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Kredit als finanzwirtschaftliches Deckungsmittel Author(s): Rudolf Stucken Source: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, New Series, Bd. 5, H. 4 (1938), pp. 529-560 Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KG Stable URL: http://www.jstor.org/stable/40908222 . Accessed: 18/06/2014 16:15 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Mohr Siebeck GmbH & Co. KG is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to FinanzArchiv / Public Finance Analysis. http://www.jstor.org This content downloaded from 185.44.77.55 on Wed, 18 Jun 2014 16:15:24 PM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

Kredit als finanzwirtschaftliches Deckungsmittel

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Kredit als finanzwirtschaftliches DeckungsmittelAuthor(s): Rudolf StuckenSource: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, New Series, Bd. 5, H. 4 (1938), pp. 529-560Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KGStable URL: http://www.jstor.org/stable/40908222 .

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Kredit als finanzwirtschaftliches Deckungsmittel von

Rudolf Stucken

I. Zur Einführung. - II. Finanzwirtschaftliche Auswirkungen der Kredit- nahme. - III. Volkswirtschaftliche Auswirkungen der Kreditnahme. - IV. Grundsätze für die Kreditpolitik.

I. Zur Einführung. Mit den Worten Deckungsgrundsätze und Anleihetechnik lassen

sich die beiden Problemkreise charakterisieren, die bei der finanz- wissenschaftlichen Behandlung des Kredits der öffentlichen Körper- schaften eine Eolie zu spielen pflegen. Zu der Frage der Deckungs- grundsätze haben wir bereits vor zehn Jahren das Wort genommen *) und damals Grundsätze entwickelt, die gegenüber den gemeinhin im Anschluß an Adolph Wagner2) vertretenen Lehren eine wesent- liche Einengung des Bereiches, für den Kreditdeckung als zulässig be- zeichnet werden soll, bedeuteten. In den letztvergangenen Jahren hat nun die deutsche Staatsführung mit Hilfe des Kredits z.wei gewaltige Aufgaben gelöst, nämlich 1. die Überwindung der Arbeitslosigkeit und 2. den Neuaufbau der deutschen Wehrmacht. Der Krediteinsatz für die erstgenannte Aufgabe ist, besonders nach der Art der Durchfüh- rung, als eine neuartige Erscheinung anzusprechen. Aber er glich trotz- dem nicht einem „Sprung ins Ungewisse", denn für das Vorgehen hatte die deutsche Konjunkturforschung bedeutungsvolle Erkenntnisgrund-

x) Grundsätze für die Anleihepolitik, Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 57. Bd. 1927, S. 746 ff.; in Zukunft zitiert: Stucken, Grundsätze.

2) Die Ordnung des österreichischen Staatshaushalts, Wien 1863, S. Iff.; Finanzwissenschaft, I. Teil, 3. Aufl., Leipzig 1883, S. 135 ff. und Schönbergs Handbuch der Politischen Ökonomie, 4. Aufl., 3. Bd., 1. Halbbd., Tübingen 1897, S. 780 ff.

Finanzarchiv. N. F. 5. Heft 4. 34

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lagen geliefert; in wesentlich geringerem Maße läßt sich dies von der deutschen Finanzwissenschaft sagen, und zwar, wie wir meinen, aus folgendem Grunde : A d o 1 p h Wagner hatte noch der Frage nach den „volkswirtschaftlichen Wirkungen* ', die von der Wahl des Deckungsmittels ausgehen, eindringliche Untersuchungen gewidmet; an Wagners diesbezüglichen Lehren ist häufig Kritik geübt wor- den, aber im übrigen ist das Interesse der Finanzwissenschaftler an den volkswirtschaftlichen Auswirkungen der Wahl des Deckungs- mittels nicht allzu groß gewesen, man unterließ es, die Lehre neu auf- zubauen oder zu verfeinern, und begnügte sich mehr und mehr damit, einige spezifisch finanzwirtschaftliche Folgen des so oder so gearteten finanzwirtschaftlichen Verhaltens hinzustellen und darauf die finanz- wissenschaftlichen Deckungsgrundsätze zu basieren. Es scheint uns notwendig, daß die Finanzwissenschaft sich diesen volkswirtschaft- lichen Problemkreis wieder zu eigen macht. Wir werden deshalb in diesem Aufsatz der Erörterung der Deckungsgrundsätze Abschnitte voranschicken, in denen die finanz- und die volkswirtschaftlichen Wir- kungen, die sich je nach der Wahl des Deckungsmittels ergeben, be- handelt werden sollen; erst auf dieser Grundlage werden wir sodann zu dem weiteren Problemkreis, den Deckungsgrundsätzen, Stellung nehmen und hier insbesondere prüfen, inwieweit wir unsere damals aufgestellten Grundsätze heute noch vertreten können oder modi- fizieren müssen. Dem letzten obengenannten Problemkreis, der An- leihe- oder Kredittechnik, wollen wir an dieser Stelle Ausführungen nicht widmen.

Unter Kredit verstehen wir: die Hingabe von Geld gegen das Versprechen zukünftiger Zahlung von Geld. Der Zusatz im Thema: „als finanzwirtschaftliches Deckungsmittel" weist darauf hin, daß wir uns hier nur mit dem Kreditgeschäft der Finanzwirtschaften, d. h. der öffentlichen Körperschaften, die staatliche Aufgaben erfüllen und Herrschaftsrechte ausüben *), und ferner nur mit dem Passivkredit- geschäft der Finanzwirtschaften, bei dem sie Geld hereinnehmen und das Versprechen zukünftiger Zahlung von Geld gewähren, beschäf- tigen wollen. Wir sprechen von Kredit statt von Anleihen, weil man - und das wollen wir auch hier tun - mit dem Worte Anleihe oft nur

x) Walter Lotz, Finanzwissenschaft, 2. Aufl., Tübingen 1931, S. 2. Wenn wir im folgenden von „staatlicher" Kreditnabme sprechen, so ist die Kredit- nahme der übrigen Finanzwirtschaften, insbesondere der Länder und Gemeinden, in diesem Ausdruck miteingeschlossen.

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eine ganz bestimmte Art von Krediten, nämlich die mittel- oder lang- fristigen Kredite in Effektenform, bezeichnet, wohingegen wir hier den kurz-, mittel- und langfristigen Kredit, die Kreditnahme in Effekten- form wie auch die Kreditnahme in anderen Formen, z. B. gegen Schuld- schein bei Notenbanken, Kreditbanken, Privatpersonen oder andern Finanzwirtschaften, berücksichtigen wollen.

II. Finanz wirtschaftliche Auswirkungen der Kreditnahme.

Auf die Finanzführung wirkt die Kreditnahme in der Zeit, in der die Inanspruchnahme von Krediten erfolgt, wie auch in der Zeit, in der die bei der Kreditnahme versprochenen Zins- und Tilgungsbeträge zu zahlen sind, ein; ja, die Möglichkeit der Kreditnahme wirkt schon vorweg auf die Finanzführung ein, worauf wir hier nur kurz hinweisen wollen, und worauf wir späterhin gelegentlich zurückgreifen werden, nämlich dadurch, daß sie die Finanzführung von der Notwendigkeit befreit, entsprechend große allgemeine Betriebsmittelfonds oder spe- zielle Fonds, z. B. einen Staatsschatz für Kriegszwecke oder Baufonds, zu bilden, um zeitweiligen großen Anforderungen genügen zu können. In der Zeit der Kreditnahme wird die Bewegungsfrei- heit der Finanzführung erhöht. Zunächst einmal wird es dadurch mög- lich, Einnahmen in einer Gesamthöhe zu erzielen und Ausgaben in dieser Höhe zu tätigen, die sich bei ausschließlicher Einnahmebeschaf- fung durch Steuern, Gebühren und Beiträge sowie Erwerbseinkünfte nicht erreichen ließe. Als Schulbeispiel können wir den Fall eines Krie- ges um die nationale Existenz nennen, in dem Ausgabeerfordernisse in riesenhafter Höhe mit unabweisbarer Dringlichkeit an die Finanzfüh- rung herantreten, und in dem mangels Kredit die Staatsführung auf den Weg eigener Geldschöpfung mit ihren in solcher Lage meist in- flationistischen Folgen abgedrängt werden würde. Wir können auch den Fall anführen, daß eine kleinere Gemeinde ein neues Verwaltungs- gebäude oder ein neues Schulhaus ohne staatliche Hilfe zu errichten hat; mittels Erhöhung der Steuern, Gebühren usw. die Mittel in der Bauzeit, in der die Ausgaben getätigt werden, aufzubringen, erweist sich in aller Eegel als unmöglich; mangels vorweg angesammelter Fonds und mangels Kredit müßte die Gemeinde auf diese Betätigung verzichten, so dringlich der betreffende Bau auch sein mag. Man muß immer berücksichtigen, daß die Steuer - die anderen mit ihr zusam- men genannten Einnahmearten erweisen sich meist als noch unbeweg-

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licher - eben doch nur ein ziemlich unhandliches Instrument der Ein- nahmebeschaffung ist, das neben der Verwirklichung ihres eigentlichen Zweckes, nämlich Geld aus dem Verfügungsbereich der Bürger in den der Finanzwirtschaft zu bringen, mannigfache weitere Polgen auslöst, die den verantwortlichen Leitern des Gemeinwesens durchaus uner- wünscht sind.

Aber auch wenn von solcher Unmöglichkeit nicht die Eede sein kann, soxidern wenn die erforderlichen Mittel auch durch Anspannung der Steuern, Gebühren, Beiträge und Erwerbseinkünfte aufgebracht werden könnten, wird die Bewegungsfreiheit der Finanzführung durch die Möglichkeit, sich auf dem Kreditwege Einnahmen zu verschaffen, er- höht. Zunächst einmal in der Eichtung, daß der Zwang zur Synchroni- sierung, d. h. zur zeitlichen Abstimmung von den aus Steuern usw. zu- fließenden Einnahmen und den zu tätigenden Ausgaben aufgehoben wird ; denn mittels der Kreditaufnahme können in der Gegenwart die zeitweilig die Einnahmen überschreitenden Ausgaben gedeckt werden, wohingegen dann in der Zukunft die die Ausgaben überschreitenden Einnahmen zur Kredittilgung zur Verfügung stehen. Auf diese Weise läßt sich dann die ständige Veränderung der Steuersätze, die sonst zur Anpassung der Einnahmen an die Ausgaben nötig wäre, vermeiden. Darüber hinaus ermöglicht die Kreditnahme, die Ausgaben zu erhöhen, ohne alsbald eine entsprechende Steigerung der Einnahmen aus Steu- ern usw. herbeiführen zu müssen. Praktisch bedeutet diese Möglich- keit der Ausgabendeckung durch Kredit, daß die Finanzwirtschaften überhaupt zu einer größeren Betätigung fortschreiten, als es geschehen würde, wenn der Kredit verschlossen wäre. Der Kredit war eine wich- tige Vorbedingung für den Aufbau der Verkehrs- und Versorgungs- betriebe in der öffentlichen Hand, überhaupt für die ganze sogenannte privatwirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Körperschaften, in- soweit dabei größere Anlagen zu erstellen waren. Denn eine Bereit- schaft, die Anlagekosten aus Steuern usw. aufzubringen, wäre kaum vorhanden gewesen, dann hätte man eben die Anlage Privaten über- lassen. Aber auch im Bereich der hoheitlichen Betätigung, wo mit einer Rentabilität der Anlagen meist nicht zu rechnen ist, ist es auf der Grundlage des Kredits oft zu größerer Betätigung der öffentlichen Hand gekommen, als ohne ihn zu erwarten gewesen wäre. In erster Linie gilt dies unter parlamentarischen Verhältnissen und ganz be- sonders beim Parteienstaat ; man muß hier feststellen, daß der Wider- stand gegen die Aufbringung zusätzlicher Einnahmen durch Kredit trotz

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der damit für die Zukunft übernommenen Verpflichtungen auch nicht annähernd mit dem Widerstand zu vergleichen ist, der bei Zumutung entsprechender alsbaldiger Steuererhöhungen ausgelöst werden würde. Im Augenblick der Kreditnahme seitens der Finanzwirtschaft werden die Bürger, die den Kredit gewähren, z. B. indem sie die neuemittierten Staatsanleihen übernehmen, in der Verfolgung ihrer individualwirt- schaftlichen Ziele nicht gestört. In der Zukunft jedoch muß die Be- lastung, die mit der Erfüllung der Zins- und Tilgungsverpflichtungen verbunden ist, getragen werden ; aber erstens wird eine sich über Jahre verteilende geringe Mehrbelastung tatsächlich als weniger störend empfunden als eine einmalige starke Mehrbelastung, und zweitens macht man sich über diese zukünftige Belastung im allgemeinen wenig Gedanken, ein Tatbestand, auf den die Eegierungen im Parteienstaat allzuoft spekulieren - man vollbringt dann staatliche Leistungen und überläßt es den Nachfolgern, die Eechnung zu bezahlen 1).

In der Folgezeit sind dann neben den aus der laufenden Aufgabenerfüllung sich ergebenden Aufwendungen die mit der frühe- ren Kreditnahme verbundenen Ausgaben zu decken. Hier macht sich geltend, daß die Deckung von Ausgaben durch Kredit nur eine vor- läufige, keine definitive Deckung ist 2) ; es ist eine mit Ausgabever- pflichtungen, denen in der Zukunft Eechnung getragen werden muß, belastete Deckungsart. Ist nun inzwischen eine solche Veränderung der Haushaltslage eingetreten, daß Aufgaben gleicher Dringlichkeit trotz dieser Mehrausgabe sich ohne weitere Kreditnahme und ohne Erhöhung der Steuern usw. aus den laufenden Einnahmen decken las- sen, so bedarf es weiterer Maßnahmen nicht. Eine solche Lage tritt bei- spielsweise in der Eegel dann ein, wenn die Verwendung der Kredit- mittel selbst entsprechende Mehreinnahmen oder Minderausgaben mit sich bringt. Andernfalls muß man früher oder später zur Erhöhung der laufenden Einnahmen oder zur Einschränkung der Ausgaben schreiten. Würde man mangels entsprechender Veränderung der Haus-

*) Wie sich bei unsern Ausführungen über die volkswirtschaftlichen Auswir- kungen der Kreditnahme zeigen wird, werden individualwirtschaftliche Interessen durch die staatliche Kreditnahme noch in anderer Weise betroffen, beispielsweise durch Zinserhöhungen oder durch das Unterbleiben anderer Investitionen; Per- sonen, die dadurch benachteilgt werden, stehen dann jedoch Personenkreise gegen- über, die von der Zinserhöhung und den andern Auswirkungen Vorteile haben.

*) Harald F i c k , Finanzwirtschaft und Konjunktur, Jena 1932, passim, bezeichnet deshalb den Kredit überhaupt nicht als Deckungsmittel, sondern nur als Finanzierungsmittel.

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haltslage und mangels geeigneter Maßnahmen die Zins- und Tilgungs- verpflichtungen fortgesetzt durch neue Kredite decken, so würde eines Tages die Portführung dieses Verfahrens unmöglich werden, da die Lasten sich nach der Zinseszinsrechnung relativ schnell steigern; jeden- falls würde das Publikum schließlich die Beträge nicht mehr dem Staate leihweise zur Verfügung stellen, und die mehr oder weniger zwangsweise Inanspruchnahme weiterer Kredite bei der Notenbank oder die eigene Geldschöpfung des Staates würde ziemlich geradenwegs in eine Inflation hineinführen. Aber man mache sich nun klar, wieviel schwieriger es ist, nach einer solchen Anhäufung von Zins- und Til- gungslasfcen zu einer anderen Ordnung der Haushaltsführung zu kom- men als gleich zu Anfang, ehe die Lasten in dieser Weise aufgelaufen sind. In der Finanzpraxis des Deutschen Eeichs und der deutschen Gemeinden hat eine andere Art der Anhäufung von Zins- und Tilgungs- lasten eine größere Eolle gespielt : Gewisse Arten von Ausgaben, z. B. Bauten, wurden fortlaufend durch Kredite gedeckt ; wurde nun auch für die Deckung der Zinsen and Tilgungsverpflichtungen durch lau- fende Einnahmen, in der Eegel mittels Sfceuererhöhungen, gesorgt, so kam es doch auch hier zu einer Häufung der Kreditlasten, da die Kre- ditnahme sich fortgesetzt wiederholte. Mußte dann die Fortsetzung dieser Kreditnahme eines Tages als unerwünscht bezeichnet werden, (z.B. durch die Gemeindeaufsichtsbehörde), oder stellte sie sich schlecht- hin als unmöglich heraus, ohne daß die betreffenden Ausgaben nun unterbleiben konnten oder sollten, so galt es, die Deckung dieser Aus- gaben durch Steuern usw. herbeizuführen in einer Lage, in der der Haushalt schon mit den Zins- und Tilgungsverpflichtungen belastet war. Waren hierfür nun schon die Steuern usw. angespannt worden, so mußten diese zur anderweitigen Deckung der genannten Ausgaben weiter erhöht werden, und es ergab sich jedenfalls eine ungünstigere Situation, als wenn die betreffenden Ausgaben von Anfang an durch Steuern usw. gedeckt worden wären. Ganz gleichgültig, ob schließlich Inflation oder Staatsbankrott in der Form der Zwangskonversion oder der völligen Zurückweisung (Eepudiation) der Staatsschulden droht, oder ob nur zwangsläufig eine drückendere Belastung der Steuerträger in der Zukunft herbeigeführt wird, jedenfalls drängt sich jeder verant-

wortungsbewußten Staatsführung die Forderung auf, von Anfang an die richtige Begrenzung der Kreditinanspruchnahme zu wahren.

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III. Volkswirtschaftliche Auswirkungen der Kreditnahme.

Gehen wir nun zu den volkswirtschaftlichen Polgen über, die durch die Inanspruchnahme von Kredit an Stelle der Beschaffung entspre- chender Einnahmen aus Steuern usw. ausgelöst werden. Zuerst lenken wir auch hier unsere Aufmerksamkeit den Wirkungen zu, die i n der Zeit der Kreditaufnahme eintreten. Wir wollen diese Folgen zunächst unter der Voraussetzung erörtern, daß durch die Wahl des D e c k u n g s m i 1 1 el s der Beschäftigungsgrad oder die Konjunktur des Wirtschaftslebens nicht beeinflußt wird. Gleich- gültig, welches Deckungsmittel gewählt wird, der Staat schafft sich dadurch, daß er Geldbeträge in seinen Verfügungsbereich bringt und damit Ausgaben tätigt, die Verfügung über einen Teil der produktiven Kräfte und des Sozialprodukts und verändert die Verwendungsart dieser Kräfte und die Zusammensetzung des Sozialprodukts. Er zieht mit seinem Gelde, mag er es auf dem Steuer- oder Kreditwege erhalten haben, einen Teil der gegenwärtig vorhandenen Waren oder gegen- wärtig vorhandenen produktiven Kräfte an sich und macht dadurch ihre anderweitige Verwendung unmöglich. In diesem Sinne ist die Be- hauptung richtig, daß die Gegenwart die Last der staatlichen Auf- wendungen trägt, und daß sich diese Last auch durch die Wahl der Kreditdeckung nicht auf die Zukunft verschieben läßt ; (ob allerdings die vom Staat in Anspruch genommenen Waren oder Kräfte in jedem Falle eine anderweitige Verwendung gefunden hätten, ob sie also wirk- lich einer anderweitigen Verwendung entzogen werden, diese Frage spielt hier, wo wir die Möglichkeit konjunktureller Veränderungen noch außer acht lassen, keine Eolle und wird uns erst später beschäftigen) ; jedenfalls gilt der obige Satz von der Unmöglichkeit, die Last auf die Zukunft zu verschieben, im Falle, daß der Kredit im Inland aufgebracht wird, wohingegen im Falle, daß der Kredit vom Ausland gewährt wird, eine Abweichung möglich ist (s. u.). Benutzt der Staat die Beträge zu Investitionen im staatswirtschaftlichen Sektor, z. B. zu Festungs- und Kasernenbauten, und zieht er die Beträge durch Emission von Anleihen, die bei den Bürgern untergebracht werden, an sich, so geht das auf Kosten der Investitionen im individualwirtschaftlichen Sektor, denen sonst die für langfristige Kredite zur Verfügung stehenden Beträge zu- geführt werden. Bringt der Staat statt dessen die Beträge für diesen Zweck durch Steuern auf, so geht das auf Kosten der individualwirt- schaftlichen Konsumtion, allerdings in der Regel auch zum Teil auf

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Kosten der Investition im individualwirt. Schaft liehen Sektor, da je nach der Art der Besteuerung die Steuern in mehr oder weniger großem Umfang die Spartätigkeit zu mindern pflegen. Bringt der Staat hin- gegen Anleihen im Ausland unter, statt im Inland Anleihen zu emit- tieren oder statt Steuern einzuheben, so ermöglicht die durch die An- leihebegebung gewonnene Verfügung über ausländisches Geld auch die Verfügung über Güter des Auslandes, es braucht deshalb eine Min- derung der individualwirtschaftlichen Konsumtion oder der Investi- tion im individualwirtschaftlichen Sektor des Inlandes nicht einzu- treten; ähnliches ist für den Bereich einer Gemeinde zu konstatieren, wenn diese neuemittierte Anleihen bei Bürgern anderer Gemeinden unterbringt. Daß im Falle der Aufbringung der Beträge durch An- leiheemission im Inland auch eine Tendenz zur Steigerung der Zins- sätze auf dem Kreditmarkt ausgelöst wird, sei nur kurz erwähnt. Mit diesen Ausführungen stehen wir durchaus auf dem Boden der üblicher- weise vertretenen Lehren x).

Aber nun kommen wir zu dem entscheidenden Problem. E s i s t ja tatsächlich nicht so, daß die Wahl des Deckungs- mittels die Konjunktur des Wirtschaftslebens und den Ausnutzungsgrad der verfügbaren pro- duktiven Kräfte unbeeinflußt läßt; die Steuerpoli- tik wie auch die Kreditpolitik der öffentlichen Hand sind wichtige „konjunkturverändernde Momente* *

2). Dar Einfluß erschöpft sich eben nicht in der Übertragung von Geld aus dem privaten Verfügungsbereich in den staatlichen, sie schaffen auch sonst in erheblichem Umfang eine neue Situation, die auf alle wirtschaftlichen Dispositionen und hier- durch auch auf die im Wirtschaftsleben wirksame Geldmenge wie auch auf das Tempo, in dem die Verfügungsberechtigten ihnen zufließende Geldbeträge weiterverwenden, Einfluß ausübt und damit den Gesamt- absatz verändert. Zur Frage der Geldmenge ist an die Lehre von der Geld- und Kreditschöpfung zu erinnern, an die Tatsache, daß ein großer Teil der in Umlauf befindlichen Geldmenge, vor allem ein Teil der Noten und der dem Scheck- und Giroverkehr unterworfenen Bank- guthaben, seine Entstehung der Kreditschöpfung verdankt. Aber wenn wir dies betonen, müssen wir zugleich dringend davor warnen, schlecht-

*) Siehe z. B. Fritz Terhalle, Finanzwissenschaft, Jena 1930, 8.527 f., wo wir ähnliche Gedanken in knapper klarer Form vertreten finden.

2) Vgl. vom Verfasser, Die Konjunkturen im Wirtschaftsleben, Jena 1932, 8. 53 ff., besonders S. 69 f.

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hin jeden Kredit Vorgang mit Geld- und Kredit Schöpfung gleichzu- setzen, ein wesentlicher Teil aller Kreditgewährung spielt sich nach wie vor in der Art ab, die man, abgesehen vom Notenbankkredit, allzu- lange als die einzig mögliche Form ansah, nämlich in der Form der Kredifcübertragung, bei der der eine Partner auf die Verfügung über Geldbeträge, die ihm im Wirtschaftsverkehr zugeflossen sind, für mehr oder weniger lange Zeit verzichtet und dafür die Verfügung auf einen andern überträgt, der damit etwas unternehmen will 1).

Bei der Deckung von staatlichen Mehraus- gaben durch Steuern ist im allgemeinen nicht damit zu rechnen, daß die Geldmenge steigt oder das Tempo der Geldverwen- dung beschleunigt wird, und daß auf diese Weise der Gesamtabsatz vergrößert wird. Es ist allerdings auch nicht so, daß im Falle der Steuererhöhung unbedingt eine Minderung des Gesamtabsatzes ein- tritt, denn grundsätzlich steht der Minderung der Kauffähigkeit auf Seiten der Besteuerten ja die Erhöhung der Kauffähigkeit auf Seiten des Staates gegenüber. Man muß allerdings beachten, daß Steuer- erhöhungen häufig zur Erhöhung der Kosten im Produktionsprozeß führen und eventuell darüber hinaus noch psychologisch hemmend wirken - ganz besonders, wenn es sich um plötzliche und starke Steuererhöhungen handelt - , und daß sie eventuell die Kreditsicher- heit beeinträchtigen und auf diese Weise die Kreditgewährung hem- men, jedenfalls gibt es eine ganze Eeihe von Tatsachen, durch die im Falle der Steuererhöhung eine Tendenz zur Konjunkturverschlechte- rung ausgelöst wird. Demgemäß erscheinen uns Steuererhöhungen als durchaus ungeeignet, um „das Wirtschaftsleben anzukurbeln". Wenn man beispielsweise in einer Wirtschaftsstockung Arbeitsbeschaffung betreibt und die Mittel dafür auf steuerlichem Wege aufbringt, so ist nicht damit zu rechnen, daß man auf diese Weise die Stockung über- windet. Man kann höchstens erreichen, daß eine bessere Verteilung des Sozialprodukts eintritt, nämlich dadurch, daß staatlicherseits Leute beschäftigt werden, und daß diese Leute Geldbeträge zum Kon- sum verwenden können, die die von der zusätzlichen Besteuerung Be- troffenen nun weniger zur Verfügung haben ; auch dieser Erfolg kann

l) Die hier behandelten Fragen hat der Verfasser in anderm Zusammenhang bereits erörtert in seinem obengenannten Buch, Die Konjunkturen im Wirtschafts- leben, sowie in seinem neuen Werk, Deutsche Geld- und Kreditpolitik, Hamburg 1937 ; siehe dort insbesondere Beispiele für die Auswirkung der staatlichen Steuer- und Kreditpolitik in Deutschland seit Beginn des Weltkrieges.

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bedeutungsvoll sein, aber von der Überwindung der Stockung ist er scharf zu unterscheiden. - (Diese Ausführungen schließen nicht aus, daß im Bereich des Steuerwesens Maßnahmen möglich sind, die in der Stockung konjunkturverbessernd wirken; man denke an die Steuer- befreiungen im Falle von Ersatzinvestitionen oder im Falle der An- schaffung kurzlebiger Wirtschaftsgüter, womit man in Deutschland erfolgreich auf das Ziel der Wirtschaftsbelebung hingearbeitet hat. Von Steuererleichterungen ist im allgemeinen eher eine Konjunktur- verbesserung zu erwarten als von Steuererhöhungen, und vor allem ist dieser Erfolg dann zu erzielen, wenn die Steuererleichterung so, wie es in Deutschland geschehen ist, an die Bedingung geknüpft wird, daß die Steuerpflichtigen bestimmte Investitionen vornehmen. Aber hier werden dann ja nicht gegenwärtige Staatsausgaben auf steuerlichem Wege gedeckt, sondern man verzichtet sogar auf Steuer- einnahmen in dem Bestreben, Wandlungen im Wirtschaftsleben herbei- zuführen, die sich dann in der Zukunft auch auf das Fließen der Steuerquellen günstig auswirken.)

Im Falle der Deckung von Staatsausgaben durch Kredit ist der Erfolg vielfach kein anderer als der eben dargestellte. Der oben nur angenommene Fall, daß die staatliche Investition auf Kosten der In- vestition im individualwirtschaftlichen Sektor geht, entspricht eben vielfach der Wirklichkeit. Besonders ist dann damit zu rechnen, daß dieser Fall verwirklicht wird, wenn Anleihen bei den Bür-

gern untergebracht werden und diese sie zu

langfristiger Anlage und nicht zu spekulativen Zwecken erwerben, oder wenn Sparkassen und sonstige Kreditinstitute Spargelder o d er wenn öffentliche oder private Ver si c h er un g s t r ä ger ihre für langfristige Anlage bereiten Eeserven in den neuemittierten Anleihen anlegen. Denn im allgemeinen werden dabei nur Gelder der Anlage in Staatsanleihen zugeführt, die auch sonst langfristige Anlage gesucht und eine solche - unter den in Deutschland bisher üblicherweise herrschenden Ver- hältnissen - auch gefunden hätten. Man denke hier an die Art der Unterbringung der deutschen Eeichsanleihen seit 1985, zu deren Gun- sten die Emission von Aktien, Pfandbriefen, Kommunal- und Indu-

strieobligationen sowie die anderweitige Anlage von Spargeldern und von Keserven der Versichorungsträger planmäßig gedrosselt wurde. Daß durch die Emission von Staatsanleihen gehortete Stückgeld-

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betrage aus ihren Verstecken gelockt und damit in Umlauf gebracht werden, wie wir bei älteren Autoren gelegentlich lesen können x), mag im 18. Jahrhundert richtig gewesen sein, in unserer Zeit erscheint uns dies als ein unerfüllbarer Wunschtraum ; es sei denn, daß die Anleihe- emission mit einer Amnestierung verbunden wird, und daß es auf diese Weise gelingt, vor dem Fiskus versteckte Beträge ans Tageslicht zu bringen. Nun dürfen wir aber nicht nur an das Stückgeld, sondern müssen ebenso an das Giralgeld denken. Hier wird- eine Tendenz zur Minderung des Geldumlaufs ja dadurch ausgelöst, daß Gelder mangels anderer gewinnversprechender Verwendung seitens der Verfügungs- berechtigten vom Girokonto auf ein Kündigungskonto übertragen oder zur Kredittilgung benutzt werden; und diese Tendenz kommt in Stok- kungszeiten insofern zur praktischen Auswirkung, als die Banken sich dann einem Mangel an geeigneten neuen Kreditnehmern gegenüber sehen. Andererseits ist es ebenso möglich, daß der Geldumlauf durch Kreditschöpfung, die durch Kreditnahme hervorgerufen wird, oder durch Übertragung von Geldbeträgen vom Kündigungs- auf ein Giro- konto vergrößert wird, wie es sich in der Zeit des Aufschwungs voll- zieht. Aber werden diese erstgenannten Vorgänge tatsächlich ver- hindert bzw. die zweitgenannten hervorgerufen, wenn Bürger, Spar- kassen und Versicherungsträger neuemittierte Staatsanleihen zu An- lagezwecken erwerben ? Es gehören unseres Erachtens ganz besondere Lagen dazu, damit ein solcher Erwerb neuemittierter Staatsanleihen sich so auswirkt. Vor allem könnte man wieder an die Verbindung der Anleiheemission mit einer Amnestie denken, wodurch vielleicht Flucht- gelder zur Eückkehr veranlaßt werden, was sich in zusätzlichen Giro- guthaben niederschlägt, die dem Staat dann beim Erwerb seiner An- leihe zur Verfügung gestellt werden. Und dann müssen wir weiter an die Möglichkeit denken, die wir oben als für Deutschland noch nicht zur Tatsache geworden bezeichneten, die aber Keynes2) auf Grund seiner englischen Erfahrungen bereits praktisch wichtig zu sein scheint, nämlich daß ein Mangel an geeigneten langfristigen Anlagen vorhan- den ist, der dann durch die staatliche Investition und Emission be- hoben wird; die Emission hat dann zur Folge, daß der Staat Geld-

*) So bei Carl August v. Struensee, Abhandlungen über wichtige Gegenstände der Staatswirtschaft, 1. Bd., Berlin 1800, und Friedrich Nebe- n i u s , Der öffentliche Kredit, 2. Aufl., Karlsruhe 1829, passim.

2) The General Theory of Employment Interest and Money, London 1936, passim.

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betrage an sich zieht und weiterverwendet, die andernfalls zur Kredit- tilgung verwandt oder auf ein Kündigungskonto bei einer Bank über- tragen worden oder auf ihm verblieben wären ; und dieser Vorgang be- deutet dann ja, daß der Geldumlauf größer bleibt oder wird, als es sonst der Fall gewesen wäre, vorausgesetzt, daß die Banken mangels für sie geeigneter Anlagemöglichkeiten von sich aus den Geldumlauf nicht auf dieser Höhe gehalten bzw. auf diese Höhe gebracht hätten. Alles in allem können wir unter den in Deutschland bisher herrschen- den Verhältnissen an dem Satze festhalten : in der Eegel geht die staat- liche Mehrausgabe und ihre Deckung durch langfristige Anleihen bei dieser Art der Unterbringung der neuemittierten Stücke auf Kosten solcher Investitionen im individualwirtschaftlichen Sektor, für die sonst die Anleger ihre Gelder zur Verfügung gestellt hätten.

Aber auf einem Umweg kann es vielleicht doch zu nennenswerten Veränderungen im Geldumlauf kommen, auch wenn es sich um den Erwerb der nenemittierten Anleihe durch die obengenannten Anleger- gruppen handelt. Die staatliche Emission kann nämlich zur Zurück- drängung entsprechender ausländischer Emissionen auf dem Inlands- markt führen, sei es, daß diese Zurückdrängung planmäßig zwecks Verbesserung der Absatzmöglichkeit für die Staatsanleihe herbei- geführt wird, oder sei es, daß sie schlechthin dank der Veränderung der Lage am inländischen Kreditmarkt, die die Neuemission von Staatsanleihen mit sich bringt, eintritt. Jedenfalls wird dann die Devisenlage gebessert, und es stehen sodann Bücksichten auf die Währungsstabilität einer Förderung der Kreditschöpfung von Seiten der Notenbank weniger im Wege. Eine Veränderung der Kreditbedin- gungen seitens der Notenbank ist hierbei vielfach nicht einmal nötig; denn sofern die Notenbank bei einer so vollzogenen Minderung aus- ländischer Emissionen dank der Veränderung der Lage am Devisen- markt Gold und Devisen aufnimmt, fließen den Kreditbanken in der Eegel zusätzliche Notenbankguthaben zu, die ihre Barreserve, ihre Barliquidität erhöhen und so die Grundlage für eine reichlichere Kreditgewährung der Kreditbanken bilden können. Aber selbstver- ständlich ist das nur dann bedeutungsvoll, wenn die Kreditbanken sonst durch die Bücksicht auf ihre Barliquidität von weiterer Kredit- gewährung abgehalten worden wären, und wenn die Notenbank sonst davon Abstand genommen hätte, den Kreditbanken weitere Noten- bankguthaben zuzuführen (z. B. auf dem Wege der Offenen-Markt- Politik). Auch in dem oben bereits erwähnten Falle der Bückkehr von

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Fluchtgeldern spielt die Veränderung der Devisenlage eine Eolle, die dann für eine weitere Kreditschöpfung die Grundlage abgeben kann.

Es erscheint uns zweckmäßig, hier den Fall der Emission von Staatsanleihen im Ausland einzuschieben, weil die eben dargestellten Gedankengänge bei ihm ebenfalls maßgebend sind. Voraussetzung einer Verbesserung der Devisenlage ist in diesem Falle, daß der Staat in der Lage ist, einen mehr oder weniger großen Teil des Anleiheerlöses im Inlande zu verausgaben, daß er also bei- spielsweise nicht genötigt ist, den ganzen Betrag für zusätzliche Käufe in dem die Anleihe gewährenden Land aufzuwenden, was von den Gläubigerländern oft angestrebt wird. Angesichts der Größe der Be- träge, um die es sich bei der Aufnahme von Staatsanleihen im Aus- land meist handelt, kann diese für die Devisenlage entscheidende Be- deutung gewinnen.

Eine andere Lage als beim Erwerb der Anleihe zu Anlagezwecken haben wir dann vor uns, wenn Anleihestücke seitens des Publikums zu spekulativen Zwecken erworben werden. Denn hierbei ist die Inanspruchnahme kurzfristiger Kredite durchaus üblich, und in diesem Zusammenhang kann es dank der An- leiheemission zur Geld- und Kreditschöpfung kommen ; auch werden eventuell Geldbeträge, deren anderweitige Verwendung für die Zu- kunft geplant ist, zeitweilig spekulativ in den neuemittierten Papieren angelegt. Aber man muß beachten, daß den Emissionsstellen eine solche Art der Unterbringung keineswegs erwünscht ist, und daß ßie in der Eegel Wert darauf legen, die Papiere möglichst gleich in die Hände des Anlegerpublikums zu bringen, um die Gefahr späterer un- erwünschter Kursschwankungen zu vermindern. Dazu kann sich auch in diesem Falle die Tendenz zur Ausweitung des Geldumlaufs nur dann durchsetzen, wenn die Lage des Bankensystems dies erlaubt, d. h. wenn die Banken nicht genötigt sind, an anderen Stellen Kreditgewäh- rungen zu unterlassen, um den Anforderungen genügen zu können, die auf Grund des spekulativen Erwerbs der Anleihestücke an sie heran- treten.

Den bisher behandelten Fällen können wir in der Praxis keine allzugroße konjunkturpolitische Bedeutung beimessen, es sei denn, daß sie auf dem Umweg über eine erwünschte Veränderung der Devisenlage die Geld- und Kreditschöpfung beeinflussen. Nunmehr wenden wir uns jedoch dem wichtigen Fall zu, daß Kreditinsti- tute, die das kurzfristige Geschäft betreiben,

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als Käufer der n e u e mi 1 1 i er t e n S fc a a t s k r e d i t -

papiere auftreten, und daß hierbei Staat, Notenbank und Kreditbanken in sinnvoller Weise zusammenwirken *). Die Erfahrun- gen, die im Kampf gegen die Weltkrise gemacht wurden, lehren, daß hier die stärksten Möglichkeiten liegen, eine Stockung zu überwinden. Der Staat nimmt zwecks Durchführung irgendwelcher Investitionen im staatswirtschaftlichen Sektor Kredite in Anspruch ; die Notenbank übernimmt einen Teil der staatlichen Kredittitel, wodurch der Staat Guthaben bei der Notenbank zu seiner Verfügung erhält; verfügt er dann bei der Tätigung von Ausgaben darüber, so fließen in der Eegel den Kreditbanken diese Notenbankguthaben, d. h. zusätzliche Bar- reserven zu, was bei diesen Banken die Bereitschaft zu vermehrter Kreditgewährung auslöst ; da sie aber in der Stockungszeit Schwierig- keiten haben, die Kredite, die sie zu geben bereit sind, an den Mann zu bringen, übernehmen auch sie staatliche Kredittitel - Anleihen, Schatzscheine usw. - , wozu sie von der Notenbank oft noch durch besondere Eediskont- oder Lombardzusagen ermuntert werden. Ohne die Mitwirkung der Notenbank ist der Bewegungsspielraum der Kredit- banken nur beschränkt. Damit sie in solchem Maße Kredittitel kaufen können, daß der Geldumlauf zunimmt und der Gesamtabsatz und der Beschäftigungsgrad steigt, muß die Notenbank durch Vermehrung ihrer Anlagen mitwirken, denn bei der Zunahme der Giralgeldmenge werden den Banken in der Regel auch mehr Stückgeldbeträge abver- langt, da dann doch auch die Zahlungen in der Stückgeldsphäre stei- gen, und außerdem streben die Banken danach, das Verhältnis von Barreserven und Verbindlichkeiten, welch letztere im Falle der Kredit- schöpfung steigen würden, möglichst aufrechtzuerhalten; also jeden- falls würden sie dann zusätzliche Notenbankguthaben nötig haben, sei es, um den Stückgeldanforderungen genügen zu können, oder um ihre Barreserven im Verhältnis zu den gestiegenen Verbindlichkeiten er- höhen zu können. Beim Hand-in-Hand-Arbeiten von Notenbank und Kreditbanken kann sich andererseits die Geld- und Kreditschöpfung im Zusammenhang mit der Übernahme von Kredittiteln des Staates auch in einem solchen Ausmaß vollziehen, daß die Währungsstabilität darüber in die Brüche geht und es zu regelrechter Inflation kommt.

*) Über die Auswirkung einer solchen Aktion auf das Bankensystem vgl. auch HansGestrich, Neue Kreditpolitik, Stuttgart und Berlin 1936, S. 28 ff., sowie Friedrich Sarow, Offenmarktpolitik zur Konjunkturregelung, München und Leipzig 1937, passim.

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Eine Stockungsüberwindung oder auch eine inflationistische Störung des Geldwesens läßt sich, das sei hier hervorgehoben, bei entsprechen- dem Verhalten des Bankensystems mit Hilfe von langfristigen An- leihen durchführen, wie es beispielsweise in den Vereinigten Staaten von Amerika geschehen ist ; sie läßt sich andererseits mit kurzfristigen Kredittiteln des Staates in Effektenform - Schatzscheinen - machen, oder man kann sich auch besonders gearteter Kredittitel bedienen. (Daß man in Deutschland seit 1933 ganz besondere Kredittitel, die Arbeitsbeschaffungswechsel, bei denen das Eeich nicht formell Kredit- nehmer war, zur Krisenbekämpfung verwandt hat, statt sich des Schatzscheines zu bedienen, hing einerseits damit zusammen, daß man keine Erinnerungen an die Inflationszeit wecken wollte, in der die Schatzscheine eine besondere Eolle gespielt haben, und andererseits damit, daß nach der Gesetzeslage zu Beginn der Arbeitsbeschaffungs- periode die Eeichsbank solche Kredittitel des Eeichs nur in beschränk- tem Maße hereinnehmen konnte. Daß man damals auch nicht mit lang^ fristigen Eeichsanleihen gearbeitet hat, ist erstens in der gleichen Be- schränkung der Eeichsbank begründet; zweitens waren die Kredit- banken damals noch gar nicht recht an die langfristigen Anleihen als Anlagemittel gewöhnt - erst durch § 16 des Kreditwesengesetzes vom 5. 12. 34 sind solche Anlagen zum Eange recht liquider Mittel der Kreditbanken erhoben worden - , und drittens hielt die ganze Lage am langfristigen Kreditmarkt, die niedrigen Kurse der meist sechs- prozentigen Papiere und der Wunsch, zur Konversionsreife zu kommen, von der Emission langfristiger Staatsanleihen ab. Jedenfalls wäre unter solchen Voraussetzungen mit langfristigen Anleihen der Erfolg nicht zu erzielen gewesen.)

Damit eine solche gemeinsame Aktion des Staates und der Banken den Erfolg erzielt, die Stockung zu überwinden, muß sie ein gewisses Mindestausmaß haben. Sonst kommt es durch eine solche Aktion leicht nur dahin, daß eine weitere Verschlechterung der Absatz- lage und der Beschäftigung gehemmt wird, nicht aber dahin, daß Ab- satz und Beschäftigung sich tatsächlich bessern. Denn die Gesamt- lage in der Stockung, auf die die Aktion trifft, ist vielfach so geartet, daß eine Tendenz zu weiterer Schrumpfung besteht. Im Falle unzu- länglichen Ausmaßes treten die staatlichen Investitionen und die staatlichen Kredittitel dann nur an die Stelle solcher Investitionen im individualwirtschaftlichen Sektor und solcher Kredite, die dadurch

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in Fortfall kommen, daß Unternehmungen empfangene Geldbeträge nicht zu weiteren Aufträgen, sondern zur Eückzahlung früher genom- mener Kredite verwenden, bzw. sie treten an die Stelle solcher Auf- träge, die unterbleiben, weil die Unternehmungen es vorziehen, ihre Geldreserven, insbesondere ihre Guthaben bei Banken, aus den ein- gegangenen Geldbeträgen zu erhöhen, und diese Kredittitel dienen dann den Banken als Anlage, während sie sonst eine geeignete Anlage möglicherweise nicht gefunden hätten. - Andererseits darf die staatliche Kredit nähme, insoweit sie zur Kr e d i t s e h ö p f u n g führt, ein gewisses Höchst- maß nicht überschreiten, soll sie nicht die Ten- denz zur Preissteigerung und bzw. oder zur Wechselkur s Verschlechterung auslösen. Da die- ses Höchstmaß nicht innegehalten wurde, gerieten Deutschland und andere Länder im Kriege und in den darauf folgenden Jahren in eine „Inflation* ' hinein. Bei Beendigung der Inflation, in Zusammenhang mit der Ausgabe der Eentenmark, war dann jedoch die Eücksicht auf die Preise und Wechselkurse entscheidend für die relative Knappheit des Kredits, den das Eeich von der Eentenbank erhielt, um über die Zeit hinwegzukommen, bis der Haushalt ausgeglichen war. Bei den Bemühungen um die Überwindung der Weltkrise zeigte sich in ver- schiedenen Ländern, daß die zur Stockungsüberwindung erforderliche Geld- und Kreditschöpfung mit der Aufrechterhaltung der Wechsel- kurse unter den bisherigen Verhältnissen nicht vereinbar war; in dieser Lage haben fast alle Länder sich für das Ziel der Stockungsüberwin- dung entschieden, und zwar der Pfundblock und nach und nach auch die meisten bisherigen Goldblockländer in der Weise, daß sie „ab- werteten", d. h. die Wechselkurse und den Goldpreis steigen ließen, hingegen Deutschland und einige andere Länder, indem sie zwar die Wechselkurse gegenüber den Nichtab Wertungsländern und den Gold- preis möglichst auf unveränderter Höhe hielten, aber eine Devisen- zwangswirtschaft einführten oder diese mehr und mehr verschärften. Auch eine allgemeine Preissteigerung oder eine Preissteigerung auf Teilgebieten wurde in vielen Ländern im Interesse der Stockungs- überwindung in Kauf genommen oder bewußt herbeigeführt x). Wir

*) Vgl. auch die Diskussion über die Frage, inwieweit Geldschöpfung ohne inflationistische Folgen möglich ist, im Anschluß an den Aufsatz von Nöll v. d. Nahmer, Die Deckung des öffentlichen Bedarfs durch nichtinf latorische Papiergeldausgabe, mit Beiträgen von Stucken, Alfons Schmitt und

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sehen also, daß die genannte Höchstgrenze keineswegs immer inne- gehalten wird, man ist vielfach bereit, eine Senkung des inneren oder äußeren Geldwertes oder eine Änderung der Organisation des Geld- verkehrs in Kauf zu nehmen, um anderen Zielsetzungen erfolgreicher nachgehen zu können.

Den Erfolg der Stockungsüberwind ung können wir nur von einer Kreditdeckung, nicht von einer steuerlichen Deckung der staatlichen Mehrausgaben erwarten. Aber um die Bedeutung der staatlichen Ak- tion in das richtige Licht zu rücken, müssen wir uns doch noch fragen, ob derselbe Erfolg nicht auch erreicht werden kann, ohne daß der Staat Mehrausgaben macht und sich verschuldet, sofern nur Notenbank und Kreditbanken in entsprechendem Maße auf dem langfristigen Kreditmarkt intervenieren - daß sich kurzfristige Kredite im individualwirtschaftlichen Sektor nicht in genügendem Maße unterbringen lassen, nehmen wir als für die Stockung charakteristisch an. Für unsicher halten wir die wirt- schaftsbelebende Wirkung der von Seiten der Banken vorgenommenen Wertpapierkäufe - und zwar auch, wenn eine große Mitläuferschaft sich dem Vorgehen der Banken anschließt - , solange es nur zu einer Kursverbesserung dieser Papiere, nicht aber zu entsprechend größeren Neuemissionen kommt. Denn man muß ernstlich damit rechnen, daß ein erheblicher Teil der Wertpapierverkäufer den Erlös nur dazu be- nutzt, um früher genommene Bankkredite abzudecken oder um den Betrag auf Kündigungskonto oder zu jederzeitiger Verfügung bei der Bank stehen zu lassen, das hat sich anscheinend auch in England nach 1931 gezeigt ; insoweit aber geht von den Wertpapierkäufen der Banken usw. in der Stockung keine wirtschaftsbelebende Wirkung aus. Diese ist vielmehr nur dann zu erwarten, wenn die Verkäufer mit dem Er- lös „etwas machen", z. B. Investitionen vornehmen. Aber wir rechnen damit, daß es doch in sehr vielen Fällen bei der Verbesserung der Marktlage für langfristige Wertpapiere zu vermehrter Emission, z. B. von Pfandbriefen und Industrieobligationen kommt, daß ferner die Verbesserung der Marktlage bei den Festverzinslichen auf den Aktien- markt übergreift, und daß dann auch die Aktienemission steigt; und daß diese Emissionen nicht nur der Konsolidierung früher gemachter kurzfristiger Schulden, sondern direkt Neuinvestitionen dienen. So- Vogel und Replik von Nöllv. d. Nahmerin Bd. 2, 3 und 4 dieser Zeit- schrift.

Finanzarchiv. N. F. 5. Heft 4. 35

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weit solche Emissionen zum Zwecke der Investition im individualwirt- schaftlichen Sektor in ausreichendem Maße naph den Wertpapier- käufen der Banken zustande kommen, bedarf es also entsprechender staatlicher Maßnahmen nicht; kommt es nicht von selbst zu solchen Neuemissionen für Zwecke des individualwirtschaftlichen Sektors - daß Key ne s für England mit dieser Möglichkeit rechnet, führten wir oben aus - , dann können sich allerdings die staatlichen Mehr- ausgaben und Emissionen als entscheidend für die Wirtschaftsbelebung erweisen. - Wie aus unsern Ausführungen über die besonderen Kredit- titel, die bei der deutschen Krisenbekämpfung seit 1933 angewandt wurden, schon hervorgeht, war es damals in Deutschland nicht mög- lich, ohne den staatlichen Einsatz die Stockungsüberwindung zu schaf- fen. Denn es bestand keine ausreichende Möglichkeit, im individual- wirtschaftlichen Sektor kurzfristige Kredite aq den Mann zu bringen, zur Gewährung langfristiger Kredite, etwa in der Form der Herein- nahme von Pfandbriefen usw., waren die Banken des kurzfristigen Ge- schäfts aber nicht bereit. So bildete die formell kurzfristige, materiell mittelfristige Kreditnahme in der Form des Arbeitsbeschaffungswech- sels, hinter der das Eeich stand, und die staatlichen oder vom Staate geförderten Investitionen diente, den Ausweg aus den Schwierigkeiten.

Aber wir stehen jetzt noch einem sehr wichtigen Einwand gegen- über. Ist nicht nach den Erfahrungen, die zu ver- schiedenen Zeiten gemacht wurden, die „Un- ordnung" des öffentlichen Haushalts, die sich in einer Kreditnahme der öffentlichen Körper- schaften dokumentiert, einer der schlimmsten Krisenherde und eine der stärksten Hemmungen gegen eine Stockungsüberwindung? Man denke hier- bei nur an die neueren französischen Vorgänge, die zwar der staatlichen Haushaltslage nicht ausschließlich zugeschrieben werden dürfen, jeden- falls aber von ihr mitverursacht sind : Das Publikum bekommt Angst vor Inflation und Abwertung, die Bereitschaft, Geld langfristig anzu- legen, schwindet, Milliardenbeträge flüchten ins Ausland, d. h. sie wer- den in einem ausländischen Geld angelegt, zu dessen Stabilität man mehr Vertrauen hat, gewaltige Beträge werden zur Hamsterung von Gold verwandt, und man hortet Noten, weil man sich im Besitz von Noten sicherer fühlt als im Besitz eines Bankguthabens. Ohne weiteres können wir zugeben, daß der Ausbruch solcher Angstzustände und ein solches Verhalten des Publikums ein konjunkturverschlechterndes

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Moment erster Ordnung darstellen. Aber wir müssen bestreiten, daß diese Katastrophenangst mit jeder zur Kreditausweitung führenden Kreditnahme verbunden ist; wir können einer solchen Annahme ja die deutsche Erfahrung entgegensetzen, nämlich daß gerade die staatliche Aktivität, der sinnvolle Ansatz der Kreditnahme für staatliche Investi- tionen die Vertrauensatmosphäre geschaffen hat, die sich in dem Kück- fluß gehamsterter Noten und in der erhöhten Bereitschaft zur lang- fristigen Anlage niedergeschlagen hat. Es ist ein entscheidender Unter- schied zwischen Kredifcnahme und Kreditnahme vorhanden: Tritt sie als Folge der Unfähigkeit der Eegierenden oder der sachlichen Unmög- lichkeit auf, einer sich vollziehenden Entwicklung Herr zu werden, ist sie in diesem Sinne zwangsläufig und ist ein Ende nicht abzusehen, dann kann es allerdings leicht zur Katastrophenangst kommen ; und es kann unter diesen Umständen dazu kommen, trotzdem Inflation, Abwertung oder sonstige als Katastrophen empfundene Vorgänge zu- nächst noch in weiter Ferne liegen und nur durch die Angsthandlungen in greifbare Nähe gerückt werden. Tritt die Kreditnahme hingegen als eine zielbewußt angesetzte Maßnahme auf, um bestimmte von der Be- völkerung bejahte Staatsziele zu verwirklichen, dann kann die Kredit- nahme offensichtlich sehr weit geführt werden, ohne daß Panikhand- lungen des Publikums das Wirtschaftsleben stören. Und deshalb kön- nen wir sagen, daß die Angst vor solchen Panikhandlungen die staat- liche Aktivität nicht notwendig zu lähmen braucht; besonders wird das Ziel, eine Wirtschaftsstockung zu überwinden, nach den Notjahren der Weltkrise wohl überall bejaht, und die Staatsführung darf bei sinn- vollem Ansatz ihrer Maßnahmen auf dieses Ziel mit einem Mitgehen der Bevölkerung rechnen.

Wir haben nun weiterhin zu untersuchen, welche Folgen im Wirt- schaftsleben in der Zeit, in der die Kredite verzinst und getilgt werden, auftreten. Auch hier wollen wir zu- nächst die Annahme machen, daß die Konjunk- tur oder der Beschäftigungsgrad nicht beein- flußt wird. Waren wegen der staatlichen Kreditnahme Investi- tionen im individualwirtschaftlichen Sektor unterblieben, waren bei- spielsweise Eationalisierungen nicht durchgeführt oder Wohnungen nicht gebaut, so macht sich das Fehlen dieser Investitionen natürlich auch in dieser Folgezeit geltend, beispielsweise durch geringere Er- giebigkeit des Produktionsprozesses oder durch Knappheit des Woh- nungsangebots. Diesen der Bedarfsdeckung abträglichen Tatbeständen

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steht dann allerdings gegenüber, was der Staat mit den Beträgen, die er auf dem Kredit wege erhalten hat, geschaffen hat, jedenfalls insoweit, als die betreffenden Werke noch in dieser Folgezeit Nutzen stiften. Die Zusammensetzung des Sozialproduktes ist also in dieser Zeit durch diese Nachwirkungen der staatlichen Kreditnahme verändert. Aber dazu kommen weitere Einwirkungen, vor allem solche, die durch die Notwendigkeit, den Schuldendienst zu bestreiten, ausgelöst werden. Wie wir oben sahen, braucht es in dieser Lage nicht notwendig zur Erhöhung von Steuern usw. zu kommen, besonders dann nicht, wenn die seitens des Staates durch Kredit finanzierten Investitionen selbst eine entsprechende Veränderung der Haushaltslage herbeiführen, so daß die für die Verzinsung und Tilgung benötigten Beträge bereit- stehen, oder auch dann nicht, wenn es gelingt, durch Einsparungen auf anderen Gebieten den für den Schuldendienst notwendigen Be- trag aufzubringen. Aber häufig ist eine Steigerung der laufenden Ein- nahmen durch Steuererhöhung nötig. Die Kreditgläubiger sind in die- sem Falle kaufkräftig auf Kosten derjenigen, deren Kauffähigkeit durch die zusätzliche Besteuerung gemindert wird; (hätte der Staat die in Frage stehenden Investitionen nicht vorgenommen und die Kre- dite nicht in Anspruch genommen, so brauchte eine solche Besteuerung nicht zu erfolgen, die Kreditgläubiger hätten ihre Geldbeträge für In- vestitionen im individualwirtschaftlichen Sektor zur Verfügung stellen können und wären nun auf Kosten ihrer privaten Schuldner kauf- kräftig). Bei einer Tilgung staatlicherseits genommener Kredite wer- den neben den sonst für die Kreditgewährung verfügbaren Beträgen weitere Beträge für diesen Zweck frei, was die Tendenz hat, die Zins- sätze zu senken. Allerdings muß man hierbei berücksichtigen, daß eine zusätzliche Besteuerung immer auch zu einem Teil auf Kosten der Spartätigkeit geht; es tritt dann also durch die Tilgung nur eine ge- ringere Veränderung der Lage am Kreditmarkt ein, als ohne eine für die Tilgung notwendige Besteuerung eintreten würde. Mit diesen Dar- legungen sehen wir uns wieder im Einklang mit der überkommenen Lehre.

Aber die hier gemachte Annahme, daß die Vorgänge auf die Kon- junktur und den Beschäftigungsgrad keinen Einfluß ausüben, ent- spricht vielfach nicht der Wirklichkeit. Und so müssen wir wieder d i e Frage aufwerfen, wie denn Konjunktur und Be- schäftigungsgrad von den Vorgängen beein- flußt werden. Und da müssen wir zunächst einmal auf die

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obigen Feststellungen zurückgreifen, daß eine Verschärfung der Be- steuerung, sei es durch Einführung neuer Steuern, oder sei es durch Erhöhung der Steuersätze bzw. durch Ausweitung des Kreises der be- steuerten Personen oder Objekte bei alten Steuern, in aller Eegel die Konjunkturlage ungünstig zu beeinflussen tendiert. Allerdings bleiben die für Verzinsung und Tilgung pro Jahr erforderlichen Beträge bei der Wahl geeigneter Kreditformen ja. in aller Eegel weit hinter den- jenigen Beträgen zurück, die bei unmittelbarer Steuerdeckung großer staatlicher Investitionen einmalig erforderlich gewesen wären, die Ten- denz zur Konjunkturverschlechterang tritt deshalb mit geringerer Intensität in Erscheinung. Werden statt der Steuererhöhung Ein- sparungen im Haushalt vorgenommen, um den Anforderungen des Schuldendienstes nachkommen zu können, so läßt auch dies den Kon- junkturverlauf nicht unberührt; jedenfalls werden Teilgebiete des Wirtschaftslebens von diesen Einsparungen betroffen, und es besteht die Möglichkeit, daß sich die Konjunkturverschlechterung von diesen Teilgebieten auf weitere Bereiche des Wirtschaftslebens ausdehnt 1). Von der Tilgung staatlicher Kredite kann unter bestimmten Bedin- gungen noch in besonderem Maße die Tendenz zur Konjunkturver- schlechterung hervorgerufen werden. Man denke hier erstens an den Fall, daß der Staat kurzfristige Schatzscheine oder Schatzwechsel tilgt, und daß der für die Stockung charakteristische Zustand besteht, in dem es den Banken Schwierigkeiten macht, kurzfristige Kredite an den Mann zu bringen; bei der Tilgung der staatlichen Kreditmittel kurzfristiger Art, die sich meist zu einem großen Teil bei Banken als Anlage befinden, kann es dann leicht zu einer Kreditschrumpfung und zu einer Minderung der Giralgeldmenge kommen, nämlich sofern die Banken eine geeignete neue Anlage nicht finden. Bei der Tilgung lang- fristiger Staatsanleihen besteht diese Gefahr unter den bisher in Deutsch- land üblichen Umständen in wesentlich geringerem Maße, aber es wür- den ähnliche Folgen wie im Falle der Tilgung kurzfristiger Staats- papiere auftreten, sofern tatsächlich auch an geeigneten langfristigen Anlagemöglichkeiten Mangel herrscht. Aber offensichtlich hat dieser Fall keine große praktische Bedeutung ; denn die Haushaltslage macht Tilgungen in ausgeprägten Stockungszeiten doch meist unmöglich und in Zeiten besserer Konjunktur besteht ein solcher Mangel an Anlage- möglichkeiten in der Kegel nicht. Und zweitens denke man daran, daß

*) Siehe hierzu vom Verfasser, Die Konjunkturen des Wirtschaftslebens, S. 84 ff.

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der Staat Kredite tilgt, die er bei der Notenbank genommen hat. Bei Steuerzahlungen der Bürger an den Staat gehen den Kreditbanken in der Eegel Guthaben, die sie bei der Notenbank hatten, verloren, die ihnen dann bei der Wiederverausgabung der Beträge durch den Staat wieder zuzufließen pflegen. Bei der Verwendung der Staatseinnahmen zur Tilgung von Notenbankkrediten fließen die Notenbankguthaben jedoch nicht an die Kreditbanken zurück, und es entsteht die Mög- lichkeit, daß die Verminderung der Barreserven die Kreditbanken zu Krediteinschränkungen veranlaßt. Dieser Vorgang hat nach der In- flation der Kriegs- und ersten Nachkriegsjahre in einzelnen Ländern eine Eolle gespielt, als die Eegierungen bemüht waren, die Vorkriegs- parität der Landeswährung wiederherzustellen, also im Eahmen der damals betriebenen Deflationspolitik.

Aber wir dürfen uns nicht mit dieser Konstatierung konjunktur- verschlechternder Tendenzen begnügen. Wir müssen die Gesamtsitua- tion erfassen, in die diese Tendenzen hineintreffen, um zu erkennen, ob sie sich auch durchsetzen. Man denke zunächst daran, daß Kredit- tilgungen seitens des Staates aus Gründen der Entwicklung der Haus- haltslage vornehmlich während des Konjunkturaufstiegs vorgenom- men werden und dann werden sich die konjunkturverschlechternden Tendenzen in der Eegel nur in einer Hemmung des Aufstiegs, nicht aber in einer tatsächlichen Verschlechterung der Wirtschaftslage nie- derschlagen. Anders, wenn die verschlechternden Tendenzen in der Zeit der Stockung Platz greifen. Zwar ist ja die Notenbank berufen, durch entsprechenden Ansatz ihrer Kreditpolitik konjunktur ver- schlechternde Momente an der Auswirkung auf das Wirtschaftsleben zu hindern, diese Momente zu kompensieren oder gar überzukom- pensieren; aber wir müssen dabei berücksichtigen, daß in der Stok- ung die Fähigkeit der Notenbank zum Ausgleich konjunkturver- schlechternder Momente relativ gering ist - wir sahen oben, wie Notenbank und Kreditbanken und eventuell auch der Staat zusammen- wirken müssen, um zu einem Erfolg zu kommen - , und daß in anderen Lagen die Eücksicht auf die Währungslage ihre Bewegungsfreiheit zu hemmen vermag; liegen solche Tatsachen vor, sind auch andere kon- junkturverbessernde Momente nicht am Werke, dann kann die Ten- denz zur Konjunkturverschlechterung sich durchsetzen. Wir müssen deshalb damit rechnen, daß Steuererhöhungen und Tilgung kurzfristi- ger Staatsschulden in ausgeprägten Stockungszeiten die Konjunktur und den Beschäftigungsgrad verschlechtern, daß Steuererhöhungen

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außerdem bei bedrängter Währungslage zu einer ungünstigeren Wirt- schaftslage führen, als sich ohne die Sfceuererhöhung hätte ergeben können.

Darüber hinaus ist der Sonderfall zu berücksich- tigen, daß der Staat Au s 1 a n d s a ni e ih en aufge- nommen hat und diese nun zu verzinsen und zu tilgen hat. Der Übergang aus einer Zeit, in der Auslandsanleihen aufgenommen werden, in eine Zeit, in der sie verzinst und getilgt wer- den, macht eine Wandlung der Zahlungsbilanz notwendig. Und es ist nun keineswegs gesagt, daß diese Wandlung automatisch eintritt, denn diese ist von einer Eeihe von Bedingungen abhängig. Eelativ günstig liegt der Fall jedenfalls dann, wenn die Verwendung des Anleiheerlöses die für die Verzinsung und Tilgung der betreffenden Anleihen er- forderlichen Devisen selbst „hervorbringt* ', z. B. wenn mit dem An- leiheerlös Ausfuhrmöglichkeiten oder Möglichkeiten, auf Einfuhren zu verzichten, erschlossen worden sind. Aber es ist keineswegs gesichert, daß eine ausreichende Wandlung der Zahlungsbilanz sich automatisch vollzieht, zumal wenn das Wirtschaftsleben sich vorher auf ein zu- sätzliches Devisenangebot aus Anleiheaufnahme eingespielt hatte, und dann muß diese Wandlung durch Drosselung des Wirtschaftslebens im Schuldnerland oder durch Einfuhrbeschränkungen erzwungen wer- rden, sofern die Stabilität der Währung nicht geopfert werden soll.

Nun müssen wir noch die weitere Möglichkeit ins Auge fassen, daß der Ansatz der Steuererhöhung oder die Vornahme von Ein- sparungen mit ihrer Tendenz zur Konjunkturverschlechterung durch die Entwicklung der Gesamtsituation überhaupt unnötig wird. Wir wollen hierbei insbesondere davon ausgehen, daß die staatliche In- vestition und Kreditaufnahme dahin gewirkt hat, die Stockung zu überwinden. Die Veränderung der Wirtschaftslage bedeutet bei der heutigen Struktur des Einnahme- und Ausgabewesens der öffentlichen Hand auch eine Veränderung der Haushaltslage. Bei einer Konjunktur- verbesserung fließen die Steuerquellen reichlicher, die Verkehrs- und Versorgungsbetriebe des Staates und der Gemeinden arbeiten rentab- ler, die Aufwendungen für soziale Zwecke können eingeschränkt wer- den. Es ist also als durchaus möglich anzusprechen, daß die Verände- rung der Haushaltslage, die so eintritt, ausreicht, um nicht nur die Verzinsung, sondern auch eine kräftige Tilgung der aufgenommenen Kredite zu ermöglichen und damit Steuererhöhungen unnötig zu machen.

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Aber dann tritt uns eine Frage entgegen, die landläufig oft ge- stellt wird, ein Zweifel, der den Fortbestand der durch die staatliche Wirtschaftsankurbelung herbeigeführten Konjunkturverbesserung be- trifft. Man hört heute oft fragen: Muß der Staat denn nicht in gleichem Stil dauernd weiter Straßen, Kasernen usw. bauen, damit es nicht zum Eückschlag kommt ? und daß der Staat sich dauernd in dieser Weise weiter verschuldet, ist doch unmöglich! Die grundsätzliche Frage, ob die Konjunkturverbesserung auch ohne Stützung durch weitere staat- liche Ankurbelungspolitik Bestand haben kann, ist zweifellos beacht- lich. Wir sind bereit, sie zu bejahen. Der Gedanke, daß die staatliche Arbeitsbeschaffungs- und Verschuldungspolitik als „Initialzündung' '

wirkt, und daß der Aufschwung sich danach ohne weitere Hilfsmaß- nahmen fortsetzt, ist keineswegs wirklichkeitsfremd; denn es ent- spricht den Erfahrungen, die bis zur Weltkrise hin gemacht wurden, daß nach Überwindung der Stockung die Investitionen im individual- wirtschaf fclichen Sektor wieder zunehmen, und daß die Kreditnachfrage im Zusammenhang mit der Lagervergrößerung und mit der Ersatz- oder Neubeschaffung von Anlagegütern ein solches Maß erreicht, daß sie sogar durch Zinserhöhung oder andere Maßnahmen gebremst wer- den muß. Allerdings ist im Anschluß an die Weltkrise die Nachfrage nach kurzfristigen Krediten aus dem individualwirtschaftlichen Sek- tor in verschiedenen Ländern, besonders auch in Deutschland, jahre- lang nicht gestiegen, sondern im Zusammenhang mit der Eückzahlung eingefrorener Kredite sogar noch zurückgegangen. Da nun bei den deutschen Banken des kurzfristigen Geschäfts keine ausreichende Be- reitschaft vorhanden war, langfristige Wertpapiere als Anlage für kurz- fristig fällige Gelder hereinzunehmen, ist die Vermehrung der formell kurzfristigen staatlichen Kredittitel für die Fortsetzung des Auf- schwungs in diesen Jahren von entscheidender Bedeutung gewesen. Aber wir halten diese Einstellung der Bankleiter nicht für unabänder- lich, sondern rechnen damit, daß sie geändert wird; daß dann an ge- eigneten langfristigen Anlagepapieren ein konjunkturhemmender Man- gel entsteht, der durch neue staatliche Investitionen und Emissionen beseitigt werden müßte, erscheint uns unter den in Deutschland herr- schenden Umständen bis auf weiteres als ausgeschlossen.

Wir haben also gesehen, daß die staatliche Kreditnahme eine hohe konjunkturpolitische Bedeutung gewinnen kann, daß sie diese jedoch nicht in jedem Falle hat. Eine möglichst klare Scheidung der konjunkturpolitisch förderlichen und der konjunkturpolitisch irrele-

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vanten Kreditnahme erscheint uns dringend erwünscht. Wir hoffen, daß die vorangegangenen Ausführungen gezeigt haben, daß jeweils eine Eeihe von Bedingungen zusammentreffen bzw. bewußt verwirk- licht werden muß, um eine gewollte konjunkturpolitische Wirkung mit staatlicher Investition und Kreditnahme zu erreichen. Als Faust- regel können wir festhalten: Staatliche Kreditnahme verbessert die Konjunktur des Wirtschaftslebens in erster Linie in ausgeprägten Stockungszeiten, aber auch in diesen nur bei geeigneter Art der Unter- bringung der Kredittitel und bei geeigneter Mitarbeit der Notenbank am Ziel der Kreditausweitung. Außerhalb von Stockungszeiten wird durch die staatliche Kreditnahme in der Eegel nur eine andere Zu- sammensetzung, aber keine Vergrößerung des Sozialprodukts und eine andersgeartete, nicht aber eine stärkere Verwendung der produktiven Kräfte erreicht. Allerdings hat sich nach der Weltkrise auch außerhalb eigentlicher Stockungszeiten die Schwierigkeit gezeigt, kurzfristige Kredite an den Mann zu bringen, doch bedarf es zur Überwindung die- ser Schwierigkeit nicht notwendig staatlicher Investition und Kredit- nahme, sondern sie kann dann auch durch ein geeignetes Verhalten der Banken - Hereinnahme langfristiger festverzinslicher Wertpapiere - beseitigt werden.

IV. Grundsätze für die Kreditpolitik1). Welchen Sinn hat es, finanzwissenschaftliche Grundsätze für die

Kreditpolitik zu entwickeln? Es hat den Sinn, Eegierungen, die es an Verantwortungsbewußtsein gegenüber der Zukunft von Volk und Staat fehlen lassen, die deshalb bereit sind, in weitem Umfang auf die defini- tive Deckung von Staatsausgaben zu verzichten, einen Damm ent- gegenzusetzen, und es hat den Sinn, Eegierungen, die sich ihrer Ver- antwortung gegenüber der Zukunft bewußt sind, Erkenntnisgrund- lagen für das staatliche Handeln zu liefern ; insbesondere Erkenntnis- grundlagen zur Beantwortung der Frage, in welchem Eahmen von Kredit Gebrauch gemacht werden kann, ohne daß dadurch Schwierig- keiten für die Zukunft entstehen. Es ergibt sich hieraus wohl ohne weiteres, daß die Aufstellung finanzwissenschaftlicher Deckungsgrund- sätze auch dann und gerade dann Sinn hat, wenn die Finanzpraxis von ihnen abweicht ; wir halten deshalb die Verzichtsleistung auf sol-

*) Siehe hierzu Stucken, Grundsätze, a. a. O. Wir sehen hier davon ab, unsere damaligen Ausführungen in extenso zu wiederholen, und verweisen für viele Einzelheiten auf diese ältere Arbeit.

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che Deckungsgrundsätze, wie wir sie bei W a 1 1 e r L o t z finden x), für unbegründet. Adolph Wagner hat seine Deckungsgrund- sätze entwickelt im Gegensatz zu einer laxeren österreichischen Finanz- praxis 2), und auch wir haben unsere Grundsätze im Jahre 1927 ge- rade deshalb aufgestellt, weil sich eine hemmungslose Anleihefreudig- keit breitzumachen drohte. Angesichts solcher Sinngebung genügt es aber selbstverständlich auch nicht, zu sagen, daß im Falle des Ein- satzes provisorischer Deckungsmittel das rechtzeitige Vorhandensein endgültiger Deckungsmittel gesichert sein muß, was den Inhalt der Boeslerschen Deckungsregel bildet 3). Man muß schon diffe- renziertere Aussagen machen, man muß „Fälle" herausarbeiten, in denen die Kreditdeckung als zuträglich bezeichnet werden kann, um überhaupt bis zu denjenigen praktischen Problemen vorzustoßen, mit denen der Politiker ringt.

Die Grundsätze sind auf das Ziel ausgerichtet, eine dauernde Ord- nung des öffentlichen Haushalts zu gewährleisten oder, mit anderen Worten, zu sichern, daß öffentliche Aufgaben gleicher Dringlichkeit wie in der Gegenwart auch in der Zukunft erfüllt werden können. Dei Aufstellung von Grundsätzen unter dieser Zielsetzung kommt eine be- sondere Bedeutung in Anbetracht der Verhältnisse zu, wie wir sie seit dem Weltkrieg haben, wo die Steuerreserven und andere Einnahme- möglichkeiten stark ausgeschöpft sind, wo es deshalb große finanzielle Schwierigkeiten bereitet, von einer laxeren zu einer strengeren Kredit- politik überzugehen, wenn die frühere Kreditpolitik schon zu einer erheblichen Häufung von Zins- und Tilgungslasten geführt hat. Im Falle eines Krieges um die nationale Existenz, in dem alles auf das Ziel äußerster Widerstandskraft ausgerichtet ist, spielen hingegen die genannte Zielsetzung und die auf sie bezogenen Grundsätze kaum eine Eolle; in einer solchen Zeit dominieren die Anforderungen der Gegen- wart.

Ein Wort hier zur Methode, mit der wir unsere Deckungsgrund- sätze gewonnen haben. Wir haben unser Augenmerk auf Bewegungs- tendenzen der gesamten Einnahmen und der gesamten Ausgaben des öffentlichen Haushalts gerichtet und haben auf dieser Grundlage Soll- sätze für die Kreditpolitik gesucht. Dieses Verfahren ergibt sich u. E.

*) A. a. O. S. 861. 2) Die Ordnung des österreichischen Staatshaushalts, passim. *) v. Hineberg-Jtfoesler, urunariu aer .EinanzwiBseiisuua.ii/, < . ami.,

Leipzig 1936, S. 45.

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als logisch notwendig auf Grund der Einheit des öffentlichen Haus- halts und auf Grund der Zielsetzung, auf die die Sollsätze ausgerichtet sind, nämlich die dauernde Ordnung des Haushalts und die dauernde Erfüllung der öffentlichen Aufgaben zu sichern. Wir stehen hiermit im Gegensatz zu Adolph Wagner, der unmittelbar eine Ver- bindung zwischen Ausgabeart und Einnahmeart herzustellen gesucht hat, ohne auf die Bewegungstendenzen der gesamten Einnahmen und Ausgaben einzugehen. Auch er will die dauernde Ordnung des öffent- lichen Haushalts mit seinen Grundsätzen sichern, aber tatsächlich ist das bei seinen Grundsätzen nur dann der Fall, wenn eine stillschweigend von ihm gemachte Voraussetzung richtig ist, nämlich daß das Vor- handensein von Anlagen usw., die die staatliche Leistung auf längere Sicht erhöhen (was sich insbesondere bei der Schaffung von Straßen, Verwaltungs- und Schulgebäuden, Heeres- und Flottenvergrößerungen usw. ergibt), auch zu entsprechend höheren Staatseinnahmen oder zu entsprechend niedrigeren Staatsausgaben führt. Diese Annahme aber ist, abgesehen von der rentablen Kapitalanlage, denkbar fragwürdig 1).

Auf Grund unserer Methode kamen wir zu dem Ergebnis, daß Kreditaufnahme und auch eine Häufung von Krediten - A n 1 e i h e a k k u m u 1 a t i o n - zulässig sein soll für die Finanzierung rentabler An- lagen; also auch dann, wenn die für früher geschaffene rentable Kapitalanlagen aufgenommenen Kredite noch nicht wieder getilgt sind, soll es zulässig sein, für weitere rentable Kapitalanlagen Kredite aufzunehmen; (auf gewisse früher gemachte Einschränkungen, denen keine große praktische Bedeutung zukommt, gehen wir hier nicht ein). Abgesehen von diesem Sonderfall, halten wir eine Häufung von Kre- diten nicht für statthaft. Wir halten Kredite vielmehr nur für zulässig zum Ausgleich zwischen stärker und weniger stark belasteten Zeiten, und wir gehen dabei davon aus, daß die in der stärker belasteten Zeit genommenen Kredite in der darauf folgenden weniger stark belasteten Zeit wieder getilgt werden. Genauer formuliert : Kreditnahme ist zulässig bei zeitweiligem Zurückbleiben der Einnahmen hinter den Ausgaben, sofern nur im Gesamtergebnis der längeren Periode Einnahmen und Ausgaben - und zwar ohne B e -

*) Vgl. Stucken, Grundsätze, S. 748 ff. Siehe dort S. 754 auch die Hin- weise auf Schäffle und Schanz, deren Verfahren dem unsrigen zum Teil

entspricht.

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r ü c k s i c h t i gu n g der infolge der Kreditnahme eingehenden und der für die Tilgung des Kre- dits ausgehenden Beträge - übereinstimmen. Es ist hierbei zu beachten, daß die Kosten der Kreditnahme, ins- besondere die Zinsen, die Provisionen an Emissionsstellen und die Differenz zwischen Emissions- und Tilgungskurs, zu den vorhandenen Ausgaben hinzutreten und beim Vergleich der Einnahmen und Aus- gaben der längeren Periode mit zu berücksichtigen sind. Unter An- wendung dieses allgemeinen Satzes kommen und kamen wir damals zu folgenden Fällen, für die wir Kreditnahme, jedoch nicht die Häufung von Krediten, als zulässig bezeichnen: 1. Kredite dürfen zur Deckung der zeitweilig die Einnahmen über-

schreitenden Ausgaben aufgenommen werden, sofern im Gesamt- ergebnis der Etatperiode Einnahmen und Ausgaben übereinstimmen.

2. Kredite dürfen in Stockungszeiten zwecks Ausgleich zwischen Jah- ren schlechter und guter Konjunktur aufgenommen werden, inso- weit sie bei gleichbleibenden Steuer- und Tarifsätzen in den nach- folgenden günstigeren Jahren getilgt werden können; darüber hin- aus nur, insoweit die Tragbarkeit von Steuer- und Tariferhöhungen zwecks Abdeckung der Kredite in der Zeit besserer Konjunktur er- wiesen ist.

3. Kredite dürfen aufgenommen werden zum Ausgleich zwischen Jah- ren erhöhter Gesamtausgaben und anderen Jahren, soweit die Trag- barkeit von etwa erforderlichen Steuer- und Tariferhöhungen zwecks Abdeckung der Kredite in der Gesamtzeit erwiesen ist.

4. Unter der gleichen Voraussetzung zum Ausgleich zwischen Jahren verminderter Gesamteinnahmen und anderen Jahren.

Der erstgenannte Fall kann als unbestritten angesprochen werden, die Einordnung dieses Falles hat nur denen, die unmittelbar Einnahme- und Ausgabeart in Verbindung bringen wollten, Schwierigkeiten ge- macht. Mit der Herausarbeit ung des zweiten Falles glauben wir da- mals eine erkenntnismäßige Grundlage für die späterhin in der Welt- krise zur Stockungsüberwindung eingeschlagene Finanzpolitik ge- schaffen zu haben. Er hat besondere Bedeutung wegen der unter- schiedlichen konjunkturpolitischen Wirkung der Steuer einerseits und des Kredits andererseits, die wir im III. Abschnitt dieses Aufsatzes dargestellt haben. Angesichts der großen Leistung für das Volks- und Staatsleben, die wir der kreditfinanzierten Arbeitsbeschaffung seit

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1933 verdanken, und angesichts der mehr und mehr durchbrechenden Überzeugung von der Einheit aller Politik, insbesondere auch der Finanz- und Wirtschaftspolitik, glauben wir, daß auch dieser Satz nicht mehr auf entscheidenden Widerspruch stößt. Man muß bei die- sem Fall nur folgendes beachten : Das Ausmaß staatlicher Investition und Kreditnahme, das zur Stockungsüberwindung ausreicht, wie über- haupt die Länge der Stockungsperiode und der darauf folgenden Periode guter Konjunktur liegt nicht eindeutig fest. Es ist deshalb erforderlich, daß in guten Zeiten immer noch ein gewisser Spielraum für die Haushaltsführung vorhanden ist, damit nicht gleich durch die Höhe der Lasten, die in schlechten Zeiten übernommen werden müs- sen, um eine Stockungsüberwindungspolitik erfolgreich durchzuführen, die Ordnung des Haushaltes in Frage gestellt wird. Der dritte Fall be- darf etwas längerer Darlegungen; der vierte Fall geht auf die Erfah- rungen zurück, die in Deutschland im Anschluß an die Inflationszeit gemacht wurden und stellt eine Eechtfertigung des Kredits dar, den die Eentenbank 1923 dem Keich gewährte, um diesem die Über- brückung des Zeitraumes, bis die Steuern wieder zu fließen begannen, zu ermöglichen.

Mit dem dritten Satz glauben wir die Wagnersche Lehre, der- zufolge Kreditdeckung auch für die nichtrentable staatswirtschaftliche Kapitalanlage zulässig sein soll, auf das gebotene Maß zurückgeführt zu haben. Wenn ein Staat in verhältnismäßig kurzer Zeit beispielsweise den Aufbau seiner Wehrmacht durchzuführen hat, dann werden da- durch die Staatsausgaben für einige Jahre enorm in die Höhe getrieben, und wir halten es für berechtigt, dann in diesen Jahren des Wehrauf- baus Kredite zur Deckung der Gesamtausgaben mit heranzuziehen, allerdings nur unter der Voraussetzung, daß dann Jahre geringerer Gesamtausgaben folgen, die die Wiederabdeckung der Kredite gestat- ten. Das gleiche gilt für eine kleinere Gemeinde, in der einmalig durch den Bau eines neuen Eathauses oder einer neuen Schule die Gesamt- ausgaben von ein oder zwei Jahren über das vorher und nachher üb- liche Maß hinausgetrieben werden, wo dann mangels rechtzeitiger und ausreichender vorheriger Fondsbildung Kredite genommen werden können, deren Wiederabdeckung jedoch erledigt sein soll, ehe neue Aufgaben, z. B. große Straßenbauten, die Gesamtausgaben wieder hinauftreiben. Ganz etwas anderes lag aber in der Vorkriegszeit vor, als das Eeich seit 1877 Jahr für Jahr 100 bis 200 Millionen Mark für Heeres- und Flottenvergrößerungen und einige weitere Zwecke auf-

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nahm und so nach und nach eine Milliardenschuld anhäufte, bis man schließlich an der Möglichkeit, dies Verfahren dauernd fortzusetzen, zu zweifeln und sich um steuerliche Deckung solcher Ausgaben zu be- mühen begann, und zwar nun unter gleichzeitiger Belastung mit den Zins- und Tilgungsverpflichtungen für die früher genommenen An- leihen ; wieviel besser wäre es da gewesen, von Anfang an die strengeren Eichtlinien für die Kreditaufnahme anzuwenden, zu denen man sich später bekehrte 1). Auf der gleichen Linie lag es, wenn wachsende Städte Jahr um Jahr für den Bau von Schulen, Verwaltungsgebäuden, Straßen, Museen, nichtrentablen Hafen- und ähnlichen Anlagen Kre- dite nahmen, und wenn sie auf diesem Wege Anleihelasten häuften, bis die Gemeindeaufsichtsbehörden mehr und mehr darauf drängten, daß wachsende Städte solche Ausgaben durch Steuern deckten. Die engere Begrenzung der Kreditnahme seitens der Gemeinden finden wir nunmehr auch in der Deutschen Gemeindeordnung vom 30. 1. 35 2) und in der dazu ergangenen Eücklagenverordnung vom 5. 5. 36 3). ver- ankert.

Aber nun haben wir noch einem Einwand zu begegnen. Er lautet : Es ist doch nur gerecht, daß „die Zukunft an den Lasten mitträgt", die durch Einrichtungen, insbesondere dauerhafte Anlagen, entstanden sind, von denen sie noch Vorteil hat ; oder genauer gesagt : es ist doch nur gerecht, wenn die definitive Deckung dieser Ausgaben in die Zu- kunft hinausgeschoben wird. Es ist seltsam, daß diejenigen, die so sprechen, fast nie etwas davon zu merken scheinen, daß die Gegenwart von einer Fülle solcher Einrichtungen Nutzen zieht, die in der Ver- gangenheit geschaffen wurden, und für die die Aufwendungen in der Vergangenheit definitiv gedeckt worden sind ; das genannte Gerechtig- keitsargument wird dadurch außerordentlich fadenscheinig. Wir sind geneigt, die Aussage umzukehren: Angesichts der Tatsache, daß die Ausgaben für den Hauptteil aller Einrichtungen, von denen die Gegen- wart Nutzen zieht, bereits in der Vergangenheit definitiv gedeckt wor- den sind, hat auch die Gegenwart solche Einrichtungen zu schaffen, von denen noch die Zukunft Nutzen hat, und die Ausgaben dafür de- finitiv zu decken.

Und weiterhin haben wir einem allzuhäufigen Irrtum entgegen-

*) Siehe hierzu Georg v. Schanz, Ein Wort zur Schuldenwirtschaft des Deutschen Reichs in den letzten 30 Jahren, Finanzarchiv, 25. Bd. 1908, S. 255 ff.

«) RGB1. I S. 49 ff., insbesondere §§ 60 und 77. 8) RGB!. I, S. 435.

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zutreten. Man denkt vielfach, daß nur heute noch gewisse große An- lagen geschaffen und Ausgaben dafür getätigt werden müssen, und daß dann die Welt saturiert ist, daß danach die Ausgaben der öffent- lichen Körperschaft sich in einem engeren Eahmen bewegen können. Wäre dies tatsächlich der Fall, dann könnte für manche Ausgabe Kre- dit in Anspruch genommen werden, für deren Deckung uns steuerliche Einnahmen geboten scheinen. Aber man muß demgegenüber beachten, daß die Dinge in der Eegel folgendermaßen liegen: Wenn bisher eine Bevölkerungszunahme stattgefunden hat und die öffentlichen Körper- schaften zur Schaffung von Anlagen zwecks Anpassung an die erhöhte Volkszahl genötigt hat, dann wird diese Nötigung sich wahrscheinlich in der Zukunft wiederholen. Wenn bisher Anlagen geschaffen werden mußten, weil sich das Bedürfnis nach vergrößerten Leistungen auf solchen Gebieten zeigte, auf denen der Bedarf seitens der öffentlichen Körperschaften gedeckt zu werden pflegt oder zweckmäßig gedeckt wird, muß man mit der Wiederholung solcher Erscheinungen auf den gleichen oder anderen Gebieten rechnen. Also man muß im Auge be- halten, daß die Zahl von Menschen, für die der Staat Einrichtungen bereitstellen muß, weitersteigt, und daß der Staat im Laufe der Zeit auch weiterhin auf schon bekannten oder neuen Gebieten verstärkt tätig werden muß. Das Verlangen nach neuen Einrichtungen, auch nach neuen dauerhaften Anlagen reißt deshalb nicht ab; man darf nicht annehmen, daß es morgen fehlen wird, weil wir heute noch kein klares Bild davon haben, welcher Art dies Verlangen sein wird. Das aber drängt zur Zurückhaltung sowohl gegenüber der Kreditnahme schlechthin als auch bei der Bemessung der Zeit, innerhalb deren ein zu nehmender oder genommener Kredit zu tilgen ist.

Wir haben bisher nur ausgeführt, unter welchen Bedingungen Kreditdeckung gewählt werden darf. Sollen wir nun darüber hinaus- gehen und sagen, unter welchen Bedingungen Kreditdeckung, insoweit sie als zulässig bezeichnet werden kann, geboten ist, gewählt werden soll? Der besondere Sinn, den die Aufstellung finanzwissenschaft- licher Deckungsgrundsätze nach unsern Ausführungen am Anfang des Kapitels hat, läßt diese weitergehenden Sollsätze als nicht unbe- dingt erforderlich erscheinen. Immerhin sei folgendes gesagt: Die Aussage, ob Kreditdeckung positiv geboten ist, können wir nicht auf die engumgrenzte Zielsetzung ausrichten, daß die Ordnung des öf- fentlichen Haushalts und die staatliche Aufgabenerfüllung auf die

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Dauer gesichert sein soll. Sondern wir müssen dabei die Gesamtheit der Zielsetzungen berücksichtigen, auf die die Politik im Dienste der Förderung und Sicherung des völkischen Lebens ausgerichtet ist ; dar- in dokumentiert sich dann die Einheit aller Politik einschließlich der Finanz- und Wirtschaftspolitik. In diesem Eahmen spielen selbstver- ständlich auch die wirtschaftspolitischen Zielsetzungen eine erhebliche Eolle, insbesondere die Zielsetzung, einen höchstmöglichen Beschäf- tigungsgrad und möglichst reichliche Versorgung der Bevölkerung mit allen Lebensgütern zu verwirklichen, und so müssen dann die Erkennt- nisse darüber, wie Kredit- und andere Deckung oder Unterlassung von Ausgaben auf die Konjunktur und den Beschäftigungsgrad einwirken, die Entscheidung beeinflussen. Aber ijßgesichts der hohen Bedeutung, die die dauernde Ordnung des öffentlichen Haushaltes, die Möglich- keit dauernder Erfüllung der öffentlichen Aufgaben hat, soll die Be- rücksichtigung der genannten weiteren Zielsetzungen doch immer nur bei der Entscheidung über solche Kreditaufnahmen zur Geltung kommen, die nach den Deckungsgrundsätzen als zulässig bezeichnet werden können; es sei denn, daß es sich um einen Krieg handelt, der die nationale Existenz bedroht, in dem unter Umständen gerade das Bewußtsein der Verantwortung für die Zukunft von Volk und Staat dazu zwingt, die Ordnung des Haushaltes zu opfern.

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