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Kontrolle der Pflanzenentwicklung durch MikroRNAs

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Page 1: Kontrolle der Pflanzenentwicklung durch MikroRNAs

622 WISSENSCHAFT

DETLEF WEIGEL, PATRICIA LANG

ABTEILUNG MOLEKULARBIOLOGIE, MAX-PLANCK-INSTITUT FÜR ENTWICKLUNGSBIO-

LOGIE, TÜBINGEN

Small, 21–22 nucleotide long RNAs called microRNAs play an essentialrole in the spatial and temporal regulation of gene expression. They areoften part of complex gene networks. By controlling the stability or trans-lation of their target mRNAs they have an influence on many developmen-tal pathways. Juvenile to adult transition, initiation of flowering or plantarchitecture and leaf morphology are examples of miRNA-regulated pro-cesses during plant development.

DOI: 10.1007/s12268-013-0363-4© Springer-Verlag 2013

ó MikroRNAs (miRNAs) wurden erstmalsvor 20 Jahren als Kontrollfaktoren innerhalbder Entwicklung des Nematoden Caenorhab-ditis elegans beschrieben. Mittlerweile sinddie nicht-codierenden, doppelsträngigen Ribo-nukleinsäuren als elementare posttranskrip-tionelle Regulatoren eukaryotischer Genomebekannt. Sie binden im Komplex mit Protei-nen sequenzspezifisch an die Boten-RNA(mRNA) eines Zielgens und verhinderndadurch dessen Translation oder führen zumZerschneiden oder beschleunigten Abbau derjeweiligen mRNA. Dies ermöglicht eine zeit-nahe und flexible Feinjustierung von Genex-pression, die die Wirkung von Transkrip-tionsfaktoren ergänzt. Die miRNAs spielendaher in nahezu jedem biologischen Kontexteine fundamentale Rolle. Hier diskutieren wirdie Effekte von miRNAs an einem besondersgut verstandenen Beispiel, der Pflanzenent-wicklung.

miRNA-Biogenese in PflanzenDie Synthese von miRNAs beginnt im Zell-kern mit der Herstellung des Primärtrans-kripts (primary-miRNA) durch die RNA-Poly-merase II (Pol II) (Abb. 1). Das Enzym DICERLIKE-1 (DCL1) ist für die anschließende Pro-zessierung innerhalb der subnuklearen dicingbodies (D-bodies) verantwortlich. Dort reiftdas foldback-Molekül der Vorläufer-miRNA

(precursor-miRNA) zum fertigen, 21 bis 22Basenpaare langen miRNA:miRNA*-Duplex.DCL1 wird hierbei in der Modellpflanze Ara-bidopsis thaliana, der Ackerschmalwand,durch weitere Faktoren wie HYPONASTICLEAVES 1 (HYL1), SERRATE (SE), den nucle-ar cap-binding complex (CBC) und C-terminaldomain phosphatase-like 1 (CPL1) unterstützt.Die reife miRNA wird zur Erhöhung der Sta-bilität methyliert und in das Zytoplasma trans-portiert. Gemeinsam mit einem der zehnARGONAUTE(AGO)-Proteine bildet dort derguide-Strang der reifen miRNA (miRNA-Strang) einen aktiven RNA-induced silencingcomplex (RISC). Dieser bindet komplementä-re mRNAs und ist für deren posttranslatio-nale Kontrolle verantwortlich. Die transkrip-tionelle und posttranskriptionelle Regulie-rung von miRNAs hilft, die zeitliche undräumliche Spezifität der Genaktivität zu ge -währleisten [1].

Phasen der PflanzenentwicklungDie Wachstumszeit einer Pflanze nach derKeimung kann in zwei Hauptstadien, denvegetativen und reproduktiven Abschnitt, ein-geteilt werden. Im Laufe der vegetativen Ent-wicklung tritt die Pflanze von der juvenilenzur adulten Phase über. Diese ist durch äußer-liche Veränderungen gekennzeichnet. Amwichtigsten ist jedoch, dass die Pflanze nunauf das Blühen induzierende Stimuli reagie-ren kann. Mit Beginn der Blüte werden danndie vegetativen Scheitelmeristeme, die die

Stammzellen der Pflanzen beherbergen, zuInfloreszenzmeristemen, und die Pflanze gehtin die reproduktive Phase über. ZahlreichemiRNAs sind wichtiger Bestandteil der hier-für zuständigen regulatorischen Netzwerke.

Zucker-induzierte miRNA lässtPflanzen alternBeim Wechsel zwischen den Entwicklungs-phasen spielt die miR156-Familie eine überArtengrenzen konservierte Rolle. Die Mit-glieder dieser Familie regulieren die Expres-sion von SPL-Transkriptionsfaktoren (SPL =SQUAMOSA PROMOTER-BINDING [SPB]PROTEIN-LIKE), die über die Aktivierung vonmiR172 und mehreren MADS-Box-Genen amPhasenwechsel und an der Blühkontrollebeteiligt sind (Abb. 2). Das in juvenilen Pflan-zen hohe Expressionsniveau von miR156sinkt mit dem entwicklungsbiologischen Alterder Pflanze. Dadurch wird mehr SPL-Proteinproduziert, und die Pflanze tritt irreversibelin die adulte Phase ein. In mehrjährigen Bäu-men gibt es darüber hinaus nicht nur einenGradienten von miR156- und SPL-Aktivitätentlang der Hauptachse, sondern auch ent-lang aller seitlichen Zweige.

Die Abnahme von miR156 ist auf Glukosezurückzuführen, welche die Unterdrückungder Transkription der miRNA und den Abbaufertiger miR156-Transkripte unabhängig vonder miRNA-Maschinerie reguliert. Mit zuneh-mender Blattoberfläche aufgrund des Pflan-zenwachstums steigt die Photosyntheseleis-tung und damit die Glukoseproduktion. DerZucker fungiert als mobiles Signal, dessenAktivität hier den Übergang von juveniler zuadulter Phase fördert. Dieser Mechanismuskonnte inzwischen in vielen Arten ein-schließlich des Blasenmützenmooses Phys-comitrella patens nachgewiesen werden [2].

miR156 als Jungbrunnen?Eine Überexpression von miR156 führt imUmkehrschluss zur „ewigen Jugend“ vonPflanzen, welche somit nie die adulte Phaseerreichen. In Zea mays (Mais) sowie in Pani-cum virgatum (Chinaschilf) bewirkt die Über-

Posttranskriptionelle Regulierung

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expression des Mais-miRNA-Gens Corngrass1(Cg1) aus der miR156-Familie auch in altenPflanzen ein für juvenile Blätter typischesbiochemisches Profil sowie eine entspre-chende Morphologie und Zellidentität. Kon-kret erhöht Cg1 den Stärkegehalt in China-schilf um 250 Prozent, während der Lignin-gehalt zu rückgeht und die totale Biomasseder Pflanzen durch kontinuierliche Neubil-dung von Seitensprossen und Blätternzunimmt. Die so verbesserten Fermenta-tionseigenschaften der Energiepflanze ver-ringern die Notwendigkeit einer aufwendigenchemischen Vorbehandlung für die Verzu-ckerung. Da das hohe Niveau an Cg1 außer-dem die Ausbildung von Blüten in Chinaschilfverhindert, besteht nicht die Gefahr der Ver-breitung transgener Pollen oder Samen [3].

miR156 und miR172 regulierendie BlühzeitIm Gegensatz zu miR156, deren Expressionsich mit zunehmendem Alter der Pflanze verringert, steigt der Spiegel von miR172mit der fortschreitenden Entwicklung derPflanze an. miR172 fördert den Übergang zuradulten Phase und ist ein Antagonist der APETALA2(AP2)-Transkriptionsfaktor-Familie, die in der Ackerschmalwand nebender Aufrechterhaltung von Stammzelliden-tität und Blütendifferenzierung unter ande-rem bei der Samenentwicklung eine Rollespielt. In Mais geht die Zunahme von miR172mit einer deutlichen Abnahme des AP2-Homologen glossy15 (gl15) einher. In Über-einstimmung damit kann bei einem Fehlenvon miR172 durch gesteigerte gl15-Aktivitätder Beginn der reproduktiven Entwicklungverzögert und die Anzahl der gebildeten juve-nilen Blätter erhöht werden [4].

Gleiches geschieht in der Ackerschmal-wand, wo die Transkription von miR172 undvon Blüh- und Blütenfaktoren wie SOC1 undAGAMOUS durch AP2 unterdrückt wird, wasdie Entwicklung von Blüten und das Blühenselbst verhindert. Zusätzlich aktiviert AP2miR156. Da diese über die SPLs ein negati-ver Regulator von miR172 ist, entstehtdadurch eine positive Rückkopplung. DiesesElement ist ein wichtiger Teil des regulatori-schen Netzwerks, das den Übergang von derjuvenilen zur adulten Phase mit dem Beginndes Blühens und der Blütendifferenzierungintegriert [5].

miRNA und BlattmorphologieDie miRNAs spielen bei der Regulation derpflanzlichen Entwicklung nicht nur auf zeit-

licher, sondern auch auf räumlicher Ebeneeine wichtige Rolle. So reguliert die Akti-vität von miR164 beispielsweise bei derAckerschmalwand die Ausdehnung undAnzahl von Lateralmeristemen über die CUP-SHAPED COTYLEDON(CUC)-Zielgene.Zusätzlich zu CUP-SHAPED COTYLEDON 3(CUC3) werden zur Bildung von Lateralme-ristemen die redundanten Funktionen vonCUC1 und CUC2 benötigt. Die Expressionder CUC1- und CUC2-Transkriptionsfaktorenwird posttranskriptionell durch die teilsredundanten, teils spezialisiert arbeitendenmiR164-Gene MIR164A, MIR164B und

MIR164C reguliert. Ein Ausfall der miR164-abhängigen Kontrolle führt zur Bildung weitausgedehnter Meristeme und zusätzlicherSeitentriebe [6]. Die Balance zwischen ko-ex primierter miR164a und CUC2 beein-flusst außerdem die Entwicklung der Blatt -ränder. Nachdem, zunächst unabhängig vonmiR164a, die Anzahl und Lokalisierung derBlattzähne festgelegt wird, bestimmt dielokale Unterdrückung der CUC2-Aktivitätdurch miR164a, wie stark diese ausgeprägtwerden. Je weniger miR164a und je mehrCUC2 vorhanden sind, desto stärker gezähntwird der Blattrand [7].

˚ Abb. 1: Synthese von miRNAs. Das miRNA-Primärtranskript wird im Zellkern durch das EnzymDCL1 (DICER LIKE-1) und zahlreiche Kofaktoren zur Vorläufer-miRNA verarbeitet. Der reife miRNA-miRNA*-Duplex wird methyliert und in das Zytoplasma transportiert, wo der miRNA-Strang miteinem ARGONAUTE(AGO)-Protein den aktiven RNA-induced silencing complex (RISC) bildet. Die-ser bindet zur miRNA komplementäre mRNA und ist für deren posttranslationale Kontrolle verant-wortlich.

RNA-Polymerase II

Vorläufer-miRNA

Primärtranskript

Methylierung NUKLEUS

ZYTOPLASMA

Kernpore

miRNA:miRNA*-Duplex

Ziel-mRNA

Translationshemmung

Zerschneiden, Abbau

AGO

miRNA

miRNA*

HST

HEN1

AGO

AGO

Abbau

Gen A Gen BMIR

DCL1

HYL1

CPL1DCL1

CBCCAP

SE

dicing body

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Eine Überexpression von miR319 hingegenverursacht gekräuselte Blattränder und ver-breiterte Blätter – sowohl in zwei- als aucheinkeimblättrigen Pflanzen wie Reis. Diehochkonservierte miR319-Familie reguliertTCP-Transkriptionsfaktoren, die speziell dieMorphogenese und das Wachstum von Blät-tern beeinflussen [8].

Auch miR396 hat durch die Regulierungder Transkriptionsfaktor-Familie GROWTH-REGULATING FACTORS (GRF) Einfluss aufdas generelle Blattwachstum. Mit zuneh-mendem Blattalter häuft sich miR396 an,unterdrückt die GRF-Expression und verrin-gert die Zellzahl in Blättern. Ab einembestimmten Spiegel führt außerdem ein star-ker Überschuss von miR396 per se zur Aus-bildung nadelartiger Blätter [9].

FazitDie zeitliche und räumliche Feinregulierungder Genexpression mithilfe von miRNAs ist

folglich essenziell für eine reibungslose Ent-wicklung von Pflanzen und wichtigerBestandteil komplexer Regulationsmecha-nismen. Das Wissen um die Rollen und Funk-tionsweisen von miRNAs ist untrennbar miteinem tieferen Verstehen der Entwicklungvon Organismen verbunden. Zusätzlich kannes die Basis für anwendungsorientierte For-

schung in Nutzpflanzen sein. Für Reis wurdebeispielsweise gezeigt, dass eine Über -expression des miR319-Homologen zu erhöh-ter Kältetoleranz führt [8]. Ihr ubiquitäresVorhandensein ebenso wie die relativ hoheKonservation von miRNA-Regulationsme-chanismen machen miRNAs daher zu wert-vollen Werkzeugen auf dem Weg zur Verbes-serung der ernährungsrelevanten und Wachs-tumseigenschaften von Nutzpflanzen. ó

Literatur[1] Voinnet O (2009) Origin, biosynthesis, and activity ofplant microRNAs. Cell 136:669–687[2] Yu S, Cao L, Zhou C-M et al. (2013) Sugar is an endoge-nous cue for juvenile-to-adult phase transition in plants.ELife, doi: 10.7554/eLife.00269[3] Chuck GS, Tobias C, Sun L et al. (2011) Overexpression ofthe maize Corngrass1 microRNA prevents flowering, improvesdigestibility, and increases starch content of switchgrass.Proc Natl Acad Sci USA 108:17550–17555[4] Lauter N, Kampani A, Carlson S et al. (2005)microRNA172 down-regulates glossy15 to promote vegetativephase change in maize. Proc Natl Acad Sci USA 102:9412–9417[5] Yant L, Mathieu J, Dinh TT et al. (2010) Orchestration ofthe floral transition and floral development in Arabidopsis bythe bifunctional transcription factor APETALA2. Plant Cell 22:2156–2170[6] Raman S, Greb T, Peaucelle A et al. (2008) Interplay ofmiR164, CUP-SHAPED COTYLEDON genes and LATERAL SUP-PRESSOR controls axillary meristem formation in Arabidopsisthaliana. Plant J 55:65–76[7] Nikovics K, Blein T, Peaucelle A et al. (2006) The balancebetween the MIR164A and CUC2 genes controls leaf marginserration in Arabidopsis. Plant Cell 18:2929–2945[8] Yang C, Li D, Mao D et al. (2013) Overexpression ofmicroRNA319 impacts leaf morphogenesis and leads toenhanced cold tolerance in rice (Oryza sativa L.). Plant Cell Environ, doi: 10.1111/pce.12130[9] Mecchia MA, Debernardi JM, Rodriguez RE et al. (2012)MicroRNA miR396 and RDR6 synergistically regulate leafdevelopment. Mech Dev 130:2–13

Korrespondenzadresse:Prof. Dr. Detlef WeigelMax-Planck-Institut für EntwicklungsbiologieAbteilung für MolekularbiologieSpemannstraße 37–39D-72076 TübingenTel.: 07071-601-1411Fax: 07071-601-1412weigel@tue.mpg.dewww.eb.tuebingen.mpg.dewww.weigelworld.org

˚ Abb. 2: Die Rolle von miRNAs in der Pflanzenentwicklung. In juvenilen Pflanzen wird miR156durch AP2 positiv reguliert und unterdrückt die Expression von SPL-Transkriptionsfaktoren.Gleichzeitig hemmt AP2 die miR172-Expression und verhindert die Aktivität von Blüh- und Blüten-faktoren. Mit vergrößerter Pflanzenoberfläche steigt die Glukoseproduktion durch Photosynthese,wodurch miR156 ab-, SPLs und miR172 hingegen zunehmen. Die Pflanze tritt irreversibel in dieadulte Phase ein, was zu Veränderungen in der Blattmorphologie sowie dem Beginn der reproduk-tiven Entwicklung führt.

Photosyntheseprodukte(Glukose)

miR156miR156

SPLs

miR172

AP2

Blüte und Blühenadulte

Blattmorphologie

JUVENIL ADULT

Photosyntheseprodukte(Glukose)

miR156

SPLs

miR172miR172

Blüh- undBlütenfaktoren

(AP1, ...)AP2

Blüte und Blühenadulte

Blattmorphologie

Entwicklungsstadium der Pflanze

Photosyntheseprodukte

miR156

SPLs

miR172

JUVENIL ADULT

Blüh- undBlütenfaktoren

(AP1, ...)

AUTORENDetlef WeigelJahrgang 1961. 1986 Diplom inBiologie, Universität zu Köln.1988 Promotion, Universität Tübingen. 1989–1993 Postdok-torand, California Institute ofTechnology, Pasadena, USA.1993–2002 Assistant und Asso-ciate Professor am Salk Institu-te, La Jolla, CA, USA. Seit 2002Direktor der Abteilung Moleku-larbiologie am Max-Planck-Insti-tut für Entwicklungsbiologie, Tübingen.

Patricia LangJahrgang 1987. 2010 Masterin Pflanzen- und Waldbiotech-nologie, Umeå Plant ScienceCenter, Umeå Universität,Schweden. Seit 2012 Promo-tion, Max-Planck-Institut fürEntwicklungsbiologie, Tübingen.