4%) –

2002 65 64 (6.8%) 63 (13.6%) 63 62 (3.4%) –

2003 65 64 (6.8%) 63 (13.6%) 63 62 (3.4%) –

2004 65 64 (6.8%) 63 (13.6%) 63 62 (3.4%) –

2005 65 64 (6.8%) 63 (13.6%) 64 63 (3.4%) 62 (6.8%)

2006 65 64 (6.8%) 63 (13.6%) 64 63 (3.4%) 62 (6.8%)

Tabelle 4.4

Übergangswahrscheinlichkeiten aus der Erwerbstätigkeit in die Pensionierung (in Prozent)

Frauen Jahr

Alter 1992–2000 2001–2004

60–61 8.6 9.362 37.9 19.963 26.7 48.464–68 27.9 34.9

Männer Jahr

Alter 1992–1996 1997–2000 2001–2004

60–62 8.3 10.0 10.663 10.6 10.7 16.064 16.9 12.6 20.265 52.3 39.8 49.766 36.1 26.6 39.3

Quelle: Schweizerische Arbeitskräfteerhebung (1991–2004, eigene Berechnungen)

Die Übergangsraten der SchweizerischenArbeitskräfteerhebung bieten noch keine Ant-wort auf die Frage, welche Arbeitnehmergrup-pen die Rentenvorbezugsmöglichkeiten in An-spruch nehmen. In einer Auswertung detail-lierter Daten schweizerischer Pensionskassenfinden Bütler et al. (2004) Evidenz dafür, dasses in der Tat die besser abgesicherten Erwerbs-tätigen sind, die die Möglichkeiten eines frü-heren Rentenzugangs nutzen.

In einer Studie des Bundesamtes für Sozial-versicherung analysieren Donini und Nuss-baum (2003) das Vorbezugsverhalten der Ge-burtsjahrgänge 1939 bei den Frauen und desGeburtsjahrgangs 1937 bei den Männern un-ter Verwendung der Daten aus dem Renten-und Einkommensregister der AHV, den Statis-tiken zu Ergänzungsleistungen des Bundes-amtes für Sozialversicherung und der SAKE.Sie finden, dass für diese Jahrgänge Frauen eine deutlich höhere Vorbezugsquote aufwei-sen als die Männer (20,6% bei den Frauengegenüber 6,7% bei den Männern). Hierbei ist anzumerken, dass der 1939er Jahrgang derFrauen der erste war, der den Rentenvorbezugnutzen konnte. Bei den Männern besteht die-

5 Die Autoren haben IV-Rentner aus der Analyse aus-geschlossen, sodass sich hier keine Überlagerungen ergeben.

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4. Analysen zu ausgewählten Themen

64 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

Verrentung durch die mit dem Rentenvor-bezug anfallenden Rentenabschläge «kosten-pflichtig» geworden ist. Die Ergebnisse vonverschiedenen Seiten legen nahe, dass insbe-sondere wohlhabendere ältere Arbeitnehmerdie Möglichkeiten des vorzeitigen Rentenbe-zugs nutzen, was mit den Erfahrungen in denUSA übereinstimmt.

Aus dem Gesamtbild der Schweizer Situa-tion und vor dem Hintergrund der internatio-nalen Literatur, die immer wieder und zumTeil starke Verhaltensreaktionen auf institutio-nelle Regeländerungen hin feststellt, liegt dieVermutung nahe, dass eine weitere Verschär-fung der Rentenzugangsregeln für AHV-Ren-ten zu einer Verzögerung des Austritts aus demArbeitsmarkt führen wird. Gerade mit der Ein-führung des Regelrentenalters von 64 Jahrenfür weibliche Arbeitnehmer ab dem Jahr 2005sollte hier nochmals ein Schub hin zur verlän-gerten Erwerbstätigkeit erfolgen. Festzuhaltenist jedoch auch, dass im internationalen Ver-gleich die Erwerbsneigung älterer Arbeitneh-mer und Arbeitnehmerinnen in der Schweizbereits hoch ist. Daher ist es denkbar, dass Ver-haltensreaktionen auf weitere Regeländerun-gen in der Schweiz schwächer ausfallen als inanderen Ländern. Während weniger Wohlha-bende auf verzögerte Rentenzugangsmöglich-keiten durch verlängerte Erwerbstätigkeit rea-gieren werden, ist zu erwarten, dass besserabgesicherte Individuen sich für einen mit fi-nanziellen Kosten verbundenen Rentenvorbe-zug entscheiden. Insgesamt würden damit beieiner Anhebung des Regelrentenalters sowohldas mittlere Rentenzugangsalter als auch dieBeitragseinnahmen steigen, bzw. die Renten-auszahlungen sinken.

Aus wissenschaftlicher Sicht wäre eineUntersuchung der Verschiedenheit der Anrei-ze aus den Regelungen der ersten und zweitenSäule und ihrer Interdependenzen von gros-sem Interesse. In dieser Richtung sind in jüngster Zeit interessante Beiträge für die US-amerikanische Situation entstanden. Da die

Alterssicherungssysteme der USA und derSchweiz mit einer Grundsicherung über dieerste und der Lebensstandardsicherung überdie zweite Säule vergleichbar scheinen, ist ausder Weiterentwicklung dieses Literaturzweigesein Erkenntnisgewinn für die Schweiz zu er-warten.

4.2. Die berufliche Vorsorge: Situation und Ausblick6

4.2.1 ÜbersichtGenau 20 Jahre nach dem Obligatorium für

die berufliche Vorsorge trat am 1. Januar 2005ein erster Teil der ersten Revision des Beruf-lichen Vorsorgegesetzes (BVG) in Kraft. ImGegensatz zur AHV blieb es um die zweiteSäule lange Zeit weit gehend ruhig. Diesänderte sich dramatisch mit dem Einbruch derKapitalmarktrenditen und der damit teilweisezusammenhängenden Unterdeckung vielerKassen zu Beginn der 2000er-Jahre. In dieletzten zwei Dekaden fielen aber auch dieschweizerische Wachstumskrise, demografi-sche Veränderungen mit einer Erhöhung derLebenserwartung und einer Reduktion derFertilität sowie ein gewisser Wandel in den Le-bensformen mit einer merklichen Erhöhungder Arbeitsmarktpartizipation der Frauen. DerAbschluss der ersten Revision des BVG ist so-mit eine gute Gelegenheit für einen Rückblickund einen Ausblick auf die künftigen Heraus-forderungen des Systems.

Der vorliegende Bericht stellt die wichtigs-ten Charakteristika und aktuellen Diskus-sionspunkte der schweizerischen beruflichenVorsorge kurz dar. Nach einem Überblick überdie Entwicklung und die heutige Situation derschweizerischen Pensionskassen folgt eine Dis-kussion von aktuellen Problemen. Im letztenTeil werden mögliche Reformen der zweitenSäule kurz skizziert. Nur am Rande diskutiertwerden in diesem Teil des Berichtes die allge-

Tabelle 4.5

Rentenbezug nach Geschlecht und Einkommensbereich

Frauen Männer VerhältnisFrauen/

Massgebendes Normal- Vorbezug Vorbezugs- Normal- Vorbezug Vorbezugs- Männer Einkommen bezug quote bezug quote Vorbezugsquote

bis 12 360 205 14 6.4% 103 4 3.7% 1.73

12 361–24 720 161 27 14.4% 204 17 7.7% 1.87

24 721–37 080 303 70 18.8% 265 23 8.0% 2.35

37 081–49 440 385 100 20.6% 392 30 7.1% 2.90

49 441–61 800 482 100 17.2% 420 27 6.0% 2.87

61 801–74106 356 102 22.3% 251 7 2.7% 8.26

mehr als 74160 312 110 26.1% 283 16 5.4% 4.83

Gesamt 2204 523 19.2% 1918 124 6.1% 3.15

Quelle: Donini und Nussbaum (2003, Graphik 2).

6 Zu Kapitel 4.2 finden sich zwei Hintergrundpapiereunter: www.kfk.admin.ch/ Studien und Hintergrund-papiere /«Annuities in Switzerland» und «High PensionWealth Triggers Early Retirement even in a FundedScheme», Bütler M., Universität St.Gallen.

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Jahresbericht 2005

65 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

meinen Vorteile und Probleme des Kapital-deckungsverfahrens in einer alternden Gesell-schaft. Diese sind bereits im Kapitel 3 ausführ-lich zur Sprache gekommen.7

4.2.2 Status quo: Rückblick auf die letzten 20 Jahre

1985 wurde die berufliche Vorsorge für alle unselbstständigen ArbeitnehmerInnen abeinem gewissen Einkommen obligatorisch.Allerdings bereits zu diesem Zeitpunkt schonrund die Hälfte der Angestellten in irgend einerForm in einer Pensionskasse versichert (sieheGraphik 4.8). Ziel der zweiten Säule derAlterssicherung war und ist die Weiterführungdes gewohnten Lebensstandards auch nach derPensionierung, bei Invalidität sowie beim Toddes Ernährers. Für die Eintrittsgeneration gabes grosszügige Übergangsregelungen, welcheallerdings in der Zwischenzeit ausgelaufensind. Nach Alter gestaffelte gesetzliche Alters-gutschriften waren als Massnahme zur besse-ren Integration älterer Arbeitnehmer in diePensionskassen gedacht. Diese erweisen sich in der heutigen angespannten Arbeitsmarkt-situation oft als Pferdefuss bei der Anstellungälterer ArbeitnehmerInnen.

Bis Ende der 90er-Jahre führten hoheRenditen, die zum Teil beachtlich über der ge-setzlich vorgeschriebenen Mindestverzinsunglagen, zu einer komfortablen finanziellen Lagevieler Pensionskassen. Zudem hatten diemeisten Kassen dank der Aufbauphase einegünstige Altersstruktur mit relativ kleinenAuszahlungen (Renten und Kapitalleistungensowie Freizügigkeitsleistungen). Eine derwenigen wichtigen Änderungen des BVG derletzten 20 Jahre betraf die Einführung der bei-nahe vollständigen Freizügigkeit bei einem

Stellenwechsel. Als Konsequenz davon wurdedas zu Beginn dominierende Leistungsprimatmehr und mehr durch Beitragsprimate ab-gelöst, da sich ein Stellenwechsel in einemBeitragsprimat sehr viel einfacher und trans-parenter handhaben lässt. Heute sind rund80% der Versicherten in einer Beitragspri-matskasse versichert. Die historisch gewachse-ne Bindung der beruflichen Vorsorge an denArbeitgeber führte in der Schweiz zu einer star-ken Segmentierung der zweiten Säule. Daranänderte auch die beachtliche Konzentrationder letzten Jahren nicht viel.

Als Folge des Obligatoriums stieg der Anteilder versicherten Personen stark an. Ebenfallsstark wuchs das angesparte Alterskapital (sieheGrafik 4.9). Der Rückgang der Altersguthabennach dem Jahre 2000 ist in erster Linie aufeinen Einbruch am Kapitalmarkt zurück-zuführen. Mit dem Rückgang der im Markt er-zielbaren Renditen war es auch den meistenKassen nicht mehr möglich, die Mittel zurFinanzierung der Mindestverzinsung aufzu-bringen. Dies führte zu einem dramatischenAnstieg der Kassen mit einer Unterdeckung.8

In die letzten 20 Jahre fielen allerdings nochandere für die berufliche Vorsorge relevanteVeränderungen. Die wichtigste, die Erhöhungder Lebenserwartung, wirkte sich dabei direktauf die finanzielle Situation aus. Andererseitshaben auch die höhere Mobilität der Arbeit-nehmer im Arbeitsmarkt, die Aufweichung destraditionellen Ernährermodells mit der damitverbundenen höheren Partizipationsrate derFrauen, die Zunahme der Teilzeitarbeit sowiedie Reformen der AHV Auswirkungen aufdie optimale Ausgestaltung der zweiten Säule.Diesen Änderungen sowie dem verstärktenBedürfnis nach mehr Flexibilität sollte die ersteRevision des BVG Rechnung tragen.

Was/wen/wie versichert die PK? Im BVG obligatorisch versichert sind so ge-

nannt koordinierte Arbeitseinkommen über19 350 Franken bei vollem Arbeitspensum undbis zum Dreifachen der individuellen AHV-Maximalrente.10 Während die untere Eintritts-schwelle fast immer zum Tragen kommt, ver-sichern die meisten Kassen auch Einkommenoberhalb des maximalen rentenbildendenJahreslohnes im so genannt überobligatori-schen Bereich. Die seit 2005 tiefere Eintritt-schwelle erlaubt eine bessere Koordination mitder AHV auch für niedere Einkommen undTeilzeitbeschäftigte. Da mit dem Sicherheits-fonds auch ein gewisser Anteil des über-obligatorischen Teils mitversichert wird (bis zu 150% der oberen Koordinationsgrenze), istdie Aufteilung in Obligatorium und Über-obligatorium nicht ganz konsequent und gibtden Kassen auch einen gewissen Anreiz zurHöherversicherung.

7 Der umfassende und illustrative Bericht von Brunnerund Wirz (2005) zeigt die Unterschiede der AHV und desBVG aus wirtschaftlicher Sicht auf. Weitere Analysen zur Situation der beruflichen Vorsorge in der Schweizfinden sich in Bütler & Ruesch (2005).

8 Siehe dazu die Diskussion im Abschnitt 3.4 GenerelleProbleme der zweiten Säule.

9 Der vermeintliche Rückgang der Deckung nach 1989 ist auf die Reduktion von Doppelzählungen zurück-zuführen.

10 Die CHF 19 350 sind massgebend für die Versicherungs-deckung. Bis CHF 25 800 ist der koordinierte Lohnmindestens CHF 3225, darüber entspricht der koordi-nierte Lohn der Differenz zu CHF 22 575.

Quelle: Eigene Berechnungen, basierend auf den Angaben der Schweizerischen Pensionskassenstatistik 2002

0.4

0.5

0.6

0.7

0.8

0.9

1

1970 1972 1974 1976 1978 1982 1984 1987 1989 1992 1994 1996 1998 2000 2002

Total Männer Frauen

Grafik 4.8: Von der beruflichen Vorsorge versicherte Arbeitnehmer(innen) als Anteil der Erwerbstätigen 9

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4. Analysen zu ausgewählten Themen

66 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

Bei der Pensionierung werden die ange-sparten Altersguthaben durch einen ge-schlechts- und zivilstandsunabhängigen Um-wandlungssatz in eine lebenslange Renteumgerechnet. Der gesetzlich vorgeschriebeneUmwandlungssatz gilt dabei für den obligato-rischen Teil. Dieser Satz kann aber unter ge-wissen Umständen auch tiefer liegen, vor allemwenn die Kasse die frei gewordenen Mittel zurVerbesserung von Rentenleistungen einsetzt.Wie bereits erwähnt, erreicht die beruflicheVorsorge eine hohe Abdeckung bei den Män-nern. Noch auffälliger allerdings sind die sehrhohen Ersatzraten,11 die durch die kombinier-ten Renten der ersten und zweite Säulen beieiner ununterbrochenen Karriere zustandekommen. Die anvisierte Brutto-Ersatzrate von50 bis 60% führt zu Nettoersatzraten nachSteuern von rund 75% selbst für hohe Ein-kommen. Unter Berücksichtigung zusätzlicherRenten kann die Nettoersatzrate 100% sogarübersteigen (siehe Tabelle 4.6). Diese hohenErsatzquoten sind möglicherweise auch teil-weise verantwortlich für die Zunahme derFrühpensionierungen (siehe Seite 58).

Die berufliche Vorsorge versichert auch In-validität und die Hinterbliebenen von Versi-

cherten. Die im BVG vorgesehene Begünsti-gung von Familienmitgliedern (PartnerInnenim Todesfall, minderjährige Kinder bei Invali-dität, Tod und Alter) führt nicht zu höherenKosten für Versicherte(n) mit Begünstigten.Die berufliche Vorsorge entspricht somit nichteinem reinen Leibrentensystem wie in anderenLändern (zum Beispiel England und Chile),sondern impliziert Umverteilungen, haupt-sächlich zu Lasten der allein stehenden Män-ner.13

1. BVG-Revision:Die ab 1. Januar 2005 in Kraft tretende erste

Revision des Beruflichen Vorsorgegesetzes be-trifft verschiedene Aspekte der zweiten Säule.Einen erstern Schwerpunkt bilden dabei dieHerabsetzung der Eintrittsschwelle sowie eineReduktion des Koordinationsabzuges. Mit derersten Massnahme soll den oben angesproche-nen Änderungen im Arbeitsmarktverhalten(höhere Partizipation der Frauen und Aufwei-chung des traditionellen Ernährermodells)Rechnung getragen werden sowie der Versi-cherungsschutz auf kleinere Einkommen aus-gedehnt werden. Eine Herabsetzung des Koor-dinationsabzuges kompensiert in gewisserWeise die Senkung des Umwandlungssatzes,kommt allerdings einer Beitragserhöhunggleich.

Die Anpassung des BVG an die revidierteAHV bildete den zweiten Schwerpunkt der Re-form. Dazu gehören die Heraufsetzung desRentenalters der Frauen auf 64 Jahre sowie dieEinführung einer Witwerrente. Letztere ist re-lativ kostengünstig, da selbst bei einer höherenArbeitsmarktpartizipation der Frauen dieseLeistungen wegen der höheren Lebenserwar-tung der Frauen nur selten anfallen und imDurchschnitt gering sind.

Den dritten und für die finanzielle Gesund-heit der Kasse wichtigsten Schwerpunkt bildetedie Korrektur des zu hohen Umwandlungs-satzes von 7,2% auf 6,8% über die folgendenzehn Jahre sowie dessen periodische Überprü-fung. Damit sollte der höheren Lebenserwar-tung zumindest teilweise Rechnung getragenwerden. Allerdings ist die Anpassung versiche-rungstechnisch zu gering, gleicht sie dochnicht viel mehr als die über die nächsten zehnJahre ohnehin erwartete Zunahme derLebenserwartung aus. Selbst bei einem relativhohen langfristigen Zinssatz von 3,5% ist einUmwandlungssatz von 6,8% um mindestens10% zu hoch (siehe Bütler & Ruesch [2005]).

Andere wichtige Änderungen umfassen die mögliche Ausweitung der überobligato-rischen Hinterlassenen-Leistungen an gleich-geschlechtliche Paare, die Einführung derKapitaloption, eine höhere Transparenz für dieVersicherten sowie gewisse Anpassungen beiden Einkaufsbeschränkungen.

Quelle: Eigene Berechnungen aufgrund von Angaben der Schweizerischen Pensionskassenstatistik 2002

Grafik 4.9: Entwicklung der Bilanzsumme der schweizerischen Pensionskassen gemessen am Bruttoinlandprodukt (1 = 100%)

Altersguthaben als Anteil des BIP

0

0.2

0.4

0.6

0.8

1.0

1.2

1.4

1987 1989 1992 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002

11Als Ersatzrate bezeichnet man die Höhe der Altersrenteals Prozent des Arbeitslohnes (ohne Beträge an dieSozialversicherungen und die berufliche Vorsorge). Der für die Berechnung der Ersatzrate relevanteArbeitslohn ist, je nach Angabe, entweder der durch-schnittlich erzielte Lohn über die ganze Beitragszeitoder aber der letzte Lohn vor der Pensionierung. Bei der Netto-Ersatzrate werden die Steuern von beidenEinkommen abgezogen.

12 Annahmen für die Berechnungen: Im Falle «verheiratetund 2 Kinder» wird angenommen, dass (noch) keineAHV-Rente für die Partnerin anfällt. Die Pensionskassezahlt eine Rente in der Höhe von 50% des letztenversicherten Lohnen (Leistungsprimat oder Beitrags-primat mit entsprechendem Ziel). Steuerbasis ist dieStadt Zürich.

13 Die Nutzniesser der Umverteilung innerhalb des BVGsind nicht nur die Frauen, sondern insbesondere auchgut verdienende, verheiratete Männer. Letztere habeneine überdurchschnittliche Lebenserwartung und oftim Rentenalter noch Kinder. Im heutigen System werdenFamilien, die spät Kinder haben, gegenüber jungenFamilien finanziell sehr stark privilegiert. Anzumerkenist, dass Kinder im Rentenalter kein Risiko darstellenund somit eine Versicherung eigentlich nicht angezeigtist. Siehe dazu auch Bütler & Ruesch (2005).

Tabelle 4.6

Ersatzraten der schweizerischen Alterssicherung12 bei einer ununterbrochenen Karriere in einer PK miteinem Leistungsziel von 50% des letzten versicherten Lohnes (mit Koordinationsabzug, aber ohneObergrenze)

Zivilstand ErsatzrateBrutto Netto

Bruttoeinkommen ledig 0.65 0.7550 000 Sfr verheiratet und 2 Kinder 1.07 1.18

Bruttoeinkommen ledig 0.63 0.75100 000 Sfr verheiratet und 2 Kinder 0.98 1.11

Bruttoeinkommen ledig 0.56 0.75200 000 Sfr verheiratet und 2 Kinder 0.84 0.98

Quelle: eigene Berechnungen, Bütler & Ruesch (2005)

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Jahresbericht 2005

67 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

AHV und BVG zusammen betrachtet: Wer trägt die Risiken?

Wie bereits in Kapitel 3 dargestellt, sind die beiden Versicherungen AHV und BVGwegen der unterschiedlichen Finanzierungs-methoden auch verschiedenen Risiken aus-gesetzt. Im Allgemeinen stellen dabei konjunk-turelle Schwankungen und Fluktuationen aufdem Kapitalmarkt für beide Finanzierungs-systeme kein grosses Problem dar, da sie mitgenügend Reserven bewältigt werden können.Schwerer wiegen die grossen erwarteten de-mografischen Veränderungen, in erster Liniedie starke Zunahme des Alterslastquotientenals Folge niedriger Geburtenraten, der Alte-rung der Baby-Boomers und einer wachsen-den Lebenserwartung.

In einem Umlageverfahren wie der AHVmüssen immer weniger junge Menschen fürimmer mehr Rentnerinnen und Rentner auf-kommen. Die zweite Säule ist von den demo-grafischen Veränderungen indirekt, über deren Einfluss auf die Kapitalmarktrenditen,betroffen. Wären Letztere konstant im lang-fristigen Durchschnitt, so würde die Demo-grafie die zweite Säule nicht wesentlich be-rühren, sofern der Umwandlungssatz an dieLebenserwartung gekoppelt ist. Die Alterungder Gesellschaft beeinflusst die demografi-sche Veränderung, aber auch die Faktorpreise(siehe Bohn [2005]). Die Reduktion der akti-ven Bevölkerung führt zu einem höherenVerhältnis von Kapital zu Arbeit und dahertendenziell zu höheren Löhnen und niedrige-ren Kapitalmarktrenditen. Während die höhe-ren Löhne die Finanzierungsprobleme derAHV in einem geringen Ausmass mildern (so-fern die Renten nicht vollständig an die Löhnegekoppelt werden), so impliziert die Reduk-tion der Kapitalmarktrenditen deutlich kleine-re Renten im Kapitaldeckungsverfahren. Nunist die Schweiz keine geschlossene Wirtschaft.Es ist allerdings sehr schwierig zu prognosti-zieren, inwieweit die Demografie-induzier-ten Schwankungen von Lohn und Kapital-rendite durch internationale Migration vonKapital und – weniger wichtig – Arbeit ge-dämpft werden können. Börsch-Supan, Lud-wig und Winter (2005) betrachten diese Mög-lichkeit als relativ wichtig, auch wenn für diemeisten Länder ähnliche – wenn auch zeitlichverzögerte – demografische Veränderungenerwartet werden. Die Demografie wird aberauf jedem Fall zu einer ungünstigeren Finan-zierungssituation der Alterssicherung führen,in welchem Umfang, ist jedoch unsicher. EinMehrsäulensystem umfasst wenigstens dieMöglichkeit einer gewissen Risikodiversifi-kation.

Dem Staat kommt eine wichtige Rolle beimRisikoausgleich zwischen den verschiedenenGenerationen zu. Neben den demografisch

bedingten, eher langfristigen Schwankungensind dabei auch die kurzfristigen durch denKapitalmarkt verursachten Risiken zu betrach-ten. Würde zum Beispiel der Umwandlungs-satz direkt vom Markt bestimmt, gäbe es star-ke Unterschiede in den Renten für ansonsten«gleiche» Generationen, so wie dies in Chileder Fall ist. Solche Unterschiede in den Rentenkönnen durchaus im Bereiche von 20% liegen.Ein gewisser Risikoausgleich ist nicht nur aufGrund der Gleichbehandlung verschiedenerGenerationen angezeigt. Sofern er durch einemarktnahe Regulierung begleitet wird, kannein solcher Risikoausgleich verhindern, dassGenerationen, welche wegen tiefer Zinsen zum Zeitpunkt der Pensionierung eine tiefeRente erzielen, den Staatshaushalt überbedarfsorientierte zusätzliche Leistungen derersten Säule belasten.

4.2.3 Aktuelle Probleme/DiskussionspunkteDie aktuelle Diskussion kann in drei Ge-

biete unterteilt werden: Erstens die Lösung vonbereits bestehenden (Finanzierungs-)Proble-men, zweitens die Regulierung und Aufsichtder Kassen zur Vermeidung solcher Problemeund drittens die stärkere Flexibilisierung derAlterssicherung. Bei den anstehenden Proble-men ist vor allem die Schliessung der in denletzten Jahren entstandenen Deckungslückender Pensionskassen zu erwähnen. Aus der in-dividuellen Sicht der Versicherten schliesslichscheint die Flexibilisierung der relativ starrenStruktur des BVG prioritär, damit den unter-schiedlichen Bedürfnissen eher entsprochenwerden kann.

Wie kommt eine PK aus einer Deckungslücke?Der Einbruch der auf dem Kapitalmarkt er-

zielbaren Renditen in den Jahren 2001 und2003 führte zu einer drastischen Senkung der Deckungsgrade der Pensionskassen. EineUnterdeckung entsteht dann, wenn der ange-sparte Kapitalstock den Barwert der damit ein-gegangenen künftigen Verpflichtungen nichtmehr decken kann. Im Jahre 2002 waren rund35% der Versicherten in einer Kasse mit Unter-deckung, etwa 10% sogar in einer Kasse miteinem Deckungsgrad von weniger als 90%.14

In der Zwischenzeit scheinen sich diese Werteverbessert zu haben, allerdings fehlen noch ge-naue Zahlen.

Hat eine Pensionskasse einmal eine De-ckungslücke, so sind rechtlich verschiedeneSanierungsmassnahmen möglich. Die wich-tigsten sind Sanierungsbeiträge von Versicher-ten (unter restriktiven Bedingungen auch vonRentnerinnen und Rentnern), die Senkung derVerzinsung unter die gesetzliche Mindestver-zinsung, die Sistierung des Vorbezugs für denErwerb von Wohneigentum sowie steuerab-zugsfähige Einlagen des Arbeitgebers. Die

14 Quelle: Bütler & Ruesch (2005), basierend auf Angabendes Bundesamtes für Sozialversicherungen und derPensionskassenstatistik. Die Zahlen sind mit Vorsicht zugeniessen, da nicht zu allen Kassen verlässliche Datenexistieren.

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4. Analysen zu ausgewählten Themen

68 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

letzten zwei Massnahmen erhöhen zwar dieLiquidität der Kasse kurzfristig, tragen aller-dings nichts zu einer Sanierung der Kasse bei.Bei öffentlich-rechtlichen Kassen mit Staats-garantie können die Steuerzahler zur Beglei-chung der Finanzierungslücke herangezogenwerden.15

Die einzelnen Sanierungsmöglichkeitenbelasten die Versicherten in unterschiedlicherWeise. Zur Illustration ein Rechenbeispieleiner Kasse mit einer gut durchmischtenAltersstruktur: Eine Senkung der Mindestver-zinsung um 0,5% für ein Jahr entspricht etwaeinem Sanierungsbeitrag von 1,5% des durch-schnittlichen versicherten Lohnes. Für dieeinzelnen Altersgruppen sieht die Rechnungallerdings sehr unterschiedlich aus: EineSenkung des Mindestzinses um einen halbenProzentpunkt entspricht 0,2% (0,7%) desversicherten Lohnes für 30-(40)Jährige, aber1,6%, respektive 2,9 % des versicherten Lohnesfür 50- und 60-Jährige. Selbst wenn be-rücksichtigt wird, dass sich die Lücken über dieZeit durch Zins und Zinseszins vergrössern,reichen die relativen Kosten der Sanierungüber den Mindestzins,gemessen in Prozent desmöglichen Alterskapitals, von 0,06% für 30-Jährige bis zu 0,5% des möglichen Alterskapi-tals für 65-Jährige. Bleibt der gewährte Zinsüber einige Jahre kleiner als der Mindestzins,so ergeben sich unter Umständen Kürzungender Rente im Prozentbereich für ältere Arbeit-nehmer. Wenn die bestehenden Renten nichtangepasst werden können, ergibt sich bei einerSanierung über die Verzinsung eine sehr un-gleiche Behandlung von Personen kurz voroder nach der Pensionierung. Direkte Sanie-rungsbeiträge von Versicherten sind daher injedem Fall transparenter.

Regulierung I: UmwandlungssatzBei der Pensionierung wird das angesparte

Kapital – sofern es nicht ausbezahlt wird – mitdem jeweils aktuellen einheitlichen Umwand-lungssatz in eine lebenslange Rente umgerech-net. Dieser Satz ist nicht an die Lebenserwar-tung indexiert und ist zudem unabhängig vonder Zusammensetzung der Versicherten nachGeschlecht und Zivilstand. Der Umwand-lungssatz wurde bereits beim Obligatoriummit eher zu hohen Mortalitätsraten errechnet.In der Zwischenzeit ist die Lebenserwartungweiter gestiegen, sodass die Notwendigkeit derbeschlossenen und 2005 begonnenen Senkungdes Umwandlungssatzes heute kaum mehrumstritten ist – auch wenn sie zu spät und inzu geringem Ausmass kommt.

Wie bereits oben erwähnt, kann eine Pen-sionskasse einen tieferen als den gesetzlich vor-geschriebenen Umwandlungssatz anwenden,falls die so frei gewordenen Mittel zur Ver-besserung der Leistungen eingesetzt werden.

Dieses Vorgehen wird denn auch von einigenKassen bereits angewandt. Die Vorteile liegenin einem grösseren finanziellen Spielraum derKasse sowie einer höheren Flexibilität der Leistungen. So kann zum Beispiel die An-passung an die Inflation den Nachteil einertieferen Anfangsrente für die Versichertenmehr als kompensieren. Der Hauptnachteilliegt darin, dass es nicht unbedingt transparentsein musst wem die zusätzlichen Leistungenzugute kommen. So können unter Umständengewisse Versicherte überproportional davonprofitieren.

Der Umwandlungssatz sollte nicht nur diebereits realisierte Erhöhung der Lebenser-wartung berücksichtigen, sondern auch die fürdie aktuell Versicherten prognostizierte Ände-rung der Mortalitätsraten. Ansonsten hinktder Umwandlungssatz der Entwicklung derLebenserwartung nach, mit der Folge, dass dieLeistungen der beruflichen Vorsorge zuunguns-ten der jüngeren Generationen verzerrt sind.Bei einem einheitlichen Satz für alle Bevölke-rungsgruppen (wie in der Schweiz) müsste zu-dem noch berücksichtigt werden, dass sich dieZusammensetzung des Versichertenkollektivsmit der Zeit ändern kann, da die einzelnenGruppen für die Kassen unterschiedlich teuersind.

Regulierung II: MindestverzinsungDer Mindestzins bestimmt die minimale

Verzinsung des angesparten Alterskapitals.Wie Grafik 4.10 zeigt, war die Mindestver-zinsung mit 4% während Jahren tiefer als diedurchschnittlichen Erträge von Obligationenund Aktien. Bis zirka 1996 war der Mindestzinstiefer als der kurzfristige Zinssatz und in eini-gen Jahren sogar tiefer als die Inflationsrate.Es wundert denn auch nicht, dass die Kassen indieser Zeit grosse Reserven anhäufen konntenund mit diesen teilweise grosszügige Renten-pläne finanzierten. Dies änderte sich drama-tisch, als nicht nur die Aktienkurse einbrachen,sondern auch die langfristigen Zinsen deutlichunter den Mindestzinssatz fielen. Nach hefti-gen politischen Debatten wurde, wie in Tabel-le 4.7 dargestellt, der Mindestzins angepasst.

Dass die Reduktion des Mindestzinses un-populär ist, überrascht nicht. Eine permanen-te Senkung der Mindestverzinsung von 4 auf3 Prozent reduziert über den ganzen Lebens-zyklus gesehen das angesparte Alterskapitalum rund 15 bis 20 Prozent (Annahmen: ge-setzliche Altersgutschriften, Lohnwachstumvon 2% pro Jahr). Allerdings sollen die Kassenauch nicht über längere Zeit mehr auszahlenmüssen, als dass sie einnehmen. Im Prinzipkönnten die Schwankungen der Kapitalrendi-te durch die Akkumulation von Reserven inguten Zeiten aufgefangen werden. Diese Mög-lichkeit hat sich allerdings in der Vergangen-

15 Pensionskassen mit einer Staatsgarantie sind über-durchschnittlich häufig und in besonderem Ausmassvon einer Unterdeckung betroffen. Zu dieser Unter-deckung tragen allerdings noch andere Faktoren bei,wie zum Beispiel restriktivere Anlagevorschriften.

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Jahresbericht 2005

69 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

heit aus zwei Gründen als wenig tauglich er-wiesen: Erstens besteht bei hohen Reserven einstarker Druck zur kurzfristigen Verbesserungder Renten oder zu einer Senkung der Beiträge.Zweitens besteht das Problem der Residualan-sprüche auf die so angehäuften Reserven vorallem bei einem Stellenwechsel.

Der vorgeschriebene Mindestzins wirdnach wie vor vom Bundesrat festgelegt. Einesolche diskretionäre Anpassung der Verzin-sung birgt die Gefahr der einseitigen Einfluss-nahme von Interessengruppen. So sind zumBeispiel die Versicherten schlechter organisiertals die Versicherer und können eine Erhöhungder Mindestverzinsung schlechter durchsetzenals die Versicherer deren Senkung, wie dasBeispiel der letzten 20 Jahre deutlich zeigt.Eine weit tauglichere Regulierung wäre daherdie Bindung des Mindestzinses an eine Markt-rendite.

Eine Diskussion der Verzinsung ist unvoll-ständig ohne die Erwähnung des Zusammen-hangs mit dem technischen Zinssatz. Letztererwird zur Abdiskontierung der künftigen Leis-tungen und Beiträge verwendet und erlaubtsomit die Bestimmung der Verpflichtungeneiner Kasse. Entscheidend ist der technischeZinssatz insbesondere für die Berechnung desUmwandlungssatzes. Im Gegensatz zur Min-destverzinsung sollte daher der technischeZinssatz dem langfristig erzielbaren Ertrag aufdem Kapitalmarkt entsprechen. Sinken dieRenditen dauerhaft, so ist eine Reduktion die-

ses Wertes unumgänglich. Dies wäre jedoch für die Versicherten schmerzlich. Eine Sen-kung des technischen Zinssatzes von 4 auf 3%würde den Umwandlungssatz, und somit auchdie Renten, um zirka 8 bis 9 Prozent senken. 16

Flexibler AltersrücktrittEine Mehrheit der Kassen (vor allem die

grösseren) bietet schon heute Möglichkeitenzum vorzeitigen Altersrücktritt, von denenauch grosszügig Gebrauch gemacht wird, wiein Abschnitt 4.1 dargelegt wurde. Die Rege-lungen reichen von Vorbezügen unter versiche-rungsmathematischen Kürzungen bis zu vollenLeistungen zu einem tieferen als dem offiziel-len Rentenalter (meist 62) mit AHV-Über-brückungsrenten, die nach dem Alter 65 volloder teilweise zurückbezahlt werden müssen.In Zeiten hoher Kapitalmarktrenditen wurdendie zum Teil sehr grosszügigen Regelungen vorallem aus den Überschüssen alimentiert. DieseForm der Finanzierung ist aber heute nichtmehr möglich und stellt die Kassen vor erheb-liche Probleme bei bereits eingegangenen Ver-pflichtungen (vor allem auch im Hinblick aufdie zu hohen Umwandlungssätze).

Empirische Studien (Gruber & Wise 2004im internationalen Vergleich, Bütler, Hugue-nin & Teppa 2005 für die Schweiz) zeigendeutlich, dass Möglichkeiten zur frühzeitigenPensionierung das durchschnittliche Renten-alter selbst dann senken, wenn die Kürzungenfür den Vorbezug versicherungstechnisch fairsind.Viele Versicherte gehen somit zum frühst-möglichen Termin in Rente. Auch in derSchweiz ist das durchschnittliche Rentenalterin den letzten 15 Jahren stark gesunken. Diesdürfte nicht nur eine Folge der Zunahme dervon den Pensionskassen angebotenen Mög-lichkeiten zur Frühpensionierung sein. Eben-so wichtig scheint, dass sich dank der ausge-bauten zweiten Säule (mit den resultierendenhohen Ersatzraten auch für hohe Einkommen)immer mehr Versicherte einen vorzeitigenRücktritt aus dem Erwerbsleben leisten können.Für diese Erklärung spricht auch, dass dasdurchschnittliche Rentenalter je tiefer ist,desto höher das angesparte Pensionskassen-kapital ist. Dies führt dazu, dass hoch qualifi-zierte Arbeitnehmer oft früher in Rente gehen(können) als schlecht ausgebildete Arbeiter.

Kapital oder Rente?Bis zur 1. Revision des BVG war der Bar-

bezug des Altersguthabens nur in gewissenKassen möglich. Seit dem 1. Januar müssen dieKassen den Versicherten auf Wunsch mindes-tens 25% des angesparten Kapitals pauschalauszahlen. Theoretisch kann die Wahl zwi-schen Rente und Kapital unter Umständen zuProblemen der adversen Selektion führen,da Versicherte mit unterdurchschnittlicher

Tabelle 4.7

Entwicklung der Mindestverszinsung im BVG seit 1985

Jahre 1985–2002 2003 2004 2005

Mindestzins BVG 4% 3.25% 2.25% 2.5%

Grafik 4.10: Vergleich des Mindestzinssatzes mit verschiedenen Marktrenditen (1 = 100% pro Jahr).Weiterführende Informationen in Bütler & Ruesch (2005).

–0.3

–0.2

–0.1

0

0.1

0.2

0.3

0.4

0.5

0.6

1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004

Mindestzins BVG Pictet Aktienindex CH Pictet Bondindex Kassazinssatz 10J

16 Der genaue Wert hängt von den verwendetenMortalitätsraten ab. Die Auswirkungen des technischenZinssatzes unterscheiden sich zwischen Beitrags- und Leistungsprimat. Für Details siehe keel, Frauen-dorfer und Jacoby (2003).

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4. Analysen zu ausgewählten Themen

70 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

Lebenserwartung einen höheren Geldwert ausder Kapitaloption erzielen, und der Kapital-bezug zusätzlich steuerlich begünstigt wird.Die Kassen wären somit mit den «schlechtenRisiken» belastet. Die Erfahrung zeigt aller-dings, dass diese Befürchtung unbegründet ist(siehe Bütler & Teppa [2005]). So wählen zumBeispiel unverheiratete Männer, welche einekürzere Lebenserwartung und keine rentenbe-rechtigten Nachkommen haben, überdurch-schnittlich oft die lebenslange Rente, obwohlder Geldwert der Kapitaloption für sie in denmeisten Fällen höher wäre.

Eher ins Gewicht fallen dürfte der Um-stand, dass ein Teilbezug des Kapitals zu einerkleineren Altersrente führt. Im Extremfall istdie resultierende Rente kleiner als das Exis-tenzminimum und der Versicherte kann nachdem Verzehr des Kapitals Ergänzungsleistun-gen der AHV beziehen. Bei den gesetzlich vor-geschriebenen 25% ist dies wohl eher selten derFall, bei den zahlreichen Kassen, die den vollenBarbezug erlauben, allerdings schon.17 Diestarre Regelung von 25%, die sich zudem aufden obligatorischen Teil beschränkt, ist dahereher unglücklich. Es wäre besser, den Kapital-bezug so zu begrenzen, dass die gesamtenRenteneinkünfte (AHV und BVG) einen be-stimmten Betrag (zum Beispiel 1,5-mal dieMaximalrente der AHV) nicht unterschreiten.So könnte sichergestellt werden, dass der Staatdie vorgezogenen Kapitalleistungen späternicht mit Ergänzungsleistungen kompensie-ren muss.

4.2.4 Mögliche Reformen und AusblickDie heutigen Diskussionspunkte liefern

auch Hinweise auf mögliche künftige Ver-besserungen und Reformen der beruflichenVorsorge. Die diskutierten Reformvorschlägereichen von Verbesserungen innerhalb des be-stehenden Systems über eine Verbesserung derFlexibilität der zweiten Säule bis zu einschnei-denden Änderungen der Regulierungsphiloso-phie. Ziele sind, unter anderem, eine höhereEffizienz des Systems, inklusive eine bessereAbstimmung mit der ersten Säule, und einehöhere Entsprechung der Bedürfnisse der Ver-sicherten.

Relativ unbestritten ist, dass die Parameterder Regulierung, insbesondere die Mindest-verzinsung und der Umwandlungssatz, perio-disch an die Marktbedingungen und dieDemografie angepasst werden sollten. Ideal isteine Indexierung des Umwandlungssatzes andie aktuellen Sterbetafeln unter Mitberück-sichtigung der prognostizierten Erhöhung derLebenserwartung der Versicherten. Ist die Re-gulierung nicht nahe genug am Markt, sehensich die Kassen Leistungsversprechungengegenüber, die sie nicht finanzieren können.Als weitere Folge wären auch die Lebensver-

sicherer an der beruflichen Vorsorge nichtmehr interessiert, wie dies bereits heute teil-weise der Fall ist.

Pro und contra freie Wahl der PensionskasseEine Flexibilisierung der beruflichen Vor-

sorge kann auch über eine freie Kassenwahl er-reicht werden. Auf der Hand liegt der Vorteil,dass in einem System mit freier Wahl der Pen-sionskasse ein Wettbewerb zwischen den Kas-sen zu besseren Bedingungen, insbesondere zugeringeren Kosten, sowie zu einer besserenEntsprechung der Wünsche der Versichertenführen könnte. Für kleine Firmen mit wenigenAngestellten ergäben sich damit auch adminis-trative und finanzielle Minderbelastungen,da gewisse Fixkosten wegfallen würden. Beimittleren und grösseren Firmen kann der ad-ministrative Aufwand unter Umständen wie-der grösser werden, da für jeden Angestelltenandere, und potenziell ändernde, Bedingungenherrschen. Solange die Unternehmungen dieRolle des Intermediärs in der zweiten Säulespielen (was nicht unbedingt notwenig ist), sobesteht die Gefahr, dass mögliche Ersparnissebei den Kassen durch einen Mehraufwand beiden Firmen kompensiert werden.

Die Beispiele Chile und Australien zeigenauch, dass die Verwaltungskosten und vorallem die bei einer freien Wahl neu anfallendenMarketingkosten hoch sein können. In Austra-lien weisen Gruppenversicherungen (ähnlichwie im schweizerischen System) geringereKosten aus als Individualversicherungen. Ad-ministrationskosten reduzieren die erzielbareAltersrente um 15 bis 33% in Chile, um zirka15 bis 20% in Australien (bei freier Kassen-wahl), aber um deutlich weniger als 10% in der Schweiz (Batesman, Kingston und Piggott[2001]).18 Auf Grund langjähriger Erfahrun-gen mit amerikanischen 401(k) Plänen, welcheeinem System mit freier Pensionskassenwahlsehr nahe kommen, argumentieren Munnellund Sundén (2004) zudem, dass die meistenVersicherten mit der Planung der Altersvor-sorge überfordert sind. Die Autorinnen kom-men denn auch zum Schluss, dass eineZwangssparkomponente ohne Wahlmöglich-keiten für viele Versicherte optimal wäre.19

Die in der schweizerischen beruflichenVorsorge inhärente implizite Selektion derVersicherten mit ähnlichen Charakteristika(vor allem bezüglich der Lebenserwartung) hat durchaus auch Vorteile. Die grosszügigenFrühpensionierungsregelungen im Baugewer-be konnten unter anderem deswegen realisiertwerden, weil eine unterdurchschnittliche Le-benserwartung sowie die Reduktion vonInvaliditätsleistungen an ältere Arbeitnehmerdiese Mehrkosten teilweise kompensierenkonnten. Ohne Selektion impliziert ein Kapi-taldeckungsverfahren nicht nur unerwünschte

17 So ist bei kleineren Kassen der Barbezug oft die dominante Leistungsform.

18 Die Zurechnung von Verwaltungskosten (inklusive derKosten der Vermögensverwaltung) ist sehr schwierigund mit Fehlern behaftet. Sie hängt zudem sehr starkvon der Organisationsform der Kassen ab. So könnenzum Beispiel autonome Kassen von der Personal-administration der zugehörigen Firma profitieren, dadort ohnehin für alle Mitarbeitenden Datenblätter undSozialversicherungsabrechnungen geführt werdenmüssen.

19 Die Wahl einer Pensionskasse ist für die Versichertenwohl schwieriger als die Wahl einer Krankenkasse. ImGegensatz zur Krankenversicherung ist die zweite Säuleinhärent dynamisch und Leistungs- und Beitragsphasefallen nicht zusammen.

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Jahresbericht 2005

71 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

Umverteilungen von arm zu reich, sondern ge-neriert unter Umständen auch bedeutendeKosten für die Invaliditätsversicherung und dieErgänzungsleistungen der AHV.

Ganz ohne Wahlmöglichkeiten ist dasschweizerische System ohnehin nicht, gehörtdoch die Pensionskasse auch zu einem wichti-gen Teil des Leistungspakets einer Firma. Diesist, notabene, immerhin auch einer der Haupt-gründe für die spontane Entstehung (ohneStaatseingriff) von beruflichen Vorsorgesyste-men in vielen Ländern. Nicht zu vergessen ist auch, dass die Übergangskosten bei einemSystemwechsel hoch sein können.

Dynamisierung des Umwandlungssatzes auch nach Geschlecht und Zivilstand?

Unabhängig von der Diskussion der freienKassenwahl scheint die Notwendigkeit einerhöheren Flexibilisierung der beruflichen Vor-sorge unbestritten. Der uniforme Umwand-lungssatz, einst als Ausdruck einer Gleichbe-handlung der Geschlechter gesehen, führt zueiner ausgeprägten Ungleichbehandlung vonPersonen in verschiedenen Lebensumständen.Wohl hat die obligatorische Witwenrente zueiner massgeblichen Reduktion der Witwen-armut geführt, welche zum Beispiel in denUSA immer noch verbreitet ist. Es ist allerdingsnicht unbedingt einzusehen, weshalb dieseEhepaarrente von den anderen Versichertenmitfinanziert werden muss. Ein gut gestellterVersicherter mit einer jüngeren Frau und min-derjährigen Kindern erzielt unter Umständeneine Rente pro einbezahlten Franken, die dop-pelt so hoch ist wie die eines allein stehendenArbeiters, der dann seinerseits eventuell vonder AHV Ergänzungsleistungen beantragenmuss. Ein einheitlicher Umwandlungssatzführt eher zu einer Ungleichbehandlung vonunterschiedlichen Lebens- und Arbeitsmus-tern als zu einem gerechten System.

Wie würde die Sache nun aussehen, wennsich der Umwandlungssatz nach individuellbeobachtbaren Kriterien (Geschlecht, Zivil-stand, Altersdifferenz zum/r mitversichertenPartnerIn) unterscheiden würde? Entgegendem allgemeinen Verständnis würden dieFrauen bei einem Systemwechsel im Durch-schnitt nicht schlechter gestellt als heute. Esgäbe allerdings weniger Umverteilung vonallein stehenden Männern zu verheiratetenPersonen. Eine marktgerechtere Festsetzungdes Umwandlungssatzes würde nicht nur derVielfalt der modernen Lebensformen besserRechnung tragen, sondern auch das Risiko-management der Versicherer erleichtern.

4.2.5 SchlussbemerkungenDie Alterssicherung ist und bleibt eine

Bausstelle. Dies dürfte sich auch nicht soschnell ändern angesichts der grossen Un-

sicherheiten über die künftigen wirtschaft-lichen und demografischen Entwicklungenweltweit. Finanzierungslücken wird es immerauch bei der kapitalgedeckten zweiten Säulegeben. Trotz aller Probleme steht die beruflicheVorsorge der Schweiz im internationalenVergleich allerdings gut da. Die anstehendenProbleme lassen sich durchaus im bestehendenRahmen lösen. Über der Diskussion um die Unterdeckung von grossen (und vor allemöffentlichen) Kassen wurde oft vergessen,dass eine Mehrheit der schweizerischen Pen-sionskassen finanziell gut da steht und einegrosszügige Alterssicherung unter relativ ge-ringen Administrationskosten anbietet. Einezu marktferne Regulierung und zu hoheMindestleistungen stellen aber insbesondereauch die Versicherungen, die in vielen Fällendie berufliche Vorsorge kleiner Firmen über-nehmen, vor Probleme im obligatorischenBereich.

Zwingt der Staat die Leute zum Sparen, wiedies in der Schweiz in einem sehr umfassendenRahmen geschieht, ist eine Regulierung undÜberwachung der Pensionskassen selbst beifreier Kassenwahl unumgänglich. Die Ent-wicklungen der letzten 20 Jahre sowie dieErfahrungen anderer Länder haben gezeigt,dass es für Versicherte und Versicherergleichermassen sehr schwierig ist,Verträge übermehrere Jahrzehnte zu beurteilen. Wünschens-wert sind daher eine flexible Regulierung, diesich viel näher als bisher an den Marktbedin-gungen orientiert, eine Indexierung der Leis-tungen an die Lebenserwartung, sowie einebessere Abstimmung der beruflichen Vorsorgemit der ersten Säule.

4.3 Langzeitpflege im Alter20

4.3.1 KontextZwischen 2000 und 2030 dürfte sich die

Lebenserwartung im Alter von 60 Jahren von20,7 auf 22,1 Jahre für Männer und von 25,1auf 26,7 Jahre für Frauen erhöhen. Durch dielängere Lebensdauer wird der Anteil an Hoch-betagten weiter steigen, und die Folgen imZusammenhang mit der Pensionierung derBabyboom-Generation werden sich verschär-fen. Auch dürfte die Zahl der Personen, die zurBewältigung des Alltags langfristig Pflege undBetreuung benötigen, bis 2030 markant zu-nehmen. Der Umfang dieses Trends ist jedochunsicher, da sich nur schwierig vorhersagenlässt, wie sich der Gesundheitszustand und derBetreuungsbedarf der älteren Menschen in denkommenden Jahrzehnten entwickeln werden.

Die Mehrheit der Bevölkerungsgruppe, dieregelmässig Pflege und Betreuung benötigt, istälter als 80 Jahre.Von den 76 000 in Alters- undPflegeheimen wohnhaften Personen sind fast

Literaturangaben zur Kapitel 4.2– Bateman, Hazel, Kingston G. und Piggott

J. (2001): Mandating Private RetirementProvision, Cambridge University Press.

– Bohn, Henning (2005), «Who Bears WhatRisk? An International Perspective»,Arbeitspapier University of California atSanta Barbara.

– Supan B., Axel, Ludwig A. und Winter J.(2005), «Aging, pension reform, andcapital flows: A multi-country simulationmodel», Arbeitspapier Mannheim ResearchInstitute for the Economics of Aging (MEA)

– Patthey B., Olivier und Wirz R. (2005):«Vergleich zwischen der AHV und derberuflichen Vorsorge (BV) aus wirtschaft-licher Sicht», Beiträge zur Sozialen Sicher-heit, EDI, Forschungsbericht Nr 5/05.

– Bundesamt für Statistik (2002): Die berufliche Vorsorge in der Schweiz:Pensionskassenstatistik 2002. Neuchâtel.

– Bütler, Monika (2004) «Mandated Annui-ties in Switzerland», in Fornero, Elsa. &Luciano, E. (Herausgeber); Developing anAnnuity Market in Europe, Edward ElgarPublishing Ltd.

– Bütler, Monika, Huguenin O. und Teppa F.(2005), «High Pension Wealth TriggersEarly Retirement even in a FundedScheme», revidierte Version von «WhyForcing People to Save for Retirement MayBackfire», CESifo working paper 1458.

– Bütler, Monika und Teppa F. (2005); «TheChoice Between an Annuity and a LumpSum: Results from Swiss Pension Funds»;CEPR working paper.

– Bütler, Monika und Ruesch M. (2005);«Annuities Markets: Switzerland »;Arbeitspapier.

– Gruber, Jonathan und Wise D. (2004);Social Security Programs and RetirementAround the World: Microestimations,University of Chicago Press, Chicago.

– Keel, Alex, Frauendorfer K. und Jacoby U.(2003); «Studie über die kurz- und mittel-fristigen Finanzierungsrisiken von Vorsor-geeinrichtungen. Eine Analyse unter be-sonderer Berücksichtigung des Einflussesder technischen Parameter», Institut fürUnternehmungsführung HSG, im Auftragdes Bundesamts für Sozialversicherungen.

– Kommission für Konjunkturfragen/Com-mission pour les questions conjoncturel-les; «Versicherungsökonomische Aspekteder 2. Säule» / «Aspects actuariels du 2e pillier», Jahresbericht der KfK/Rapportannuel de la CQC, September 2002.

– Kotlikoff, Laurence und Burns S. (2004),The Coming Generational Storm, MIT Press,Cambridge.

– Munnell, Alicia und Sundén A. (2004).Coming Up Short: The Challenge of 401(k)Plans. Washington, DC: The BrookingsInstitution Press.

20 Zu Kapitel 4.3 findet sich ein Hintergrundpapier unter:www.kfk.admin.ch/ Studien und Hintergrundpapiere /Soins de longue durée des personnes âgées, Jean-renaud C., Université de Neuchâtel.

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4. Analysen zu ausgewählten Themen

72 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

80% über 80 Jahre alt. Gleichzeitig ist derGrossteil der älteren Menschen noch selbst-ständig: In der Altersgruppe der 65-/79-Jähri-gen sind 94% selbstständig und 6% pflege-bedürftig. Bei den Über-80-Jährigen sind nochdrei von vier Personen selbstständig, lediglichein Viertel benötigt Pflege und Betreuung(Höpflinger und Hugentobler 2003).

Die Langzeitpflege umfasst sowohl medizi-nische Leistungen als auch Unterstützung derBetroffenen bei Alltagsverrichtungen, die sienicht mehr allein ausführen können. Traditio-nell wurden die Menschen im Alter von ihrenAngehörigen betreut, ohne Belastung für das Staatsbudget. Gesellschaftliche Verände-rungen und der Wandel der Familienstrukturen– mehr Alleinlebende, höherer Beschäfti-gungsgrad der Frauen, grössere Distanzen zwi-schen Familienmitgliedern – haben die Wahr-scheinlichkeit erhöht, dass jemand formelleHilfe – Spitex oder Alters- und Pflegeheime –in Anspruch nehmen muss.

Die Kosten für die Langzeitpflege sind hochund bedeuten sowohl für den Staat als auch für die Privathaushalte eine grosse Belastung.2003 wurden für die Langzeitpflege 7,2 Milliar-den Franken oder 14,5% der gesamten Aus-gaben für das Gesundheitswesen aufgewendet.Bei diesem Betrag ist die informelle, vonFamilienangehörigen oder ehrenamtlich ge-leistete Pflege noch nicht berücksichtigt.Zwischen 1995 und 2003 sind die Kosten fürdie Langzeitpflege stärker als die Gesundheits-kosten insgesamt gestiegen. Die zunehmendeAlterung ist dafür nur bedingt verantwortlich.Mit dem Inkrafttreten des KVG (1996) kam eszweifellos zu einem Nachholeffekt. Seit diesemZeitpunkt sind Alters- und Pflegeheime unddie Spitex als Leistungserbringer anerkannt,und die Krankenversicherung übernimmtdieselben Leistungen wie im Rahmen einerambulanten Behandlung. Es ist davon auszu-gehen, dass die Kosten für die Langzeitpflegenoch während mehrerer Jahrzehnte schnellerwachsen werden als die Gesundheitskosteninsgesamt. Eine aktuelle Schätzung zeigt, dassdie Kosten für die Langzeitpflege zu konstan-ten Preisen zwischen 2001 und 2030 um 130%von 1,5 auf 2,7% des BIP ansteigen dürften(IRER/OBSAN 2004). Das prognostizierteAusgabenwachstum in den OECD-Ländern istnoch etwas höher: Es wird mit einer Verdop-pelung des Anteils am BIP gerechnet (Bainsund Oxley 2004). Im internationalen Vergleichbefindet sich die Schweiz im Mittelfeld zwi-schen Ländern mit sehr hohen Ausgaben(Norwegen, Niederlande, Dänemark) undLändern mit moderateren Kosten (Italien,Frankreich, Japan).

Die hohen Kosten sind in erster Linie mitder grossen Anzahl von Personen zu erklären,die den Alltag nicht mehr selbstständig be-

wältigen können (195 300 Personen nehmendie Spitex in Anspruch, rund 80 000 leben inAlters- und Pflegeheimen). Ebenfalls einewichtige Rolle spielen der grosse Betreuungs-bedarf sowie die technischen Merkmale dieserLeistungen (arbeitsintensiv, Produktivitätsge-winne schwierig).Zur Kostensteigerung tragennoch weitere Faktoren bei: die mangelndeFunktionsfähigkeit des Marktes, der fehlendeWettbewerb, die Tatsache, dass die Entschei-dungsträger – Kantone und Versicherer – derKosteneffizienz nicht Priorität einzuräumenscheinen, das Defizit an positiven Anreizen,das Verhalten der Versicherten (Moral Hazard)sowie fehlende Zwischenstrukturen (zwischenSpitex und Heimen). Überraschend gross sinddie Unterschiede zwischen den einzelnenKantonen in Bezug auf den Umfang statio-närer Leistungen. Sie lassen sich nicht alleinmit einer unterschiedlich guten Gesundheit imAlter begründen: Während im Kanton Waadtknapp 15% der Über-80-Jährigen in einer Ins-titution leben, sind es im Kanton Glarus über30%. Auch bei der Aufenthaltsdauer lassen die kantonalen Durchschnitte aufhorchen:Während ein Patient gesamtschweizerisch imDurchschnitt 2,5 Jahre in einem Alters- undPflegeheim verbringt, erreicht dieser Wert ingewissen Regionen das Doppelte (Guilley2005b).

Im Bestreben um einen wirksamen und ef-fizienten Ansatz in der Langzeitpflege stellensich insbesondere Fragen darüber, ob sich eineLeistungsart durch eine andere ersetzen lässt(bewirkt eine Steigerung im ambulanten Be-reich eine Reduktion der Nachfrage nach deut-lich teureren stationären Leistungen?), wie einFinanzierungssystem aussehen könnte, das dieverschiedenen involvierten Akteure stärker indie Pflicht nimmt, und welche Wettbewerbs-mechanismen sinnvoll sind. Die Finanzierungder Langzeitpflege gehört zu den wenigengrossen gesellschaftlichen Risiken, welchedurch die Sozialversicherungen nicht weit ge-hend abgedeckt sind. Im Durchschnitt kostetder Aufenthalt in einem Alters- und Pflege-heim jährlich über 70 000 Franken (IRER/OBSAN 2004). Davon werden fast 50% nichtvon der Krankenversicherung oder der Sozial-hilfe übernommen und somit von den Betrof-fenen bezahlt. Auf diese Weise schrumpft beiallen, die nicht über eine hohe Rente verfügen,das im Laufe des Lebens angesparte Vermögenrasch. Dabei kann man sich fragen, ob es rich-tig ist, dass Personen, die gespart oder einePrivatversicherung abgeschlossen haben, ihrVermögen einsetzen müssen, während solche,die ihr Geld verbraucht haben, das sozialeAuffangnetz in Anspruch nehmen können.Die Ausgestaltung der Sozial- und Privatver-sicherungen in Bezug auf die Langzeitpflege istdeshalb eine wichtige Frage.

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Jahresbericht 2005

73 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

4.3.2 Struktur und Entwicklung der Kosten

Pflege und Betreuung können durch Fami-lienangehörige, Bekannte oder ehrenamtlichTätige gewährt werden (informelle Pflege).Kann die Familie die notwendige Betreuungnicht gewährleisten, werden pflegebedürftigePersonen von professionellen Strukturen be-treut (formelle Pflege), von Spitex-Dienstenoder Alters- und Pflegeheimen.

In Institutionen leben mehrheitlich Frauen.Sie stellen drei Viertel aller älteren Menschenin Alters- und Pflegeheimen. In der Alters-gruppe der 80- bis 84-Jährigen wohnen drei-mal mehr Frauen als Männer in solchen Ein-richtungen, und dieses Verhältnis steigt mitzunehmendem Alter weiter an. 27% der Frau-en und 16% der Männer zwischen 80 und 84

Jahren leben in einem Alters- und Pflegeheim.Diese Unterschiede sind auf die Übervertre-tung der Frauen in diesen Altersgruppen zu-rückzuführen. Frauen leben deshalb häufigerallein als Männer. Gemäss Sauvain-Dugerdil(2005) handelt es sich bei dieser Lebensformum ein vorwiegend weibliches Phänomen:Mehr als die Hälfte der Frauen zwischen 75und 79 Jahren, die nicht in einem Alters- undPflegeheim wohnen, lebt allein, bei den Män-nern sind es 20%.

Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer inAlters- und Pflegeheimen ist ebenfalls ge-schlechtsabhängig. Guilley (2005b) schätzt dieAufenthaltsdauer in einem Alters- und Pflege-heim auf drei Jahre für die Frauen und auf einJahr für die Männer, was einen Durchschnittvon 2,5 Jahren ergibt, weil drei Viertel der inentsprechenden Einrichtungen wohnhaftenPersonen Frauen sind.21 Dieser Anteil ist nied-riger als derjenige, der in den Statistiken zurLangzeitpflege jener Kantone ausgewiesen wird,welche das Evaluationsinstrument PLAISIReingesetzt haben (Waadt, Genf, Neuenburgund Jura): Demnach belief sich die durch-schnittliche Aufenthaltsdauer Ende Oktober2004 auf 3,7 Jahre. Der tatsächliche Wert istnicht bekannt,aber offensichtlich höher (Inter-kantonale Technische Kommission PLAISIR2004).

Zwischen 1995 und 2003 sind die Kostenfür die Langzeitpflege rascher angestiegen alsdie gesamten Gesundheitskosten. Es scheintauch, dass die Kosten deutlich stärker gewach-sen sind als die Bevölkerungsgruppe der Über-80-jährigen. Dies würde die Hypothesestützen, dass es nach der Einführung des neuenKrankenversicherungsgesetzes (KVG) zu einemAufholeffekt kam. Die Kosten für die Spitexund die Pflege in Institutionen haben inähnlichem Umfang zugenommen.

Die Prokopf-Ausgaben sind für die Pflege ineiner Einrichtung höher als für die Spitex. Diesist dadurch bedingt, dass es sich bei Personen,die in Alters- und Pflegeheimen betreut wer-den, im Allgemeinen um schwerere Fälle han-delt. Damit ein Kostenvergleich Sinn macht,müssen ähnlich schwere Fälle herangezogenwerden. Eine kanadische Studie hat ergeben,dass sich Einsparungen von 25% bis 60% er-zielen lassen, wenn die stationäre Betreuungdurch Spitex-Leistungen ersetzt wird, falls dieArt der Leistungen und der Betreuungsumfangkonstant bleiben (Hollander 1999).

4.3.3 Internationaler VergleichFür die unterschiedlich hohen länderspezi-

fischen Ausgaben im Bereich der Langzeitpfle-ge im Alter gibt es verschiedene Gründe. EineRolle spielen der Anteil der Hochbetagten22,der Anteil von Personen, die im Alter alleinleben, die Erwerbsquote der Frauen, von der

Grafik 4.11: In Heimen lebende Personen nach Alter und Geschlecht, 2000

0

5000

10000

15000

20000

65–69 Jahre 70–74 Jahre 75–79 Jahre 80–84 Jahre 85–89 Jahre 90–94 Jahre 95 Jahre und älter0%

20%

40%

60%

80%

Frauen Männer % Frauen % Männer

In H

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Quelle: BFS, Volkszählung, spezielle Auswertung

Grafik 4.12: Vergleich der Kostenentwicklung für die Langzeitpflege seit 1995

100

110

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140

150

1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003

Alters- und Pflegeheime Spitex Kosten für das Gesundheitswesen

BIP Über-80-Jährige

Inde

x 19

95 =

100

Quellen: BFS (2002, 2004, 2005) und SNB (2005).

21 Die Daten der Volkszählung sind mit einer gewissenVorsicht zu interpretieren, da nach einer Lebensform ineiner Gemeinschaft und nicht spezifisch nach einemAufenthalt in einem Alters- und Pflegeheim gefragtwurde. Bei älteren Menschen ist diese Gemeinschaft je-doch in den meisten Fällen ein Alters- und Pflegeheim.

22 Das Wachstum dieser Bevölkerungsgruppe variiert jenach Land sehr stark: Für den Zeitraum 1960–2040 wirddas Wachstum der Altersgruppe der Über-80-Jährigenfür die Schweiz auf 400%, für Finnland auf 600%, für die USA auf 800% und für Japan auf 1300% geschätzt(Royal Commission on Long Term Care 1999).

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4. Analysen zu ausgewählten Themen

74 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

die Möglichkeit zum Erbringen informellerLeistungen abhängt, sowie die staatliche Poli-tik (Leistungsangebot, Finanzierungsart). Inder Schweiz sowie in Grossbritannien, Austra-lien und Neuseeland sind die Leistungen zu-mindest teilweise bedarfsabhängig. In Schwe-den und Dänemark sind die Leistungenkostenlos und steuerlich finanziert, währendin Deutschland die Pflegekosten von einersozialen Pflegeversicherung getragen werden(Karlsson et al. 2004).

4.3.4 Ersatz oder ErgänzungDie Suche nach einer optimalen Kombina-

tion zwischen informeller Pflege, Spitex undHeimbetreuung ist im Rahmen der Gesund-heitspolitik für das Alter ein wichtiger Faktor.Durch die von Angehörigen kostenlos geleiste-te informelle Pflege wird das Staatsbudgetnicht belastet. Die informelle Pflege ist imBereich der Langzeitpflege von grosser Bedeu-tung. Die Hoffnung, die Kosten für die Lang-zeitpflege durch einen stärkeren Einbezug derFamilien zu senken, kann sich jedoch als trü-gerisch erweisen,da die informelle Pflege einenrealen wirtschaftlichen Preis hat, da diese Be-treuung von Personen übernommen wird,die vollzeitlich erwerbstätig sind. Es kommtauch vor, dass Personen mit pflegebedürftigenAngehörigen ihre Erwerbstätigkeit einschrän-ken müssen. Es gibt nur wenige empirischeStudien zu den relativen Kosten der Spitex bzw.in Institutionen, und die Schlussfolgerungendecken sich nicht. Die wenigen methodischeinwandfreien Arbeiten – die auf vergleichba-ren Fällen beruhen – legen jedoch den Schlussnahe, dass ambulante Pflegeleistungen deut-lich weniger Kosten verursachen (Hollander1999).

Eine wichtige Frage betrifft den Zusam-menhang zwischen diesen verschiedenen Pfle-

gearten: Handelt es sich um eine Ergänzungoder um eine Verlagerung? Falls es sich um eineVerlagerung handelt, können teure Leistungendurch günstigere Leistungen ersetzt werden.Die Möglichkeit, professionelle Spitex-Leis-tungen durch ehrenamtliche Leistungen zu er-setzen, ist jedoch begrenzt (Bell et al. 2002), dasich diese beiden Leistungsarten im Wesent-lichen ergänzen. Die Kantone möchten einePolitik verfolgen, mit der vermieden wird, dassdie Bereitstellung professioneller Strukturenden Familien einen Anreiz zur Reduktion derinformellen Hilfe gibt. Der wichtigste Aspektbetrifft jedoch die Evaluation des Substitu-tionspotenzials zwischen Spitex und Alters-und Pflegeheimen. Das Ziel besteht darin, dieKosten zu reduzieren und gleichzeitig älterenMenschen die Möglichkeit zu geben, selbst-ständig zu leben und zu Hause und nicht ineinem Heim betreut zu werden. Dazu ist an-zumerken, dass von den Ländern, zu denenentsprechende Daten vorliegen, die Schweizrelativ gesehen im Bereich der Spitex die ge-ringsten Anstrengungen unternimmt.

Der Vergleich regionaler Daten in derSchweiz liefert interessante Informationen zueinem möglichen Ersatz von Heimen durch dieSpitex. Jeder Kanton verfolgt nämlich in Bezugauf die Betreuung im Alter eine eigene Politik.Die These eines negativen Zusammenhangszwischen dem Anteil von Über-80-Jährigen,die Spitex-Leistungen in Anspruch nehmen,und der Institutionalisierungsquote (Anteilder in Alters- und Pflegeheimen lebendenPersonen an der Gesamtzahl der Patienten)wird in der Grafik 4.14 bestätigt. Allerdings ist dieser Zusammenhang nicht sehr ausge-prägt, da er von zahlreichen weiteren Faktorenbeeinflusst wird (Familienstruktur, Erwerbs-quote der Frauen, Gesundheitszustand derälteren Bevölkerung …).

Eine laufende Studie hat gezeigt, dasszwischen Spitex und Heimpflege bei den über80-Jährigen ein negativer Zusammenhang be-steht, wenn man die Kontrollvariablen wieLangzeitaufenthalt im Spital, Urbanisierungs-grad und Dichte von Alters- und Pflegeheimenberücksichtigt (OBSAN/IRER, Veröffentli-chung bevorstehend). Daraus lässt sich ablei-ten, dass sich die in Alters- und Pflegeheimenerbrachten Leistungen bis zu einem gewissenGrad durch die Spitex ersetzen lassen, dies abernur für eine relativ begrenzte Anzahl pflegebe-dürftiger Personen. Diese Schlussfolgerung istwichtig, da sie verdeutlicht, dass eine Politikzur Verbesserung des Angebots an ambulantenPflegeleistungen unter gewissen Vorausset-zungen zu einer Reduktion der Inanspruch-nahme stationärer Leistungen und damit zueiner Kosteneindämmung und einer höherenLebensqualität pflegebedürftiger älterer Men-schen beitragen kann.

Grafik 4.13: Vergleich der Kosten für die Langzeitpflege, in % des BIP (2003)

0.40.6 0.7 0.7

0.8 0.9

1.4 1.51.6 1.7

2.5

2.83.0

3.9

0.0

0.5

1.0

1.5

2.0

2.5

3.0

3.5

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In %

des

BIP

Quellen: Bains und Oxley (2004) und EPC (2001).

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Jahresbericht 2005

75 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

4.3.5 Politische Strategien

Langzeitpflege

Funktioniert die Leistungserbringung inder Langzeitpflege – 1300 Einrichtungen und700 regionale Spitex-Organisationen – effizientund wirksam,mit anderen Worten:Werden dieerwarteten Leistungen zu einem möglichstgünstigen Preis erbracht? Die Evaluation dertechnischen Effizienz in diesem Bereich istaufgrund der Komplexität der Leistungenschwierig. Jeder Leistungserbringer hat einenspezifischen Kundenkreis mit unterschiedlichstarker Abhängigkeit und einem bestimmtenBedarf an Pflege und Betreuung. Die Kostenwerden nicht nur durch die Management-qualität beeinflusst, sondern auch durch dieZusammensetzung der Fälle («Case mix»).Crivelli, Filippini und Lunati (2001) haben dieAltersheime in der Schweiz unter dem Ge-sichtspunkt der Effizienz untersucht, indem siedie Kosten ermittelten, welche im Optimalfall(«Best Practice») entstehen. Die spezifischenMerkmale der Einrichtungen wurden dabeiberücksichtigt. Die Ergebnisse der Studie wei-sen darauf hin, dass zahlreiche Einrichtungenzu klein sind, um Infrastruktur und Personaloptimal einsetzen zu können. Die ideale Grösseliegt bei 70 bis 80 Betten, und demnach wärerund die Hälfte der Heime zu klein (Skalen-ineffizienz). Die Mehrkosten in kleineren Hei-men sind allerdings begrenzt, und ihnen stehtmöglicherweise ein Gewinn an Lebensqualitätfür die Patientinnen und Patienten gegenüber.Teilweise bedeutende Unterschiede werden imBericht auch in Bezug auf die Kosteneffizienzfestgestellt. Für die Hälfte der Heime betragendie Mehrkosten gemessen an der «Best Practi-ce» 15%. In den am wenigsten effizienten Ein-richtungen sind die Mehrkosten hoch. Sie ste-

hen in Zusammenhang mit ungenügendenLeistungen. Für die Leistungen der Spitex inder Schweiz gibt es keine Evaluationen zurtechnischen Effizienz (siehe Zhou und Suzuki,Veröffentlichung bevorstehend).

Das Leistungsangebot im Bereich der Lang-zeitpflege für ältere Menschen ist stark regle-mentiert, und es gibt kaum Marktmechanis-men, an denen sich die Nachfrage orientiert.Ein Mittel, das die Kantone mit dem Ziel derKostenkontrolle einsetzen, besteht in der Ra-tionierung des Angebots. Dies führt zu Warte-listen (Crivelli et al. 2001). Diese Politik kannsich als kontraproduktiv erweisen, da einNachfrageüberschuss entsteht und die Leis-tungserbringer weniger Anstrengungen im Be-reich der guten Managementpraktiken und derKostenkontrolle unternehmen (Nyman 1994).Demgegenüber zeigt die Erfahrung, dass eineZunahme der Konkurrenz fast immer zu einerVerbesserung der Qualität und einem Rück-gang der Kosten führt (Gertler und Waldman1992). Es kann paradox erscheinen, in einemso stark reglementierten Bereich eine Wett-bewerbssituation schaffen zu wollen. Regle-mentierung und Konkurrenz schliessen sich jedoch nicht grundsätzlich aus. Eine ersteMassnahme besteht darin, den Versichererndie Möglichkeit zu geben, die Leistungs-erbringer selbst zu wählen. Dadurch wären dieschlechtesten Einrichtungen gezwungen, ihreManagementpraktiken zu verbessern,wenn sienicht eingehen wollen. Diese Massnahmemüsste mit einer Stärkung der Qualitäts-kontrolle einhergehen. Dieser Ansatz würdeeine wirksame Konkurrenz gewährleisten. DieKonkurrenz würde verstärkt, wenn die staat-lichen Beihilfen nicht an die Einrichtungen,sondern an die Betroffenen selbst ausgerichtetwürden.

Wettbewerb liesse sich noch mit einer an-deren, sowohl einfachen als auch wirksamenStrategie schaffen: Bei der Entschädigung andie Leistungserbringer kann man sich ent-weder auf die Situation beim Erbringer stützen(seine Kosten sowie das Profil und die Inten-sität der erbrachten Leistungen) oder aber aufIndikatoren, die in der gesamten Brancheermittelt werden. In diesem Fall erhalten dieLeistungserbringer – Alters- und Pflegeheimesowie Spitex – einen Pauschalbetrag für ihreLeistungen, der auf der Grundlage der Kosten(zum Beispiel der Durchschnittskosten) invergleichbaren Einrichtungen gesamtschwei-zerisch ermittelt wurden. Dies würde die ein-zelnen Einrichtungen dazu motivieren, effi-ziente Praktiken anzuwenden und die Kostenzu senken. Damit ein solches Wettbewerbsum-feld geschaffen werden kann («yardstick com-petition»), braucht es umfangreiche Kennt-nisse zu den Kosten und Leistungen derBranche. Diese Voraussetzung ist jedoch nicht

Grafik 4.14: Ersatz der Betreuung in Alters- und Pflegeheimen durch Spitex, 2003

0

10

20

30

40

50

Inanspruchnahme der Spitex durch mind. 80-Jährige (%)

Inanspruchnahme von Heimen durch mind. 80-Jährige (%)

SZ AI UR

NW GL TI LU SH AR ZG GR AG ZH TG BE SG SO NE BL VS BS FR VD GE JU OW

Quellen: BFS, Betriebsstatistik der Krankenhäuser und Statistik der sozialmedizinischen Institutionen, spezielle Auswertung und BSV (2004).

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4. Analysen zu ausgewählten Themen

76 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

gegeben. Der Umstand, dass fast jeder Kantonein eigenes Messinstrument einsetzt, verur-sacht nicht nur unnötige Kosten, sondern stehtauch der Schaffung einer Konkurrenzsituationim Bereich der Langzeitpflege im Wege.

Die Kosteneindämmung kann nur durchMassnahmen zur Steigerung der Effizienz er-folgen. Diese müssen mit einer verstärktenPrävention und mit der Förderung ambulan-ter Leistungen kombiniert werden. Die Ergeb-nisse des Nationalen Forschungsprogramms32 zeigen, dass sich mit einer Präventions-strategie (präventive Hausbesuche bei älterenMenschen in gutem Gesundheitszustand) so-wohl der Bedarf an Leistungen als auch derUmfang von Heimaufenthalten und allgemeindie Kosten senken lassen (Schmocker et al.2000). Mit einem Ausbau des Angebots an Spi-tex-Leistungen und an Zwischenstrukturensollte sich der Bedarf an Heimleistungen redu-zieren lassen. Die Erfahrungen aus Hollandveranschaulichen, dass eine Trendwende be-züglich der Platzierung in Institutionen mitgeeigneten Mitteln möglich ist. In Holland istder Anteil der Über-80-Jährigen, die in Heimenleben, von 27,5% Mitte der 80er-Jahre auf 17%zehn Jahre später zurückgegangen.Aufschluss-reich ist dabei ein Vergleich der Anstrengungenzur Förderung spitalexterner Leistungen: InHolland werden im Rahmen der Spitex 42%der Kosten für Langzeitpflege aufgewendet, inder Schweiz sind es 13%.

Finanzierung der LangzeitpflegeDas aktuelle Finanzierungssystem ist kom-

plex und wenig transparent. Es trägt nicht zueinem Wettbewerb zwischen den Leistungs-erbringern bei. Meistens liefert es den betrof-fenen Akteuren keine positiven Anreize. DieFinanzierung der Langzeitpflege bedeutet zu-dem eine grosse Belastung der Krankenver-sicherung und damit der Jungen und derErwerbstätigen. Es gehört nicht zu den eigent-lichen Aufgaben einer Krankenversicherung,die Risiken im Zusammenhang mit dem Alterabzusichern. Die Grenzen des heutigen Finan-zierungssystems sind unbestritten,und es wur-den verschiedene alternative Modelle vorge-schlagen (siehe insbesondere Bundesrat 2005,S. 36 und ff., Zweifel et al. 1994). Mit der Neu-ordnung der Pflegefinanzierung will derBundesrat vermeiden, dass die Belastung derKrankenversicherung im Zusammenhang mitder Pflege älterer Menschen zunimmt. Dasvorgeschlagene Modell sieht vor, dass unter-schieden wird zwischen der Behandlungs-pflege und der Grundpflege, die es den Betrof-fenen ermöglicht, die Alltagsverrichtungen zubewältigen. Demnach würde die Krankenver-sicherung die Behandlungskosten decken, aberlediglich einen Beitrag an die Grundpflege leis-ten. Der Schwerpunkt des neuen Modells liegt

in einer neuen Finanzierung mit dem Grund-gedanken, die Krankenversicherung zu ent-lasten, gleichzeitig aber zusätzliche Massnah-men zu treffen, um zu vermeiden, dasspflegebedürftige Menschen in Schwierigkeitengeraten. In Bezug auf die übrigen Defizite desSystems bringt das neue Modell hingegen keineoder nur bedingt Lösungen. Dazu gehören derfehlende Wettbewerb, die technische Ineffi-zienz, das Fehlen positiver Anreizmechanis-men,Wettbewerbsverzerrungen, ein Ungleich-gewicht zwischen Angebot und Nachfragesowie Komplexität und Intransparenz.

Zweifellos sind für ein Finanzierungs-modell, das die Effizienz fördern soll, verschie-dene Ansätze denkbar. Beim beschriebenenModell handelt es sich somit lediglich umeinen,nicht aber um den einzig gangbaren Weghin zu mehr Effizienz im Bereich der Langzeit-pflege. Die Langzeitpflege – Behandlungpflegeund Grundpflege – würde gemäss diesemModell durch eine spezifische, solidarischeobligatorische Sozialversicherung gedeckt,d.h. ohne risikoabhängige Prämienabstufun-gen. Da die Versicherung obligatorisch wäre,würde sich das Problem der Antiselektionnicht stellen. Aus Gerechtigkeitsgründen wäreein Mechanismus zum Risikoausgleich vorzu-sehen. Dieser Versicherung wären alle Per-sonen ab einem bestimmten Alter unterstellt(je höher die Alterslimite, desto höher die Prä-mien). Die Konkurrenz zwischen den Versi-cherern dürfte dabei nicht auf einer Risiko-selektion, sondern auf einem effizientenFallmanagement beruhen. Aus diesem Grundsollten die Versicherer entscheiden können,mit welchen Leistungserbringern sie Verträgeabschliessen wollen. Der Vorteil einer Sozial-versicherung gegenüber einer Privatversiche-rung liegt in der Garantie der intertemporalenRisiken. Die Versicherer haben so die Möglich-keit von Prämienerhöhungen, falls das Risikofür die Versicherten insgesamt steigt. Die Ver-sicherung würde die Leistungen übernehmen,unabhängig davon, ob sie von einem Alters-und Pflegeheim oder von einem Spitex-Diensterbracht werden. Schwieriger ist die Frage,ob die Leistungsempfänger die Möglichkeithaben sollen, mit der Versicherungsleistungein Familienmitglied oder eine andere Personzu entschädigen, von der sie freiwillig betreutwerden, wie dies im deutschen Modell der Fallist. Die Idee einer solchen Pflegeversicherungwurde vom Verband der kleinen und mittlerenKrankenversicherer der Schweiz (RVK) lan-ciert.

Zur Deckung der Kosten für Unterkunftund Hauspflege wäre ein System mit Gut-scheinen («Voucher») denkbar, die bei aner-kannten Leistungserbringern eingelöst werdenkönnen (siehe Zweifel et al. 1994). Ein solcherGutschein ist nichts anderes als eine finanziel-

Literaturangaben zu Kapitel 4.3– Bains M. und H. Oxley, 2004,

«Ageing-related Spending Projections on Health and Long-term Care», in:Towards Higher-Performing Health Systems:Policy Studies, OECD.

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PLAISIR, 2004, Données PLAISIR. Analysetransversale Octobre 2004, Institut fürGesundheit und Ökonomie, Ecublens.

– Interkantonale Technische KommissionPLAISIR, 2004, Données PLAISIR. Analyselongitudinale Octobre 1999 – Octobre 2004,Institut für Gesundheit und Ökonomie,Ecublens.

– Interkantonale Technische KommissionPLAISIR, 2004, Jahresbericht 2004,Institut für Gesundheit und Ökonomie,Ecublens.

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Jahresbericht 2005

77 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

le Unterstützung, die nur für einen genau fest-gelegten Zweck verwendet werden kann. Ge-mäss der Logik dieses Systems würden sämt-liche direkten Zahlungen an Heime oderSpitex-Dienste verschwinden. Dieser Gut-schein ist ein wirtschaftliches Instrument, mitdem der Empfänger die Leistung beim Leis-tungserbringer seiner Wahl kaufen kann. DerWert des Gutscheins muss die Kosten für dieerworbene Leistung eines effizienten Leis-tungserbringers decken, falls die Person keineeigenen Mittel hat. Wenn der Leistungsemp-fänger die Kosten ganz oder teilweise überneh-men kann, wird der Wert des Gutscheins ent-sprechend reduziert.

Personen, die ihr Vermögen schützenmöchten, können eine Privatversicherung ab-schliessen. Da es sich um einen sehr langfristi-gen Vertrag handelt, sollten die Versichertenvon einem besonderen Schutz profitieren.Die Erfahrungen von Ländern, die seit langemprivate Pflegeversicherungen kennen, habendie Notwendigkeit eines solchen Schutzes ver-deutlicht. In den USA haben viele Personen,die Privatversicherungen für eine Langzeit-pflege abschlossen, nie Leistungen beziehenkönnen, weil sie irgendwann nicht mehr in derLage waren, die Prämien zu bezahlen, und derVertrag deshalb beendet wurde. Das Informa-tionsdefizit ist ein Fall von Marktversagen undruft nach einer staatlichen Reglementierung:Schutz gegen das Risiko der Unterversiche-rung, Standardisierung der Produkte zurbesseren Verständlichkeit, Unverfallbarkeits-klause.

Im Hinblick auf die Reglementierung derVersicherung stellen sich verschiedene kom-plexe Fragen, unter anderem zur Solidarität:Soll den Privatversicherern untersagt werden,die Prämien risikoabhängig abzustufen (glei-che Prämien für Männer und Frauen) odersogar einen Antiselektionsmechanismus zunutzen? Unklar ist auch das Interesse der All-gemeinheit an einer solchen Versicherung: Solldie Entwicklung dieser Art von Versicherun-gen durch Anreizmassnahmen wie Steuerer-mässigungen gefördert werden, obwohl die andiesen Produkten interessierte Bevölkerungs-gruppe ein überdurchschnittliches Einkom-men hat? Es handelt sich dabei um eine schwie-rige Frage, auf die aus wirtschaftlicher Sichtkeine eindeutige Antwort möglich ist.

4.4 Vereinbarkeit von Familie undErwerbsleben23

4.4.1 AusgangslageDie Schweiz ist wie viele andere industriali-

sierte Länder mit dem Problem einer alterndenBevölkerung konfrontiert. Einerseits sinkt dieGeburtenrate, wodurch der relative Anteil der

älteren Bevölkerung ansteigt. Andererseits er-höht sich gleichzeitig die durchschnittlicheLebenserwartung jeder Generation, sodass sichauch aus diesem Grund eine Alterung derBevölkerung vollzieht. Dieses Phänomen der«doppelten Alterung» bewirkt, dass das Ver-hältnis zwischen Beschäftigten und Rentnernimmer ungünstiger wird und mittel- undlängerfristig erhebliche Probleme für die Wirt-schafts- und Finanzpolitik der Schweiz ent-stehen können.

Als Ausweg bieten sich neben Massnahmenim Bereich der Wirtschafts- und Finanzpolitikauch familienpolitische Massnahmen an, dieunter anderem die demografische Entwick-lung zu beeinflussen versuchen. Dazu gehöreneinerseits eine Erhöhung der Geburtenrateund andererseits die Förderung der Erwerbs-tätigkeit von Müttern durch eine Verbesserungder Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

In der Tat sind in der Schweiz, verglichenmit anderen Ländern, die Möglichkeiten,Familie und Erwerbsleben zu kombinieren,bisher eher schlecht. Dies zeigt sich unteranderem darin, dass Mütter in der Schweizmehrheitlich während ihrer gesamten Erwerbs-phase Teilzeit arbeiten und das Arbeitszeit-pensum meist deutlich weniger als 25 Wo-chenstunden beträgt.

4.4.2 Geburtenrate, Erwerbstätigkeit von Frauen und Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsleben in der Schweiz und im internationalen Vergleich

Entwicklung der Geburtenrate Die Entwicklung der Geburtenrate in der

Schweiz kann in zwei Phasen unterteilt wer-den: Eine erste Phase von 1964 bis etwa 1978,in der die Geburtenrate von 2,7 auf 1,5 dras-tisch zurückgegangen ist, und eine zweitePhase seit 1978 bis heute, in der die weitere Abnahme von 1,5 auf den aktuellen Wert von1,4 erfolgte.

Der zweistufige Rückgang der Geburten-rate ist keineswegs ein schweizerisches Phäno-men. In allen europäischen Ländern, aber auchin Japan oder in den USA hat eine ähnlicheEntwicklung stattgefunden. Jeweils in derzweiten Phase sind die Veränderungsratendeutlich kleiner, allerdings mit unterschied-lichem Vorzeichen. Während in der Schweiz,in Deutschland, Österreich, Spanien, Italien,Grossbritannien und Japan die Geburtenratetendenziell weiter gesunken ist oder auf tiefemNiveau verharrt, ist in Frankreich, Finnland,Norwegen, den USA, Niederlande und Däne-mark die jeweilige Geburtenrate wieder leichtangestiegen.

Die Geburtenrate wird jedoch nicht nurvon der Zahl der Kinder pro Familie, sondernauch von der Entwicklung der Rate der kinder-losen Frauen beeinflusst. In der Schweiz

Literaturangaben zur Kaptitel 4.3– Karlsson M. et al., 2004, An International

Comparison of Long-Term Care Arrange-ments, Cass Business School, London.

– Nyman A.J., 1994, «The Effects of MarketConcentration and Excess Demand on thePrice for Nursing Home Care», Journal ofIndustrial Economics, 42 (2), 193–204.

– OBSAN/IRER, Veröffentlichung bevor-stehend, Comparaison intercantonale durecours aux soins de longue durée en Suisse,Schweizerisches Gesundheitsobservato-rium/Institut de recherches économiqueset régionales, Neuchâtel.

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– BFS, 2004, Kosten und Finanzierung desGesundheitswesens, Bundesamt für Statis-tik, Neuenburg.

– BFS, 2005, Medienmitteilung, 50 Milliardenfür die Gesundheit, Bundesamt für Statis-tik, Neuenburg.

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– Zweifel P. et al., 1994, Pflegebedürftigkeitim Alter. Risiken, Kosten, Lösungsvor-schläge, Zürcher Kantonalbank/Institutfür Empirische Wirtschaftsforschung,Zürich.

23 Zu Kapitel 4.4 findet sich ein Hintergrundpapier unter:www.kfk.admin.ch/Studien und Hintergrundpapiere/ Wirtschaftliche Auswirkungen einer alternden Bevölke-rung – Teil f: Vereinbarkeit von Familie und Erwerbs-leben, Schubert R., Littmann-Wernli S., EidgenössischeTechnische Hochschule Zürich

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4. Analysen zu ausgewählten Themen

78 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

nimmt die Zahl der kinderlosen Frauen stetigzu (EDI 2004, S. 30). Als besonders alarmie-rend gilt, dass der Anteil kinderloser Frauenmit steigendem Ausbildungsniveau zunimmt(OECD 2004). Von 100 Frauen mit Hoch-schulabschluss bleiben zurzeit 40 kinderlos.Ähnliches gilt auch für Frauen in Berufen mithohem Berufsprestige und für Frauen undPaare mit hohem Einkommen (Masia 2004,BFSFJ 2005). Da jedoch der Anteil der Mütterpro Jahrgang immer noch deutlich grösser istals der Anteil der kinderlosen Frauen, wirktsich die Entscheidung für bzw. gegen weitereKinder zunächst stärker auf die Geburtenrateaus als der freiwillige oder unfreiwillige Ver-zicht auf Kinder (EDI 2004, 30). So hat sich derAnteil der Dritt- und Mehrlebendgeburtenvon 1960 bis 1980 von 34% auf 17% halbiert.Seitdem beträgt die durchschnittliche Kinder-zahl pro Familienhaushalt knapp zwei Kinder(EDI 2004, 27).

Erwerbstätigkeit von Frauen (Müttern)in der Schweiz

Die Zahl der erwerbstätigen Frauen in derSchweiz hat seit den Sechziger-Jahren stetigzugenommen. Die Erwerbsquote von Frauenbeträgt 71% und gilt im Vergleich mit andereneuropäischen Ländern, deren Erwerbsquoteim Durchschnitt 55% beträgt, als ausseror-dentlich hoch (BFS 2005a). Entsprechendstark ist der Anteil der Frauen an der erwerbs-tätigen Bevölkerung gestiegen. 1960 stelltendie Frauen 33% der erwerbstätigen Bevölke-rung, 1990 39% und 2000 fast die Hälfte. DieseVeränderung ist vor allem auf das Erwerbsver-halten der verheirateten Frauen und Mütterzurückzuführen: 1960 waren 16% der ver-heirateten Frauen erwerbstätig, 1990 51% undim Jahr 2000 bereits 67% (BFS 2005b). Dabeihat sich insbesondere der Anteil der Müttermit jüngeren Kindern erhöht: 2001 lag dieErwerbsquote von Müttern mit Kindern unter15 Jahren bei 71% und damit nur noch dreiProzentpunkte unter der Quote der Frauenohne Kinder (BFS 2003).

Die wichtigsten Merkmale der Erwerbs-tätigkeit von Frauen in der Schweiz sind derhohe Anteil der Teilzeitbeschäftigung und diekleinen Arbeitszeitpensen. 57% der erwerbs-tätigen Frauen sind teilzeiterwerbstätig, beiden erwerbstätigen Müttern mit Kindern un-ter 15 Jahren sind es sogar 80%. Über die Hälf-te der erwerbstätigen Mütter arbeitet heuteweniger als 25 Wochenstunden im Beruf,vielfach deutlich weniger. Zwischen 1970 und2000 hat die Zahl erwerbstätiger Mütter mitkleinen Teilzeitpensen um 184 000 zugenom-men (Schubert/Littmann-Wernli 2005). Gleich-zeitig hat sich der relative Anteil der vollzeit-beschäftigten Mütter ungefähr halbiert. Essieht so aus, als ob in der Schweiz die Verein-

barkeit von Familie und Erwerbsleben nur miteinem Teilzeitpensum möglich ist. In einemaktuellen Bericht der OECD über die Schweizwird festgehalten, dass Dauer und Umfang derTeilzeittätigkeit die Möglichkeiten zum beruf-lichen Aufstieg einschränken können. Teilzeit-arbeit wird deshalb häufig als «Karrierekiller»bezeichnet (Adema/Thévenon 2004). Gemässeinem neueren Bericht des World EconomicForum landet die Schweiz damit auch nur aufeinem der hinteren Plätze in einem weltweitenRanking zur Situation von Frauen (WorldEconomic Forum 2005).

Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsleben Das öffentliche Angebot an Betreuungs-

einrichtungen für Kinder unterschiedlicherAltersstufen ist in der Schweiz sehr klein. Erstab dem Kindergartenalter von 5 Jahren werdenetwa 84% der Kinder in öffentlichen Einrich-tungen betreut, zuvor sind es knapp ein Drittelder Kinder und bis zum Alter von drei Jahrenstehen nur für etwa 7% der Kinder Betreu-ungsplätze zur Verfügung. Diese Zahlen liegenweit unter denen anderer OECD-Länder(OECD 2004) und machen deutlich, dass inder Schweiz die Familie und insbesondereKinder offensichtlich als Privatangelegenheitbetrachtet werden.

Untersuchungen zeigen, dass die Mehrheitder Familien deshalb auf private Betreuungs-lösungen zurückgreift, wobei in den meistenFällen Verwandte und allen voran Grossmüttereinen grossen Teil der Betreuung übernehmen(EDI 2004, 57). Erste Ansätze zur Verbesserungdes Betreuungsangebots bietet das Bundesge-setz über Finanzhilfen für familienergänzendeKinderbetreuung. Bis Januar 2005 wurden imRahmen der bewilligten Gesuche über 5000neue Betreuungsplätze geschaffen (BSV 2005).Folgt man den jüngst präsentierten Ergebnis-sen des NFP52, so werden in der Schweizjedoch immer noch mindestens 50 000 zusätz-liche Betreuungsplätze nachgefragt, aber nichtangeboten (Tassinari et al. 2005).

Im Hinblick auf die Betreuung von Kindernist in der Schweiz nicht nur die absolute Zahlder Betreuungsplätze unbefriedigend, sondernauch der zeitliche Betreuungsumfang. Letzt-lich erlauben nur Betreuungsangebote vonmindestens einem halben Tag die Aufnahmeeiner regulären Teilzeitbeschäftigung. Wäh-rend für Kinder zwischen 0 und 6 Jahren so-wohl das – geringe – Krippenangebot als auchdie privat organisierte familienergänzendeBetreuung eine Halbtags- bzw. Ganztagsbe-treuung grundsätzlich ermöglichen, ist einentsprechender Betreuungsumfang in Kinder-gärten und vor allem in (Primar-)Schulenvielfach unüblich. In vielen Kindergärten undPrimarschulen werden weder Blockzeitennoch Randstundenbetreuung angeboten. Mit-

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Jahresbericht 2005

79 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

tagstische und schulische Brückenangebotesind eher die Ausnahme als die Regel, ins-besondere in ländlichen Regionen. Familienmit Schulkindern müssen deshalb oft mehrereBetreuungslösungen kombinieren, wenn beideEltern erwerbstätig sein müssen oder wollen.Dies könnte eine Erklärung dafür sein, dassMütter in der Schweiz zwar frühzeitig nach derGeburt wieder erwerbstätig werden, aber dannpraktisch bis zum Ausstieg aus dem Arbeits-markt Teilzeit arbeiten.

Vergleicht man das staatliche Engagementzur Vereinbarkeit von Familie und Erwerbs-leben der Schweiz mit anderen Ländern, wirdzunächst deutlich, dass der Anteil des Brutto-inlandprodukts (BIP), der für die Finanzie-rung familienergänzender Kinderbetreuungs-einrichtungen zur Verfügung gestellt wird, inder Schweiz eher gering ausfällt. WährendFrankreich mit 1,3% und Dänemark mit 2,3%einen vergleichsweise hohen Anteil des BIP fürKinderbetreuungseinrichtungen aufwenden,beträgt der entsprechende Anteil in derSchweiz lediglich 0,2%. Ein Vergleich der poli-tischen Massnahmen in diesen beiden Ländernzeigt, dass in Frankreich erwerbstätige Elternvor allem durch Zuschüsse zur Kinderbetreu-ung und durch umfangreiche Steuererleichte-rungen unterstützt werden (Onnen-Isemann2003). In Dänemark steht dagegen die Chan-cengleichheit der Geschlechter im Vorder-grund (OECD 2002): Damit Mütter und Väterdie Möglichkeit haben, ganztägig erwerbstätigzu sein, stellt der Staat bereits für Kinder ab 6 Monaten ein umfangreiches Betreuungs-angebot zur Verfügung. Der effektive Steuer-satz ist im europäischen Vergleich sehr hoch,aber für Vollzeitbeschäftigte tiefer als für Teil-zeitbeschäftigte.

Im Zentrum aller Massnahmen stehen inDänemark und Frankreich die Förderung unddie Unterstützung der Erwerbstätigkeit vonFrauen und Müttern. Für vollzeiterwerbstätigeMütter und Väter wird entweder ein umfang-reiches Betreuungsangebot bereitgestellt oderdie Betreuungskosten werden durch Subven-tionen oder Steuerabzüge kompensiert. Wich-tig ist offensichtlich auch, dass das Steuer- undSozialversicherungssystem die jeweilige Er-werbsform unterstützt.

4.4.3 Zusammenhang zwischen der Vereinbarkeit von Familie undErwerbsleben und der Erwerbstätigkeit vonFrauen bzw. der Geburtenrate

Wenn die eingangs geschilderten demogra-fischen Probleme der Schweiz entschärftwerden sollen, müssten sich einerseits mehrFrauen bzw. Paare für ein (weiteres) Kind ent-scheiden. Andererseits sollten nicht oder teil-zeiterwerbstätige Frauen ihr Arbeitsangebot

ausdehnen (können), um der tendenziell ab-nehmenden Zahl der Arbeitskräfte durch eineErhöhung der Arbeitsstunden pro Kopf ent-gegenzuwirken. Dies führt direkt zur Kern-frage, ob die Annahme berechtigt ist, dass eineVerbesserung der Vereinbarkeit von Beruf undFamilie ein erhöhtes Arbeitsangebot vonMüttern und langfristig auch eine höhereGeburtenrate bewirkt.

Determinanten der GeburtenrateBei der Entscheidung für ein (weiteres)

Kind spielen heute vor allem individuelle bzw.paarbezogene Einflussfaktoren eine Rolle.Beschränkt man sich zunächst auf die ökono-mische Perspektive, so sind dies die direktenund indirekten Kosten,die mit der Elternschaftverbunden sind, sowie der ökonomische Nut-zen, den Kinder ihren Eltern bieten. Aufgrundder Systeme der sozialen Sicherung entfällt derdirekte ökonomische Nutzen von Kindern fürEltern weit gehend. Entsprechend werden ver-mehrt die Kosten von Kindern wahrgenom-men, die etwa durch zusätzliche Ausgaben fürWohnen, Freizeit und Lebensunterhalt ent-stehen.Betrachtet man nur die direkten Kostenmüssten sich Familien mit hohen Einkommeneher Kinder leisten als Familien mit geringemEinkommen. Empirische Untersuchungenzeigen aber, dass mit steigendem Pro-Kopf-Einkommen die Zahl kinderloser Haushaltezunimmt. Dieses so genannte «demografisch-ökonomische» Paradoxon gilt nicht nur aufder Ebene individueller Haushalte, sondernauch auf aggregierter Ebene und im inter-nationalen Vergleich: je höher das Pro-Kopf-Einkommen, desto tiefer die nationale Gebur-tenrate (Dickmann 2003, 13).

Diese Entwicklung wird damit begründet,dass mit steigendem Pro-Kopf-Einkommenauch die indirekten Kosten bzw.Opportunitäts-kosten von Kindern steigen, wenn beispiels-weise Frauen aufgrund fehlender Betreuungs-einrichtungen gezwungen sind, zwischenErwerbstätigkeit und Kindererziehung zuwählen. Je mehr Frauen in ihre Berufsausbil-dung investieren und je besser ihre Erwerbs-chancen auf dem Arbeitsmarkt sind, destohöher sind auch die Opportunitätskosten derKinderbetreuung und desto weniger attraktiverscheint es – ceteris paribus –, Kinder zuhaben. Dieser Zusammenhang lässt sich an-hand der Daten für die Schweiz gut nachvoll-ziehen. Während Frauen ohne nachobligatori-sche Ausbildung 2,2 Kinder zur Welt bringen,liegt die Geburtenrate von Akademikerinnenbei 1,2 Kindern und 40% aller Akademikerin-nen bleiben kinderlos.

Einer der wichtigsten Einflussfaktoren fürdie Entwicklung der Geburtenrate in derSchweiz dürfte deshalb im veränderten Aus-bildungs- und Erwerbsverhalten der Frauen

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4. Analysen zu ausgewählten Themen

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liegen. Immer mehr Frauen verfügen über einetertiäre Ausbildung und entsprechend verbes-serte Einkommensmöglichkeiten. Die Oppor-tunitätskosten der Familiengründung und derKinderbetreuung dieser gut ausgebildetenFrauen sind besonders hoch, weil auch dasdurchschnittliche Einkommen für qualifizier-te Arbeitskräfte in der Schweiz vergleichsweisehoch ist. Orientieren sich die Angebote fami-lienergänzender Kinderbetreuung nicht aus-reichend an den Erfordernissen einer qualifi-zierten Erwerbstätigkeit, scheint der Verzichtauf Kinder folgerichtig zu sein.

Über die ökonomische Perspektive hinauslassen neuere empirische Untersuchungen fürDeutschland (FORSA 2005, Institut für De-moskopie Allensbach 2004) Zweifel daranaufkommen, ob der Mangel an Krippen- undKindergartenplätzen der wichtigste Einfluss-faktor für die Familienplanung darstellt. Aus-schlaggebend scheint eher das Fehlen einesgeeigneten Partners zu sein (von 44% der Be-fragten angegeben, Institut für DemoskopieAllensbach 2004). Weiter spielt die Zufrieden-heit mit einem Leben ohne Kinder eine wich-tige Rolle wie auch die Arbeitsplatzsicherheitund ein generell kinderfeindliches Klima in derGesellschaft. Nur 9% der befragten Deutschengeben an, dass sie mehr Kinder hätten, wenndie Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit undFamilie verbessert würde (FORSA 2005).

Determinanten der Erwerbstätigkeit von Frauen

Aus ökonomischer Sicht gehört die Höheder am Arbeitsmarkt erzielbaren Entlohnungzu den wichtigsten Einflussfaktoren für denErwerbsentscheid. Die Entlohnung hängt vorallem von der Ausbildung, der Berufserfah-rung und damit von der erwarteten Produk-tivität einer Arbeitskraft ab. Prinzipiell gilt fürFrauen und Männer, dass mit der Zunahmeder erzielbaren Entlohnung auch das Arbeits-angebot steigt. Tatsächlich weisen Frauen undMänner in der Schweiz bis etwa zum Alter vondreissig Jahren eine parallele Entwicklung derErwerbsbeteiligung und der Durchschnitts-einkommen auf. Danach sinkt die Erwerbs-quote von Frauen, weil sich mit der Geburt desersten Kindes zahlreiche Frauen zumindestteilweise aus der Erwerbstätigkeit zurück-ziehen und der Kinderbetreuung widmen.

Grundsätzlich dürfte auch für den Er-werbsentscheid von Müttern zunächst der aufdem Arbeitsmarkt erzielbare Lohn ein wichti-ger Entscheidungsfaktor sein. Mit der Über-nahme von Betreuungspflichten sind jedochweitere Faktoren zu berücksichtigen: dasAngebot und die Kosten familienergänzenderKinderbetreuung, Präferenzen der Mütter fürdie Betreuung eigener Kinder und nicht zuletztdie Anforderungen des Arbeitsmarktes bezüg-

lich zeitlicher Verfügbarkeit oder räumlicherMobilität einer Arbeitskraft.

Es ist unmittelbar ersichtlich, dass dieVerfügbarkeit geeigneter Betreuungsmöglich-keiten das Arbeitsangebot von Müttern er-heblich beeinflussen könnte. Je kleiner die Zahlder Betreuungsplätze ist und je kürzer dieÖffnungszeiten von Betreuungsinstitutionensind, desto geringer ist die Zahl der Stundenpro Tag bzw. pro Woche, die Mütter auf demArbeitsmarkt anbieten können.

Weitere wichtige Einflussfaktoren sind dasTarifsystem und die Kosten der Betreuung.Die Kosten der familienergänzenden Kinder-betreuung stehen nämlich dem Ertrag aus der Erwerbstätigkeit, d.h. dem erzielbaren Ein-kommen, gegenüber. Ein Arbeitsangebot istdann zu erwarten, wenn die Kosten derKinderbetreuung deutlich kleiner sind als daserzielbare Einkommen. Folglich ist bei ein-kommensabhängigen Tarifen damit zu rech-nen, dass Familien mit kleinen und mittlerenEinkommen familienergänzende Betreuungs-angebote in Anspruch nehmen werden unddamit – über ein zweites Einkommen – ihreEinkommenssituation verbessern können. Fürbesser verdienende Eltern ist die Lage wenigerklar. Hier sind zusätzlich auch die steuerlichenRahmenbedingungen zu berücksichtigen.Werden, wie in der Schweiz, die Einkommenvon Eltern gemeinsam besteuert, kann je nachSteuersatz und Progression das zweite Ein-kommen überproportional belastet werden.Eine Untersuchung zeigt, dass bezüglich derAufteilung der Erwerbsarbeit bei Paaren dasAlleinverdienermodell finanziell immer nocham vorteilhaftesten ist (Knupfer/Knöpfel2004). Sind die zusätzlichen Kosten für diefamilienergänzende Kinderbetreuung steuer-lich nicht abzugsfähig, kann die Gesamt-kostenbelastung den Ertrag aus der Erwerbs-tätigkeit überkompensieren, sodass gerade gutausgebildete Frauen mit mittlerem bis hohemErwerbspotenzial zu Hause bleiben oder sichüberhaupt gegen Kinder entscheiden.

Der Erwerbsentscheid von Müttern ist of-fensichtlich zahlreichen negativen finanziellenAnreizen ausgesetzt. Könnten Mütter auf-grund ihrer Ausbildung und Berufserfahrungein hohes Einkommen erzielen, kann diesesmeist nur dann realisiert werden, wenn sieauch den Anforderungen einer hohen zeit-lichen Verfügbarkeit entsprechen. Je kleinerdas Betreuungsangebot für Kinder ist und jeeingeschränkter die Öffnungszeiten von Be-treuungseinrichtungen sind, desto geringer istjedoch die Wahrscheinlichkeit, dass Müttereine Stelle mit hoher zeitlicher Verfügbarkeitantreten können. Für Frauen mit hoher Quali-fikation entsteht dadurch ein nahezu unlös-bares Vereinbarkeitsproblem: Wenn der ge-wählte Beruf oder die Konkurrenzsituation

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Jahresbericht 2005

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auf dem Arbeitsmarkt eine Vollzeiterwerbs-tätigkeit nahelegt oder wenn keine oder nurwenige qualifizierte Teilzeitstellen angebotenwerden, gleichzeitig aber traditionelle Erwar-tungen bezüglich der Betreuung kleiner Kin-der durch die Mutter bestehen bzw. geeigneteBetreuungsplätze fehlen, dann scheinenFamilie und Erwerbsleben kaum, Familie undKarriere überhaupt nicht vereinbar zu sein. Er-kennen Frauen dieses Problem erst im Verlaufihrer beruflichen Karriere, steigt die Wahr-scheinlichkeit dafür, dass ein allfälliger Kinder-wunsch bis zur Unerfüllbarkeit verschobenwird. Dieser Zusammenhang lässt sich anhandder schweizerischen Daten gut nachvollziehen:Frauen mit Hochschulabschluss wünschensich bereits weniger Kinder als Frauen miteinem tieferen Ausbildungsniveau. Ihr Kinder-wunsch wird aber mit zunehmendem Alterstärker korrigiert als die Kinderwünsche deranderen Frauen und schliesslich bringen Aka-demikerinnen nur halb so viele Kinder auf dieWelt wie ursprünglich geplant (EDI 2004).

Unter Berücksichtigung der genanntenEinflussfaktoren lassen sich folgende Bedin-gungen für eine Erhöhung des Arbeitsangebotsvon Frauen und für eine Erhöhung der Ge-burtenrate in der Schweiz ableiten:1. Insgesamt können Mütter verstärkt er-

werbstätig sein, wenn das Angebot an Be-treuungsplätzen erhöht wird und sich dieBetreuungszeiten mehr an den Arbeitsbe-dingungen der Eltern orientieren.

2. Mütter mit geringem Einkommen oder Al-leinerziehende können familienergänzendeBetreuungsangebote nur wahrnehmen,wenn das Tarifsystem der Betreuungsinsti-tutionen einkommensabhängig gestaltet ist.

3. Für Mütter mit mittleren und höheren Ein-kommen sind der Erwerbsentscheid und derUmfang des Arbeitsangebots massgeblichvon den Kosten und den steuerlichenRahmenbedingungen abhängig. Eine Aus-dehnung des Arbeitsangebots ist nur zu er-warten, wenn die Kosten für die Vereinbar-keit von Familie und Erwerbsleben durchMassnahmen wie Individualbesteuerungund steuerliche Berücksichtigung der Be-treuungskosten gesenkt werden.

4. Die Geburtenrate kann nur erhöht werden,wenn die Opportunitätskosten der Betreu-ung gerade auch für hoch qualifizierteFrauen gesenkt werden. Dazu gehören ne-ben den steuerlichen Rahmenbedingungenauch zuverlässige Betreuungsangebote fürvollzeiterwerbstätige Mütter und eine aus-reichende Zahl qualifizierter Teilzeitstellen.

Aus den Bedingungen folgt, dass aus öko-nomischer Perspektive Angebot und Kostenfamilienergänzender Kinderbetreuung sowiedie steuerlichen Rahmenbedingungen die

zentralen Faktoren zur Steuerung des Arbeits-angebots von Müttern in der Schweiz darstel-len. Wenn die Zahl der Betreuungsplätze er-höht wird und die Betreuungszeiten sich an dieArbeitszeiten der Mütter anpassen, wenn dieBetreuungskosten steuerlich abgesetzt werdenkönnen und ein höheres zweites Einkommenindividuell besteuert und nicht durch progres-sive Steuersätze bestraft wird, ist mit einerstärkeren Erwerbsbeteiligung von Frauen zurechnen. Eine sinnvolle Kombination dieserFaktoren senkt die Opportunitätskosten derFamiliengründung und kann deshalb lang-fristig auch zu einer Erhöhung der Geburten-rate führen.

4.4.4 Kosten und Nutzen einer Verbesserungder Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsleben

Mit der Ableitung der Bedingungen einerstärkeren Erwerbsbeteiligung von Frauen undeiner langfristigen Erhöhung der Geburtenratestellt sich die Frage nach Kosten und Nutzenvon Massnahmen zur Verbesserung der Verein-barkeit von Familie und Erwerbsleben. Vordem Hintergrund der demografischen The-matik darf eine Erhöhung des Arbeitsangebotsvon Frauen sicherlich nicht zulasten derGründung von Familien gehen. Neben Verän-derungen im Angebot familienergänzenderKinderbetreuung und im Steuersystem wer-den deshalb häufig auch ein bezahlter Eltern-urlaub oder ein Entgegenkommen der Unter-nehmen bezüglich familienfreundlicher Ar-beitszeiten diskutiert (Küng Gugler 2004).Wieerwähnt beeinflussen auch weitere, politischkaum steuerbare Faktoren den Kinderwunschund das Arbeitsangebot. Detailliertere Unter-suchungen für die Schweiz fehlen jedoch bis-her. Umso wichtiger erscheint es, dass Kostenund Nutzen von Massnahmen zur Verbesse-rung der Vereinbarkeit von Familie sorgfältiganalysiert werden.

NutzenBei der Erfassung des Nutzens unterschei-

det man üblicherweise zwischen direktemNutzen, indirektem Nutzen und intangiblemNutzen. Sind die erwähnten Massnahmenwirkungsvoll, d.h. verbessern sie tatsächlichdie Vereinbarkeit von Beruf und Familie underhöhen sie in der Folge ceteris paribus sowohldas Arbeitsangebot von Frauen als auch dieGeburtenrate, so besteht ein direkter Nutzendarin, dass die einleitend erwähnten wirt-schafts- und finanzpolitischen Probleme nichtoder nur in geringerem Masse eintreten wer-den. Eine Ausweitung der Erwerbstätigkeit derFrauen führt unmittelbar zu einem höherenSozialprodukt und in der Folge zu höherenSteuereinnahmen und zu höheren Einzahlun-gen in die Sozialversicherungen. Darüber hi-naus werden künftige Humankapitalverluste,

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4. Analysen zu ausgewählten Themen

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die durch die zumindest temporäre Nicht-Erwerbstätigkeit (gut) ausgebildeter Frauenbedingt wären, vermieden.

Eine verstärkte Erwerbstätigkeit von Frauenbei unverändertem Erwerbsverhalten derMänner erfordert, dass mehr Kinder längerfamilienergänzend betreut werden. Bei einerhöheren Geburtenrate gilt dies erst recht. DieKinderbetreuung kann durch zusätzlichestaatliche oder private, steuerlich absetzbareBetreuungsangebote geleistet werden. Werdenmehr Betreuungsmöglichkeiten geschaffen,erhöhen sich der direkte Nutzen aus der stär-keren Erwerbstätigkeit von Frauen, insbeson-dere auch durch zusätzliche Beschäftigungs-bzw. Wertschöpfungsmöglichkeiten in diesenBetreuungsinstitutionen, sowie die daraus re-sultierenden Steuer- und Sozialversicherungs-mehreinnahmen.

Weiterer Nutzen entsteht, wenn mehr qua-lifizierte Betreuungspersonen dafür sorgen,dass die Integration und Sozialisation vonKindern kurz-, mittel- und langfristig ver-bessert wird. Es können damit künftige Ein-kommenspotenziale der Kinder geschaffenund später anfallende gesellschaftliche Kostenetwa im Zusammenhang mit der Bekämpfungvon Jugendkriminalität verringert werden.

Schliesslich könnten die Schweiz insgesamtund auch die einzelnen Kantone und Gemein-den ihre Standortattraktivität durch zusätz-liche Betreuungsangebote erhöhen. Betreu-ungsangebote für Kinder und die steuerlichenRahmenbedingungen für erwerbstätige Elterngehören zu den «weichen» Standortfaktoren,die zwar nicht zuerst geprüft werden, aberschliesslich durchaus entscheidend sein kön-nen, wenn es um die Wohnortwahl erwerbs-tätiger Eltern oder die neue Ansiedlung einesUnternehmens geht. Gemeinden und Kantoneprofitieren vor allem von zusätzlichen Steuer-einnahmen, die Schweiz insgesamt von einerVerbesserung ihrer internationalen Attrak-tivität für Unternehmen und qualifizierteArbeitskräfte.

Eine quantitative Abschätzung der direktenNutzen einer Verbesserung der Vereinbarkeitvon Familie und Beruf liegt bisher nicht vor.Dies ist nicht zuletzt dadurch zu erklären, dassaufwendige Kalkulationen zur Bestimmungjeder einzelnen der genannten Komponentendurchzuführen wären. Im Einzelnen müsstenfür alle Kantone der Schweiz und auch für dieSchweiz gesamthaft die zusätzliche Wert-schöpfung und die zusätzlichen Steuern undSozialleistungen aus dem Mehreinkommenvon Eltern und von Beschäftigten in Kinder-betreuungseinrichtungen ermittelt werden.Dabei sind Unterschiede in der Ausbildung derentsprechenden Personen, in der Höhe deskonkreten Anteils familienergänzender Kin-derbetreuung und in den Steuersätzen der Ge-

meinden und Kantone zu berücksichtigen.Nimmt man an, dass Eltern in der Zeit, in derihre Kinder betreut werden, erwerbstätig seinwollen, kommt es ausserdem auf die Aufnah-mefähigkeit der Arbeitsmärkte in bestimmtenRegionen und für bestimmte Berufsfelder an.Weiter ist eine Vielzahl von Annahmen überdas Verhalten und die Präferenzen von Frauenund Familien über die nächsten Jahrzehnte hinnotwendig. Es zeigt sich, dass bereits die Er-mittlung des monetär bezifferbaren direktenNutzens von Massnahmen zur besseren Ver-einbarkeit von Erwerbsarbeit und Familieschwierig ist. Dennoch sind zumindest grobeVorstellungen von dem zu erwartendenNutzenausmass wichtig, will man politischeEntscheidungen über die konkrete Einführungvon Massnahmen treffen (Schubert/Litt-mann-Wernli 2005).

Schwierig zu quantifizieren ist auch derindirekte Nutzen einer besseren Vereinbarkeitvon Familie und Beruf. Dieser Nutzen ent-spricht vor allem dem Nutzen einer Gesell-schaft aus einer grösseren Kinderzahl. MehrKinder bedeuten zusätzliches künftiges Wert-schöpfungspotenzial. Dieses Potenzial lässtsich nur dann abschätzen, wenn man Annah-men über die künftige Kinderzahl in derSchweiz macht. Über die nächsten 50 Jahre hindürfte das Potential, umgerechnet auf einendurchschnittlichen jährlichen Wert, allerdingseher gering ausfallen (Schubert/Littmann-Wernli 2005).

Im Rahmen einer Nutzenabschätzung istschliesslich auch der intangible Nutzen zubeachten. Intangibler Nutzen im Zusammen-hang mit Massnahmen zur Vereinbarkeit vonBeruf und Familie ist vor allem darin zu sehen,dass die langfristige Existenz, aber auch dieLebensqualität einer Gesellschaft von der Zahlder Kinder in Relation zu den älteren Men-schen beeinflusst wird. Einer Befragung zu-folge bringen Kinder Optimismus, Zukunfts-glauben, Innovationskraft und Kreativität ineine Gesellschaft (FORSA 2005). Dies sindessenzielle Fähigkeiten, auf die eine moderneGesellschaft zur Sicherung ihrer langfristigenÜberlebens- und Wettbewerbsfähigkeit nichtverzichten sollte.

Zieht man eine vorsichtige Bilanz für dieNutzenseite, so ist festzuhalten, dass sich derNutzen hauptsächlich aus dem Potenzial zu-sätzlicher Erwerbstätigkeit von Müttern auf-grund einer Ausdehnung des Betreuungsange-bots für Kinder ergibt. Es kann davonausgegangen werden, dass der monetär be-zifferbare Nutzen bei einer ca. 60%igen fa-milienergänzenden Betreuung aller Kinder imBereich eines kleinen bis mittleren zweistelligenMilliardenbetrags (in Schweizer Franken) liegt(Schubert/Littmann-Wernli 2005). Ist dasBetreuungsangebot zu klein oder wird es nicht

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im erwähnten Ausmass beansprucht, bzw. fin-den nicht alle Eltern in der Zeit, in der ihre Kin-der familienergänzend betreut werden, eineadäquate Beschäftigung auf dem Arbeits-markt, fällt der Nutzen entsprechend tiefer aus.Andererseits ist zu beachten, dass zu den di-rekten Nutzen noch die monetär kaum zuschätzenden indirekten und intangiblen Nut-zenkomponenten hinzukommen, die sich ausder Verbesserung der Integration und Soziali-sation von Kindern durch qualifizierte Betreu-ung, durch die Erhöhung der Standortattrak-tivität und aus der essenziellen Bedeutung vonKindern für die Überlebensfähigkeit einer Ge-sellschaft ergeben.

KostenIn der Schweiz werden bisher von staat-

lichen Instanzen auf allen Ebenen jährlich ca.0,2% des BIP, d.h. ca. 0,85 Mrd. Franken, fürBetreuungseinrichtungen für Kinder ausgege-ben (OECD 2004, Adema/Thévenon 2004).Darüber hinaus werden für die 6- bis 15-Jäh-rigen pro Kind ca. 11 000 Franken für schuli-sche Ausbildung aufgewendet (BFS 2002),woraus Gesamtausgaben von ca. 8,8 Mrd.Franken pro Jahr resultieren. Insgesamt wer-den somit ca. 9,65 Mrd. Franken pro Jahr vomStaat aufgebracht. Dabei ist zu beachten, dassdie Ausgaben für Schulausbildung im Wesent-lichen den Personalkosten entsprechen undaufgrund der in der Schweiz üblichen Zeit-strukturen in Schulen nicht mit einem ganz-tägigen Betreuungsangebot gleichgesetzt wer-den können.

Neben staatlichen Ausgaben werden Mass-nahmen zur Vereinbarkeit von Erwerbsarbeitund Familie von zwei weiteren grossen Grup-pen finanziert,nämlich von Unternehmen undvon Familien. Viele Unternehmen in derSchweiz bieten heute schon flexible Arbeits-zeiten oder auch Betreuungsplätze an bzw.leisten finanzielle Zuwendungen an Institutio-nen, die über entsprechende Betreuungsange-bote verfügen. Darüber hinaus leisten FirmenBeiträge an den Mutterschaftsurlaub. Die inder Schweiz für Kinder und Mutterschaft auf-gewendeten Ausgaben belaufen sich auf jähr-lich ca. 1,1% des BIP oder 4,8 Mrd. Franken(OECD 2004, Adema/Thévenon 2004).

Weiter werden Kosten für die Vereinbarkeitvon Beruf und Familie vor allem von den Fa-milien selbst getragen. Dazu gehören etwaZahlungen an private Kinderkrippen oder Kin-dergärten, stundenweise eingekaufte Kinder-betreuung, Sommercamps, Ferienkurse u.Ä.Derartige Ausgaben dienen im Wesentlichendazu, Müttern oder Vätern eine Erwerbsarbeitzu ermöglichen. Darüber hinaus haben Fami-lien auch indirekte Ausgaben, verursacht etwadurch eine reduzierte Berufstätigkeit derEltern oder ein Engagement weiterer Fami-

lienangehöriger (insbesondere Grosseltern).Wir konzentrieren uns hier auf die direktenAusgaben für familienergänzende Kinderbe-treuung. Sie können mit durchschnittlich0,135 Mrd. Franken pro Jahr angesetzt werden(Schubert/Littmann-Wernli 2005).

Addiert man die bisher bereits geleistetenAusgaben der verschiedenen Gruppen auf,ergibt sich ein Gesamtbetrag von 14,6 Mrd.Franken pro Jahr. Dieser Betrag reicht offen-sichtlich nicht aus, um die Vereinbarkeit vonErwerbsarbeit und Beruf in befriedigenderWeise herzustellen.

Will man den zuvor erwähnten Nutzen alsErtrag für die Gesellschaft tatsächlich realisie-ren, bräuchte man zusätzliche qualifiziertefamilienergänzende Betreuungsangebote. Dieentsprechenden Kosten pro Jahr sind nicht un-erheblich. Man kann jedoch erwarten, dass sieinsgesamt kleiner ausfallen als die Summe derverschiedenen Nutzenkomponenten (Schubert/Littmann-Wernli 2005). Der zusätzliche Fi-nanzierungsbedarf liegt wegen der auch heuteschon geleisteten Ausgaben um einiges unterden Kosten. Angesichts der positiven externenEffekte, die von einer stärkeren Erwerbsarbeitder Frauen und einer höheren Kinderzahl fürdie Gesellschaft insgesamt ausgehen, wäre einentsprechender Betrag vor allem von staat-licher Seite aufzubringen.

Effizienzanalyse Eine Investition in Massnahmen zur besse-

ren Vereinbarkeit von Familie und Erwerbs-arbeit in der Schweiz erscheint angesichts der er-wähnten Grössenordnungen von Nutzen undKosten sinnvoll. Allerdings stellt sich damit dieFrage, welches die «beste» Massnahme ist. Alsbeste Massnahme kann diejenige gelten,die einebesonders hohe Effizienz aufweist. Die Effizienzsoll an drei Kriterien gemessen werden:– an der Wirksamkeit der Massnahme im

Hinblick auf das Ziel einer Erhöhung derGeburtenrate sowie einer stärkeren Er-werbsbeteiligung von Frauen,

– an den administrativen Kosten der Mass-nahme und

– an den Implementationskosten der Mass-nahme.

Im Hinblick auf die Effizienz ist im Übrigendarauf zu achten, dass bei der Finanzierung –mehr, als dies heute der Fall ist – die Nutz-niesser von Massnahmen mit den Financiersder Massnahmen übereinstimmen. Nur dannist nämlich davon auszugehen, dass der Anreizzur Verbesserung des Leistungsangebots ge-nügend gross ist.

Veränderungen im SteuersystemWie bereits erwähnt, wäre hier konkret etwa

an die Individualbesteuerung von Ehegatten

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4. Analysen zu ausgewählten Themen

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sowie an die volle Abzugsfähigkeit von Kostenfamilienergänzender Kinderbetreuung zudenken.Eine solche Massnahme dürfte für sichallein genommen ein mittleres Mass an Wirk-samkeit haben. Einerseits begünstigen solcheMassnahmen die Erwerbstätigkeit von Frauenund verringern die von den Familien zu tra-genden Kosten der Kinderbetreuung.Anderer-seits bleibt die Wirksamkeit solcher steuer-licher Massnahmen aber beschränkt, solangedie finanzielle Situation nicht das ausschlagge-bende Kriterium für die Erwerbstätigkeit vonFrauen bzw. die Geburt von Kindern ist. Vorallem hinsichtlich einer Erhöhung der Gebur-tenrate sind hier Zweifel angebracht. Weiterbliebe die Wirksamkeit steuerlicher Massnah-men wohl auch dann gering, wenn es nichtgenügend Angebote familienergänzenderKinderbetreuung gibt, für die eine steuerlicheAbsetzbarkeit in Frage kommt. Bleibt der ge-samte Organisationsaufwand für die Kinder-betreuung bei den Privaten, d.h. bei Familienund bei Firmen, dürfte der Effekt der Mass-nahme sogar eher gering sein.

Die administrativen Kosten von Ver-änderungen im Steuersystem dürften nichtallzu hoch zu veranschlagen sein, da auf eineexistierende Steuerverwaltung ein eher gerin-ger Zusatzaufwand zukommt. Die Implemen-tationskosten belaufen sich auf die aus densteuerlichen Veränderungen resultierendenMindereinnahmen beim Staat. Sind Kostender familienergänzenden Kinderbetreuungsteuerlich voll abzugsfähig, kommen auf dieGesellschaft maximal zusätzliche Kosten imAusmass der Kosten für zusätzliche Betreu-ungsangebote zu.

Hinsichtlich des Zusammenfallens vonFinanciers und Nutzniessern schneiden steu-erliche Massnahmen eher gut ab, weil vonentsprechenden steuerlichen Erleichterungenin der Tat vor allem diejenigen profitieren, fürdie sich das Problem der Vereinbarkeit vonBeruf und Familie stellt. Darüber hinaus hat,wie bereits erwähnt, die Gesellschaft insgesamtVorteile aus einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Alles in allem weisensteuerliche Massnahmen ein angemessenesNutzen-Kosten-Verhältnis und eine hoheWirksamkeit auf, falls sichergestellt ist, dass einausreichendes Angebot an qualifizierter fami-lienergänzender Ganztagsbetreuung für Kin-der vorhanden ist.

Veränderungen bei ArbeitszeitregelungenDie Wirksamkeit einer Flexibilisierung von

Arbeitszeiten dürfte ähnlich hoch sein wie dievon steuerlichen Massnahmen ohne zusätz-liche Massnahmen zur Schaffung von Betreu-ungsangeboten. Da wie erläutert eine höherezeitliche Flexibilität bei der Arbeit zwar nichtder ausschlaggebende Faktor für die Erwerbs-

tätigkeit von Frauen ist, andererseits dieseFlexibilität doch auch eine gewisse Rolle spielt,ist von einer mittleren Wirksamkeit auszuge-hen.

Administrative Kosten fallen hier vor allembei den Arbeitgebern an. Da Arbeitgeber in derRegel ohnehin über Zeiterfassungssystemeverfügen, dürfte der administrative Zusatzauf-wand eher gering sein. Die direkten Kostenfallen eher ins Gewicht. Sie ergeben sich ausden unternehmensspezifischen Koordinations-kosten, welche allerdings nicht höher als dieImplementationskosten der anderen Mass-nahmen sein dürften.

Im Hinblick auf die Finanzierung der Mass-nahme und die Nutzniesser scheinen dieDiskrepanzen klein zu sein. Financiers sind inerster Linie die Unternehmen, in zweiter Liniedie Konsumenten, sofern die Kosten der Flexi-bilisierung auf die Preise überwälzt werdenkönnen. Nutzniesser der verbesserten Mög-lichkeiten zur Vereinbarkeit von Beruf undFamilie sind Familien, die als Konsumenten indiesem Fall einen Teil der Kosten mittragen,und indirekt die Gesellschaft. Auch für dieMassnahme der Arbeitszeitflexibilisierungstellt sich das Nutzen-Kosten-Verhältnis insge-samt als angemessen dar – allerdings auf einemeher geringen Wirksamkeitsniveau.

Elternurlaub/ElterngeldMassnahmen wie bezahlter Elternurlaub

oder Elterngeld (beispielsweise, wie inDeutschland diskutiert, in Höhe von zweiDritteln des Nettoeinkommens während einesJahres) dürften eine höhere Wirksamkeit habenals die bisher behandelten Massnahmen, da siedirekte Einkommenstransfers an Familiendarstellen. Allerdings steht auch hinter dieserMassnahme die Vermutung, dass die finanziel-le Situation von Familien mit Kindern einenwesentlichen Einfluss auf die Erwerbstätigkeitvon Frauen und vor allem auf die Geburten-rate hätte.Ein gewisser Einfluss ist hier sicherlichvorhanden. Ob eine einjährige Einkommens-garantie allerdings die Bereitschaft zur Fami-liengründung insbesondere gut ausgebildeterFrauen langfristig erhöht, erscheint aufgrundder hohen Opportunitätskosten der Betreuungvon Kindern eher fraglich.

Die administrativen Kosten der genanntenMassnahmen dürften nicht allzu hoch sein, dadas Ganze zu einem grossen Teil im Rahmenbestehender Strukturen bei Steuerbehördenoder in den Personalverwaltungen von Firmenabgewickelt werden könnte. Die direkten Kos-ten fallen hingegen ins Gewicht (Schubert/Littmann-Wernli 2005). Bezahlter Eltern-urlaub wäre je nach Länge der Beurlaubungs-möglichkeiten und je nach Höhe des ausbe-zahlten Einkommens teurer oder billiger alsdas Elterngeld. Da aus ökonomischer Perspek-

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tive ein zeitlich eher knapp bemessener Eltern-urlaub vorzuziehen ist, an dessen Ende Frauenihre Erwerbstätigkeit wieder aufnehmen,entsteht nach Ablauf des Elternurlaubs einentsprechender Bedarf an Betreuungsplätzen,deren Einrichtung ebenfalls mit zusätzlichenKosten verbunden ist.

Als Financier dieser Möglichkeiten kommtvor allem der Staat in Frage, nicht zuletzt auchdeshalb, weil Nutzniesser neben den Fami-lien vor allem die Gesellschaft insgesamt ist.Eine gewisse Beteiligung der Arbeitgeber,die von einer stärkeren Erwerbstätigkeit derFrauen profitieren, erscheint sinnvoll, ist aberdurch die Steuerzahlungen der Firmen ohne-hin gegeben.

Angebot familienergänzender KinderbetreuungBei Veränderungen im Angebot familien-

ergänzender Kinderbetreuung geht es konkretdarum, dass zusätzliche Krippen- und Kinder-gartenplätze sowie zusätzliche Tagesschulen ge-schaffen werden. Wie erläutert, ist von dieserMassnahmengruppe der grösste Effekt auf dasArbeitsangebot von Müttern zu erwarten. Dadie Vereinbarkeit von Beruf und Familie aufdiese Weise zu einer realistischen Option fürPaare und Familien wird, kann langfristig auchein positiver Effekt auf die Geburtenrate an-genommen werden. So konnte in einer empiri-schen Studie für Westdeutschland gezeigt wer-den, dass ein signifikant positiver Effekt auf dasFamiliengründungsverhalten erst dann eintritt,wenn es zu einem deutlichen Ausbau des Be-treuungsangebots kommt (Hank et al. 2003).

Der administrative Aufwand für den Aus-bau öffentlicher und privater Betreuungsange-bote dürfte insgesamt etwas höher ausfallen alsbei anderen Massnahmen, da zum Teil gewis-se Strukturen neu geschaffen oder erweitertwerden müssen, etwa für die Ausbildung zu-sätzlicher Betreuungspersonen oder für dieBewilligung und Kontrolle von Betreuungs-institutionen.

Die Gesamtkosten wie auch die Zusatz-kosten der familienergänzenden Betreuungvon allen Kindern z.B. an vier Tagen pro Wochesind nicht unerheblich. Sie werden aber durchden hohen Wirkungsgrad dieser Massnah-mengruppe und durch hohe Zusatznutzenkompensiert. Das Kosten-Nutzen-Verhältnisist insgesamt positiv zu beurteilen, da eindeutlicher Ausbau der familienergänzendenKinderbetreuung den grössten Effekt auf dasArbeitsangebot von Müttern und die Gebur-tenrate erwarten lässt.

Bei einer Ausweitung des Angebots fami-lienergänzender Kinderbetreuung stellt aller-dings die Übereinstimmung von Financiersund Nutzniessern der Massnahmen ein ge-wisses Problem dar. Nutzniesser wären die Fa-milien und die Gesellschaft insgesamt. Zahler

wären in der Schweiz, wo eine staatlich ange-botene Kinderbetreuung auf Gemeindeebenezu erfolgen hat, einerseits die Gemeinden undihre jeweiligen Steuerzahler, andererseits aberauch Private, d.h. Firmen und Familien.

Zu beachten ist, dass die Finanzierung zumeinen direkt auf dem Wege der effektivenBereitstellung von Betreuungsangeboten er-folgen könnte, andererseits aber auch indirektauf dem Wege einer Subventionierung vonMüttern oder Vätern. Neben den bereitserwähnten steuerlichen Abzugsmöglichkeitenwäre es auch denkbar, Eltern mit Gutscheinenauszustatten, sodass sie eine Betreuungsop-tion so auswählen bzw. «kaufen» könnten, dassihre Präferenzen möglichst gut abgedeckt sind.Im Hinblick auf die Qualität und die Kostenentsprechender Betreuungsangebote an sichhätte dies vermutlich Effizienzvorteile. Der Ef-fekt dieser Massnahme auf das Arbeitsangebotvon Frauen könnte erhöht werden, wären die Subventionen an das Arbeitsvolumen derEltern und nicht – wie sonst üblich – an dieEinkommenshöhe gekoppelt.

Im Hinblick auf Firmen, aber vor allemauch in Gemeinden besteht, wie erwähnt, einegewisse Diskrepanz zwischen Finanzierungund Nutzen. Diese Diskrepanz ist angesichtsder oben angesprochenen positiven Externa-litäten einer besseren Vereinbarkeit von Fami-lie und Beruf nicht überraschend, im Hinblickauf die Durchsetzbarkeit der entsprechendenMassnahmen aber eher ein Hemmnis. Des-wegen müssten hier begleitende Massnahmendes Finanzausgleichs zwischen Bund, Kanto-nen und Gemeinden ins Auge gefasst werden(Vesper 2005). Damit könnten gegebenenfallsauch die grossen Unterschiede im Leistungs-angebot verschiedener Kantone und Ge-meinden reduziert werden. Im Übrigen sei in diesem Zusammenhang auch nochmals auf die Bedeutung familienergänzender Be-treuungsangebote im Standortwettbewerbhingewiesen.

ZusammenfassungFasst man die Beurteilung der verschiede-

nen Massnahmen zusammen, so zeigt sich,dass unter den hier diskutierten Massnahmen-typen Veränderungen im konkreten Angebotfamilienergänzender Kinderbetreuung die bes-ten Aussichten haben, tatsächlich eine nennens-werte Ausdehnung der Erwerbstätigkeit vonFrauen sowie eine Erhöhung der Geburtenrateherbeizuführen (vgl. etwa auch Adema/Thévenon 2004; Apps/Rees 2004). Auch dieKosten-Nutzen-Relation fällt hier vergleichs-weise überzeugend aus, insbesondere wennauch der monetär kaum bezifferbare indirekteund intangible Nutzen der Erwerbstätigkeitvon Frauen und der Existenz von Kindernberücksichtigt wird.

4.4.6 Literaturreferenzen

– Adema W., Thévenon O. (2004), Babys undArbeitgeber – die Schweiz im Vergleich zuanderen OECD-Ländern, EidgenössischesVolkswirtschaftsdepartement (Hg.) DieVolkswirtschaft 11/2004, Bern, S. 5-9

– Apps P., Rees R. (2004), Fertility, Taxationand Family Policy. Scandinavian Journal ofEconomics 106 (4), 745–763

– BFS, Bundesamt für Statistik (2002),Öffentliche Bildungsausgaben –Finanzindikatoren 2000, Neuchâtel

– BFS, Bundesamt für Statistik (2003), Aufdem Weg zur Gleichstellung, Leporello

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– BFS, Bundesamt für Statistik (2005b),Taschenstatistik der Schweiz, Neuchâtel

– BFSFJ, Bundesministerium für Familie,Senioren, Frauen und Jugend (Hg.)(2005), Nachhaltige Familienpolitik:Zukunftssicherung durch einen Dreiklangvon Zeitpolitik, finanzieller Transferpolitikund Infrastrukturpolitik. Berlin

– BSV, Bundesamt für Sozialversicherungen(31.01.2005), Finanzhilfen für familien-ergänzende Kinderbetreuung: Bilanz nachzwei Jahren, <http://www.bsv.admin.ch/impulse/daten/d_bilanz_2004.pdf>(14.07.2005)

– Dickmann, N. (2003), Dokumentation:Demographischer Wandel – Geburtenratenim internationalen Vergleich, IW-Trends 30 (1), vierteljährliche Zeitschrift zurempirischen Wirtschaftsforschung ausdem Institut der deutschen WirtschaftKöln

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– FORSA (2005), Mehr Kinder. Mehr Leben,<http://www.eltern.de/pdf/mkml_fa2005.pdf> (21.07.2005)

– Hank K., Kreyenfeld M., Spiess C.K.(2003), Kinderbetreuung und Fertilität inDeutschland, Diskussionspapier 331 desDIW Berlin

– Knupfer C., Knöpfel C. (2004): Die Krux derEinkommenssteigerung für Familienhaus-halte. Die Volkswirtschaft 11/2004, 17–19.

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– OECD, Organisation for Economic Co-Ope-ration and Development (2004), Babiesand Bosses: Reconciling Work and FamilyLife, Vol. 3 – New Zealand, Portugal andSwitzerland, OECD Publications, Paris

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4. Analysen zu ausgewählten Themen

86 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

Parallel zum Ausbau des Betreuungsange-bots müssten Anpassungen im Steuersystemvorgenommen werden. Erst eine Abkehr vombisherigen System der Familienbesteuerungkönnte dafür sorgen, dass die Erträge einerAusdehnung des Arbeitsangebots von Frauenauch individuell realisiert werden können.Eine steuerliche Kompensation der Betreuungs-kosten in Abhängigkeit vom Erwerbsvolumender Eltern würde es darüber hinaus ermög-lichen, dass das Betreuungsangebot auch tat-sächlich von Eltern aller Einkommensschichtengenutzt werden kann.

Ein rascher Ausbau des Angebots familien-ergänzender Kinderbetreuung erscheint ange-sichts des Zeitbedarfs für Veränderungen beider Erwerbstätigkeit von Frauen und bei derGeburtenrate überaus wünschenswert, ist aberauch mit erheblichen Investitionen verbun-den. Neben den üblichen Finanzierungsme-chanismen sei hier deshalb auf die Möglich-keiten des «frontloading» hingewiesen: Dabeiwürde der Staat erst allmählich in die direkteoder indirekte Finanzierung zusätzlicherBetreuungsangebote einsteigen und in einerersten Phase den Investitionsbedarf durchFinanzierungsleistungen der Kapitalmärkte zudecken versuchen. Als Vehikel kämen dabeiStaatsanleihen in Frage. Mit Hilfe solcher«Familien-Bonds» könnte ein rascher undinnovativer Einstieg in den Ausbau der Be-treuungsangebote erreicht werden.

4.4.5 FazitDie sinkende Geburtenrate in der Schweiz

ist ein elementarer Faktor des so genanntenzweiten demografischen Übergangs, der so-wohl auf Veränderungen sozio-ökonomischerRahmenbedingungen als auch auf einen grund-legenden Wertewandel in der Gesellschaft zu-rückzuführen ist. Die tiefe Geburtenrate in der Schweiz und das eher kleine Arbeitsan-gebot für Frauen stellen die Schweiz bereitsheute, vor allem aber auch künftig vor schwerwiegende wirtschafts- und sozialpolitischeProbleme.

Zur Lösung dieser Probleme bietet es sichan, die Vereinbarkeit von Familie und Er-werbsleben zu verbessern. Die von der Effi-zienz her interessanteste Option besteht darin,das Angebot an qualifizierter familienergän-zender Kinderbetreuung erheblich auszubau-en und mit einkommensabhängigen Tarifenauszustatten. Die Wirksamkeit dieser Mass-nahme ist am höchsten,wenn parallel die steuer-lichen Rahmenbedingungen angepasst werden.Eine solche Massnahmenkombination würdedreierlei bewirken. Erstens würden Familienmit kleinen oder mittleren Einkommen ver-mehrt in die Lage versetzt, Zweiteinkommenzu erzielen, ohne dass dadurch ihre Geburten-rate sinkt. Zweitens würden für qualifizierte

Frauen mit mittlerem bis hohem Einkom-menspotential grössere Teilzeitpensen oderVollzeitstellen attraktiv. Und drittens hätten ge-rade die gut ausgebildeten Frauen einen zu-sätzlichen Anreiz, (mehr) Kinder zu bekom-men.

Allerdings darf man sich von diesen Mass-nahmen keine Wunder vor allem bezüglich derGeburtenrate versprechen. Auch andere als diebisher angesprochenen Gründe können Frau-en und Männer davon abhalten, überhauptKinder bzw. mehrere Kinder zu haben. Sokönnte das «Fehlen des richtigen Partners»oder diffuse Zukunftsängste, die sich vor allemin der Angst vor Arbeitslosigkeit und der hier-aus möglicherweise resultierenden Familien-armut manifestieren, eine wichtige Rollespielen. Umso mehr sollten sich politischeMassnahmen zur Lösung der demografischenProbleme auf die Unterstützung der Erwerbs-tätigkeit von Frauen und Müttern konzentrie-ren. Je mehr die Erwerbstätigkeit und das Be-treuungsangebot dabei den individuellenPräferenzen von Paaren und Familien an-gepasst werden können, desto grösser ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass mehr Frauen undMütter ihr Arbeitsangebot ausdehnen (kön-nen) und mehr Paare den Schritt zur Familien-gründung wagen.

4.4.6 Literaturreferenzen

– Onnen-Isemann C. (2003), Familienpolitik und Fertilitätsunterschiede in Europa: Frankreich und Deutschland,<http://www.bpb.de/files/RXFU7L.pdf>(21.07.2005)

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– Tassinari, Mecop, Infras (2005), Familien-ergänzende Kinderbetreuung in derSchweiz: Aktuelle und zukünftige Nachfra-gepotentiale. Wissenschaftlicher Bericht,Schweizerischer Nationalfonds, NFP 52,Zürich.

– Vesper, D. (2005): Anreize für Kommunen,mehr Kinderbetreuungsmöglichkeitenbereitzustellen. In: DIW Berlin, Politik-beratung kompakt 5

– World Economic Forum (2005): Women’sEmpowerment: Measuring the GlobalGender Gap, Geneva

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Jahresbericht 2005

87 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

Dieser Bericht dürfte deutlich gemacht

haben, dass die Alterung der schweizerischen Be-

völkerung massive Probleme für die Sozial- und

Finanzpolitik mit sich bringen wird, insbesondere

für die Finanzierung der Altersvorsorge.Es ist rich-

tig, dass sich z.B. die Probleme der AHV erst in

etwa 25 Jahren mit voller Schärfe stellen werden,

aber je länger wir abwarten, desto schwieriger wird

es sein, Lösungen zu finden, die auf einen allge-

meinen Konsens hoffen können. Die Politik wäre

daher gut beraten, diese Probleme, soweit sie dies

noch tut, nicht weiter zu verdrängen, sondern

offensiv anzugehen, auch wenn dies zunächst un-

populär ist.Gerade in der direkten Demokratie der

Schweiz, in der Reformen der Zustimmung der

Bevölkerung bedürfen, müssen Reformprozesse

langfristig angegangen werden,und sie dürfen sich

auch durch (vorübergehende) Misserfolge in

Form verlorener Volksabstimmungen nicht ent-

mutigen lassen.

Da sich nichts daran ändern lässt, dass – im

Prinzip und volkswirtschaftlich betrachtet – in

jeder Periode die Erwerbstätigen für den Konsum

der nicht mehr (und noch nicht) Erwerbstätigen

aufkommen müssen, kann die Last, die durch die

Alterung auf die Bevölkerung zukommt, letztlich

nur durch eine Ausdehnung der Erwerbstätigkeit

verringert werden. Alles andere bedeutet nur eine

Verschiebung dieser Last, sei es – durch eine Er-

höhung der Beiträge – stärker auf die Schultern der

Erwerbstätigen, sei es – durch eine Reduzierung

der Renten – stärker auf Kosten der Rentner oder

sei es – durch eine Finanzierung über allgemeine

Steuern – durch Belastung beider Gruppen. Wie

hier die optimale Verteilung der Lasten ist, lässt

sich wissenschaftlich nicht bestimmen, sondern

dies ist eine politische Entscheidung, bei der frei-

lich die Auswirkungen hoher Lohnnebenkosten in

Rechnung zu stellen sind. Dies lässt zumindest bei

der AHV eine Finanzierung der auf sie zukom-

menden Lasten über zusätzliche Lohnprozente als

wenig sinnvoll erscheinen.

Wie diese Lasten verteilt werden, hat zunächst

keine (direkten) intergenerationellen Auswirkun-

gen. Bei der Pensionskasse gilt dies dann, wenn

Beiträge und Rentenzahlungen versicherungs-

technisch korrekt festgelegt werden: Wer mehr

Beiträge geleistet hat, kann auch höhere Renten-

zahlungen erwarten. Bei der AHV gilt dies nur

dann, wenn die Bevölkerungsstruktur stabil ist,

und zwar unabhängig davon, ob die Bevölkerung

wächst oder schrumpft. Im Übergangsprozess, in

dem wir uns in den nächsten Jahrzehnten noch

befinden werden, kann es jedoch erhebliche Ver-

schiebungen der Lasten zwischen den Generatio-

nen ergeben. Dies gilt auch für die Pensionskassen,

5. Ausblick

wenn – aus welchen Gründen auch immer – die

heute bestehenden Rücklagen nicht ausreichen,

um die den Rentnern zugesicherten Ansprüche zu

befriedigen,und wenn deshalb z.B.die Beiträge der

heute Erwerbstätigen angepasst werden.

Wichtiger als die Verschiebung (bzw. die

«gerechte» Verteilung) der Lasten ist jedoch ihre

Reduzierung, die so weit als möglich erfolgen soll-

te. Dies ist durch eine Erhöhung der Erwerbs-

tätigkeit möglich. Schliesst man eine massive

Ausweitung der Zuwanderung aus politischen

Gründen und auch, weil ihre längerfristigen Aus-

wirkungen fraglich sind, aus, ergeben sich für

die Schweiz zwei Wege: Zum einen sollte die all-

gemeine Erwerbstätigkeit ausgedehnt werden,zum

anderen ist die Erwerbstätigkeit der Frauen zu

fördern.

Eine Ausdehnung der allgemeinen Erwerbs-

tätigkeit erfordert, dass vom Dogma des «Renten-

alters 65» Abschied genommen wird: Auch wenn

das Rentenalter nicht heute und auch noch nicht

in den nächsten Jahren erhöht werden muss, soll-

te der Öffentlichkeit klar gemacht werden, dass

längerfristig eine Erhöhung des Renteneintritts-

alters bei der AHV unumgänglich sein wird.Wenn

eine Gesellschaft immer älter wird, wird die durch

die Altersvorsorge auf ihr ruhende Last nur dann

nicht permanent ansteigen, wenn das Renten-

eintrittsalter entsprechend erhöht wird. Dem

widerspricht nicht die Tatsache, dass ein Grossteil

der Beschäftigten heute das offizielle Rentenein-

trittsalter gar nicht erreicht, sondern bereits früher

in Rente geht: Das offizielle Renteneintrittsalter

spielt auch für diese Bürgerinnen und Bürger

als Richtgrösse eine wesentliche Rolle. Seine Er-

höhung wird daher auch auf ihre Erwerbstätigkeit

einen positiven Einfluss haben.

Eine Erhöhung des Renteneintrittsalters kann

(und sollte vermutlich auch) mit einer Flexibili-

sierung einhergehen, indem z.B. vermehrt Alters-

teilzeitarbeit möglich wird. Auch ist durchaus dis-

kutierbar, dass für bestimmte Berufsgruppen mit

besonderer körperlicher Belastung Sonderrege-

lungen für eine vorzeitige Pensionierung (z.B. in

Abhängigkeit von der Zahl der Beitragsjahre) ge-

troffen werden. All dies sollte jedoch nicht davon

ablenken, dass die generelle Tendenz dahin gehen

muss, die Zeit der Erwerbstätigkeit auszudehnen.

Die Erwerbstätigkeit der Frauen wird sich vor

allem dann erhöhen, wenn die Vereinbarkeit von

Familie und Beruf besser gewährleistet wird. Dies

erfordert sowohl organisatorische als auch finan-

zielle Massnahmen. Zum einen sollten in Kinder-

horten und -gärten sowie in Primarschulen die

Zeiten so geregelt werden, dass beide Partner in

einer Familie zumindest eine Halbtagsarbeit auf-

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5. Ausblick

88 Kommission für Konjunkturfragen Jahresbericht 2005

nehmen können. Zweitens sollte die «Heirats-

strafe» im Steuersystem abgeschafft werden: Die

traditionelle Art der Familienbesteuerung ist

durch eine Variante des Splittings oder durch die

Individualbesteuerung zu ersetzen. Drittens ist die

Subventionierung der Kinderbetreuungskosten

einkommensunabhängig zu gestalten, und/oder

diese Kosten sollten von der Steuer absetzbar sein:

Es macht keinen Sinn, wenn, wie an einem Bei-

spiel ausgeführt wurde, verheiratete Zweitverdie-

ner mit zwei Kindern dann, wenn sie fünf anstatt

drei Tage in der Woche arbeiten, Einkommensein-

bussen hinnehmen müssen.

Eine bessere Vereinbarkeit von Familie und

Beruf dürfte auch dazu führen, dass die

Geburtenrate wieder zunimmt. Dass heute in

der Schweiz 40 Prozent der Frauen mit höherem

Bildungsabschluss keine Kinder mehr haben, ist

keine unabänderliche Fügung, sondern hängt auch

mit der Politik sowie mit der Einstellung der Ge-

sellschaft zu Kindern zusammen. Die skandina-

vischen Länder mit ihrem ausgebauten Kinderbe-

treuungssystem zeigen, dass man auch in Ländern

mit hohem Pro-Kopf-Einkommen deutlich höhe-

re Geburtenraten haben kann. Zwar schrumpfen

auch diese Gesellschaften, aber eben etwas lang-

samer und dadurch mit geringeren Zusatzlasten.

Unabhängig davon, wie hoch die Leistungen

der Altersvorsorge sind, die sie am Ende erhalten,

müssen die Bürgerinnen und Bürger sicher

sein können, dass sie die ihnen zugesicherten Leis-

tungen auch erhalten werden. Wenn die AHV wie

bisher das Existenzminimum abdecken soll,dürfte

dies bedeuten, dass sie – auch bei einer Erhöhung

des Regelrenteneintrittsalters – zusätzlicher Mittel

bedarf. Diese dürften vermutlich am sinnvollsten

durch allgemeine Steuermittel gedeckt werden.

Bei den Pensionskassen kommt es in der heutigen

Situation zunächst darauf an, dass sie saniert wer-

den. Im Weiteren ist strikt darauf zu achten, dass

Beiträge und Leistungsversprechen miteinander

im Gleichgewicht sind. Dies bedingt, dass die

Parameter der Regulierung, insbesondere die

Mindestverzinsung und der Umwandlungssatz,

automatisch und periodisch an die Marktbedin-

gungen und an die Demografie angepasst werden.

Ihre Festlegung sollte sich zudem (zumindest im-

plizit) an realen und nicht an nominalen Grössen

orientieren. Ideal wäre z.B. eine Indexierung des

Umwandlungssatzes an die aktuellen Sterbetafeln

unter Mitberücksichtigung der prognostizierten

Erhöhung der Lebenserwartung der Versicherten.

Eine automatische Anpassung dieser Grössen

würde zum einen den Betroffenen eine bessere

Planbarkeit ermöglichen und zweitens politische

Konflikte über deren Festsetzung vermeiden.

Wie mehrfach angesprochen wurde, sind die

erhöhten Kosten der Altersvorsorge nicht die ein-

zigen, die infolge der Alterung auf die Gesellschaft

zukommen; dazu treten zusätzliche Kosten im

Gesundheitssystem. Dabei dürfte die Tatsache,

dass ältere Menschen – ceteris paribus – mehr

medizinische Leistungen in Anspruch nehmen,

von geringerer Bedeutung sein als die zusätzlich

auf uns zukommenden Kosten der Alterspflege.

Die Kosten zusätzlicher medizinischer Leistungen

führen (neben anderen, vermutlich sehr viel

wichtigeren Faktoren) zu steigenden Kosten des

Gesundheitswesens. Mit ihrer Bewältigung sollte

man sich im Rahmen einer allgemeinen Diskus-

sion des Gesundheitswesens beschäftigen; eine

gesonderte Betrachtung dieses Ausschnitts dürfte

wenig sinnvoll sein. Daher befasst sich dieser

Bericht auch nicht mit Vorschlägen in dieser Rich-

tung. Anders sieht es dagegen im Bereich der

Altenpflege aus. Hier entstehen Kosten, die bisher

nur zum Teil durch die Krankenversicherung

übernommen werden. Hier besteht die Möglich-

keit einer allgemeinen Pflichtversicherung als Er-

gänzung zur obligatorischen Pflichtversicherung.

Eine Alternative dazu ist die grundsätzliche Beibe-

haltung des bisherigen Systems, nach welchem die

nicht von den Krankenversicherungen gedeckten

Zusatzkosten von den Bürgerinnen und Bürgern

selbst aufgebracht werden müssen bzw., soweit

diese dazu nicht in der Lage sind, von der öffent-

lichen Hand übernommen werden. Aus vertei-

lungspolitischer Perspektive dürfte diese Lösung,

soweit die öffentliche Hand wirklich alle erforder-

lichen Kosten übernimmt, einer Pflichtversiche-

rung zumindest nicht unterlegen sein.

Nimmt man all dies zusammen, dann zeigt

sich, dass mit der Alterung (und Schrumpfung)

der Bevölkerung erhebliche Probleme auf die

Schweiz zukommen. Dabei wurde hier vor allem

auf die finanziellen Lasten abgestellt, die sich für

die öffentliche Hand (und in Bezug auf die AHV

insbesondere für den Bund) ergeben. Damit soll

weder unter den Tisch gewischt werden, dass es

auch andere Belastungen gibt, noch, dass man

auch positive Aspekte dieser Entwicklung sehen

kann. Schliesslich kann die Bevölkerung nicht

endlos wachsen: Das längerfristige Überleben der

Menschheit hängt u.a. davon ab, dass die Bevölke-

rung in allen Staaten dieser Erde stabilisiert wird.

Dies ändert jedoch nichts daran, dass die demo-

grafische Entwicklung der Schweiz insbesondere

die Politik des Bundes in den nächsten Jahrzehnten

vor erhebliche Probleme stellen wird. Je schneller

sie sich damit befasst und je langfristigster sie

diese angeht, desto eher wird sie – auch aus den

aufgeführten politisch-ökonomischen Argumen-

ten – in der Lage sein, sie in befriedigender Weise

zu lösen. Dieser Bericht, in dem versucht wurde,

die Probleme aufzuzeigen und auf Lösungswege

hinzuweisen, will dazu Hilfestellung leisten. Die

Kommission für Konjunkturfragen ist der Auffas-

sung, dass die vor uns liegende Problematik rela-

tiv klar ist und dass die Wege zu ihrer Bewältigung

prinzipiell bekannt sind, auch wenn im Detail

nach wie vor (zum Teil auch erheblicher) Dis-

kussionsbedarf besteht. Es kommt jetzt vor allem

darauf an, dass die Politik handelt.