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4,50 € | 7,60 sFr www.welt-sichten.org MAGAZIN FÜR GLOBALE ENTWICKLUNG UND ÖKUMENISCHE ZUSAMMENARBEIT KONGO: UN-Bericht belastet Ruanda INDIEN: Offensive gegen die maoistischen Rebellen BURUNDI: Dämpfer für die Demokratie ARABISCHE WELT Umworben und umkämpft 11-2010 NOVEMBER

KONGO: INDIEN: Offensive gegen die maoistischen Rebellen ... · (foufdiojl tjdifsu ejf 8fmufsoÉisvoh 4pmebufo tufvfso ,bnqgespiofo qfs .bvtlmjdl )jhiufdi #ftdijdiuvohfo mjfgfso &ofshjf

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4,50 € | 7,60 sFr www.welt-sichten.org

MAGAZIN FÜR GLOBALE ENTWICKLUNG UND ÖKUMENISCHE ZUSAMMENARBEIT

SCHWERPUNKT:Der Schwerpunkt ist das Thema des Titels

KONGO: UN-Bericht belastet Ruanda INDIEN: Offensive gegen die maoistischen Rebellen

BURUNDI: Dämpfer für die Demokratie

ARABISCHE WELT Umworben und umkämpft

11-2010 NOVEMBER

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EDITORIAL

Liebe Leserinnen und Leser,

ein riesiges Waffengeschäft hat die Regierung Obama im Oktober dem US-Kongress zur

Billigung vorgelegt: Sie will in den kommenden fünf bis zehn Jahren modernste Waffen,

darunter Kampfflugzeuge und Hubschrauber, im Gesamtwert von 60 Milliarden US-Dollar

an Saudi-Arabien liefern. Der militärische Nutzen für den Golfstaat ist zweifelhaft. Abgese-

hen davon, dass die USA sich so einen Teil der Dollars zurückholen, die sie für Erdöl an

Saudi-Arabien zahlen, ist das Geschäft vor allem eine Bekräftigung der strategischen Allianz

zwischen Washington und Riad. Die gemeinsamen Gegner heißen Iran und Al-Qaida.

Zugleich will die Regierung Obama mit dem Geschäft ihre Chancen verbessern, Saudi-Ara-

bien im Fall, dass der Iran Atombomben baut, von einer atomaren Nachrüstung abzuhalten.

Versuche, den Nahen Osten mit Hilfe von Waffenlieferungen oder Interventionen politisch

zu stabilisieren, sind bisher stets gescheitert. Die Bilanz des Krieges der USA im Irak fällt in

dieser Hinsicht besonders vernichtend aus: Sie hat nicht nur das Terrornetzwerk Al-Qaida

gestärkt, sondern auch den Einfluss des Iran in der Region – heute bestimmt Teheran mit

darüber, wer in Bagdad regieren darf.

Die arabische Welt von Ägypten bis zum Persischen Golf

ist seit langem ein Krisenherd. Der Ölreichtum begrün-

det die Interessen der Großmächte an der Region und

liefert das Geld für deren Armeen. Das schwarze Gold

hat die arabische Halbinsel reich gemacht: Außer dem Jemen finden sich alle Staaten dort

auf der Liste der 77 Länder mit einem hohen Pro-Kopf-Einkommen. Ägypten und Syrien mit

ihrer deutlich größeren Bevölkerung weisen ein mittleres Pro-Kopf-Einkommen auf, und

der Jemen gehört zu den am wenigsten entwickelten Ländern.

Der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern belastet die Region, ist aber nur einer

der Gründe für die Krisen dort. Mindestens ebenso wichtig ist, dass die Regime im Inneren

unter Druck stehen – nicht zuletzt wegen des Mangels an Demokratie. Praktisch alle

arabischen Staaten werden autokratisch regiert. Auch deshalb sind in Ländern wie Ägypten

Islamisten zur stärksten Kraft der Opposition geworden. Einer ihrer Vertreter versichert in

diesem Heft, dass sie sich für Demokratie einsetzen und nicht gegen die Christen in

Ägypten wenden. Die Lage von religiösen Minderheiten ist jedoch schwieriger geworden –

in Syrien, Ägypten und vor allem im Irak nach der US-Intervention.

Bernd Ludermann

Chefredakteur

Versuche, den Nahen Osten mit Waffen-lieferungen oder Interventionen politisch zu

stabilisieren, sind bisher stets gescheitert.

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INHALT4

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ARABISCHE WELT 12 Explosive Mischung

Der Nahe Osten mit seinen innen- und außenpolitischen Spannungen kommt nicht zur Ruhe

Guido Steinberg

18 Verheerende Bilanz eines gewollten Krieges Der Einmarsch der USA in den Irak hat nicht nur im Mittleren Osten

großen Schaden angerichtet Andreas Zumach

23 Im Blindflug Die USA riskieren mit Drohnenangriffen im Jemen eine Stärkung

von Al-Qaida Stephen Zunes

25 Toleranz in Gefahr Mit der wirtschaftlichen Öffnung wächst in Syrien die soziale

Ungleichheit Claudia Mende

28 „Wir lieben die Demokratie“ Gespräch mit dem ägyptischen Muslimbruder Ali Laban

31 Endlicher Reichtum Die Golfstaaten versuchen, sich aus der Abhängigkeit vom Öl zu lösen Gesine Kauffmann

Der Ölreichtum beschert den Staaten am Persischen Golf satte Gewinne, allen voran Saudi-Arabi-en, das weltweit über die größten Erdölvorräte verfügt. Sie investie-ren das Geld unter anderem in Wissenschaft und Technologie – das Titelbild zeigt den Bau einer Forschungseinrichtung für die König-Abdullah-Universität in Dschidda. Das Erdöl begründet auch die geopolitische Bedeutung der Region, in der sich die USA seit der iranischen Revolution immer mehr militärisch engagieren. Die außen- und innenpolitischen Spannungen und Krisen in Nahen Osten hat das nicht gelöst – eher hat es sie verschärft. TITELBILD: THE NEW YORK TIMES/ REDUX/LAIF

STANDPUNKTE 6 Die Seite Sechs

7 Leitartikel: Maulkorb für Medien. In vielen Ländern ist die Pressefreiheit zunehmend gefährdet Gesine Kauffmann

8 Kommentar: Anklagebank statt roter Teppich: Der neue UN-Bericht über Kriegsver-brechen im Kongo belastet führende Politiker der Region Filip Reyntjens

10 Kommentar: Die Weltwirt-schaftsordnung befindet sich in einer grundlegenden Krise Bernd Ludermann

10 In eigener Sache: Stellung-nahme der Herausgeber zur Bundeswehr-Anzeige

11 Herausgeberkolumne: Eine nur an den Millenniumszielen orientierte Entwicklungspolitik wird die Armut nicht beseitigen Cornelia Füllkrug-Weitzel

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JULI

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Der Muslimbruder Ali Laban bekennt sich zu den Menschenrechten.

Ein Teil der Auflage enthält das Dosier „Tourismus – Sehnsucht trifft Wirklich-keit“, eine Beilage der Wissenschaftli-chen Buchgesellschaft, den Weih-nachtskatalog des chrismonshop und eine Bestellkarte von .

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INHALT 5

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49 Arbeitsbedingungen: Initiative legt sich mit Aldi an

49 Studie: Erfolge der Millenni-umsdörfer nicht belegt

50 Berlin: Ungedeckter Scheck für den Globalen Fonds

52 Brüssel: Die EU tut nichts gegen den Anstieg der Nah-rungsmittelpreise

54 Schweiz: NGOs fordern Sorgfaltspfl icht für im Ausland tätige Unternehmen

54 Österreich: Kirchen verlangen ein humaneres Fremdenrecht

56 Kirche und Ökumene: Behin-derung ist keine Strafe Gottes

58 Global Lokal: Kommunale Partnerschaften gegen den Klimawandel

59 Personalia

WELT-BLICKE

34 Burundi: Dämpfer für die Demokratie Dem Land droht nach zahlreichen Wahlen in diesem Jahr ein Rückfall

in die Gewalt Ilona Auer-Frege

39 Indien: Kampf um den „roten Korridor“ Ein Hindu-Mönch bemüht sich um Frieden zwischen den Maoisten

und der Regierung Santosh Kumar

43 Hier nützlich und dort angefeindet Im Südkaukasus übernehmen nichtstaatliche Organisationen staatliche Aufgaben Johannes Schradi

SÜD-SICHTEN

46 Islam: „Solidarität mit den Armen über Religionsgrenzen hinweg“ Porträt des südafrikanischen Befreiungstheologen Farid Esack

SERVICE

60 Rezensionen

64 Termine

JOURNAL

66 IMPRESSUM

34

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Die Opposition in Burundi hat die jüngsten Wahlen boykottiert – ein herber Rückschlag für die Demokratie. Nun drohen frühe-re Rebellen wieder zu den Waff en zu greifen. 39

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AGES

Militärisch kann Indiens Regierung die maoistischen Rebellen in armen Landesteilen kaum besiegen. Nun hat sie einen Ver-mittler für Friedensverhandlungen eingeschaltet.

Kommentieren Sie die Artikel im Internet: www.welt-sichten.org

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STANDPUNKTE DIE SEITE SECHS

Reife LeistungMit der entwicklungspolitischen Forschung ist es ein bisschen wie mit dem Kapitalismus: Ständig schafft sie neue Dinge, die eigentlich niemand braucht. Kennen Sie zum Beispiel QuODA? Das steht für „Quality of Official Development Assistance“ und ist ein neuer Index des Center for Global Development in Washing-ton zur Frage, wer die beste Entwicklungshilfe leistet. Per Mausklick zaubert QuODA aus zahllosen Daten wunderbar bunte Schaubilder auf den Schirm, die zum Beispiel zeigen, dass die Hilfe des Globalen Gesundheitsfonds effizienter ist als die Griechenlands. Oder dass die deutsche KfW Entwicklungs-bank eher bereit ist, ihre Hilfe über Finanzsysteme der Empfän-gerländer abzuwickeln, als das US-Verteidigungsministerium. Das sind in der Tat Neuigkeiten.

Ähnlich verblüffende Erkennt-nisse halten die Länderranglisten bereit, die im Zweiwochenrhyth-mus zu allen erdenklichen Themen auf den Markt geworfen werden. Dank dem Bonner Konversionszentrum BICC wissen wir zum Beispiel, dass die Mongolei einen Militarisierungs-indexwert von 444 hat, was bedeutet, dass sie – Überra-schung! – weniger militarisiert ist als Eritrea, aber ein ganz klein bisschen mehr als Montenegro.

Es ist höchste Zeit, derlei Instrumente selbst einem Test zu unterziehen. Wie wäre es mit einem QuIndiDex, einem

„Quality of Indices Index“? Es gewinnt der Index, der bei der folgenden Formel am besten abschneidet: Anzahl der verwen-deten Indikatoren (je mehr, desto besser) minus Anzahl der schon bestehenden Ranglisten zum selben Thema – geteilt durch die Zahl vergleichbarer Indizes, die zu völlig anderen Ergebnissen kommen. Und einen Sonderpreis gibt’s für den Index, der aus der dünnsten Datenbasis die gewagtesten Schlüsse zieht.

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Sein Lebenswerk bestand darin, Brücken zu bauen zwischen der Moderne und der Tradition. Zu-erst studierte er arabische Spra-che und Literatur, dann begann er, sich wissenschaftlich mit dem Islam auseinanderzuset-zen. 1978 ging er vorüberge-hend zum Forschen in die USA. In amerikanischen Bibliothe-ken suchte er nach einer Über-setzung für das arabische Wort „ta’wil“, die Auslegung oder Deutung des Islam. Dabei stieß er auf Literatur über Herme-neutik. Diese wissenschaftliche Methode, überlieferte Texte un-ter Berücksichtigung ihres Ent-stehungskontextes zu deuten, wandte er auf den Koran an. Der Forscher glaubte nicht, dass das Heilige Buch des Islam Wort für Wort zeitlos gültig und der Interpretation entzogen ist. Er hielt den Koran zwar für einen von Gott dem Propheten Mo-hammed übermittelten Text, aber er müsse dennoch immer von Menschen gedeutet wer-den. „Warum hat uns Gott ein

Hirn gegeben, wenn wir es nicht benutzen?“, fragte er.

Einigen Gläubigen in seiner Heimat am östlichen Mittel-meer gingen seine Fragen zu weit. Sie verhinderten seine Er-nennung zum Universitätspro-fessor. Weil sie ihn nicht mit Hilfe der staatlichen Gesetze loswerden konnten, erwirkten sie unter Berufung auf die Scha-ria die Zwangsscheidung von seiner Frau. Es folgten Mord-drohungen, und das Ehepaar flüchtete ins Exil. In Europa be-kam der Gelehrte die Anerken-nung, die ihm bis zuletzt in sei-ner Heimat verwehrt wurde. Erst nach Jahren wagte er wie-der regelmäßig, seine Heimat zu besuchen. Während seines jüngsten Besuchs ist er vor kur-zem an einer Virusinfektion ge-storben. Wer war’s?

Auflösung aus Heft 10: Gesucht war der kenianische Paläoanthropologe, Politiker und Tierschützer Richard Leakey.

Wer war’s?

„Das unabhängige und kreative Leben, das die Koreaner genießen, ist ein würdevolles, erstre-benswertes und fröhli-

ches Leben, das in einer kapitalistischen Gesell-

schaft undenkbar ist.“Die nordkoreanische

Nachrichten agentur KCNA zum Vorwurf, in Nordkorea herrsche

keine Meinungsfreiheit.

Haben wir eine Sicher-

heitskopie?

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Journalisten in Iran leben gefährlich. Seit den um-strittenen Präsidentschaftswahlen vom Sommer 2009 haben sich ihre Arbeitsbedingungen stetig

verschlechtert. Wer sich regimekritisch äußert, riskiert Zensur, Einschüchterungsversuche und Verhaftung. Westlichen Korrespondenten will das Regime von Mahmoud Ahmadinedschad schon gar keinen Ein-blick mehr in seine „inneren Angelegenheiten“ ge-währen. Zuletzt musste Ende Oktober die langjährige Korrespondentin einer spanischen Tageszeitung das Land verlassen; zwei deutsche Journalisten wurden verhaftet, weil sie mit dem Sohn einer als Ehebreche-rin verurteilten Frau ein Interview führen wollten.

Mit ihrer harten Gangart gegenüber Journalisten liegt die iranische Führung voll in einem Trend, den die US-amerikanische Forschungseinrichtung Free-dom House schon seit 2002 beobachtet: In den ver-gangenen acht Jahren sei das Ausmaß der Pressefrei-heit weltweit zurückgegangen, heißt es in ihrem ak-tuellen Index. Nur ein gutes Drittel der untersuchten 196 Länder verfüge über eine freie Presse. Lediglich 16 Prozent der Weltbevölkerung lebten in einem Staat, in dem Zeitungen, Zeitschriften und Rund-funkanstalten unabhängig und kritisch über politi-sche Entscheidungen berichten können, ohne Sank-tionen befürchten zu müssen.

Nicht nur in autoritären Regimen schwindet der Frei-raum der Medien: Auch in Ländern mit demokratisch legitimierten Regierungen vollzieht sich eine besorg-niserregende Entwicklung. In Mexiko werden immer mehr Journalisten bedroht, zusammengeschlagen oder sogar ermordet, weil sie es wagen, über Drogen-handel und Korruption zu berichten – der Staat ist da-gegen machtlos. Russland und Venezuela wiederum versuchen zunehmend, Redaktionen unter staatliche Kontrolle zu bringen, und machen dabei auch vor der Zensur von Internetseiten nicht halt. Auch Südafrika will die Pressefreiheit mit neuen Gesetzen begrenzen.

Während es sich in all diesen Fällen vor allem um eine Einschränkung der journalistischen Arbeit im eigenen Land handelt, geht China noch einen Schritt weiter. Laut einer Studie des Zentrums für Internati-

onale Medienunterstützung (CIMA) verwenden die Chinesen viel Geld und Energie darauf, die Medien in den Länder des Südens, aus denen sie ihre Rohstoffe beziehen und in denen sie ihre Produkte verkaufen, nach dem eigenen Vorbild zu formen. Sie unterstüt-zen etwa autoritäre Regierungen dabei, die Kontrolle über die Inhalte von Rundfunkprogrammen oder Zeitungen auszuweiten. Dies diene dem Ziel, die Wächterfunktion von Journalisten gegenüber politi-schen Entscheidungsträgern grundlegend umzuge-stalten und sie zu Hofberichterstattern zu machen, so die Studie. Das ist vor allem in Entwicklungslän-dern fatal, in denen demokratische Strukturen noch nicht gefestigt sind. Denn bei deren Aufbau spielen unabhängige Medien eine wichtige Rolle.

Indem sie kritisch über das Handeln von Regierun-gen berichten, zwingen Medien die Politiker zu mehr Transparenz und zur Rechenschaft im Blick auf ihre Wahlversprechen. Sie prangern Missstände an, brin-gen öffentliche Debatten in Gang und versetzen im besten Fall die Bevölkerung in die Lage, sich eine ei-gene Meinung zu bilden. Damit sie das tun können, ist Unterstützung nötig: bei der Gründung unabhän-giger Medien und bei der Ausbildung von Journalis-ten. Die westlichen Geber von Entwicklungshilfe tragen dem Rechnung. 2008 gaben laut CIMA die USA 89 Millionen Euro und die Europäische Union 58 Millionen Euro für Medienprojekte in den Ländern des Südens aus. Angesichts hoher Staatschulden in den Industrienationen ist aber zu befürchten, dass die Hilfe nicht in diesem Umfang aufrechterhalten wird. Das wäre ein fatales Signal. Je stärker die „klas-sischen“ Medien gegängelt werden, desto wichtiger wird das Internet für den Austausch von Informatio-nen und Meinungen. Auch um deren Glaubwürdig-keit und Qualität sicherzustellen, sind investigativer Journalismus sowie die Einhaltung ethischer und journalistischer Standards wichtiger denn je.

Die wenigsten westlichen Politiker sprechen Verstö-ße gegen die Pressefreiheit offen an, um die Ge-schäftsbeziehungen zu wirtschaftlich aufstrebenden Mächten wie China oder Russland nicht zu gefähr-den. Die Verleihung des Friedensnobelpreises an den chinesischen Publizisten und Regimekritiker Liu Xia-bao ist deshalb zur Recht als historische Entschei-dung für die Meinungsfreiheit gewürdigt worden. Noch besser wäre es, wenn sie die Diskussion darü-ber in Gang bringen würde, wie wichtig die Presse-freiheit ist und wie sie am besten geschützt werden kann – und zwar auf der ganzen Welt.

LEITARTIKEL STANDPUNKTE

Maulkorb für MedienIn vielen Ländern der Erde ist die Pressefreiheit zunehmend bedroht

Von Gesine Kauffmann

Nur wenige westliche Politiker sprechen Verstöße gegen die Pressefreiheit offen an, um Geschäfte

mit China oder Russland nicht zu gefährden.

Gesine Kauffmann ist Redakteurin bei .

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STANDPUNKTE KOMMENTAR

Auf die Anklagebank statt auf den roten TeppichDer neue UN-Bericht über Kriegsverbrechen im Kongo belastet führende Politiker der Region

Von Filip Reyntjens

Am 1. Oktober hat der UN-Hoch-kommissar für Menschenrechte seinen Bericht über schwere Ver-stöße gegen das humanitäre Völ-kerrecht in der Demokratischen Republik Kongo zwischen 1993 und 2003 vorgelegt. Die französi-sche Tageszeitung „Le Monde“ hat-te jedoch bereits Ende August Aus-züge gebracht, die ihr zugespielt worden waren. Das hatte eine hef-tige Auseinandersetzung zur Folge: Ruanda, dem die schwersten Ver-brechen vorgeworfen werden, nannte den Report „bösartig, belei-digend und lächerlich“ und drohte damit, seine Friedenstruppen aus dem Sudan zurückzuziehen.

Ruandas Reaktion war mehr die Ursache als die Folge der durchge-sickerten Vorabveröffentlichung. Ein Entwurf des Berichtes wurde allen Beteiligten im Juli zugestellt, und Ruanda tat alles, um eine Ver-öffentlichung zu verhindern. Am 8. August schrieb der ruandische Au-ßenminister an den Generalsekre-tär der Vereinten Nationen, Ban Ki-Moon, „Versuche, mit diesem Report an die Öffentlichkeit zu ge-hen, werden uns zwingen, von Ru-andas verschiedenen Verpflichtun-gen gegenüber den Vereinten Nati-onen zurückzutreten, vor allem im Bereich der Friedenssicherung“.

Offenbar wurde die Vorabveröf-fentlichung organisiert, um Ruan-das Versuchen entgegenzutreten,

den Report zu unterdrücken. Für Kigali geht es um ein äußerst heikles Thema: Der Bericht macht Ruandas Regierung offiziell für ei-nen Völkermord an Hutu-Flücht-lingen im Kongo verantwortlich – die selbe Regierung, die in den vergangenen 15 Jahren ihre Legi-timität aus dem Genozid an den Tutsi 1994 gezogen hat. Sie hat den so genannten „Genozid-Bo-nus“ seither geschickt als Mittel bei Verhandlungen eingesetzt und wurde mit Sympathien, Hilfe und Straffreiheit belohnt.

Kigalis Erpressung schlug fehl: Der veröffentlichte Report unter-scheidet sich nicht wesentlich von der Version, die vorab bekannt wurde. Er bestätigt, was schon weithin bekannt war: Während der zehn Jahre, die der Bericht un-tersucht, wurden im Kongo in großem Ausmaß Kriegsverbre-chen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und wahrschein-lich auch Völkermord verübt. Der Bericht fast dankenswerterweise zuvor verstreute Informationen aus dutzenden Quellen zusam-men und dokumentiert eine gro-ße Zahl bislang unbekannter Er-eignisse.

Die schwersten und systema-tischsten Verbrechen werden Paul Kagames Ruanda zur Last gelegt. Der Bericht listet nicht nur dutzende Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf. Er verweist zugleich auf „Umstände und Tat-sachen, von denen ein Gericht die Absicht ableiten könnte, die ethnische Gruppe der Hutu im Kongo zum Teil zu zerstören“ – ein Hinweis auf die Konvention

gegen Völkermord. Ein Ermittler-team der Vereinten Nationen kam 1998 zu dem selben Schluss:

„Die systematische Tötung der Hutu-Flüchtlinge, die in Zaire ge-blieben waren, war ein scheußli-ches Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Doch die Begrün-dung für diese Entscheidung ist maßgeblich dafür, ob diese Tö-tungen einen Genozid darstellen, einen Vorsatz also, die ethnische Gruppe der Hutu zum Teil auszu-löschen.“ Die psychologisch auf-geladene Diskussion um das „G-Wort“ ist aber nicht so relevant. Die anderen dokumentierten Verbrechen sind schwer genug, um eine Strafverfolgung der Ver-dächtigen zu rechtfertigen. Der Bericht erwähnt noch nicht ein-mal die zehntausenden Zivilisten, die von der Ruandischen Patrio-tischen Front (RPF), der derzeiti-gen Regierungspartei, in Ruanda 1994 sowie zwischen 1997 und 1998 getötet wurden.

Neben Ruanda waren zahlreiche andere regionale Kräfte für schwe-re Menschenrechtsverletzungen verantwortlich: in dem Bericht werden die Armeen von Zaire/Kongo, Angola, Burundi und Uganda genannt, aber auch inof-fizielle bewaffnete Gruppen von ethnischen Milizen bis hin zu Re-bellenbewegungen aus dem Kon-go und seinen Nachbarländern. Doch außer einigen wenigen Mi-lizenführern aus der kongolesi-schen Provinz Ituri und dem frü-heren Rebellenchef Jean-Pierre Bemba wurde niemand jemals strafrechtlich belangt.

Was ist nun zu tun, nachdem überzeugend gezeigt wurde, dass

Während des Krieges in der Demo-kratischen Republik Kongo von 1993 bis 2003 wurden zehntausen-de Menschen massakriert und fürchterliche Verbrechen begangen. Ein Bericht der Vereinten Nationen beschuldigt nun unter anderem die Regierung Ruandas, damals die Tö-tung tausender Hutu-Flüchtlinge angeordnet zu haben. Kigali re-agiert empört. Wahrscheinlich werden Präsident Paul Kagame und seine Mitstreiter aus der ruandi-schen Armee auch dieses Mal un-geschoren davonkommen.

Offenbar wurde die Vorabveröffentlichung organisiert, um Ruandas Versuchen

entgegenzutreten, den Report zu unterdrücken.

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KOMMENTAR STANDPUNKTE

Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht in großem Ausmaß begangen wurden – Verbrechen, denen keine Grenzen gesetzt wa-ren? Früher lautete die Antwort Straflosigkeit, was stets zu neuen und noch schlimmeren Verbre-chen geführt hat. Wahrscheinlich hätte Kigali 1996 und 1997 im Kongo mit größerer Zurückhal-tung agiert, wenn das Internatio-nale Ruanda-Tribunal signalisiert hätte, dass auch die Verantwortli-chen für jene Verbrechen ange-klagt werden, die die heutige Re-gierungspartei RPF 1994 in Ruan-da verübt hat.

Der Bericht hebt hervor, dass An-klagen nicht nur notwendig sind, sondern eine internationale juris-tische Pflicht. Er spielt ferner eine Reihe von Szenarien durch. Die kongolesische Justiz ist zwar zu-ständig für Verbrechen, die auf kongolesischem Boden begangen wurden. Aber sie ist zu schwach und zu wenig unabhängig, um eine solch große Aufgabe zu meis-tern. Der Bericht fordert die Ein-

richtung einer juristischen Ins-tanz mit nationalen und interna-tionalen Mitgliedern. Er drängt darauf, dass auch die nationalen Justizbehörden Kongos die Prinzi-pien der universellen Rechtsspre-chung anwenden. In der Vergan-genheit haben bereits einige Län-der Hutus verurteilt, die im Ver-dacht standen, am Völkermord an den Tutsis von 1994 beteiligt ge-wesen zu sein. Der Gewinner, die RPF, ist bislang jedoch unberührt geblieben, auch vom Ruanda-Tri-bunal – mit den bekannten Fol-gen.

Rechtlich und philosophisch ist die Situation klar und einfach: Hunderte Verdächtige müssen angeklagt werden. Aber da gibt es eben noch die Realpolitik. Werden Präsident Kagame, sein Verteidi-gungsminister General James Ka-barebe, der im Kongo sehr „aktiv“ war, und dutzende andere hohe ruandische Offiziere verhaftet, angeklagt und zu vielen Jahren Gefängnis verurteilt werden? Sind die politischen Führer in Wa-

shington und London, die die ru-andische Regierung unterstützt und für Kagame den roten Tep-pich ausgerollt haben, bereit, das zu akzeptieren?

Und würde die Afrikanische Uni-on das geschehen lassen, jener Zusammenschluss von Staatsfüh-rern, die es ablehnen, den sudane-sischen Präsidenten Omar al-Bashir an den Internationalen Strafgerichtshof auszuliefern? Wür de die Europäische Kommis-sion, die Kabila gerne Lektionen in Sachen Menschenrechte erteilt, auf Strafverfolgung bestehen? Ich fürchte, die Antwort auf diese Fragen lautet „Nein“. Ruanda und andere Staaten und Akteure in der Region werden kleine politi-sche Blessuren davontragen, doch die Täter werden erneut der Ver-folgung und der Bestrafung ent-kommen. Wir werden alle mit-schuldig daran sein, dass Millio-nen Zivilisten in Zentralafrika weiter bedroht werden von der Gewalt von Führern, die völlige Immunität genießen.

Filip Reyntjensist Experte für Zentralafrika und lehrt

am Institut für Entwicklungs politik und Management der Universität Ant wer-

pen. Der Text ist zuerst in der „Inter na- tional Justice Tribune“ (114) von Radio

Netherlands Worldwide erschienen (www.rnw.nl/international-justice).

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STANDPUNKTE KOMMENTAR

Die zwanzig mächtigsten Indust-rie- und Schwellenländer haben Ende Oktober den Streit zwischen den USA und China über die Wäh-rungspolitik mit einer Warnung vor einem Abwertungswettlauf entschärft. Die G20 hat anerkannt, dass alle verlieren, wenn sie nötige ökonomische Anpassungen nicht gemeinsam steuern. Ob sie das können, ist aber offen. Denn es geht um eine grundlegende Krise der Weltwirtschaftsordnung.

Seit langem erzielt Ostasien, vor allem China, im Handel mit den USA einen hohen Überschuss. Ein Gutteil der Erlöse wird in Ameri-ka angelegt; die US-Regierung und viele Konsumenten leben so auf Kredit. Theoretisch sollten nun der chinesische Yuan aufwer-ten, Chinas Exporte teurer werden und die Handelsbilanz sich aus-gleichen. Doch China, sagen die USA, hält den Kurs seiner Wäh-rung künstlich niedrig.

Das stimmt, doch die Probleme liegen tiefer. Die von den USA do-minierte Weltwährungsordnung zwingt Defizitländer zum Sparen. Damit die globale Nachfrage nicht

sinkt, müssten Länder mit Export-überschuss wie China und Deutschland für mehr Konsum und Importe sorgen. Doch dazu sind sie nicht gezwungen.

Daher droht Washington nun Pe-king einseitige Handelseinschrän-kungen an. Selbst eine deutliche Aufwertung des Yuan würde aber das Handelsdefizit der USA kaum kurzfristig senken – die USA wür-den in anderen Schwellenländern kaufen oder trotz höherer Preise in China. Für eine Exportoffensive müssten sie zunächst in ihre in-dustrielle Basis investieren, was weniger Konsum bedeutet. Doch die USA können sich als einziges

Defizitland solchem Reformdruck entziehen, weil der US-Dollar die Weltwährung ist: Die US-Zentral-bank kann neues Geld schaffen, das im Ausland akzeptiert wer-den muss. Die so finanzierte Nachfrage hat häufig die Welt-konjunktur gestützt und anderen Staaten Exporte ermöglicht. Doch andere G20-Länder klagen jetzt mit Recht, dass es auch die Gefahr von Spekulationsblasen erhöht. Zugleich suchen die USA Hilfe für den Abbau des eigenen Import-überschusses. Das sind Zeichen dafür, dass das auf dem US-Dollar und den USA als Konjunkturloko-motive beruhende System an sein Ende kommt. (bl)

Gefährliches FahrwasserDie Weltwirtschaftsordnung befindet sich in einer grundlegenden Krise

Seit April 2010 sind in mehreren Ausgaben von welt-sichten, so auch in dieser, ganzseitige Stellenanzeigen der Bundeswehr für interkultu-relle Einsatzberatungskräfte in Afghanistan erschienen. Diese Anzei-gen haben bei einigen Leserinnen und Lesern Kritik oder Unmut her-vorgerufen. Wir bedauern das sehr, bitten aber um Verständnis dafür, dass der „Verein zur Förderung der entwicklungspolitischen Publizis-tik“ (VFEP) als Herausgeber von welt-sichten trotz mancher Bedenken entschieden hatte, diesen Anzeigenauftrag anzunehmen.

Verschiedene Mitgliedswerke des VFEP haben sich in der Vergangen-heit kritisch zum Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan und zum Ausbau der zivil-militärischen Zusammenarbeit geäußert und wer-den dies auch weiterhin tun. Daher können wir das Unbehagen, das die Anzeige der Bundeswehr bei manchen Leserinnen und Lesern auslöst, gut nachvollziehen. Der VFEP sieht es allerdings nicht als sei-ne Aufgabe an, als Trägerverein von „welt-sichten“ zu diesen Fragen politisch Stellung zu nehmen. Der ökumenische VFEP hat vielmehr das publizistische Mandat, die finanziellen und institutionellen Vor-aussetzungen für einen unabhängigen entwicklungspolitischen Qualitätsjournalismus zu gewährleisten, für den welt-sichten steht. Leserinnen und Leser können sich selbst davon überzeugen, dass die Zeitschrift der unabhängigen Diskussion von Fragen der Entwick-lungszusammenarbeit und der internationalen Politik eine Plattform bietet und auch kontroverse Positionen zur Sprache bringt. Das gilt auch und besonders für Fragen des Verhältnisses von Entwicklungs- und Sicherheitspolitik sowie des Krieges in Afghanistan.

Für die redaktionelle Unabhängigkeit ist es unverzichtbar, das Anzei-gengeschäft und die Redaktion voneinander zu trennen. Die Anzei-

genakquise übernimmt im Auftrag des Herausgebervereins eine Agentur, die auch im Impressum ausgewiesen ist. Im Zweifel ent-scheiden die Herausgeber, welche Anzeigen sie aus politischen oder weltanschaulichen Gründen ablehnen. Das schützt die Redaktion da-vor, dass Anzeigenkunden Einfluss auf redaktionelle Inhalte nehmen können. Weil Anzeigen erkennbar keine Äußerungen der Redaktion sind, ist es nicht deren Aufgabe, Anzeigen auf ihre Übereinstimmung mit eigenen politischen Einschätzungen oder mit den vermuteten Einstellungen der Leserschaft zu prüfen. Der VFEP hat aber natürlich Ausschlusskriterien für Anzeigenkunden definiert, etwa für die Por-no- oder Atomindustrie. Die Stellenanzeige der Bundeswehr ist hier ein Grenzfall. Der Vorstand des VFEP hat seinerzeit entschieden, sie nicht abzulehnen, weil es uns nicht angemessen erschien, eine Stel-lenanzeige eines von der Verfassung legitimierten Staatsorgans zu-rückzuweisen, das auf der Grundlage eines Beschlusses des deutschen Bundestages in Afghanistan eingesetzt ist. Die Schaltung der Anzeige ist bis zur Ausgabe 12/2010 gebucht, und wir werden die vertragliche Vereinbarung mit dem Anzeigenkunden bis Jahresende erfüllen.

Gleichwohl nehmen wir die in der Leserschaft geäußerten Bedenken sehr ernst und werden eine Erweiterung oder Verschärfung der Aus-schlusskriterien für Anzeigenkunden prüfen. Wir sind darüber hin-aus daran interessiert, die Auseinandersetzung über den Abdruck dieser Stellenanzeige öffentlich zu führen. Es sind bereits mehrere Le-serbriefe hierzu sowie eine Entgegnung der Redaktion abgedruckt worden. Wir laden Sie herzlich ein, sich zu dieser Kontroverse in Le-serbriefen oder auf der Website www.welt-sichten.org zu äußeren.

Vorstand des Vereins zur Förderung der entwicklungspolitischen Publizistik e.V.

Stellungnahme der Herausgeber zur Kritik an der Bundeswehr-Anzeige

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11HERAUSGEBERKOLUMNE STANDPUNKTE

Jeder fünfte Mensch auf der Erde lebt in extremer Armut. Fast eine Milliarde Menschen leiden Hun-ger. Die Antwort der Staatenge-meinschaft auf diesen Skandal ist wieder einmal kläglich ausgefal-len. Schon vor dem Weltarmuts-gipfel im September war abzuse-hen, dass das Ziel, bis 2015 zur Minderung von Armut und Hun-ger beizutragen, in vielen Regio-nen der Welt nicht erreicht wird. Vor allem für die ärmsten Regio-nen und Personengruppen lässt der Millenniumsprozess keine spürbare Verbesserung ihrer Le-bensbedingungen erwarten.

Die Geberstaaten haben in New York weder die für die Armutsbe-kämpfung notwendigen Mittel bereitgestellt, noch einen Akti-onsplan für die verbleibenden Jahre bis 2015 verabschiedet. Nach dem Debakel der Klima-konferenz vor einem Jahr in Ko-penhagen haben sich die Staaten auch im Umgang mit der sozia-len Menschheitskrise unfähig zu zukunftsfähigen Lösungen ge-zeigt. Die Ergebnisse des Weltar-mutsgipfels sind ein Armuts-zeugnis für die gegenwärtige Praxis globaler Politikgestaltung zur Lösung der großen Mensch-heitsprobleme. Mit ihrer Absicht, ihre Entwicklungsleistungen stärker von multilateralen auf bi-

laterale Instrumente zu verla-gern und die außen- und wirt-schaftspoltischen Interessen Deutschlands in der Entwick-lungspolitik mehr zur Geltung zu bringen, konterkariert gerade auch die Bundesregierung alle Bemühungen um die Stärkung weltinnenpolitischer Kooperati-onsmechanismen.

Vielleicht wäre es an der Zeit, of-fen zu diskutieren, inwieweit das drohende Scheitern der MDGs auch mit dem Charakter der Ziele selbst und den bislang gewählten Lösungsstrategien zu tun hat: Seit die Millenniumsziele verabschie-det wurden, orientiert sich die – besonders legitimationsbedürfti-ge – Entwicklungszusammenar-beit zunehmend an dürren, meist quantitativen Zielvorgaben. So ambitioniert die MDGs auch sein mögen, sie bilden keine umfas-sende Agenda der Armutsbe-kämpfung und schon gar kein ko-härentes Entwicklungskonzept.

Sie zielen auf eine „Halbierung des Problems“ und bleiben auch auf dem Weg zu Lösungsansätzen auf halber Strecke stehen: Das Ar-mutsverständnis der MDGs ist weitgehend auf Phänomene des materiellen Mangels reduziert. Doch eine ausschließlich an öko-nomischen Ressourcen orientier-te Betrachtung der Armut greift zu kurz: Armut hat nicht nur mit Einkommensarmut, sondern we-sentlich auch mit Beschränkun-gen zu tun, die Menschen daran hindern, ihre Fähigkeiten zu ent-falten und ihre Rechte zu verwirk-

lichen. Armut ist ein Mangel an Verwirklichungschancen und so-zio-kulturellen Beteiligungsrech-ten. Ohne echte Teilhabe der Ar-men ist Entwicklung weder wün-schenswert noch möglich. Arme sind meist zugleich ausgeschlos-sen von sozialer Teilhabe und der Möglichkeit, sich selbst ausrei-chend zu versorgen. Ihnen ist der Zugang zu produktiven Ressour-cen ebenso verwehrt wie zu den politischen Entscheidungsprozes-sen, um dies zu ändern. Die Über-windung von Armut hat aus die-ser Perspektive vor allem mit der Überwindung von Ausgrenzung und Ungerechtigkeit zu tun. Die strukturellen Armutsursachen kommen im Rahmen der Millen-niumsentwicklungsziele aber kaum in den Blick.

Vor diesem Hintergrund muss es auch darum gehen, die Wohl-standsmodelle in unserer eigenen Gesellschaft auf ihre internatio-nale soziale Verträglichkeit hin zu prüfen und zu verändern. Das be-deutet aber, über die Millenni-umsziele und über das Jahr 2015 hinauszudenken und nicht nur die Entwicklungszusammenar-beit, sondern alle Politikbereiche konsequent am Leitbild einer glo-bal zukunftsfähigen Entwicklung auszurichten.

Alle politischen Entscheidungen müssen sich daran messen lassen, inwieweit sie mit den Menschen-rechten vereinbar sind und dazu beitragen, die Situation der Ar-men zu verbessern. Mit der Pro-klamation einer neuen ergebnis-basierten Entwicklungspolitik, die die Zuständigkeit für die Lö-sung der Armutsprobleme der Weltgesellschaft vor allem bei den Regierungen der armen Länder selbst und ansonsten im Wesent-lichen die Kirchen für die karitati-ve Bewältigung des Problems zu-ständig sieht, entzieht sich die Bundesregierung dieser Verant-wortung.

Auf falschem KursEine nur an den Millenniumszielen orientierte Entwicklungspolitik beseitigt die Armut nicht

Der Gipfel zu den UN-Millenniums-Entwicklungszielen (MDGs) im September in New York hat nur dürftige Ergebnisse gebracht. Das hat auch mit den Zielen selbst zu tun: Sie verkürzen das Problem der Armut auf den Mangel an Einkommen und an bestimmten Bildungs- und Gesund-heitsdiensten und verschleiern damit den Blick auf das, was für eine echte Entwicklungspolitik nötig wäre: alle politischen Entscheidungen darauf zu prüfen, inwieweit sie die Lage der Armen weltweit verbessern.

Von Cornelia Füllkrug-Weitzel

Cornelia Füllkrug-Weitzel ist Direktorin von „Brot für die Welt“ und der Diakonie Katastrophenhilfe.

Die Überwindung von Armut hat vor allem mit der Überwindung von Ausgrenzung

und Ungerechtigkeit zu tun.

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Explosive MischungDer Nahe Osten mit seinen innen- und außenpolitischen

Spannungen kommt nicht zur Ruhe

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Demonstration für faire Wahlen in Ägypten Mitte 2010. Seit 1981 regiert

Präsident Hosni Mubarak das Land. AFP/GETTY IMAGES

Zwei Konflikte prägen die Region um den Persischen Golf: Saudi-Arabien, der Iran und der Irak streiten um die Vormachtstellung; und Israelis und Palästinenser kämpfen um ihr Territorium. Hinzu kommen innenpoli-tische Spannungen, weil die überwiegend autoritären Regime keine Reformen zulassen. Aufgrund ihres Öl- und Gasreichtums spielt die Region eine wichtige Rolle für die Weltpo-litik. Doch die Versuche auswärtiger Mächte wie den USA, Einfluss auf die Konflikte zu nehmen, haben die Probleme eher verschärft.

Von Guido Steinberg

Der Nahe Osten ist neben Südasien (Pakistan, Indien, Afghanistan) und Ostasien (Nordkorea) die wichtigs-te und gefährlichste Konfliktregion der Welt. Die is-raelisch-palästinensische Auseinandersetzung und der Konflikt um die Vorherrschaft am Persischen Golf prägen die Regionalpolitik. Hinzu kommen ge-sellschaftliche Spannungen, die in erster Linie auf die Politik autoritärer Regime zurückgehen, die kei-nerlei Neigung zeigen, dringend nötige politische Reformen anzugehen. Diese Regime mögen zwar oberflächlich stabil erscheinen, sind aber im Grunde schwach. Immer wieder geraten Staaten der Region deshalb in Gefahr, auseinanderzufallen.

Auswärtige Mächte verschärfen die Probleme. Die USA haben mit der Intervention im Irak 2003 das Land bis an den Zusammenbruch geführt und die Si-tuation nur mit äußerster Mühe und unter großen Opfern unter Kontrolle gebracht. Auch infolge dieser wohl katastrophalsten Fehlleistung der US-amerika-nischen Politik der vergangenen Jahrzehnte schickt sich nun der Iran an, im Nahen Osten eine Führungs-rolle zu übernehmen.

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In Deutschland herrscht die Ansicht vor, die israe-lisch-palästinensische oder israelisch-arabische Aus-einandersetzung sei der „Schlüsselkonflikt“ in der Region. Dabei hat die Konkurrenz zwischen dem Irak, Iran und Saudi-Arabien um die Vormachtstellung in der Golfregion seit den 1970er Jahren schnell an Be-deutung gewonnen und dürfte für die Weltpolitik zumindest ebenso wichtig sein wie der eigentliche Nahostkonflikt.

Beim israelisch-arabischen Konflikt handelt es sich im Kern um einen Streit über das Territorium des his-torischen Palästina zwischen Israel und den Palästi-nensern. Im Verlauf mehrerer Kriege haben sich die Israelis durchgesetzt. Große Teile der palästinensi-schen Bevölkerung sind geflohen oder wurden ver-trieben, die Übrigen blieben auf israelischem Territo-rium oder in von Israel besetztem Gebiet zurück. Die heutige Konstellation wird vor allem von den Ergeb-nissen des Sechstagekrieges im Juni 1967 bestimmt. Damals eroberte die israelische Armee den ägypti-schen Sinai, den Gazastreifen, das Westjor danland

einschließlich Ost-Jerusalems und die syrischen Go-lanhöhen. Den Sinai gab Israel nach dem 1979 mit Ägypten geschlossenen Frieden an Kairo zurück, hielt die Besetzung des Gazastreifens und der Westbank aufrecht und annektierte den Golan und Ost-Jerusa-lem.

Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes kam Bewe-gung in die festgefahrenen Fronten. Im ersten Oslo-Abkommen von 1993 erkannten sich Israel und die Palästinensische Befreiungsorganisation PLO gegen-seitig an und einigten sich darauf, eine Zwei-Staaten-Lösung anzustreben. Als ersten Schritt durften die Palästinenser die Verwaltung des Gazastreifens und eines kleinen Teils der Westbank übernehmen. Aller-dings gab es nach der Ermordung des israelischen Mi-nisterpräsidenten Yitzhak Rabin 1995 keine substan-tiellen Fortschritte mehr. Auch in den 2000 vom ame-rikanischen Präsidenten Bill Clinton vermittelten Verhandlungen lagen die Positionen der Parteien zu weit auseinander. Im September 2000 begann die zweite Intifada der Palästinenser, die schnell in einen bewaffneten Aufstand gegen die Besatzungsmacht und eine brutale Terrorkampagne gegen zivile israeli-sche Ziele umschlug.

Die israelische Regierung argumentierte seit dem Jahr 2000, dass es auf der palästinensischen Seite kei-nen Partner für einen Friedensprozess gebe, und setz-te auf unilaterale Maßnahmen. Auf den einseitigen Rückzug aus dem Südlibanon im Mai 2000 folgte der Abzug von Siedlern und Militär aus dem Gazastreifen im August 2005. Doch zeigte sich schnell, dass auch dieser Ansatz Israel nicht mehr, sondern weniger Si-cherheit brachte: Die libanesische Hisbollah, eine schiitische Partei mit eigener Miliz, und die palästi-nensische Hamas, der islamistisch ausgerichtete Konkurrent der PLO unter den Palästinensern, inter-pretierten die Rückzüge als Eingeständnis von Schwäche und setzten nun erst recht auf den bewaff-neten Kampf. Der Krieg im Sommer 2006 zwischen der Hisbollah und Israel sowie die israelische Militär-intervention im Gazastreifen im Dezember 2008 wa-ren die Folge.

Die militärische Eskalation schärfte jedoch in den USA das Bewusstsein, dass eine Lösung des Konflik-tes immer notwendiger wird. Die Regierung Obama brachte die beiden Konfliktparteien im September 2010 wieder an den Verhandlungstisch. Das Behar-ren der Regierung von Benjamin Netanjahu auf einer Fortsetzung der bisherigen Siedlungspolitik und die Schwäche des palästinensischen Präsidenten Mah-mud Abbas und seiner Fatah, der bei weitem stärks-ten PLO-Fraktion, machen jedoch eine Lösung sehr unwahrscheinlich.

Die Konflikte in der Golfregion haben jedoch seit den 1970er Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen. Dies liegt in erster Linie daran, dass die Region über die weltweit größten Reserven an Öl und Gas verfügt und diese künftig noch wichtiger als heute werden,

Arabische Halbinsel und ihre Nachbarländer

Die Erfahrungen der vergangenen Jahre nähren die Furcht vor dem Zusammenbruch

von Regimen und Staaten.

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weil Öl und Gas in anderen Lagerstätten schneller zur Neige gehen. Deshalb wuchs erstens das Interesse der Weltpolitik an der Region stetig. Zweitens gewan-nen große ölexportierende Staaten wie der Irak, der Iran und Saudi-Arabien an wirtschaftlichem, politi-schem und militärischem Gewicht und traten immer deutlicher in Konkurrenz um eine regionale Vor-machtstellung. Seit der Islamischen Revolution im Iran entbrannte dieser Konflikt in aller Schärfe.

Aufgrund der geostrategischen Bedeutung der Golfre-gion entwickelten die USA ein stetig wachsendes In-teresse an den dortigen Entwicklungen. Dies zeigte sich einer breiteren Öffentlichkeit erstmals 1990, als eine multinationale Koalition unter der Führung der

USA das von irakischen Truppen besetzte Kuwait be-freite. Seitdem sind die USA in der Golfregion ohne Unterbrechung militärisch präsent geblieben. Im Jahr 2003 gaben sie alle Zurückhaltung auf, marschierten in den Irak ein und stürzten das Regime von Saddam Hussein.

Zwar hatte die US-Regierung zunächst offenbar keine längere Militärpräsenz im Irak geplant. Sie sah sich aber gezwungen, selbst Verantwortung zu überneh-men, als es nicht gelang, rasch eine handlungsfähige Regierung einzusetzen. Zudem brach im Sommer 2003 ein Aufstand sunnitischer Gruppierungen aus, der ab 2005 in einen konfessionellen Bürgerkrieg mündete. Es gelang der US-Regierung erst mit einer Aufstockung der amerikanischen Truppen 2007 und einer neuen Aufstandsbekämpfungsstrategie, die Lage unter Kontrolle zu bringen. Die Regierung Oba-ma nutzte die Beruhigung der Lage im Irak, um ihr Wahlkampfversprechen wahrzumachen und den Krieg zu beenden: Bereits kurz nach seinem Amtsan-tritt verkündete Präsident Obama im Februar 2009, dass die USA alle Kampftruppen bis Ende August

2010 und die restlichen Einheiten bis spätestens Ende 2011 aus dem Irak abziehen.

Infolge des beginnenden Rückzugs wurde die regio-nale Dimension der Auseinandersetzungen im Laufe des Jahres 2010 wieder deutlicher. Das wohl wich-tigste regionalpolitische Ergebnis des Irak-Krieges war die Stärkung der iranischen Position. Mit dem Regime Saddam Husseins fiel 2003 der bis dahin mächtigste Gegner Teherans aus. Die iranische Füh-rung nutzte die Gelegenheit, ihren Einfluss auf die irakische Innenpolitik auszubauen. Immer häufiger versucht Teheran darüber hinaus, auf die Ereignisse im Libanon und in den palästinensischen Gebieten einzuwirken. Dabei zeigt sich immer deutlicher, dass Saudi-Arabien der wichtigste regionale Gegenspieler der Iraner ist.

Paradoxerweise stand am Anfang des Irak-Krieges eine korrekte Analyse: Die Regierung Bush hatte er-kannt, dass die Anschläge des 11. September 2001 auf die innenpolitischen Verhältnisse in Ländern wie Saudi-Arabien oder Ägypten zurückzuführen waren. Die autoritären Regime dort unterdrückten ihre Op-position, so dass diese in Gestalt von militanten isla-mistischen Gruppen zur Gewalt griff und nicht nur den eigenen Staat, sondern auch dessen wichtigsten Verbündeten – die USA – angriff. George Bush und seine Mitstreiter zogen daraus jedoch den reichlich absurden Schluss, dass sie nur im Irak eine Muster-demokratie errichten müssten, die dann auf die an-deren Staaten der Region ausstrahlen würde.

Zunächst zeigten die Verbündeten in Riad und Kairo unter dem Druck der US-Regierung tatsächlich Re-formbereitschaft. Als sich die Lage im Irak jedoch 2005 rapide verschlechterte und der Iran immer mehr Einfluss gewann, änderte die US-Regierung ih-ren Umgang mit den alten Verbündeten. Statt auf Demokratisierungsrhetorik setzte sie nun auf die Be-kräftigung des Bündnisses mit „moderaten“, also prowestlichen Staaten wie Saudi-Arabien, Ägypten und Jordanien. Seitdem ist ein Prozess der autoritä-ren Konsolidierung zu beobachten. Dabei ist die Ver-krustung der politischen Systeme tatsächlich das wichtigste innenpolitische Problem der gesamten Region und müsste dringend aufgebrochen werden. Bis auf Israel und den Libanon werden alle Staaten der Region autoritär regiert. Die Menschen leiden fast überall schwer unter der grassierenden Korrup-tion und der Misswirtschaft häufig überforderter po-litischer Eliten.

In politischen Systemen, in denen die Macht von nur wenigen Personen ausgeübt wird, kommt zudem der Nachfolge des Herrschers eine besondere Bedeutung zu. So lähmt seit einigen Jahren die ungeregelte Nachfolge des Präsidenten Mubarak (geboren 1928) das politische Leben in Ägypten. In Saudi-Arabien steht bald die Nachfolge des greisen König Abdullah (geboren 1924) an, die die politischen Debatten im Land beherrscht. Im Jemen wird die Nachfolge des

US-Präsident Barack Obama mit dem saudischen König Abdullah in

Washington Mitte 2010. Saudi-Arabien ist am Golf ein enger, aber

schwieriger Verbündeter der USA.SAUL LOEB/AFP/GETTY IMAGES

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Präsidenten Ali Abdallah Salihs, in Irakisch-Kurdistan die des Präsidenten Masud Barzani und des PUK-Füh-rers (und irakischen Präsidenten) Jalal Talabani und innerhalb der PLO die des Präsidenten Mahmud Ab-bas diskutiert.

Diese Situation gefährdet auch die Stabilität der Re-gime und Staaten. Obwohl sie eine gewisse Behar-rungskraft gezeigt haben, provozieren autoritäre Re-gime immer wieder den Widerstand zumindest ein-zelner Bevölkerungsteile. Zwar sind die Oppositions-bewegungen meist machtlos, doch sind sie bereit, jedes Anzeichen von Schwäche der Regierung für ei-nen Umsturz zu nutzen. Konflikte über die Nachfolge des Herrschers können vor allem dann bedrohlich werden, wenn sie mit außenpolitischen, wirtschaftli-chen oder auch ökologischen Krisen zusammenfal-

len. Unter der Bevölkerung in Saudi-Arabien, Ägypten und im Jemen ist die Furcht vor solchen Krisenszena-rien heute besonders groß.

Die weit verbreitete Furcht vor dem Zusammenbruch von Regimen und Staaten wird von den Erfahrungen der vergangenen Jahre genährt. Insbesondere der Irak, wo es den US-Truppen nicht gelang, das Abglei-ten in einen Bürgerkrieg zwischen sunnitischen Auf-ständischen und schiitischen Milizen zu verhindern, gilt den Menschen in der Region als gefährliches Bei-

spiel. Tatsächlich sind die Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten in den vergangenen Jahren größer geworden. Die Regierungen der Staaten, in de-nen wie im Libanon, in Saudi-Arabien, Kuwait, Bah-rain und den Vereinigten Arabischen Emiraten große schiitische Gemeinschaften leben, fürchten die zu-nehmende politische Mobilisierung dieser Gruppen. Gefahren drohen insbesondere dort, wo, wie in Saudi-Arabien, Schiiten brutal diskriminiert werden.

Neben dem Irak standen in den zurückliegenden Jah-ren mehrere andere Länder und Regime kurz vor dem Zusammenbruch. In der libanesischen Hauptstadt Beirut kam es im Mai 2008 zu bürgerkriegsähnlichen Kämpfen zwischen Anhängern der von der Hisbollah angeführten Opposition und der Regierung. In den palästinensischen Gebieten brachen im Juni 2007 Kämpfe zwischen der islamistischen Hamas und der Fatah des Präsidenten Abbas aus, in deren Folge die Hamas die Macht im Gaza-Streifen übernahm. Die Gefahr einer militärischen Eskalation und weiteren Schwächung staatlicher beziehungsweise quasi-staatlicher Strukturen besteht im Libanon ebenso wie in den palästinensischen Gebieten fort.

Der wohl erste Kandidat für einen Staatszerfall je-doch ist der Jemen. Hier gelingt es der Zentralregie-rung aufgrund von Finanzproblemen immer weni-ger, die mächtigen Stämme im Land zu kontrollieren. Zudem hat sie mit drei Krisenherden zu kämpfen: Im Norden herrscht seit 2004 ein immer wieder aufbre-chender Bürgerkrieg zwischen der Zentralregierung und Rebellen, die der schiitischen Glaubensrichtung des Zaidismus folgen. Im Süden fordert eine stetig er-starkende separatistische Bewegung die Wiederher-stellung eines von Sanaa unabhängigen südjemeniti-

Das wohl wichtigste regionalpolitische Ergebnis des Irak-Krieges war die Stärkung

der Position des Iran.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) stellt Saudi-Arabiens König Abdul-lah in Bezug auf die Verwirklichung der Men-schenrechte und ihren Schutz in seinem Land ein schlechtes Zeugnis aus. In seiner fünfjährigen Re-gierungszeit habe er zwar einen öffentlichen Dis-kurs zur Stärkung der Rechte von Frauen und reli-giösen Minderheiten angestoßen, die Meinungs-freiheit gefördert und sich für Rechtssicherheit und faire Gerichtsverfahren eingesetzt, heißt es in einem Ende September veröffentlichten Bericht. Seine Initiativen seien jedoch vor allem „symboli-scher Natur“. Nötig seien nun Gesetze, die diese Rechte festschreiben. Der heute 86-jährige Abdul-lah steht seit 1. August 2005 an der Spitze der ab-solutistischen Monarchie Saudi-Arabien.

Als wichtigen ersten Schritt nannte HRW die Ver-abschiedung eines Strafgesetzbuches. Bislang könnten Richter eine Straftat nach völlig freiem Ermessen bestimmen. Nach wie vor würden Frau-

en in Saudi-Arabien stark diskriminiert, kritisiert die Organisation. Das saudische Vormundschafts-system verleihe ihnen den Status von Minderjäh-rigen. Entscheidungen über Ausbildung, Beruf, Heirat oder Reisen könnten sie nur mit Zustim-mung eines männlichen Vormundes treffen.

Auch sei die freie Meinungsäußerung trotz einer größeren Toleranz der Staatsführung gegenüber Kritik bislang noch nicht institutionell verankert, heißt es in dem Bericht weiter. Noch immer kont-rolliere die Regierung die Ernennung von Redak-teuren und bestrafe diejenigen, die Mitglieder der Königsfamilie, die Regierungspolitik oder führen-de Geistliche kritisieren. Die Anstrengungen König Abdullahs, über die Grenzen seines Landes hinweg einen interreligiösen Dialog in Gang zu bringen, sieht HRW ebenfalls mit Skepsis. Während der Kö-nig in Madrid die Hände von Rabbinern schüttele, würden im Königreich selbst religiöse Minderhei-ten weiter verfolgt. (gka)

Menschenrechte: Schlechtes Zeugnis für Saudi-Arabien

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schen Staates. Und schließlich verübt die örtliche al-Qaida seit 2007 immer häufiger aufsehenerregende Anschläge. Es ist nicht abzusehen, wie die Regierung alle diese Probleme in den kommenden Jahren in den Griff bekommen soll. Die Ölproduktion geht jetzt schon stetig zurück und dürfte in einem Jahrzehnt völlig versiegen.

Bisher konnten auswärtige Akteure nur wenig zur Lösung der Probleme in der Region beitragen. Eher im Gegenteil haben die USA durch ihre Interventio-nen die Konflikte am Golf eskalieren lassen. Insbe-sondere der Krieg im Irak seit 2003 hat das regionale Gleichgewicht empfindlich gestört und zum Auf-stieg des Iran beigetragen. Teheran schickt sich mit-hilfe seines Atomprogramms – von dem die Men-schen in der Region zu Recht überzeugt sind, dass es militärischen Zwecken dient – an, eine regionale Führungsposition einzunehmen. Seit Jahren bereits wirkt es immer intensiver auf das politische Gesche-hen im Arabischen Osten ein. Dass es den USA nicht gelang, nach dem militärischen Sieg über die Trup-pen Saddam Husseins auch die Aufständischen im Irak unter Kontrolle zu bringen, zeigte den Gegnern der USA deren Schwächen im Kampf gegen Gueril-laeinheiten auf.

Dieser Eindruck wurde trotz der amerikanischen Er-folge ab 2007 vom damals schon eskalierenden Kon-

flikt mit den Taliban in Afghanistan noch verstärkt. Vor allem die iranische Führung zog aus den Proble-men der USA den Schluss, dass diese geschwächt und unentschlossen seien und deshalb nicht in der Lage, militärisch gegen ihr Atomprogramm vorzu-gehen. Alle Verhandlungen mit dem Iran verliefen im Sande und Teheran schlug auch 2009 die „ausge-streckte Hand“ von Präsident Obama aus. Vielmehr untermauerte Präsident Mahmud Ahmadinedschad den regionalen Führungsanspruch immer wieder mit heftigen antiisraelischen und antiamerikani-schen Tiraden.

Die US-Regierung hat dem iranischen Hegemonial-streben ein erneuertes Bündnis unter der Führung Saudi-Arabiens und Ägyptens entgegengesetzt. Zum einen hat die US-Regierung umfangreiche Waffengeschäfte mit Saudi-Arabien, den VAE und anderen Golfstaaten angekündigt, die der Abschre-ckung des Iran und der Beruhigung der Partner die-nen sollen. Zum anderen versucht sie, mit einer Wiederbelebung der Verhandlungen zwischen Isra-el und den Palästinensern regionale Spannungen abzubauen. Während eine neue amerikanische Ein-dämmungsstrategie erst langsam Gestalt annimmt, liegt die Lösung des Nahostkonfliktes jedoch in wei-ter Ferne. Vielmehr deutet sich bereits heute eine neue Runde im Ringen um die Vorherrschaft im Na-hen Osten an.

Guido Steinberg ist Mitarbeiter der Forschungsgruppe

Naher Osten und Afrika bei der Stiftung Wissenschaft und Politik

in Berlin.

Der Iran lässt im September 2010 bei einer Militärparade in Teheran

seine Truppen aufmarschieren. Die Islamische Republik strebt nach

Vorherrschaft in der Region.ATTA KENARE/AFP/GETTY IMAGES

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Nach siebeneinhalb Jahren Krieg und Besatzung haben die USA im August ihre letzten Kampf-truppen aus dem Irak abgezogen. Sie hinterlassen ein Land voller politischer und religiöser Spannungen, dessen zentrale Probleme weit von einer Lösung entfernt sind. Aber auch die Amerikaner selbst kämpfen mit den Folgen des Krieges: Zehntausende Soldaten leiden unter körperlichen oder seelischen Verwundungen. Hinzu kommen die enormen Kriegskosten, die von den Steuerzahlern finanziert werden müssen.

Von Andreas Zumach

Der Einmarsch der USA im Irak hat nicht nur im Mittleren Osten großen

Schaden angerichtet

Der Irak bekommt möglicherweise endlich eine hand-lungsfähige Regierung. Anfang Oktober, mehr als sie-ben Monate nach der Parlamentswahl, sicherte sich der amtierende Ministerpräsident Nuri Al Maliki die Unterstützung des einflussreichen schiitischen Predi-gers Muktada al Sadr. Für eine regierungsfähige Mehr-heit im Parlament benötigt er allerdings noch die Stimmen einiger kurdischer Parteien – die Verhand-lungen dauerten bei Redaktionsschluss noch an.

Eine erfolgreiche Regierungsbildung in Bagdad wäre die zweite gute Nachricht aus Irak seit Beginn des an-glo-amerikanischen Krieges Mitte März 2003. Die ers-te war die Meldung über den Sturz von Saddam Hus-sein, einem der schlimmsten Diktatoren der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ein Diktator, dessen Vor-geschichte auch in den zahlreichen Bilanzen anläss-lich des offiziell erklärten „Endes der Besatzung“ des Irak durch amerikanische Kampftruppen Ende Juli dieses Jahres verschwiegen wurde: Denn bei seinem Aufstieg an die Spitze der Macht in Bagdad Ende der 1970er Jahre hatte Washington erhebliche Hilfestel-lung geleistet.

In Reaktion auf die islamische Revolution im Nach-barland Iran 1979 unterstützten der Westen und die damalige Sowjetunion das Regime in Bagdad poli-tisch und wirtschaftlich und rüsteten es militärisch massiv auf. Die Produktionsanlagen, das Know How und die Grundstoffe für atomare und chemische Mas-senvernichtungswaffen, deren Besitz Saddam Hus-sein dann nach 1990 zum Vorwurf gemacht wurden, kamen aus Deutschland und den USA, die Kampfflug-zeuge und Panzer aus Frankreich und Großbritanni-

Verheerende Bilanz eines gewollten Krieges

Opfer eines Bombenanschlages in Kirkuk im Oktober 2010. Die Gewaltspirale im Irak dreht sich auch nach dem Abzug der US-Truppen weiter.REUTERS

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en, und die Scud-Raketen, die der Irak im zweiten Golfkrieg 1991 gegen Israel abfeuerte, hatte die Sow-jetunion geliefert.

Und so sehr der Sturz einer blutigen Diktatur zu begrü-ßen ist, sei doch daran erinnert, dass dieser Sturz kei-neswegs das ursprüngliche Ziel des Krieges gegen den Irak war. Er diente erst nachträglich zur Rechtfertigung des Einmarschs, nachdem sich die ursprünglichen Be-hauptungen der Regierungen Bush und Blair, das Re-gime in Bagdad verfüge weiter über Massenvernich-tungswaffen und kooperiere mit dem Al-Qaida-Terror-netzwerk, als schamlose Lügen erwiesen hatten.

Abgesehen von diesen beiden guten Nachrichten fällt die Bilanz von siebeneinhalb Jahren Krieg und Besat-zung im Irak verheerend aus; vor allem für die Irake-rinnen und Iraker. Laut der Ende Juli veröffentlichten Bilanz der US-Regierung kamen seit Kriegsbeginn

mehr als 108.000 irakische Zivilisten ums Leben. Das sind allerdings nur die Menschen, die unmittelbar durch Kriegshandlungen und andere Gewaltakte ge-tötet wurden. Nicht berücksichtigt werden all jene, die starben, weil Wasserleitungen, Krankenhäuser und andere Infrastruktur zerstört waren oder Medika-mente und andere lebenswichtige Güter nicht zur Verfügung standen.

Bereits im Oktober 2004 veröffentlichte die angesehe-ne britische Medizinzeitschrift „Lancet“ eine Untersu-chung , nach der die Sterblichkeitsrate im Irak sich seit Beginn des Krieges mehr als verdoppelt hatte. Laut „Lancet“ waren zwischen März 2003 und Oktober 2004 bereits rund 180.000 Iraker ums Leben gekom-men – mehr als zehnmal so viele, wie die US-Besat-zungsmacht damals angegeben hatte. Neben dem Le-ben hunderttausender Menschen wurden auch die

wichtigsten Kulturgüter des Landes unwiederbring-lich zerstört, darunter das Nationalmuseum mit sei-nen zum Teil über 5000 Jahre alten Kunstschätzen.

Bis heute ist keines der zentralen politischen Proble-me des Irak gelöst. Die Verteilung der Einnahmen aus der Ölförderung ist vor allem zwischen der Zentralre-gierung in Bagdad und der autonomen Kurdenregion im Nordirak weiter heftig umstritten. Dasselbe gilt für den Grad der Autonomie, den Nordirak künftig haben soll. Die Kurden halten sich die Option einer völligen Abspaltung „ihres“ Territoriums offen. Innerhalb Nor-diraks schwelen die Spannungen zwischen der kurdi-schen Mehrheit und den Angehörigen der arabischen Minderheit, die unter Saddam Hussein in den Norden zwangsumgesiedelt wurden.

Der Irak ist heute ein Schauplatz offener Spannun-gen und Gewalttaten zwischen Schiiten und Sunni-ten, die es vor dem Krieg nicht gab. Als die Amerika-ner und ihre Alliierten Saddam Hussein stürzten, beseitigten sie damit nicht nur eine brutale Diktatur, sie stellten auch die damaligen Machtverhältnisse auf den Kopf. Die Minderheit der arabischen Sunni-ten, die über Jahrhunderte den Staat dominiert hat-ten, verloren ihre Macht. Die Schiiten, jahrzehntelang unterdrückt, holten sie sich. Schiitische Milizionäre beglichen alte Rechnungen, machten Jagd auf echte und vermeintliche Stützen des Regimes. Die Sunni-ten spekulierten auf eine Rückkehr zu den alten Ver-hältnissen. Sie bekämpften die Neuordnung mit al-len Mitteln und ebneten den Weg für das Terrornetz-werk Al-Qaida in den Irak.

Spätestens 2006 tobte zwischen den beiden Konfessi-onen ein Religionskrieg, in dem es um weit mehr ging als den Irak, nämlich um das Machtverhältnis zwi-schen Schiiten und Sunniten in der arabischen Welt. Die US-Truppen bewirkten mit ihrer ab Anfang 2007 eingeschlagenen Strategie der Truppenaufstockung, des „Surge“, zwar einen Seitenwechsel der sunniti-schen Untergrundkämpfer. Zehntausende von ihnen stellten sich in den Sold der Amerikaner, wurden von ihnen bewaffnet und dienten fortan als Bürgerwehr.

Das führte am Ende dazu, dass auch die schiitischen Milizionäre die Waffen streckten. Mit hunderten von kleinen Projekten versuchten die Besatzer, Kleinbe-triebe zu stärken und Arbeitsplätze zu schaffen, Scheichs zu besänftigen und gleichzeitig die Aussöh-nung der Sunniten mit dem Staat voranzutreiben. Doch das ist, wenn überhaupt, nur oberflächlich ge-lungen. Bagdad ist eine weitgehend schiitische und geteilte Stadt. Der „Surge“ hat nur zementiert, was die schiitischen Milizen mit der Vertreibung und Ermor-dung von Sunniten begonnen hatten. Der Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten ist nicht gelöst.

Seit die Amerikaner die Kontrolle an die schiitisch do-minierte Regierung von al-Maliki übergeben haben, gärt es unter den sunnitischen Milizionären. Entge-gen den Zusagen der Regierung erhielten nur wenige

Ein querschnittsgelähmter amerikanischer Irak-Veteran in

einem Rehabilitationszentrum in Kalifornien. Zehntausende

US-Soldaten wurden im Irak schwer verwundet.

JUSTIN SULLIVAN/GETTY IMAGES

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eine feste Anstellung. Wer einen Job hat, bekommt oft monatelang sein Gehalt nicht. Darüber hinaus sind in den vergangenen Monaten zahlreiche Milizenchefs Mordanschlägen zum Opfer gefallen oder ins Gefäng-nis gewandert. Dass sich Regierungschef Nuri al-Mali-ki nach dem unklaren Ausgang der Parlamentswahl eisern an seinen Posten klammert, statt die Regie-rungsbildung seinem laizistischen Konkurrenten Al-lawi zu überlassen, schürt unter Sunniten das ohne-hin tief verwurzelte Misstrauen gegenüber den Schii-ten. Das spielt der Al-Qaida in die Hände, die nach wie vor nicht geschlagen ist. Die Strukturen der schiiti-schen Milizen sind ebenfalls noch intakt. Angesichts von mehr als 2600 Toten seit Jahresbeginn 2010 ist der Krieg im Irak noch nicht vorbei.

Dramatisch verschlechtert hat sich seit 2003 die Lage für die Christen im Irak. Sie leiden unter der Verfol-gung und dem Terror islamistischer Extremisten. Von

den mehr als eine Million Angehörigen acht verschie-dener christlicher Kirchen, die zuvor im Irak lebten – davon rund 80 Prozent Katholiken –, haben laut Erhe-bungen des Vatikans inzwischen über die Hälfte das Land verlassen.

Auch für die USA sind die Kosten von siebeneinhalb Jahren Krieg und Besatzung erheblich. Über 1,5 Millio-nen Soldaten sind seit März 2003 im Irak gewesen, 4481 haben ihr Leben verloren. Darüber hinaus wur-den zehntausende Soldaten verwundet oder leiden unter posttraumatischen Belastungsstörungen. Die Versorgung dieser physisch und psychisch invaliden GIs wird die US-amerikanischen Steuerzahler in den

kommenden Jahrzehnten noch viele Milliarden Dol-lar kosten, zusätzlich zu den bisherigen Ausgaben für Krieg und Besatzung. Diese belaufen sich auf rund eine Billion US-Dollar, wie Präsident Barack Obama anlässlich des Abzuges der letzten US-Kampftruppen Ende Juli erklärte. Zur Erinnerung: Im Juli 2003 bezif-ferte der damalige Vorsitzende des außenpolitischen Senatsausschusses in Washington die zu erwarten-den Gesamtkosten für Krieg und Besatzung im Irak auf „maximal 74 Milliarden Dollar“. Eine Summe, so der Senator damals, die „wir innerhalb von zwei Jah-ren durch erhöhte Einnahmen aus der irakischen Öl-produktion wieder reinholen werden“.

Doch bis heute haben die USA selbst diese 74 Milliar-den Dollar nicht wieder hereingeholt. Denn die iraki-sche Öl-Förderquote liegt nach wie vor nur wenig über dem Niveau der letzten Jahre der Diktatur von Sad-dam Hussein. So haben die USA als Besatzungsmacht

zwar die meisten der Verträge annulliert, die bis 2003 zwischen dem Irak und russischen, chinesischen so-wie französischen Ölfirmen bestanden. Doch einen materiellen Vorteil haben sie aus ihrer sieben Jahre währenden Kontrolle über das irakische Öl nicht zie-hen können. Einen finanziellen Gewinn aus Krieg und Besatzung zogen – neben einigen amerikanischen Rüstungsschmieden – lediglich Blackwater und ande-re private Sicherheits- und Söldnerfirmen sowie mit Wiederaufbaumaßnahmen beauftragte Logistikun-ternehmen wie Halliburton. Sie wurden von ihren Kontaktpersonen in der Regierung Bush – an der Spit-ze Vizepräsident Richard Cheney – mit milliarden-schweren Aufträgen versorgt.

Saddam Hussein ist gestürzt – das blieb für lange Zeit die

einzige gute Nachricht aus dem Irak nach dem Einmarsch

der Amerikaner 2003. GETTY IMAGES

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Auch politisch haben die USA nichts gewonnen. Ihr Ansehen und ihre Einflussmöglichkeiten in der Regi-on Mittlerer Osten und in der gesamten islamischen Welt sind durch den Krieg, die Besatzung und die da-bei verübten Verstöße gegen die Menschenrechte auf einen historischen Tiefpunkt gesunken. Ferner hat Washington durch die Beseitigung des Regimes von Saddam Hussein und der Taliban-Regierung in Afghanistan die Einflussmöglichkeiten und Hand-lungsspielräume des Iran in der Region erweitert. Dieses Ergebnis steht im Gegensatz zu den bislang erklärten Zielen der amerikanischen Iranpolitik.

Zu Schaden gekommen ist außerdem das Völker-recht. Der Krieg und die Besatzung waren ein klarer

Verstoß der USA und Großbritanniens gegen die UN-Charta. Die Tatsache, dass der UN-Sicherheitsrat un-ter großem Druck Washingtons der Besatzung des Irak seit Mai 2003 mit mehreren Resolutionen einen quasi völkerrechtlichen Anstrich gab, ändert daran nichts. Bis heute wurde dieser Bruch des Völkerrechts nicht offiziell festgestellt. In der UN-Generalver-sammlung hätte sich mit Sicherheit eine große Mehrheit der 192 Mitgliedsstaaten für eine Resoluti-on zur Feststellung und Verurteilung des Völker-rechtsbruchs gefunden. Doch keine Regierung wagte es, einen entsprechenden Antrag einzubringen. Die Südafrikaner, die einen solchen Schritt erwogen, lie-ßen unter dem starken Druck der Regierung Bush davon ab.

Lediglich UN-Generalsekretär Kofi Annan fand im September 2005 in einem Interview mit der BBC den Mut, den anglo-amerikanischen Verstoß gegen die UN-Charta einigermaßen klar beim Namen zu nen-

nen. So hat der Völkerrechtsbruch auch keine juristi-schen Folgen. Zur einer Klage beim Internationalen Gerichtshof der Vereinten Nationen in Den Haag wäre lediglich die Regierung des Irak berechtigt gewesen. Und vor dem Internationalen Strafgerichtshof (ISTGH) sind Klagen wegen eines im Jahr 2003 erfolgten An-griffskrieges nicht möglich. Denn die USA haben bis Anfang 2010 verhindert, dass dieser Straftatbestand überhaupt vom ISTGH verfolgt werden kann.

Theoretisch wären Klagen gegen den US-Präsidenten George Bush und den britischen Premierminister Tony Blair möglich gewesen. Denn als Oberkomman-dierende der Streitkräfte ihrer Länder trugen sie die Verantwortung für den Völkerrechtsbruch sowie für

die Kriegsverbrechen und die Verstöße gegen das hu-manitäre Völkerrecht von amerikanischen und briti-schen Soldaten. Doch auch hier fanden sich bislang keine Kläger. Bis heute wurden lediglich einige nie-derrangige Soldaten für die im Gefängnis Abu Ghra-ib und anderswo verübten Kriegsverbrechen und schweren Menschenrechtsverletzungen verurteilt.

Der Krieg hat schließlich Folgen, die weit über Irak und den Mittleren Osten hinausreichen. Er hat in den sicherheitspolitischen Eliten vieler Ländern die Frakti-on derjenigen gestärkt, die für die Beschaffung von Atomwaffen plädieren als vermeintlich einzig ver-lässlicher Versicherung gegen einen Angriff von au-ßen. „Hätte Saddam Hussein doch bloß die von Wa-shington und London behaupteten Massenvernich-tungswaffen gehabt. Dann wäre der Irak niemals an-gegriffen worden.“ Dieser Satz ist heute nicht nur in Teheran und Pjöngjang, sondern auch in vielen ande-ren Hauptstädten zu hören.

Andreas Zumach ist Journalist und Publizist in Genf. Gemeinsam mit Hans-Christof von

Sponeck hat er das Buch „Irak – Chronik eines gewollten Krieges“

(2003) verfasst.

Irakische Truppen übernehmen jetzt die Verantwortung für die nationale Sicherheit. Frisch graduierte Marine-offiziere stecken sich im September

2010 die Schulterklappen an.ATEF HASSAN/REUTERS

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Im BlindflugDie Amerikaner wollen ihre Jagd auf Al-Qaida-Terroristen im Jemen mit Hilfe unbemannter bewaffneter Flugzeuge verstärken, so genannter Drohnen. Die militärische Intervention könnte jedoch wie im Irak und in Afghanistan genau das Gegenteil bewirken: ein Erstarken islamisti-scher Gruppen, die verstärkt Rückhalt in der Bevölkerung finden. Mehr Unterstützung für den Aufbau demokratischer Strukturen sowie mehr Entwicklungshilfe wären sinnvoller, um dem Terrorismus den Nährboden zu entziehen.

Von Stephen Zunes

Die USA riskieren mit Drohnenangriffen

im Jemen eine Stärkung von Al-Qaida

Die USA bereiten offenbar von ihren Militärbasen in Afrika aus neue, noch heftigere Drohnenangriffe auf mutmaßliche Terroristen im Jemen vor. Zwar kom-men bei solchen gezielten Aktionen gemeinhin weni-ger Zivilisten um als bei konventionellen Luftangriffen. Doch sie stützen sich oft auf unzuverlässige Geheim-dienstinformationen, weshalb der Tod Unbeteiligter in Kauf genommen werden muss. Somit werden die Angriffe den Rückhalt der Extremisten in der Bevölke-rung wahrscheinlich eher verstärken. Möglicherweise sind die USA dabei, sich mit dieser Art Aufstandsbe-kämpfung in einen weiteren Krieg hineinziehen zu lassen, der genau wie im Irak und in Afghanistan die bestehenden Probleme verschlimmern wird.

Die USA sind seit langem besorgt über die Präsenz von Al-Qaida in den schlecht kontrollierbaren Grenzgebie-ten des Jemen, vor allem seit die jemenitischen und die saudischen Zellen des Terrornetzwerks neuerdings gemeinsam agieren. Während der 1980er Jahre waren

Tausende Jemeniten mit Hilfe der Amerikaner im af-ghanischen Widerstand gegen die Sowjetunion aktiv. Diese Erfahrung hat sie radikalisiert und in Kontakt mit Osama bin Laden gebracht, einem Saudi-Araber, dessen Vater aus einer jemenitischen Familie stammt. Weil sich verschiedene Stämme zur Loyalität gegen-über der Familie bin Laden verpflichtet sehen, genießt der Al-Qaida-Führer im Jemen einen gewissen Rück-halt, auch bei denjenigen, die seine reaktionäre Inter-pretation des Islam und seine Befürwortung schwerer Terroranschläge nicht unbedingt gutheißen.

Hunderttausende Jemeniten haben als Migranten im benachbarten Saudi-Arabien gearbeitet. Ihre Begeg-nung mit der dogmatischen Interpretation des Islam seitens der Wahhabiten sowie die Diskriminierung, der sie sich vielfach ausgesetzt sahen, hat sie zusätz-lich radikalisiert. Im Oktober 2000 griffen Al-Qaida-Terroristen das US-Kriegsschiff „Cole“ im jemeniti-schen Hafen von Aden an und töteten 17 amerikani-

Eine Drohne im Einsatz über Afghanistan. Mit Hilfe von

solchen bewaffneten unbemannten Flugzeugen wollen die USA verstärkt

Terroristen im Jemen jagen. AP

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sche Seeleute. Dieser Anschlag führte zu einer ver-stärkten militärischen und nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit der USA mit dem Jemen und einer Reihe von amerikanischen Raketenangriffen auf mut-maßliche Al-Qaida-Aktivisten.

Derzeit gibt es im Jemen wohl nicht mehr als 200 zum harten Kern zählende Al-Qaida-Terroristen, und viele von ihnen kommen aus dem Ausland. Hinzu kommen etwa 2000 kampferprobte Jemeniten, die im Irak ge-gen die amerikanischen Besatzungstruppen im Ein-satz waren. Die Reihen der Al-Qaida wurden außer-dem von zurückgekehrten Veteranen von Abu Musab al-Zarqawis irakischer Terrorgruppe verstärkt, und so hat sich im Jemen eine umfangreiche und noch radi-kalere Generation von Kämpfern herausgebildet, die dem labilen Waffenstillstand zwischen den Islamis-ten und der jemenitischen Regierung ein Ende setzte.

Die Gegner der amerikanischen Invasion und Beset-zung des Irak im Jahr 2003 haben Recht behalten mit ihrer Vorhersage, dass diese zwangsläufig eine Auf-

standsbewegung zur Folge haben und eine neue Ge-neration von radikalen Islamisten hervorbringen würde – genau wie nach dem Einmarsch der Sowjet-union in Afghanistan. Leider hielten die Mitglieder der Bush-Regierung und ihre Unterstützer im Kon-gress – die damaligen Senatoren Joe Biden und Hilary Clinton eingeschlossen – den Einmarsch im Irak für so wichtig, dass sie die Gefahr in Kauf nahmen, damit eine weitere Brutstätte des antiamerikanischen Ter-rorismus zu schaffen. Ausgerechnet von Biden und Clinton sowie von Verteidigungsminister Robert Ga-tes, der die amerikanische Invasion ebenfalls unter-stützt hat, erwartet Präsident Barack Obama jetzt, dass sie ihm helfen, mit dem Chaos fertig zu werden, zu dessen Entstehung sie beigetragen haben.

Offenbar begreifen die Amerikaner nicht, dass im Je-men die Stämme traditionell weitgehende Autonomie genießen. Sie missverstehen die Schwäche der Zent-ralregierung als Zeichen, dass es sich um einen „ge-scheiterten Staat“ handelt. Sie versuchen daher, über eine breit angelegte Aufstandsbekämpfung mit Ge-walt ein zentrales Machtzentrum zu etablieren. Ein rein militärisches Eingreifen könnte jedoch dazu füh-ren, dass sich die Aufstandsbewegung ausweitet. Das Vorgehen der jemenitischen Regierung hat wesentlich zu der Houthi-Rebellion im Norden des Landes beige-tragen, die von den Anhängern der schiitischen Zaidi-Bewegung angeführt wurde. Die USA übernahmen weitgehend die stark überzogene Auffassung, bei der Rebellion handele es sich um eine vom Iran gesteuerte Bewegung, und stellten sich hinter das brutale Vorge-

hen der jemenitischen und saudi-arabischen Truppen in der Region. Auch im ehemals unabhängigen Süden des Landes gibt es erneut Abspaltungstendenzen. Vor allem aufgrund dieser doppelten Bedrohung zögerte die jemenitische Regierung zunächst, auf die zuneh-mende Präsenz der Al-Qaida zu reagieren.

Angesichts der Gefahr eines direkten militärischen Eingreifens der USA gegen Al-Qaida geht die jemeniti-sche Regierung nun selbst verstärkt gegen Terroristen vor. Allerdings weniger weil sie hofft, dass die Ameri-kaner ihre Kooperationsbereitschaft mit Gegenleis-tungen honorieren werden. Vielmehr dürfte dahinter eher die Angst davor stecken, was geschieht, wenn sie nichts unternimmt. Die Regierung befindet sich in ei-ner schwierigen Zwangslage. Wenn es ihr nicht ge-lingt, der Terrorzellen Herr zu werden, wird die zu er-wartende militärische Intervention der Amerikaner wahrscheinlich noch einen viel breiteren bewaffne-ten Widerstand provozieren. Wenn sie jedoch zu dras-tisch vorgeht und der Anschein entsteht, dass sie auf Geheiß einer westlichen Großmacht ungerechtfertig-te Repressalien ausübt, riskiert sie Unruhen in der Be-völkerung und eine Rebellion der Stämme. In jedem Falle würde die Unterstützung für radikale Gruppie-rungen wahrscheinlich zunehmen.

Die meisten westlichen Experten sind sich deshalb ei-nig, dass ein verstärktes Eingreifen der Amerikaner riskant ist. Es hätte nicht nur die Ausweitung des be-waffneten Widerstands im Jemen zur Folge. Wenn die USA im Namen der Terrorbekämpfung in einem wei-teren islamischen Land militärisch intervenierten, würde das die Position militanter Islamisten vermut-lich auch in anderen Ländern stärken. Obama wurde zum Präsidenten gewählt, weil er einen Richtungs-wechsel versprochen hatte. Dazu gehört auch die Ab-wendung von einer Außenpolitik, die im Irak und an-derswo katastrophale Folgen hatte. Doch im Jemen scheint seine Regierung die kurzsichtige Taktik seiner Vorgänger beizubehalten: Sie unterstützt ein repressi-ves und autoritäres Regime, setzt auf militärische Lö-sungen für komplizierte soziale und politische Kon-flikte und verlässt sich auf Strategien der Aufstands-bekämpfung, die sich als untauglich erwiesen haben.

Im Jemen stellt Al-Qaida eine echte Bedrohung dar. Doch müssen alle Kampfmaßnahmen von den Jeme-niten ausgehen, und sie dürfen sich nur gegen die ge-fährlichsten Terrorzellen richten. Außerdem muss auf die jemenitische Regierung Druck ausgeübt werden, dass sie mehr Demokratie erlaubt und die Korruption abbaut. Nur so kann sie den Rückhalt in der Bevölke-rung finden, den sie braucht, um sich gegen die ge-fährlichen bewaffneten Kader durchzusetzen. Die ver-armten ländlichen Regionen, in denen sich die radika-len Islamisten festsetzen konnten, sind dringend auf Entwicklungshilfe angewiesen und müssen von den USA langfristig sehr viel stärker finanziell unterstützt werden. Eine solche Strategie würde weit mehr brin-gen als die geplanten Drohnenangriffe.

Aus dem Englischen von Anna Latz.

Stephen Zunes ist Professor für Politikwissen schaften

und internationale Studien mit Schwerpunkt Mittlerer Osten an der

Universität von San Francisco.

Die Angriffe auf Al-Qaida müssen von den Jemeniten ausgehen und dürfen sich nur gegen

die gefährlichsten Terrorzellen richten.

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Toleranz in GefahrIn keinem anderen Land des Nahen Ostens leben Angehörige der verschiedenen Religionen so friedlich zusammen wie in Syrien. Doch diese Jahrhunderte lange Tradition scheint ange-sichts einer schleichenden Islamisierung bedroht. Die Regierung versucht gegenzusteuern. Zugleich unterdrückt sie noch immer jede öffentliche Kritik an ihrer Arbeit.

Von Claudia Mende

Mit der wirtschaftlichen Öffnung wächst

in Syrien die soziale Ungleichheit

Das christliche Viertel von Aleppo verströmt einen Hauch von Paris. Am zentralen Sahat al-Hatab-Platz stehen Platanen und grüne Parkbänke, nur die Boule-spieler fehlen. Im christlichen Viertel der alten Han-delsstadt im Nordwesten Syriens haben die armeni-schen Silberschmiede ihre Geschäfte. Sie stehen vor ihren Läden und warten auf Kundschaft. Wenn man den Laden von Hakop Okasjian betritt, fällt sofort ein Foto ins Auge, das der Armenier direkt neben den Eingang plaziert hat. Es zeigt den syrischen Staats-präsidenten Bashar al-Assad und seine westlich ge-kleidete Frau Asmaa zusammen mit dem spanischen Königspaar. Das Foto ist keines jener Jubelplakate des Präsidenten, die im ganzen Land hängen, son-dern ein privates Dokument, das sein Besitzer hütet

wie einen Schatz. „Wir Armenier können in Syrien gut leben“, meint Okasjian. „Wir haben unsere eige-nen Schulen, Zeitschriften und Kulturveranstaltun-gen auf armenisch.“ Armenische Rechtsanwälte und Ärzte können ohne weiteres praktizieren und genie-ßen einen guten Ruf. Nach dem Völkermord in der Türkei 1915-17 ist Okasjians Familie wie viele Arme-nier nach Syrien geflüchtet. Die Dankbarkeit, hier si-cher leben und die eigene Kultur pflegen zu dürfen, bringen ihre Nachfahren bis heute dem Regime ent-gegen.

Syrien mit seinen 20 Millionen Einwohnern bildet ein Scharnier zwischen dem Mittelmeerraum und der arabischen Welt. Im Dreieck zwischen Türkei,

Das christliche Viertel Al-Masbak in Damaskus. In Syrien werden

verschiedene Religionen geduldet.MAX GALLI/LAIF

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Irak und Jordanien kreuzten sich früher die Karawa-nenwege zwischen Fernost und Europa. Mit einem Pro-Kopf-Einkommen von etwa 2580 Euro pro Jahr (nach Angaben des Internationalen Währungsfonds) gehört Syrien zu den Entwicklungsländern mit mitt-lerem Einkommen – es ist im Nahen Osten etwa ver-gleichbar mit dem in Ägypten. Neben Arabern leben in Syrien 1,7 Millionen Kurden, vor allem an der Grenze zur Türkei, sowie Aserbeidschaner, Tscher-kessen aus dem Kaukasus, Armenier, eine halbe Mil-

lion Palästinenser und etwa eine Million irakische Flüchtlinge.

Auch religiös ist Syrien alles andere als einheitlich. Vier Fünftel der Bevölkerung sind Sunniten (80 Pro-zent), daneben aber gibt es schiitische Splittergrup-pen wie Alawiten und Ismailiten, Drusen sowie elf verschiedene christliche Konfessionen. Die rund zehn Prozent Christen werden nicht nur geduldet, sie nehmen aktiv am gesellschaftlichen und politischen Leben teil. In Aleppo gehören sie zur Wirtschaftselite. Berufliche Nachteile für Christen, wie sie zum Bei-spiel in Ägypten an der Tagesordnung sind, gibt es hier nicht. Nirgendwo im Nahen Osten ist das Zu-sammenleben der Religionen so beispielhaft gelun-gen wie in Syrien.

Diese Toleranz wird seit Jahrhunderten gelebt. Aber sie hat auch handfeste machtpolitische Gründe im autoritär geführten, säkularen Einparteienstaat: Die herrschende Elite um den Regierungschef Bashar al-

Assad gehört zur liberalen schiitischen Gemeinschaft der Alawiten, die selbst am Rande der islamischen Orthodoxie angesiedelt ist. Alawiten gehen nur sel-ten in die Moschee, sie trinken Alkohol und kleiden sich westlich. Für viele muslimische Sunniten sind sie nicht lupenrein islamisch. Toleranz gegenüber Minderheiten ist für das Regime daher eine Frage des eigenen politischen Überlebens.

Doch die syrische Gesellschaft verändert sich ra-sant. Wer heute durch die Zentren der beiden syri-schen Metropolen Aleppo und Damaskus schlen-dert, sieht viele von Kopf bis Fuß schwarz verschlei-erte Frauen, von denen man nur die neugierig schauenden Augen sieht. Manche ergänzen ihren Niqab noch mit langen schwarzen Handschuhen oder einem dünnen schwarzen Tuch, das die Augen verdeckt. Das war nicht immer so. Diese Art der Ver-schleierung nach dem Vorbild der Wahhabiten in Saudi-Arabien ist in Syrien ein neues Phänomen. Der Trend zu einem konservativen und womöglich fundamentalistischen Islam beunruhigt die religiö-sen Minderheiten und die säkulare Führung glei-chermaßen. Im Juli 2010 hat Assad den Niqab an Universitäten und Schulen verboten. Hunderte von Lehrerinnen wurden aus öffentlichen Schulen ver-bannt und gezwungen, Jobs in der Verwaltung an-zunehmen, falls sie sich weigerten, im Unterricht ihr Gesicht zu zeigen.

„Das Regime hat jahrelang die schleichende Islami-sierung zugelassen, solange sie nicht politisch war“, beurteilt Guido Steinberg von der Stiftung Wissen-schaft und Politik in Berlin das Niqab-Verbot. Stein-berg bescheinigt dem Regime eine gewisse Paranoia, wenn es um islamistische Strömungen geht, „weil die Legitimität der Regierung schwach ausgeprägt ist“. Bereits in den 1980er Jahren verübten Muslim-brüder im Norden Syriens Anschläge, bis das Regime sie brutal niederschlug. Seitdem ist die Bruderschaft offiziell im Land verboten, während die Regierung gleichzeitig die radikal-schiitische Hisbollah-Miliz im Libanon und die palästinensische Hamas unter-stützt. Das ist ein Spagat, den sie kaum plausibel ma-chen kann.

Jahrzehntelang gehörte Syrien zu den treuen Vasal-len Moskaus. Sozialistische Ideologie, Planwirtschaft, überbordende Bürokratie und Bespitzelung der Bür-ger durch konkurrierende Geheimdienste gaben dem arabischen Land einen Anstrich von Ostblock. Gleich-zeitig gab es aber eine gewisse Grundversorgung mit subventionierten Alltagsgütern, billige Mieten und Arbeitsplatzgarantien für das große Heer der Staats-diener. Finanziert hat man das vor allem aus Einnah-men aus den Erdölexporten.

Nach dem Fall der Mauer und der Auflösung des Ostblocks hat sich für Syrien die politische Groß-wetterlage verändert. Im Jahr 2000 starb der lang-jährige Diktator Hafez al-Assad, und sein Sohn Bas-har, ein in London ausgebildeter Augenarzt, über-

Der armenische Silberschmied Hakop Okasjian – hier vor seinem

Laden in Aleppo – fühlt sich in Syrien sicher und respektiert.

CLAUDIA MENDE

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nahm die Macht. Das neue Regime konnte die auf-gestauten Entwicklungsprobleme nicht mehr länger ignorieren. Die Erlöse aus Ölexporten gehen kontinuierlich zurück, weil die Quellen sich lang-sam erschöpfen. Dazu kommen ein hohes Bevölke-rungswachstum von 2,5 Prozent und zunehmende ökologische Probleme wie gravierender Wasser-mangel in der Landwirtschaft und häufige Dürrepe-rioden, die die Staatseinnahmen gewaltig unter Druck setzten. Die 1,5 Millionen Flüchtlinge aus

dem Irak, die Syrien im Gegensatz zum Nachbar-land Jordanien großzügig aufgenommen hat, belas-ten die soziale Infrastruktur des Landes zusätzlich. Assad blieb zur Öffnung Syriens für den Weltmarkt keine wirkliche Alternative. 2006 verkündete der Präsident mit dem neuen Fünfjahresplan seinen Schwenk zur sozialen Marktwirtschaft.

Seitdem sind private Banken entstanden und der Wechselkurs des syrischen Pfund wurde freigege-ben. Die Zölle auf Importe und damit auch Handels-schranken wurden abgebaut, ausländische Investo-ren angelockt und Staatsbetriebe privatisiert. Seit 2007 hat Damaskus sogar eine Börse. Deutsche Ex-perten unterstützen im Auftrag des Bundesminis-teriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) die syrische Führung bei der Li-beralisierung der Wirtschaft. Unter anderem haben sie sie zum Beispiel bei der Neuformulierung des Steuerrechts und des Banken- und Wettbewerbsge-setzes beraten.

Politisch hingegen hat der junge Assad die Hoffnun-gen weitgehend enttäuscht. Nach einem kurzen „Da-maszener Frühling“, der gleich nach seinem Amtsan-tritt mehr Meinungsfreiheit verhieß, wurden die In-tellektuellen wieder zurückgepfiffen. Trotzdem ist Syrien heute von der bleiernen Zeit der 1980er Jahre

weit entfernt. Auf lokaler Ebene ist so etwas wie Bür-gerbeteiligung ansatzweise möglich, solange die In-teressen des Regimes nicht direkt gefährdet sind. So versucht die Stadt Aleppo als erste Kommune des Nahen Ostens, die Lokale Agenda 21 zur nachhalti-gen Entwicklung anzuwenden.

Die Wirtschaftsreformen zeigen zum Teil Wirkung, aber sie schaffen auch viel Unmut, weil sie die soziale Ungleichheit verstärken. Die Wirtschaft ist 2007 um 3,3 Prozent gewachsen, während sie in den 1990er Jahren mit durchschnittlich rund einem Prozent stag-nierte. Die gestiegene Wirtschaftskraft kommt jedoch nicht der breiten Masse der Bevölkerung zugute. „Die Schere zwischen Arm und Reich ist in den letzten fünf Jahren deutlich auseinandergegangen“, sagt der Poli-tikwissenschaftler André Bank vom Institut für Nah-ost-Studien in Hamburg. Für viele Syrer ist das Leben heute härter. In Damaskus schießen internationale Fastfood-Ketten, teure Cafés und Nobelhotels aus dem Boden, die pro Nacht das Mehrfache des Monatsge-halts eines Lehrers, durchschnittlich etwa hundert Euro, verlangen. Viele der Armen, deren Anteil an der Bevölkerung laut den Vereinten Nationen 30 Prozent beträgt, leben in den informellen Siedlungen von Da-maskus und Aleppo.

Wenn dann wie 2008 Subventionen auf Öl und Gas reduziert werden, um den Staatshaushalt zu entlas-ten, trifft das viele Familien hart. Damals gab es spontane Proteste auf den Straßen von Damaskus, die auch die Sicherheitsdienste nicht ganz verhin-dern konnten. Von der wirtschaftlichen Öffnung pro-fitieren vor allem die direkt mit dem Regime verbun-dene Unternehmensfamilien und Clans. Viele Syrer empören sich hinter vorgehaltener Hand über Rei-che, die sich an keinerlei Gesetze halten, oder Abge-ordnete der Baath-Partei, die für ihre Dienste kräftig kassieren. Wer die grassierende Korruption der füh-renden Cliquen öffentlich anspricht, der bekommt sehr schnell Probleme mit der Staatsgewalt. So wie der prominente Regimekritiker Riad Seif, ein Ge-schäftsmann und früherer Abgeordneter. Seif hatte es gewagt, öffentlich die Vergabe lukrativer Mobil-funklizenzen an den Assad-Clan zu kritisieren. 2008 wurde er zum zweiten Mal zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt.

Die Minderheiten in Aleppos christlichem Viertel fürchten, dass mit wachsender Islamisierung und steigenden sozialen Spannungen auch das Klima re-ligiöser Toleranz im Land gefährdet sein könnte. Denn die Kritik an sozialer Ungleichheit und dem Fehlen von Demokratie und Mitbestimmung äußert sich immer lauter in islamischem Gewand. „Die Glo-balisierung schafft so etwas wie eine Angst vor Iden-titätsverlust unter manchen Muslimen“, sagt der chaldäisch-katholische Bischof von Aleppo, der Jesuit Antoine Audo. „Diese Angst äußert sich dann in ei-nem krampfhaften Festhalten an einer rückwärtsge-wandten Form des Islam.“ Ob diese Sorge berechtigt ist, wird die Zukunft zeigen.

Claudia Mende ist freie Journalistin mit Schwerpunkt

Entwicklungspolitik in München und ständige Korrespondentin

von .

Am Strand von Lattakia: Im sogenannten „burkini“ können Frauen islamisch

korrekt schwimmen gehen. CLAUDIA MENDE

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„Wir lieben die Demokratie“Die Muslimbrüder in Ägypten betonen ihr gesellschaftliches Engagement

Gespräch mit Ali Laban

Herr Laban, in Deutschland gelten Muslimbrüder als gefährlich, sie werden vom Verfassungsschutz überwacht. Sie sind Muslimbruder. Welche Ziele haben Sie eigentlich?

Die Menschen im Westen kennen die Muslimbrüder nur über die Medien und über das, was ihre Re-gierungen verbreiten. Da ist es kein Wunder, dass sie Angst vor uns haben. Eigentlich wäre es schön, wenn im Westen häufiger die Frage gestellt würde, welche Ziele wir haben.

Und wie lautet dann Ihre Antwort?

Die Muslimbrüder lieben die De-mokratie, die Menschenrechte und fördern die Beteiligung der Frauen am öffentlichen Leben. Wir wollen eine gerechtere Weltordnung und die Verwirklichung der Menschen-rechte nach der UN-Charta. Das ist auch im Interesse des Westens,

sonst kommen immer mehr Men-schen zu euch. Wir sollten von der Wiedervereinigung Deutschlands lernen. Ihr habt Millionen in den Aufbau Ost gesteckt, damit die Menschen in Ostdeutschland blei-ben. Europa sollte ein ähnliches Programm für die südlichen Mit-telmeerländer auflegen.

Denken Sie bei Demokratie an das heutige Europa oder an das Vorbild der Urgemeinde in Medina unter dem Propheten Mohammed?

Wir wollen, dass das Volk sich sei-ne Regierenden aussuchen kann und dass niemand mit Fälschung oder Schlägertrupps den Willen des Volkes verfälscht. Es war nicht das Ziel unseres Propheten, dass wir in alle Ewigkeit das Beispiel von Medina kopieren. Er hat gesagt, dass jede Zeit ihre Besonderheiten hat und man die Regierung anpas-sen muss. Für Glaubensfragen gilt

das aber natürlich nicht. Das Gebet oder das Fasten darf niemand ver-ändern und es ist das höchste Ge-bot der Politik, diese Werte zu be-schützen und zu bewahren.

Was wäre, wenn das Volk eine Frau an die Spitze der Regierung wählt? Hätten Sie damit ein Problem?

In einer freien Gesellschaft kann es verschiedene Denkrichtungen geben. Wenn Sie eine Partei hät-ten, würde diese vielleicht eine Frau aufstellen. Meine würde es nicht tun. Wenn das Volk die Frau wählen würde: Willkommen! Dann werden wir nicht dagegen Widerstand leisten.

Aber würden nicht diejenigen, die eine Präsidentin unislamisch fin-den, sie bekämpfen?

Vielleicht, aber diese Diskussion ist überflüssig: Im Moment kann in

Die islamisch-fundamentalistische Muslimbruderschaft ist in Ägypten verboten. Dennoch sitzen 88 Mit-glieder der Bruderschaft im derzei-tigen Parlament; von ihnen hat Ali Laban die längste politische Erfah-rung. Seit 1995 vertritt der 53-Jäh-rige seinen Wahlkreis am Stadt-rand von Kairo, in dem vor allem Arbeiter großer Fabriken leben so-wie Menschen, die im Zuge der Wirtschaftsreformen ihre Jobs ver-loren haben.

Die Muslimbruderschaft wurde 1928 von Hassan Al Banna in Ägypten gegründet und zwanzig Jahre später nach Anschlägen von der Regierung verboten. Den-noch sind „al Ikhwan“, die Brüder, die mächtigste Opposition im Land. Die islamisch-fundamenta-listische Bewegung setzt auf die Veränderung der Gesellschaft von innen und ist bei weiten Teilen der Bevölkerung beliebt, weil sie ein weitgespanntes Netz von so-zialen Einrichtungen – Kranken-häuser, Schulen, Kindergärten – unterhält. Die Muslimbrüder wa-ren in der auslaufenden Legisla-

turperiode mit 88 Abgeordneten im Parlament vertreten. Sie tre-ten als „unabhängige“ Kandida-ten an und bilden nach der Wahl eine inoffizielle Fraktion.

Die ägyptische Regierung geht hart gegen sie vor. Sie werden willkürlich verhaftet und von Mi-litärgerichten zu oft langen Ge-fängnisstrafen verurteilt. 2008 veröffentlichte die Bruderschaft eine Art „Arbeitsprogramm“, in dem sie einige politische Ziele for-muliert. Vieles bleibt jedoch vage. Die Angst vor der Bruderschaft ist ein wichtiges Pfund, mit dem die

Regierung von Hosni Mubarak im Inland, aber auch gegenüber Eu-ropa und den USA wuchert: Kritik wegen Menschenrechtsverlet-zungen und gefälschten Wahlen tritt sie mit dem Verweis auf ihre Verdienste beim Kampf gegen die Islamisten entgegen.

Die Muslimbruderschaft ist we-nig transparent: Oft bleibt ge-heim, wer Mitglied ist und wie man dazu wird. Sie hat Ableger in vielen Ländern der Welt. In Jorda-nien und Marokko sitzen Mus-limbrüder im Parlament, in Gaza stellt sie mit der Hamas sogar die

Regierung. In Deutschland leben viele Muslimbrüder, die aus Ägypten oder Syrien vor Repres-sionen geflohen sind. Ihr Netz-werk ist hierzulande informell und wird vom Verfassungsschutz beobachtet. Hintergrund der Be-denken gegen die Bruderschaft ist ihr in der Vergangenheit nicht immer klares Verhältnis zu poli-tischer Gewalt. Said Qutb, der Vordenker des islamischen Heili-gen Krieges, des Dschihad, gehör-te zur Bruderschaft. Ihre offiziel-len Führer haben sich gegen den bewaffneten Kampf ausgespro-chen. ( jg)

Die Muslimbrüder – sozial oder radikal?

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diesem Land niemand, keine Frau, kein Mann, kein Christ und kein Muslim Präsident werden, es sei denn er ist von der Regierungspar-tei. Das ist unser eigentliches Prob-lem und die Frage nach den Frauen ist Gesprächsstoff für Menschen, die in klimatisierten Büros sitzen. Ich versichere Ihnen: Im Moment würden wir jeden frei gewählten Präsidenten akzeptieren – Männer, Frauen und Christen.

Trotzdem: Für welche politischen Rechte der Frauen machen sich denn die Muslimbrüder stark?

Die Frauen haben volle Rechte, aber es gibt Grenzen, welche wir einhalten müssen. Das ist die Scharia. Sie hindert eine Frau nicht daran, zu arbeiten und sich zu engagieren. Wir stellen Frauen als Kandidatinnen bei den Parla-mentswahlen auf und sind für die Beteiligung an der Politik und im

Berufsleben, aber Staatsober-haupt ist ein Job für Männer.

Aber Sie haben doch eben gesagt, dass Sie für die Verwirklichung der UN-Menschenrechte eintreten. Das ist doch etwas anderes als die Frauenrechte nach der Scharia.

Wir wollen, dass der Bürger gut leben kann, dass er einen Job mit einem angemessenen Einkom-men und politische Rechte hat. Wir wollen ein System, das den Reichtum gerecht verteilt. Hier verdienen viele Jugendliche – wenn sie überhaupt einen Job fin-den – vielleicht 80 Euro im Monat. Davon kann man hier nicht leben. Auf der anderen Seite werden die Fabrikbesitzer immer reicher. Es gibt in diesem Land inzwischen Spezialkliniken für Hunde, aber zugleich wissen viele Menschen nicht, wo sie sich hinwenden sol-len, wenn sie krank sind.

Viele Menschen in Ägypten haben Angst davor, dass die Muslimbrü-der an die Macht kommen. Ein Argument ist, dass Sie dann die Christen unterdrücken würden.

Wir fühlen uns unseren christli-chen Brüdern sehr nahe. Ich sage das nicht, weil die UN es von mir verlangt, sondern aus ganz egois-tischem Interesse: Damit ich ins Paradies komme. Auch wollen wir ja einen zivilen Staat, keinen Got-tesstaat. Jeder Bürger hat die glei-chen Rechte. Nur im Familien-recht gelten unterschiedliche Re-geln. Hier hat jede Glaubensge-meinschaft ihr eigenes Recht.

Gibt es denn andere Länder, die Ih-nen als Beispiel dienen?

Jedes Land ist anders, aber die Türkei ist ein gutes Beispiel, da sie zeigt, wie gut eine islamisch ge-prägte Regierung in einem nicht religiösen Staat funktionieren kann.

Befürchtungen, dass die Muslim-brüder, wenn sie an die Macht kä-men, als erstes die Demokratie und als nächstes die Rechte von Frauen und Christen abschaffen würden, sind also unberechtigt?

Es wird so viel Angst geschürt. Wieso lässt man uns nicht einfach mal machen? Wenn Sie behaupten, dass Sie guten Kuchen backen kön-nen, dann würde ich Sie ja auch in die Küche schicken, um es zu be-weisen, bevor ich es Ihnen glaube. Lassen Sie es uns beweisen!

Sie sind der Vertreter der Muslim-brüder mit der längsten Erfahrung im Parlament. Was haben Sie in Ih-rer Zeit als Abgeordneter erreicht?

Mich freut am meisten, dass sich die Dienstleistungen in meinem Wahlkreis sehr verbessert haben. Dies ist ein armer Wahlkreis mit vielen Problemen. Im Parlament habe ich mich vor allem für mehr politische Freiheiten eingesetzt. Auch um Umweltschutz habe ich mich bemüht. Nicht zuletzt, weil mein Wahlkreis das wohl größte Industriegebiet Ägyptens mit entsprechenden Problemen ist.

Und waren Sie bei der Arbeit im Parlament erfolgreich?

Zwischen 1995 und 2000 gab es insgesamt nur 15 Oppositionsab-geordnete im Parlament mit 458 Sitzen. Ich war der einzige der

Der 53-jährige Muslimbruder Ali Laban sitzt seit 1995

im ägyptischen Parlament.

Parlamentswahl 2005 in Ägypten. Eine Anhängerin der Muslimbrüder

protestiert gegen die Schließung eines Wahllokals durch die Polizei

in Alexandria.THE NEW YORK TIMES/REDUX/LAIF

JULI

A G

ERLA

CH

„Allen Beteiligten ist klar, dass die ägyptische Regierung bei freien Wahlen sofort weg vom Fenster wäre.“

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Muslimbrüder. In der nächsten Wahlperiode waren wir 17 und jetzt zuletzt 88. Diese Zahlenver-hältnisse machen klar, dass die Regierung uns ignorieren kann. Wir lassen trotzdem nicht locker. Schließlich fragen uns ja auch un-

sere Wähler, wozu sie uns ihre Stimme geben sollen.

Ist das nicht frustrierend?

Ich ziehe meine Kraft aus meinem Glauben und ich habe eine Bot-schaft, die ich verbreiten will. Po-litische Freiheiten will die Regie-rung auf keinen Fall diskutieren. Schließlich ist allen Beteiligten klar, dass sie bei freien Wahlen so-fort weg vom Fenster wäre.

In Ägypten ist die Arbeit im Parla-ment nur ein Teil der Arbeit eines

Abgeordneten. In erster Linie küm-mert er sich um seinen Wahlkreis.

Ich höre mir an, was die Men-schen brauchen, und dann ver-handle ich mit den Ministerien, dass etwas passiert. Wir Abgeord-neten der Muslimbruderschaft haben besondere Prinzipien: Wir wohnen im Wahlkreis, das ist lei-der nicht selbstverständlich. Wir haben auch keinen anderen Beruf, den wir neben unserem Amt aus-üben, und wir sind nicht korrupt.

Ende November wird in Ägypten das Parlament gewählt. Viele gehen davon aus, dass die Regierung alles daran setzen wird, dass die Muslim-brüder nicht wieder ins Parlament kommen. Angeblich wurden Ihre Sitze anderen Oppositionsparteien versprochen, wenn die sich regie-rungsfreundlich verhalten.

Ja, es wird dieses Mal wohl noch mehr gefälscht werden als sonst, aber man weiß nie. An einem Ort wird gefälscht, am nächsten geht es sauber zu. Man darf nicht auf-geben.

Viele andere Oppositionsgruppen boykottieren wegen der Fälschung die Wahlen. Wieso schließen Sie sich dem Boykott nicht an?

Ein Boykott macht nur Sinn, wenn sich alle Oppositionsparteien am Boykott beteiligen, sonst spielt die Regierung sie gegeneinander aus. Es hat leider keine einheitliche Boykotthaltung gegeben.

Seit einiger Zeit haben Sie sich mit der Bewegung von Mohammed ElBaradei zusammengetan, der bis 2009 die Internationale Atom-energie-Agentur geleitet hat und jetzt für politische Reformen in Ägypten eintritt. Sie sammeln Un-terschriften für seine Initiative die Verfassung so zu ändern, dass auch Kandidaten, die nicht der Regie-rungspartei angehören, bei den Prä-sidentschaftswahlen 2011 antreten dürfen. Das hat viele erstaunt, weil Sie so unterschiedlich scheinen.

Bisher hat ElBaradei nicht gesagt, dass er für die Präsidentschaft kandidieren will und darum geht es auch nicht in erster Linie. Uns verbindet, dass wir Veränderung wollen. Wir wollen faire, freie Wahlen. ElBaradei will das System verändern. Das wollen wir auch.

Der Preis dafür ist hoch. Muslim-brüder wurden verhaftet und ge-foltert. Haben Sie keine Angst?

Ich habe Angst vor dem Gefängnis und davor, gefoltert zu werden. Gerade gegen die Kandidaten der Muslimbrüder ist bei den Wahlen immer heftig vorgegangen wor-den. Da wurden Familienmitglie-der der Kandidaten verhaftet und es wurde ihnen Gewalt angetan. Aber unsere Sache ist größer. Ich kann nicht aufgeben. In diesem Zusammenhang möchte ich auf die Mitverantwortung Deutsch-lands hinweisen. Hört auf, unsere Diktatur zu unterstützen! Wir sind gegen Einmischung von außen, aber unsere Regime leben von den guten Beziehungen zum Westen. Es gibt in der ganzen Welt Muslim-brüder und überall schafft es die ägyptische Regierung, dass sie als Terroristen gesehen werden.

Das Gespräch führte Julia Gerlach.

„Es gibt hier Spezialkliniken für Hunde, aber viele Menschen wissen nicht, wo sie sich

hinwenden sollen, wenn sie krank sind.“

Er verkörpert das heutige Ägypten ...wirtschaftlichen Fortschritt, aber

politische Lähmung!

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Endlicher ReichtumMehr als 60 Prozent der weltweiten Ölreserven lagern in fünf Ländern: in Saudi-Arabien, Ku-weit, Irak, Iran und in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Das beschert der politisch instabi-len Golfregion eine hohe geostrategische Aufmerksamkeit und ein stabiles Wirtschaftswachs-tum, das aller Voraussicht nach noch einige Jahre anhalten wird. Doch die Vorbereitungen für die Zeit nach dem Öl laufen schon: Staatsfonds sind eine der neuen Einkommensquellen.

Von Gesine Kauff mann

Die Golfstaaten versuchen, sich aus der

Abhängigkeit vom Öl zu lösen

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Öl-Welt 2009

Öl ist der Treibstoff der Weltwirtschaft – und die Staaten am Persischen Golf haben reichlich davon. Direkt oder indirekt wird es für die Produktion von 95 Prozent aller Industriegüter benötigt. Es steckt in Kosmetika, Tabletten, Kleidern und Chemikalien, es treibt Diesel- und Benzinmotoren an und sorgt nicht zuletzt für warme Wohnungen. 2008 deckte Öl gut 33 Prozent des weltweiten Primärenergiebedarfs.

Im folgenden Jahr sank der Verbrauch laut dem Welt-energiebericht von BP zwar infolge der Weltwirt-schaftskrise weltweit um 1,7 Prozent. Doch mit der wirtschaftlichen Erholung ist die Nachfrage wieder gestiegen. Dafür sorgen vor allem energiehungrige Schwellenländer wie Indien und China. Saudi-Arabi-en, Kuwait, Irak, der Iran und die Vereinigten Arabi-

schen Emirate (VAE) verfügen über 60 Prozent der weltweiten Ölreserven – allen voran Saudi-Arabien, unter dessen Landesfl äche allein 22 Prozent der Re-serven lagern, mehr als 35 Milliarden Tonnen. Im vergangenen Jahr wurde das Königreich (Förderung: 459,5 Millionen Tonnen) als weltgrößter Ölprodu-zent von Russland (Förderung: 494,2 Millionen Ton-nen) abgelöst. Das ist aber darauf zurückzuführen, dass die Organisation erdölexportierender Länder (OPEC), der Saudi-Arabien als führendes Mitglied an-gehört, ihre Förderung gedrosselt hat, um den Preis am Weltmarkt zu erhöhen. Russland ist kein Mitglied der OPEC. Saudi-Arabien bleibt jedoch der weltweit führende Öl-Exporteur. Das Königreich, das 49 be-kannte Ölfelder und 28 Gasfelder besitzt, liefert mehr als 16 Prozent des weltweiten Erdöls.

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Ihr Ölreichtum macht die politisch instabile Golfre-gion zu einem Zentrum von geostrategischem Inter-esse und zu einem wichtigen Handelspartner für In-dustrie- und Schwellenländer. In absehbarer Zeit wird das so bleiben. Denn trotz aller Bemühungen, die Energie- und Treibstoffversorgung stärker aus Gas, Wind- und Wasserkraft sowie nachwachsenden Rohstoffen zu decken, wird sich die Abhängigkeit vom Öl wohl nicht so schnell beenden lassen. Die Golfstaaten werden weiter gut daran verdienen, auf durchschnittlich 5 Prozent schätzt der Internationale Währungsfonds ihr Wirtschaftswachstum in den kommenden zwei Jahren.

Doch der Reichtum ist endlich. Seit den 1980er Jahren wird mehr Erdöl verbraucht als gefunden; seit Jahren streiten Experten darüber, wie lange die weltweiten Vorräte noch ausreichen. Der BP-Chefökonom Christof Rühl geht davon aus, dass die Ende 2009 vorhandenen globalen Reserven von 1333 Milliarden Barrel beim derzeitigen Verbrauch noch für knapp 46 Jahre rei-chen werden. Umstritten ist auch der „peak oil“, der Zeitpunkt, an dem die Ölförderung ihren Höhepunkt überschreitet und die weltweiten Vorräte allmählich zurückgehen. Die Internationale Energie-Agentur pro-gnostiziert ihn für das Jahr 2020, andere Fachleute sagen ihn bereits für dieses Jahr voraus. Zwar gab Ab-dallah S. Jum’ah, der damalige Präsident der saudi-schen Erdölfördergesellschaft Saudi Aramco, im No-vember 2008 vor dem Weltenergierat in Rom Entwar-nung: Angesichts der enormen Reserven müsse sich die Welt um einen „peak oil“ noch lange keine Sorgen machen. Doch die Golfstaaten bereiten sich schon längst darauf vor, ihre Volkswirtschaften auf eine breitere Basis zu stellen und so die Abhängigkeit von ihrem wertvollsten Rohstoff zu reduzieren.

Laut Eckart Woertz vom Golf-Forschungszentrum in Dubai sind je nach Land mehr als 40 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP), mehr als zwei Drittel der Staatseinnahmen und bis zu 90 Prozent der Ex-porterlöse auf die Produktion und den Handel mit Erdöl zurückzuführen. Damit das nicht so bleibt, in-vestieren diese Länder in den Ausbau der Petroche-mie, in Tourismus, Logistik, Dienstleistungen und Handel. Die Staaten des Golfkooperationsrates (GKR) produzierten bereits zehn Prozent der weltweiten petrochemischen Erzeugnisse, schreibt Woertz in ei-nem Beitrag für die 2008 erschienene Publikation „Im Fadenkreuz der Großmächte - Die Geopolitik der Golfregion“ der Konrad-Adenauer-Stiftung. Bei der Aluminium- und Düngemittelproduktion seien für 2010 ähnliche Marktanteile zu erwarten. Wie schwie-rig es ist, sich aus der Ölabhängigkeit zu lösen, zeige das Emirat Dubai: Der Rohstoff trage inzwischen nur

noch 3 Prozent zu seinem BIP bei, die lokale Alumini-umindustrie sowie der Tourismus seien mit weit hö-heren Anteilen vertreten, erläutert Woertz. Doch vie-le Investitionen kommen aus den benachbarten öl-exportierenden Ländern und aus Russland. Zugleich verbraucht Dubai viel Energie und ist künftig auf günstige Ölimporte angewiesen – eine indirekte Ab-hängigkeit bleibt.

Ihre hohen Öleinkünfte legen die Golfstaaten in Staatsfonds an, die sich mehr und mehr zu einer wichtigen Einkommensquelle entwickeln. Die Fonds gehören zu den größten institutionellen Anlegern der Welt. Das Internationale Finanzinstitut (IFF) in Washington erwartet, dass der Wert des Auslands-vermögens der GKR-Staaten um rund 30 Prozent von 1049 Milliarden US-Dollar Ende 2009 auf 1340 Milli-arden US-Dollar Ende 2011 steigen wird. Dazu zählen etwa die Abu Dhabi Investment Authority (ADIA),

Die Golfstaaten investieren vor allem in den USA und in Europa, etwa in den Luftfahrtkonzern EADS,

in Daimler und Volkswagen.

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dem das IFF bis Ende 2010 ein Wachstum seines Ver-mögens auf 390 Milliarden US-Dollar voraussagt, oder die Kuwait Investment Authority (KIA), deren Vermögen laut Experten 300 Milliarden US-Dollar betragen soll. Sie investieren vor allem in den USA und in Europa, etwa in den europäischen Luftfahrt-konzern EADS und in Daimler. Das Emirat Katar ist seit dem vergangenen Jahr Großaktionär beim deut-schen Autobauer Volkswagen.

Die Nahost-Experten Sven Behrendt und Joseph Helou von der US-amerikanischen Carnegie-Stiftung sehen die Golfstaaten im Übergang von der Öl- zur Finanz-wirtschaft. Damit einher gehe eine zunehmend akti-vere Rolle in verschiedenen globalen Politikfeldern, schreiben die Wissenschaftler in der Juli-Ausgabe des Journal of Energy Security. So hat sich Abu Dhabi im Wettstreit um den Sitz der internationalen Agentur für Erneuerbare Energien (IRENA) gegen Bonn durchge-setzt und macht sich nun stark für deren Ziele. Katar hat sich inzwischen einen respektablen Ruf als Media-tor in regionalen Konflikten erworben, zuletzt bei der Vermittlung eines Waffenstillstandes zwischen der Regierung des Jemen und den Huthi-Rebellen. Saudi-Arabien ist zum Mitglied der G20 avanciert, dem Zu-sammenschluss der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer. Befürchtungen, die Golfstaaten setzten Öl oder ihre finanziellen Investitionen gezielt für die Erreichung außenpolitischer Ziele ein, halten Behrendt und Helou jedoch für übertrieben.

Doch wie decken die Staaten am Persischen Golf an-gesichts begrenzter Ölvorräte ihren eigenen Energie-

bedarf? Laut Eckart Woertz vom Golf-Forschungs-zentrum steigt ihr Ölkonsum jährlich um rund 5 Prozent, bei Gas und Strom sind die Zuwachsraten bis zu doppelt so hoch. Dafür verantwortlich sind die wachsende Bevölkerung, eine schlechte Energieeffi-zienz sowie ein hoher Energiebedarf bei der Entsal-zung von Meerwasser für die Trinkwassergewin-nung, die Kühlung von Gebäuden und die Auswei-tung der Industrie. Interessenskonflikte zwischen den Erfordernissen des Exports und dem wachsen-den heimischen Bedarf seien absehbar, meint Wo-ertz. Verschiedene GKR-Staaten planten deshalb den Aufbau einer Atomindustrie.

Die Vereinigten Arabischen Emirate gehen versuchs-weise einen anderen Weg: 30 Kilometer östlich von Abu Dhabi hat im Februar 2008 der Bau von Masdar City begonnen, einer Ökostadt, die vollständig aus erneuerbaren Energien versorgt werden soll. Die Meerwasserentsalzung etwa soll mit Sonnenergie bewerkstelligt werden, ein ausgeklügeltes öffentli-ches Verkehrsnetz ist geplant. Die Stadt soll künftig 50.000 Menschen ein Zuhause bieten, eine Universi-tät und Firmen aus dem Umweltbereich sollen dort angesiedelt werden. Im Frühjahr wurde allerdings von finanziellen Problemen berichtet, statt 2016 wird nun 2020 als Einweihungstermin genannt.

Saudi-Arabien wiederum will seinen wertvollsten Rohstoff noch etwas aufsparen und hat die Erkun-dung neuer Ölfelder vorerst gestoppt. Man wolle den Wohlstand auch an künftige Generationen weiterge-ben, wie König Abdullah im Juli betonte.

Gesine Kauffmannist Redakteurin

bei .

Drei große internationale Kriege sind seit 1980 am Persischen Golf geführt worden. Um die Sicher-heitsprobleme am Golf zu verste-hen, begreift Gregory Gause die Region als „regionalen Sicher-heitskomplex“: Saudi-Arabien, die Golf emirate sowie der Iran und der Irak definieren ihre Sicherheit vor allem mit Bezug aufeinander, und einige suchen den Schutz der USA, die Teil dieses regionalen Systems sind.

Der Ölreichtum begründet die weltpolitische Bedeutung der Regi-on, macht die Kontrolle über Terri-torien dort wertvoll und verschafft

den Staaten die Mittel, Krieg zu führen. Doch das allein erklärt laut Gause keinen der Kriege. Hinzu kommen „transnationale Identitä-ten“: Ethnische oder religiöse Grup-pen wie Kurden, Belutschen und Schiiten leben in mehreren Staa-ten, und die Herrscher des einen können sie zur Destabilisierung des anderen mobilisieren. Solche Gruppen können sich aber auch der Kontrolle ihrer Patrone entzie-hen, wie Gause am Bespiel von Al-Qaida sehr schön zeigt.

Das dritte Kennzeichen des regio-nalen Sicherheitssystems ist die Einwirkung der USA. Zunächst von der Sorge ums Öl motiviert, traten bald geopolitische Ziele in den Vor-dergrund: die Eindämmung der Sowjetunion und seit der irani-schen Revolution 1979 die Stabili-sierung der politischen Ordnung

angesichts der Konflikte am Golf. Militärisch haben sich die USA im-mer stärker engagiert – auch auf Einladung eines Teils der Golfstaa-ten. Entscheidend für deren Politik war ihr Bestreben, das eigene Re-gime gegen von den Nachbarn ausgehende und meist überschätz-te Bedrohungen zu sichern. Dies war laut Gause der wichtigste Fak-tor der Kriege am Golf.

Der Entscheidung der US-Regie-rung, den Irak anzugreifen, wid-met er ein eigenes Kapitel. Sie markiert für ihn eine Kehrtwen-de: Bis dahin suchten die USA die bestehende Ordnung zu stützen; nun wollten sie eins der Regime stürzen und eine Demokratisie-rung in der ganzen Region auslö-sen. Die Terroranschläge in New York waren die Ursache dieses Strategiewechsels, zeigt Gause. Er

lässt keinen Zweifel daran, dass der Angriff dilettantisch und ver-hängnisvoll war. Seitdem fällt der Irak als Machtfaktor aus und es gibt nur noch zwei Vormächte am Golf: den Iran und Saudi-Arabien. Ihre Rivalität wird für Gause ne-ben der Frage, ob der Irak als Staat stabilisiert werden kann und die USA wieder zu einer Status-Quo-Politik zurückkehren, über die Zu-kunft der Sicherheitsarchitektur in der Region entscheiden.

Das Buch beschränkt sich auf Fra-gen der Sicherheitspolitik. Gause rückt dabei die Kalküle der Re-gime am Golf in den Blick und schildert verwickelte Prozesse sehr differenziert. Das ist über-zeugend und macht das Buch auch zu einer guten Einführung in die politische Geschichte der Region. Bernd Ludermann

BUCH ZUM THEMA

F. Gregory Gause, IIIThe International Relations of the Persian GulfCambridge University Press, Cambridge 2009, 170 Seiten, ca. 20 Euro

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Zehn Jahre nach dem Abkommen von Arusha steckt der Friedensprozess in Burundi in einer tiefen Krise. Eigentlich hatte sich nach dem langem Bürgerkrieg ein demokratisches System etabliert. Mit den jüngs-ten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen, die von der Opposition boykottiert wurden, ist das wie-der in Frage gestellt; es droht eine Rückkehr zu Ge-walt. Die Verträge von Arusha, die im Jahr 2000 un-

terzeichnet wurden, sollten eine lange Periode der Instabilität in Burundi beenden. Hintergrund des jahrzehntelangen Konfliktes in dem ostafrikani-schen Land ist die Spaltung der Bevölkerung entlang ethnischer Linien. Unter der belgischen Kolonialherr-schaft hatten die Tutsi Privilegien erhalten, während die Hutu, die etwa 85 Prozent der Bevölkerung stel-len, weitgehend von Bildung und politischer Teilha-

Die Opposition in Burundi hat die jüngsten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Som-mer boykottiert. Sie wirft der Regierung Fälschungen in großem Umfang vor; ausländische Beobachter teilen diese Einschätzung jedoch nicht. Präsident Pierre Nkurunziza verfügt nun über die absolute Mehrheit und kann seine Macht ausbauen. Das Vertrauen der Bevölkerung in den Aufbau demokratischer Strukturen hat einen schweren Schlag erlitten. Und es besteht das Risiko, dass frühere Rebellengruppen wieder zu den Waffen greifen.

Von Ilona Auer-Frege

Burundi droht nach zahlreichen Wahlen in

diesem Jahr ein Rückfall in die Gewalt

Den Auftakt für den Wahlmarathon 2010 bildeten die Kommunalwahlen

im Mai, hier in Bujumbura. ESDRAS NDIKUMANA/AFP/GETTY IMAGES

Dämpfer für die Demokratie

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nieren sie sich heute oft entlang ehemaliger militäri-scher Bündnisse oder anhand der Zugehörigkeit zu regionalen Gruppen, Familien oder Clans. Sie stehen weniger für inhaltliche politische Programme als für die Interessen solcher einzelnen Gruppen.

Die ersten Parlamentswahlen Mitte 2005 gewann der CNDD-FDD mit großer Mehrheit, sein Führer Pierre Nkurunziza wurde Staatspräsident. Das Ziel war, ein tragfähiges demokratisches System einzurichten, um der Aussöhnung mit der letzten Rebellenbewegung FNL eine Basis zu geben. Agathon Rwasa und die FNL wollten noch bis 2009 mit Waffengewalt einen Um-sturz in Bujumbura erzwingen und die eigene Rebel-lengruppe an die Macht bringen. Als Zeichen ihres Willens zur Integration in die zivile politische Land-schaft stimmte die FNL im April 2009 dann zu, die Waffen niederzulegen und sich als politische Partei zu registrieren. Die Demobilisierung und die Integration der FNL in die staatlichen Institutionen sowie in Ar-mee und Polizei sollten bis 2010 weitgehend beendet sein. Heute ist dieser Versuch der Demokratisierung wieder in Frage gestellt, weil Rwasa in den Wahlen die Übermacht der CNDD-FDD mit seinen begrenzten Mitteln nicht überwinden konnte.

Mit Pierre Nkurunziza hat zum ersten Mal ein bu-rundischer Präsident eine volle Amtszeit regiert und ist zur Wiederwahl angetreten. Damit konnte er Stabilität und Machtstrukturen etablieren wie kein Vorgänger je zuvor. Der Zugang zu staatlichen

BURUNDI WELT-BLICKE

be ausgeschlossen blieben. Seit der Unabhängigkeit 1961 spiegelte sich diese Spaltung in den Program-men aller Parteien wider, die sich bis 1996 fast aus-schließlich über die ethnische Zuordnung ihrer Mit-glieder definierten und die Feindseligkeiten ver-stärkten. Die Spannungen zwischen Tutsi und der

Hutu eskalierten mehrfach in wechselseitigen Pog-romen, die mehrere hunderttausend Tote forderten.

Das Friedensabkommen von Arusha legte nun fest, dass ab 2000 die Macht zwischen beiden Bevölke-rungsgruppen geteilt werden sollte. Eine Übergangs-regierung aus allen Bürgerkriegsparteien wurde ge-bildet. Zwei Rebellengruppen beteiligten sich zu-nächst nicht: der CNDD-FDD (Conseil national pour la défense de la démocratie – Forces de défense de la démocratie), der sich aber Ende 2003 dem Friedens-prozess anschloss, und die Forces Nationales de Libé-ration (FNL). Im März 2005 wurde eine neue Verfas-sung per Volksentscheid angenommen. Sie legt fest, dass in allen Parteien und politischen Institutionen die Ämter streng in einem Verhältnis von 60 Prozent Hutu zu 40 Prozent Tutsi besetzt werden müssen, um eine Vorherrschaft der Hutu auszuschließen und den Tutsi Schutz und Partizipation zu garantieren.

Dieses Prinzip hat unerwartet gut funktioniert, so dass die ethnische Ausrichtung der Parteien in den vergangenen zehn Jahren überwunden werden konn-te. Dennoch trugen die Parteien weiter Konflikte mit Gewalt aus. Anstelle der ethnischen Zuordnung defi-

Symbolischer Start des Demobili-sierungsprogramms Ende 2004:

Präsident Ndayizeye und die Vertreterin der Vereinten Nationen

in Burundi legen gemeinsam ein Gewehr aufs Feuer.

REUTERS

Einwohnerzahl (2008): rund 8,1 Millionen Pro-Kopf-Einkommen (PPP, 2009): 390 US-DollarLebenserwartung bei Geburt (2008): 50 JahreBevölkerungsgruppen: Hutu 85 %, Tutsi 14 %, Twa 1 %

Quelle: Weltbank und CIA Factbook (Zeile 4)

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WELT-BLICKE BURUNDI

Mitteln hat es der Regierungspartei CNDD-FDD er-laubt, in allen Provinzen eine Parteistruktur aufzu-bauen, die auch in entlegenen Gebieten Anhänger einbindet – ein strategischer Vorteil, den die viel schwächer finanzierten Oppositionsparteien nicht ausgleichen konnten. Zudem nutzte Präsident Nku-runziza die wirtschaftlichen und organisatorischen Vorteile seines Amtes, um Wahlkampf für sich und die CNDD-FDD zu machen. In zahlreichen Reisen durchs Land eröffnete er Entwicklungsprojekte, ver-teilte Nahrungsmittel und Vergünstigungen und

zeigte Präsenz und Anteilnahme. Er setzte Verbes-serungen im Bildungs- und Gesundheitsbereich durch, die zwar größtenteils von internationalen Gebern finanziert werden, ihm bei der Bevölkerung aber hohes Ansehen eintragen.

Nachdem die ersten Wahlen 2005 maßgeblich von den Vereinten Nationen organisiert worden waren, lag die Verantwortung in diesem Jahr erstmals in den Händen der nationalen Wahlkommission. Die Men-schenrechtsorganisation Amnesty International be-richtet, dass Dutzende Oppositionspolitiker, Regie-rungskritiker und Journalisten verhaftet, einige gefol-tert und ermordet wurden. Die Vorwürfe richteten sich insbesondere gegen den nationalen Geheim-dienst. Dies scheint auf internationalen Druck wieder abgestellt worden zu sein, doch wurden diese Verbre-

chen weder aufgeklärt noch Schuldige bestraft. Auch Mitglieder der Regierungspartei wurden überfallen oder getötet, offenbar meist von Angehörigen der FNL. Nichtstaatliche Organisationen (NGO) wurden be-droht, die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch musste im Mai das Land verlassen.

Am 24. Mai hielt Burundi die zweiten freien Kom-munalwahlen des Landes ab, bei denen 24 Parteien und fünf unabhängige Kandidaten antraten. Die CNDD-FDD gewann 64,03 Prozent der Stimmen, die FNL kam auf 14,15 Prozent. Es folgten die Union pour le Progrès national (UPRONA) mit 6,25 Pro-zent, die Front pour la Démocratie au Burundi (FRO-DEBU) mit 5,43 und das Mouvement pour la Solida-rité et la Démocratie (MSD) mit 3,75 Prozent. Dieses Ergebnis kam für die Vertreter der Opposition sehr überraschend. Aufgrund des großen Zulaufs, den sie bei ihren Wahlkampfveranstaltungen erfahren hatten, glaubten die Vorsitzenden der FNL und der UPRONA, dass sie die Wahlen gewinnen würden. In Burundi werden keine Wahlprognosen mit belast-

CNDD-FDD (Conseil national pour la défense de la démocratie–Forces de défense de la démocratie, Nationaler Rat für die Verteidigung der Demokratie – Kräfte der Verteidi-gung der Demokratie); ehemalige Rebellenorganisation aus der Volksgruppe der Hutu, die heute den Premierminister stellt.

FNL (Forces Nationales de Libération, Nationale Befreiungskräfte); Hutu-Rebellenorga-nisation, die 2009 die Waffen niedergelegt hat.

FRODEBU (Front pour la Démocratie au Burundi, Front für die Demokratie in Burundi); 1986 gegründete Partei, die ursprünglich die Interessen der Hutu vertrat.

UPRONA (Union pour le Progrès national, Vereinigung für nationalen Fortschrit); 1959 gegründete Partei, die ursprünglich die Interessen der Tutsi vertrat. (IAF)

Parteien in Burundi

Hutu-Kinder werden im Juni 1995 zu einer Registrierungsstelle gebracht.

Sie mussten ihre Häuser in Kamenge verlassen, weil dort die burundische

Armee, damals mehrheitlich Tutsi, Jagd auf Hutu-Milizen machte.

REUTERS

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BURUNDI WELT-BLICKE

baren statistischen Daten erhoben, deshalb nah-men die Oppositionspolitiker das Stimmungsbild aus dem Wahlkampf als Indikator für ihren siche-ren Sieg.

Sofort nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse erho-ben sie schwere Vorwürfe gegen die unabhängige Wahlkommission und die regierende Partei CNDD-FDD und erklärten, nur Wahlbetrug in großem Stil habe ihren Sieg verhindert. Dem widersprechen je-doch die Beobachtungen der EU-Wahlbeobach-

tungsmission, die mit 80 Vertretern im Land war, sowie die Aussagen der Vereinigung der burundi-schen NGOs, die mehr als 500 Beobachter in 2500 der 7000 Wahllokale im Einsatz hatte. Sie berichten übereinstimmend, dass es nur geringfügige Abwei-chungen vom vorgeschriebenen Wahlverlauf gege-ben habe, so dass der organisatorische Ablauf von Wahlen und Auszählungen als frei und fair galt. Of-fenbar hatten die Oppositionsparteien vor allem in den ländlichen Regionen weniger Bekanntheit und Einfluss als angenommen, und die Bevölkerung schätzte die seit 2005 etablierte Regierungspartei als Garanten für Stabilität und Sicherheit.

In den folgenden Wochen zogen dann die sechs wich-tigsten Oppositionsparteien ihre Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen am 28. Juni zurück, um ge-gen den angeblichen Wahlbetrug zu protestieren, und bildeten eine „Koalition der Opposition“, die die Wiederholung der Kommunalwahlen forderte. Der Boykott ermöglichte es Präsident Pierre Nkurunziza, mit absoluter Mehrheit im Amt bestätigt zu werden.

Danach, in den Wochen vor den Parlamentswahlen, erschütterte eine Welle von über hundert Spreng-stoffexplosionen Bujumbura und die ländlichen Pro-vinzen. Nach den Anschlägen der somalischen Al-Shabab-Miliz am 11. Juli in der ugandischen Haupt-stadt Kampala hatte die burundische Regierung, die neben Uganda als einzige Soldaten für die Frie-denstruppe in Somalia stellt, die Präsenz von Militär und Polizei in der Öffentlichkeit stark erhöht. Das wurde von der Bevölkerung zugleich als Machtde-monstration interpretiert.

Auch an den Parlamentswahlen am 23. Juli nahmen die bedeutenden Oppositionsparteien außer der UPRONA nicht teil. Offenbar fürchteten sie, als Min-derheit im Parlament keinerlei Einfluss zu haben. Die Folge war, dass die CNDD-FDD die absolute Mehr-heit im Parlament gewann. Das politische Wechsel-spiel zwischen Regierung und Opposition ist noch nicht genügend gefestigt, um auch die Vertreter der kleineren Parteien einzubinden. Die Regierungspar-tei dominiert die politischen Ämter und Entschei-dungen so stark, dass die Rolle der Opposition unat-traktiv geworden ist.

Das Ausscheren der Oppositionsparteien hat die jun-ge Demokratie in Burundi nachhaltig beschädigt. Die Bevölkerung, die seit 2005 langsam Vertrauen zu ih-ren politischen Vertretern entwickelt hatte, wurde enttäuscht. Die Oppositionsparteien sind jetzt im na-tionalen Parlament und in der Regierung nicht mehr vertreten und müssen ihre Interessen außerhalb der staatlichen Institutionen verfolgen. Insbesondere die FNL, die erst Anfang 2010 ihre Waffen niederge-legt hatte, um sich zur Wahl zu stellen, scheint ihre 14,5 Prozent Stimmen in der Kommunalwahl als nicht ausreichend für nationale politische Durchset-zungsfähigkeit zu empfinden und sich wieder dem bewaffneten Weg zuzuwenden. Ihr Vorsitzender Agathon Rwasa flüchtete am 23. Juni in den Osten der Demokratischen Republik Kongo. Dort nutzt er offenbar seine Kontakte zu Rebellengruppen, um den bewaffneten Kampf wieder aufzunehmen. Auch der Chef der MSD, der Journalist Alexis Sinduhije, ist ins Ausland geflohen.

Präsident Nkurunziza hat nun im Parlament und in der Regierung die absolute Mehrheit und fast ausrei-chend Stimmen, um die Verfassung im Alleingang zu ändern. Das erhöht das Risiko, die Kräfte der Op-position noch stärker aus dem demokratischen Spiel zu drängen. Die politische Landschaft Burundis ist aber nach Jahrzehnten von Gewaltkonflikten zu ge-spalten, ein Einparteiensystem würde nicht akzep-tiert. In seiner Antrittsrede hat Präsident Nkurunziza das anerkannt und den Oppositionsparteien freiwil-lig Sitze in der Regierung und im Senat angeboten. Noch ist nicht klar, wie ernst das Angebot gemeint ist und ob es akzeptiert wird. Es muss sich zeigen, ob einerseits die Gewinner der Wahl Teilhabe und Mei-nungsvielfalt ermöglichen und die Verlierer anderer-seits eine Rolle in der Opposition akzeptieren.

Von Tutsi-Milizen verwundete Hutus warten im Juli 1995 in Kamenge

auf medizinische Behandlung. CORINNE DUFKA/REUTERS

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WELT-BLICKE BURUNDI

Die burundische Regierung steht vor sehr schwieri-gen Problemen. Seit 2007 sind hunderttausende Flüchtlinge zurückgekehrt, die Burundi teils schon vor Jahrzehnten verlassen hatten. Damit verschärft sich die Landknappheit, und wegen des Bevölke-

rungswachstums ist die landwirtschaftlich nutzba-re Fläche bereits jetzt ausgeschöpft. Nach den Krie-gen und Bürgerkriegen funktionieren die staatliche Verwaltung, die Justiz und die Infrastruktur für Ge-sundheit und Bildung kaum noch. Straflosigkeit, Korruption und Klientelismus bestimmen das öf-fentliche Leben, der Lebensstandard ist einer der niedrigsten der Welt. Internationale Geber verlan-gen aber für ihre Entwicklungsprogramme ein sta-biles und möglichst korruptionsfreies Umfeld.

Um langfristig das Gewaltpotenzial im Land zu senken, sind die Lösung der Landfrage und die De-mobilisierung und Integration ehemaliger Kämp-fer aus der staatlichen Armee und aus anderen be-waffneten Gruppen eine Kernaufgabe für die Re-gierung. Wenn es langfristig gelingt, die FNL-Kämp-fer in der burundischen Armee zu halten und zu kontrollieren, wäre dies ein wichtiger Schritt zur demokratischen Transformation und zur Teilung der Macht. Insgesamt benötigen hunderttausende Kombattanten neue Arbeitsplätze oder Zugang zur Landwirtschaft. Sie und ihre Angehörigen brau-chen Angebote zur Traumabewältigung und für ge-waltfreie Konfliktbearbeitung, um den Teufelskreis von Gewalt und Gegengewalt in der Gesellschaft zu beenden.

Bei der Lösung dieser Aufgaben spielen die UN-Mis-sion BINUB und die internationalen Geber eine wichtige Rolle. Die UN-Mission hat die Aufgabe, die

burundische Regierung und Zivilgesellschaft in ih-rem Reformprozess zu stärken, um in Politik und Verwaltung die Ursachen des vergangenen Bürger-krieges zu überwinden und interne Konflikte beizu-legen. Das Ziel der BINUB ist, mehr Transparenz in den öffentlichen Institutionen zu erreichen, Korrup-tion abzubauen und Pressefreiheit zu fördern. Da-neben hat sie eine wichtige Aufgabe bei der Wie-dereingliederung der rückkehrenden Flüchtlinge sowie bei der Demobilisierung und Entwaffnung früherer Rebellen.

Westliche Geber haben in den vergangenen Jahren die Mehrheitspartei CNDD-FDD als Garanten für Stabilität unterstützt und die anderen politischen Gruppierungen ignoriert. Angesichts der innenpoli-tischen Spaltung des Landes wäre es fatal, das fort-zusetzen. Vertreter der Zivilgesellschaft in Burundi fordern zudem die Überwindung der Straflosigkeit. Die Einrichtung einer Wahrheits- und Versöhnungs-kommission könnte dazu beitragen, die Verantwor-tung für die politische Gewalt der vergangenen Jahrzehnte anzunehmen. Ebenso wichtig ist es, die jüngste Eskalation im Wahlkampf und im Alltag zu untersuchen und die Täter zur Verantwortung zu ziehen, um zu verhindern, dass Übergriffe, Morde und Einschüchterung weiterhin als „normales“ Mit-tel im Wahlkampf angesehen werden.

Dass der FNL-Führer Agathon Rwasa versucht, im Osten des Kongo neue Milizen zu rekrutieren, und die Oppositionsparteien nicht in die Regierung und das nationale Parlament integriert sind, belastet die nächste Amtszeit des Präsidenten. Wenn es ihm nicht gelingt, die FNL und auch andere Oppositio-nelle fester in die demokratischen Strukturen ein-zubinden, droht die Gefahr erneuter bewaffneter Auseinandersetzungen und ein Rückfall in die Machtkämpfe der Zeit vor 2009. Die internationale Gemeinschaft sollte mit allen diplomatischen Mit-teln dazu beitragen, den hoffnungsvollen Friedens-prozess, wie er sich bis 2009 angebahnt hat, zu fes-tigen und alle Gruppierungen zur Partizipation an-halten.

Ilona Auer-Frege ist Koordinatorin des Ökumenischen

Netzes Zentralafrika (ÖNZ), einem Zusammenschluss kirchlicher

Hilfswerke. Das ÖNZ setzt sich für Frieden und Menschenrechte in

Burundi, Ruanda und der DR Kongo ein.

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Burundi zählt zu den ärmsten Ländern der Welt. Straflosigkeit, Korruption und Klientelismus

bestimmen das öffentliche Leben.

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INDIEN WELT-BLICKE

Seit Jahren versucht die indische Regierung den Aufstand maoistischer Rebellen im Osten des Subkontinents mit militärischer und paramilitärischer Gewalt niederzuschlagen. Bislang ohne Erfolg. Im Mai hat sie den Hindu-Mönch Swami Agnivesh als Vermittler für Friedensgespräche eingesetzt. Doch seit dem Tod des maoistischen Unterhändlers Chemkuri Rajkumar liegen die Verhandlungen auf Eis.

Von Santosh Kumar

In Indien bemüht sich ein Hindu-Mönch

um Frieden zwischen den Maoisten und der

Regierung

Swami Agnivesh hat eine schwierige Aufgabe. Der 60-jährige Hindu-Mönch soll seit dem vergangenen Mai im Konflikt zwischen der indischen Zentralre-gierung und den maoistischen Rebellen im Land, den Naxaliten, vermitteln. Seine Kontaktaufnahme zur Führung der Maoisten verlief zunächst erfolg-reich. Doch dann erlitten seine Bemühungen um Friedensgespräche einen herben Rückschlag: Der Unterhändler der Maoisten, Chemkuri Rajkumar, der am 1. Juli in Begleitung eines Journalisten zu seinen Genossen unterwegs war, um ihnen Agni-veshs Friedensplan zu erläutern, wurde von Polizis-ten umgebracht. Die Polizei habe die beiden am Bahnhof von Nagpur festgenommen und ver-schleppt, berichtet Swami Agnivesh. „Sie ließ ver-lauten, der Maoisten-Chef hätte sie angegriffen und die Polizisten hätten ihn in Notwehr erschossen.“ Seitdem sind die Verhandlungen zum Stillstand ge-kommen.

Vieles deute darauf hin, dass dieses Feuergefecht inszeniert wurde, sagt Swami Agnivesh: „Der Aut-opsie-Bericht straft die Polizei Lügen. Darin steht, die tödliche Kugel sei aus nicht mehr als 7,5 cm Ent-fernung abgefeuert worden. Ist das während eines Schusswechsels möglich? Die indische Zentralre-gierung und die Polizei von Andhra Pradesh sind der Öffentlichkeit eine Erklärung schuldig.“ Doch beide verweigern sich bislang. Agnivesh, einer der wenigen Geistlichen in Indien, die offen auf der po-litischen Bühne agieren, will nun eine richterliche Untersuchung des Vorfalls erreichen.

Für Premierminister Manmohan Singh ist die mao-istische Guerilla die „größte innenpolitische Bedro-hung“. Im vergangenen Herbst hat die Regierung deshalb die Offensive „Operation Greenhunt“ ge-startet. Tausende Polizisten, Paramilitärs und Bür-germilizen machen im zentralindischen Dschungel Jagd auf einige tausend bewaffnete Polit-Abenteu-

Kampf um den „roten Korridor“

Paramilitärische Einheiten im Dschungel von Lathehar. Mit der Operation „Green Hunt“ geht Indiens Regierung seit Oktober 2009 gegen die Naxaliten vor.AFP/GETTY IMAGES

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WELT-BLICKE INDIEN

rer, die sich nach einem Bauernaufstand „Naxali-ten“ nennen: In dem kleinen Ort Naxalbari im Nor-den Bengalens organisierten Kommunisten 1967 einen Aufstand von Pächtern und Landlosen gegen die Feudalherren. Grundbesitzer wurden ermordet, ihr Land unter den Armen verteilt. Die Landesregie-rung schlug den Aufstand nieder. Die Kommunisten gingen in den Untergrund und träumten davon, nach dem Vorbild Mao Tse-tungs einen Bauernauf-stand zu organisieren, der in einen gewaltsamen Umsturz der staatlichen Ordnung münden sollte.

Während Tausende von Aktivisten und Sympathi-santen verhaftet oder erschossen wurden, überleb-ten kleine maoistische Zellen im Untergrund. In den 1970er Jahren erstarkten sie im südindischen Staat Andhra Pradesh, verübten Anschläge auf Poli-tiker und Sicherheitskräfte und zogen sich anschlie-ßend in dichte Wälder zurück. Im Jahr 2004 schlos-sen sich mehrere Splittergruppen zur „Communist Party of India (Maoist)“ zusammen.

Sie konnte ihren Einfl uss rasch ausweiten und hält heute nach Geheimdienstberichten rund 20.000 Männer und Frauen unter Waff en. In den Wald- und Bergregionen des östlichen Indien, den ärmsten und am wenigsten entwickelten Regionen des Rie-senlandes, haben sie einen „roten Korridor“ geschaf-fen, der von der Grenze zu Nepal bis ins südliche Andhra Pradesh reicht. In den Dörfern der dort le-benden Adivasi, der Nachkommen der indischen Urbevölkerung, fi nden sie Unterschlupf und Unter-stützung.

Der zentralindische Unionsstaat Chattisgarh gilt ebenfalls als eine Hochburg der Maoisten. In den ausgedehnten Teakwäldern im südlichen Landes-teil Bastar gibt es nur verstreut liegende Dörfer der Adivasi-Völker Gond, Madia, Koya und anderer. Doch in der Erde lagern wertvolle Bodenschätze, ei-nige der ergiebigsten Eisenerzlager Indiens sowie Diamanten und Kohle.

Das Gebiet wurde jahrzehntelang von der Regie-rung vernachlässigt, es gibt kaum Schulen, Kran-kenhäuser, geschweige denn moderne Kommuni-kationsmittel. Der größte Teil der Bevölkerung ist bettelarm, unterernährt, kaum gebildet und häufi g gezwungen, mit sklavenähnlicher Lohnarbeit ein Überleben zu sichern. Der Ruf der Maoisten nach „Befreiung“ triff t hier auf off ene Ohren. Allerdings brauchten die linken Guerillas rund zwanzig Jahre, um mit erfolgreichen Kampagnen für höhere Löh-ne und für mehr Rechte zur Nutzung des Waldes das Vertrauen der Adivasi zu erringen.

Die Landesregierung von Chattisgarh, die von der konservativen Hindu-Partei BJP geführt wird, führt seit 2005 einen konzertierten Feldzug gegen die Naxaliten. Der Name der Kampagne, Salwa Judum, bedeutet Friedenskampagne in der Adivasi-Sprache Gondi. Die Polizei formt mithilfe junger Adivasi Söldnertruppen, die im Kampf gegen die Maoisten Dörfer durchsuchen, Verdächtige aufspüren, Furcht und Terror verbreiten und Dorfb ewohner ein-schüchtern. Hunderttausende Adivasi wurden aus ihren Dörfern vertrieben und in bewachten Lagern am Rand der wenigen Straßen eingepfercht.

Ein 2006 erlassenes Sicherheitsgesetz soll helfen, den Gewaltkonfl ikt zwischen Maoisten und Sicher-heitskräften zu verschleiern. Laut dem Gesetz dro-hen Kritikern und kritischen Journalisten Haftstra-fen bis zu sechs Jahren, wenn sie die militärischen

Swami Agnivesh soll zwischen der Regierung und den

maoistischen Rebellen vermitteln.SANTOSH KUMAR

Aktionsgebiete der maoistischen Rebellen

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INDIEN WELT-BLICKE

Aktionen der Regierung kritisieren oder Kontakt zu den Maoisten aufnehmen.

Beide Seiten sparen nicht mit Grausamkeiten. Mao-isten überfielen am 6. April dieses Jahres im Distrikt Bastar einen Suchtrupp und ermordeten 76 Parami-litärs. Am 17. Mai sprengten sie ebenfalls in Bastar einen Überlandbus in die Luft. Neben 11 Paramili-

tärs starben auch 25 Zivilisten. Beide Attentate rie-fen heftige Proteste hervor, auch aus den Reihen der Zivilgesellschaft. „Anfang Mai veranstalteten wir dort, im Kernland des Maoistenaufstandes, einen Friedensmarsch“, berichtet der Friedensaktivist Swami Agnivesh, der auch Träger des Alternativen Nobelpreises ist. „Dieser Marsch richtete sich gegen die Gewalttaten der Maoisten. Aber wir verurteil-ten auch die Gewalt, die der Staat durch seine Ope-

ration Green Hunt sät. Wir forderten beide Seiten auf, die Gewalt einzustellen. Gewalt gebiert nur weitere Gewalt.“

Das drakonische, von indischen Menschenrechtlern heftig kritisierte Sicherheitsgesetz führt dazu, dass unabhängige Berichterstatter nur selten die Kampf-zone von Bastar besuchen. Für ausländische Korres-pondenten ist sie tabu. Die renommierte Schrift-stellerin Arundhati Roy hat aber Anfang dieses Jah-res auf Schleichwegen die Dschungelcamps der Maoisten besucht und anschließend einen langen Essay veröffentlicht. Darin schildert sie zahlreiche Begegnungen mit Guerillas, etwa mit den drei Schwestern Sukhiari, Sukdai und Sukkali aus dem Narayanpur-Distrikt. Seit zwölf Jahren sind sie Mit-glieder der maoistischen Frauenorganisation, der Krantikari Adivasi Mahila Sangathan, die ungefähr 90.000 Mitglieder zählt. Die Dorfbewohner verlas-sen sich auf sie, wenn sie es mit der Polizei zu tun haben. „Die Polizei kommt in Gruppen von zwei- bis dreihundert Mann. Sie stehlen alles, Schmuck, Hühnchen, Schweine, Töpfe und Pfannen, Pfeile und Bogen“, sagt Sukkali, „sie lassen uns nicht mal ein Messer!“

Hunderttausende Adivasi wurden aus ihren Dörfern vertrieben und in Lager am Rand der

wenigen Straßen gepfercht.

Adivasi-Frauen im März 2007 in einem Flüchtlingslager im

Süden von Chattisgarh.PARTH SANYAL

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WELT-BLICKE INDIEN

Ihr Haus im Dorf Innar ist schon zweimal ausge-brannt worden, einmal vom Naga-Battallion, einer Kampfeinheit, die aus Angehörigen des Naga-Vol-kes im indischen Nordosten rekrutiert ist, dann von den Paramilitärs der Central Reserve Police Force (CRPF). Sukhiari ist verhaftet worden und hat sie-ben Monate in Jagdalpur im Gefängnis gesessen. „Einmal haben sie das ganze Dorf mitgenommen mit der Behauptung, alle unsere Männer seien

Naxaliten.“ Sukhiari folgte ihnen zusammen mit den Frauen und Kindern des Dorfes. Sie umzingel-ten die Polizeistation und blieben so lange, bis die Männer freigelassen wurden.

In diesem schmutzigen Krieg bringt die Zivilbevöl-kerung die meisten Opfer. Bis vor kurzem lebten die Stammesangehörigen nach den uralten Regeln ih-rer Vorfahren, isoliert im dichten Dschungel, von staatlicher Verwaltung und der technischen Moder-ne weitgehend unberührt. Heute sind viele ihrer Dörfer verlassen oder niedergebrannt. Die Men-schen hausen in schmutzigen Lagern zusammenge-pfercht, unter Polizeischutz, aber ohne Einkommen und ohne Zukunft.

Und ein Ende der Gewalt ist nicht abzusehen. Der Einsatz moderner Technik und hunderttausender Sicherheitskräfte hat bislang noch keine nennens-werten Erfolge gebracht. „Bisher musste die Regie-

rung einen Rückschlag nach dem anderen einste-cken“, bilanziert Swami Agnivesh. „Immer mehr Si-cherheitskräfte kommen ums Leben. Die Maoisten aber verstecken sich in unwegsamen Bergregionen und verüben Attentate auf Guerilla-Art. Sie leben unerkannt im Untergrund. Man kann niemandem am Gesicht ablesen, ob er Maoist ist oder nicht. Kei-ne Seite kann diesen Konflikt für sich entscheiden.“

Auch in Neu-Delhi glaubt kaum jemand, der Kon-flikt könne mit militärischen Mitteln allein gewon-nen werden. Die Regierung will daher in den von Maoisten „infizierten“ Gebieten verstärkte Anstren-gungen zur Entwicklung unternehmen – Straßen, Schulen und Krankenhäuser bauen, die Menschen in Arbeit bringen und Sozialprogramme umsetzen. So könnten die Entfremdung der Bürger vom Staat gemildert und die Menschen zur Zusammenarbeit mit den Behörden motiviert werden, hofft man. Doch mehr Geld und neue Projekte allein werden nicht reichen. Die Maoisten sprengen zum Beispiel immer wieder Schulen in die Luft, nicht weil sie die Bildung der Bevölkerung verhindern wollen, son-dern weil paramilitärische Einheiten Schulgebäude gerne als Unterkünfte requirieren.

„Die Regierung steckt in einer Zwickmühle“, erklärt Swami Agnivesh. Ihre Strategie, die Berggebiete zu entwickeln, sei gescheitert. Mit der Vergabe von Bergbaulizenzen habe man zahlungskräftige Kon-zerne anlocken wollen, die für die nötige Entwick-lung sorgen. Aber bis heute gebe es dort keine nen-nenswerte Infrastruktur. Agnivesh: „Die Menschen leiden natürlich darunter und schließen sich den Maoisten an. Die Regierung muss diese Gebiete also wirtschaftlich entwickeln, aber das ist ohne einen Frieden mit der Guerilla nicht möglich. Und einen solchen Frieden wird es nur über Verhand-lungen geben.“

Während die Regierung darauf besteht, dass die Maoisten der Gewalt abschwören und mindestens 72 Stunden lang ihre Waffen ruhen lassen, bevor Gespräche beginnen können, machen die Kommu-nisten eine richterliche Untersuchung des Todes von Chemkuri Rajkumar zur Vorbedingung. Swami Agnivesh will den Fall nun vor das oberste Gericht des Landes bringen: „Wir werden nicht länger auf die Regierung warten, sondern selbst das Gericht anrufen.“ Vom Erfolg seiner Strategie ist er über-zeugt. „Falls das Gericht eine Untersuchung anord-net, werden die Maoisten zu Gesprächen zur Verfü-gung stehen, das hat mir einer ihrer Führer versi-chert“, unterstreicht der Hindu-Mönch.

Santosh Kumar ist freier Journalist in Indien

und schreibt auch für ausländische Medien.

Beide Seiten sparen nicht mit Grausamkeiten. Der Verlierer in ihrem schmutzigen Krieg

ist die Bevölkerung.

In Andhra Pradesh hat eine Landmine im September 2007 drei Menschen getötet. Sie soll von Maoisten gezündet worden sein und einem Politiker gegolten haben – der aber blieb unverletzt.AP

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SÜDKAUKASUS WELT-BLICKE

Aserbaidschan, Armenien und Georgien leiden unter dem Erbe der Sowjetzeit und von Kriegen und Bürgerkriegen. In allen drei Ländern werden nichtstaatliche Organisationen vom Staat mehr oder weniger misstrauisch beäugt, übernehmen aber zugleich wichtige öffentliche Auf-gaben. Ohne Hilfe von Außen wären sie dazu kaum in der Lage.

Von Johannes Schradi

Im Südkaukasus über-nehmen nichtstaatliche

Organisationen staatliche Aufgaben

Alle sind sie da: von Emporio Ar-mani über Gucci bis Karl Lagerfeld. Das Öl unter der Stadt und drau-ßen unter dem Kaspischen Meer hat Aserbaidschans Hauptstadt Baku neuen Reichtum beschert. Wie Pilze schießen die Hochhäu-ser aus dem Boden. Zwar sind viele nur Gerippe, in ihrem Imponierge-habe gebremst von der Finanzkri-se. Aber in den teuren Bars der Uferpromenade herrscht eine auf-geräumte Stimmung.

Nur wenige Kilometer weiter wird die neue Glitzerwelt zum Alptraum: Erdöl sickert ins Step-pengras, füllt schwarze Tümpel. Die stählernen Fördergerippe sind Hinterlassenschaften der Sow-jetzeit. Aus der klebrigen Brühe ließen sich hübsche Fackeln für

Gartenpartys fabrizieren, sagt bit-ter ein Mitglied des Oil Worker’s Committee. Mirvary Gahramanly, die Vorsitzende dieser aserbaid-schanischen nichtstaatlichen Or-ganisation (NGO) und eine frühe-re Öl-Ingenieurin, hat Fotos mit-gebracht. Sie zeigen: Dort, wo heute Öl gefördert wird, sieht es oft nicht viel besser aus – beson-ders nicht für die, die dort arbei-ten. Dreck, gefähliche Arbeitsbe-dingungen und schlechte Unter-künfte sind an der Tagesordnung.

Einer der Hauptgründe für solche Missstände sei die grassierende Korruption im Land, sagen über-einstimmend Mirvary Gahraman-ly und die junge, resolute Vorsit-zende der Frauenrechtsorganisa-tion WARD, Shahla Ismayilova.

Beide setzen sich mit Aufklä-rungs-, Beratungs- und Lobbyar-beit für mehr soziale Rechte und einen besseren Schutz der Men-schenrechte ein. Kein Behörden-gang, kein Arzt-, kein Schulbesuch, kein Berufseinstieg sei ohne Schmiergeld möglich, klagen sie. Ein Hinweis darauf, dass sich das so bald nicht ändern wird, ist für die NGO-Vertreterinnen die kaum bemäntelte Ablehnung und Re-pression, die ihnen von Regie-rungsseite entgegenschlägt.

Zwar herrscht seit Ende der Sow-jetzeit formal Demokratie in der östlichsten und einzig islamischen der drei südkaukasischen Republi-ken Aserbaidschan, Armenien und Georgien. Aber Präsident Ilham Alijews Führungsstil ist autokra-

Oben Mitte: Landwirtschaftliches Vorzeigeprojekt – Obstplantage mit Bio-Anbau im türkisch-armenischen

Grenzgebiet. FRAUKE WIPRICH

Oben rechts: Aserbaidschan kämpft mit dem Erbe der Sowjetzeit. In der Nähe von Baku verseucht Erdöl aus

alten Raffinerien den Boden.JOHANNES SCHRADI

Hier nützlich und dort angefeindet

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WELT-BLICKE SÜDKAUKASUS

tisch – eine Scheindemokratie. Wer im Land organisiert zivilge-sellschaftlich arbeiten will, muss erst einmal registriert werden. Das ist für die „GONGOS“, die „vom Staat organisierten NGOs“, kein Problem. Für alle anderen ist es ein enges Nadelöhr. Die Organisatio-nen der beiden Frauen sind zuge-lassen. Rund 30.000 Frauen neh-men die Fortbildungs- und Bera-tungsangebote von WARD wahr. Aber „ich weiß nicht, wie die Re-gierung reagiert, wenn wir weiter wachsen sollten“, sagt Shahla Is-mayilova. Sie setzt auf den Schutz und die Unterstützung ausländi-scher NGOs, der britischen und der US-amerikanischen Botschaft und des UN-Flüchtlingskommissars UNHCR.

Schwieriger NeubeginnAuch in Georgien und Armenien wären unabhängige NGOs ohne Hilfe von außen kaum überle-bensfähig. Zu ihren Förderern zählt auch der deutsche Evangeli-sche Entwicklungsdienst (EED). „Wir verfolgen im Südkaukasus vor allem zwei Ziele: die Men-schenrechte zu stärken und die ländliche Entwicklung zu för-dern“, sagt dessen Regionalrefe-rentin Felicitas Menz, die Kontakt zu rund drei Dutzend lokalen Partnerorganisationen hält. Sie weiß aus Erfahrung: Es geht dar-um, die Bedürfnisse und Wünsche der Menschen ernst zu nehmen und an sie anzuknüpfen.

Aber das ist leichter gesagt als ge-tan – gerade im Kaukasus. Mit dem politische Ende der Sowjet-union 1991 brach die jahrzehnte-lange Kollektivwirtschaft schlag-artig zusammen. Plötzlich waren Eigeninitiative und Eigenverant-wortung gefragt. Aber den Men-schen fehlten alle Voraussetzun-gen dafür. Zugleich sind viele von ihnen beseelt von einem tief sit-zenden Ressentiment: Nie wieder Sozialismus, nie wieder Kollektiv-arbeit! Das macht den Neuanfang doppelt schwer.

In den Weiten der aserbaidschani-schen Steppe sind die Böden ver-salzen und ausgetrocknet. Wie die meisten Fabriken aus der Sowjet-zeit funktionieren die aufwändi-gen Bewässerungssysteme der großindustriell betriebenen Land-wirtschaft nicht mehr. Die Bauern wissen nicht recht, was sie mit dem ihnen zugewiesenen Land tun sollen: 0,4 Hektar pro Person. Wer von Zusammenschluss nichts wissen will, steht auf fast verlore-nem Posten. Nur mit gebündelter Kraft ließen sich die Bewässerung wieder in Gang bringen und die verrotteten Maschinen ersetzen. Mühsam versucht die NGO Agro Information Centre (AIM), den neu-en Kleinbauern beizubringen, wie sie ihre Felder biologisch bewirt-schaften können, und sie wenigs-tens zu einem Minimum gemein-samen Wirtschaftens anzuhalten.

Szenenwechsel ins Nachbarland: George Tugushi strotzt vor Selbst-bewusstsein. Der 33-Jährige ist der parlamentarisch gewählte Om-budsman Georgiens und residiert im ehemaligen Domizil des Sow-jetgeheimdienstes KGB in Tiflis. „Public Defender“ prangt groß über dem Eingang. „Ich erwarte Er-gebnisse, nicht Versprechen“, sagt Tugushi in fließendem Englisch. „Wenn ein Minister mir nicht zu-hört und Informationen zurück-hält, dann gehe ich an die Öffent-lichkeit.“ Wer mit der Polizei in Konflikt gerät oder im Gefängnis misshandelt wird, kann bei ihm um Rechtshilfe nachsuchen.

Ein 200-seitiger Report listet akri-bisch den aktuellen Stand in Sa-

chen Menschenrechte und bürger-liche Freiheiten in Georgien auf. Er beschreibt auch die elende Lage der rund 250.000 Binnenflüchtlin-ge, die es infolge der bewaffneten Konflikte um Abchasien zu Beginn der 1990er Jahre und dem geor-gisch-russischen Krieg um Südos-setien 2008 im Kernland gibt. Sie sind Georgiens derzeit brisantes-tes Problem. Vieles von dem, was in dem Report steht, bliebe bloßes Papier ohne die vielen NGOs im Land, die in die Flüchtlingsarbeit eingebunden sind, sagen NGO-Vertreter. Beim gesamten sozialen Auf- und Umbau des Landes spie-len sie eine tragende Rolle. Gern überlässt ihnen der bei weitem am westlichsten orientierte Staat der Region Aufgaben, die eigent-lich seine sind.

Voller Stolz präsentiert eine Ver-treterin des Zentrums für strate-gische Forschung und Entwick-lung in Georgien (CSRDG) Erfolgs-geschichten der neuen „Selbstre-gierung“ (selfgovernment). Da werden lokale Führungskräfte ge-schult und kommunales Finanz-monitoring eingeübt. Aber da werden auch Dorfbewohner zum Flicken von Straßen animiert, Ka-näle ausgehoben und kommuna-le Kindergärten frisch verputzt. Eine andere NGO, Elkana, bemüht sich darum, den Weinbauern Ge-orgiens neue Märkte zu erschlie-ßen; seit dem Krieg von 2008 ist ihnen der Zugang zu ihrem frühe-ren Hauptabnehmer, Russland, verwehrt.

„Wir sind Biotope“, fasst Nino Le-java, eine Mitarbeiterin des Cen-trums für internationale Migrati-on und Entwicklung (CIM) bei der georgischen Consultant-Stiftung CTC, die Lage der NGOs in Georgi-en zusammen. Diese Biotope könnten allerdings rasch aus-trocknen, sollte politisch der Wind drehen; niemand traut recht der demokratischen Standfestigkeit von Präsident Micheil Saa-kaschwili und seiner Regierung. Nicht weniger bedrohlich wäre, sollte die internationale Unter-stützung für Georgien nachlas-sen, wofür es viele Anzeichen gibt. Einen „Liebling der Geber“

100 km

Südkaukasus

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SÜDKAUKASUS WELT-BLICKE

nennt die für Entwicklungszu-sammenarbeit zuständige Bot-schaftsrätin in der deutschen Ver-tretung in Tiflis, Silke Klöver, Ge-orgien und meint damit das viele westliche Entwicklungs- und Hilfsgeld, das bis heute auch die NGO-Szene nährt.

Klage über „Sowjet-Mentalität“Im westarmenischen Gyumri braucht Bischof Michael von der Armenisch-Apostolischen Kirche eine Weile, bis er sich warm gere-det hat. Dann bricht es aus ihm heraus: „Seine Majestät sitzt nur im Büro“, sagt er über den Ortsvor-steher und bescheinigt ihm „Sow-jet-Mentalität“. Nichts gehe in der Sozialpolitik voran, außer dass ein-mal ein paar Toiletten gebaut wür-den. Eine gedeihliche Zusammen-arbeit komme nicht zustande, und auch die Menschen in und um Gy-umri müssten nach Jahrzehnten atheistischer Staatsführung „erst wieder lernen, dass die Kirche ih-nen ein Angebot macht“.

Die Stadt liegt im Epizentrum des schweren Erdbebens von 1988. Noch heute leben viele der Opfer in Behelfscontainern; Häuser und Wohnungen sind oft nur notdürf-tig repariert. Das Ende der Sow-

jetherrschaft knapp drei Jahre später und der fast komplette Zu-sammenbruch der einst florieren-den armenischen Industrie brach-te doppelte Not. Viele junge Män-ner versuchen als Wanderarbeiter ihr Glück in Russland; schwere Fa-milienkonflikte daheim sind nicht selten die Folge. Viele verlassen das Land für immer.

Die armenische Kirche lebt allein von Spenden. Doch sehen viele Spender der großen weltweiten armenischen Diaspora ihr Geld lieber in Kirchenbauten investiert als in dörfliche Sozialzentren. Das ist in Armenien nicht anders als in Georgien. So tut Bischof Micha-el, was er kann. Das wieder herge-richtete Gemeindezentrum mit seinen Bildungs- und Freizeitan-geboten ist für alle offen.

Handfeste Sozialarbeit leistet eine NGO wie die Women for Develop-ment (WFD). In enger Kooperation mit staatlichen Gemeinde-Kran-kenschwestern organisiert sie in zahlreichen Dörfern der Region Gesundheitsberatung. Das Sacha-row-Zentrum wiederum zielt dar-auf, zivilgesellschaftliches Engage-ment und rechtstaatlich-demokra-tische Strukturen zu fördern, mit Gewicht vor allem auf der Stär-kung der Menschenrechte – Kon-flikte mit staatlichen Stellen sind vorprogrammiert. Rechtstaatlich-keit ist schwach entwickelt in Ar-menien, es herrscht eine von we-nigen Personen und Oligarchen dominierte Elite. Der „Transforma-tionsprozess ist stecken geblie-ben“, sagt ein politischer Insider. Noch ist in Armenien die Sowjetz-eit präsenter als in den Nachbar-ländern Georgien und Aserbaid-schan. Viele Laden- und Werbeauf-schriften sind in armenischer und russischer Sprache.

„Mit dieser Kommune arbeiten wir nicht zusammen“, sagt ent-schieden Haik Minassian und zeigt, nahe der streng bewachten Grenze zur Türkei, auf ein brach liegendes Feld. Über den Dorfvor-steher weiß man, dass er Stim-men gekauft hat, um ins Amt zu kommen – eine Praxis, die auch auf höherer Ebene gang und gebe

ist. Minassian war einst Physik-professor und ist heute Direktor der vornehmlich auf dem Land ar-beitenden Groß-NGO Shen, was so viel wie „florierend und reich“ heißt. Bischof Michaels düsteres Bild von der Lage im Land kann er nicht teilen. Die Bürgermeister seien meist kooperativ, sagt er.

Erfolgsprojekt Bio-AnbauDas Land, auf dem gewirtschaftet wird, ist häufig kommunales Pachtland. Wo noch vor wenigen Jahren steinige Steppe war, wach-sen heute Tausende Obstbäume, biologisch angebaut. Das zahlt sich aus. Die süßen, festen Apriko-sen finden viele Käufer, daheim und auch auf dem wichtigen rus-sischen Markt. Die neue Bewässe-rung wird dank der Beratung von Shen gemeinsam organisiert und betrieben. Von den Berührungs-ängsten der Bauern mit gemein-schaftlichen Bewirtschaftungs-formen wie im Flachland des be-nachbarten Aserbaidschan ist nichts zu spüren.

In den Ländern im südlichen Kau-kasus haben der türkische Genozid von 1915/16 an den Westarmeni-ern und die neueren ethnische Konflikte in Südossetien, Abchasi-en und Berg Karabach nationale Verwundungen und hunderttau-sende Binnenflüchtlinge hinter-lassen. Das sowie undurchsichtige Machenschaften kleiner Eliten, die tiefe Kluft zwischen Arm und Reich, empfindliche Aderlässe durch Abwanderung und wirt-schaftliche wie mentale Altlasten aus der Sowjetzeit schaffen einen fragilen Schwebezustand, eine Zerrissenheit, die sich ohne weite-re Hilfe von außen kaum wird überwinden lassen. „Mir gefällt die deutsche Richtigkeit“, sagt in Erewan ungefragt auf Deutsch ein junger Mann auf einem staubigen Lagerhof und meint damit vieles zugleich: Genauigkeit, Pünktlich-keit, Sicherheit und dass alles mit rechten Dingen zugehen möge. Arzt will er einmal werden. Schon heute steht für ihn fest, dass er sein Land verlassen wird, wie so viele vor ihm. Er wird gehen, auch wenn er weiß, dass er daheim feh-len wird.

Johannes Schradi ist entwicklungspolitischer

Fach journalist und Berlin-Korrespondent

von .

Andacht in Eriwan. Die Armenisch-Apostolische Kirche kümmert sich

auch um soziale Dienste. FRAUKE WIPRICH

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SÜD-SICHTEN ISLAM46

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„Befreiungstheologie ist eine Theo-logie, die wie jede Theologie von der Suche nach dem Transzenden-ten handelt. Diese Suche aber hat ihren Ort insbesondere unter den Marginalisierten.“ Ein kahlköpfi-ger Mann, der ein langsames und eindringliches Englisch spricht: Fa-rid Esack, Professor für islamische Studien an der Universität Johan-nesburg. Er gilt als einer der weni-gen Vertreter einer islamischen Befreiungstheologie. Esack ist ein zugewandter und angenehmer Gesprächspartner, aber kein einfa-cher. Das will er auch nicht sein. Er will kein „liberaler“ oder „progres-siver“ Muslim sein, als der er gerne nach Amerika, England oder Deutschland eingeladen wird.

Esack wünscht sich einen prophe-tischen Islam. Es geht ihm nicht nur um das Verstehen und das friedliche Zusammenleben der verschiedenen Religionen. Die Lage der Welt, mit der Esack die Re-

ligionen konfrontiert sieht, sei charakterisiert „durch Ungerech-tigkeit und Ausbeutung, der Redu-zierung von Menschen zu Ware und durch Tod durch Verhungern oder Überfressen“. Wenn sich ein interreligiöser Dialog dieser Situa-tion nicht stelle, dann verkomme er zur „Stärkung des ideologischen Rahmens der Mächtigen“.

Esacks Theologie war nicht immer auf die weltweite Situation der Re-ligionen fokussiert, aber der Text, auf den er sich bezieht, ist immer derselbe: der Heilige Koran, den er im freien Vortrag oder Gespräch auf arabisch zitiert, bevor er die englische Übersetzung mitliefert. Ein Schriftgelehrter ist er, kein So-ziologe. Aber einer der sagt: „Ohne Kontext ist ein Text wertlos.“

Der erste Kontext für Esacks Theo-logie war Südafrika während der Apartheid. Dort wurde er 1957 als Kind indisch-indonesischer Eltern geboren und galt damit als „far-big“, was ihn zum Opfer der rassis-tischen Politik machte. Er wuchs im Geist eines konservativen Is-lam auf und studierte mit einem Stipendium in Pakistan Theologie. Bei seiner Rückkehr nach Südafri-

ka hatte er sich dem Milieu ent-fremdet, in dem er aufgewachsen war. Mit anderen jungen Musli-men gründete er die Organisation „Call of Islam“, die sich gegen die Apartheid zur Wehr setzte, ge-meinsam mit Organisationen an-derer Religionen.

In der islamischen Gemeinschaft war das umstritten. Die islami-schen Autoritäten in Südafrika unterstützten die Apartheid zwar nicht. Doch sie sahen sich auch nicht zum Widerstand gezwun-gen, solange sie ihre Religion aus-üben konnten. Konservative Kleri-ker hielten es für ein Problem, mit anderen Religionen gemeinsam gegen die Rassentrennung zu kämpfen. Die Andersgläubigen wurden als „kafirun“ gesehen, als Ungläubige, mit denen man nicht zusammenarbeiten dürfe, weil da-mit das Zeugnis verdunkelt würde, dass es nur im Islam wahre Befrei-ung geben könne.

Esack machte andere Erfahrungen: 1984 wurde er mit 18 Geistlichen verschiedener Religionen verhaf-tet und in eine Zelle gesperrt, nachdem sie widerrechtlich eine Township betreten hatten. In der Zelle feierten sie einen interreligi-ösen Gottesdienst: „Wir entdeck-ten unser gemeinsames Engage-ment für und unser Bedürfnis nach Gott. Allan Boesak machte den Anfang mit einer Schriftle-sung, Pastor Lionell Louw sang mit uns, Hassan Solomon betete und ich predigte. Dann standen wir auf und sangen die Hymne der Befrei-ungsbewegung: Nkosi Sikelel‘ iAf-rika (Gott segne Afrika).“ Für Esack war das ein Dialog zwischen Reli-

Was bedeutet es, wenn sowohl Gegner als auch Befürworter eines Zusammengehens mit anderen

Religionen sich auf den Koran beziehen?

„Solidarität mit den Armen über Religionsgrenzen hinweg“Der Moslem Farid Esack macht sich für eine interreligiöse Befreiungstheologie stark

Bei der Befreiungstheologie, die sich gegen die Unterdrückung der Armen richtet, denkt man zuerst an die christlichen Bewegungen in Lateinamerika. Doch auch im Islam gibt es eine solche Richtung, und einer ihrer prominentesten Vertreter ist Farid Esack aus Südafrika. Der Professor für islamische Studien kämpft seit vielen Jahren gegen Armut und Unterdrückung – gemeinsam mit Vertretern anderer Religionen. Die Grundlage dazu liefert ihm der Koran, den er zu diesem Zweck immer wieder neu interpretiert – was in der muslimischen Gemeinschaft nicht alle gutheißen. Von Christoph Fleischmann

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gionen, wie er sein sollte: „In acht Stunden brachen Jahre der Ver-dächtigungen und des Misstrau-ens zusammen.“

Zugleich war es eine Erfahrung, die einer Erklärung bedurfte. Anders gesagt, der Kontext stellte neue Fragen an den Text: „Wenn man im Koran liest, dass man keine Freun-de unter Christen und Juden haben solle, wie geht man damit um, dass man mit genau diesen Menschen gegen die Apartheid kämpft?“ Und was bedeutet es, wenn Gegner und Befürworter des Kampfes sich auf denselben Text beziehen? Esack bearbeitet diese Fragen in seinem grundlegenden Werk „Qur‘an, Libe-ration and Pluralism“, das 1997 er-schienen ist. Sein hermeneutischer Dreh- und Angelpunkt ist die Ein-sicht, dass es Glaube nie außerhalb der Geschichte gebe. Der Koran ist für Esack Gottes Wort, aber im Zu-sammenhang einer bestimmten Zeit. Das gelte auch für seinen In-terpreten: Auch er existiere nicht unabhängig von der Zeit und den gesellschaftlichen und persönli-chen Umständen, die ihn geprägt haben.

So gerüstet macht sich Esack an die Auslegung des Korans: Die Suren, die die Freundschaft mit Christen und Juden verbieten, seien vor dem Hintergrund religiös-politi-scher Auseinandersetzungen der muslimischen Gemeinschaft mit anderen Stämmen entstanden. Die Andersgläubigen würden hier zum Beispiel als die klassifiziert, die ge-

gen die Muslime kämpften. Die Verbote im Koran, Freundschaft mit Ungläubigen zu schließen, ziel-ten auf die Kollaboration mit dem ungerechten Anderen, so Esack, nicht gegen eine Solidarität mit den unterdrückten Anderen. Viel-mehr fordere der Koran sogar solch eine Solidarität mit den Armen über die Religionsgrenzen hinweg. Als Beispiel für die Wertschätzung religiöser Vielfalt zitiert Esack wie-derholt den Vers 48 der fünften Sure. „Jedem von euch gaben wir ein Gesetz und einen Weg. Wenn Allah gewollt hätte, hätte Er euch zu einer einzigen Gemeinde ge-macht. Doch er will euch in dem prüfen, was Er euch gegeben hat. Wetteifert darum im Guten.“

Die Wertschätzung des Pluralis-mus und die Forderung nach Ge-rechtigkeit sind für Esack Grundli-nien, die ihn verpflichten. Er will den Text in neuen Kontexten zum Sprechen zu bringen – das bedeu-tet nicht, eine Bedeutung über Jahrhunderte zu bewahren, son-dern eine Intention zu erkennen, die vor einem anderen Hinter-grund einen anderen Ausdruck finden kann und muss. So sieht Esack in den koranischen Vor-schriften zum Umgang mit Frauen eine Verbesserung verglichen mit den Verhältnissen, die zur Zeit Mo-hammeds auf der arabischen Halbinsel geherrscht hätten. Es komme nun darauf an, die Linie in Richtung Emanzipation weiterzu-ziehen und nicht an den alten Vor-gaben wortwörtlich festzuhalten.

In Südafrika hat sich der Fokus für Esacks Theologie geändert: Nach dem Ende der Apartheid setzte er

sich als Mitglied der Commission for Gender Equality der südafrika-nischen Regierung für die Gleich-stellung von Frauen ein – auch in-nerhalb der muslimischen Ge-meinschaft. Die Marginalisierten der Gesellschaft fand er in Südafri-ka in den AIDS-Kranken; er war einer der Gründer der Positive Muslims, die sich um HIV-infizier-te Muslime kümmern.

Global bleibt Esack ein unbeque-mer Mahner: „Ich habe ein Prob-lem damit, wenn Muslime in den USA, die meist aus der Mittelklasse in Indien oder Pakistan kommen, unbedingt zur amerikanischen Ge-sellschaft gehören wollen und nie-mals die Frage stellen, welche Rolle die USA bei der Verarmung ihrer Heimatländer spielt.“ Damit for-dert Esack von Muslimen im Wes-ten viel, denn die sind vor allem bemüht, von den westlichen Eliten als gleichberechtigte Religionsge-meinschaft anerkannt zu werden und sich als zuverlässige Partner auf Augenhöhe zu präsentieren. Für das erste dieser beiden Anlie-gen hat Esack Verständnis, für das zweite nicht: Einen prophetischen Islam sieht er nicht als zuverlässi-gen Partner der westlichen Eliten, sondern als Störenfried, der unan-genehme Fragen stellt. Es reicht ihm nicht, wenn Muslime im Wes-ten gleichberechtigt mit am Tisch sitzen wollen. „Von einer propheti-schen Perspektive müssen wir auch fragen: Wartet, Leute, wer be-zahlt hier eigentlich für den Tisch? Was ist mit den Arbeitern in der Küche, die nicht bezahlt werden und die uns bedienen, und den Sklaven, die das ganze System zu-sammenhalten?“

Farid Esack ist Professor für islamische Studien an der Universität Johannes-burg in Südafrika. Seit rund dreißig Jahren engagiert er sich für einen Dialog zwischen den Religionen sowie für eine zeitgemäße Auslegung des Koran.

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Christoph Fleischmann ist freier Journalist und Diplom-

Theologe in Köln. Dieses Jahr ist von ihm das Buch „Gewinn in alle Ewigkeit.

Kapitalismus als Religion“ erschienen. (Foto: A. Schiffer-Fuchs)

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GLEICHSTELLUNG

„Neue Rollenvorbilder für Männer schaffen“Für Kambodschas Regierung hat die Gleichstellung von Frauen Priorität

Die kambodschanische Regierung hat sich den Kampf gegen häusli-che Gewalt auf die Fahnen ge-schrieben. Unterstützt wird sie da-rin von der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ). Trotz Kampagnen und Ge-setzen ändern sich Einstellungen und Verhalten aber nur langsam, berichtet Franziska Böhm, die Lei-terin des Projektes „Förderung der Rechte der Frauen“.

Wie weit verbreitet ist häusliche Gewalt in Kambodscha?

Laut offizieller Statistik erleben rund 22 Prozent aller Kambod-schanerinnen einmal oder mehr-mals in ihrem Leben häusliche Gewalt, also ähnlich wie in Deutschland. Alle Gesellschafts-schichten sind betroffen, wobei der Druck zu schweigen bei den besser gestellten Familien und im städtischen Umfeld besonders hoch sein dürfte.

Die Regierung hat 2005 ein Gesetz zum Schutz vor häuslicher Gewalt verabschiedet. In einer Vergleichs-studie wurde 2009 festgestellt, dass dieses Gesetz offenbar Wir-kung zeigt. Wie bewerten Sie die Ergebnisse?

Die Studie hat einige Erfolge nachgewiesen: Die Menschen kennen das Gesetz und wissen, wie sie handeln müssen, um sich zu schützen. Auch die Akzeptanz von Gewalt ist gesunken. Das füh-ren wir unter anderem auf Medi-enkampagnen und Trainings zu-rück. Einzelne Ergebnisse machen allerdings nachdenklich: Heute kennen zwar nur noch 53 Prozent der Befragten einen Mann, der seine Frau misshandelt, während es fünf Jahre vorher noch 64 Pro-zent waren. Gleichzeitig ist aber der Anteil derjenigen gestiegen, die gegen Gewalt lieber nichts tun und schweigen.

Wenn sie direkt gefragt werden, ob Gewalt akzeptabel ist, sagen viele natürlich „nein“. Das Verhalten passt aber nicht immer zu dieser Aussage. Wenn man bestimmte Situationen abfragt, wächst die To-leranz von Gewalt – zum Beispiel, wenn die Frau Geld ausgibt, ohne den Mann zu fragen, eine Affäre hat, wenn sie die Kinder vernach-lässigt, nicht regelmäßig kocht oder mit Freunden ausgeht. Insge-samt zeigt die Studie aber, dass seit 2005 ein Wertewandel hin zu mehr Gleichstellung von Mann und Frau stattgefunden hat.

Wie steht es mit der Beteiligung von Frauen am politischen und wirtschaftlichen Leben?

Nur wenige Frauen bekleiden ein politisches Amt. In der Justiz gibt es rund 230 Richter und Staatsan-wälte, davon sind 16 Frauen. Ein ähnlicher Prozentsatz findet sich im Parlament und in der Regie-rung. Dafür gibt es eine große Zahl kleiner und mittelständischer Un-ternehmerinnen. Die ältere Gene-ration ist sehr traditionell, aber immer mehr junge Frauen suchen sich ihren eigenen Weg und leh-nen beispielsweise eine frühe Hei-rat ab, um ihre berufliche Entwick-lung voranzutreiben.

Befürchten Sie mit zunehmender Emanzipation auch mehr Gewalt als Gegenreaktion der Männer?

Gewalt dient der Demonstration und dem Erhalt von Macht – auch innerhalb der Familie. Die schwie-rige Wirtschaftslage setzt viele Männer unter Druck, sie müssen ein Einkommen erwirtschaften und die Familie ernähren. Zu-gleich werden sie in ihrer Rolle als Haushaltsvorstand herausgefor-dert und sehen eine Politik, die sehr stark – und manchmal viel-leicht etwas einseitig – die Frauen stärkt. Der Mann wird oft nur als

Täter dargestellt, als derjenige, der letztlich die Entwicklung der Ge-sellschaft behindert. Wir beob-achten in jüngster Zeit eine Zu-nahme von Vergewaltigungen. Und wir fragen uns, ob das auch ein Reflex ist, um auf individuel-ler Ebene Macht auszuüben und zu demonstrieren.

Was tut die Politik konkret für die Frauen?

Die Regierung hat die Gleichbe-rechtigung zu einer Priorität er-klärt. Das Frauenministerium hat 2007 auf nationaler, lokaler und Provinzebene eine Sondergerichts-polizei geschaffen, die Ansprech-partner für Gewaltopfer sein soll. Auf lokaler Ebene wurden Quoten-regelungen geschaffen, um die Zahl der Frauen in den Polizeipos-ten und den Volksvertretungen zu erhöhen. Ferner soll ab 2011 mit Unterstützung der deutschen Bun-desregierung ein Fonds aufgelegt werden, mit dem Projekte der Zi-vilgesellschaft zur Rechtsberatung, psychosozialen Beratung und Be-gleitung vor Gericht finanziell un-terstützt werden.

Wie könnten Männer in die Anti-Gewalt-Arbeit einbezogen werden?

Es wird vor allem darum gehen, neue Rollenvorbilder zu schaffen, mit denen sich Männer identifi-zieren können – damit sie nicht immer nur hören, was sie nicht tun dürfen. Außerdem wird es wichtig sein, die bereits begonne-ne Kinder- und Jugendbildung auszubauen. Auch Kinder und Ju-gendliche müssen ihre Rechte kennen und lernen, sich gegen Übergriffe zu wehren. Bislang fehlt an den Schulen zum Beispiel eine Sexualerziehung, die deut-lich macht, wo die Grenzen zur sexuellen Gewalt liegen.

Das Gespräch führte Gesine Kauffmann.

Franziska Böhm leitet für die GTZ in Kambodscha das Projekt „Förderung

der Rechte der Frauen“.GTZ

Wie erklären Sie das?

Viele Opfer schämen sich und schweigen. Sie versprechen sich nichts davon, an die Behörden her-anzutreten und fürchten weitere Attacken. Hinzu kommt der Druck der Familie, die sagt, regelt das mal als Paar, weil es sonst peinlich wird. Häusliche Gewalt wird als Familienangelegenheit angese-hen. Der Weg vor ein Gericht kann außerdem kostspielig werden.

Haben sich die Einstellung und das Verhalten von Polizei und Be-hördenmitarbeitern verändert?

Polizei und Behörden wissen heu-te, wie sie bei häuslicher Gewalt eingreifen müssen, um Opfer zu schützen. Zum Beispiel mit einer Schutzanordnung des Gerichts; hier hat die GTZ auch mit Trai-nings für Richter und Richterin-nen geholfen. Aber es muss noch mehr getan werden. Eigentlich sollten Polizei und Verwaltung die Anwendung von Gewalt unter keinen Umständen für akzepta-bel halten. Das ist noch nicht der Fall.

Laut Ihrer Studie rechtfertigen bestimmte „Verstöße“ gegen das weibliche Rollenverhalten in den Augen vieler Befragter die Anwen-dung von Gewalt.

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JOURNAL

Working Paper 225October 2010

When Does Rigorous Impact Evaluation Make a Difference? The ase of the Millennium Villages

Abstract

When is the rigorous impact evaluation of development projects a luxury, and when a necessity? We study one high-profile case: the Millennium Villages Project (MVP), an experimental and intensive package intervention to spark sustained local economic development in rural Africa. We illustrate the benefits of rigorous impact evaluation in this setting by showing that estimates of the project’s effects depend heavily on the evaluation method. Comparing trends at the MVP intervention sites in Kenya, Ghana, and Nigeria to trends in the surrounding areas yields much more modest estimates of the project’s effects than the before-versus-after comparisons published thus far by the MVP. Neither approach constitutes a rigorous impact evaluation of the MVP, which is impossible to perform due to weaknesses in the evaluation design of the project’s initial phase. These weaknesses include the subjective choice of intervention sites, the subjective choice of comparison sites, the lack of baseline data on comparison sites, the small sample size, and the short time horizon. We describe how the next wave of the intervention could be designed to allow proper evaluation of the MVP’s impact at little additional cost.

JEL Codes: F35, O12, O22

www.cgdev.org

Michael A. Clemens and Gabriel Demombynes

Michael A. Clemens, Gabriel DemombynesWhen Does Rigorous Impact Evaluation Make a Diff erence? The Case of the Millennium VillagesCenter for Global Development, Working Paper 225, Washington D.C., October 2010, 49 Seiten

Glaubt man der Selbstdarstellung des UN Millennium Project, dann sind die so genannten Millenni-umsdörfer in Afrika ein voller Er-folg und sollten schleunigst über den ganzen Kontinent ausgedehnt werden. Laut einer Studie des Cen-ter for Global Development (CGD) in Washington ist das ziemlich vermessen: Es gibt bislang über-haupt keine aussagekräftigen Un-tersuchungsergebnisse, mit denen sich die Wirkung des Projekts bele-gen ließe, schreiben Michael A. Clemens vom CGD und Gabriel Demombynes von der Weltbank.

Die zwölf Millenniumsdörfer in zehn Ländern Afrikas erhalten seit rund fünf Jahren gezielte und auf-

ARBEITSBEDINGUNGEN

„Auf Kosten der Arbeiterinnen billig produziert“Die Christliche Initiative Romero legt sich mit der Discounterkette Aldi an

Die Christliche Initiative Romero (CIR) hat anlässlich des internatio-nalen Tags für menschenwürdige Arbeit am 7. Oktober mit einer Pro-spektpersifl age die Produktionsbe-dingungen bei Zulieferern von Aldi in Asien und Mittelamerika ange-prangert. Aldi weist die Anschuldi-gungen zurück und drohte dem christlichen Verein zunächst mit einer Klage.

Eine Jeans für 9,99 Euro – „manuell sandgestrahlt in der Türkei, dies führt zu Atemwegserkrankungen (Silikose) aufgrund von giftigen Dämpfen“. Passend dazu das T-Shirt für nur 4,29 Euro – „beide wurden auf Kosten der ArbeiterIn-nen billig produziert“. Dies ist kei-ne besonders werbewirksame Bot-schaft, doch so ist es in einem Pro-spekt zu lesen, der auf den ersten Blick wie eine Reklame von Aldi wirkt. Auf den zweiten Blick sieht der Betrachter allerdings, dass es sich um eine Persifl age handelt, denn sämtliche Logos wurden ver-ändert. Die Christliche Initiative Romero will damit auf die nach ih-ren Recherchen miserablen Ar-beitsbedingungen in Aldi-Zulie-ferfi rmen in Ländern wie Guate-mala, Honduras oder Vietnam aufmerksam machen. Die Essener Unternehmensgruppe Aldi Nord GmbH wehrt sich gegen die Be-schuldigungen und hat in einem Schreiben ihrer Anwälte die CIR aufgefordert, die Verteilung des Prospekts zu unterlassen. Anders als in diesem Schreiben angedroht, will Aldi bei Zuwiderhandlung nun aber doch nicht gerichtlich ge-gen Romero vorgehen.

„Unsere Quellen sind Aussagen von Arbeitern und Arbeitsrechts-organisationen vor Ort“, sagt San-dra Dusch Silva, Referentin bei der CIR. Die setzt sich seit 1981 für Ar-beits- und Menschenrechte in Ländern Mittelamerikas ein. Die Organisation werde sich nicht ein-

schüchtern lassen, sagt Dusch Sil-va. Mit den Prospekten und auf ih-rer Internetseite ruft sie weiterhin zu Protestaktionen gegen Aldi auf. Die Organisation fordert, Aldi solle die Produktionsbedingungen bei seinen Zulieferern off enlegen und auf die Einhaltung von Sozialstan-dards bei den Lieferanten achten.

In einer schriftlichen Stellungnah-me von Aldi gegenüber „welt-sich-ten“ teilte das Unternehmen mit, dass es nicht die Absicht habe, ge-richtlich gegen die CIR vorzugehen, sondern lediglich eine Abmah-nung habe aussprechen lassen, da

„eindeutig“ Rechte verletzt und „unzutreff ende Aussagen“ getätigt worden seien. So habe Aldi zum Beispiel zu keinem Zeitpunkt ein

„Nokia-Handy 3110“ angeboten hat, noch vertreibe es Weihnachts-sterne aus Guatemala, wie es in dem Persifl ageprospekt dargestellt werde. Die Weihnachtssterne stammen laut Aldi aus deutscher Produktion. Außerdem sei der im Prospekt abgebildete Multimedia-Monitor „weder von Aldi angebo-ten, noch von der Medion AG ver-trieben“ worden.

Unternehmensgruppen. Den Ori-ginalbildschirm der Firma Medion habe die Christliche Initiative Ro-mero aus markenrechtlichen Gründen nicht abbilden dürfen. Die Argumentation von Aldi geht für Dusch Silva jedoch „am Thema vorbei“.

Aldi macht in seinem Schreiben außerdem darauf aufmerksam, dass das Unternehmen seit 2008 der Business Social Compliance In-itiative (BSCI) angehört. Denn auch für Aldi seien „Verstöße gegen Menschen- und Arbeitsrechte nicht hinnehmbar“. Die Initiative ist ein Verbund international täti-ger Unternehmen, der sich für die Umsetzung einheitlicher und sozi-aler Produktionsstandards ein-setzt. Die Initiative steht jedoch selbst bereits seit längerem in der Kritik. Zahlreiche Organisationen bemängeln, sie sei intransparent und lasse sich nicht von Gewerk-schaften und zivilgesellschaftli-chen Organisationen kontrollieren. Saara Wendisch

Dusch Silva räumt ein, dass zwar Aldi Nord diese Produkte nicht vertreibe, sie jedoch zum Sorti-ment von Aldi Süd gehörten. Die Persifl age nutze die Symbole und Farben von Aldi Nord, doch ange-sprochen werden sollten beide

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einander abgestimmte Hilfe in Be-reichen wie Landwirtschaft, Bil-dung, Gesundheit, Wasserversor-gung und Zugang zu Kommunika-tionstechnologien. Das Projekt soll zeigen, dass Afrika mit solcher Hil-fe der Armut entkommen und auf eigene wirtschaftliche Füße ge-stellt werden kann. Eine im Juni vorgelegte Zwischenbilanz belegt nach Ansicht der durchführenden Organisationen die bisher erziel-ten Fortschritte.

Clemens und Demombynes se-hen das anders. Die Evaluierung zeige nur, dass sich die Situation in den Dörfern in vielen Punkten verbessert habe. Sie erlaube aber keine Aussage darüber, ob die ge-leistete Hilfe die Ursache dafür ist. Um das zu testen, vergleichen Clemens und Demombynes die Millenniumsdörfer mit anderen Dörfern in denselben Ländern. Er-gebnis: Auch diese haben in den vergangenen Jahren teilweise

große Fortschritte gemacht; ins-gesamt gibt es keine wesentli-chen Unterschiede zu den Millen-niumsdörfern.

Das bedeute nicht unbedingt, dass das Millennium Project nutzlos ist, schreiben die Auto-ren. Wohl aber bedeute es, dass es bislang keinen Beleg gibt, ob es denn sinnvoll ist. Und um ei-nen solchen Beleg sollten sich die Projektmacher ernsthaft bemü-

hen, bevor sie für eine Ausdeh-nung auf andere Dörfer plädie-ren, fordern Clemens und De-mombynes. Zugleich deuten sie aber ihre Zweifel an, dass es ein echtes Interesse an einer solchen Untersuchung gibt. Das Design der nächsten geplanten Evaluati-on enthält ihrer Ansicht nach eine Reihe von gravierenden Schwächen, die aussagekräftige Ergebnisse unwahrscheinlich machen. (ell)

600 Millionen Euro hat die Bundes-regierung – nach einigem Hinhal-ten – dem Globalen Fonds gegen Aids, Tuberkulose und Malaria (GFATM) für die kommenden drei Jahre zugesagt. Doch im Haushalt sind nach wie vor nur 200 Millio-nen für 2011 eingestellt. Wo das übrige Geld herkommen soll, ist unklar. Das Finanzministerium je-denfalls will von Aufstockung nichts wissen.

Dass der Globale Fonds gute Ar-beit leistet, bestreitet niemand. Auch dass Deutschland in diesen multilateralen Topf seit 2002 rund 1,2 Milliarden Euro einzahl-te, galt bis jetzt als höchst wirk-sam eingesetztes Geld. Auch Ent-wicklungsminister Dirk Niebel sieht das nicht anders. Dennoch wollte er bei der jüngsten Wie-derauffüllungsrunde die Taschen zuhalten. Begründung: Man habe

angesichts der vielen anderen multilateralen Verpflichtungen die Mittel schlicht nicht. Zudem sei es erklärtes Ziel der Regierung, zwei Drittel der staatlichen Ent-wicklungsgelder direkt (bilateral) in deutsche Projekte fließen zu

lassen und nicht multilateral auszugeben. Nicht Entwicklungs-minister Niebel war es denn auch, sondern die Bundeskanzlerin, die beim New Yorker UN-Millenni-umsgipfel Ende September Bewe-gung in die verfahrene Angele-genheit brachte. Man wolle den Globalen Fonds „weiterhin auf hohem Niveau“ fördern, erklärte Angela Merkel dort – zur Überra-schung nicht zuletzt von Dirk Nie-bel. Der Minister lenkte ein und versprach dem Fonds 600 Millio-nen Euro bis 2013 – vorbehaltlich der Zustimmung des Bundestags.

Die Finanzplanung sieht nach 2011 kein Geld für den Fonds vorEs ist Geld, das Niebel größten-teils nicht hat. Laut mittelfristiger Finanzplanung sind in den Etats für 2012 und 2013 bis jetzt keiner-lei Mittel für den Globalen Fonds vorgesehen; nach 2011 klafft so-mit eine Lücke von 400 Millionen Euro. Und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ließ den Ent-wicklungsminister unmissver-ständlich wissen, dass sich daran auch nichts ändern werde; von ihm sei nicht mehr Geld zu erwar-ten. Niebel wiederum blieb hart: Die Zusage der Kanzlerin sei eine Neuzusage, die „aus den vorhan-denen Mitteln nicht bedient wer-den“ könne – jedenfalls nicht, ohne dem Koalitionsvertrag zu-wider zu handeln, der nun einmal

vorsehe, die bilaterale Zusam-menarbeit zu verstärken und nicht die multilaterale.

So bleibt die Frage, woher das Geld jetzt kommen soll. Im BMZ kann man sich lediglich vorstellen, dem Fonds mit einer „bilateralen Bei-stellung“ aufzuhelfen. Doch wie diese vonstatten gehen soll, ist unklar. Nach BMZ-Vorstellung könnte in Absprache mit dem Fonds ein bestimmtes Einzelpro-gramm gefördert werden – und diese Förderung dann als bilatera-le deutsche Zuwendung deklariert werden. Ob man sich freilich beim GFATM auf solche Tricks einlässt, ist fraglich; üblich ist, dass dessen Beirat allein entscheidet, in wel-che Länderprogramme das zur Verfügung stehende Geld geht.

„Die Entscheidung liegt jetzt beim Fonds“, sagt dazu trocken ein Sprecher des BMZ – und räumt ein, dass der deutsche Vorschlag dort nicht gerade Begeisterung auslöst. Was ab 2012 geschieht, müsse im Übrigen nicht schon jetzt definitiv entschieden wer-den. Verbindlich verhandelt wür-de dieser Bundeshaushalt schließ-lich erst im kommenden Jahr. Derweil haben viele andere Län-der ihre Beiträge zu dem Fonds nicht bloß fortgeschrieben, son-dern zum Teil deutlich erhöht. Johannes Schradi

BERLIN

Ein bislang ungedeckter ScheckAngela Merkel sagt dem Globalen Gesundheitsfonds Geld zu, das Dirk Niebel nicht hat

Bundeskanzlerin Angela Merkel überrascht mit ihrer Zusage an

den Globalen Fonds beim UN-Milleniumsgipfel in New York ihren

Entwicklungsminister Dirk Niebel. HANNIBAL HANSCHKE/

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BERLIN JOURNAL

Das Ergebnis des New Yorker Gip-fels zum Erreichen der UN-Millen-niums-Entwicklungsziele (MDGs) im September ist dürftig. Umso mehr kommt es jetzt darauf an, über den Gipfel und die MDGs hin-aus zu denken, finden entwick-lungspolitische Organisationen. Nächste Gelegenheit: das G20-Treffen in Südkorea Anfang No-vember.

Schon vor dem an kollektiver Mattheit leidenden New Yorker MDG-Gipfel hatte Dirk Messner, der Direktor des Deutschen Insti-tuts für Entwicklungspolitik (DIE), befunden, es genüge nicht, die Millenniums-Agenda einfach über das Zieljahr 2015 hinaus fort-zusetzen. Wenn Entwicklungspo-litik nicht zur Katastrophenhilfe verkümmern solle, so Messner, dann müssten neue Ziele „hinzu-erfunden“ werden, vornweg der Klimaschutz. Achim Steiner, der Chef des UN-Umweltprogramms UNEP, sekundierte, nicht nur bei den Millenniumszielen hinke man blamabel hinter den eigenen Ver-sprechungen her; auch bei der Re-duktion von Treibhausgasen oder dem Schutz der Artenvielfalt gebe es kaum Fortschritte.

Aber wie gegensteuern, wenn UN-Großgipfel nur flaue Ergeb-nisse bringen? Inge Kaul, die frü-her beim UN-Entwicklungspro-grammm UNDP tätig war und heute an der Hertie School of Governance in Berlin lehrt, ver-spricht sich Besserung von der Aufwertung des UNDP zu einer Zentralstelle zur Finanzierung der Millenniumsziele. Dann könnte gezielter geholfen und dem Ge-ber-Wirrwarr sowie dem Mangel an Zahlungsmoral ein Ende berei-tet werden, sagte sie auf einer MDG-Gipfel-Rückschau des Dach-verbandes der entwicklungspoli-tischen Organisationen Venro, des Global Policy Forum Europe und terre des hommes in Berlin. Achim Steiner wiederum sieht die Not-

wendigkeit, das UN-Umweltpro-gramm zu einer echten internati-onalen Organisation beziehungs-weise zu einem Hauptorgan der Vereinten Nationen aufzuwerten, um die internationale Umweltpo-litik zu stärken – eine schon seit langem diskutierte Idee, die auch von der EU, der deutschen Bun-desregierung und anderen Län-dern gestützt wird.

Experten sagen, die G20 solle mehr gegen Armut tunDoch das alles würde dauern, wenn es überhaupt zustande kommt – während Umwelt-, Kli-ma- und Entwicklungsprobleme nach raschem Handeln verlangen. Auf der Suche nach Rettung ruht deshalb viel Hoffnung auf der po-tenten Gruppe der G20, in der alte Industrie- und neue Schwellenlän-der zusammenkommen. Zwar ist klar: Die G20 repräsentiert nicht die Gesamtheit der UN-Staaten und insbesondere nicht die armen Länder. Aber immerhin versam-melt sie zwei Drittel der Weltbe-völkerung und 80 Prozent der Weltwirtschaftsleistung. Experten wie Thomas Fues vom DIE und Reinhard Hermle von Oxfam sind deshalb der Ansicht, dass sie zu-mindest als „Steuerungskomitee, komplementär zur UN“ eine Rolle spielen solle. „Ein Seoul-Konsens für Armutsbekämpfung und Nach-haltigkeit wäre schon etwas“, sagt Hermle mit Blick auf den bevorste-henden G20-Gipfel in der südkore-anischen Hauptstadt.

Doch ob es dazu kommt, ist frag-lich: In der G20 haben die Finanz-minister und nicht die Entwick-lungs- oder die Umweltminister das Sagen. Entsprechend fällt auch das bereits vorliegende G20-Papier zur Entwicklungspo-litik aus. Es verheißt mehr Au-genmerk für die armen Länder, setzt aber vorrangig auf mehr Wachstum. Nachhaltigkeit im Sinn einer Green Economy, die wirtschaftliche Entwicklung eng

mit Umwelt- und Klimaschutz verbindet, ist bis jetzt ebenso we-nig das Thema der G20 wie ge-zielte Armutsbekämpfung.

Und so ist nach dem Gipfel dann doch wieder vor dem Gipfel. In zwei Jahren findet in Brasilien der „Rio+20“-Erdgipfel statt – 20 Jahre nach der wegweisenden UN-Konferenz über nachhaltige Entwicklung von 1992. Bis dahin,

so die Forderung der NGO-Konfe-renz in Berlin, muss es gelingen, die Millenniumsziele zur Ar-mutsbekämpfung zu „Globalen Entwicklungszielen“ (GDG) zu er-weitern. Johannes Schradi

Millenniumsziele: Nach dem Gipfel ist vor dem GipfelNeue Ideen nach der enttäuschenden MDG-Konferenz in New York

In 29 Staaten weltweit ist das Aus-maß von Hunger und Mangeler-nährung ernst bis sehr ernst. Das geht aus dem neuen Welthunger-Index hervor, den die Deutsche Welthungerhilfe und das Interna-tionale Forschungsinstitut für Er-nährungspolitik (IFPRI) in Berlin vorgelegt haben. Während in Süd-ostasien, Lateinamerika und den Karibik-Staaten der Hunger seit 1990 deutlich zurückgedrängt werden konnte, bleibt laut dem Bericht die Lage in Südasien und besonders in Afrika alarmierend. Vor allem Kriege und Gewaltkon-flikte haben dort Armut und Er-nährungsunsicherheit wachsen lassen. Am schlechtesten ist laut dem Index die Situation in der Demokratischen Republik Kongo, gefolgt von Burundi, Eritrea und

Tschad. Als eine der größten Her-ausforderungen im Kampf gegen den Hunger wertet die Welthun-gerhilfe die Mangelernährung bei Kindern. Zwei Drittel aller Kinder unter fünf Jahren seien unterent-wickelt – mit irreversiblen Folgen für das ganze Leben. Über 90 Pro-zent von ihnen leben laut dem Bericht in Afrika südlich der Saha-ra und in Asien. Bessere Gesund-heitsvorsorge und Ernährung speziell für Kinder könnten Abhil-fe schaffen. Welthungerhilfe-Prä-sidentin Bärbel Dieckmann ap-pellierte an die Bundesregierung, ländliche Entwicklung und Er-nährungssicherung in den Mittel-punkt der Entwicklungszusam-menarbeit zu stellen. „Außen-wirtschaftliche Interessen sollten dahinter zurückstehen.“ (di)

KURZ NOTIERT

Bedeutungsverlust zugunsten der G20? Das Hauptquartier der UN bei

deren 60-jährigem Jubiläum 2005.UN PHOTO/ MARK GARTEN

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JOURNAL BRÜSSEL

Der UN-Beauftragte für das Recht auf Nahrung fordert ein Verbot spekulativer Geschäfte auf den Märkten für landwirtschaftliche Rohstoffe. Doch die von der EU-Kommission anvisierte Regulie-rung der Finanzmärkte würde Ag-rarspekulanten weitgehend unge-schoren davonkommen lassen. Gleichzeitig bereitet Brüssel die nächste Periode der EU-Agrarpoli-tik vor, die vornehmlich an einem weiteren Wachstum des Agrar-Au-ßenhandels orientiert ist.

Der „Brotaufstand“ in Mosambik Anfang September, als es zu Unru-hen mit Toten und Verletzten we-gen gestiegener Nahrungsmittel-preise kam, ist zwar weithin als erste Warnung vor den Folgen von Preisspekulationen auf dem Welt-markt für Nahrungsmittel wahr-genommen worden. Doch das fin-

det in der Ausrichtung der EU-Ag-rarpolitik der nächsten sieben Jah-re bestenfalls rhetorisch seinen Niederschlag; wirklich ändern will Brüssel an diesem Missstand

BRÜSSEL

Keine Gefahr für SpekulantenDie EU unternimmt nichts gegen den Anstieg der Nahrungsmittelpreise

Bisher hatte die Europäische Union neun Staaten als „strategische Partner“ auserkoren, fünf weitere sollen nach Vorschlag der EU-Au-ßenamtskommissarin Catherine Ashton demnächst hinzukommen. Die noch offene Liste sollte den Chefs der EU-Regierungen auf ei-nem Treffen Mitte September zur EU-Außenpolitik als Anregung die-nen. Ziel: Die Rolle Europas in der Weltpolitik stärken.

Nach Ansicht von EU-Ratspräsi-dent Herman Van Rompuy hat Europa auf der Kopenhagener Kli-makonferenz vor einem Jahr eine arge Niederlage einstecken müs-sen, als US-Präsident Barack Oba-ma mit den Entwicklungsländern die Schlussübereinkunft aushan-delte – ganz ohne die Europäer. „Dadurch ist der Eindruck ent-standen, dass die EU ins Abseits gestellt wurde“, so Van Rompuy nach dem informellen EU-Gipfel am 16. September. „Wir werden uns jetzt gewahr, wie sich die wirtschaftliche Stärke der Ent-wicklungsländer zur politischen Macht wandelt.“

Mit der Suche nach allerlei „stra-tegischen Partnern“ will Brüssel deshalb offenbar die Selbstdar-stellung Europas verbessern. Der schwammige Begriff ist zwar bisher nicht genauer definiert, taucht aber seit 2007 immer mal wieder in Schlusserklärungen von bilateralen Treffen auf. Prak-tisch verbunden waren damit bisher vor allem engere Kontak-te zu Vertretern der betreffenden Länder. Auf der Liste stehen frei-lich Staaten, die ohnehin für die EU wichtig sind: die USA und Ka-nada, Japan, Russland, Mexiko, Brasilien, China, Indien und Süd-afrika. Dazukommen sollten nun nach Ashtons Vorschlag zumin-dest Ägypten, Israel, die Ukraine, Pakistan, Indonesien und Südko-rea. Es traf sich gut, dass eine Viel-

zahl der Auserwählten Anfang Oktober zu bilateralen Treffen mit der EU beziehungsweise zur Groß-veranstaltung des „Asien-Europa-Treffens“ (ASEM) zusammenka-men, dem zweijährigen Gipfel der 27 EU-Länder und 17 Ländern aus Asien sowie Australien und Neu-seeland. Doch bei den Terminen mit Südafrikas Präsident Jacob Zuma und Chinas Premier Wen Jiabao wurden auch ein paar Schlaglöcher auf den Gipfelwegen sichtbar. So verstand Zuma die „strategische Partnerschaft“ wohl auf etwas andere Weise als Brüs-sel. Die EU sollte verstehen, dass die von der EU forcierten Freihan-delsverträge mit dem südlichen

Afrika, mit denen die Entwick-lungsgemeinschaft des Südlichen Afrika (SADC) auseinandergeteilt würde, mit einer solchen Partner-schaft nicht zu vereinbaren seien. Zudem, so Zuma, müsse die EU ihre Sanktionen gegen Simbabwe aufheben, denn sie wirkten den Bemühungen der SADC um Refor-men dort entgegen.

Südafrika versteht etwas anderes unter PartnerschaftChinas Regierung wiederum war vom Drängen der Europäer auf eine Aufwertung der chinesi-schen Währung so verärgert, dass sie eine gemeinsame Pressekon-ferenz der Präsidenten von EU-

Kommission und -Ministerrat und dem chinesischen Premier Wen Jiabao nach Abschluss des EU-China-Gipfels am 6.Oktober absagte.

Immerhin brachte das ASEM-Tref-fen aus Brüsseler Sicht ein kleines Erfolgserlebnis, das die Schmach von Kopenhagen zumindest etwas wettmacht: Im Abschlussdoku-ment des Treffens erklären die Teilnehmer, sie strebten ein „recht-lich bindendes“ Ergebnis der UN-Klimaverhandlungen an. Das ist genau der Punkt, der von Obama geschickt aus der Kopenhagener Erklärung herausgehalten worden war. Heimo Claasen

BRÜSSEL

Brüsseler BrautschauDie EU sucht strategische Partner in aller Welt und will damit ihr Image polieren

Proteste gegen zu hohe Nahrungsmittelpreise in Mosambik:

In Maputo brennen im September 2010 die Barrikaden.

REUTERS

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BRÜSSEL JOURNAL

nichts. Für die Befürworter einer starken Stützung der EU-Land-wirtschaft dienen die Preis-schwankungen als Argument da-für, den Anteil der Subventionen am EU-Haushalt aufrechtzuerhal-ten. Ziel ist die „Stabilität“ der Be-triebe bei zunehmender Unsicher-heit der Erlöse; die Stütze der EU soll weitgehend abgekoppelt sein von immer stärker schwankenden Marktpreisen.

Damit aber geben die Befürwor-ter der Subventionen, mit dem französischen Agrarminister an der Spitze einer Mehrheit seiner EU-Kollegen, zugleich den Markt-kräften mehr Spielraum. Das will das Lager der Subventionsgegner ohnehin, allen voran die britische und schwedische Regierung, aber eben ohne oder nur mit möglichst geringen EU-Subventionen. Diese Position wiederum unterstützt eine große Mehrheit der EU-Fi-nanzminister.

Die Landwirtschaft der EU soll auf dem Weltmarkt mithaltenDie Bruchlinie geht quer durch fast alle 27 EU-Regierungen und ist schon jetzt in der Debatte um die Haushaltsvorlage der EU-Kommission für nächstes Jahr sichtbar. Sie wird wohl auch die längerfristige Ausrichtung der EU-Agrarpolitik der Periode 2013 bis 2020 bestimmen, für die EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos im November einen ersten Ent-wurf vorlegen soll.

Zwar sieht man auch in Ciolos’ Agrarabteilung der Kommission Stabilität gegenüber immer wil-deren Preisschwankungen als Grundbedingung fürs Überleben der EU-Landwirtschaft. Aber längst ist nicht mehr das bloße Überleben, sondern die Handels- und Wettbewerbsposition der EU der alles überragende Maßstab. Die EU ist bereits der weltgrößte Agrar-Außenhändler, und die Ex-pansion in neue Märkte in Latein-amerika, Afrika und Asien ist das oberste Gebot der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP).

Der UN-Berichterstatter für das Recht auf Nahrung, Olivier de

Schutter, sieht genau darin eine der strukturellen Ursachen für den zunehmenden Hunger in vielen Ländern eben dieser „neuen Märk-te“: Dort wird die einheimische, kleinbäuerliche Landwirtschaft verdrängt, da sie weder die für in-dustrielle Rohstoffe geforderte standardisierte Qualität noch die erforderlichen Mengen liefern kann. Und auch auf den lokalen städtischen Märkten können die einheimischen Bauern gegen die industriell verarbeiteten Lebens-mittel nicht konkurrieren.

Diese Krisenlage wird von der Spe-kulation mit Finanzprodukten, die sich auf Nahrungsmittelpreise be-ziehen, erheblich verschärft, stellt de Schutter in seinem jüngsten Be-richt vom September und in einem Beitrag zur Konferenz des UN-Welternährungsausschusses im Oktober in Rom fest. Die regelrech-te Explosion der Preise in den Jah-ren 2007 und 2008, die nach nur vorübergehender Beruhigung im vorigen Jahr nun wieder zu stei-gen beginnen, sei fast ausschließ-lich von spekulativen Geschäften verursacht. Im Grunde, so Schutter, müsste diese Art Spekulation an den Warenterminbörsen für Ag-rarrohstoffe verboten und der Handel mit außerbörslichen Fi-nanzprodukten viel strenger regu-liert werden.

Daran aber will die EU nicht rüh-ren. In den jüngsten Vorschlägen zur Finanzmarkt-Besteuerung, vorgelegt von Steuer-Kommissar Algirdas Semeta am 7.Oktober, werden nur Bankengeschäfte im Börsenhandel erfasst, nicht aber der außerbörsliche Direkthandel (over the counter, OTC) – und auf den entfallen so gut wie alle der aus den Termingeschäften abge-leiteten Spekulationspapiere. In der von Dienstleistungskommis-sar Michel Barnier im September vorgelegten Regulierung ist zwar vorgesehen, dass auch OTC-Ge-schäfte registriert würden, um mehr Transparenz der Finanz-märkte zu erreichen. Aber auch davon wäre nur der Direkthandel der Banken betroffen, während unabhängige Händler ungescho-ren davonkämen. Heimo Claasen

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Mission EineWelt gestaltet im Auftrag der Evangelisch-LutherischenKirche in Bayern die partnerschaftlichen Beziehungen zu Kirchen inAfrika, Lateinamerika und Pazifik/Ostasien und setzt sich in Deutschlandfür die Anliegen der Einen Welt ein.

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JOURNAL SCHWEIZ | ÖSTERREICH

Wenn Firmen mit Hauptsitz in der Schweiz in Entwicklungsländern investieren, dann sollten sie auch ihre Tochterfirmen zur Respektie-rung von Grundrechten verpflich-ten. Das fordern nichtstaatliche Organisationen und Hilfswerke. Doch die Regierung setzt auf frei-willige Maßnahmen. Dass das nicht ausreicht, zeigt ein Beispiel aus Sierra Leone.

Das Energieunternehmen Addax & Oryx Group (AOG) mit Sitz in Genf plant in Sierra Leone ein 220-Millionen-Euro-Projekt. Seine 2008 gegründete Tochterfirma Addax Bioenergy Sierra Leone Ltd. will dort den Anbau von Zucker-rohr von derzeit 400 auf 10.000 Hektar gepachtetem Land aus-dehnen. Gebaut werden eine Raf-finerie, die Agrotreibstoffe für den europäischen Markt produzieren, und ein Kraftwerk, das aus Bio-masse Strom für den Regional-markt liefern soll. Wo rund 17.000 Menschen vornehmlich von der Landwirtschaft leben, lässt Addax Bioenergy rund 2000 Arbeitsplät-ze schaffen. „Wir wollen neben einem wirtschaftlichen Gewinn auch Verbesserungen vor Ort er-reichen und befolgen Richtlinien internationaler Finanzinstitutio-nen“, betont der Projektverant-wortliche Nikolai Germann.

Allerdings sehen sich betroffene Bauernfamilien ungenügend in-formiert und über den Tisch gezo-gen, auch wenn sie Auslandsin-vestitionen grundsätzlich begrü-ßen. Punkte wie die finanzielle Entschädigung und die Kompen-sation von Land seien nicht trans-parent geregelt; zudem seien die Pachtpreise niedrig. Wie Moha-med Conteh vom afrikanischen Netzwerk für Recht auf Nahrung RAPDA in Sierra Leone auf einem Symposium im Oktober in Genf berichtete, fordern die Kleinbau-ern mit Unterstützung von regie-

rungsunabhängigen Organisatio-nen (NGO) und Kirchen eine Über-prüfung der Landpachtverträge. Trotz guter Absichten von Addax müsse das Projekt „von allen Par-teien gemeinsam weiterentwi-ckelt werden“, plädierte der Gene-ralsekretär des Kirchenrats von Si-erra Leone, Sahr Kemoore Salia.

Das Geschäft ist kein Landraub, aber dennoch gefährlichDer Leasing-Vertrag erlaube die Bodennutzung für beliebige an-dere Zwecke und gebe der Firma auch Rechte auf Wasserquellen, präzisierte Rechtsanwalt Sonkita Conteh aus Sierra Leone, der das Geschäft im Auftrag der Kirchen und NGOs untersucht hat. Die Ge-setze des fragilen und bitterar-men Staates seien veraltet, es gebe kaum Sozial- oder Umwelt-auflagen, Addax erhalte etliche Vorteile wie Steuerbefreiung. Beat Dietschy, der Zentralsekretär von Brot für alle (BFA), resümierte, Ad-dax begehe zwar keinen „Land-klau“, doch das Beispiel zeige die Gefahr, „dass im Rahmen von Ge-setzen das Recht auf Nahrung und der Zugang zu Wasser unter-graben wird“. Nach Angaben von Mohamed Conteh umfassen sämtliche bestehende sowie kurz

vor Abschluss stehende Leasing-Verträge ein Viertel der landwirt-schaftlichen Nutzfläche in Sierra Leone.

Brot für alle und Fastenopfer wa-ren bei Recherchen zu „Land Grab-bing“ auf das Großprojekt gesto-ßen. Zusammen mit der Kommis-sion Dritte Welt der katholischen Kirche Genf (Cotmec) wollen sie die Verantwortung von Staat und Wirtschaft klären, um die Verlet-zung von Grundrechten infolge von Firmenaktivitäten im Ausland auszuschließen. Im Fall Addax in Sierra Leone sehen sie jedoch kei-ne Möglichkeit, auf dem Rechts-weg in der Schweiz auf das Projekt Einfluss zu nehmen. Brot für alle und Fastenopfer wollen das Pro-jekt jedoch langfristig beobachten.

Die Schweiz habe keine nationale Strategie für Unternehmensver-antwortung im Ausland, erklärte Botschafter Jean-Jaques Elmiger, Direktor für Internationale Ar-beitsfragen im Staatsekretariat für Wirtschaft (SECO). Die Regie-rung setze bewusst auf freiwillige Maßnahmen, der Staat spiele eine ergänzende Rolle, indem er Fir-men zu sozialer Verantwortung (Corporate Social Responsibility)

ermutige. Die grüne Abgeordnete Franziska Teuscher kritisierte, die wirtschaftliche Handelsfreiheit werde von Regierung und Parla-ment meistens höher gewichtet als Menschenrechte. Die Schweiz verhalte sich „rückschrittlich“, be-fand auch Chantal Peyer von Brot für alle.

Konzerne müssen mehr soziale Verantwortung übernehmenTeuscher und Peyer machten mehrere Handlungsoptionen aus: Relativ einfach zu realisie-ren seien Unternehmensberichte „Land für Land“. Im Schweizer Handelsrecht ließe sich eine „Sorgfaltspflicht“ (Duty of Care) einführen, damit Unternehmen unabhängig vom Ort mit der nö-tigen Sorgfalt auf die Respektie-rung der Menschenrechte ach-ten. Bei Zuwiderhandlung sollten Klagemöglichkeiten ausgebaut werden. Der für 2011 erwartete Bericht des UN-Sonderbeauftra-gen für Unternehmensverant-wortung und Menschenrechte, John Ruggie, werde einen Refe-renzrahmen setzen. Auch von der laufenden Revision der OECD-Richtlinien erwarten die Fach-leute klarere Vorgaben. Viera Malach, InfoSüd

SCHWEIZ

Auf Kosten des Rechts auf NahrungNGOs fordern eine „Sorgfaltspflicht“ für im Ausland tätige Unternehmen

Die gewaltigen Zugewinne der rechten Freiheitlichen Partei Öster-reichs (FPÖ) bei den Wiener Ge-meinderatswahlen am 10. Oktober sandten Schockwellen durch die politische Landschaft Österreichs. Nach einem ausländerfeindlichen Wahlkampf mit Slogans wie „Mehr Mut für unser Wiener Blut. Zu viel

Fremdes tut niemandem gut“ konnten die Freiheitlichen ihren Stimmenanteil auf fast 27 Prozent nahezu verdoppeln. In den vergan-genen Jahren haben aber vor allem die bürgerlichen Parteien ÖVP und SPÖ die Rechte von Asylbewerbern und Ausländern zunehmend ein-geschränkt.

Bei den in der Bundeshauptstadt regierenden Sozialdemokraten herrscht Ratlosigkeit, wie man der zunehmenden Fremdenfeind-lichkeit begegnen kann, ohne sich auf das Niveau platter Parolen der FPÖ zu begeben. Dabei ist die Par-tei über der Frage des Umgangs mit Migranten seit Jahren gespal-

ÖSTERREICH

Eine „Schande für Österreich“Kirchen fordern ein humaneres Fremdenrecht

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ÖSTERREICH JOURNAL

ten. Während die SPÖ Wien eini-ges an Integrationsarbeit leistet und etwa Mediatoren zur Streit-schlichtung zwischen Alteinge-sessenen und Zuwanderern in den gemeindeeigenen Mietshäu-sern schickt, hat die Bundespartei alle vom Koalitionspartner ÖVP eingebrachten Verschärfungen von Fremden- und Asylrecht mit-getragen.

Die bürgerliche ÖVP hatte den Si-cherheitsdiskurs der FPÖ im jüngsten Wahlkampf noch zu übertreffen versucht. Das Resultat war ein historisches Tief in der Wählergunst: Mit unter 14 Pro-zent sind die Christdemokraten nur mehr eine marginale Größe in der Hauptstadt. Parteiinterne Kritiker machen dafür den de-monstrativen Rechtsruck verant-wortlich. Im Wahlkampf hatte die ÖVP-Spitzenkandidatin neben Zwangsarbeit für Langzeitarbeits-lose ein Burka-Verbot gefordert.

Wenige Tage vor der Wahl hatte Innenministerin Maria Fekter (ÖVP) zwei achtjährige Zwillings-mädchen mit ihrem Vater ins Ko-sovo abschieben lassen. Der Fall erregte besondere Aufmerksam-keit, weil die Mutter der Mädchen in psychiatrischer Behandlung in einem Wiener Krankenhaus lag. Für den Menschenrechtsexperten Manfred Novak ist die gewaltsa-me Trennung der Familie ein ek-latanter Fall von Verletzung des Rechts auf Familienleben. Der Einsatz einer bewaffneten Spezi-altruppe, der die Teilfamilie in den frühen Morgenstunden des 6. Oktober abholte, um sie in Ab-schiebehaft zu bringen, ist für ihn völlig überzogen.

Alle, die länger als fünf Jahre im Land sind, sollten bleiben dürfenGenauso sehen es Vertreter der großen Kirchen. Der evangelisch-lutherische Bischof Michael Bün-ker sprach in der Fernseh-Presse-stunde von einer „Schande für Österreich“ und plädiert für eine Reform des österreichischen Fremdenrechts, das in den letzten zehn Jahren schrittweise ver-schärft worden ist. Schon im Vor-jahr hatte sich die Generalsynode

der Evangelischen Kirche AB für ein humanitäres Bleiberecht aus-gesprochen. Alle, die länger als fünf Jahre legal im Land leben und integriert sind, sollten blei-ben können. Die abgeschobene Familie war ein Paradefall gelun-gener Integration. Sie war aller-dings erst 2004 aus dem Kosovo geflohen, als dort kein Krieg mehr herrschte. Die Familienmitglieder gelten daher als „Wirtschafts-flüchtlinge“, die keinen Anspruch auf Asyl haben.

Fast jede Woche werden mittler-weile Fälle von bestens integrier-ten Familien bekannt, die gegen den Protest ihrer Wohngemein-den aus Schule und Arbeit geris-sen werden, weil ihr Asylantrag

nach jahrelangen Verfahren ab-gelehnt wird. Wegen solcher Fälle macht sich auch die Katholische Kirche für eine humanere Rege-lung stark. Kardinal Christoph Schönborn hat wiederholt gefor-dert: „Österreich muss in dieser Frage einen besseren Weg finden als bisher.“ Gemeinsam mit Am-nesty International und den SOS-Kinderdörfern übergaben Vertre-ter von Caritas und Diakonie am 14. Oktober einen offenen Brief

an Abgeordnete des Nationalrats. Darin fordern sie „endlich eine Veränderung der Gesetze für eine menschenrechtskonforme Politik, die die Kinderrechte wahrt“. Die Caritas wünscht sich darüber hin-aus besondere Rücksicht auf Alte, Kranke und Menschen mit Behin-derung.

Sogar Innenministerin Fekter, die das Image der Eisernen Lady pflegt, hat inzwischen zugege-ben, dass bei der Abschiebung der achtjährigen Zwillinge aus dem Kosovo mit übertriebener Gewalt vorgegangen wurde. Mit der Absetzung des Chefs der Wie-ner Fremdenpolizei und einer Rüge der Sicherheitsdirektion suchte sie allerdings die Schuld bei anderen. Sie will in Zukunft „psychologisch geschultes Perso-nal schon früher einsetzen“ und möglichst auf uniformierte Trup-pen mit Sturmgewehren verzich-ten, wenn Kinder in Abschiebe-haft genommen werden. Außer-dem versprach sie, dass Minder-jährige nicht mehr in Zellen gesteckt, sondern vor der Ab-schiebung „in familiengerechte Einrichtungen“ gebracht werden sollen. Die abgeschobenen Zwil-linge samt ihrem Vater dürfen zurückkommen und werden wohl bleiben dürfen. Die Not-wendigkeit, die Gesetze zu ent-schärfen, sieht sie allerdings nicht. Ralf Leonhard

Österreichs Asyl- und Fremdenrecht ist in den vergangenen zehn Jahren im Halbjahrstakt ver-schärft worden. Innenministerin Maria Fekter von der ÖVP war dabei eine treibende Kraft. Sie schmückt sich mit sinkenden Zahlen von Asyl-werbern und zeigt demonstrative Härte beim Vollzug der Gesetze. Die sind allerdings so schlam-pig formuliert und inzwischen so unübersicht-lich, dass weder die Behörden noch die Anwälte der Betroffenen sich darin zurecht finden. Man darf vermuten, dass das nicht nur der Eile ge-schuldet ist, sondern Absicht dahinter steckt. Teil-weise hat der Verfassungsgerichtshof die Gesetze wegen offensichtlicher Menschenrechtswidrig-keit aufgehoben.

Härte gegen Asylwerber sorgt für gute Umfrage-werte, schließlich werden Flüchtlinge automatisch verdächtigt, kriminell zu sein oder den Sozialstaat ausnutzen zu wollen. Willkürliche Härte gegen Kinder hingegen erzeugt den gegenteiligen Effekt. Nach der Abschiebung kosovarischer Zwillinge fielen Fekters Umfragewerte in den Keller. Prompt machte sie einen Rückzieher: Mit Kindern will man in Zukunft behutsamer umgehen, das Bleibe-recht vielleicht großzügiger als bisher anwenden. Allerdings fehlt die Einsicht, dass das Problem nicht nur der Vollzug ist, sondern die Gesetze schlecht sind: Gesetze, die es erlauben, Familien zu zerreißen und Menschen in Länder abzuschieben, die längst nicht mehr ihre Heimat sind. (rld)

KOMMENTAR

Asylpolitik nach Umfrageergebnissen

Der Protest zeigt Wirkung: Die Komani-Zwillinge – hier kurz vor

ihrer Abschiebung ins Kosovo – dürfen nach Österreich

zurückkehren.TECHT/PICTURE ALLIANCE/DPA

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JOURNAL KIRCHE UND ÖKUMENE

Die Kirchen müssen das Ringen be-hinderter Menschen um Selbstver-wirklichung stärker unterstützen. Diese Forderung stand im Zentrum einer internationalen Tagung, zu der das Deutsche Institut für Ärzt-liche Mission (Difäm) Mitte Sep-tember Mitglieder des internatio-nalen Netzwerks ökumenische Anwaltschaft für behinderte Men-schen nach Tübingen eingeladen hatte. Erforderlich seien mehr Rechte für Behinderte, vor allem aber ein neues Verständnis von Be-hinderung.

Das ökumenische Netzwerk (Ecu-menical Disability Advocates Net-work, EDAN) wurde 1998 von be-hinderten und nicht behinderten Theologen aus aller Welt ins Leben gerufen, um das Thema Behinde-rung stärker in die Kirchen hinein-zutragen. Hintergrund waren ent-täuschende Erfahrungen bei der Vollversammlung des Ökumeni-schen Rates der Kirchen (ÖRK) in Harare im gleichen Jahr. „Man hat-te uns damals eingeladen, damit wir an allen Entscheidungen bera-tend mitwirken können“, berichtet Samuel Kabue aus Kenia, derzeiti-ger Geschäftsführer von EDAN.

„Wir sind aber auf eine sehr abwei-sende Haltung der nicht behinder-ten Teilnehmer und Teilnehmerin-nen gestoßen.“ Am Ende habe nicht wirklich geklärt werden kön-nen, welche Rolle Menschen mit Behinderung innerhalb der Kirche spielen sollen. Den behinderten Teilnehmern sei klar geworden, dass sie sich untereinander ver-netzen müssen, um ihre Belange besser in den ÖRK einbringen zu können. Dies sei der Startschuss für EDAN gewesen.

2003 veröffentlichte das Netz-werk ein Papier unter dem Titel „Kirche aller“, das bei der Tübinger Tagung diskutiert wurde. Darin werden die Kirchen wegen ihrer traditionellen Auffassung von Be-

hinderung kritisiert, die behin-derte Menschen als Schwache sieht und als Objekte der Nächs-tenliebe. Die Kirchen sollten au-ßerdem aufhören, Behinderung als Strafe für Sünden oder als Zei-chen mangelnden Glaubens be-ziehungsweise dämonischen Wir-kens zu erklären. Stattdessen soll-ten sie Menschen mit Behinde-rung auf Augenhöhe begegnen und sie als gleichberechtigten Teil der Kirche anerkennen.

„Wenn Menschen mit Behinde-rung nicht uneingeschränkt in die Kirche integriert werden, ist sie nicht Leib Christi und nicht Eben-bild Gottes“, heißt es in „Kirche al-ler“. Behinderung sei ein soziales Konstrukt; Heilung, eine der

Hauptaufgaben von Kirche, müsse als Aufhebung gesellschaftlicher Schranken verstanden werden. Eine zentrale Forderung des Pa-piers besteht darin, dass die Kir-chen und Christen das Ringen der behinderten Menschen um Selbst-verwirklichung auf ihre Tagesord-nung setzen müssen.

Im Gegensatz zur UN-Konvention für die Rechte von behinderten Menschen von 2008 versteht sich

„Kirche aller“ als ein Diskussions-beitrag auf dem Weg zu einem neuen Verständnis von Behinde-rung. Damit kann das Papier nach Meinung von William McAllister, dem Geschäftsführer der Behin-dertenhilfsorganisation CBM in Großbritannien, wirksamer sein als das UN-Abkommen, das sich in erster Linie an Regierungen richtet. Vor allem in Entwicklungsländern ändere sich für behinderte Men-schen erst etwas, wenn sich grund-legende gesellschaftliche Ansich-ten wandelten. „Wer, wenn nicht die Kirchen, können solchen Wan-del bewirken“, sagte McAllister. Katja Dorothea Buck

KIRCHE UND ÖKUMENE

Behinderung ist keine Strafe GottesÖRK-Netzwerk für behinderte Menschen fordert mehr Engagement für gesellschaftlichen Wandel

Zwei körperbehinderte Jugend-liche führen in Neu-Delhi

traditionelle Kampfkunst auf. ADNAN ABIDI/REUTERS

Ist es noch sinnvoll, dass kirchliche Werke deutsche Fachkräfte an Part-nerorganisationen im Süden ver-mitteln? Ja, urteilt eine neue Studie „Wie Personalvermittlungen wir-ken“. Elke Rusteberg evaluiert an Beispielen, welche entwicklungspo-litischen Wirkungen Fachkräfte er-zielt haben, die seit Ende der 1990er Jahre im Bereich ländliche Entwick-lung in Zentralamerika und den An-denländern gearbeitet haben.

Der Evangelische Entwicklungs-dienst EED, zu dem der Personal-

dienst „Dienste in Übersee“ (DÜ) seit zehn Jahren gehört, hat die Studie anlässlich des 50-jährigen Bestehens von DÜ in Auftrag ge-geben. Auf der Festveranstaltung dazu wurde sie Anfang Oktober in Bonn vorgestellt. Laut der Stu-die geht es den Partnerorganisa-tionen, die Fachkräfte von DÜ anfordern, nicht in erster Linie um landwirtschaftliche Experti-se – die findet man heute auch in Lateinamerika. Wichtiger sind ihnen organisatorische Kennt-nisse (etwa im Monitoring), Fach-

wissen zur Öffentlichkeitsarbeit oder zum Politikdialog und nicht zuletzt die internationalen Erfah-rungen und Verbindungen der Fachkräfte. Partnerorganisatio-nen, so Rusteberg, suchen heute weniger den Wissenstransfer als „Dialoghelfer“.

Die Fachkräfte haben der Studie zufolge entwicklungspolitische Wirkung erzielt: Sie haben in La-teinamerika die Leistungsfähig-keit der Partnerorganisationen, sowohl gegenüber den Zielgrup-

Als „Dialoghelfer“ weiter gefragtEine Studie bescheinigt „Dienste in Übersee“ den Nutzen der Entwicklungshelfer

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KIRCHE UND ÖKUMENE JOURNAL

Seit einigen Jahren gedenken die Katholische Kirche und einige Evan-gelische Landeskirchen am 26. De-zember verfolgter Christen in aller Welt. Das Thema erfährt in der deutschen Öffentlichkeit seit eini-ger Zeit verstärkt Aufmerksamkeit. Das ist einerseits gut so, findet Ot-mar Oehring, der Menschenrechts-referent von Missio in Aachen. An-dererseits wird das Problem oft über Gebühr aufgebauscht.

Warum setzt sich die Katholische Kirche in Deutschland dieses Jahr für Christen in Indien ein?

Weil es dort eine große Zahl von Christen gibt, die Drangsalierun-gen ausgesetzt sind. Trauriger Hö-hepunkt waren die Auseinander-setzungen im Bundesstaat Orissa, denen 2008/2009 rund 55.000 Menschen zum Opfer gefallen sind. Sie wurden von hindu-natio-nalistischen Gruppen in die Flucht getrieben, ihre Häuser wurden angezündet, ihre Dörfer zerstört. Es gab 100 Tote und viele Verletz-te. Bis heute konnten viele nicht in ihre Dörfer zurückkehren.

Gehen die Hindu-Nationalisten speziell gegen Christen vor?

Nein, sie wenden sich gegen alle, die in ihren Augen fremd sind, seien es Christen, Muslime, Adi-vasis oder Dalits.

Was können deutsche Christen für ihre Glaubensgeschwister in Indi-en tun?

Sie können sich im Gedenken des Leides der Menschen annehmen. Aber es geht auch darum, ihre Si-tuation bekannt zu machen. Frü-her galt Indien als armes Land. Heute ist es wirtschaftlich erfolg-reich. Der Hindu-Nationalismus hingegen ist nur wenig bekannt. Wir wollen darüber aufklären. Die Vorfälle in Orissa sind weltweit erst an die Öffentlichkeit gekom-men, als der französische Präsident Nicolas Sarkozy seinen indischen Kollegen beim Staatsbesuch in Pa-ris im Oktober 2009 darauf ange-sprochen hat. Auch indische Medi-en begannen damals, darüber zu berichten.

Wie definieren Sie den Begriff Christenverfolgung?

Man muss unterscheiden zwi-schen Situationen, in denen Men-

schen an der Ausübung ihres Glaubens gehindert werden, also der Einschränkungen der Religi-onsfreiheit, und wirklicher Bedro-hung. Wenn Menschen aufgrund ihres Glaubens um Leib und Le-ben fürchten müssen oder ge-zwungen werden, eine andere Religion anzunehmen, dann ist das Verfolgung.

Wie groß ist das Problem?

Manche Organisationen behaup-ten, dass weltweit 200 Millionen Christen verfolgt werden. Das ist Unfug. Solche Zahlen kommen nicht einmal zustande, wenn man alle Christen in der islamischen Welt, in China, Indien und Nordko-rea zusammenzählt. Zudem stellt sich die Lage regional ganz unter-schiedlich dar. In Indien werden beileibe nicht alle 34 Millionen Christen verfolgt. Solche übertrie-benen Zahlen helfen natürlich beim Spenden sammeln. Geradezu gefährlich wird es, wenn das The-ma Christenverfolgung und die ge-nannten Zahlen mit der Einwan-derungsdebatte in Verbindung ge-bracht und als Argument gegen den Islam ins Feld geführt werden.

Warum ist es wichtig, dass verfolg-te Christen aus dem Ausland Un-terstützung erhalten?

Die Betroffenen können selbst oft gar nicht zu Lösungen finden. Wenn Christen in Nordkorea zum Beispiel öffentlich ihre Rechte einfordern würden, würden sie

sofort im Gefängnis landen – das droht ihnen ja schon, wenn sie nur ihren Glauben bezeugen. Aber auch in harmloseren Fällen wie in Indien oder in der Türkei ist es für die Christen schwer, selbst für ihre Rechte einzutreten. Oft fehlt es an Rechtsanwälten, die sich für die Belange einer Minderheit ein-setzen. Da ist es wichtig, dass wir vom Ausland gemeinsam mit Kir-chen und Opfergruppen vor Ort nach Lösungen suchen.

Christenverfolgungen sind kein neues Phänomen. Das Thema ist aber erst in letzter Zeit in Deutsch-land in den Blick gekommen. Wie erklären Sie das?

Mit dem Internet gibt es wesent-lich bessere Informationsmög-lichkeiten. Zudem haben sich auch einige Organisationen und Redaktionen auf das Thema Chris-tenverfolgung spezialisiert. Sie gehen verstärkt in die Öffentlich-keit. Aber auch Vorkommnisse wie die Ermordung deutscher Mitarbeiter evangelisch-freikirch-licher Gruppierungen zum Bei-spiel im Jemen und die Berichter-stattung darüber spielen eine Rolle. Da wächst in der Gesell-schaft das Interesse an dem The-ma genauso wie durch die Dis-kussionen rund um den Karikatu-renstreit oder das Minarettverbot in der Schweiz. Da wird Christen-verfolgung in islamischen Län-dern schnell als Keule gegen den Islam eingesetzt.

Das Gespräch führte Katja Buck.

„Das Thema Christenverfolgung dient als Keule gegen den Islam“Bedrohte Christen brauchen Beistand, ohne das Problem zu dramatisieren

Otmar Oehring ist Menschenrechts-referent beim katholischen

Missionswerk Missio in Aachen. MISSIO

pen wie der Politik, steigern hel-fen. Sie haben ihnen mehr Zugang zu internationalen Debatten und mehr Anerkennung verschafft und insbesondere zur Weiterent-wicklung ihrer Strategien und Ar-beitsschwerpunkte beigetragen. Fachkräfte können mit ihrem Blick von Außen Innovationen auslösen, in politisch heiklen Situ-ationen wie in Guatemala einen

gewissen Schutz bieten und den Austausch mit internationalen Netzwerken herstellen, die den Handlungsspielraum der Partner ausweiten können.

Nicht zuletzt werten die Partner die Anwesenheit von Fachkräften auch als Ausdruck der Solidarität, schreibt Rusteberg in ihrer Studie. DÜ hat seit 1960 mehr als 5000

Fachkräfte an Partner in aller Welt vermittelt. Anfang Oktober hatte die Organisation 127 von Part-nern des EED angeforderte Fach-kräfte unter Vertrag und zusätz-lich 31 im Zivilen Friedensdienst. Außerdem übernimmt DÜ für Missionswerke und die Diakonie Katastrophenhilfe die Vermitt-lung von Fachpersonal – hier sind zur Zeit knapp 40 Frauen und

Männer im Einsatz. Und DÜ ver-mittelt Fachkräfte, zur Zeit 4, vom Süden in den Norden. Dies und die Süd-Süd-Vermittlungen sollen in Zukunft ausgebaut werden – ebenso wie die zur Zeit 15 zwei-jährigen Verträge, mit denen in Deutschland ausgebildeten Ex-perten aus dem Süden die Reinte-gration in der Heimatregion er-leichtert wird. (bl)

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JOURNAL GLOBAL-LOKAL

Klimawandel, Verstädterung und Bevölkerungswachstum stellen die Kommunen weltweit vor neue Pro-bleme und Aufgaben. Diese Zu-kunftsfragen spielen in den zur Zeit 122 Städtepartnerschaften mit Kommunen in Schwellen- und Entwicklungsländern allerdings noch eine untergeordnete Rolle. InWent und die Deutsche Gesell-schaft für Technische Zusammen-arbeit (GTZ) wollen das entwick-lungspolitische Potential von Nord-Süd-Städtepartnerschaften besser nutzen.

Probleme einer nachhaltigen Stadtentwicklung stehen im 21. Jahrhundert auf der entwick-lungspolitischen Agenda ganz oben. Gleichzeitig ist das politi-sche Gewicht von Städten in Af-rika, Asien und Lateinamerika gestiegen, so dass sie gerade in autoritär geführten Staaten wichtige Anstöße für Entwick-lungen auf nationaler Ebene lie-fern können.

Die Hilfe soll nicht einseitig von Nord nach Süd verlaufenDie Servicestelle Kommunen in der Einen Welt hat sich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2015 50 Städte und Gemeinden dazu zu bewegen, eine Klimapartner-schaft mit einer Stadt oder Regi-on in Afrika, Asien oder Latein-amerika einzugehen. In erster Linie will die Servicestelle solche Kommunen ansprechen, die sich bereits in der kommunalen Ent-wicklungszusammenarbeit en-gagieren. Erst im zweiten Schritt will man auch Gemeinden ge-winnen, die zwar aktiv Klima-schutz betreiben, sich aber bisher nicht entwicklungspolitisch be-tätigt haben. Ziel einer Klima-partnerschaft ist es, im Aus-tausch mit der Partnerstadt ge-meinsam Programme für Klima-schutz und Klimaanpassung zu entwickeln.

„Kommunen im Süden verfügen über erhebliches Know-how vor allem bei der Klimaanpassung“, so Projektleiter Stefan Wilhelmy. „Deshalb soll die Hilfe nicht ein-seitig von Nord nach Süd verlau-fen.“ Beispielsweise greift der Klimawandel bereits stark in die Ökosysteme der Sahelzone ein. Kommunen in Burkina Faso boh-ren heute ihre Brunnen tiefer, weil der Grundwasserspiegel sinkt. Rückhaltebecken müssen jetzt so konstruiert werden, dass sie Starkregenfälle aushalten. „In den Kommunen des Südens sind die Auswirkungen des Klima-wandels im täglichen Leben viel präsenter als bei uns“, erläutert Wilhelmy. „Mit dem Erfahrungs-austausch möchten wir dazu bei-tragen, in Deutschland mehr Be-wusstsein für die Herausforde-rungen des Klimawandels zu schaffen.“

Außerdem haben sich auch die Schwellenländer auf der interna-tionalen Klimaschutzkonferenz von Kopenhagen vor einem Jahr dazu verpflichtet, ihren Kohlen-dioxid-Ausstoß bis 2020 um bis zu 30 Prozent zu reduzieren. Wenn sie dieses ehrgeizige Ziel erreichen wollen, müssen die wuchernden Megacities in Afri-ka, Asien und Lateinamerika er-hebliche Anstrengungen unter-nehmen. Bisher fehlen aber zum Beispiel Mechanismen zur Bilan-zierung von CO2-Emissionen, die deutsche Städte wie Frankfurt am Main entwickelt haben. Im Rahmen der Klimapartnerschaf-ten können deutsche Kommunen ihre Expertise zur Verfügung stellen.

In Nordafrika wächst der Prob-lemdruck infolge von Bevölke-rungswachstum, Landflucht und Klimawandel ganz besonders. Etwa 60 Prozent der Einwohner von Marokko, Tunesien und Al-

gerien leben heute in Städten, 1950 waren es laut der OECD erst weniger als 30 Prozent. Bei einem Bevölkerungswachstum von im Durchschnitt drei Prozent pro Jahr wird sich ihre Einwohner-zahl in den nächsten rund 30 Jahren verdoppeln. Nachhaltige Stadtentwicklung ist deshalb ein Thema, an dem auch die Regie-rungen dieser zentralistisch ge-führten Staaten nicht mehr vor-bei kommen.

Großes Interesse im Maghreb an der ZusammenarbeitMit ihrem Projekt CoMun, „Coo-pération des Villes et des Muni-cipalités“ (Kooperation von Städ-ten und Gemeinden), im Magh-reb will die GTZ den Austausch zwischen Kommunen und Orga-nisationen der Zivilgesellschaft im Maghreb und in Deutschland fördern. Bisher ist Nordafrika noch kein Schwerpunkt deut-scher Städtepartnerschaften. Es gibt nur neun Partnerschaften mit tunesischen Kommunen, aber keine formalen Verbindun-gen in Marokko oder Algerien. Ziel des GTZ-Projektes ist aber nicht die klassische Städtepart-nerschaft, sondern eine punktu-elle Zusammenarbeit von Exper-ten zu Brennpunkten nachhalti-ger Stadtentwicklung. „Deutsch-land ist das Vorzeigeland in Sachen kommunaler Selbstver-waltung und Handlungsfähig-keit auf kommunaler Ebene“, sagt Projektleiter Meinolf Spie-kermann. „Im Maghreb besteht daher großes Interesse an einer Zusammenarbeit.“

Für die beteiligten deutschen Kommunen hat das GTZ-Projekt nicht zuletzt finanzielle Vorteile. Denn die GTZ-Experten knüpfen die Kontakte und entwerfen ge-meinsam mit den Partnern in Nordafrika die Projekte. Deut-sche Kommunen können sich

mit ihren Erfahrungen bei öf-fentlichen Dienstleistungen von der Müllabfuhr bis zur Wasser-versorgung einklinken, während die GTZ Projektmittel zur Verfü-gung stellt. Bereits bestehende Partnerschaften wie zum Bei-spiel die Verbindung Kölns mit Tunis oder Stuttgarts Partner-schaft mit Menzil Bourguiba in Tunesien können durch CoMun mehr „entwicklungspolitische Substanz“ erhalten, so Spieker-mann. Gleichzeitig geht es auch um den verstärkten Austausch zwischen den Städten des Magh-reb, der bisher so gut wie nicht stattfindet. Claudia Mende

KURZ NOTIERT

Das Ruhrgebiet als „Europäische Kulturhauptstadt 2010“ bringt neue Impulse für die Eine-Welt-Arbeit. 40 von insgesamt 53 Kom-munen, die die Kulturhauptstadt bilden, haben inzwischen die Magna Charta Ruhr 2010 unter-zeichnet. Damit verpflichten sie sich, auf den Einkauf von Produk-ten aus ausbeuterischer Kinder-arbeit zu verzichten. Auf diese Weise sollen die Ruhrgebiets-kommunen ihrer weltweiten so-zialen Verantwortung gerecht werden. Gleichzeitig bekennen sie sich dazu, in ihrer Kommune den fairen Handel zu fördern. In-itiator der Erklärung ist das 2008 entstandene Netzwerk „Faire Kulturhauptstadt Ruhr.2010“, das aus Weltläden, Agendabüros, Ei-ne-Welt-Zentren und der evange-lischen Kirche besteht. Das Netz-werk ruft alle am Jahr der „Euro-päischen Kulturhauptstadt“ be-teiligten Kommunen dazu auf, die Magna Charta Ruhr 2010 zu unterschreiben. Sein mittelfristi-ges Ziel ist ein Ruhrgebiet als „faire Metropole“, die verstärkt Produkte aus fairem Handel ver-wendet. (cm)

GLOBAL LOKAL

Gemeinsam gegen den KlimawandelKommunale Partnerschaften sollen mehr an Zukunftsfragen arbeiten

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PERSONALIA JOURNAL

Friedrich-Ebert-Stiftung (FES)Bei der FES gab es zum 1. Septem-ber zahlreiche Versetzungen und Neubesetzungen:

Auf den Philippinen löste Bertold Leimbach als Vertreter der Stif-

tung Mirko Herberg ab, der nach Kamerun gegangen ist. Nachdem der bisherige Büroleiter in Bama-ko, Mali, Reinhold Plate, in Ruhe-stand gegangen ist, leitet Annette Lohmann das dortige Büro. In Süd-korea ist Christoph Pohlmann neu-

er Repräsentant. Sein Vorgänger, Werner Kamppeter, ist jetzt in der FES in Berlin tätig. Das Medien-projekt in Namibia hat Mareike LePelley von Rolf Paasch über-nommen, der jetzt ebenfalls in der FES Berlin arbeitet. Schließlich löste Felix Schmidt in Neu-Delhi, Indien, Peter Gay ab, der jetzt für die FES in Paris tätig ist.

Deutsche Gesellschaft für Tech-nische Zusammenarbeit (GTZ)Seit dem 1. Oktober leitet Jan Pe-ter Schemmel das GTZ-Büro in Mexiko-Stadt.

KfW EntwicklungsbankGunnar Wälzholz ist seit Anfang August Manager für programmo-rientierte Gemeinschaftsfinan-zierung mit Büroleiterfunktion in Kabul, Afghanistan. Die gleichen Funktionen übt seit dem 1. Sep-tember Luise Torvelainen in Coto-nou, Benin, aus.

Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG)Neuer Leiter des Außenbüros in Peking, China, ist seit August Oli-ver Harms. Die Leitung des Au-ßenbüros Türkei/Region Nahost in Istanbul hat zum 1. Oktober Winfried Nau übernommen.

Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS)Im Oktober reist Klaus Lötzer, zu-vor Auslandsmitarbeiter in Gha-na, nach Harare aus. Dort wird er zusammen mit Helga Rothfritz das Büro in Simbabwe leiten.

Plan International DeutschlandSeit dem 1. Oktober ist Maike Rött-ger verantwortlich für die externe und interne Kommunikation von Plan International in Deutschland. Sie war zuvor Politikredakteurin beim Hamburger Abendblatt und ist Nachfolgerin von Ute Kretsch-mann, die sich selbstständig ge-macht hat.

PERSONALIA

Bischof Erwin Kräutler

Der 71-jährige gebürtige Öster-reicher setzt sich seit Jahrzehn-ten für die Rechte der indige-nen Bevölkerung in Brasilien ein. Derzeit kämpft er unter an-derem gegen die Umsiedlung von 30.000 Menschen im Zuge des geplanten Baus des Belo Monte-Staudamms. Kräutler wird unter anderem von Mise-reor unterstützt.

Physicians for Human Rights Israel

Die Organisation israelischer und palästinensischer Ärzte engagiert sich für das Recht auf Gesundheit der palästinensi-schen Bevölkerung. Die Ärzte unternehmen regelmäßig Frei-willigeneinsätze in den besetz-ten Gebieten und bieten Fort-bildungen für palästinensische Kollegen an, die aufgrund man-gelnder Reise- und Bewegungs-freiheit dazu keine Gelegenheit haben. Unterstützt wird die Or-ganisation unter anderem vom Evangelischen Entwicklungs-dienst und von Misereor.

Nnimmo Bassey

Der 52-Jährige engagiert sich seit fast zwanzig Jahren für den Umweltschutz und die Men-schenrechte in seinem Heimat-land Nigeria. Seine Organisati-on Environmental Rights Ac-tion, die zugleich die nigeriani-sche Vertretung von Friends of the Earth International ist, kämpft vor allem gegen die Verscmutzung des Nigerdeltas als Folge der Ölförderung dort.

Shrikrishna Upadhyay

Der in den USA ausgebildete 65-jährige Ökonom aus Nepal (Bildmitte) arbeitet seit den 1970er Jahren mit armen Be-völkerungsgruppen zusammen, um deren Selbsthilfekräfte zu mobilisieren. Er hat die Organi-sation Sappros gegründet, die sich unter anderem für die Al-phabetisierung einsetzt. Frühe-re Tätigkeiten unter anderem für die nepalesische Entwick-lungsbank hatten bei ihm die Erkenntnis reifen lassen, dass Entwicklung „von oben“ nicht gelingen kann.

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den zukünftigen Kurs gestritten.

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analysieren die Gründe für die

aktuelle Stimmungslage: scharf-

sinnig, kontrovers und regie-

rungskritisch.

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mit den neuen schwarzen Eliten

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Bürokratie hat man wohl selten

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„Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache; dass er überall dabei ist, aber nirgendwo dazugehört.“ Dieser Anspruch des 1995 verstorbenen Tagesthemen-Moderators Hanns-Joa-chim Friedrichs an die Objektivität des Berichterstat-ters ist manchmal schwer zu erfüllen. Das gilt vor al-lem für Journalisten, die von Menschen berichten, de-nen von anderen Leid zugefügt wird. Bettina Marx, die fünf Jahre ARD-Hörfunkkorrespondentin in Israel und den palästinensischen Gebieten war, versucht gar nicht erst, aus einer neutralen Perspektive über den Nahostkonfl ikt zu schreiben. Sie fühlt sich klar der Sa-che der Palästinenser verpfl ichtet, ihre Sympathien liegen ganz bei den Bewohnern des Gazastreifens.

Das ist angesichts der zerstörerischen Politik der is-raelischen Regierung gut nachvollziehbar. Marx spart aber auch nicht mit Kritik an der palästinensi-schen Führung. Sie zeigt, dass die Bewohner von Gaza in doppelter Gefangenschaft leben: einerseits abgeriegelt von der Außenwelt durch die Blockade Israels und Ägyptens, andererseits zunehmend ge-knebelt und gefesselt durch die strengen Regeln der islamistischen Hamas. In Portraits von Männern und Frauen, die sie auf ihren vielen Reisen nach Gaza kennengelernt hat, erzählt Marx, wie sie sich mit die-ser Gefangenschaft arrangieren, wie sie unter der immer wieder über sie hereinbrechenden Gewalt lei-den – und wie sie dennoch versuchen, sich nicht un-terkriegen zu lassen.

Stark ist Marx’ Buch dann, wenn sie sich auf Augen-höhe der Menschen begibt, von denen sie berichtet. Das gilt auch für die Schilderung der letzten Tage der israelischen Siedlung Gush Katif, die während des Abzugs Israels aus Gaza 2005 geräumt wurde. Marx lässt die Siedler ausführlich zu Wort kommen, und man erfährt viel über deren Befi ndlichkeit sowie po-litische und religiöse Einstellungen. Sobald Marx aber „von oben“ auf die Hintergründe und den Ver-lauf des Nahostkonfl ikts in den vergangenen Jahr-zehnten blickt, wird ihr Buch langweilig. Sie erzählt die übliche einseitige Geschichte von den skrupello-sen Israelis, die seit 1948 keine Gelegenheit auslas-sen, die gutgläubigen und friedenswilligen Palästi-nenser über den Tisch zu ziehen. Bei der Lektüre die-ser Passagen wünscht man sich, dass sich Marx doch ein wenig an die Empfehlung ihres Kollegen Hanns-Joachim Friedrichs gehalten hätte.

Am Ende ihres Buches lässt sich Marx dann noch zu der unter Palästina-Freunden gängigen Schelte hin-reißen, die deutschen Medien berichteten einseitig zugunsten Israels. Dass das Unsinn ist, belegt Marx gleich selbst, indem sie deutsche Zeitungen gegen den in zwei Studien erhobenen Vorwurf der Israel-feindlichkeit verteidigt: Was von den Gutachtern als israelfeindliche Berichterstattung eingestuft werde, sei in Wahrheit eine angemessene Darstellung der Realität des Nahostkonfl ikts, schreibt Marx und wi-derspricht damit ihrer wenige Absätze zuvor aufge-stellten Behauptung. Tillmann Elliesen

REZENSIONEN

Einseitiger Blick auf den Nahostkonfl ikt

Bettina MarxGaza. Berichte aus einem Land ohne Hoff nungZweitausendeins, Frankfurt am Main 2009, 351 Seiten, 19,90 Euro

Im Fernsehen wird neuerdings für ein Deodorant ge-worben, das mit Hilfe kleinster Teilchen das Schwit-zen vermeiden soll. Pat Mooney beschäftigt sich mit solchen kleinen Teilen, die in Zukunft eine weit grö-ßere Rolle spielen werden. „BANG“, die Wortschöp-fung im Titel, ist die Abkürzung für Bits, Atome, Neu-ronen und Gene. Sie sind die die Ingredienzien neuer Megatechnologien, die entstehen, wenn Biologie, Physik und Chemie einander immer näher kommen: Geo-Engineering, Nanotechnologie, Gentechnik und synthetische Biologie.

Mooney macht keinen Hehl daraus, dass er die meis-ten Innovationen mit Sorge sieht. Er glaubt nicht da-ran, dass Biotechnologie den Hunger in der Welt ein-dämmt und die Genomforschung das Allheilmittel gegen Krankheiten wird. Die Risiken der Forschung seien immens, was im Reagenzglas funktioniere, sei

längst nicht auf größere Organismen übertragbar, warnt er. Mooney erhielt 1998 den Alternativen No-belpreis, weil er sich dafür einsetzte, genetische Res-sourcen besonders in Entwicklungsländern zu schüt-zen. Entsprechend vorhersehbar ist seine Argumen-tation, die dennoch recht sachlich bleibt. Nur an eini-gen Stellen schießt er über das Ziel hinaus, wenn er zum Beispiel Erdbeben mit dem Klimawandel in Ver-bindung bringt.

Durch den verstärkten Einsatz neuer Technologien sieht Mooney in den Industrieländern sogar die De-mokratie gefährdet: Wenn die Wissenschaft trotz schwindender Ressourcen und zunehmender Belas-tung der Ökosysteme verspreche, den Lebensstan-dard auf dem hohen bisherigen Niveau zu halten, könnte daraus eine Herrschaft der Eliten entstehen, warnt er. Der durchschnittliche Wähler sei nicht

Kleinste Teile, große Risiken

Pat MooneyNext Bang. Wie das riskante Spiel mit Megatechnologien unsere Existenz bedrohtoekom verlag, München 2010, 320 Seiten, 19,90 Euro

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mehr in der Lage, die komplizierten technischen Ma-nipulationen nachzuvollziehen und darüber zu ent-scheiden. Er müsse deshalb schlicht glauben, was ihm aufgetischt wird.

Auch andere Thesen sind bedenkenswert: Technolo-gie-Patente werden wichtiger als Handelsregeln. Wenige Großkonzerne lenken in Zukunft die Wirt-schaft ganzer Staaten in einem solchen Maße, dass sie auch die Politik weitgehend bestimmen. Eine Rei-he von Rohstoff en erhält mehr Bedeutung, weil die Nanotechnologie sie verwendet und ihnen neue Ei-genschaften abgewinnt. Das würde die Weltkarte der Förderregionen stark verändern.

Der Autor zählt schließlich Erfi ndungen auf, die in der Vergangenheit nicht umgesetzt worden sind, weil sie als zu riskant und gefährlich galten. Nicht alles, was möglich ist, muss verwirklicht werden, will Mooney damit sagen. Zumindest müsse genauer überlegt und länger geforscht werden. Die Erklärungen zum Stand der Nanotechnik und die vielen Denkanstöße machen „Next Bang“ lesenswert. Leider hat sich Mooney ent-schlossen, einen Teil des Buches in eine teilweise fi kti-ve Geschichte einzubinden. Das lenkt eher vom span-nenden Thema ab. Zwar haben die Protagonisten der Erzählung unterschiedliche Auff assungen zur Nano-Forschung, aber auch die hätte Mooney anders deut-lich machen können. Felix Ehring

Um den politischen Widerstand in Diktaturen Latein-amerikas drehen sich die Romane des argentinischen Journalisten Rudolfo Walsh und des salvadoriani-schen Schriftstellers Horacio Castellanos Moya. Für ihre Überzeugungen und ihre Enthüllun gen mussten beide Autoren große Opfer bringen. Walsh wurde 1977 von einem Sonderkommando der Militärdikta-tur in Buenos Aires ermordet, nachdem er in einem off enen Brief die Militärjunta gegeißelt hatte. Der heute 52-jährige Castellanos Moya war 1997 gezwun-gen, sein Heimatland El Salvador wegen Morddrohun-gen zu verlassen.

„Operación Masacre“, so der spanische Titel der Er-zählung von Rudolfo Walsh, erschien erstmals 1957. Das Buch, das jetzt neu aus dem Spanischen über-setzt worden ist, ist heute ein Klassiker der argenti-nischen Literatur und eines der frühen Beispiele für einen dokumentarischen Roman. Die „wahre Ge-schichte“, geschrieben wie ein Krimi, erzählt voller Spannung von einem ungeheuerlichen Vorgang in der Zeit nach Perón. Am 9. Juni 1956 wird im Stadt-teil Florida in Buenos Aires eine Gruppe Männer ver-haftet und abtransportiert. Sie stehen im Verdacht, in einen Aufstand gegen die Regierung der Generale Aramburu und Rojas verwickelt zu sein. In San Mar-tin werden sie auf freiem Gelände massakriert, ohne dass es später zu einer Ermittlung kommt oder ein Urteil gesprochen wurde. Doch es gibt Überlebende. Ende 1956 hört Rudolfo Walsh erstmals Gerüchte über die wahren Ereignisse der Nacht vom 9. Juni. Mit Mitteln des investigativen Journalismus ist er der Sache nachgegangen, hat die Überlebenden ge-funden, befragt, ihre Aussagen überprüft und vergli-chen. Rudolfo Walsh hat mit der ihm eigenen Schärfe Verbrechen aufgezeigt, die eigentlich dem Schwei-gen überlassen werden sollten – „…bis man merkt, dass man eine Waff e hat: Die Schreibmaschine“.

Auch Horacio Castellanos Moyas Roman „Der schwarze Palast“ ist in einer politisch-historischen

Wirklichkeit angesiedelt. Es geht um die Zeit zwi-schen dem 24. März und dem 9. Mai 1944, jenem Tag, an dem General Maximiliano Hernández Martinéz, der zwölf Jahre lang in El Salvador ein Schreckensre-gime ausgeübt hatte, entmachtet wird. Die Frontlini-en verwischen sich, Notstandsgesetze, Ausgangs-sperren und Protestnoten bestimmen das politische Handeln. Vieles bleibt unklar, bis schließlich der Auf-stand Erfolg hat.

So positiv der Ausgang der Episode ist, so bitter ist der Blick des Autors darauf. Zunächst wird die Ge-schichte aus der Sicht der Ehefrau und der Mutter von zwei politisch Verfolgten erzählt, die im Kreise bürgerlicher Hausfrauen bei Kaff ee und Kuchen Flugblätter entwirft und vervielfältigt. Ein Gewirr von widersprüchlichen Interessen und unbegreifl i-chen Hierarchien, politischen Zielen und Mordlust wird sichtbar. Auf der anderen Erzählebene befi nden sich Sohn und Neff e nach einem ersten misslunge-nen Aufstandsversuch auf der Flucht und fügen dem Ganzen viel Lokalkolorit und komische Verzweifl ung hinzu. Doch am Ende des Romans wird schließlich klar, dass Hoff nung, Angst und der Sturz des Dikta-tors nur eine kurze Episode sind, bestenfalls ein Etap-pensieg in einer fortdauernden Geschichte der Ge-walt.

Castellanos Moya, geboren in Honduras und aufge-wachsen in El Salvador, arbeitete als Journalist in verschiedenen Ländern. Von 1981 bis 1984 engagier-te er sich im Bürgerkrieg auf Seiten der Guerilleros und musste sein Land 1997 wegen Morddrohungen verlassen. Mit der Niederschrift seines Romans be-gann er in Frankfurt, wo er im Rahmen des Pro-gramms „Städte der Zufl ucht“ für ein Jahr lebte. „Der schwarze Palast“ ist ein vielgestaltiges Buch. Castel-lanos Moya zeigt eine Gesellschaft, in der jede Grup-pe gnadenlos um Einfl uss und Macht kämpft, ge-meinsam oder gegeneinander, ohne Skrupel und ohne Rücksicht. Dieter Hampel

Scharfe Waff e: Die Schreibmaschine

Rudolfo WalshDas Massaker von San MartinNeuübersetzung aus dem Spanischen Rotpunktverlag, Zürich 2010,255 Seiten, 19,50 Euro

Horacio Castellanos MoyaDer schwarze Palast S. Fischer Verlag, Frankfurt 2010,336 Seiten, 19,95 Euro

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Naturschutz zum Nutzen der Armen

Damit Pandas, Tiger und Gorillas nicht aussterben, sind viele Menschen im Norden bereit, beträchtli-che Geldbeträge zu spenden. Den Lebensraum die-ser Tiere zu schützen, kann jedoch mit Bedürfnis-sen von Menschen in Konfl ikt geraten, die einen Teil ihres kargen Lebensunterhalts aus den Natur-ressourcen des Schutzgebietes gewinnen. Die Dis-kussion über das Spannungsverhältnis zwischen Erhalt der Biodiversität einerseits, Armutsbekämp-fung andererseits dokumentiert der Reader anhand von Texten aus den Jahren 2002 bis 2008. Die Her-ausgeberinnen zeichnen die Debatte in kurzen, präzisen Einleitungen zu jedem thematischen Ka-pitel nach.

So erinnern sie daran, dass die meisten Naturparks und Wildschutzgebiete in Entwicklungsländern auf

die Kolonialherrschaft zurückgehen. Die Einsicht, dass man soziale Entwicklung und die Teilhabe der Betroff enen an der Parkverwaltung fördern muss, setzte sich unter Naturschützern in den 1980er Jah-ren durch. Ende der 1990er Jahre gewannen top-down-Ansätze vorübergehend wieder an Boden. Doch 2003 erkannten die großen Naturschutzorga-nisationen die Rechte lokaler Bevölkerungsgruppen ausdrücklich an. Bis heute ist freilich umstritten, in-wieweit Naturparks diesen Gruppen in der Praxis Nutzen oder Schaden bringen. Die Beiträge dazu in dem Reader sind teilweise kontrovers.

Klar ist: Bewohner von Gebieten mit hoher Biodiver-sität gewinnen aus der Natur – insbesondere aus dem Wald – Ackerland, Früchte, Wildfl eisch und Holz. Diese Menschen sind häufi g besonders arm,

Kann unsere Gesellschaft ohne Wachstumszwänge existieren? Irmi Seidl und Angelika Zahrnt bejahen das Unvorstellbare und stellen damit die gesamte Ausrichtung unseres Wirtschafts- und Wertesystems infrage. Den Herausgeberinnen des Sammelbandes steht eine „Postwachstumsgesellschaft“ vor Augen. Vieles spricht dafür, dass sich grundlegend etwas än-dern muss: Das Wirtschaftswachstum der vergange-nen Jahrzehnte geht einher mit dem Raubbau an den natürlichen Lebensgrundlagen. Auch die Hoff nung, dass Wachstum zur Lösung gesellschaftlicher Proble-me beiträgt, hat sich nicht bestätigt. Soziale Un-gleichheit und Armut nehmen zu; ein Abbau der zu-nehmenden Staatsverschuldung scheint trotz stei-gender Konjunktur illusorisch.

Viele Lebensbereiche sind jedoch auf ein ungebro-chenes Wachstum angewiesen: So sind etwa der Ar-beitsmarkt, die Alterssicherung und die Gesund-heitsversorgung an eine steigende Konjunktur ge-koppelt. Aus Angst vor einem Systemkollaps halten Politiker und Ökonomen konsequent daran fest, auch wenn damit teure politische Eingriff e wie die Ab-wrackprämie oder gigantische Wachstumspakete verbunden sind. Dazu zitiert der frühere Bundesprä-sident Horst Köhler in seinem Vorwort Kenneth Boulding, einen der Gründerväter der ökologischen Ökonomik: „Wer in einer begrenzten Welt an unbe-grenztes exponentielles Wachstum glaubt, ist ent-weder ein Idiot oder ein Ökonom.“

Seidl und Zahrnt fordern einen radikalen Paradig-menwechsel. In ihrem Buch diskutieren sie mit zwölf weiteren Autorinnen und Autoren, wie Gesellschafts-

bereiche umstrukturiert werden müssten, damit sich „Pfade“ für eine „Postwachstumsgesellschaft“ erge-ben. Was sich zunächst nach einer radikalen These anhört, schlägt sich in ganz pragmatischen Ansätzen nieder: Der Generationenvertrag etwa, der heute auf einem rein fi nanziellen Ausgleich beruht, soll durch einen solidarischen Generationenvertrag ergänzt werden. Kürzere und fl exiblere Arbeitszeiten sollen mehr Zeit für soziale Dienste wie Altenpfl ege und Krankenpfl ege ermöglichen. Diese können unter Um-ständen auch verpfl ichtend sein.

Der Konsum solle reduziert werden, um den Verbrauch von natürlichen Ressourcen zu schonen. Alternativ sollten mehr Dienstleistungen in Anspruch genom-men werden. Werte wie Familie, Gemeinschaft, Soli-darität, Freizeit und Bildung sollten stärker im Mittel-punkt stehen. Auch die Banken sollten sich wieder auf ihre ursprüngliche Aufgabe, die Finanzierung wirt-schaftlicher Aktivitäten, konzentrieren.

Die Reformvorschläge und Denkansätze werden überzeugend dargelegt. Sie erscheinen als logische Konsequenzen, um dem Verlust der natürlichen Res-sourcen und dem demographischen Wandel entge-genzuwirken. Viele der Lösungen sind jedoch nicht wirklich vom Wachstumsgedanken gelöst. Ihre Basis bleibt ein funktionierender Markt, der von Angebot und Nachfrage bestimmt ist. Das Buch liefert den-noch konstruktive Beiträge zur aktuellen politischen Debatte. Interessant ist vor allem das Kapitel, in dem die Autoren über den Tellerrand blicken und anhand von Interviews den Stand der Diskussion im westli-chen Ausland beleuchten. Saara Wendisch

Die Abkehr vom Wachstum

Irmi Seidl und Angelika Zahrnt (Hg.)Postwachstumsgesellschaft. Konzepte für die ZukunftMetropolis-Verlag, Marburg 2010, 247 Seiten, 18 Euro

Dilys Roe und Joanna Elliott (Hg.)The Earthscan Reader in Poverty and Biodiversity ConservationEarthscan, London und Washington (D.C.) 2010, 397 Seiten, 24,95 Pfund

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nicht zuletzt weil sie sehr abgelegen leben. Eine bes-sere Erschließung ihres Gebietes ist jedoch häufig nicht nur für den Naturschutz problematisch, son-dern kann auch ihnen schaden. Denn wenn Natur-ressourcen besser vermarktet werden können, profi-tieren in der Praxis oft Großgrundbesitzer oder mächtige Unternehmen, während die Armen leer ausgehen. Die Vorstellung, im Interesse der Armen dürfe der Naturschutz nicht die Entwicklung behin-dern, ist also zu simpel.

Das Buch macht vielmehr deutlich: Im Rahmen des Naturschutzes müssen Arme neue Chancen bekom-men – das sollten Naturschützer berücksichtigen, statt sich auf Tiere zu konzentrieren, die ihnen Spen-den bringen. Umgekehrt sollten aber Entwicklungs-organisationen anerkennen, dass der Schutz der bio-

logischen Vielfalt ein wichtiges eigenständiges Ziel ist. Zwar ist es im Interesse der Armen, ihre Natur-ressourcen zu schützen. Aber ernst gemeinter Ar-tenschutz – etwa des Lebensraums von Gorillas – ist mehr als das und kann für Arme Einschränkungen der Naturnutzung mit sich bringen. Die Frage ist, wie sie entschädigt und die Kosten des Schutzes auf-gebracht werden können. Eine viel diskutierte Mög-lichkeit dazu – internationale Ausgleichszahlungen im Rahmen des Klimaschutzes – werden im letzten Kapitel des Buches behandelt.

Der Sammelband vermittelt einen guten Einblick in Probleme des Naturschutzes im Süden. Man kann ihn gut selektiv lesen. Nur wer die Debatten im Ein-zelnen nachvollziehen will, wird sich durch alle Tex-te kämpfen. Bernd Ludermann

Veronika Körösi und Dieter Zabel (Hg.)Menschenrechte als Verantwortung der Kirchen. Globale Herausforderung – ökumenische Perspektiven, Don Bosco Medien, München 2010, 159 Seiten, 12,90 Euro

Viele kirchliche Organisationen tritt dafür ein, dass Menschen-rechte durchgesetzt werden. Der Sammelband, herausgegeben im Auftrag des katholischen Missi-onswerks „missio“, verbindet the-oretische Beiträge über die Men-schenrechtsfrage im Christentum mit Beispielen von Gruppen, deren Rechte oft verletzt werden. Nicht nur Kleinbauern in Asien oder Frauen in patriarchalischen Ge-sellschaften des Südens leiden un-ter Menschenrechtsverletzungen, auch Flüchtlingen in Deutschland werden einem Autor zufolge grundlegende Rechte verweigert. Eric Englert, der Präsident von „missio“, verweist auf das Wirken mutiger Christen in Simbabwe oder in Indien. Den Einsatz von Be-nedikt XVI. bewertet er als „leiser“ im Gegensatz zu dessen Vorgän-ger Johannes Paul II. Vielleicht sei die Kirche in manchen Mensch-rechtsfragen „übervorsichtig“, sagt der Pater. Andererseits befinde sich die Kirche selbst oft im Dilem-ma. So verschieden die Perspekti-ven in dem Buch sind, ergibt sich doch ein Überblick mit vielen le-senswerten Einblicken. (fe)

Ernst PulsfortHerders neuer Atlas der Religionen, Herder Verlag, Freiburg 2010, 160 Seiten, 36 Euro

Mit rund 120 Karten, Grafiken und Tabellen zeichnet der Atlas ein Bild der Vielfalt, der Verbreitung und der Entstehungsgeschichte der Religionen weltweit. Der Au-tor, katholischer Theologe und Re-ligionswissenschaftler, liefert zu einzelnen Ländern sowohl einen Überblick als auch Detailinforma-tionen. Für Indien etwa ist auf den ersten Blick ersichtlich, in welchen Landesteilen die Bevölkerung mehrheitlich muslimisch oder christlich ist; weiter aufgeschlüs-selt wird das im folgenden auf Di-striktebene. Darüber hinaus lie-fert Pulsfort kompakte und präg-nante Einführungen in die Glau-benslehre und Geschichte der verschiedenen Religionen. Ange-sichts der zunehmenden Rolle der Religion für die Entwicklungszu-sammenarbeit, ist der Atlas ein empfehlenswertes Nachschlage-werk auch für alle, die sich damit beschäftigen. Leider werden nicht alle Länder des Südens so ausführ-lich betrachtet wie Indien; in Afri-ka sind es nur Äthiopien und Erit-rea. Dabei wäre etwa Nigeria mit seinen Konflikten, in denen die Religion instrumentalisiert wird, eine gesonderte Analyse wert ge-wesen. (gka)

KURZREZENSIONEN

Wir suchen berufs- und lebenserfahrene Frauen und Männer mit Qualifikationenin Traumapsychologie, Friedenspädagogik, Konfliktbearbeitung und Erwachsenen-bildung im interkulturellen Kontext.

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SERVICE TERMINE

Erwerbsarbeit spielt eine tragen-de Rolle in der Gesellschaft. Sie de-finiert sozialen Status und Zuge-hörigkeit, während bei Arbeitslo-sigkeit Ausgrenzung droht. Die Ausstellung präsentiert Fotografi-en aus aller Welt, die dokumentie-ren, wie, wo und unter welchen Bedingungen Menschen arbeiten.

Sie schlägt Brücken vom fort-schreitenden Wandel der physi-schen Arbeit in den Fotografien von Jakob Tuggener und Sebas-tião Salgado hin zur automati-sierten und computerunterstütz-ten Tätigkeit in den Werken von Henrik Spohler. Sie folgt über Kontinente und Jahrzehnte den Bewegungen der Migration, fest-gehalten in den Werken von Ri-chard Avedon, Volker Heinze, Ad

van Denderen und Beat Streuli. Wie weit die Arbeit das Lebensum-feld bestimmt zeigen Aufnahmen von Mustersiedlungen und Arbei-terhäusern aus dem Fotoarchiv der Schweizer Firma Von Roll, die ihr soziales Engagement markieren sollten. Die Luftaufnahme der reißbrettartig geplanten Altersre-sidenz „Sun City“ in Arizona von Peter Granser oder Joakim Eskild-sens Bildserie der Roma in Grie-chenland, beleuchten die unter-schiedlichen Vorstellungen von innerer Sicherheit und äußerer Ordnung.

Winterthurbis 8. Mai 2011FotomuseumKontakt: Tel. 0041(0)522341075,www.fotomuseum.ch

KULTURTIPPS

Bilder der Arbeit im Wandel der Zeiten

Berlinbis 2. Januar 2011Das Potosí-Prinzip – Wie können wir das Lied des Herrn im fremden Land singen?Die berühmte Silberstadt Potosí im heutigen Bolivien war zwi-schen dem 16. und 18. Jahrhun-dert das Herzstück der Minenin-dustrie während der spanischen Kolonialherrschaft. Von dort gelangten große Mengen Silber nach Europa und trugen wesentlich zur Entwicklung des Kapitalismus bei. Sie begründe-ten nicht nur Europas ökonomi-sche Vormachtstellung, sondern förderten auch die künstlerische Produktion auf beiden Konti-nenten. Die Ausstellung zeigt etwa 20 Gemälde und Aquarelle des „andinen Barock“ im Dialog mit aktuellen Werken zeitge-nössischer Künstler. Sie entwirft das Bild einer globalisierten Gesellschaft, in der das Prinzip Ausbeutung genauso vorherrscht wie am Beginn der Moderne.Haus der Kulturen der WeltKontakt: Tel. 030 - 39787175,www.hkw.de

Hamburgbis 23. Januar 2011deconstructing africa/europeDie Ausstellung zeigt Arbeiten sieben junger Künstlerinnen und Künstler aus Deutschland und Tansania. Die Fotografien und Filme entstanden im Rahmen des gleichnamigen Projektes, das sich das Aufbrechen von Klischees über Afrika und Europa zum Ziel gesetzt hatte. Die Künstlerinnen und Künstler besuchten für einen Monat das jeweils andere Land und machten Aufnahmen von unerwarteten Aspekten und vom Alltagsleben jenseits der bekann-ten Medien- und Reisebilder. Museum für VölkerkundeKontakt: Tel. 040-428879674,www.voelkerkundemuseum.com

Solingenbis 5. Dezember 2010Die Unsterblichkeit der SterneVon Goya über Walter Benjamin zu Václav HavelAls Hofmaler spanischer Könige nahm Goya um 1800 kritisch Stellung zu den Grausamkeiten während der napoleonischen

Besetzung Spaniens. Die Ausstel-lung verbindet seine Visionen des Schreckens mit Werken zeit-genössischer Künstler aus aller Welt, die sich damit auseinander-setzen. Thema der Ausstellung ist außerdem Walter Benjamin, der über Spanien in die Freiheit ge-langen wollte. Der tschechische Dramatiker Václav Havel schließ-lich wird in seinem Kampf auf dem Weg in die Freiheit gezeigt.Kunstmuseum SolingenKontakt: Tel. 0212-258140,www.kunstmuseum-solingen.de

Tübingen18. bis 24. November 201010. Filmfest „FrauenWelten“Auf dem Programm des Festivals stehen 30 Spiel- und Dokumen-tarfilme aus mehr als 20 Ländern zum Thema Frauenrechte in verschiedenen Kulturen. Der Schwerpunkt liegt in diesem Jahr auf Afrika. Gezeigt wird unter anderem die Dokumenta-tion „Fighting the Silence“ über Frauen, die im Kongo im Krieg vergewaltigt wurden und sich nun als Ausgestoßene wieder

einen Platz in der Gesellschaft erobern müssen. In „L‘excision“ wird ferner eine neue Methode vorgestellt, in Burkina Faso gegen die Praxis der Genitalverstümme-lung aufzuklären. Filmfest FrauenWeltenKontakt: Tel. 07071-9698807,www.frauenrechte.de/filmfest/

ÖSTERREICH

Wienbis 14. Februar 2011African LaceÖsterreichische Stoffe für NigeriaIndustrielle Stickereien, die in der Schweiz und in Vorarlberg hergestellt werden, kamen in den 1960er Jahren durch neue Handelsbeziehungen zu Nigeria auf den westafrikanischen Markt. Die aus afrikanischer Spitze gefertigten Gewänder gelten inzwischen als „traditi-onelle Kleidung“ bei festlichen Anlässen und offiziellen Auftrit-ten von Politikern. Museum für Völkerkunde,Kontakt: Tel. 00431525240,www.khm.at

Baumwollpflückerinnen in Berar, Indien, um 1910.ANONYM/VOLKART FOTOARCHIV IM FOTOMUSEUM WINTERTHUR

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Hofgeismar19. bis 21. November 2010„Warum lässt es uns kalt, wenn es immer wärmer wird?“Vom Umgang mit dem Klima-wandel

10. bis 12. Dezember 2010Frieden schaffen – auch mit Waffen?Über den Funktionswandel der Bundeswehr, den politischen Pazifismus und die protestanti-sche EthikEvangelische Akademie Hof-geismar

Kontakt: Tel. 05671-881-0www.ekkw.de/akademie.hof-geismar

Kochel am See8. bis 12. November 2010Gentechnik in Landwirtschaft und Nahrung - was ist heute, was wird kommen?

29. November bis 3. Dezember 2010Eine neue Rolle Afrikas in der Welt?Georg-von-Vollmar-Akademie e.V. Kontakt: Tel. 08851-78-0www.vollmar-akademie.de

Loccum22. bis 24. November 2010H2O– Blaues Gold?Wasser als Klimafaktor und knappe RessourceEvangelische Akademie Loccum Kontakt: Tel. 05766-81-0www.loccum.de

Münster19. bis 20. November 2010Konfliktlösung und interreligiöser Dialog im Norden GhanasTagung zur Diözesanpartner-schaft mit Nord-Ghana

1. Dezember 2010Soziale Situation und Gewalt in El SalvadorForum zur Adveniat-Aktion 2010Akademie Franz Hitze HausKontakt: Tel. 0251-9818-0www.franz-hitze.haus.de

Schwerte 2. bis 5. Dezember 2010Friedensforschung und Weltinnen-politik im 21. JahrhundertGrundlagen – Probleme – Pers-pektivenSymposium zum 80. Geburtstag von Johan Galtung

10. bis 12. Dezember 2010Wege aus dem Krieg – Friedenstrategien in und für AfghanistanEvangelische Akademie VilligstKontakt: Tel. 02304-755-0www.kircheundgesellschaft.de

Tutzing18. bis 19. November 2010homo interculturalisHerausforderung kulturelle VielfaltEvangelische Akademie TutzingKontakt: Tel. 08158-251008158,www.ev-akademie-tutzing.de

Wittenberg3. bis 5. Dezember 2010Nachhaltige GrundsicherungArmut lindern – natürliche Le-bensgrundlagen erhaltenEvangelische Akademie Sachsen-AnhaltKontakt: Tel. 03491-4988-41www.ev-akademie-wittenberg.de

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TV-TIPP

Mittwoch, 10.11.18:05-19:00, ARTE 360° – GEO Reportage. Ruanda, Land der Frauen. Von Dirk Laabs.

16 Jahre ist es her, dass Aus-einandersetzungen zwischen der Hutu-Mehrheit und der Tutsi-Minderheit zu einem Völkermord führten, dem über eine Million Menschen zum Opfer fielen. Inzwischen hat sich Ruanda wirtschaftlich und politisch stabilisiert, und Hutu und Tutsi gelingt es, friedlich miteinander zu leben. Das ist vor allem ein Werk der ruandischen Frauen.

Samstag, 13. 11.16:30-17:15, ZDFneoneoWelten. Waffen des Fort-schritts. Der Garten Eden. Von Jared Diamond.17:15-18:00: Eroberung18:00-18:45: In den Tropen Mit spannenden Spielszenen, packenden Computergrafiken und atemberaubenden Natur-

aufnahmen aus fünf Konti-nenten lässt die dreiteilige Dokumentation 13.000 Jahre Menschheitsgeschichte Revue passieren. Dabei beleuchten die einzelnen Folgen den Aufstieg und Fall ganzer Zivi-lisationen – in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

RADIO-TIPP

Dienstag, 09.11.10:05-10:30, SWR2 Leben. Hoffen ohne Chan-cen. Lebensgefühle junger Menschen in Simbabwe. Von Thomas Kruchem.

Montag, 15.11.12:05-13:00, WDR5 Scala – Aktuelles aus der Kultur. Kritik als Verbrechen. Am 15. November wird weltweit an inhaftierte Autoren erinnert. Von Wera Reusch.

Weitere TV- und Hörfunk-Tipps unter www.welt-sichten.org

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IMPRESSUM66

Fachkräfte im Entwicklungsdienst gesucht

Eine Fachärztin oder einen Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe zur Facharztausbildung für das Lehrkrankenhaus der Presbyterian Church of Ghana (PCG) in Agogo, Ghana

Eine Fachärztin oder einen Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe für die medizinische Fakultät der katholischen Universität in Beira, Mosambik

Eine Pharmazeutin oder einen Pharmazeuten für den Ausbau der Öffentlichkeitsarbeitund eines Informationsdienstes für eine Partnerorganisation in Nairobi, Kenia

Eine Fachkraft für IT Management mit Schwerpunkt Open Source Software für eine Partnerorganisation in Nairobi, Kenia

Ausführliche Aufgabenbeschreibungen auch zu weiteren Stellen mit Angaben zu

den Bewerbungsvoraussetzungen und den Leistungen finden Sie unter:

Evangelischer Entwicklungsdienst e.V.Referat Fachkräfte

Ulrich-von Hassell-Straße 7653123 Bonn

Durch die Vermittlung europäischen Personals unddie Reintegration überseeischer Fachkräfte in ihre

Herkunftsländer unterstützt der EED die Partnerorganisationen bei der Lösung

von Personalproblemen.

www.eed.de/fachkraefte

Chefredakteur: Bernd Ludermann (bl) Redaktion: Tillmann Elliesen (ell), Gesine Kaufmann (gka), Volontärin: Saara Wen-disch (saw)

Adresse: Emil-von-Behring-Straße 3, 60439 Frankfurt/Main Briefe/Letters: Postfach/POB 50 05 50, D-60394 Frankfurt/Main Telefon: 069-580 98 138; Telefax: 069-580 98 162 E-Mail: [email protected]

Korrespondent in Berlin: Dr. Johannes Schradi (di), Tel. 030-850 756 01, E-Mail: [email protected]

Korrespondent in Brüssel: Heimo Claasen (hc), Tel. 0032-2-2178607, E-Mail: [email protected]

Korrespondent in der Schweiz: Infosüd (is), Tel. 0041-(0)-313 984 050; E-Mail: [email protected]

Ansprechpartner in der Schweiz: Brot für alle/Fastenopfer c/o Urs A. Jaeggi, Tel. 0041-(0)-33 251 16 62, E-Mail: [email protected]

Ansprechpartner in Österreich: Atiye Zauner (ÖFSE), Tel. 0043-1-3174010, E-Mail: A. [email protected]; Gottfried Mernyi, Kindernothilfe Österreich, Tel. 0043-1-5139330, E-Mail: [email protected]

Ansprechpartner in Tschechien: Dr. Jiri Silny (Ökumenische Akademie), Tel./Fax 00420-272 737 077; E-Mail: [email protected]

Anzeigenleitung: Yvonne Christoph, m-public Medien Services GmbH, Georgen-kirchstraße 69/70, 10249 Berlin, Telefon: 030-28874833, Telefax: 030-80692095, Internet: www.m-public.de

Die Rubrik „Global-lokal“ erscheint in Kooperation mit der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt/InWEnt gGmbH. Beate Horlemann liefert die TV- und Hörfunk-tipps, Doris Regina Gothe die Personalia. Dieter Hampel betreut die Rezensionen.

Herausgeber: Verein zur Förderung der entwicklungspolitischen Publizistik e.V.

Vorsitzender: Hans Spitzeck, EED, Ulrich-von-Hassell-Str. 76, 53123 Bonn, E-Mail: [email protected]

Mitglieder: Brot für alle (Bern), Brot für die Welt (Stuttgart), Christoffel Blindenmission (Bensheim), Evangelischer Entwicklungsdienst (Bonn), Fastenopfer (Luzern), Kindernothilfe (Duisburg), Misereor (Aachen), Assoziation Förderung der entwicklungspolitischen Publizistik e.V. (Oberursel)

Geschäftsstelle: c/o „welt-sichten“

„welt-sichten“ erscheint monatlich.

Preis der Einzel-Nr.: 4,50 Euro / 7,60 sFr zuzügl. Versandkosten

Preis im Abonnement: 39,00 Euro; für Studierende: 29,25 Euro

Der Herausgeberverein ist gemeinnützig (Vereinsregisternr. VR 14271; Amtsgericht Frankfurt am Main). Zahlungen bitte auf das Konto des Vereins zur Förderung der entwicklungspolitischen Publizistik e.V., Ev. Kreditgenossenschaft eG, Kto. 4004582, BLZ 52060410.

Redaktionssekretariat: Ilse Odermatt, Bettina Dier

Lektorat: Karl Otterbein

Grafische Gestaltung: Angelika Fritsch, Silke Jarick

Verlegerischer Dienstleister: Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik gGmbH, Frankfurt am Main

Druck: Henrich Druck+Medien, Frankfurt am Main

ISSN 1865-7966 „welt-sichten“

ist die Nachfolgezeitschrift von „der überblick“ und „eins Entwicklungspolitik“.

Impressum www.welt-sichten.org

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Unser Dankeschön:Sie machen mit einem -Abonnement jemandem eine Freude – wir bedanken uns dafür bei Ihnen mit dem Foto-Wandkalender 2011 der Hilfswerke „Brot für die Welt“ und Misereor. Farbenprächtige Bilder von Meisterfotografen im Format 56 x 28 Zentimeter begleiten Sie durch das Jahr.

sachlich kritisch gründlich

Im nächsten Heft FRAGILE STAATEN:Länder ohne funktionierenden und durchsetzungsfähigen Staat gelten als Gefahr für die Sicherheit ihrer Region und weltweit. In vielen Fäl-len versucht man, dort Staatsappa-rate von außen aufzubauen oder zu stabilisieren – oft mit zweifel-haftem Erfolg. Wie kann man die Staatsbildung anderswo überhaupt fördern? Ist es angemessen, dafür stets das europäische Staatsmodell als Vorbild zu nehmen?

KUBA: Der kommunistisch re-gierte Karibikstaat öff net sich in klei-nen Schritten zur Marktwirtschaft. Die Regierung will 500.000 Beschäf-tigte aus Ministerien und Staats-betrieben entlassen und hoff t auf private Unternehmensgründungen. Wohin führt diese Reform?

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