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Konzepte zur Sprachförderung in Deutschland – ein kritische Bestandsaufnahme Weimar 06.03.2008 Dr. Anna Winner

Konzepte zur Sprachförderung in Deutschland – ein ... · Einzelne Elemente wie Phonologie, Morphologie, Syntax, Lexikon, Semantik, Prosodie und Sprechakt werden isoliert und definiert

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Konzepte zur Sprachförderung inDeutschland – ein kritische

Bestandsaufnahme

Weimar

06.03.2008

Dr. Anna Winner

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Inhalte

� Der Begriff Förderung

� Gesellschaftspolitische Schlussfolgerungen

� Spracherwerbstheorien

� Einfluss auf Sprachförderkonzepte

� Diskussion einiger Beispiele

� Die Sprachförderpyramide

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Sprach – Förderung ein Wort drei verschiedeneBedeutungen

HeilpädagogischeFörderung alsKompensation vonDefiziten

Förderung einerbesonderen,individuellenKompetenz z.B.Hochbegabten-förderung

Die BereitstellungförderlicherBedingungen fürdie gesamtePersönlichkeits-entwicklung

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Heilpädagogische Förderung

Ein Mensch mit einer seelischen, körperlichen oder geistigenBeeinträchtigung oder mit einem Mangel an sozialen Ressourcen sollmöglichst früh gefördert werden, damit aus dieser Beeinträchtigungkeine Behinderung in seinem Leben resultiert. Förderung wird hierkompensatorisch verstanden. Defizite sollen ausgeglichen werden.

Zielgruppen:� Kinder mit sprachlichen Auffälligkeiten� Kinder, bei denen ein Risiko für eine Lese-Rechtschreibschwäche

erkannt wurde.� Kinder, bei denen man eine Lernbeeinträchtigung aufgrund

mangelnder Deutschkenntnisse befürchtet.

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Förderung von besonderen sprachlichenKompetenzen

In diesem Zusammenhang wird davon ausgegangen, dass Kinder imVorschulalter besonders lernbereit für Sprachen sind. Diese Offenheitmöchte man nutzen, um den Kindern neben der Muttersprache weitereSprachen beizubringen. Englisch steht hier im Vordergrund.

Zielgruppe:� Im Prinzip alle Kinder

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Sprach-Förderung als Bestandteil einerallgemeinen Entwicklungsförderung

Kinder bringen eine gute Veranlagung für die Entwicklung einerMuttersprache mit. Aber nur in einem angemessen sprechenden (undzuhörenden) Umfeld kann sich diese Kompetenz entfalten undweiterentwickeln. Sprachförderung umfasst hier den Auftrag, dasBedingungsgefüge für eine gelingende Sprachentwicklung qualitativhochwertig zu gestalten.

Zielgruppe:� Ausnahmslos alle Kinder

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Sozialgesetzbuch – VIII. Buch, §22

(1) In Kindergärten, Horten und anderen Einrichtungen, in denen sich Kinderfür einen Teil des Tages oder ganztags aufhalten, (Tageseinrichtungen)soll die Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen undgemeinschaftsfähigen Persönlichkeit gefördert werden.

(2) Die Aufgabe umfasst die Betreuung, Bildung und Erziehung des Kindes.

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Kinder mit einem heilpädagogischen FörderbedarfGesellschaftspolitische Schlussfolgerungen

Bestimmung vonZugangsvoraussetzungen

Kinder werden aufgrund vonnormabweichenden Merkmalenals „Risikogruppe“ oder„Risikokinder“ eingestuft.Hier werden an Kinder mitsprachlichen Beeinträchtigungenbesondere Anforderungengestellt, damit sie im „normalen“Bildungsbetrieb mitkommen,nicht auffallen etc.

Integration und Inklusion

Für Kinder mit sprachlichenBeeinträchtigungen werden inKindertageseinrichtungen undSchulen besondere Bedingungengeschaffen, die ihnen dieTeilhabe an denBildungsprozessen trotz ihrerBeeinträchtigung ermöglichen.Vielfalt und Abweichung werdenhier nicht als Defizit, sondern als„normal“ betrachtet.

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Förderung für SprachgeniesGesellschaftspolitische Schlussfolgerungen

Fremdsprachenunterricht

Die Kinder erhalten bereits vor derSchule didaktisch aufbereitetenFremdsprachenunterricht. Manerhofft sich so einen Vorsprung fürden späteren Erwerb vor allem derSprache Englisch.

Förderung von Mehrsprachigkeit

Kinder, die in einem mehr-sprachigen Umfeld aufwachsen,werden ermuntert, dieseEntwicklungsmöglichkeiten zunutzen. Ihre verschiedenenSprachen und Dialekte werdenwertgeschätzt. Den Kindern wirddie Möglichkeit gegeben inverschiedene Sprachen,einschließlich Deutsch, ein zutauchen (Immersion).

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Sprachförderung für alle KinderGesellschaftspolitische Schlussfolgerungen

Beschleunigung vonEntwicklung

Die Erwachsenen treiben durchbesondere Lernangebote dieEntwicklung in den Bereichenvoran, die mehr Ansehen besitzen,wie der sprachlich/kognitiveBereich. Lesen oderwissenschaftliches Denken sollenbereits vor der Schule gelingen.Vorläuferfähigkeiten werdenbestimmt und trainiert.

Bereicherung derEntwicklungsmöglichkeiten

Jede Entwicklungsphase istbedeutsam. Die Kinder bestim-men das Tempo ihrer Entwicklungund gestalten diese eigenaktiv mit.Sprachentwicklung wird alsintegraler Bestandteil der gesam-ten Persönlichkeitsentwicklungbegriffen. Die Erwachsenenstellen allen Kindern ein anre-gungsreiches und entwicklungs-angemessenes Umfeld zurVerfügung

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Einige wissenschaftliche Theorien beschreiben den Spracherwerb alsReifungsprozess:

Die Sprache reift oder wächst aufgrund einer artspezifischen biologischenAusstattung. Das soziokulturelle Umfeld ist verantwortlich für regionaleBesonderheiten und muss für günstige Wachstumsbedingungen sorgen, aufden spezifischen Verlauf des Spracherwerbs hat es kaum Einfluss.Der bekannteste wissenschaftliche Vertreter dieser nativistischen Theorie istNoam Chomsky (geb. 1928), der derzeit populärste ist Steven Pinker (geb.1954)

Spracherwerb als Reifungsprozess

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Einige wissenschaftliche Theorien beschreiben den Spracherwerb alsLernprozess:

Sprache wird hier meist auf ein sprachliches Verhalten reduziert. DiesesVerhalten wird, wie jedes andere Verhalten auch erlernt. Spracherwerb wirdauf Konditionierungsvorgänge oder Modelllernprozesse zurückgeführt.Ein bedeutsamer Vertreter der behavioristischen Sicht des Spracherwerbswar Burrhus Frederic Skinner (1904 – 1990), der seine Theorie in demberühmten Werk „Verbal Behavior“ (1957) darlegte. Sprachliches Verhaltengilt als erlernte Reaktion (response) auf einen Reiz (stimulus) aus derUmwelt. Diese Reiz-Reaktion-Verknüpfung wird durch Verstärkungsprozesseverfestigt.Modellerntheorien sehen den Motor für Sprachentwicklung vor allem imguten Sprachmodell der Erwachsenen, sowie in Verstärkungs- undMotivationsmechanismen.

Spracherwerb als Lernprozess

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Einige wissenschaftliche Theorien beschreiben den Spracherwerb alsEntwicklungsprozess:

Sprache lässt sich nicht als ein sektoraler Bereich aus der Entwicklung desMenschen ausschneiden. Alle Entwicklungsbereiche wie Kognition, Motorik,sozial- emotionale Entwicklung stehen in enger wechselseitiger Beziehungzueinander und zur Sprachentwicklung. Entwicklung wird ausgelöst und inGang gehalten von biogenetischen, soziokulturellen und psychischenFaktoren, die sich wechselseitig bedingen. Die WHO bezeichnet denMenschen deshalb als bio-psycho-soziale Entität. Im Spracherwerb eignensich Kinder nicht schrittweise ein fertiges Produkt an. Sprachentwicklung istein ko-konstruktiver Prozess, in dem Kinder Sprache „neu“ erfinden.Einer der bedeutendsten Begründer dieser Theorie war Lew Vygotskij(Vygotsky, Wygotski 1896 - 1934).

Spracherwerb als Entwicklungsprozess

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Strukturalistische Sprachtheorien schneiden Sprache aus dem konkretenGebrauch heraus und wählen die sprachliche Struktur alsForschungsgegenstand. Sie untersuchen Sprache „an sich“ und nichtSprache für den Menschen. Als Norm gilt die nationale Schriftsprache vonErwachsenen. Die gesprochene Sprache erscheint nur als mündlicheAbweichung. Strukturalisten suchen nach den Regeln und den Bausteinenoder Modulen einer Sprache. Einzelne Elemente wie Phonologie,Morphologie, Syntax, Lexikon, Semantik, Prosodie und Sprechakt werdenisoliert und definiert und stehen scheinbar unabhängig nebeneinander.

Strukturalistische Sprachtheorien

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Funktionale Sprachtheorien fragen nach der Bedeutung von Sprache für denMenschen. Sprache dient dem sozialen Verkehr und der Erkenntnistätigkeitund kann nicht aus dem Kontext des menschlichen Handelns gelöst werden.Sprache entsteht als soziale Tätigkeit, die Regeln werden im Miteinanderkonstruiert. Der Wunsch nach Verständigung ist der Motor dafür.

„Ähnliche Verkürzungen existieren auch hinsichtlich der Sprache. Sie wirdmeist nicht historisch oder ontogenetisch, sondern synchron untersucht;nicht als wirkliche Sprechbewegungen von Menschen, sondern als Systemabstrakter Zeichen, die Welt abbilden; strukturell, nicht, wozu sie dient,funktional. Und so ist es kaum verwunderlich, dass Unsicherheit herrscht,warum man eigentlich spricht. Als ob Sprache, wie zuweilen vermutet, alsAusdrucksbewegung einfach unser Denken und Handeln begleitet.“

(Jürgen Messing: „Allgemeine Theorie des menschlichen Bewusstseins. 1999, S. 17)

Funktionale Sprachtheorien

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Der überwiegende Teil der derzeit gebräuchlichen Sprachförderprogrammeist von diesen Spracherwerbstheorien beeinflusst. Kennzeichnend für solcheProgramme ist:Kindersprache gilt als defizitär. Sprache soll möglichst rasch in den erstensechs Jahren erlernt werden. Das Sprachmodell orientiert sich an dererwachsenen Norm. Ammensprache und Kindworte sind verpönt. KlareLernziele markieren den Lernfortschritt. Einzelne Teilbereiche von Sprachewie z.B. Wortschatz, Satzbau, werden isoliert trainiert. Eine Förderung findetin didaktisch aufbereiteten und künstlich geschaffenen Lernsituationen statt.Angestrebt wird ein Sprach-Wissen

Nativistisch, lerntheoretisch undstrukturalistisch beeinflusste Konzepte.

Methoden der Sprachförderung:� Lernszenarien� Training� Unterricht

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Konzepte, die von solchen Spracherwerbstheorien beeinflusst sind,bezeichnen sich selbst meist als ganzheitlich. Häufig sind dies aber auchProjekte, die Sprachförderung gar nicht explizit ausweisen, diese aberdennoch gut leisten, wie z.B. der „spielzeugfreie Kindergarten“ oderpsychomotorische Angebote. Kennzeichnend für solche Programme ist:

Die Entwicklung einer Muttersprache ist ein lebenslanger Prozess. Einegewisse sprachliche Reife wird erst mit dem Abschluss des Jugendalterserreicht. Kinder sollen Sprache für ihre kommunikativen und kognitivenBedürfnisse nutzen. Sprache muss im Alltag der Kinder notwendig und fürsie sinnvoll sein. Erwachsene leben die Funktionen von Sprache vor. Sieversuchen die Kinder auch ohne Worte zu verstehen, sie hören genau zu,sie interessieren sich wirklich für das, was das Kind denkt. Sie sind im Dialogmit dem Kind und lenken die Aufmerksamkeit des Kindes auf Sachverhalte,die ihnen bedeutsam erscheinen.

Entwicklungspsychologisch und funktionalbeeinflusste Konzepte

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Sprache entsteht im Alltag, in impliziten Lernsituationen. Eine Förderungfindet deshalb in gut durchdachten Alltagssituationen statt.Angestrebt wird ein Sprach-Gefühl.

Entwicklungspsychologisch und funktionalbeeinflusste Konzepte

Methoden der Sprachförderung:� Dialog� Spiel� Zusammenarbeit

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Sprachförderkonzepte im Überblick

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Gut miteinander umgehen!

Spiel

Zusammenarbeit

Unterricht

Sprachförderpyramide

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Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit!