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Hiebel S. und Junkers A. Konflikte gezielt vermeiden Et Reha 54. Jg., 2015, Nr. 4: 15-18, Hrsg. DVE Praxis 15 15 Kinder finden häufig kreative Ausreden, um ihre Hausaufgaben nicht erledigen zu müs- sen – und bringen damit ihre Eltern zur Ver- zweiflung. Nicht selten eskaliert die Situation. Denn unreflektiert können die elterlichen Er- wartungen bei den Kindern innere Unruhe und Stress auslösen. Erfahren Sie, welche prak- tischen Tipps Sie Eltern geben können, um die Lage zu entspannen. „Wahrscheinlich wird es gleich wieder schwie- rig, wenn ich meine Tochter bitte, am Sonn- tagmorgen vor dem Frühstück ihre Hausauf- gaben zu machen. Alleine deshalb habe ich schon gar keine Lust, das ema überhaupt anzusprechen. So taste ich mich vorsichtig vor. ‚Lena, da gäbe es noch was...‘ ‚Ich weiß, Hausaufgaben. Mach ich jetzt, ich geh gleich hoch.‘ Somit war mir aller Wind aus den Se- geln genommen. Hätte sie aber gesagt ‚mach ich später‘ oder ‚nur noch den Film fertig gu- cken‘, wäre ich wahrscheinlich gleich durch die Decke gegangen.“ Wem ist das hier beschrie- bene Szenario im Zusammenhang mit den Hausaufgaben seiner Kinder nicht bekannt? Auch in der Praxis begegnen uns in der Arbeit mit Kindern und Eltern oſt ähnliche Aussa- gen, die die Erwartungshaltung diesbezüglich direkt widerspiegeln: „Das wird eh nicht funk- tionieren, er hat einfach nur keine Lust dazu“, „Gleich werden Sie sehen, wie er bei den Hausaufgaben immer blockiert“ oder „Die Mama wird mich trotzdem wieder schimpfen, auch wenn ich mich anstrenge.“ Inwieweit lassen unsere Erwartungen also noch Raum in der Handlungssituation? Inwie- weit bedingen die Erwartungen die Handlung so, dass diese dann auch tatsächlich eintreten? Und wie oſt geschieht es, dass wir uns durch unsere Erwartungen gleichzeitig den ersten Schritt zur Konfliktlösung nehmen, nämlich unserem Gegenüber erst einmal zuzuhören? Wie bewusst sind wir uns eigentlich der Er- wartungen, die unser Handeln beeinflussen? Und wie gehen wir damit um? Erwartungen: normativ oder antizipatorisch Beschäſtigt man sich mit motivationsför- derlichen bzw. -hemmenden Faktoren einer Konflikte gezielt vermeiden Wie Erwartungen die Lern- und Hausaufgabensituation beeinflussen Sara Hiebl, Anja Junkers Handlung, zum Beispiel der Hausaufgaben (Junkers/Hiebl 2014), muss man sich auch da- mit auseinandersetzen, wie Erwartungen die Motivation bezüglich einer Handlung beein- flussen. So beschreibt die Motivationspsycho- logie, dass die Motivation für ein bestimmtes Verhalten von der subjektiven Erwartung und dem zu erreichenden Wert abhängt. Man unterscheidet dabei normative Erwartungen (was andere tun sollten) von antizipatorischen Erwartungen (die Annahme des Handelnden, was der andere tun wird/würde) (Rosemann/ Bielski 2001). Dabei bilden sich normative Erwartungen einerseits aus den gesellschaſt- lichen Normen und Werten und den an uns gestellten Anforderungen heraus. Bezogen auf die Hausaufgaben sind hier etwa die Nor- men und Werte der Schule, die Anforderun- gen des Lehrers an den Schüler, aber auch die Bildungsnormen der jeweiligen Gesellschaſt zu nennen. Andererseits entstehen normati- ve Erwartungen auch durch persönliche Er- fahrungen, aus denen wir unsere Werte und Normen ableiten. Hier sind beispielhaſt Er- ziehungswerte zu nennen, die aus der eigenen Familie übernommen werden, aber auch Nor- men, wie bestimmte Handlungen zu gestalten sind, zum Beispiel die Hausaufgabensituation. Antizipatorische Erwartungen hingegen ent- stehen aus den Erfahrungen, die wir sammeln, wie auch aus den Vorstellungen darüber, wie der andere in einer bestimmten Situation re- agieren oder handeln könnte. So ergibt sich aus der wiederholten Erfahrung der Hausauf- gabenverweigerung durch das Kind die anti- zipatorische Annahme, dass dieses Verhalten auch in der nächsten Hausaufgabensituation wieder auſtreten wird. Oder die Erfahrung, dass der eigene Lehrer schwierig war, scha die Erwartung, dass es auch für das eigene Kind in der Schule schwierig werden wird. Oſt geschieht es jedoch auch, dass wir die Er- wartungen anderer als die eigenen annehmen, ohne diese bewusst zu reflektieren. Die Er- wartung, dass die Hausaufgaben in einer be- stimmten Zeit erledigt sein müssen, entsteht oſt durch die vorgegebene Schulnorm oder die Aussage des Lehrers, selten jedoch auf Ba- sis der tatsächlichen Leistungsmöglichkeit des Kindes im Verhältnis zur gestellten Anforde- rungssituation. Urheberrechtlich geschütztes Material. Copyright: Schulz-Kirchner Verlag, Idstein. Vervielfältigungen jeglicher Art nur nach vorheriger schriftlicher Genehmigung des Verlags gegen Entgelt möglich. [email protected]

Konflikte gezielt vermeiden - ergotherapie-gilching.de · Wem ist das hier beschrie-bene Szenario im Zusammenhang mit den ... Trauen Sie Ihrem Kind etwas zu! Überlassen Sie Ihrem

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Hiebel S. und Junkers A. Konflikte gezielt vermeiden Et Reha 54. Jg., 2015, Nr. 4: 15-18, Hrsg. DVE

Praxis

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Kinder finden häufig kreative Ausreden, um ihre Hausaufgaben nicht erledigen zu müs-sen – und bringen damit ihre Eltern zur Ver-zweiflung. Nicht selten eskaliert die Situation. Denn unreflektiert können die elterlichen Er-wartungen bei den Kindern innere Unruhe und Stress auslösen. Erfahren Sie, welche prak-tischen Tipps Sie Eltern geben können, um die Lage zu entspannen.

„Wahrscheinlich wird es gleich wieder schwie-rig, wenn ich meine Tochter bitte, am Sonn-tagmorgen vor dem Frühstück ihre Hausauf-gaben zu machen. Alleine deshalb habe ich schon gar keine Lust, das Thema überhaupt anzusprechen. So taste ich mich vorsichtig vor. ‚Lena, da gäbe es noch was...‘ ‚Ich weiß, Hausaufgaben. Mach ich jetzt, ich geh gleich hoch.‘ Somit war mir aller Wind aus den Se-geln genommen. Hätte sie aber gesagt ‚mach ich später‘ oder ‚nur noch den Film fertig gu-cken‘, wäre ich wahrscheinlich gleich durch die Decke gegangen.“ Wem ist das hier beschrie-bene Szenario im Zusammenhang mit den Hausaufgaben seiner Kinder nicht bekannt? Auch in der Praxis begegnen uns in der Arbeit mit Kindern und Eltern oft ähnliche Aussa-gen, die die Erwartungshaltung diesbezüglich direkt widerspiegeln: „Das wird eh nicht funk-tionieren, er hat einfach nur keine Lust dazu“, „Gleich werden Sie sehen, wie er bei den Hausaufgaben immer blockiert“ oder „Die Mama wird mich trotzdem wieder schimpfen, auch wenn ich mich anstrenge.“Inwieweit lassen unsere Erwartungen also noch Raum in der Handlungssituation? Inwie-weit bedingen die Erwartungen die Handlung so, dass diese dann auch tatsächlich eintreten? Und wie oft geschieht es, dass wir uns durch unsere Erwartungen gleichzeitig den ersten Schritt zur Konfliktlösung nehmen, nämlich unserem Gegenüber erst einmal zuzuhören? Wie bewusst sind wir uns eigentlich der Er-wartungen, die unser Handeln beeinflussen? Und wie gehen wir damit um?

Erwartungen: normativ oder antizipatorischBeschäftigt man sich mit motivationsför-derlichen bzw. -hemmenden Faktoren einer

Konflikte gezielt vermeidenWie Erwartungen die Lern- und Hausaufgabensituation beeinflussen

Sara Hiebl, Anja Junkers

Handlung, zum Beispiel der Hausaufgaben (Junkers/Hiebl 2014), muss man sich auch da-mit auseinandersetzen, wie Erwartungen die Motivation bezüglich einer Handlung beein-flussen. So beschreibt die Motivationspsycho-logie, dass die Motivation für ein bestimmtes Verhalten von der subjektiven Erwartung und dem zu erreichenden Wert abhängt. Man unterscheidet dabei normative Erwartungen (was andere tun sollten) von antizipatorischen Erwartungen (die Annahme des Handelnden, was der andere tun wird/würde) (Rosemann/Bielski 2001). Dabei bilden sich normative Erwartungen einerseits aus den gesellschaft-lichen Normen und Werten und den an uns gestellten Anforderungen heraus. Bezogen auf die Hausaufgaben sind hier etwa die Nor-men und Werte der Schule, die Anforderun-gen des Lehrers an den Schüler, aber auch die Bildungsnormen der jeweiligen Gesellschaft zu nennen. Andererseits entstehen normati-ve Erwartungen auch durch persönliche Er-fahrungen, aus denen wir unsere Werte und Normen ableiten. Hier sind beispielhaft Er-ziehungswerte zu nennen, die aus der eigenen Familie übernommen werden, aber auch Nor-

men, wie bestimmte Handlungen zu gestalten sind, zum Beispiel die Hausaufgabensituation. Antizipatorische Erwartungen hingegen ent-stehen aus den Erfahrungen, die wir sammeln, wie auch aus den Vorstellungen darüber, wie der andere in einer bestimmten Situation re-agieren oder handeln könnte. So ergibt sich aus der wiederholten Erfahrung der Hausauf-gabenverweigerung durch das Kind die anti-zipatorische Annahme, dass dieses Verhalten auch in der nächsten Hausaufgabensituation wieder auftreten wird. Oder die Erfahrung, dass der eigene Lehrer schwierig war, schafft die Erwartung, dass es auch für das eigene Kind in der Schule schwierig werden wird. Oft geschieht es jedoch auch, dass wir die Er-wartungen anderer als die eigenen annehmen, ohne diese bewusst zu reflektieren. Die Er-wartung, dass die Hausaufgaben in einer be-stimmten Zeit erledigt sein müssen, entsteht oft durch die vorgegebene Schulnorm oder die Aussage des Lehrers, selten jedoch auf Ba-sis der tatsächlichen Leistungsmöglichkeit des Kindes im Verhältnis zur gestellten Anforde-rungssituation.

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Immer prüfen: ist die Erwartung realistisch?Unreflektierte Erwartungen schaffen oftmals innere Unruhe und Stress, wenn wir ihnen nicht voll gerecht werden können. Zudem füh-ren sie sowohl bei uns selbst wie auch bei un-serem Gegenüber, das von den Erwartungen mit betroffen ist, zu Verhaltensweisen, die zu weiteren Konfliktsitu-ationen führen kön-nen. Die Faktoren, die diese Verhaltens-weisen beeinflussen, sind meist unbewusst und können nur durch bewusste Reflexion zu-gänglich gemacht werden. Wir selbst können sie häufig nur als emotionale Erlebnisqualität äußern („Da könnte ich durch die Decke ge-hen!“, „Wenn er schon so schaut, dann steigt in mir schon wieder die Wut hoch!“). Das mo-tivationale Verhalten ist also auch stark von den emotionsgesteuerten Faktoren bestimmt (Jerusalem 2002, Junkers/Hiebl 2014).So ist es beispielsweise absolut unrealistisch zu erwarten, dass ein Kind mit Legasthenie seine Deutschhausaufgaben in der gleichen Zeit er-ledigen wird wie ein Kind ohne Legasthenie. Treten wir ihm aber täglich mit der Erwartung gegenüber, dies können zu müssen, wie wird es dann wahrscheinlich aus der Überforderung heraus reagieren? Verweigerungstendenzen, Tränenausbrüche, oppositionelles Verhal-ten etc. erscheinen aus dieser Perspektive plötzlich nachvollziehbar. Wenn das gezeigte Verhalten also nicht zur Situation zu passen scheint oder gar zum Abbruch der Handlung führt, spricht man von „break-down-points“ (Polatajko/Mandich 2008). Dabei müssen diese Verhaltensaspekte nicht ausschließlich vom Kind ausgehen, sondern können auch bei den Erwachsenen vorliegen. Ein Kind fragt bei den Mathehausaufgaben wiederholt nach. Die Mutter ist mit der Aufgabenstellung selbst überfordert, kann dies jedoch nicht verbalisie-ren. Stattdessen beginnt sie, mit ihrem Kind zu schimpfen und wirft ihm vor, sich nicht ge-nügend anzustrengen.

Zu ehrgeizige Erwartungen zurückschraubenAber wie kommt es dazu, dass wir gerade auf die Hausaufgaben- und Lernsituation bezogen Erwartungen formulieren, die nicht zu uns oder zum Potenzial bzw. Lernweg des Kindes passen? Erwartungen haben mit Ehrgeiz zu tun. Ehrgeiz ist grundsätzlich nichts Falsches, wenn er sich in gesundem Rahmen hält, sich also zielorientiert zeigt und nicht über das Ziel hinausschießt. „Unter Ehrgeiz versteht man

das Streben von Menschen nach erfolgreichen Leistungen. So möchten ehrgeizige Personen beachtet und von den anderen Menschen an-erkannt werden. Psychologisch gesehen sollen erfolgreiche Leistungen zur Erhöhung des ei-genen Geltungswertes sowie zur Stärkung des Selbstbewusstseins beitragen“ (Paradisi 2011). So treffen wir einerseits auf den Ehrgeiz der

Eltern, die äußeren Erwartungen zum Beispiel der Schu-le oder der anderen Eltern zu erfüllen. Aber auch die elter-

lichen Erwartungen an die Leistungsfähigkeit und den Werdegang ihres Kindes sind groß. So trifft man in der Praxis häufig auf die Er-wartung, dass das Kind aufs Gymnasium ge-hen muss, weil ihm sonst vermeintliche Be-rufschancen verbaut wären. Auf der anderen Seite steht die Antriebsmotivation eines jeden (Schul-)Kindes, in seinem persönlichen Um-feld – in diesem Fall in erster Linie von den Eltern und den Lehrern – anerkannt und be-achtet zu werden, also positive Beziehungen zu erlangen (Junkers/Hiebl 2014). Daher entwickeln Kinder vielfach den Ehrgeiz, die gesteckten Ziele des Umfelds (also auch die von uns) zu erreichen, denn darüber erfolgt oftmals die Anerkennung (Largo 2012). Da Kinder grundlegend darauf vertrauen, dass die von den Eltern oder Lehrern gesteckten Ziele auch für sie erreichbar sind, geraten sie in eine Zwickmühle, wenn sie diese trotz aller Anstrengung nicht erreichen können. Folg-lich lassen sich Beziehungen über diesen Weg nicht positiv gestalten.

Selbstwirksamkeit ist entscheidendDie Erwartungen der Eltern und Lehrer be-einflussen somit nachhaltig die individuelle Selbstwirksamkeitserwartung der Kinder. Diese „wird definiert als die subjektive Ge-wissheit, neue oder schwierige Anforde-rungssituationen auf Grund eigener Kompe-tenzen bewältigen zu können. Dabei handelt es sich nicht um Aufgaben, die durch einfache Routine lösbar sind, sondern um solche, deren Schwierigkeitsgrad Handlungs-prozesse der Anstrengung und Ausdauer für die Bewältigung erforderlich macht“ (Jerusalem 2002, S.35). Entsprechend der Selbstbestimmungstheorie der Psychologen Deci und Ryan ver-treten die Autorinnen die An-sicht, dass neben den Kompeten-zerfahrungen und -erwartungen

auch die Beziehungsqualität und die autono-me Handlungssteuerung eine wichtige Rolle spielen (Deci/Ryan 2004, Junkers/Hiebl 2014).Die Kompetenzerwartung von Schülern im Umgang mit schulischen Anforderungen be-schreibt die schulbezogene Selbstwirksam-keitserwartung. Positive Formulierungen diesbezüglich sind demnach „ich kann auch schwierige Aufgaben lösen, wenn ich mich anstrenge“, oder „auch wenn die Mama/der Papa an meinen Fähigkeiten zweifelt, bin ich mir sicher, dass ich gute Leistungen erzielen kann.“ So zeigen Kinder mit einer positiven Selbstwirksamkeitserwartung bei den Haus-aufgaben erfahrungsgemäß häufig mehr Aus-dauer, eigenreguliertes Arbeiten, eine höhere Frustrationstoleranz und eine deutlich höhere Anstrengungsbereitschaft. Kinder mit einer negativen Selbstwirksamkeitserwartung hin-gegen zeigen vielfach Vermeidungsverhalten, geringe Eigenständigkeit, eine geringe Fru-strationstoleranz und eine niedrige Anstren-gungsbereitschaft.

Auch Eltern müssen an sich glaubenDie Selbstwirksamkeitserwartung der Eltern selbst ist in diesem Zusammenhang aber auch von großer Bedeutung. Diese schließt Überzeugungen ein, dass sie schwierige An-forderungen in der Lernbegleitung meistern können – auch unter widrigen Umständen. Folgende Formulierungen können hier bei-spielhaft genannt werden: „Auch wenn meine Tochter gerade spielt, kann ich sie dazu mo-tivieren, sich an die Hausaufgaben zu setzen.“ Oder: „Obwohl er eine 4 in der letzten Mathe-probe hatte, schaffe ich es, ihm die Freude am Matheüben zu erhalten.“ (in Anlehnung an die entsprechenden Skalen von Jerusalem/Satow 1999, Jerusalem 2002) Die Erfahrung in der Praxis zeigt, dass Eltern mit einer positiven Selbstwirksamkeitserwar-tung Verständnis für die Emotionen ihrer Kinder zeigen, zum Beispiel für die Traurig-keit über eine schlechte Note oder die Unlust, sich bei schönem Wetter an die Hausaufgaben

„Je schwieriger die Hausaufgaben-situation für Ihr Kind, desto über-legter sollten Ihre Erwartungen an Ihr Kind sein.“ (Eichhorn 2012, S. 89)

Hilfreiche Tipps für gestresste Eltern

Trauen Sie Ihrem Kind etwas zu!

Überlassen Sie Ihrem Kind Eigenverantwortung!

Formulieren Sie realistische Erwartungen – gemeinsam mit Ihrem Kind!

Zeigen Sie Ihrem Kind Anerkennung für seine Anstrengung!

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zu setzen. Sie sind aber in der Lage, die ent-sprechenden Verhaltensweisen des Kindes be-wusst zu reflektieren und dem Kind zu helfen, wieder Vertrauen in die eigene Kompetenz zu erlangen bzw. das Kind trotzdem zu motivie-ren. Sie zeigen annehmbare Grenzen auf und sind auch bei schwierigen Anforderungen in der Lage, mit dem Kind eine angemessene Lö-sung im Umgang damit zu erarbeiten. Eltern mit einem niedrigen Gefühl der Selbstwirk-samkeit reagieren oft selbst mit emotionalem Verhalten auf die Emotionen ihrer Kinder, treten häufig in einen Machtkampf. Auch die eigene Unlust macht es ihnen schwer, die Kin-der zu motivieren. Bei schwierigen Anforde-rungen sind sie mehrfach nicht in der Lage, einen geeigneten Lösungsweg mit dem Kind zu erarbeiten.

Gemeinsam sind wir stark!Neben der individuellen Selbstwirksamkeits-erwartung ist auch die kollektive Selbstwirk-samkeit sehr wichtig. Hierunter ist nicht nur die Überzeugung gefasst, wie kompetent sich die einzelnen Mitglieder einer Gruppe oder eines Teams im Umgang mit einer schwie-rigen Aufgabe sehen. Die Einschätzung, die sich aus der Koordination und Kombination der einzelnen Ressourcen zu einer gemein-samen Wirksamkeit zusammenfügt, ist hier-bei von großer Bedeutung. So ist die kollektive Selbstwirksamkeit in einem Lernteam erfah-rungsgemäß höher, wenn es ein durchschnitt-liches Maß an Fähigkeiten und Wissen mit-bringt, aber in der Lage ist, diese effektiv zu koordinieren. Ein Lernteam mit hohen indivi-duellen Ressourcen hingegen, das nicht in der Lage ist, diese effektiv zusammenzubringen und in eine Zielrichtung zu integrieren, zeigt in der Regel eine niedrigere kollektive Selbst-wirksamkeit (Jerusalem 2002). „Gemeinsam sind wir stark!“, „Zusammen werden wir die Aufgabe schon lösen können!“ sind Aussagen, die eine positive kollektive Selbstwirksamkeit widerspiegeln.

Die Lern- und Hausaufgaben-situation entspannenEs gibt für die Eltern vier Möglichkeiten, so-wohl die individuelle wie auch die kollektive Selbstwirksamkeit im Zusammenhang mit der Lern- und Hausaufgabensituation zu stärken.

Trauen Sie Ihrem Kind etwas zu!Helfen Sie in der Lern- und Hausaufgabensi-tuation nur dann, wenn das Kind Ihre Unter-stützung auch wirklich benötigt. So sollte Ihr Kind die Hausaufgaben, die leicht sind und die es alleine bewältigen kann, ohne Ihre Hil-fe erledigen. Dies schafft direkt zu Beginn der

Hausaufgaben ein Erfolgserlebnis. Das Kind fühlt sich fähig, etwas zu erreichen und geht bereits positiv aus einer Anforderungssituati-on heraus. Gemeinsam können Sie dann die schwierigen Aufgaben besprechen und das Vorgehen schrittweise erarbeiten.

Überlassen Sie Ihrem Kind Eigenverantwortung!Treten Sie aus dem Machtkampf heraus. Na-türlich sollten Sie Ihrem Kind die Folgen von nicht erledigten Hausaufgaben aufzeigen, wenn es diese Folgen vielleicht selbst nicht überblicken kann. Entscheidet sich das Kind trotzdem, die Hausaufgaben nicht fertig zu machen, so muss es die Konsequenzen des eigenen Verhaltens dafür selbst tragen, also zum Beispiel am nächsten Tag doppelt so viele Hausaufgaben zu haben. Nehmen Sie ihm diese Konsequenz ab, indem Sie mit aller Macht ver-suchen, die Hausaufga-ben bis zum Abend mit Ihrem Kind zu erledigen, so wird es diese Konse-quenz nicht erfahren: Der Lerneffekt bleibt aus. Sie schaffen dadurch so-gar einen negativen Lerneffekt, denn Ihr Kind lernt, seine eigene Verantwortung an Sie abzu-geben – Sie werden schon dafür sorgen, dass die Hausaufgaben am Ende erledigt sind. Kin-der lernen aus den Folgen jedoch nur, wenn sie logisch mit dem eigenen Fehlverhalten verknüpft und darüber für das Kind nachvoll-ziehbar sind (Dreikurs/Grey 1991). Außerdem leidet die auf gegenseitigem Respekt basieren-de Beziehung zwischen Eltern und Kind unter solchen Machtkämpfen.

Formulieren Sie realistische Erwar-tungen – gemeinsam mit Ihrem Kind!Finden sich Kinder, aber auch Eltern in Situa-tionen wieder, in denen sie hoffnungslos über-fordert sind, reagieren sie erfahrungsgemäß meist unangemessen. Denn in den seltensten Fällen sind sie in der Lage, diese Überforde-rung zu erkennen und konkret zu verbalisie-ren. Dann können sie auch keine Lösungs-möglichkeiten erarbeiten.Realistische Erwartungen, die der tatsäch-lichen Leistungsmöglichkeit des Kindes ent-sprechen und sich an seinen Stärken orien-tieren, spiegeln sich im Erhalt der spontanen Lernbereitschaft wider. So ist die Lernbereit-schaft zwar abhängig von der Motivation (Jun-kers/Hiebl 2014), wird aber über realistische und für das Kind transparente Erwartungen maßgeblich beeinflusst. In gegenseitiger Ach-tung ist es notwendig und möglich, unter

anderem die Tagesform, Interessensschwer-punkte, Stärken und Schwächen sowie äußere Rahmenbedingungen bei der Formulierung von Erwartungen zu berücksichtigen (Drei-kurs/Grey 1991, Largo 2012).Eine realistische Erwartung an ein Kind mit Lese-Rechtschreibschwäche kann zum Bei-spiel sein, dass es die Deutschhausaufgabe in ordentlicher Schrift und mit angemessener Anstrengung erledigt, keinesfalls jedoch feh-lerfrei. Gemeinsam ist es dann möglich, die Lösung zu erarbeiten, um so die Fehler für das Kind verständlich zu machen. Es geht darum, dass Kinder in der Lage sind, aus ihren Feh-lern zu lernen, und diese nicht als K.o.-Krite-rium für die Lernsituation zu werten. Wenn Sie Ihrem Kind anspruchsvolle Lern-ziele setzen, vermitteln Sie ihm, dass Sie ihm

zutrauen, diese auch zu erreichen und dass Sie ihr Kind schätzen. Ermutigen Sie ihren Sohn oder Ihre Tochter, trotz Fehlschlä-gen eine eigenständige Lösung zu finden (Wild/Remy 2002).

„Übertriebene Fürsorge hat die gleiche entmutigende Wirkung wie Demütigung; sie beraubt das Kind der Erfah-rung seiner eigenen Stärke.“ (Dreikurs/Grey 1991, S.46)

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Zeigen Sie Ihrem Kind Anerkennung für seine Anstrengung!Über positiv formulierte Erwartungen geben Sie Ihrem Kind gleichzeitig eine Richtung vor, an der es sich orientieren kann. „Meinst Du, dass wir die Hausaufgaben in einer Stunde erledigen können, damit Du dann noch Zeit hast, Max zu treffen?“ Diese Frage beinhaltet zwar eine Erwartung, stellt aber gleichzeitig ein positives Ziel in Aussicht und zeigt eine wertschätzende und unterstützende Haltung, die das Selbstwertgefühl des Kindes stärkt. Hingegen bietet die Formulierung „Wenn Du die Hausaufgaben wieder nicht bis um vier Uhr erledigt hast, dann gibt es heute Abend keine Gute-Nacht-Geschichte“ eine negative Orientierung. Darüber wird zudem ein Erwar-tungsdruck aufgebaut, der überfordernd und entmutigend wirken kann. Die Arbeitshaltung

ANJA JUNKERS (li.) schloss 1990 ihr Ergotherapiestudium an der Universität Stellenbosch (Südafrika) ab. Seit 2000 arbeitete sie in Deutschland als freiberufliche Ergotherapeutin und Lehrkraft an der Berufsfachschule für Ergotherapie in München. Es folgten ein Master-studium, vielseitige Referententätigkeiten und 2011 die Niederlassung in eigener Praxis mit den Schwerpunkten Pädiatrie und Tiergestützte Therapie. Sie veröffentlichte das erste deutsche Fachbuch zur tierge-stützten Ergotherapie und eine Reihe von Fachartikeln.

SARA HIEBL (re.) ist seit 2008 Ergotherapeutin, seit 2010 mit eigener Praxis für Pädiatrie und Neurologie in Gilching, südwestlich von Mün-chen. Sie ist als Referentin und Beraterin mit Schwerpunkt Autismus tätig. Aus der Arbeit in der Praxis entstand das Gruppenkonzept „Ich bin stark“. Derzeit arbeitet sie mit Anja Junkers an einem kompetenz-orientierten Unterstützungskonzept für Lern- und Hausaufgabensitu-ationen und veröffentlicht Fachartikel.

Kontakt: [email protected], [email protected]

Zusammenfassung Konflikte gezielt vermeidenIm therapeutischen Setting ist es wichtig, sich der förderlichen und hinderlichen Wirkfaktoren von Erwartungen hinsichtlich der Lern- und Hausaufgabensituation bewusst zu sein. Nur dann ist ein lösungs-orientiertes Arbeiten gemeinsam mit dem Klienten möglich. Unre-flektierte Erwartungen schaffen oftmals innere Unruhe und Stress. Daraus hervorgehende Verhaltensweisen können zu weiteren Kon-fliktsituationen führen. Die Autorinnen zeigen im Artikel Möglichkeiten zum reflektierten Umgang und konkrete Handlungsansätze auf.

Schlüsselwörter: Lern- und Hausaufgabensituation, Erwartungen, Selbstwirksamkeit, OPC, lösungsorientiertes Arbeiten, Elternarbeit

Consciously Avoiding ConflictsIn a therapeutic setting it is vital to recognize the positive and nega-tive effects that expectations have on learning and homework situa-tions. Only then is solution-oriented cooperation with a client possi-ble. Unreasonable expectations often create inner restlessness and stress. The resulting behaviour can lead to further conflict situations. In this article the authors demonstrate specific approaches to dealing with this problem.

Key Words: Learning and homework situation, expectations, self-efficacy, OPC, solution-oriented work, parent involvement

Das ausführliche Literaturverzeichnis finden Sie unter www.schulz-kirchner.de/ergotherapie/downloadse.htm Dokumente Beschrei-bung Ausgabe 4/2015

Erleben Sie die beiden Autorinnen auf dem DVE-Kongress 2015 in Bielefeld – am 2. Mai um 11:30 Uhr in Workshop 19 „Du und ich – auf dem Weg zum starken Lernteam“!

DOI dieses Beitrags (www.doi.org): 10.2443/skv-s-2015-51020150401

des Kindes wird dadurch beeinträchtigt. Au-ßerdem wandelt sich seelische Anspannung möglicherweise in körperliche Symptome (Singer o. J.).

Eltern und Kinder lösungsorientiert begleitenIm therapeutischen Setting ist es wichtig, sich der förderlichen und hinderlichen Wirkfak-toren von Erwartungen hinsichtlich der Lern- und Hausaufgabensituation bewusst zu sein. In Bezug auf die Erwartungen eignet sich das Child Occupational Self Assessment (COSA) für Kinder von 8 bis 13 Jahren zur betätigungs-orientierten ergotherapeutischen Befunder-hebung (Pätzold et al. 2008). Beim COSA ist es möglich, über einen Fremdeinschätzungs-bogen der Eltern und einen Selbsteinschät-zungsbogen der Kinder beide Einschätzungen

bezüglich der Betätigungsqualität gegenüber-zustellen. Auf diese Art lassen sich gezielt Un-terschiede in den gegenseitigen Erwartungen herausarbeiten. So kann man die einzelnen Erwartungen systematisch reflektieren und einen bewussten Umgang damit erarbeiten. Beispielsweise ist es dann über das Occupa-tional Performance Coaching (OPC) mög-lich, die Eltern und Kinder lösungsorientiert zu begleiten (Graham/Rodgers 2010, Kuf-ner/Scholz-Schwärzler 2012, Junkers/Hiebl 2014). Schrittweise vereinbart man hier mit den Eltern und dem Kind Ziele, die zu einer positiven Lern- und Hausaufgabensituation führen. Diese gemeinsame Gestaltung des Vorgehens fördert zudem die Selbstwirksam-keit der Klienten und beteiligt sie an der ak-tiven Problemlösung.

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